Jedes Jahr veröffentlichen einzelne Kranken- und Pflegekassen sogenannte „Pflegereporte“ – eine wahre Fundgrube an Materialien zu Entwicklung der Pflegelandschaft. So war das auch 2024.

➔ Heinz Rothgang und Rolf Müller (2024): BARMER Pflegereport 2024. Pflegerisiko und Pflegedauer, Berlin, November 2024
➔ Thomas Klie (2024): Pflegereport 2024. Die Baby-Boomer und die Zukunft der Pflege – Beruflich Pflegende im Fokus, Hamburg/Freiburg, April 2024
➔ Antje Schwinger et al. (Hrsg.) (2024): Pflege-Report 2024. Ankunft der Babyboomer: Welche Pflegestrukturen sind zu gestalten?, Wiesbaden, Dezember 2024
Bereits an den Überschriften der aktuellen Pflegeberichte der Krankenkassen kann man erkennen, dass es (wieder einmal) um den demografischen Wandel und hierbei insbesondere um die „Baby-Boomer“ geht (als „Baby-Boomer“ werden in Deutschland die im Zeitraum Mitte der 1950er bis Ende der 1960er Jahre geborenen Menschen bezeichnet, in dieser Zeit gab es jedes Jahr teilweise deutlich mehr als eine Million Geburten in Deutschland), von den viele derzeit noch im Erwerbsleben stehen, die aber in den kommenden zehn bis fünfzehn Jahren den Erwerbsarbeitsmarkt altersbedingt verlassen werden bzw. das gerade machen.
Der Pflegereport 2024 der DAK-Krankenkasse
Bereits im Frühjahr 2024 wurde der Pflegereport 2024 der DAK-Krankenkasse veröffentlicht – mit der interessanten Ergänzung im Titel: „Die Baby-Boomer und die Zukunft der Pflege – Beruflich Pflegende im Fokus“ (eine Zusammenfassung des DAK-Pflegereports 2024 findet man in dem Beitrag Nicht nur die Baby-Boomer: Kipppunkte der Pflege ante portas?, der hier am 28.04.2024 veröffentlicht wurde).
Zu den Kernergebnissen des DAK-Pflegereports 2024:
Herausforderungen für die Pflegeversicherung im demografischen Transformationsprozess:
➔ Kipppunkte der Pflege ab Ende der 2020er Jahre: Altersbedingte Austritte aus dem Pflegeberuf werden nicht mehr durch Absolventen / Absolventinnen von Pflegefachschulen ersetzt werden können.
➔ Ältere Pflegekräfte sind von gesundheitlichen Belastungen besonders betroffen und weisen eine hohe Zahl von Arbeitsunfähigkeitstagen auf, in der Altenpflege liegt sie im Schnitt bei über 50 Tagen per anno. Auf sie haben sich Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung in besonderer Weise auszurichten.
➔ Die demographische Transformation führt zu steigendem Bedarf an pflegerischer Unterstützung bei gleichzeitig abnehmenden Personalressourcen.
➔ Die Sicherstellung der Pflege und der Fachkräftemangel in der Pflege sind in den Augen der Bevölkerung zentrale gesellschaftspolitische Themen, die von der Politik nicht ernst genug genommen würden.
➔ Die Baby Boomer sind das Problem und die Lösung zugleich: Angesichts eines zurückgehenden Familienpflegepotentials bedarf neuer Formen informeller und solidarischer Unterstützung in einer Gesellschaft des langen Lebens.
Was denkt und sagt die Bevölkerung?
Das Thema Pflege, Pflegeversicherung und Personalmangel in der Pflege wird von der Bevölkerung als eines der zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit gewertet. Das ist angesichts der nun schon seit vielen Jahren geführten Diskussion sowie der persönlichen Erfahrungen der Menschen in ihrem engeren und weiteren Umfeld eher trivial, denn man muss schon mit Realitätsverweigerung geschlagen sein, wenn man das nicht erkennt. Was resultiert daraus für die Befragten? Über 50 Prozent der über 40-Jährigen sind bereit, Nachbarn, Freunde und Bekannte bei Pflegebedürftigkeit regelmäßig im Alltag zu unterstützen. Sagen sie zumindest.
Die Bevölkerung ist überwiegend ratlos, wie sich das Problem der Sicherstellung der pflegerischen Versorgung in der Zukunft lösen und finanzieren lässt. Das spiegelt nicht nur die Stimmung bzw. Wahrnehmung der breiten Bevölkerung, sondern man kann diesen Befund sicher auch auf das politische Feld im engeren Sinne beziehen.
Und mit Blick auf „neue“, zumindest andere Versorgungsformen als das, was man in der Alten- bzw. Langzeitpflege bislang kennt, interessant: Über 50 Prozent der deutschen Bevölkerung wünschen sich bei Pflegewohngruppen eine finanzielle Unterstützung vergleichbar mit der von Pflegeheimen. Unter den Personen, die dieses Angebot bereits vor der Befragung kannten, steigt dieser Anteil nochmals an. »Eine Mixtur aus nachberuflicher Erwerbstätigkeit und bürgerschaftlichem Engagement vor Ort könnte einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der Pflegesituation leisten. Bisherige Regelungen sind zu bürokratisch (z.B. die Anerkennungsvoraussetzungen für die Leistungserbringung gem. § 45b SGB XI). Von Pflegediensten organisierte betreuungs- und hauswirtschaftliche Unterstützungsformen stehen zudem nicht in bedarfsdeckendem Maße zur Verfügung.«
Arbeitsunfähigkeit beruflich Pflegender: ein Weckruf
Zuerst einmal ein wichtiger Befund vor dem Hintergrund der oftmals kolportierten Behauptung, dass beruflich Pflegende nur wenige Jahre im Beruf bleiben und dann aussteigen: Pflegekräfte, insbesondere Pflegehilfskräfte bleiben trotz gesundheitlicher Beeinträchtigungen lange im Beruf. Aber sie sind in besonderer Weise von gesundheitlichen Risiken betroffen. Dabei spielen sowohl Erkrankungen im Bewegungsapparat eine Rolle als auch – und dies in besonders ausgeprägter Weise – psychische Belastungen.
Und mit Blick auf die stark besetzten Jahrgänge der Baby-Boomer auch in der Pflege: Beruflich Pflegende der Boomer-Generation sind besonders häufig von gesundheitlichen Beeinträchtigungen betroffen und weisen eine hohe Zahl von Arbeitsunfähigkeitstagen auf, in der Altenpflege liegt sie im Schnitt bei über 50 Tagen pro Jahr. Das liegt deutlich über dem Durchschnitt der Beschäftigten:

Die zentrale Schlussfolgerung kann man in dieser Allgemeinheit nur teilen:
»Die gesundheitlichen Belastungen von beruflich Pflegenden im späteren Erwerbsalter (Baby-Boomer) fordern eine explizite Präventions- und Gesundheitsförderungsstrategie für beruflich Pflegende. Auch die Arbeitsbedingungen gilt es, weiter in den Fokus pflegepolitischer Aufmerksamkeit zu rücken.«
Ende der 2020er Jahre werden erste Kipppunkte erreicht
Zuerst behauptet der neue Pflegereport der DAK: Eine ganze Reihe von Narrativen, die die Pflegediskussion bestimmen, entbehren einer empirischen Grundlage. Was meinen die damit?
➔ Pflegekräfte haben keine kurze Verweildauer im Beruf. Im Gegenteil: Sie sind berufstreu.
➔ Die Zahl der Erwerbstätigen in der beruflichen Pflege ist stabil. Es gibt keine Hinweise darauf, dass ein „Pflexit“ (eine coronabedingte Flucht aus dem Pflegeberuf) stattgefunden hat. Hier muss man aber anmerken, dass die Engführung des „Pflexits“ auf einen möglichen pandemiebedingten Ausstieg aus dem Beruf verkürzt ist, die Debatte, die sich hinter diesem Begriff verbirgt, ist weiter ausgreifend und nicht auf die Besonderheiten der Corona-Jahre begrenzt.
➔ »Der Pflegeberuf ist nicht unattraktiv: 2020/2021 wurden so viele Pflegende ausgebildet wie noch nie. Die Ausbildungszahlen halten sich auch nach Einführung der generalistischen Ausbildung stabil – dabei spielen allerdings Zugewanderte regional eine zum Teil dominante Rolle.«
Das ist aber nur teilweise richtig, was die Ausbildungszahlen in den Pflegefachberufen angeht. Siehe hierzu ausführlicher den Beitrag Das ist weiterhin nicht gut. Die Entwicklung der Ausbildungszahlen in den Pflegefachberufen vom 13. April 2024.
➔ Beruflich Pflegende sind sektoren- und ortstreu: Ein Sog ins Krankenhaus wegen besserer Bezahlung oder Arbeitsbedingungen lässt sich nicht nachweisen.
Dann aber kommt ein wichtiger Hinweis:
»Pflege ist ein regionaler Beruf, der Arbeitsmarkt der Pflege ist regional: Insofern sind konsequent regionale Betrachtungsweisen anzustellen, wenn es um die Einschätzung des Pflegepersonals aber auch der demografischen Dynamiken geht.«
Und weiter heißt es: »Ein Ausbau der Personalkapazitäten in der Pflege wird demografiebedingt nicht gelingen – mithilfe von Zuwanderung lässt er sich bestenfalls stabil halten. Weitere berufliche Qualifikationen auf dem Niveau von Assistenzberufen werden gefragt sein.«
Und dann werden sie konkretisiert, die „Kipppunkte“ der Pflege:
➔ »Die ersten Kippunkte (die Renteneintritte übertreffen die Quote der Berufseinsteiger, die in den Beruf einmünden) werden in den ersten Bundesländern ab 2029 erwartet.«
Noch in den 2020er-Jahren werde es nicht mehr ausreichend nachrückende Absolventen von Pflegeschulen geben, um die Lücke der aus dem Beruf ausscheidenden Baby-Boomer zu schließen. So gab es laut 2023 über 1,14 Millionen professionell Pflegende in Deutschland. Mehr als jeder Fünfte von ihnen erreiche in den nächsten zehn Jahren das Rentenalter. In jedem Bundesland müssten dann um die 20 Prozent des Personals ersetzt werden – der Bedarf variiere zwischen 19,7 Prozent in Sachsen und 26,5 Prozent in Bremen. Wenn man Kipppunkte dahingehend definiert, dass es sich um (Zeit)Punkte handelt, an denen deutlich mehr Pflegende in den Ruhestand gehen als Nachwuchskräfte in den Beruf einsteigen, dann werde das in Bremen und Bayern bereits 2029 der Fall sein.
Pflegepolitische Forderungen im DAK Pflegereport 2024
Der DAK Pflegereport 2014 lässt drei zentrale Herausforderungen sichtbar werden, auf die sich die Gesundheits- und Pflegepolitik zu konzentrieren habe:
1. Die Sicherung der fachpflegerischen Versorgung verlangt nach einem kompetenzorientierten Einsatz von Pflegekräften inklusive eigenständiger heilkundlicher Aufgabenwahrnehmung. Das Pflegekompetenzgesetz* könnte hier einen wichtigen Beitrag leisten. Neben der Fachpflegekräfte, zu denen akademisierte Pflegeausbildungen ihren Beitrag zu leisten haben, sind Assistenzberufe sowohl in der Pflege als auch in der Hauswirtschaft gefragt. Sie gilt es konsequent und flächendeckend zu etablieren.
2. Die Finanzierung der Pflegeversicherung ist nicht einmal bis Ende 2024 gesichert. Es müssen dringend alle Anstrengungen unternommen werden, die soziale Pflegeversicherung in ihrem Bestand zu sichern und zukunftsfest zu machen. Alle Überlegungen, (zusätzlich) eine kapitalgedeckte Pflegezusatzversicherung einzuführen, helfen nicht, um den absehbar kurzfristigen Finanzierungsbedarf der Pflege zu decken: Sie greifen erst dann, wenn der Peak an Pflegebedürftigkeit, der durch die Boomer ausgelöst wird, verstrichen ist. Sie führen überdies zu einer zusätzlichen Belastung der jüngeren Generation. Die Stabilisierung häuslicher Pflegearrangements ist einer der Schlüssel zur Sicherung der Finanzierung der Pflegeversicherung.
3. Die Baby-Boomer sind das Problem und die Lösung zugleich: Durch die für die Boomer-Generation typische Individualisierung, die Veränderung von Lebensverhältnissen und die Abnahme von Familienbindungen werden andere soziale Netzwerke an Bedeutung gewinnen: Nachbarschaften, Freundschaften, zivilgesellschaftliche Zusammenschlüsse. Diese Formen der Selbstorganisation von Sorge, fachlich begleitet durch Fachkräfte, wird eine der zentralen Perspektiven für die Sicherung der Pflege darstellen müssen, mit kommunalen Unterstützungsformen und einem effizienten Einsatz von Pflegefachkräften. Dabei bedarf es auch der bürokratischen Abrüstung im Bereich der Pflegedienste und der Unterstützungsleistungen.
*) Das Pflegekompetenzgesetz zielt darauf ab, die Befugnisse von Pflegefachkräften zu erweitern und ihre vielfältigen Qualifikationen besser in der Versorgung einzusetzen. Konkret sollen Pflegekräfte künftig eigenständiger Entscheidungen treffen können, beispielsweise bei der Versorgung von Diabetes, Wundheilungsstörungen oder Demenz, ohne auf ärztliche Weisung angewiesen zu sein. Zudem ist vorgesehen, dass sie eigenständig Pflegegrade für die Langzeitpflege vergeben können. Ein weiteres Ziel des Gesetzes ist die Förderung innovativer Wohnformen für Pflegebedürftige, wie beispielsweise Senioren-Wohngemeinschaften, um Alternativen zum klassischen Pflegeheim zu schaffen und die Pflegestrukturen vor Ort zu stärken.
Der Gesetzentwurf wurde am 18. Dezember 2024 vom Bundeskabinett beschlossen. Moment, wird der eine oder andere denken: Am 18. Dezember 2024 gab es doch gar keine entscheidungsfähige Regierungsmehrheit mehr, denn die „Ampel-Koalition ist doch am 6. November 2024 auseinander gebrochen. So ist das. Das übrig gebliebene Bundeskabinett kann zwar Gesetzentwürfe beschließen und diese in den Deutschen Bundestag einbringen, aber sie hat dort keine parlamentarische Mehrheit mehr und wenn nicht die Oppositionsparteien der geschrumpften Bundesregierung zu einer Mehrheit verhelfen, dann wird kein Gesetzentwurf mehr verabschiedet werden können. So ist es auch dem Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Pflegekompetenz (Stand: 18.12.2024) ergangen – das ist schlichtweg hängen geblieben im Niemandsland zwischen dem Auseinanderbrechen der Ampel-Koalition und den für den 23. Februar 2025 angesetzten Neuwahlen.
Vor allem der dritte Punkt wird für eine in die Zukunft gerichtete Diskussion über die Sicherstellung – welcher? – Versorgung der pflegebedürftigen Menschen in den kommende Jahren von zentraler Bedeutung. Hier lassen sich viele fachpolitische Debatten, die schon seit Jahren geführt werden, andocken (man denke an dieser Stelle an eine seit langem geforderte umfassende Kommunalisierung der Langzeitpflege und an die Auseinandersetzung mit neuen Wohn- und Betreuungsformen zwischen oder jenseits der Versäulung in häusliche, ambulante und stationäre Betreuung und Pflege, um nur zwei Beispielbereiche zu nennen).
Und was sagt der AOK-Pflegereport 2024?
Im Dezember 2024 wurde der neue Pflegereport der AOK (gemeinsam mit dem WIdO, das ist das Wissenschaftliche Institut der AOK) veröffentlicht. Und auch der hat die geburtenstarken Jahrgänge schon im Titel: „Ankunft der Babyboomer: Herausforderungen für die Pflege“.
Zuerst aber beschäftigt sich der Bericht mit der Entwicklung der Zahl der Pflegebedürftigen. Um die hatte es im nunmehr vergangenen Jahr einige Aufregung gegeben.
Im Mai 2024 wurde berichtet:
Das sind Schlagzeilen, die in der modernen Medienwelt geliebt werden, garantiert doch die alarmierend daherkommende, Bedrohungsgefühle und Ängste auslösende semantische Zuspitzung – immerhin vom Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vorgetragen – auf dem den Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie folgenden Markt der öffentlichen Wahrnehmung sichere Klicks in der flüchtigen Welt des Nachrichtenstroms: Lauterbach sieht „explosionsartigen“ Anstieg bei Pflegebedürftigen. Diese und andere Artikel verweisen auf ein Interview des Ministers mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Dort wird er mit den Worten zitiert: »In den letzten Jahren ist die Zahl der Pflegebedürftigen geradezu explosionsartig gestiegen. Demografisch bedingt wäre 2023 nur mit einem Zuwachs von rund 50.000 Personen zu rechnen gewesen. Doch tatsächlich beträgt das Plus über 360.000. Eine so starke Zunahme in so kurzer Zeit muss uns zu denken geben. Woran das liegt, verstehen wir noch nicht genau.«
Das liest sich doppelt alarmierend: Statt 50.000 über 360.000 neue Pflegefälle? Und dann versteht man da oben nicht genau, warum es so einen starken Anstieg gegeben haben soll? Alles sehr beunruhigend, wenn es denn so wäre. Der krasse Unterschied zwischen dem, was angeblich zu erwarten war und was dann tatsächlich gekommen ist, die ist durch die Berichterstattung bei vielen hängengeblieben.
Aber schauen wir uns die Zahlen einmal genauer an:

Quelle: Stefan Sell (2024): Von einem gar nicht so „explosionsartigen“ Anstieg der neuen Pflegefälle (nach SGB XI) und der eigentlichen Dramatik hinter der primär haushaltspolitisch motivierten Dramatisierung, in: Aktuelle Sozialpolitik, 28.05.2024
Betrachtet man die Vorjahre, dann wird auf den ersten Blick erkennbar, dass es im Vergleich nun keineswegs einen „explosionsartigen“ Anstieg der Zahl der neuen Pflegefälle (in der Abgrenzung des SGB XI) gegeben hat.
Im Pflege-Report 2024 der AOK kann man nun zum Thema Entwicklung der Pflegebedürftigkeit* lesen:
*) Wenn hier und in den anderen Berichten von Pflegebedürftigkeit gesprochen wird, dann immer im Kontext der Pflegebedürftigkeit in der Abgrenzung des SGB XI. Vgl. dazu genauer: § 14 SGB XI (Begriff der Pflegebedürftigkeit). Dort sind sechs Bereiche für „gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten“ beschrieben.
»Eine Auswertung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) für den Pflege-Report 2024 zeigt innerhalb Deutschlands eine erhebliche regionale Varianz bei der Entwicklung der Pflegeprävalenz zwischen 2017 und 2023: Im Fünftel aller Kreise mit dem geringsten Anstieg nahm der Anteil an Pflegebedürftigen in einer Spanne von 37,1 bis 56,2 Prozent zu. Im Fünftel mit der stärksten Zunahme wurde eine Steigerung um 80,7 bis zu 143,8 Prozent verzeichnet. Zum Vergleich: Im Bundesdurchschnitt betrug der Anstieg 57 Prozent. Den höchsten Anteil an Pflegebedürftigen gab es 2023 dabei vorwiegend in Kreisen in Ostdeutschland, Nordrhein-Westfalen, Hessen und im Saarland: Hier waren zwischen 9,1 und 17,1 Prozent der SPV-Versicherten pflegebedürftig. In wenigen Regionen, vor allem in Bayern und Baden-Württemberg, gab es Raten von weniger als 5,7 Prozent. Der Bundesdurchschnitt lag 2023 bei 7 Prozent Pflegebedürftigen.« (Quelle: Pflege-Report 2024: Erhebliche regionale Varianz bei der Entwicklung von Pflegebedürftigkeit in Deutschland, 10.12.2024)
Nun wissen wir doch, dass wir in einer alternden Gesellschaft leben und dann ist ein Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen doch nicht überraschend. Richtig, aber:
»Die Analyse des WIdO belegt zudem, dass die Entwicklung der Pflegeprävalenzen nicht allein durch die Alterung der Gesellschaft erklärt werden kann. In nur zwei von insgesamt 400 Kreisen und kreisfreien Städten entsprach die beobachtete Pflegeprävalenz 2023 der demographisch zu erwartenden. In zwei weiteren Kreisen wurde das Prognoseniveau unterschritten und in allen anderen 396 Landkreisen lag die Anzahl an Pflegebedürftigen über dem Wert, der demographisch erwartbar gewesen wäre. Die Autorinnen der Studie stellen dabei fest, dass bei einer reinen Fortschreibung der Alterung bundesweit nur ein Anstieg um 21 Prozent zu erwarten gewesen wäre und nicht die beobachteten 57 Prozent.«
Und was ist nun mit den Baby-Boomern?
Dazu finden wir unter der Überschrift Reimann zum Pflege-Report 2024: Caring Communities als Leitbild für die Pflege vor Ort einen Hinweis auf eine Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut forsa für den Pflege-Report 2024 durchgeführt hat. »Forsa-Umfrage: 64 Prozent der Babyboomer wären dazu bereit, ehrenamtlich Aufgaben zur Unterstützung von Pflegebedürftigen im Alltag zu übernehmen«, so eine der Botschaften, die uns mit auf den Weg gegeben werden sollen.
»Um die Bereitschaft unter den Babyboomern zur Übernahme von Sorgeaufgaben im Rahmen von Caring Communities zu ermitteln, hat die AOK eine repräsentative forsa-Umfrage in Auftrag gegeben, bei der 2.000 Personen befragt wurden, darunter 1.000 aus der Generation der Babyboomer. Dabei gaben 64 Prozent der Babyboomer an, sich grundsätzlich vorstellen zu können, ehrenamtliche Tätigkeiten zur Unterstützung von pflegebedürftigen Menschen im Alltag in organisierten Netzwerken zu übernehmen. 43 Prozent der Babyboomer engagieren sich bereits ehrenamtlich in verschiedenen Bereichen, jeder Fünfte (22 Prozent) davon unterstützt heute schon alte, kranke, pflegebedürftige Menschen oder Menschen mit Behinderung im Alltag.«
»Bei der Frage nach den vorstellbaren Tätigkeiten gaben 92 Prozent aller Befragten wie auch der Babyboomer mit grundsätzlicher Bereitschaft zum Ehrenamt in der Pflege an, bevorzugt beim Einkaufen unterstützen zu wollen. 84 Prozent (86 Prozent der Babyboomer) könnten sich vorstellen, Freizeitaktivitäten wie Spaziergänge, Vorlesen oder Gesellschaft leisten zu übernehmen und 77 Prozent beziehungsweise sogar 84 Prozent der Babyboomer, bei Behördengängen oder Arztbesuchen zu begleiten. 42 Prozent der Befragten (37 Prozent der Babyboomer) wären bereit, im Haushalt zu unterstützen, etwa beim Kochen oder Putzen. Reimann „Diese Zahlen spornen an, das Leitbild von Caring Communities weiter zu verfolgen. Wir haben in Deutschland bereits ein gutes Netz an Freiwilligen, und es wird für die Zukunft wichtig sein, diese Ressource auch für Sorge und Pflege stärker zu aktivieren. Dabei geht es keineswegs darum, die professionelle Pflege zu ersetzen, sondern vielmehr um die Organisation von Strukturen, in denen professionelle Akteure und Freiwillige sich vernetzen, was zusammengenommen einen echten Unterschied machen kann.“«
»Die forsa-Umfrage zeigt zudem, dass die Idee von Caring Communities in der Bevölkerung auch aus Versorgungsperspektive auf große Zustimmung stößt: 86 Prozent aller Befragten gaben an, sich vorstellen zu können, bei Pflegebedürftigkeit im Alter selbst von Ehrenamtlichen unterstützt zu werden, wenn sie dafür länger in der gewohnten Umgebung bleiben können. 76 Prozent der Befragten können sich vorstellen, in gemischten Wohnformen zu leben, in dem Nicht-Pflegebedürftige und Pflegebedürftige gemeinsam leben und sich gegenseitig unterstützen.«
Ist das alles Theorie oder gibt es Beispiele aus der Praxis vor Ort?
»Die Stadt Hannover* geht mit gutem Beispiel auf dem Weg zur Verwirklichung von Caring Communities voran. Auf der Grundlage eines partizipativen Planungsprozesses werden nun sogenannte Quartierszentren aufgebaut. In diesen werden Beratungs-, Bildungs- und Kulturangebote zur gesellschaftlichen Teilhabe geschaffen, gleichzeitig gibt es therapeutische, medizinische und pflegerische Angebote. Ein Quartierszentrum soll beispielsweise als Wohn- und Pflegezentrum mit Plätzen für die Langzeitpflege und im betreuten Wohnen ausgestaltet werden; daran angeschlossen sind Angebote wie präventive Hausbesuche oder ein gemeinsamer Mittagstisch für die Bewohner in der Umgebung. Zudem gibt es Kooperationen mit Arztpraxen, Angehörigenschulungen und mehr. Dagmar Vogt-Janssen, Leiterin Fachbereich Senioren der Landeshauptstadt Hannover, erklärt: „Ganz wesentlich für eine kommunale zukunftsorientierte Gestaltung des Sozialraums ist der Auf- und Ausbau von Teilhabe- und Mitwirkungsmöglichkeiten in den Quartieren vor Ort, die sowohl Begegnung und soziales Miteinander fördern, als auch die Menschen in ihren Quartieren zu Mitgestaltern ihrer sozialen Infrastruktur vor Ort machen.“«
*) Die Landeshauptstadt Hannover (wie auch einige andere Kommunen) orientiert sich am Leitbild der „Caring Communities“, das auf den 7. Altenbericht der Bundesregierung „Sorge und Mitverantwortung in der Kommune“ zurückgeht. Es stellt innovative Wohnformen, den effizienten Einsatz professioneller Pflege und den Aufbau von unterstützenden Netzwerken in den Mittelpunkt.
Man sollte den folgenden Absatz aber auch zur Kenntnis nehmen, enthält er etwas versteckt eine berechtigte Kritik an der seit Jahrzehnten bekannten und immer wieder kritisierten Modellprojektionitis:
»Ein wichtiger Schritt hin zu Caring Communities ist die Veröffentlichung der Empfehlungen des GKV-Spitzenverbands und der Länder zu gemeinsamen Modellvorhaben vor Ort und im Quartier von Kommunen, Ländern und Pflegeversicherung am 18. November. Auch Maßnahmen zum Aufbau ehrenamtlicher Strukturen sind förderfähig. Reimann: „Damit können Schritte in die richtige Richtung unternommen werden, leider sind die Modellvorhaben aber auf vier Jahre bis 2028 begrenzt. Geeigneter wäre gerade durch den starken Handlungsdruck für neue Lösungen ein permanentes Strukturentwicklungsbudget.“«
Und was ist mit dem BARMER-Pflegereport 2024?
Im November 2024 wurde der Pflegereport der Barmer-Krankenkasse veröffentlicht. Die Pressemitteilung dazu wurde überschrieben mit: BARMER-Pflegereport 2024 – Pflege dauert immer länger und wird deutlich teurer. Schauen wir einmal genauer hin:
»Menschen in Deutschland sind immer länger pflegebedürftig. In den kommenden Jahren wird sich die durchschnittliche Pflegedauer nahezu verdoppeln. Zudem schnellen die Ausgaben je pflegebedürftiger Person im Schnitt um 50 Prozent in die Höhe.«
»Laut Pflegereport wird sich die Pflegedauer in Deutschland dramatisch erhöhen. Bei kürzlich verstorbenen Pflegebedürftigen lag sie noch bei durchschnittlich 3,9 Jahren. Bei aktuell pflegebedürftigen Menschen wird sie sich nach BARMER-Berechnungen im Schnitt mit 7,5 Jahre nahezu verdoppeln. „Durch die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs im Jahr 2017 haben viele Menschen erstmals Leistungen der Pflegekassen erhalten, die diesen Anspruch vorher nicht gehabt hatten. Die Pflegedauer wurde dadurch erheblich verlängert, und die Kosten wurden deutlich erhöht“, sagt Studienautor Prof. Dr. Heinz Rothgang von der Universität Bremen. Kürzlich verstorbene Pflegebedürftige hätten bei den Pflegekassen Leistungen im Wert von durchschnittlich 50.000 Euro beansprucht. Bei den aktuell Pflegebedürftigen würden diese Kosten bei rund 76.000 Euro liegen. Dieser Anstieg resultiere vor allem aus dem vermehrten Pflegegeldbezug, der sich als ein zentraler Kostenblock von 13.100 Euro auf 30.300 Euro mehr als verdoppele. Der tatsächliche, künftige Gesamtbetrag aller Leistungen könne sogar noch höher liegen als die prognostizierten 76.000 Euro, weil dieser Summe die Kosten für Pflegeleistungen des Jahres 2023 zugrunde lägen. Die Inflation und mögliche weitere Preissteigerungen seien dabei noch nicht berücksichtigt.«
Und da sind dann auf Seiten der Pflegebedürftigen, die in einem Heim untergebracht sind, seit Jahren stark steigende Eigenbeteiligungen an den Pflegeheimkosten.
»Auch die Eigenanteile der Betroffenen für die stationäre Pflege steigen weiter an, obwohl die Politik bereits kostendämpfende Maßnahmen zulasten der Sozialen Pflegeversicherung ergriffen hat. Allein in diesem Jahr kosten die gestaffelten Zuschläge zu den Eigenanteilen die Pflegekassen rund sechs Milliarden Euro. Gleichwohl sind die Eigenanteile seit dem Jahr 2022 wieder deutlich gestiegen. Den höchsten Zuwachs gab es hierbei mit einem Plus von 8,3 Prozent im vierten Quartal 2022. „Die Versicherten könnten bei den Eigenanteilen aber auch entlastet werden, indem die Bundesländer die Investitionskosten für die Infrastruktur der Pflegeheime stärker übernehmen würden“, sagt Rothgang. Ein Grund für die wachsenden Eigenanteile seien gestiegene Löhne. In der Altenpflege seien sie in den Jahren 2015 bis 2023 um 59 Prozent bei Hilfskräften und um 53 Prozent bei Fachkräften gestiegen. Das sei mehr als doppelt so viel wie bei allen Beschäftigten mit einem Plus von 23 Prozent. „Trotz höherer Löhne herrscht nach wie vor ein Mangel an Pflegefach- und Pflegeassistenzkräften vor. In Anbetracht von mehr pflegebedürftigen Personen und längeren Pflegezeiten wird der Bedarf künftig weiter steigen und diese Problematik somit noch größer. Auf die Politik wartet eine Mammutaufgabe, die spätestens eine neue Regierung nach der kommenden Bundestagswahl in Angriff nehmen muss“, sagt BARMER-Chef Straub.«
Wer kann das bezahlen? Stark steigende Eigenanteile bei stationärer Pflege
Zu diesem Thema ha sich auch das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) zu Wort gemeldet: »Die finanzielle Belastung von Pflegebedürftigen, die im Pflegeheim leben, ist laut einer aktuellen Auswertung des WIdO erneut gestiegen. Die durchschnittliche Gesamtbelastung der Bewohnerinnen und Bewohner liegt inzwischen bei mehr als 2.400 Euro und damit wieder deutlich über dem Niveau des Jahres 2021, als die Politik Zuschläge zur Begrenzung der Eigenanteile an den pflegebedingten Aufwendungen eingeführt hatte. Eine Prognose des WIdO zur weiteren Entwicklung macht deutlich, dass auch die im vergangenen Jahr erfolgte Anhebung der Zuschläge und die in diesem Jahr greifende Dynamisierung der Leistungssätze den Trend zu immer höheren finanziellen Belastungen nicht nachhaltig stoppen werden«, kann man dieser Mitteilung entnehmen: WIdO-Analyse zeigt: Eigenanteile von Pflegeheim-Bewohnenden liegen inzwischen bei mehr als 2.400 Euro (03.01.2025).

Diese und andere Abbildungen im Original kann man auf dieser Seite des WIdO herunterlasen: Entwicklung der Eigenanteile in der vollstationären Pflege (Stand: Januar 2025).
»Die aktuelle Analyse zeigt, dass die Gesamtkosten für einen Heimplatz Ende 2024 bei durchschnittlich 4.701 Euro lagen. Davon zahlte die Pflegekasse im Durchschnitt 1.470 Euro. Zusätzlich bekamen die Bewohnerinnen und Bewohner von der Pflegeversicherung durchschnittlich 807 Euro pro Monat für ihre pflegebedingten Eigenanteile in Form der nach Wohndauer gestaffelten Zuschläge erstattet. Durchschnittlich 950 Euro mussten sie selbst für die Pflege zuzahlen, hinzu kamen im Schnitt 977 Euro für Unterkunft und Verpflegung sowie 497 Euro für Investitionskosten. Daraus ergibt sich nach Abzug der Zuschläge eine durchschnittliche Gesamtbelastung von 2.424 Euro pro Monat. Sie liegt damit wieder deutlich über dem Niveau von vor der Einführung der nach Wohndauer gestaffelten Zuschläge zur Entlastung, die seit dem 1. Januar 2022 greifen.
Bei den Pflegebedürftigen mit langer Wohndauer haben die Zuschläge allerdings für eine deutliche Entlastung gesorgt. So hatten Bewohnerinnen und Bewohner mit einer Wohndauer von mehr als drei Jahren – dies sind rund 40 Prozent der vollstationär Pflegebedürftigen – im vergangenen Jahr eine Gesamtbelastung von lediglich 1.913 Euro zu tragen. „Insgesamt ist der Trend zu immer höheren Eigenanteilen allerdings ungebrochen“, betont David Scheller-Kreinsen, stellvertretender Geschäftsführer des WIdO.«
»Mit Beginn des Jahres 2025 werden die allgemeinen Leistungssätze der Pflegeversicherung steigen: Statt beispielsweise bisher 1.775 Euro pro Monat bei Pflegegrad 4 gibt es dann 1.855 Euro (plus 4,5 Prozent). „Trotz der Zuschüsse zur Entlastung und der Dynamisierung der Leistungen steigen die Zuzahlungen für die Pflege im Heim weiter. Das hat unter anderem mit gestiegenen Lohnkosten infolge der Verpflichtung der Einrichtungen zur tariflichen Bezahlung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und den inflationsbedingten Tarifsteigerungen zu tun“, erläutert David Scheller-Kreinsen. In einer Prognose zur weiteren Entwicklung der pflegebedingten Eigenanteile hat das WIdO verschiedene Szenarien durchgespielt. „Wenn man von einer im Vergleich zu den Vorjahren eher moderaten Steigerung der Zuzahlungen um 10 Prozent ausgeht, werden die Eigenanteile inklusive Unterkunft und Verpflegung sowie Investitionskosten im Jahr 2029 eine durchschnittliche Gesamtbelastung von 3.812 Euro pro Monat ergeben“, so Scheller-Kreinsen.«
Auch bei dieser Studie kann man wieder lernen, dass Durchschnittswerte mit Vorsicht zu behandeln sind, vor allem, wenn es eine teilweise erhebliche Streuung um die Durchschnitte gibt:
»Die WIdO-Analyse zur Entwicklung im Jahr 2024 umfasst auch einen Vergleich zwischen den einzelnen Bundesländern. Er macht deutlich, dass die Höhe der finanziellen Belastungen der Pflegeheim-Bewohnenden in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich ist: Während die Gesamt-Zuzahlungen Ende 2024 in Nordrhein-Westfalen bei 2.764 Euro pro Monat lagen, waren es in Sachsen-Anhalt lediglich 1.965 Euro. Besonders groß ist die Spanne bei den Kosten für Unterkunft und Verpflegung: Während in Sachsen-Anhalt nur 774 Euro zu bezahlen sind, sind es in Nordrhein-Westfalen 1.234 Euro. Auch bei regionaler Betrachtung zeigt sich eine hohe Varianz: Kreisbezogen zeigt sich eine Spanne der pflegebedingten Zuzahlungen von durchschnittlich 1.321 Euro bis 616 Euro je Monat. Dabei ist ein deutliches Süd-Nord-Gefälle ist sichtbar.«