Das ist weiterhin nicht gut. Die Entwicklung der Ausbildungszahlen in den Pflegefachberufen

Angesichts des heute schon überall beobachtbaren Mangels an Pflegefachkräften und mit Blick auf den weiter zunehmenden Bedarf an professionellen Pflegekräften ist es eine offensichtlich alarmierende Entwicklung, die sich hier hinter den nackten Zahlen verbirgt. Dieses Zitat stammt aus dem Beitrag Das ist nicht gut. Zur Entwicklung der Ausbildung in den Pflegefachberufen am Beispiel derjenigen, die eine Pflegeausbildung anfangen, der hier am 15. August 2023 veröffentlicht wurde. Darin wurde berichtet, dass im Jahr 2022 die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge in den Pflegefachberufen um 7 Prozent zurückgegangen ist. Am Ende der längeren Ausführungen findet man diese Bewertung: »Man kann es drehen und wenden wie man will – die nackten Zahlen die Pflegeausbildung betreffend sind desaströs niedrig. Viel zu niedrig. Das wird sich rächen.«

Aber kommt jetzt endlich mal eine positive Nachricht, zumindest mit Blick auf das vergangene Jahr, also 2023? Es scheint so, denn unter der Überschrift 3 % mehr neu abgeschlossene Ausbildungsverträge in der Pflege im Jahr 2023 berichtet das Statistische Bundesamt am 27. März 2024: »53.900 Auszubildende (haben) im Jahr 2023 einen Vertrag zur Pflegefachfrau oder zum Pflegefachmann unterschrieben. Gegenüber dem Vorjahr waren das 3 % oder 1.800 mehr neu abgeschlossene Ausbildungsverträge.« Und wir erfahren noch, dass der Frauenanteil an den neuen Auszubildenden bei knapp drei Vierteln lag (72 %) – nur 15.100 Männer schlossen 2023 einen Ausbildungsvertrag als Pflegefachmann neu ab (28 %).

Nun ist das mit den Prozentwerten immer so eine Sache, denn ohne viel Mathematik im Kopf versteht man sofort, dass sich die 3 Prozent mehr im Jahr 2023 auf das Niveau beziehen, das 2022 erreicht worden ist – da ist die Zahl der Ausbildungsanfänger/innen aber um 7 Prozent eingebrochen, so dass 2023 mit nur 3 Prozent noch nicht einmal das Niveau des Jahres 2021 wieder erreicht werden konnte.

Und noch weitaus ernüchternder ist der Blick auf die Zahl der neuen Auszubildenden in den Pflegefachberufen, wenn man weiter zurückschaut:

Man kann bereits der Abbildung erste Hinweise auf wunde Punkte beim Thema Ausbildung von Pflegefachpersonal entnehmen. Zum einen der Blick auf das quantitative Niveau, denn offensichtlich stagniert die Zahl der neuen Ausbildungsverhältnisse für angehende Pflegefachfrauen und -männer. Dies kann aus zweierlei Gründen Sorgenfalten beim Blick in die Zukunft produzieren:

➔ Zum einen kann und muss man davon ausgehen, dass der Bedarf an Pflegefachkräften allein aufgrund der demografischen Entwicklung kontinuierlich ansteigen wird, so dass man zukünftig mehr Pflegefachpersonal brauchen wird als gestern und heute, also im Vergleich zur gegenwärtig vorhandenen Anzahl zusätzliche Pflegefachkräfte.

➞ Wir müssen hier auf einer rein quantitativen und Deutschland insgesamt umfassenden Ebene von enormen nicht zu deckenden Bedarfen ausgehen. Dazu beispielsweise aus der Pflegekräftevorausberechnung des Statistischen Bundesamt: »Auch wenn sich die positiven Entwicklungen der 2010er-Jahre im gleichen Maße fortsetzen würden, wird der Bedarf an Pflegekräften bereits in zehn Jahren um rund 90.000 Pflegekräfte höher sein als das dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehende Angebot. Bis zum Jahr 2049 wird sich diese Lücke nach den Ergebnissen der Trend-Variante der Vorausberechnung weiter auf voraussichtlich 280.000 Pflegekräfte vergrößern. Wenn die Erwerbstätigenquoten in den Pflegeberufen künftig nicht weiter zunehmen würden, ginge die Schere zwischen verfügbaren und benötigten Pflegekräften noch weiter auseinander. Bis 2034 entstünde so eine Lücke von rechnerisch rund 350,000 Pflegekräften, die sich bis 2049 sogar auf rund 690.000 fehlende Pflegekräfte ausweiten würde.« (Nina Eppes (2024): Der Pflegearbeitsmarkt im demografischen Wandel – Methodik und Ergebnisse der Pflegekräftevorausberechnung, in: Wirtschaft und Statistik, Nr. 2/2024, S. 53). Die erwähnten „positiven Entwicklungen der 2010er-Jahre“ kann man der Abbildung entnehmen – sie beziehen sich auf den Anstieg der Zahl der neuen Ausbildungsverhältnisse in den (damals noch getrennten) Ausbildungen zu Pflegefachberufen bis zum Jahr 2019, wobei der stärkste Aufwuchs bei den Auszubildenden in der Altenpflege beobachtet wurde. Seit 2020 haben wir die mit dem Pflegeberufereformgesetz (PflBRefG) von 2017 reformierte „generalistische“ Pflegeausbildung zur Pflegefachfrau bzw. zum Pflegefachmann und bislang sehen wir dort in den Zahlen Stagnation.

➔ Zum anderen müssen nicht nur im Vergleich zu dem, was wir heute an Pflegefachpersonen haben, zusätzliche Pflegefachkräfte gewonnen werden, sondern gleichsam als „doppelte demografische Herausforderung der Pflege“ ist in Rechnung gestellt werden, dass nicht nur der Bedarf insgesamt steigt durch die demografische Entwicklung, sondern gleichzeitig müssen die vielen heute (noch) vorhandenen Fachkräfte ersetzt werden, die altersbedingt in den kommenden Jahren das Arbeitsfeld verlassen – nur um die Zahl, die heute vorhandenen ist, stabil halten zu können. Und wie eigentlich allen anderen Teilarbeitsmärkten steht auch die Pflege vor der besonderen Herausforderung des Austritts der Baby Boomer-Generation in den kommenden zehn bis fünfzehn Jahren.

Auch hier geht es um enorme Größenordnungen: »Das Ausscheiden der Baby-Boomer-Generation verschärft die Situation der beruflichen Pflege in Deutschland massiv. Neben erheblichen Finanzierungslücken in der Pflegeversicherung bedroht die steigende Personalnot zunehmend die Versorgung pflegebedürftiger Menschen.« So beginnt die Mitteilung der Krankenkasse DAK-Gesundheit zum Pflegereport 2024 unter der hier besonders passenden Überschrift DAK-Pflegereport: Baby-Boomer-Effekte verschärfen die Personalnot deutlich: »In fünf Jahren erreichen mit Bremen und Bayern die ersten Bundesländer einen Kipppunkt, an dem der Pflegenachwuchs die altersbedingten Berufsaustritte der Baby-Boomer nicht mehr auffangen kann. Laut DAK-Pflegereport müssen in den nächsten zehn Jahren fast in jedem Bundesland 20 Prozent Pflegepersonal ersetzt werden.« Oder anders formuliert und mit konkreten Zahlen hinterlegt:

»2023 gab es über 1.140.300 professionell Pflegende in Deutschland. Mehr als 249.500 von ihnen erreichen in den nächsten zehn Jahren das Renteneintrittsalter, das sind 21,9 Prozent. In jedem Bundesland müssen dann um die 20 Prozent des Personals ersetzt werden – der Bedarf variiert zwischen 19,7 Prozent in Sachsen und 26,5 Prozent in Bremen. Dieser Ersatzbedarf beschreibt dabei ausschließlich, wie groß die Lücke netto ist. Der tatsächliche Bedarf dürfte vor dem Hintergrund einer kontinuierlich wachsenden Zahl pflegebedürftiger Menschen noch weitaus größer sein.«

➔ Thomas Klie (2024): Pflegereport 2024. Die Baby-Boomer und die Zukunft der Pflege – Beruflich Pflegende im Fokus. Beiträge zur Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung Bd. 47, Hamburg: DAK-Gesundheit, April 2024

Im neuen DAK-Pflegereport wird bei den Abschätzungen wenigstens eine regionale Differenzierung nach Bundesländern geleistet – ansonsten geht es bei den Berichten über die Zahl an Pflegekräften wie auch hier bei der Anzahl der neuen Auszubildenden immer um die bundesdeutschen Werte. Das aber ist nur eine rechnerische Größe, die wenn überhaupt nur dann eine Relevanz hätte, wenn man von einem bundesweiten Pflege-Arbeitsmarkt ausgehen könnte, der dann auch noch friktionsarm funktionieren würde was den Ausgleich von Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage angeht. Das aber ist generell schon eine Illusion, denn faktisch haben wir es mit einer Vielzahl an regionalen, oftmals lediglich lokal strukturierten Arbeitsmärkten zu tun, wo der Ausgleich zwischen den Gegenden mit sehr großen Bedarfen und denen, wo vielleicht „zu viele“ Pflegefachkräfte ausgebildet werden, kaum oder gar nicht funktioniert. Man müsste also eigentlich die Entwicklung der Zahl derjenigen, die eine Pflegeausbildung beginnen, detailliert nach den Standorten betrachten und bewerten, denn man muss weiterhin davon ausgehen, dass diejenigen, die eine solche Ausbildung absolvieren, eben nicht oder in einem nur geringem Ausmaß bundesweit mobil und flexibel sind.

Zwischen Anfang und Ende und dann auch noch die Frage, wie lange man bleibt oder ob man später vielleicht …?

Die eine Pflegeausbildung absolvieren und diese auch abschließen – das schreibt und liest sich einfacher und selbstverständlicher, als es tatsächlich ist. Gemeint ist hier die Frage (wie bei allen Ausbildungen), wie viele eine begonnene Ausbildung tatsächlich auch mit einem Abschluss beenden. Die Diskussion über die „Ausbildungsabbrecher“ (ina allen Ausbildungsberufen) ist weitaus komplizierter, als sie oftmals in den Medienberichten daherkommt. Als relativ gesichert gilt für die (bisherige) Pflegeausbildung eine Abbrecherquote von mindestens 30 Prozent (wobei nicht jeder Ausbildungsabbrecher die Ausbildung an sich abbricht, sondern einige an anderer Stelle weitermachen und außerdem ist auch nicht jeder Ausbildungsabbruch per se schlecht, wenn man an Aspekte der Eignung für einen pflegerischen Beruf denkt). Vgl. zu diesem Thema ausführlicher den Beitrag Berufsausbildung: Gekommen, aber nicht geblieben. Ausbildungsabbrüche und ein Teil ihrer möglichen Folgen vom 21.09.2021.

Aktuell wird wieder einmal eine intensive Diskussion über die Höhe und die Ursachen für die Abbrecherquoten in den Pflegeberufen geführt, wobei das natürlich auch damit zu tun hat, dass mit dem Jahr 2020 (und damit mit dem ersten Corona-Pandemiejahr) eine neue Ausbildung auf generalistischer Grundlage eingeführt wurde. Und vor allem aus dem Bereich der Alten- bzw. Langzeitpflege gab und gibt es zahlreiche Stimmen, die diesen Bereich der Pflege als „Verlierer“ der Ausbildungsreform sehen. Wie dem auch sei: Auch die normale Berichterstattung hat das Thema erreicht – und das aufgrund neuer, mehr als beunruhigender Daten: »In Kliniken und Altenheimen werden händeringend Pflegekräfte gesucht, nun geraten auch noch die Pflegeschulen unter Druck: Viele Azubis springen ab – und längst nicht alle sind für den schwierigen Beruf geeignet«, so Rainer Stadler in seinem Beitrag Gefährlicher Schwund. »Bisher liegt die Abbruchquote in der Pflege bei 25 bis 30 Prozent und ist damit weder höher noch niedriger als etwa im Handwerk. Eine Studie im Auftrag des Gesundheitsministeriums von NRW lieferte zuletzt allerdings Zahlen, die unter den Betreibern der etwa 1500 Pflegeschulen in Deutschland für Stirnrunzeln sorgen. In der Altenpflege warfen zwischen 2019 und 2022 satte 46 Prozent der Azubis in Nordrhein-Westfalen vorzeitig das Handtuch. Also fast die Hälfte, ein Negativrekord.«

Das wird den einen oder anderen mehr als überraschen, denn noch im Dezember 2023 konnte man so etwas über Nordrhein-Westfalen lesen: Pflegekräftebedarf bleibt hoch, Pflegeausbildung stabil: Der nordhein-westfälische Gesundheitsminister, Karl-Josef Laumann (CDU), hatte die „Landesberichterstattung Gesundheitsberufe 2023“ präsentiert. In der rund 400-Seiten starken Studie findet man optimistisch stimmende Hinweise: »In den nächsten Jahren stiegen voraussichtlich mehr Pflegefachkräfte neu in den Beruf ein als altersbedingt ausstiegen. Das sei ein gutes Zeichen, bewertete Laumann die Entwicklung.« Wichtig beim Thema Pflegeausbildung sei, dass nicht nur eine ausreichende Zahl an Menschen die Ausbildung startet, sondern auch, dass möglichst viele diese erfolgreich abschließen. Und hierzu wird angemerkt, dass Minister Laumann eine positive Botschaft vermelden konnte: „Bei der generalistischen Pflegeausbildung wissen wir nun, dass die Abbruchquoten nicht höher liegen als in anderen Ausbildungsberufen, tendenziell sogar etwas niedriger – und das trotz aller Schwierigkeiten der Corona-Pandemie, die den Start der neuen Ausbildung überschattet hat.“ Wie passt das nun zu den Zahlen, über die aktuell berichtet wird und die deutlich höher liegen?

Das passt nicht. Bereits einige Tage später im Dezember 2023 konnte man dann diese Überschrift zur Kenntnis nehmen: Sorge um „dramatische“ Abbrecherquoten: »Die generalistische Pflegeausbildung sorgt auch vier Jahre nach Einführung immer noch für heftige Diskussionen. Aktuell führen Statistiken und Hochrechnungen in Nordrhein-Westfalen (NRW) sowie Bayern zu Debatten in der Branche.« Und hier taucht sie dann auch auf, die „dramatische Abbrecherquote“ von 46 Prozent. Wo kommt die Zahl her? Sie stammt aus einer Sonderauswertung zur NRW-Landesberichterstattung Gesundheitsberufe (Vorzeitige Ausbildungsvertragslösungen und Ausbildungsabbrüche in der Pflegeausbildung. Ergänzungsgutachten zur Landesberichterstattung Gesundheitsberufe Nordrhein-Westfalen 2023). Zur Erinnerung: »Zum Gesamtbericht hatte der zuständige Minister Karl-Josef Laumann (CDU) Anfang Dezember mitgeteilt, dass bisher keine vermehrten Ausbildungsabbrüche in der generalistischen Pflegeausbildung feststellbar sind.«

An was hat es gelegen, dass es nun wohl doch mit 46 Prozent einen (historischen) Rekord bei den Ausbildungsabbrüchen gegen hat? Verständliche Frage, nur die Antworten sind nicht so einfach. Derzeit bewegt man sich offensichtlich auf höchst spekulativen Gelände.

➔ Rainer Stadler präsentiert in seinem Beitrag Gefährlicher Schwund solche Erklärungsversuche: »Das NRW-Gesundheitsministerium bemüht sich, die hohen Abbruchquoten zu relativieren. Es verweist auf die Einführung der generalistischen Pflegeausbildung im Januar 2020, die gleichermaßen auf eine Tätigkeit in der Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege vorbereiten soll. Diese Neuerung hätte wohl einige Azubis zum Ausstieg veranlasst, die bereits eine „alte“ Ausbildung nur in der Altenpflege begonnen hatten, erklärt eine Sprecherin. Der Kölner Pflegeprofessor Michael Isfort, Mitautor der Studie, sieht in den erschwerten Lernbedingungen während der Pandemie mit Fernunterricht und zeitweiser Abriegelung ganzer Einrichtungen einen Grund für den Schwund. Zudem hatten Gaststätten, Hotels und Einzelhändler geschlossen und konnten daher auch nicht ausbilden. Eventuell, vermutet Isfort, hätten deshalb einige junge Menschen eine Pflegeausbildung begonnen, als Notlösung, die obendrein gut honoriert wird – und die Ausbildung später wieder abgebrochen. Deshalb ließen sich die Zahlen nicht so leicht verallgemeinern, sagt er, problematisch seien sie dennoch. Pflegeschulleiter Machleit rechnet auch in den kommenden Jahren mit mehr Abbrüchen. Die Zahl der Bewerbungen an den Schulen ist deutlich gesunken. Deshalb sitzen in den Kursen nun auch Einsteiger, die noch vor wenigen Jahren keinen Ausbildungsplatz bekommen hätten. Bei einigen hapert es an der allgemeinen Schulbildung, andere kommen aus prekären Familien.«

Man sieht – zahlreiche Fragezeichen. Aber auf alle Fälle sind die hohen Abbrecherzahlen eine schwere Belastung angesichts des enormen Bedarfs an Pflegefachkräften heute in der Zukunft.