Vielleicht doch noch mal zurück auf Start beim Mathematik-Unterricht aufgrund eklatanter Zahlenschwäche? Oder wenigstens eine Entschuldigung für bewusste Manipulation?

Über einen wirklich dreisten Versuch, in der aktuellen Rentendebatten eine eigene Wirklichkeit zu basteln und ein Altersarmutsproblem einfach in das Reich der Fabeln zu verbannen, wurde hier im Beitrag Von Konfusion bis dreister Realitätsverweigerung in der Berichterstattung über Rente und Altersarmut vom 24.04.2016 schon berichtet. Dabei ging es um die Ausführungen von Rainer Hank, verantwortlicher Redakteur für Wirtschaft und „Geld & Mehr“ bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Hank hat Literaturwissenschaft, Philosophie und Katholische Theologie studiert und wurde 1983 über die Literatur der Wiener Moderne promoviert.  Von wegen Altersarmut!, so heißt sein neuester Kommentar, mit dem er sich polemisch in die Debatte eingebracht hat, die er auch durch Talkshow-Auftritte „bereichert“.

In meinem Blog-Beitrag habe ich in mehrfacher Hinsicht den Unsinn seiner Ausführungen angesprochen. Ganz offensichtlich hat er es beim Rententhema nicht so mit den Zahlen, das sollte man aber, auch unabhängig von der Tatsache, dass wir hier nicht über irgendwelche  relevanzlosen Gleichungsmodelle aus der herrschenden Ökonomie reden, sondern über die Frage, mit welchen konkreten Geldbeträgen ältere Menschen rechnen müssen oder auf welche sie hoffen dürfen. Besonders dreist – und das habe ich schon offen angesprochen – ist die Tatsache, dass er einfach irgendwelche Zahlen in die Tasten haut und der Leser seines Machwerks, der oder die ja laut Werbung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung immer ein kluger Kopf sein soll, muss schon selbst darauf kommen, dass da irgendwas nicht stimmt. Was man aber auch von klugen Köpfen angesichts der Komplexität des Rententhemas nicht per se erwarten darf, die meisten beschäftigen sich ja mit anderen Dingen. Dann ist es immer wieder gut, wenn sachkundige Bürger die offenkundigen Schwachstellen aufdecken – und ein Aspekt, den ich in meinem Beitrag noch gar nicht angesprochen hatte, wird nun vom unermüdlich-kritischen Statistik-Experten Paul M. Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe aufgerufen.

Der Mann ist gestählt im Bad der abstrusen Statistik-Interpretationen, denen man gerade in der Sozialpolitik immer wieder begegnet – nicht umsonst veröffentlicht das Institut regelmäßig unter der Kategorie „Büro für absurde Statistik“ (BaSta). Und der hat jetzt mit Blick auf die Hank-Veröffentlichung nachgelegt und folgende Meldung veröffentlicht: FAZ.net: Dr. Rainer Hank lässt Standardrente um 56 Prozent auf 2.029 Euro in 2029 steigen!
Und das, was er dort ausführt, ist eine wichtige und der Öffentlichkeit nicht vorzuenthaltende Erweiterung zu meinen kritischen Ausführungen.

Schröder geht es um eine ganz bestimmte Geschichte, die uns Hank erzählt: Die Geschichte vom Anstieg der Standardrente um 56,0 Prozent auf 2.029 Euro in 2029!
Ich gebe zu: Die Zahlenidentität zwischen der angeblich erwartbaren Standardrente mit dem Jahr hätte auffallen müssen. Auch ich hatte den Passus von Hank in meinem ersten Beitrag zitiert: »Der exemplarische „Eckrentner“, der mit einem Durchschnittsverdienst 45 Jahre lang Beiträge gezahlt hat, bezieht heute eine Rente von 1301 Euro. Im Jahr 2029 steigt sein Rentenanspruch auf 2029 Euro, obwohl das Rentenniveau um mehr als drei Prozentpunkte sinkt.«

Schröder dazu:

»Wie Rainer Hank aus dem im Rentenversicherungsbericht 2015 berichteten nominalen Anstieg der Bruttostandardrente um 32,9 Prozent (452 Euro) einen Anstieg um 56,0 Prozent (728 Euro) in den Jahren 2016 bis 2029 macht, bleibt ein Rätsel. Natürlich liegt die Vermutung nahe: statt der im Rentenversicherungsbericht 2015 für 2029 erwarteten Bruttostandardrente von 1.824 Euro wird den Leserinnen und Lesern der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung die Jahreszahl 2029 als Standardrente in 2029 präsentiert.«

Woher die von Hank angegebenen Zahlen kommen, wird dem Leser nicht offengelegt. Offensichtlich, so Schröder, kann man das genannte Rentenniveau in 2016 (47,7 Prozent) und 2029 (44,6 Prozent) im Rentenversicherungsbericht 2015 des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales finden. Dort gibt es auch eine Tabelle zum „Versorgungsniveau im Alter für den Rentenzugang aus GRV-Rente und geförderter zusätzlicher „Riester-Rente“ (Übersicht B 8, S. 40). Für die „Bruttostandardrente“ findet man dort für 2016 und 2029 diese Beträge: »1.372 Euro in 2016 und 1.824 Euro in 2029. Dies entspricht einem nominalen Anstieg um 32,9 Prozent (452) Euro in den 13 Jahren von 2016 bis 2029«, so die Zusammenfassung von Paul M. Schröder. Wie Rainer Hank daraus einen Anstieg um 56 Prozent (728 Euro) zaubert, bleibt sein Rätsel. Gegeben bleibt das Faszinosum, dass die Jahreszahl zugleich als Standardrente in diesem Jahr ausgewiesen wird.

Selbstverständlich hat das Institut Rainer Hank gebeten, eine Korrektur vorzunehmen, aber eine entsprechende Bitte vom 24. April 2016, dies zu tun, blieb bislang unbeantwortet.

Von Konfusion bis dreister Realitätsverweigerung in der Berichterstattung über Rente und Altersarmut

Man sollte erwarten dürfen, dass Medien, die sich selbst mit dem Merkmal „Qualität“ belegen und bewerben, ein gewisses Maß an Orientierung liefern für die Leser (oder Zuschauer oder Zuhörer). Und die komplexe Dinge, um die es in der Sozialpolitik oft geht, für die vielen, die sich nicht hauptberuflich damit beschäftigen, irgendwie aufbereiten, damit sie besser beurteilt werden können. Durchaus problematisch ist es dann natürlich, wenn man einen Sachverhalt so darstellt, dass man am Ende gar nicht mehr weiß oder ahnt, wer für was ist. Aber richtig gefährlich kann es werden, wenn eine ideologische Agenda verfolgt und der Leser mit einer eigenen Welt konfrontiert wird, die als Wirklichkeit behauptet, mit dieser aber nur am Rande bis gar nichts mehr zu tun hat. Werfen wir einen Blick auf die aktuelle Rentendebatte, da finden wir Beispiele der Konfusion bis hin zu einer wirklich dreisten Umdeutung der Wirklichkeit.

Den Anfang machte der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU), der sich zitieren lies mit den Worten, die Riester-Rente sei gescheitert und gehöre abgeschafft, wobei seine – nun ja – rentenpolitischen Ausführungen eher als ein Bild mit sehr groben Strichen bezeichnet werden muss und keine auch nur annähernd differenzierte Analyse. Aber zuweilen kommt es in der Politik ja auch eher auf das Gespür für das große Ganze an und nicht auf die Korrektheit der Details:

»CSU-Chef Horst Seehofer will in einer großen Rentenreform die Altersbezüge für breite Bevölkerungsschichten wieder erhöhen. Die Anfang des vergangenen Jahrzehnts beschlossene Kürzung des Rentenniveaus wird nach Seehofers Einschätzung dazu führen, „dass etwa die Hälfte der Bevölkerung in der Sozialhilfe landen würde“, sagte Seehofer in München. „Die Riester-Rente ist gescheitert“«, konnte man beispielsweise dem Artikel „Gescheitert“ – Seehofer will Riester-Rente abschaffen entnehmen. In dem Artikel wird der Hinweis gegeben, dass es sich wohl weniger um eine konsequente Schlussfolgerung aus der Vertiefung in die deutsche Rentenpolitik handelt, sondern vielmehr erkannt wurde, welche möglicherweise wählermobilisierenden Effekte das Versprechen einer Verbesserung der Lage für viele Ältere haben kann: »Die Rentenreform soll Teil eines großen Programms werden, mit der Seehofer verlorenes Vertrauen und verlorene Wähler für die Union zurückgewinnen will. Die Volksparteien hätten einst zusammen gut 80 Prozent der Wähler vertreten, derzeit sei es nur noch die Hälfte, sagte Seehofer nach der Eröffnung der neuen CSU-Zentrale in München zu den aktuellen Umfragewerten von Union und SPD. Die „Neoliberalisierung“ des vergangenen Jahrzehnts sei gescheitert, betonte der CSU-Chef.«

Man könnte auf die Idee kommen, dass das der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) durchaus ins eigene Konzept passen müsste – denn hat es nicht in den vergangenen Jahren gerade in der SPD einen Prozess der kritischen Auseinandersetzung mit dem Paradigmenwechsel in der deutschen Rentenpolitik durch die rot-grünen Rentenreformen Anfang des neuen Jahrtausends, zu der auch die Einführung der staatlich gepamperten kapitalgedeckten privaten Altersvorsorge in  Gestalt der „Riester-Rente“ gehört, gegeben? Hat man nicht zunehmend verstanden, dass die damals beschlossene Absenkung des Rentenniveaus in der wichtigsten (und für manche eben auch einzigsten) Säule der Alterssicherung im komplexen Zusammenspiel mit den zahlreichen Verwerfungen auf den Arbeitsmärkten zu definitiver Altersarmut führen muss, worauf viele Rentenexperten seit Jahren hinweisen?

Insofern müsste Ministerin Nahles großes Gefallen an der Seehoferschen Flanke finden müssen, sollen, können. Also eigentlich. Aber dann bekommt man unter der Überschrift Nahles garantiert die staatliche Riester-Rente so was zu lesen:

»Nahles warf Seehofer vor, mit seiner Kritik „16 Millionen Riester-Sparer verunsichert“ zu haben. Wer eine Riester-Rente abgeschlossen habe, habe alles richtig gemacht. Die Bundesregierung werde darauf achten, dass diejenigen, die vorsorgten, auch belohnt würden.« Und weiter: » In einem Interview versuchte sie, die Sparer zu beruhigen. „Der Staat garantiert, dass alle Riester-Inhaber ihr Geld ausgezahlt bekommen“, sagte Nahles der Bild am Sonntag.«

Ja ja, wird der eine oder andere einwerfen, da wird ein nicht vorhandener Konflikt aufgebaut, denn die Ministerin müsse doch nur das Selbstverständliche tun, also auf die rechtlichen Grundlagen hinweisen, nach denen die, die schon Riester-Sparer sind, keine – unberechtigten – Ängste haben müssen, dass das, was sie angespart haben (oder was sie glauben, gespart zu haben), nun auch vor der Abschaffung steht. Vertrauensschutz ist und wird gewährleistet. Eine entsprechende Formulierung findet man auch in dem Artikel: » In einem Interview versuchte sie, die Sparer zu beruhigen.« Aber selbst wenn Seehofer nicht so drin ist in den Details, wenn er von Abschaffung gesprochen hat, dann meint er sicher den Wegfall der Riester-Renten-Subventionierung für zukünftige Fälle. Das müsste dann doch wieder eine Schnittmenge mit Nahles ergeben.

Oder doch nicht? Allein der bereits zitierte Artikel aus der Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung verursacht einen Positionierungsschwindel, denn man kann dem Beitrag auch entnehmen:

»Gleichzeitig kündigte Nahles … eine Reform der Riester-Rente an. Die sei nötig, weil sich die Renditehoffnungen nicht erfüllt hätten und zu wenig Geringverdiener eine solche Altersvorsorge abgeschlossen hätten. „Wir müssen neue Maßnahmen ergreifen, um die kapitalgedeckte Altersvorsorge zu verbreitern und attraktiver zu machen“, sagte Nahles.«

Reform? Das hört sich nicht nach Abschaffung an, für die es viele gute Gründe gibt und die in den vergangenen Jahren von vielen unterschiedlichen Seiten auch gefordert wurde, vor allem angesichts der realen Verteilungswirkungen der milliardenschweren Subventionierung aus Steuermitteln.
Offensichtlich hat die Ministerin vor Augen, dass eine echte Rentenreform eine ganz andere Nummer darstellen würde als die „Mütterrente“ oder die temporäre „Rente mit 63“ für bestimmte Arbeitnehmer. In diese Richtung geht auch die Überschrift dieses Artikels: Nahles plant neue Großbaustellen bei der Rente. Interessant daraus ist der folgende Passus, der anzudeuten vermag, auf welches Minenfeld man sich bei einer großen Rentenreform begeben würde:

»Der Wirtschaftsflügel in der SPD warnte die Partei davor, sich vorwiegend an Geringverdienern, Arbeitslosen und Rentnern zu orientieren. „Wir müssen mit unserer Politik dafür sorgen, dass auch die gut verdienende Mittelschicht wieder SPD wählt“, sagte Michael Frenzel, Präsident des SPD-Wirtschaftsforums, der Zeitung „Welt am Sonntag“. Allein mit der Ansprache von Geringverdienern komme die Partei nicht aus dem 20-Prozent-Tief heraus. Das sehe man alleine daran, dass die Durchsetzung des Mindestlohns der SPD kaum geholfen habe.«

Da kommt einiges zusammen und geht so manches durcheinander.

Aber den Vogel abgeschossen hat der unter der Fahne des Journalisten segelnde Aktivist Rainer Hank, verantwortlicher Redakteur für Wirtschaft und „Geld & Mehr“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Der war auch Studiogast am 17.04.2016 in der Talgsendung von Anne Will zum Thema Altersarmut – mit Ausführungen, die viele Menschen erschüttert haben. Dazu nur stellvertretend aus den Rezensionen der Sendung der Hinweis auf diesen Artikel von Sylvie-Sophie Schindler: Von „Ahnungslosen“ und „Luxusrenten-Empfängern“. Sie berichtet:

»Im Online-Forum zur Sendung sind wütende Kommentare zu finden: „Die sollten mal auf den Bau oder in ein Krankenhaus zum Arbeiten gehen.“ Es handle sich um eine Sendung mit „Ahnungslosen“, mit einer „Fehlbesetzung“, mit „unerträglichen Luxusrenten-Empfängern“« Mit einer Ausnahme: Susanne Neumann. Seit Jahrzehnten ist Neumann als Gebäudereinigerin in einem Gelsenkirchener Unternehmen beschäftigt. »Der Vorwurf der Realitätsferne ging insbesondere an Rainer Hank. Zahlreiche Foristen wetterten. Beispielsweise so: „Frage mich gerade, auf welchem Planeten der lebt. Wie soll jemand, der 8,50 Euro verdient, sparen, um Geld für Riester übrig zu haben?“ Oder so: „Sie leben wohl auf einer Insel der Seligen? Setzen 6!“ Über die Diskussion zwischen Neumann und Hank schrieb ein Zuschauer: „Eine Putzfrau erklärt einem welt- und realitätsfremden Wirtschaftsredakteur die Altersarmut und das wahre Leben – meinen Respekt.“«

Das hat der Herr Redakteur sicher gelesen und sich geärgert über die pöbelnden Plebejer. Also legt er trotzig nach in dem Medium, das er bespielen kann, in seinem Fall also die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Er hat einen Kommentar veröffentlicht, der nun wirklich angesichts der Dreistigkeit der Realitätsumdefinition einer deftigen Kommentierung bedarf: Von wegen Altersarmut!, so springt uns die beabsichtigte Hauptbotschaft in dicken Lettern entgegen.

Und auf die folgende Zusammenfassung muss man erst einmal kommen: »Gerade erst hat die Regierung die fetteste Rentenerhöhung seit 23 Jahren gebilligt. Jetzt aber erklären etliche Alarmisten, ab 2029 werde uns das Elend der Altersarmut überkommen. Dabei werden wir immer reicher.«

Überraschung: „Wir“ werden immer reicher. Und die „fetteste“ Rentenerhöhung seit 23 Jahren? Eben. Deshalb die Abbildung mit den Rentenanpassungen seit 2005, die dem nicht vernagelten Betrachter einen ersten Hinweis geben kann auf die Null- und Minusrunden, die wir in der Vergangenheit bei Rentenanpassungen hatten und die verursacht wurden durch politische Manipulationen an der Rentenanpassungsformel (wer darüber fundiert informiert werden möchte, wie das genau funktioniert, der sei auf den Beitrag Rentenanpassung 2016. Mindestlohn, Beschäftigungshoch und Statistikeffekt bringen deutliches Plus von Johannes Steffen verwiesen).
Aber zurück zu den wahrlich abenteuerlichen Ausführungen des Wirtschaftsjournalisten Rainer Hank, der offensichtlich von Sozialpolitik keine oder nur eine rudimentäre Ahnung hat. Man muss sich allein einmal dieser Zeilen des Herrn Hank zu Gemüte führen:

»… auch in den kommenden dreizehn Jahren werden die Rentenerhöhungen im Durchschnitt jährlich mehr als zwei Prozent betragen, was sich auf eine Einkommensverbesserung der Ruheständler um insgesamt 41 Prozent addiert. Selbst wenn die Inflation im selben Zeitraum wieder etwas zulegen sollte (was alles andere als gewiss ist), bleibt am Ende eine deutliche Steigerung der realen Rentenzahlungen. Wir werden nicht immer ärmer, sondern immer reicher. Keine Rede von Altersarmut.«

Der Mann ist ja nicht dumm (was die Angelegenheit besonders ärgerlich und kritikwürdig macht), denn er hat sich wohl bereits beim Schreiben den naheliegenden Einwand vorgestellt auf den zitierten Passus: Prozentualer Anstieg von was? Bezogen auf welchen Ausgangswert? 41 Prozent in 13 Jahren von 500 Euro sind bekanntlich eine andere Hausnummer als wenn wir von 2.000 Euro ausgehen könnten.

Und er hat sich angelesen, dass sich diese Steigerungsraten auf den aktuellen Rentenwert beziehen, den man für ein Jahr genau dann bekommt, wenn man in diesem Jahr genau das durchschnittliche Arbeitsentgelt der in der Rentenversicherung beitragspflichtigen Versicherten verdient hat. Nur zur Info: Dieses Durchschnittsentgelt wird für 2016 mit 36.267 Euro pro Jahr bzw. 3.022 Euro pro Monat ausgewiesen – und die muss man erst einmal verdienen. Und dann auch noch 45 Jahre lang immer Beiträge gezahlt haben auf dem Niveau des Durchschittentgelts, denn dann gehört man zu dem Kunstfigurenkabinett des deutschen „Eckrentners“, der genau diese Bedingungen erfüllt und den auch Hank als Kronzeugen für seine „Anti-Altersarmut-Rhetorik“ zitiert:

»Der exemplarische „Eckrentner“, der mit einem Durchschnittsverdienst 45 Jahre lang Beiträge gezahlt hat, bezieht heute eine Rente von 1301 Euro. Im Jahr 2029 steigt sein Rentenanspruch auf 2029 Euro, obwohl das Rentenniveau um mehr als drei Prozentpunkte sinkt.«

Nein, Herr Hank, dem ist nicht so. Zum einen: Die derzeitige Eckrentner-Rente auszurechnen ist wirklich nicht schwer, man muss lediglich 45 Entgeltpunkte multiplizieren mit dem „aktuellen Rentenwert“, das allerdings zweimal, denn der im Westen ist ein anderer als der im Osten: Wenn man das tut, dann landet man bei 1.217 Euro im Osten und bei 1.314 Euro im Westen, 1.301 Euro gibt es für keinen Eckrentner. Aber – und dieser Einwand ist bedeutsamer: Was Hank verschweigt – es handelt sich um Bruttorenten, die der Eckrentner Ost und West, sollte es ihn geben, gar nicht wirklich zur Verfügung hat, sondern deren Nettorenten nach Abzug der von ihnen zu zahlenden Sozialbeiträge beläuft sich derzeit auf 1.086 Euro im Osten und 1.173 Euro im Westen. Davon müssen die nach so einem langen, beitragspflichtigen und immer normalverdienenden, niemals unterbrochenen Arbeitnehmerleben über die Runden kommen, wenn sie nicht noch andere Einkommensquellen haben.

Aber Herr Hank treibt das Spiel weiter und auf die Spitze. Man lese selbst:

»Die Absenkung des Rentenniveaus, die eingeführt wurde, um der demographischen Falle zu entkommen, bedeutet keine Rentenkürzung. Das wird in der aktuellen Debatte über die Altersarmut ständig und grottenfalsch durcheinandergeworfen. Denn mit den Rentenansprüchen für den Eckrentner steigen auch die Auszahlungserwartungen für die Grundsicherung, die als Armutsgrenze zu bezeichnen man sich angewöhnt hat. Das bedeutet, dass auch der Arme in dreizehn Jahren mehr Geld zum Leben hat als heute – und zwar auch real deutlich mehr, als von der Teuerung weggefressen wird.«

Die Absenkung des Rentenniveaus sei keine Rentenkürzung? Wovon phantasiert Herr Hank? Natürlich war und ist diese Rentenniveauabsenkung eine richtig heftige Rentenkürzung, denn sie wurde in die Rentenformel eingebaut und betrifft – aufgepasst, Herr Redakteur – alle Rentner, während er sich auf eine angebliche Erhöhung der Grundsicherung bezieht, die aber eine bedürftigkeitsabhängige Sozialleistung darstellt. Das die über die Grundsicherung definierten Armen in dreizehn Jahren nominal mehr Geld bekommen werden, hilft doch allen Rentnern nicht, die von der Absenkung des Rentenniveaus betroffen sind. Und wenn die in dreizehn Jahren ein Rentenniveau bekommen würden, wie es vor den rot-grünen „Reformen“ gegolten hat statt dem, was sie erwarten dürfen, wenn das Ruder nicht herum gerissen wird, dann werden die Herrn Hank mindestens was husten (wenn nicht mehr) hinsichtlich seines Spruchs, das sei keine Rentenkürzung gewesen. Der Mann ist schlichtweg verwirrt oder will einfach nur Recht haben angesichts der vielen, die ihn völlig zu Recht als abseitig von der wirklichen Wirklichkeit kritisieren.

Ich kann ihm nur empfehlen, einmal den Blog-Beitrag Einige Zahlen und Zusammenhänge jenseits der punktuellen medialen Aufgeregtheit über Altersarmut und Rentenversicherung vom 17. April 2016 zu lesen, gerade auch deshalb, weil ich einerseits den nicht begründbaren Alarmismus, dass jeder Zweite 2030 in Altersarmut landen werde, als falsch zurückweise, zugleich aber aufzeigen kann, dass es zahlreichen Gründe gibt, warum bei Perpetuierung des bestehenden Systems viele Menschen in die Altersarmut getrieben werden.

Wenn, wenn wir nichts ändern. Man kann nur hoffen, dass die Debatte über eine dringend notwendige echte Reform der Alterssicherung von anderen Menschen geführt werden kann. Ansonsten endet das alles im Desaster.

Übrigens – den Zynismus des Herrn Hank uns seine eigentliche Absicht, aus seiner ideologischen Perspektive Politik zu machen, verdeutlicht das Ende seines Kommentars. Ich zitiere nur noch, die Kraft zum Kommentieren hat mich verlassen:

Nach 2030, so Hank, »sind all die putzmunteren Babyboomer im Ruhestand, deren Lebenserwartung glücklicherweise hoch ist. Und die Geburtenrate wird immer noch nicht besser sein. Da hilft nur: privat vorsorgen und hören auf den 73-jährigen Finanzminister Wolfgang Schäuble, der das Renteneintrittsalter auf 70 Jahre erhöhen will. Das bringt mehr Beiträge und verkürzt zugleich die Ansprüche. Noch besser wäre es, das gesetzliche Renteneintrittsalter ganz abzuschaffen. Dann hätte jeder selbst die Wahl, ob er, weil reich geerbt oder üppig gespart, früher in Rente geht, oder ob er, weil das Arbeiten Spaß macht und Sinn gibt, noch ein paar Jahre länger seinen Beruf ausüben möchte.«

Für die einen zu hoch, für die anderen (viel) zu niedrig. Der (in der Gegenwart existenzsichernde?) Mindestlohn und dann noch eine (daraus in Zukunft erzielbare?) Rente über der Grundsicherung. Anders gesagt: Auf die Perspektive kommt es an

Zwei Dinge muss man wissen, wenn man sich mit Sozialpolitik beschäftigt: Zum einen hängen die Dinge mehrfach verschachtelt miteinander zusammen, was aber immer auch bedeutet, dass man mitdenken muss, was in anderen Systemen passiert, wenn man irgendwo Veränderungen macht oder diese vorschlägt. Und zum anderen: Oftmals werden Aspekte, die schon seit langem bekannt sind, als neue Botschaft unters Volk gebracht.

Ein aktuelles Fallbeispiel dazu betrifft die Debatte über Altersarmut, Rentenversicherung und den Mindestlohn. Unter der Überschrift Mindestlohn reicht nicht für Rente oberhalb der Grundsicherung kann man auf Zeit Online lesen:

»Ein Gehalt auf Mindestlohnniveau reicht auch nach 45 Beitragsjahren nicht für eine Rente oberhalb der Grundsicherung. Vielmehr müsste der Stundenlohn dafür bei 11,68 Euro liegen, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken hervorgeht.
Die 11,68 Euro werden gebraucht, um eine Nettorente zu bekommen, die über dem durchschnittlichen Bruttobedarf in der Grundsicherung in Höhe von 788 Euro monatlich liegt. Zugrunde gelegt werden bei der Rechnung eine Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden und 45 Arbeitsjahre.
Der Linken-Abgeordnete Klaus Ernst wird dann mit dieser Aussage zitiert: »Wer einen Mindestlohn erhalte und 45 Jahre einen vollen Job mache, habe im Rentenalter nur Anspruch auf Sozialhilfe. „Das ist eine Blamage für unseren Sozialstaat.“ Der Mindestlohn müsse deutlich steigen.«

Das interessierte Publikum sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass das grundsätzliche Problem des gesetzlichen Mindestlohns hinsichtlich seiner Nicht-Funktionalität im bestehenden Rentensystem mit Blick auf die Zielsetzung einer Rente oberhalb der Grundsicherung seit langem bekannt und in der Mindestlohn-Debatte wurde immer wieder auch darauf hingewiesen. An dieser Stelle der Verweis auf meinen Blog-Beitrag 8,17 Euro, 10,98 Euro bzw. eigentlich 11,94 Euro pro Stunde. Und 2028 dann 17,84 Euro. Es geht um den existenzsichernden Mindestlohn vom 17. Februar 2015.

Die damals gewählte (und nur auf den ersten Blick) verwirrende Überschrift soll andeuten, dass es entscheidend darauf ankommt, aus welcher Perspektive man den Mindestlohn bewertet. Genau darum geht es ja auch bei der aktuellen Meldung, wenn beispielsweise der Linken-Abgeordnete Klaus Ernst mit diesen Worten zitiert wird: „Der Mindestlohn soll vor Armut schützen – gerade auch im Alter. Doch mit 8,50 Euro wird dieses Ziel nicht annähernd erreicht.“ Der eine oder andere wird sich erinnern an die heftige Debatte im Vorfeld der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns, in der die Befürworter dieser Lohnuntergrenze tatsächlich immer auch so argumentiert haben: Man soll von der Arbeit leben können – und beispielsweise nicht auf ergänzende, das Erwerbseinkommen aufstockende Hartz IV-Leistungen aus dem Grundsicherungssystem angewiesen sein. Und eine Altersrente oberhalb der Grundsicherung für Ältere soll auch drin sein.

Der Vollständigkeit halber mit Blick auf die hier besonders interessierenden Perspektiven sollte darauf hingewiesen werden, dass die Gegner des Mindestlohns (und vor allem seiner konkreten Höhe) im Wesentlichen abgestellt haben (und das trotz der mittlerweile vorliegenden empirischen Evidenz immer noch tun) auf die behaupteten negativen Beschäftigungseffekte des Instruments und kaum bis gar nicht auf die sozialpolitische Funktionalität eingegangen sind. Dieser Unterschied wird gleich noch mal höchst bedeutsam werden.

Wie es mit der existenzsichernden Funktion des seit dem 1. Januar 2015 in Kraft gesetzten gesetzlichen Mindestlohns in Höhe von 8,50 Euro pro Stunde (für fast, aber eben nicht alle) bestellt ist, wurde bereits im Februar 2015 in diesem Blog mit Bezug auf eine damals veröffentlichte Ausarbeitung des Rentenexperten Johannes Steffen aus Bremen dargestellt. Wobei man gleich anmerken sollte, dass es bei der existenzsichernden Funktion des Mindestlohns nicht um etwas Singuläres geht, sondern man muss von mehreren (am Grundsicherungsniveau gemessenen) Existenzsicherungen sprechen, darunter mindestens zwei: Geht es um die Existenzsicherung im Hier und Jetzt der Arbeitswelt, wenn man zu diesem Lohn arbeitet bzw. arbeiten muss – oder geht es um die aus einer solchen Arbeit in Zukunft erzielbaren Existenzsicherung im Alter, wenn man davon ausgeht, dass die gesetzliche Rente die einzige Einkommensquelle darstellen wird? Die Unterscheidung ist nicht nur theoretisch, sondern – wie Steffen damals hat zeigen können – von größter praktischer Relevanz. Und mit Blick auf die Zukunft, das sei hier vorangestellt, doppelt problematisch.

Beginnen wir mit der Einordnung des Hier und Jetzt, also der Gegenwart auf dem Arbeitsmarkt. Das Prüfergebnis war: Es kann funktionieren, mit der Existenzsicherung durch die 8,50 Euro, wenn man einige notwendige Rahmenbedingungen beachtet – und wenn man akzeptiert, dass das jeweiligen Grundsicherungsniveau der Maßstab für „Existenzsicherung“ ist, was man durchaus mit guten Gründen in Frage stellen kann, wenn man an die Diskussion über die Kritik an der Höhe der Hartz IV-Leistungen denkt. Unbeschadet dieses Einwands ergibt sich dann der folgende Befund, der hier aus dem Blog-Beitrag vom Februar 2015 zitiert wird:

»Wenn man auf dieser Grundlage die Frage stellt, welcher Stundenlohn notwendig ist, damit ein Single in Vollzeitarbeit keinen Anspruch mehr hat auf aufstockende Leistungen aus dem Grundsicherungssystem (SGB II), dann ergibt sich der erste Wert für einen existenzsichernden Mindestlohn: »Nach gegenwärtigem Stand wäre dies ein Brutto-Stundenlohn in Höhe von 8,17 Euro oder monatlich 1.333 Euro«, so Johannes Steffen. Insofern könnte man an dieser Stelle also zu dem Ergebnis kommen, dass der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde zu einer Existenzsicherung führt, wenn man diese daran bemisst, dass man keine Ansprüche mehr auf SGB II-Leistungen hat. Allerdings gilt das nur unter den beschriebenen Rahmenbedingungen, also eine alleinstehende Person in Vollzeit. Anders würde es aussehen, wenn weitere Haushaltsmitglieder dazu kommen und vor allem natürlich, wenn Teilzeit gearbeitet oder – bei Aufstocken sehr häufig – nur eine geringfügige Beschäftigung ausgeübt wird. Aber das kann man nicht dem Mindestlohn an sich anlasten. Für den hier definierten Referenzfall Alleinstehende und Vollzeit würde es funktionieren mit en 8,50 Euro.«

Anders stellt sich die Situation dar, wenn es um eine existenzsichernde Rentenleistung geht. Hier kam Steffen zu einem in zweifacher Hinsicht überaus ernüchternden Befund. Er berechnete das notwendige Erwerbseinkommen, um nach 45 Beitragsjahren eine Nettorente in Höhe von 706 Euro erzielen zu können. »Nach den vorläufigen Werten für 2015 sind dies monatlich 1.793 Euro, so dass bei einer 37,7-Stunden-Woche ein Stundenlohn von 10,98 Euro für eine existenzsichernde Altersrente notwendig wäre.«


Die Qualität der damaligen Berechnungen zeigt sich, wenn man berücksichtigt, dass man nicht nur von den heutigen Verhältnissen ausgehen darf (genau an diesem Punkt bleiben die meisten anderen Berechnungen immer stehen, so auch die aus der zitierten Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der Linken), sondern bereits verabschiedete gesetzliche Veränderungen in der Rentenversicherung müssen auch einberechnet werden. Und wenn man das tut, dann öffnet sich eine zusätzliche Problemdimension:

»Aber selbst die 10,98 Euro reichen eigentlich nicht, denn man muss die Rentenniveausenkungen berücksichtigen, die im bestehenden Rentenrecht verankert sind und die derzeit nicht von der Regierung nicht in Frage gestellt werden … Zur Wahrung einer existenzsichernden Rente müsste (der derzeitige Mindestlohn) c. p. bis zum Jahr 2028 um gut 62 Prozent auf 17,84 Euro steigen. Und: Der nach heutigen Werten fürs Alter als existenzsichernd ermittelte Mindestlohn von 10,98 Euro erweist sich im Nachhinein – also aus Sicht des Jahres 2028 – als zu niedrig. Denn als Minimum ist dann bereits im Schnitt der 45 Beitragsjahre eine Entgeltposition von 67 (statt 61) Prozent des Durchschnitts nötig. Rückblickend wäre im Jahr 2015 demnach ein Mindestlohn von 11,94 Euro erforderlich gewesen. Der Grund für den Wertverlust des aus heutiger Sicht mit 10,98 Euro noch ausreichend hohen Mindestlohns liegt in dem künftig deutlich niedrigeren Rentenniveau.«

Steffen selbst wurde damals mit diesen Worten zitiert, die gerade im Kontext der aktuellen Debatte über Altersarmut und Rentenversicherung erneut aufgerufen werden müssen:

»Erforderlich sind vielmehr ein Stopp der weiteren Absenkung des Leistungsniveaus sowie die Rückkehr zu einer lebensstandardsichernd ausgerichteten Rente. Denn ohne Abkehr von dem unter Rot-Grün eingeleiteten Paradigmenwechsel in der Rentenpolitik bleiben alle Instrumente sowohl auf der Ebene der Primärverteilung, wie etwa ein Mindestlohn, als auch auf der Sekundärverteilungsebene (beispielsweise die nachträgliche Hochwertung niedriger Pflichtbeitragszeiten) im Kampf gegen Altersarmut weitgehend stumpf.«

Im Lichte der bereits vor über einem Jahr präsentierten differenzierten Befunde wird verständlich, dass man die aktuellen Schlussfolgerungen ebenfalls differenziert einordnen muss. Denn die Forderung des Linken-Politikers Ernst machen nur Sinn, wenn man dem gesetzlichen Mindestlohn unter den bestehenden Bedingungen die Funktion zuweist, für eine Rente zu sorgen, die oberhalb des Grundsicherungsniveaus liegen soll. Aber – das hat das Rechenexempel zeigen können – der Mindestlohn ist nicht nur bei seinem Start deutlich zu niedrig gewesen, diese Aufgabe erfüllen zu können und die erhebliche Lücke wird besonders erkennbar, wenn man die bereits verabschiedeten Eingriffe in das Rentenniveau berücksichtigt. Aber – und das ist die zentrale Frage – ist das wirklich ein Problem der 8,50 Euro? Wenn ja, müsste man diesen Betrag tatsächlich anpassen. Oder ist es ein Problem der infolge einer politischen Entscheidung im Rentensystem vorgenommenen Manipulation an der Rentenformel? Wenn das der Fall ist, dann würde die Frage, wie hoch müsste der Mindestlohn sein, hinsichtlich ihrer Beantwortung wie ein Hase-und-Igel-Wettlauf enden, man müsste den Mindestlohn ständig mit Blick auf die erzielbare Rente nach oben anpassen. Man könnte an dieser Stelle durchaus aber auf die Idee kommen können, dass eine kausale Therapie in diesem Fall an der Ausgestaltung des Rentensystems ansetzen müsste, dass man also nicht nur die drastischen Rentenkürzungen zurücknimmt oder partiell wenigstens für die Geringverdiener korrigiert oder gleich einen weiteren Schritt macht und die Konstruktion des Alterssicherungssystems an die veränderten Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt anpasst.

Denn das ist dem aufmerksamen Leser nicht entgangen: Wir sprechen hier über Renten, die – auch wenn sie knapp über dem (an anderer Stelle umstrittenen) Grundsicherungsniveau liegen – voraussetzen, dass die Modellrentner 45 Jahre lang zu dem Mindestlohnniveau gearbeitet haben. Jeder halbwegs geerdete Analytiker der bestehenden Rentensystematik wird zugestehen, dass es viele Menschen geben wird, die selbst bei höheren Stundenlöhnen im Zusammenspiel mit den Anforderungen, die man nach der Rentenformel erfüllen muss, um auf eine halbwegs akzeptable Rentenhöhe zu kommen, nicht werden erfüllen können. Zu wenige Entgeltpunkte mag als Stichwort genügen.

Auch wenn man dennoch an der Funktionszuschreibung des Mindestlohns im bestehenden Rentensystem festhalte will, würde man konfrontiert werden mit der arbeitsmarkteichen Perspektive auf den Mindestlohn. Es geht dabei nicht um die eigentlich geklärte Frage, ob schon die 8,50 Euro zu hoch sind. Aber man kann aus dieser – anderen – Perspektive nicht einfach vom Tisch wischen, dass ein Mindestlohn von gut 12 Euro, der bereits im vergangenen Jahr notwendig gewesen wäre, durchaus negative Beschäftigungseffekte zeigen könnte. Wenn dann aber Menschen in die Arbeitslosigkeit fallen würden, dann hätte das „tödliche“ Folgen im bestehenden Rentensystem angesichts der Tatsache, dass Zeiten der Arbeitslosigkeit immer weniger und im Hartz IV-System überhaupt nicht mehr beitragsseitig abgebildet werden, mit entsprechenden Auswirkungen auf die erreichbaren Entgeltpunkte. Zur Rutschbahn nach unten bei der Berücksichtigung von Zeiten der Arbeitslosigkeit in der Rentenversicherung vgl. auch Zeiten der Arbeitslosigkeit in der gesetzlichen Rentenversicherung von Johannes Steffen aus dem Jahr 2014.

Man kann es drehen und wenden wie man will: Das eigentliche – und weit über die Mindestlohnbeschäftigten hinausreichende – Problem liegt in der immer größer werdenden Inkompatibilität des bestehenden Rentensystems mit den realen Erwerbsbiografien eines wachsenden Teils der Beschäftigten, wobei das nicht alle und auch nicht jeden Zweiten betreffen wird, aber definitiv immer mehr Menschen, die keine Renten mehr oberhalb der Grundsicherung werden erwirtschaften können. Auch bei 30 oder mehr Beitragsjahren. Wohl gemerkt, im bestehenden System in Verbindung mit den politischen Eingriffen in Richtung erheblicher Rentensenkungen. An einer grundlegenden Reform des Rentensystems führt kein Weg vorbei, auch weil sich das Sicherungsproblem nicht nur beschränkt auf die nach Mindestlohn arbeitenden Menschen, sondern in Bereiche vorgestoßen ist, wo die Stundenlöhne darüber liegen.