Von einem Pflegebeirat mit „Modellierungen, die im Prinzip beliebig modellierbar sind“ und einem Betreuungsgesetz, das vergleichbare Probleme hat

Der Pflegebeirat der nunmehr in den letzten Zügen liegenden Bundesregierung sollte einen „Bericht zum neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff“ erarbeiten, um endlich nach Jahren des Wartens einen solchen für die nächste Reform der Pflegeversicherung zu haben – und der Beirat wird Ende Juni auch einen Bericht mit über 200 Seiten dem Bundesgesundheitsminister Bahr (FDP) überreichen, allerdings ohne Erfüllung der gestellten Aufgabe. Denn der Beirat kann sich nicht auf gemeinsame Empfehlungen zum neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff einigen. Übrig bleibt – wie Heike Haarhoff schreibt – „Klientelpolitik„. Der Pflegebeirat hatte in dieser Woche erneut getagt, um eine Endfassung des bereits zum sechsten Mal überarbeiteten Berichts auf den Weg zu bringen. Die Frustration bei einigen muss erheblich sein, wie dieser zynische Kommentar eines Beiratsmitgliedes verdeutlicht: „Wir legen nur Modellierungen vor, die im Prinzip beliebig modellierbar sind“. Ah ja.

Man kann dem Beitrag allerdings auch zwei grundsätzliche Probleme entnehmen, die hier besonders interessieren:

1.) Zum einen wird aus dem Beirat die Nicht-Lieferung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs damit begründet, dass sich der Bundesgesundheitsminister konstant geweigert habe, konkrete Finanzeckpunkte zu definieren. »Ohne diese seien seriöse Aussagen über Leistungsansprüche in den künftig geplanten fünf Pflegegraden nicht möglich.« Das mag stimmen hinsichtlich der Quantifizierung der Kosten, die dann auf die Pflegeversicherung zukommen würden, aber doch nicht für die eigentliche Aufgabe, einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff zu definieren, der in der Lage sein muss und sollte, die von allen beklagte Ungleichbehandlung psychisch-kognitiver Einschränkungen gegenüber körperlichen Defiziten zu beseitigen oder wenigstens auf ein erträgliches Maß abzumildern. Wenn man das gemacht hätte, dann müsste die Politik entscheiden, wie viel Geld sie dafür zur Verfügung stellen muss und ob sie das will. Insofern hat der Beirat sich selbst ins Knie geschossen, in dem er auf Budgetvorgaben gewartet hat, um mit diesen dann konkrete Ausgabenvolumina zu berechnen. Umgekehrt wäre der Weg sinnvoller gewesen.

2.) Zum anderen und noch grundsätzlicher zeigt sich am gescheiterten Pflegebeirat wieder einmal die „korporatistische Falle“, die immer dann und immer stärker zu beklagen ist, wenn Akteure mit ihren institutionenegoistischen Interessen aus dem Feld über das Feld in einer grundsätzlichen Frage etwas empfehlen soll. Vor diesem Hintergrund ist das Ergebnis nun keineswegs verwunderlich, sondern irgendwie zwangsläufig: Arbeitgebervertreter haben darauf gepocht, dass der Arbeitgeberanteil in der Pflegeversicherung nicht erhöht wird;  Interessenvertreter der stationären Einrichtungen beharren auf Bestandsschutz für ihre Klientel bei einer möglichen Angleichung der Geldbeträge für die einzelnen Pflegestufen zwischen ambulant und stationär. Und das es den Kommunen wichtig war, dass ein Mehrkostenaufwand für bessere Pflege nicht zulasten der Sozialhilfe geht, lässt sich auch ohne viele Sitzungen ableiten. So wird das natürlich nichts, aus der Aggregation derart komplexer Einzelinteressen kann nichts besseres Neues entstehen, sondern ganz im Gegenteil nur faule Kompromisse.

Der entscheidende Punkt ist neben der skizzierten „korporatitischen Falle“ natürlich, dass die Betroffenen wieder einmal Jahre verloren haben und die Nicht-Eingung dazu führen wird, dass weitere Jahre ins Feld ziehen werden, bevor es eine Einigung geben wird, denn jetzt muss die neue Bundesregierung wieder von vorne anfangen.

Eine zumindest partielle Verschlechterung für die Betroffenen haben wir auch in einem benachbarten und gleichsam äußerst sensiblen Bereich: dem Betreuungsrecht. Und auch hier wieder vergleichbare grundsätzliche Dilemmata: Mit den Stimmen von Union, FDP und SPD hat der Bundestag der Änderung des Betreuungsgesetzes zugestimmt. Also eine „große Koalition“ – das hört sich nach einem großen Konsens an. Wo liegt hier das mögliche Problem? „Mehr Zuwendung für Betreute – ohne mehr Geld„, diese Überschrift bringt es auf den Punkt. Wobei der Ansatz doch erst einmal positiv daherkommt:

»Mit der nun zum 1. Januar 2015 beschlossenen Gesetzesänderung möchte die Regierung die Zahl gesetzlicher Betreuungen senken. Die Betreuungsbehörden müssen künftig zu jedem Einzelfall einen Bericht vorlegen, aus dem hervorgeht, ob Menschen sich tatsächlich in allen Rechtsbelangen vertreten lassen müssen oder ob eine Vermittlung an Betreuungsvereine oder an lokale Beratungsstellen wie Mietervereine ausreicht.«

Eine genauere Betrachtung der individuellen Bedürfnisse muss doch im Interesse aller sein und das kann nicht das Problem sein. Das liegt auf einer anderen Ebene, die sich erschließt, wenn man zur Kenntnis nimmt, dass in diesem Fall eine schwarz-gelbe Gesetzesänderung auf Zustimmung stößt im rot-grün dominierten Bundesrat. Die Erklärung hierfür ist simpel: »Seit Jahren beklagen die Landesjustizminister sich über hohe Betreuungskosten.« Es geht schlichtweg um Ausgabegrößen in den Länderhaushalten – eine vergleichbare Konstellation hatten wir auch bei der Prozesskostenhilfe, die ebenfalls die Länderetats belastet. So weit, so nachvollziehbar. Aber wo liegt jetzt das Problem, dass es nach Meinung von Kritikern zu einer Verschlechterung der Situation für die Betroffenen kommen kann?

Die Regierung macht ein Änderungsgesetz unter Zustimmung des Bundesrates und nennt die dort vorgenommenen Änderungen „kostenneutral“ – ein Begriff, bei dem sämtliche roten Lichter angehen müssen, wenn das Änderungsgesetz gleichzeitig neue Aufgaben definiert, die also mit den alten Mitteln umgesetzt werden sollen. Die Betreuungsbehörden werden mit einem erheblichen Mehraufwand an Kosten, Personal und Zeit konfrontiert, um die als Verbesserung ausgewiesenen Maßnahmen umsetzen zu können. Da kann es nicht überraschen, dass der Deutsche Landkreistag bereits verlautbart, dass die Kommunen zusätzliche Mittel von den Ländern einfordern werden (müssen), sogleich garniert mit einer Klagedrohung gegen die Länder. Und auch wenn das Geld fließen würde – ein weiteres Problem wird benannt: Die notwendige Einstellung neuen Personals wäre konfrontiert mit dem Mangel an geeignetem Personal für diese nicht trivialen Aufgaben.
Im schlimmsten Fall wird die Zahl der Betreuungen wie gewünscht reduziert, aber die Betroffenen werden auf „niedrigschwellige“ Angebote verwiesen, die ihrerseits aber gar nicht in der Lage sein werden, die damit verbundenen Aufgaben auch mit Leben zu füllen. Am Ende wird zahlenmäßiger Vollzug gemeldet, aber der eigentlich individueller zu berücksichtigende Fall geht verloren im löchrigen Netz der Nicht- oder Teil-Angebote vor Ort.

Auch hier wieder müssen wir konstatieren, dass erneut Änderungen im sozialrechtlichen und sozialpolitischen Bereich nicht mehr zuerst von der Sache gedacht werden, um daraus dann die möglichen Finanzfolgen zu bestimmen und darüber dann offen zu streiten, sondern man geht von einem Finanzziel aus und versucht, die Systeme und die Menschen entsprechend zu modellieren, dass sie passen. Aber wehe, wenn nicht. Dann haben die ein Problem mehr.

Wenn Inklusion zu einem Überlebenskampf im Rollstuhl mutiert, dann ist das kafkaeske Gehäuse der Bürokratie nicht weit

Trotz Schwerstbehinderung kann Ferdinand Schießl einigermaßen selbstbestimmt leben. Das ist ihm möglich, weil das „Arbeitgeber-Modell“ Menschen mit schwersten Behinderungen, zu denen Ferdinand Schießl gehört,  die Möglichkeit eröffnet, außerhalb von Heimen in eigenen Wohnungen zu leben. Sie können ihre Pfleger als Assistenten anstellen und als deren Arbeitgeber auftreten. Krankenkasse und Kommune finanzieren das Modell. So weit, so gut. Daneben fallen natürlich auch noch andere Kosten an, wie beispielsweise Miete und Heizkosten, dafür gibt es dann die Grundsicherung – und deren Regelwerk. Und hier beginnt ein Problem nicht nur für Ferdinand Schießl, sondern möglicherweise für viele andere Menschen in einer ähnlichen Lage. Denn das Regelwerk der Grundsicherung ist umfangreich und hart. Dazu gehört neben vielen anderen Dingen, dass Grundsicherungsleistungen beziehende Mensch über kein nennenswertes Vermögen verfügen darf. Auf den ersten Blick und besonders aus der Perspektive des Steuerzahlers eine grundsätzlich nachvollziehbare Schutzregelung für die Steuerzahler, die ja die Leistungen finanzieren müssen. Die Betonung liegt hier auf dem Terminus „grundsätzlich“. Was ja andeuten soll – eben nicht immer. Und manchmal gar nicht.

Und hier sind wir wieder bei Ferdinand Schießl angekommen, dessen „Problem“ in dem Artikel „Überlebenskampf im Rollstuhl“ von Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung beschrieben wird. Und hier werden wir auch mit einer Konkretisierung von „Vermögen“ konfrontiert: In Euro ausgedrückt: Mehr als 2.600 Euro sind ein schädliches Vermögen. Denn Ferdinand Schießl zum Beispiel darf auf seinem Girokonto höchstens ebendiese 2.600 Euro haben. Aber warum ist das ein Problem? Seit einigen Jahren haben behinderte Menschen wie Ferdinand Schießl einen Rechtsanspruch darauf, ihre Assistenten über ein persönliches Budget zu finanzieren. Schießl hat diesen Rechtsanspruch mit Leben gefüllt und mit der Krankenkasse einen Budgetvertrag ausgehandelt: „Seither bekommt er monatlich einen festen Betrag, über den er seine Pflege finanzieren kann, der Löwenanteil davon kam von der Krankenkasse, der Rest von der Stadt.« So weit, so gut. Und ebenfalls gut ist die Möglichkeit seitens der Krankenkasse, dass Herr Schießl „zweckgebundene Rücklagen“ bilden darf, die erst am Ende der Budget-Laufzeit aufgebraucht sein müssen. Die sind vorgesehen, um Ausfälle wie Krankheit oder Urlaub auffangen zu können. Diese praxisorientierte Regelung kollidiert jetzt mit dem Regelwerk der Grundsicherung, denn die zweckgebundenen Rücklagen, die – wie der Name schon sagt – wohlgemerkt nicht für Kaffee oder andere Dinge des Lebens, sondern nur für die Finanzierung von Assistenzleistungen eingesetzt werden dürfen, wurden dem Herrn Schießl auf sein Girokonto überwiesen, damit er das Geld bedarfsbezogen einsetzen kann – über die Höhe der Gelder auf seinem Girokonto muss er aber dem Grundsicherungsträger genaue Angaben machen, was er dann auch ordnungsgemäß gemacht hat. Und man ahnt schon, was an dieser Stelle passiert.

Durch die Überweisung der wohlgemerkt „zweckgebundenen Rücklagen“ befand sich der Kontostand des Herrn Schießl oberhalb der erwähnten 2.600 Euro und das wertete das Sozialamt als „Vermögen“ – und lehnte den Folgeantrag auf Grundsicherungsleistungen ab. Eine wirklich üble Situation für den Betroffenen, denn er hat jetzt „Vermögen“ auf dem Konto, von dem er sich aber nichts zu essen kaufen darf und keine Grundsicherungsleistungen mehr, weil er ja „Vermögen“ habe, was aber gar keines ist. Wir treten in die kafkaeske Phase ein: Die Stadt verweist darauf, dass ihr die Hände gebunden seien aufgrund der „bundesrechtlichen Vorgaben“, die eben die Grenze von 2.600 Euro in Beton gegossen haben. Und man schiebt nach, der Oberbürgermeister sei betrübt und werde sich über den Deutschen Städtetag bemühen, eine gesetzliche Änderung im fernen Berlin anzustoßen.

Aber der eine oder die andere wird sich jetzt fragen: Sieht denn die Stadt nicht, »dass Schießls vermeintliches Vermögen zweckgebunden ist? Dass er damit nicht kaufen kann, was er will?« Die dementsprechende Nachfrage bei der Stadt seitens der Zeitung brachte die erhellende Auskunft: Herr Schießl verfüge laut Kontostand über ausreichend Mittel für seinen Lebensunterhalt. Was bleibt? Der Betroffene kann nur noch versuchen, die Ablehnung der Grundsicherungsleistungen auf dem Wege einer einstweiligen Verfügung über das Gericht zu stoppen. Dafür muss er sich einen Anwalt nehmen, auf eigene Kosten. Man wird abwarten müssen, wie diese unglaubliche Geschichte ausgehen wird. Doch die vielen Erfahrungen, mit den kafkaesken Untiefen unserer sozialrechtlichen Regelungswelt stimmen einen nicht optimistisch.

Dabei handelt es sich beim Arbeitgeber-Modell um eines der wenigen wirklich weitreichenden praktischen Instrumente zur Umsetzung von Inklusion in ihrer echten, also radikalen Variante einer Ermöglichung von Teilhabe inmitten der Gesellschaft. Und der Ansatz kann zurückblicken auf eine interessante Entwicklungsgeschichte: Aus einer »Kritik am Hilfesystem (Kampf gegen die Fremdbestimmung) und dem Entwurf und der Verwirklichung von Alternativen entwickelte sich in Deutschland über die Heimkritik das Paradigma der Ambulanten Dienste. Wiederum aus der Kritik an den Ambulanten Diensten entstanden selbstorganisierte Hilfen. Diese führten in der ersten Hälfte der 1980er Jahre zu einem weitgehend gemeinsamen Konzept der Bundesrepublik Deutschland und der USA von Selbstbestimmt Leben und Assistenz,« so Gusti Steiner in einer Veröffentlichung aus dem Jahr 2001 (zitiert aus diesem Beitrag).

Ein Teil der behinderten Menschen, die das Assistenz-Modell in Anspruch nehmen, sind organisiert im Bundesverband Forum selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen (ForseA). Auf der Website dieses Verbandes findet man auch eine ausführliche Präsentation „Das Arbeitgebermodell in Zeiten des Persönlichen Budgets“ als PDF-Datei, wenn man sich das genauer anschauen möchte.

ForseA weist im Zusammenhang mit dem hier beschriebenen Fall auf eine Petition von Constantin Grosch hin, die man im Netz mit seiner Unterschrift unterstützen kann: „Recht auf Sparen und gleiches Einkommen auch für Menschen mit Behinderungen #2600„.

Altersarmut?! Von einer „Tabelle der Schande“ über halbe Wahrheiten bis hin zu einer Sau, die durch das Rentendorf getrieben wird

Das war aber wieder eine richtig harte Packung, die den BILD-Lesern heute verpasst wurde: „Jeder 2. Rentner bekommt weniger als Hartz IV“ – in den bekannten großen Lettern auf der Titelseite. Die Zeitung spricht gar von einer „Tabelle der Schande“, die aus Daten der Deutschen Rentenversicherung gespeist werde. 48,22 Prozent der Alters- und Erwerbsunfähigkeitsrentner bekamen 2012 weniger als 700 Euro im Monat – und damit weniger als den Betrag, der Rentnern im Schnitt als Grundsicherung einschließlich Miete und Heizung zusteht. Der Eindruck, der hervorgerufen werden soll, ist klar: Jeder zweite Rentner lebt unter der Hartz IV-Schwelle.
Ist das so? Um dem Tiefschlag „Jeder 2. Rentner bekommt weniger als Hartz IV“ zu begegnen, kann man beispielsweise druf hinweisen: Insgesamt erhielten am Jahresende 2011 in Deutschland etwa 436.000 Menschen oder 2,6 % der Menschen ab 65 Jahre die Grundsicherung im Alter – größtenteils als Ergänzung zu ihrer Rente. Auch wenn man an dieser Stelle darauf hinweisen muss, dass es eine wohl eine nicht kleine Dunkelziffer an Rentnern gibt, die an sich Grundsicherungsleistungen in Anspruch nehmen könnten, es aber aus unterschiedlichen Gründen nicht tun, so bleibt doch eine erhebliche Diskrepanz zu der in dem BILD-Artikel in die Welt gesetzte Relation.

Die Antwort auf diese Frage kann auch so ausfallen: „Da wird schon wieder eine Sau durchs Dorf getrieben“, stöhnte ein Experte der Rentenversicherung, zumindest wird er so zitiert von der „Berliner Zeitung“ in deren Beitrag „Die halbe Wahrheit über die Rente„. Von der durchschnittlichen Höhe der Rente, die von der Gesetzlichen Rentenversicherung ausgezahlt wird, kann nicht ohne weiteres geschlossen werden auf die Einkommenslage der Senioren. Dies fängt bereits damit an, dass es sich eben um einen Durchschnittsbetrag handelt:

»In die Statistik fließen nämlich alle Zahlungen ein: Die Hausfrau, die nur ein paar Jahre als Sekretärin gearbeitet hat und daraus einen Rentenanspruch von 70 Euro im Monat erworben hat ebenso wie der Facharbeiter, der jahrzehntelang ordentlich verdiente und nun monatlich 2000 Euro überwiesen bekommt. Auch Selbstständige, die nur kurz in das gesetzliche System eingezahlt haben und Arbeitnehmer, die später verbeamtet wurden, drücken den Durchschnitt nach unten,« so Karl Doemens in seinem Artikel wie auch die FAZ in ihrem Beitrag.

Das alte Durchschnittsproblem also. Wenn man eine Hand auf einer heißen Herdplatte hat und die andere auf einer kalten, dann ist einem durchschnittlich gesehen lau warm, also ein angenehmer Zustand. So ist das auch mit den Rentenbeträgen.

Also müssen wir etwas genauer hinschauen: »Der durchschnittliche Zahlbetrag der Alters-Rente lag 2011 in den alten Bundesländern bei 987 Euro für Männer und 495 Euro für Frauen. Im Osten waren es 1.058 Euro für Männer und 711 Euro für Frauen.« Aber auch das sind nur Durchschnittsbeträge, differenziert nach Geschlecht sowie West und Ost. Relevant ist natürlich das gesamte Haushaltseinkommen, dass den Rentnern zur Verfügung steht. Und da sehen die Werte bei vielen (noch) anders aus. Auch heute wird in vielen Presseberichten auf den „Alterssicherungsbericht 2012“ hingewiesen, zu dem das Bundesarbeitsministerium in einer Pressemitteilung im November des vergangenen Jahres geschrieben hat: »Senioren in Deutschland sind heute in der Regel gut versorgt. Einkommen aus der gesetzlichen Rentenversicherung haben dabei die größte Bedeutung. Sie werden ergänzt durch Leistungen aus anderen Alterssicherungssystemen und weiteren Einkünften. Im Ergebnis erreichten im Jahr 2011 Ehepaare ein durchschnittliches Netto-Gesamteinkommen in Höhe von 2.433 Euro im Monat, alleinstehende Männer 1.560 Euro und alleinstehende Frauen 1.292 Euro.« Aber auch heißt es wieder: Obacht, Durchschnittswerte. Auf die Streuung kommt es an.

Was aber klar sein sollte: Die Altersarmut wird in den kommenden Jahren kontinuierlich zunehmen und damit auch die Zahl der alten Menschen, die Rentenansprüche haben werden, die unterhalb der Grundsicherungsleistungen liegen. Man kann sich das verdeutlichen, wenn man einen Blick wirft auf die Kunstfigur des deutschen „Eckrentners“. Hierbei handelt es sich um eine Person, die 45 Jahre lang ohne Unterbrechungen in die Rentenkasse eingezahlt hat und die immer genau das durchschnittliche Arbeitseinkommen der in der Gesetzlichen Rentenversicherung Versicherten verdient und darauf Beiträge abgeführt hat.

Nach der Rentenformel ergibt sich daraus die folgende Monatsrente:

Eckrente = Zugangsfaktor x Entgeltpunkte x Rentenartfaktor x aktueller Rentenwert
= 1,0 x 45 x 1,0 x 28,07 = 1.263,15 Euro/Monat Bruttorente, davon müssen also beispielsweise noch Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag bezahlt werden.

Zum 1. Juli 2013 steigt der aktuelle Rentenwert übrigens um 0,25%, was dann zu einer Eckrente von 1.266,30 Euro führen wird. Wohlgemerkt, unter der Voraussetzung, dass die Annahmen erfüllt werden, die dem Modell zugrundeliegen. Nun gibt es aber zum einen viele Menschen, die nicht auf 45 Beitragsjahre kommen (können) oder die deutlich weniger verdient haben als der Durchschnitt (das Durchschnittseinkommen in der Rentenversicherung belief sich 2012 auf 31.144  Euro pro Jahr) oder die vor der Regelaltersgrenze ausscheiden und dann erhebliche Abschläge von ihren Rentenbeträgen in Kauf nehmen müssen. Und ganz oft sehen wir die Kombination aus beiden den Rentenzahlbetrag erheblich verschlechternden Faktoren. Diese Menschen rutschen bereits heute in die Nähe oder unter die Grundsicherungsschwelle. Und die weitere Absenkung des Rentennieveaus ist ja im Gesetz eingespeist. Vor diesem Hintergrund ist ein Anstieg der Zahl der armen Rentner zwangsläufig – und nicht umsonst diskutieren die Parteien über „Lebensleistungsrente“, „Solidarrente“ oder „Garantierente“ in Höhe von derzeit um die 850 Euro.

Nun könnte man an dieser Stelle einwenden, dass es ja nicht nur Kürzungen im Bereich der gesetzlichen Rente gegeben hat, sondern auch zugleich einen Auf- und Ausbau der Förderung der privaten Altersvorsorge („Riester-Rente“), aus der dann ja auch zukünftig zusätzliche Einnahmen der Rentner generiert werden – könnten. Und auch die betriebliche Altersvorsorge wird gefördert, beispielsweise über die Entgeltumwandlung (kritisch dazu mit Blick auf die Auswirkungen auf die Finanzen der Sozialversicherungen Schmähl (2007) sowie generell die hervorragende Analyse zur Rententhematik in Schmähl (2011): Warum ein Abschied von der „neuen deutschen Alterssicherungspolitik“ notwendig ist, Arbeitspapiere des Zentrum für Sozialpolitik/1/2011, Bremen). Auch hier gilt aber der Befund: Diese Instrumente verstärken vor allem die bereits heute erkennbare Spreizung der verfügbaren Einkommen der Rentnerhaushalte im Sinne einer Polarisierung zwischen denen am oberen und denen am unteren Rand, denn die private Vorsorge wird vor allem von denen genutzt, die bereits heute eine hohe Sparquote haben, während gerade die Geringverdiener auf diese zusätzliche Absicherung verzichten – und von den erwartbar negativen Auswirkungen der Niedrigzinsphase auf die, die ihr Geld in kapitalgedeckte Produkte angelegt haben, ganz zu schweigen.

Das wir uns bereits insgesamt auf einer schiefen Ebene nach unten befinden, kann man beispielsweise an einer ganz bestimmten Gruppe der Rentner zeigen: den Erwerbsminderungsrentnern: »Seit Mitte der 1990er Jahre ist der durchschnittliche Zahlbetrag bei den Rentenzugängen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (EM-Renten) um über zwölf Prozent gesunken. 2011 lag er mit monatlich 596 Euro deutlich unterhalb des steuerfreien Existenzminimums von seinerzeit 667 Euro. Erwerbsgeminderte haben ein besonders hohes Risiko, in die Grundsicherungsabhängigkeit zu geraten. Während zuletzt nur zwei Prozent der Bezieherinnen und Bezieher einer Altersrente im Alter von 65 und mehr Jahren ergänzende Leistungen der Grundsicherung bezogen, waren es unter den dauerhaft voll Erwerbsgeminderten, die eine Erwerbsminderungsrente bezogen, 10,8 Prozent.«, so Johannes Steffen in der Zusammenfassung seiner jüngst erschienenen Analyse „Erwerbsminderungsrenten im Sinkflug. Ursachen und Handlungsoptionen„. Dort macht er auch Vorschläge, wie diese Entwicklung aufgehalten und umgekehrt werden (könnte).