So viele Deutsche wie nie haben Zweitjob, meldet Spiegel Online unter Berufung auf Daten der Bundesagentur für Arbeit, die von der Linken-Bundestagsabgeordneten Sabine Zimmermann abgefragt worden sind. Ende vergangenen Jahres besserten 2,66 Millionen Menschen ihr Einkommen aus einer regulären Hauptbeschäftigung mit einem Minijob auf. Das waren 59.000 beziehungsweise 2,3 Prozent mehr als Ende 2011. 9,1% aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten haben damit einen Zweitjob auf Basis einer geringfügigen Beschäftigung. Der Anstieg ist offensichtlich: Ende 2003 hatten lediglich 4,3% der Arbeitnehmer mit regulären Jobs noch eine zusätzliche geringfügige Beschäftigung.
Das kommt einem sehr bekannt vor, gleichsam wie das Recycling einer kurzen Debatte, die wir bereits Anfang Oktober des vergangenen Jahres beobachten konnten: „Immer mehr Deutsche brauchen einen Zweitjob“ meldete Spiegel Online am 05.10.2012 mit Bezug auf den in der Saarbrücker Zeitung veröffentlichten Bericht „Zahl der Beschäftigten mit zusätzlichem Minijob hat sich seit 2003 mehr als verdoppelt“, der sich damals ebenfalls auf Daten bezogen hatte, die von Sabine Zimmermann bei der BA abgefragt wurden. Und auch damals gab es eine Art „Zweifrontenkrieg“ bei der Einordnung dieser Entwicklung, denn die Abgeordnete Zimmermann wurde damals zitiert mit den Worten, »die Entwicklung sei „ein deutlicher Hinweis darauf, dass Arbeit nicht mehr existenzsichernd ist und das Geld aus einem Job nicht mehr ausreicht“.«
»Gegen diese These spricht jedoch, dass vor allem Beschäftigte in reichen Teilen Deutschlands nebenbei jobben. In Baden-Württemberg lag ihr Anteil Ende 2011 bei 11,4 Prozent, im strukturschwachen Mecklenburg-Vorpommern dagegen nur bei 4,7 Prozent. „Der größere Teil der Beschäftigten mit Zweitjobs sind durchaus qualifizierte Leute mit gutem Einkommen, die sich noch etwas dazu verdienen“, sagte die Arbeitsmarktexpertin der Grünen, Brigitte Pothmer, der „Saarbrücker Zeitung“. Sie betonte jedoch ein anderes Problem der Entwicklung: Menschen, die in ihrem Betrieb Überstunden machten, müssten dafür alle Lohnnebenkosten einschließlich Steuern zahlen. Wer dagegen noch einen Minijob habe, brauche das nicht, so Pothmer. Das sei „extrem unfair gegenüber der Versichertengemeinschaft“. Ihre Forderung: Minijobs müssten unattraktiver gemacht werden. Etwa durch eine Sozialversicherungspflicht ab dem ersten Euro, sagte Pothmer der Zeitung. Die Bundesregierung plant aber genau das Gegenteil. Sie will die Minijobs noch ausbauen und die beitrags- und steuerfreie Verdienstgrenze auf 450 Euro anheben.«
»Während sich die Zahl der ausschließlich im Minijob Beschäftigten bundesweit um knapp 11% erhöhte, „explodierte“ die Zahl derer mit einem Minijob als Nebenjob um durchschnittlich gut 120%. Insgesamt erhöhte sich die Zahl der Minijobarbeitsverhältnisse um gut ein Drittel.« Das Fazit des Instituts: »Der seit mindestens 15 Jahren unzureichende Inflationsausgleich führte zusammen mit der stetigen Ausweitung von Teilzeit- und Minijobverhältnissen und der damit verbundenen Arbeitszeitverkürzung (ohne Lohnausgleich) zu einer wachsenden Notwendigkeit der Aufnahme von Zweitjobs. Das geringere Niveau in Ostdeutschland dürfte eher den Mangel an Jobangeboten widerspiegeln als eine geringere Nachfrage seitens der potenziellen Zweitjobber.«
»Hinweise auf die Verdrängung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung durch Minijobs finden sich vor allem im Einzelhandel, im Gastgewerbe sowie im Gesundheits- und Sozialwesen … Minijobs kommen besonders häufig in Dienstleistungsbranchen zum Einsatz. Die IAB-Arbeitsmarktforscher Christian Hohendanner und Jens Stegmaier erklären dies damit, dass in diesen Branchen lange Öffnungszeiten, Kundenorientierung und teilweise stark schwankende Nachfrage eine große Rolle spielen: „Hier lässt sich der Faktor Arbeit optimal nutzen, wenn er in Minijobs gestückelt zum Einsatz kommt.“ So könnten Betriebe flexibel auf Kundenwünsche und -ströme reagieren. „Wenn beispielsweise längere Öffnungszeiten im Einzelhandel oder ein hohes Gästeaufkommen in der Gastronomie zu bewältigen sind, lässt sich dies mit Hilfe vieler kleiner Beschäftigungsverhältnisse passgenauer bewältigen“, schreiben die Arbeitsmarktforscher. Das Problem dabei ist: Wenn Minijobs der Sozialversicherung Beitragszahler entziehen, erhöht sich der Druck auf das Sozialversicherungssystem … Indizien für die Verdrängung von sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung durch Minijobs gibt es vor allem für kleine Betriebe mit unter zehn Beschäftigten. In diesem kleinbetrieblichen Segment gehen also der Aufbau von Minijobs und die Reduktion der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung Hand in Hand.« (Quelle: „Minijobs: Hinweise auf Verdrängung vor allem im Einzelhandel und Gastgewerbe„)
Carsten Wippermann: Frauen im Minijob – Motive und (Fehl-)Anreize für die Aufnahme geringfügiger Beschäftigung im Lebenslauf, Berlin 2013
Übrigens – wer es lieber visuell mag, dem sei an dieser Stelle die sehenswerte ZDF-Dokumentation „Die Minijob-Masche. Maximale Ausbeutung – minimaler Lohn“ empfohlen:
»Die ZDFzoom-Reporter Kirsten Moser und Christian Bock zeigen, wie ein Arbeitsmodell, das ursprünglich Hausfrauen und Studenten einen unkomplizierten Nebenjob ermöglichen sollte, außer Kontrolle gerät. Wie es Vollzeitstellen vernichtet, den Sozialstaat aushöhlt, Arbeitnehmer zweiter Klasse erschafft. Beide Reporter waren als Minijobber unterwegs, putzten Büros und schufteten im Supermarkt. Ihr Fazit: Minijobs, das ist oft minimales Geld bei maximaler Ausbeutung.
Einer der „Erfinder“ der Hartz-Reformen, Professor Jobst Fiedler, damals Berater bei Roland Berger, äußert sich im ZDFzoom-Interview kritisch: „Wir wollten eigentlich nur Putzfrauen legalisieren. Aus heutiger Sicht sind die Minijobs insgesamt ein Fehler gewesen.“«
Dem ist nichts hinzuzufügen.