Die Tafeln und die Flüchtlinge. Zwischen „erzieherischer Nicht-Hilfe“ im bayerischen Dachau und der anderen Welt der Tafel-Bewegung

Derzeit gibt es mehr als 900 Tafeln in Deutschland. Alle sind gemeinnützige Organisationen. Bundesweit unterstützen sie regelmäßig über 1,5 Millionen bedürftige Personen mit Lebensmitteln – knapp ein Drittel davon Kinder und Jugendliche. Rund 60.000 Menschen in Deutschland engagieren sich ehrenamtlich und spenden ihre Freizeit und ihr Know-how: als Helfer vor Ort, Fahrer, Berater oder Dienstleister. Ein paar Stunden am Tag, in der Woche oder im Monat, so wie es die persönlichen Möglichkeiten zulassen. Soweit die Selbstdarstellung der Tafeln. Es geht hier nicht um die immer wieder geführte Debatte um das Für und Wider dieser Hilfe (vgl. dazu nur beispielsweise die Blog-Beiträge Wird die „Vertafelung“ unserer Gesellschaft durch eine unaufhaltsame Effizienzsteigerung auf Seiten der Lieferanten erledigt? vom 19. April 2015 sowie Von der fortschreitenden „Vertafelung“ der unteren Etagen unserer Gesellschaft und warum die Zahl derjenigen, die nicht in Urlaub fahren können, kein geeigneter Maßstab ist vom 29. Mai 2014). Sondern es geht um einen aktuellen Konflikt, der sich an dem (Nicht-)Umgang mit den Flüchtlingen entzündet hat. Das ging los mit so einer Meldung, die aus Dachau kommt: Kein Zutritt für Asylbewerber. Anna-Sophia Lang berichtete in ihrem Artikel: »Die Tafel gibt keine Lebensmittel an Flüchtlinge aus. Diese sollten lernen, mit ihrem Geld umzugehen, sagt Vorsitzender Bernhard Seidenath.« Der Mann ist einer dieser Mehrfachfunktionäre: Er ist als Kreisvorsitzender des Bayerischen Roten Kreuzes für die Tafel in Dachau zuständig und sitzt zugleich als Abgeordneter für die CSU im bayerischen Landtag. Der Mann hat so seine eigene Sicht auf die Dinge. Er wird beispielsweise mit diesen Worten zitiert: „Wer hier in Deutschland aufgewachsen ist, weiß, wie er sich sein Geld einteilen muss. Menschen, die aus anderen Kulturkreisen zu uns kommen und sich in unserem Land nicht auskennen, wissen das nicht.“ Und die Leiterin der Dachauer Tafel, Edda Drittenpreis, sekundiert dem forschen Rot-Kreuzler: „Das, was wir haben, essen die Asylbewerber ja alles nicht, die wollen Couscous und Kichererbsen.“ Offensichtlich wird es unappetitlich in dieser Geschichte.

mehr

Schäuble allein zu Haus? Hartz IV für Flüchtlinge absenken, fordert der Bundesfinanzminister. Oder plaudert er nur ein wenig?

Bei so einer Meldung spitzt man die sozialpolitischen Ohren: Wolfgang Schäuble will Hartz IV für Asylbewerber senken. Und reibt sich anschließend die Augen ob der Begründung, die in dem Artikel kolportiert wird: »Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble will den Hartz-IV-Satz für Flüchtlinge senken. „Können wir nicht wenigstens die Kosten für die Eingliederungsleistungen abziehen?“, fragte Schäuble am Dienstag in Berlin. „Wir werden darüber noch diskutieren müssen.“ Sonst erhalte ein Flüchtling, der noch die Sprache und zum Teil Lesen und Schreiben lernen müsse, ebenso viel wie jemand, der 30 Jahre gearbeitet habe und nun arbeitslos sei.« Allein in dieser Aussage sind zwei richtig große Klöpse enthalten. Zum einen sein Hinweis auf die Eingliederungsleistungen. Der ist richtig putzig, denn er vermittelt den Eindruck, die werden den Hartz IV-Empfängern ausgezahlt. Was nun wirklich nicht der Fall ist, denn es handelt sich hierbei um Mittel, die verwendet werden können beispielsweise für Arbeitsgelegenheiten oder Qualifizierungsmaßnahmen, wenn sie denn da sind. In den vergangenen Jahren wurden diese Eingliederungsmittel erheblich gekürzt und außerdem bedienen sich viele Jobcenter an diesem Topf, denn die Mittel sind gegenseitig deckungsfähig mit dem Budget für Verwaltungsausgaben, also werden Gelder für die Förderung umgewidmet für die Verwaltungsausgaben der Jobcenter (vgl. hierzu beispielsweise Unterfinanzierte Jobcenter: Von flexibler Nutzung zur Plünderung der Fördergelder für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen). Also das war schon mal nichts.

Wie aber ist es mit seinem zweiten Punkt? Man müsse Hartz IV absenken, »erhalte ein Flüchtling, der noch die Sprache und zum Teil Lesen und Schreiben lernen müsse, ebenso viel wie jemand, der 30 Jahre gearbeitet habe und nun arbeitslos sei.« Das nun wiederum ist eine totale Verkennung der Grundprinzipien des Grundsicherungssystems. Denn das von ihm wohl offensichtlich in spalterischer Absicht vorgetragene Argument ist keines, denn dieses Problem stellt sich auch in einer Hartz IV-Welt ohne Flüchtlinge.

In der alten Prä-Hartz-Welt gab es neben dem beitragsfinanzierten Arbeitslosengeld die bedürftigkeitsabhängige, allerdings am früheren Arbeitseinkommen orientierte Arbeitslosenhilfe und als eigenes, letztes Auffangsystem die Sozialhilfe. Mit den „Hartz-Reformen“ hat man die beiden unteren Etagen zusammengelegt, dabei allerdings den Bezug auf das frühere Arbeitseinkommen beseitigt. Das bedeutet im Klartext für den Normalfall: Ein Arbeitnehmer, der seinen Job verliert und ein Jahr lang Arbeitslosengeld I als Versicherungsleistung bezieht, fällt in das Grundsicherungssystem (SGB II) mit dem Arbeitslosengeld II – und bekommt genau so viel oder wenig wie eine Person, die ihr Leben lang nie gearbeitet hat. Sollte der Herr Bundesfinanzminister hier ein Problem sehen oder ar eine Ungerechtigkeit, dann hätte er das schon längst thematisieren können und müssen. Ganz offensichtlich geht es hier um etwas ganz anderes: Er bedient die Abgrenzungsgefühle nach unten gegen die Gruppe der Flüchtlinge bei denjenigen, die selbst ganz unten angekommen sind.

Ansonsten hätte man von einem Bundesminister schon erwartet, dass er die Rechtsprechung des höchsten deutschen Gerichts kennt und berücksichtigt. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in der hier interessierenden Causa mit einem wegweisenden Urteil bereits zu Wort gemeldet und vor allem dieser eine Satz aus der Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 2012 sollte auch dem Bundesfinanzminister bzw. seinen Zuarbeitern bekannt sein und seine Zitation könnte die weitere Auseinandersetzung mit den Gedankenspielereien des Ministers beenden:

»Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.« (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10, Randziffer 121)

Dieses Urteil des BVerfG ist insofern von besonderer Relevanz für die aktuelle Debatte, als die Verfassungsrichter hier eine wichtige Klarstellung vorgenommen haben: Regelungen zu den Grundleistungen in Form der Geldleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz verfassungswidrig, so die Pressemitteilung des Gerichts zur damaligen Entscheidung. Die klare Botschaft der damaligen Entscheidung: Es gibt die Verpflichtung zur Sicherstellung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Und das Gericht spricht hier von Existenzminimum im Singular, keineswegs im Plural – genau darum aber geht es Schäuble mit seinem Vorschlag (oder sagen wir besser: mit seiner Idee). Er will offensichtlich Existenzminima in den politischen Raum stellen. Das nun ist durch die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht gedeckt.

Warum dann dieser Vorstoß? Man kann es hinsichtlich der Interpretation so halten, wie es in dem Artikel Schäuble irritiert mit Kürzungsvorschlag für Flüchtlinge vorgetragen wird:

»Möglicherweise war der Minister bei dem von der Journalistin Nina Ruge moderierten Gespräch schlicht in Plauderlaune. So berichtete er auch von einem Scherz, den er sich vergangene Woche bei der Herbsttagung von IWF und Weltbank erlaubt habe. „Ich hab gesagt, als ich in Peru war, in Lima bei der IWF-Tagung, ich könnt‘ ja schnell nach Chile fliegen – ist nicht mehr so weit und die Frau Honecker lebt ja noch – und fragen, wie hat’s eigentlich der Erich gemacht mit der Mauer?“«

Sehr witzig. Vielleicht war es ja auch in Wirklichkeit so, dass der Bundesfinanzminister einfach seiner Plauderlaune erneut freien Lauf gelassen hat. Bei dem Thema wäre das allerdings mehr als fragwürdig, es geht hier immerhin um die Frage des Existenzminimums.

Es könnte natürlich auch sein, dass hinter dem Vorstoß eine bestimmte Strategie steckt, die sich darüber bewusst ist, dass der konkrete Vorschlag – gleichsam als Bauernopfer – gar keine Chance hat, sehr wohl aber das dahinter stehende Einsparmotiv.

Da verwundert es auch nicht, dass gewisse journalistische Hilfstruppen sogleich dem an sich nur plaudernden Finanzminister beigesprungen sind – immer im Dienst der Sache, hier des Abbaus sozialer Leistungen. So kommentiert Heike Goebel in der Online-Ausgabe der FAZ unter der Überschrift Sozialleistungen müssen überprüft werden und zugleich – wenn schon, denn schon – den Bogen weiter spannend: »Die Sozialleistungen für Flüchtlinge müssen auf Fehlanreize überprüft werden. Das allein wird aber nicht reichen, um den Anstieg der Sozialausgaben zu bremsen. Hält der starke Zustrom an, müssen die Sozialleistungen durchforstet werden. Es wird Kürzungen geben, nicht nur für die Flüchtlinge.« Aber so ganz sicher ist sich die Apologetin des Sozialabbaus nun auch wieder nicht, denn sie stellt etwas verunsichert – man weiß ja nie – die Frage in den Raum: »Oder wollte Schäuble mit seinem Hinweis auf Hartz IV das Feld für höhere Steuern und Schulden vorbereiten?«

Das mag alles vielleicht so sein. Sicher ist hingegen, dass der Bundesfinanzminister weiß, was auf ihn bzw. den Bundeshaushalt zukommen wird, wenn auch nur in Umrissen, die aber genügen. „Im Hartz-IV-System fehlen Milliarden“, konnte man in der Print-Ausgabe der FAZ am 6. Oktober 2015 lesen. Da bekommt man einen ersten Eindruck von den Größenordnungen, über die wir hier sprechen – und erneut werden wir auch wieder mit den Verwaltungskosten der Jobcenter konfrontiert:

»Die 408 deutschen Jobcenter sollen nach dem Willen von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) im kommenden Jahr bis zu 3,3 Milliarden Euro zusätzlich vom Bund erhalten, damit sie die Mehrausgaben für die vielen Flüchtlinge decken können. Der Betrag ist aber womöglich viel zu knapp kalkuliert – selbst wenn man die bisherige Prognose von 800 000 Asylbewerbern in diesem Jahr zugrunde legt. Das zeigen Berechnungen der Bundesländer. Danach müsste nun allein das Budget der Verwaltungskosten, mit denen die Jobcenter ihr Personal und ihren laufenden Betrieb finanzieren, um 1,1 Milliarden Euro im Jahr steigen … Bisher sieht Nahles’ Etat für 2016 insgesamt 4 Milliarden Euro für Verwaltungskosten der Jobcenter vor, ebenso viel in diesem Jahr und 650 Millionen Euro weniger als noch 2014. Die Verwaltungskosten machen knapp ein Zehntel aller Hartz-IV-Ausgaben aus; der größte Posten ist mit gut 19 Milliarden Euro das Arbeitslosengeld II. Überträgt man diese Kostenverteilung auf die von Nahles nun angestrebte Budgetaufstockung um 3,3 Milliarden Euro, dann wären darin rund 300 Millionen für Verwaltungskosten enthalten – also nur etwas mehr als ein Viertel dessen, was nun nach gemeinsamer Überzeugung der Länder nötig ist … Seit Jahren buchen Jobcenter laufend Gelder aus dem Topf für Eingliederungs- und Fördermaßnahmen für Arbeitslose um, damit sie ihre eigenen Personal-, IT- und Heizkosten bezahlen können. Schon 2014 hatten sie dafür fast 500 Millionen Euro aus dem Fördertopf entnommen, der ebenfalls ein Gesamtvolumen von rund vier Milliarden Euro hat. In diesem Jahr werden es sogar fast 650 Millionen Euro sein.«

Und dann erfahren wir auch den wohl wahrscheinlichsten Grund für die Schäuble’sche Plauderei: Die Bundesarbeitsministerin Nahles verhandelt derzeit mit Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) über jene 3,3 Milliarden. Details werden voraussichtlich erst im November nach der neuen Steuerschätzung festgezurrt. Und bis dahin kann man ja ein wenig herumzündeln, denn auch wenn es inhaltlich wie gezeigt keine Substanz hat – bei vielen Menschen bleibt die Botschaft hängen, die unters Volk gebracht werden sollte. Insofern kann und darf man das nicht nur abtun als Merkwürdigkeit eines Bundesfinanzministers, der sich ein wenig hat gehen lassen. Wir haben es hier immerhin mit einem echten Profi zu tun.

Das höchst umstrittene Tarifeinheitsgesetz scheitert nicht am Bundesverfassungsgericht. Jedenfalls nicht auf die Schnelle.

Das von der Großen Koalition beschlossene Tarifeinheitsgesetz ist bekanntlich überaus umstritten – nicht nur hinsichtlich der erfahrbaren Ablehnung bei den davon betroffenen Sparten- bzw. Berufsgewerkschaften, sondern der Riss zwischen den Befürwortern und Gegnern geht auch durch die Reihen der DGB-Gewerkschaften und viele Arbeitsrechtler haben vor der Verabschiedung des Gesetzes darauf hingewiesen, dass sie mit einem Scheitern vor dem Bundesverfassungsgericht rechnen, da einige zentrale Bestandteile der Regelung offensichtlich verfassungswidrig seien.

Nun ist es bekanntlich so: Auf hoher See und vor Gericht ist man in Gottes Hand und – scheinbar – können wir diesen Hinweis auf die Unberechenbarkeit dessen, was am Ende passiert, am Beispiel des Tarifeinheitsgesetzes studieren, denn: Gewerkschaften scheitern mit Eilantrag gegen das Tarifeinheitsgesetz. Lagen also die vielen Experten mit ihrer sehr kritischen Einschätzung der Verfassungswidrigkeit des Tarifeinheitsgesetzes völlig daneben? Das nun wieder wäre eine nicht nur voreilige, sondern schlichtweg falsche Bewertung dessen, was in Karlsruhe passiert ist. Der Augenmerk muss gerichtet werden auf den Terminus „Eilantrag“, darum ging es, nicht um die Substanz des umstrittenen Gesetzes.

Das Bundesverfassungsgericht selbst hat am 9. Oktober 2015 eine Pressemitteilung zu seiner Entscheidung veröffentlicht unter der Überschrift Anträge auf einstweilige Anordnung gegen das Tarifeinheitsgesetz erfolglos. Und der kann man zu den vorliegenden drei Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen das Tarifeinheitsgesetz entnehmen:

»Soll ein Gesetz außer Vollzug gesetzt werden, gelten besonders hohe Hürden. Vorliegend sind jedoch keine entsprechend gravierenden, irreversiblen oder nur schwer revidierbaren Nachteile feststellbar, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung unabdingbar machten. Derzeit ist nicht absehbar, dass den Beschwerdeführern bei Fortgeltung des Tarifeinheitsgesetzes bis zur Entscheidung in der Hauptsache das Aushandeln von Tarifverträgen längerfristig unmöglich würde oder sie im Hinblick auf ihre Mitgliederzahl oder ihre Tariffähigkeit in ihrer Existenz bedroht wären. Im Hauptsacheverfahren, dessen Ausgang offen ist, strebt der Erste Senat eine Entscheidung bis zum Ende des nächsten Jahres an.«

Bei den drei Beschwerdeführern handelt es sich um Berufsgruppengewerkschaften. Es ging um Eilanträge von Marburger Bund, Vereinigung Cockpit und dem Deutschen Journalisten-Verband. GDL und Deutscher Beamtenbund beschränken sich hingegen auf eine reguläre Klage. Ihre Tarifzuständigkeiten überschneiden sich mit denen anderer Gewerkschaften, die regelmäßig einen größeren Personenkreis abhängig Beschäftigter organisieren. Das Gesetz zur Tarifeinheit fügt eine neue Kollisionsregel in das Tarifvertragsrecht ein, die dazu führt, dass nur der Tarifvertrag derjenigen Gewerkschaft gilt, die in diesem Betrieb die meisten Mitglieder hat. Eine (kleinere) Gewerkschaft, deren Tarifvertrag verdrängt wird, hat dann nur noch die Möglichkeit, den Tarifvertrag der größeren Gewerkschaft zu übernehmen bzw. sich diesem unterzuordnen. Damit – so einer der zentralen Argumente der Kritiker – würde die Existenzfrage für die kleineren Gewerkschaften gestellt, denn warum sollte man sich dann noch als Arbeitnehmer in einer solchen Organisation zusammenschließen?
Das Bundesverfassungsgericht hat die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen das Tarifeinheitsgesetz zwar verworfen, aber nicht, weil es das Gesetz für verfassungskonform bewertet, denn die dazu anhängige Befassung des Gerichts, also das Hauptsacheverfahren, hat erst begonnen und läuft noch – es soll nach Bekunden des Gerichts bis Ende des kommenden Jahres abgeschlossen, also mit einer endgültigen Entscheidung versehen werden. Der zentrale Argumentationsanker des BVerfG zu Ablehnung der Eilanträge bezieht sich darauf, dass ein möglicher Schaden angesichts der genannten Frist nicht unzumutbar sei:

»So ist gegenwärtig nicht erkennbar, dass die Beschwerdeführer oder Dritte im Zeitraum bis zur Entscheidung in der Hauptsache, die der Senat bis zum Ende nächsten Jahres anstrebt, gravierende, kaum revidierbare oder irreversible Nachteile erleiden, weil die gesetzlich angeordnete Tarifeinheit schon vor Eintritt des Kollisionsfalls Wirkungen entfaltet. Soweit die Beschwerdeführer ihre tarifpolitische Verhandlungsmacht durch das Tarifeinheitsgesetz geschwächt sehen, liegt darin zwar ein Nachteil. Das angegriffene Gesetz untersagt jedoch nicht die tarifpolitische Betätigung an sich.«

Hinzu kommt ein pragmatischer Aspekt: Die Verfassungsrichter können keinen aktuell relevanten Fall erkennen, bei dem es zu einer möglichen Benachteiligung durch Anwendung der Tarifkollisionsregel im neuen Gesetz kommen könnte, mithin sich die Frage der Eilbedürftigkeit einer Entscheidung derzeit gar nicht stellt:

»Es ist derzeit nicht absehbar, inwieweit es im Zeitraum bis zur Entscheidung in der Hauptsache tatsächlich in einem Ausmaß zur Anwendung der Kollisionsregel des § 4a TVG kommt, der eine einstweilige Anordnung unabdingbar erscheinen ließe.«

Ganz am Ende der Entscheidung (im Original: Beschluss vom 06. Oktober 2015, 1 BvR 1571/15, 1 BvR 1588/15, 1 BvR 1582/15) findet sich dann ein höchst interessanter Hinweis an diejenigen, die sich jetzt als Befürworter des Tarifeinheitsgesetzes schon auf der sicheren Seite wähnen, denn an die ist der letzte Satz des hier aus der Pressemitteilung zitierten Textes gerichtet:

»Es bleibt den Beschwerdeführern unbenommen, bei einer erheblichen Änderung der tatsächlichen Umstände einen erneuten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu stellen. Die Sicherungsfunktion der einstweiligen Anordnung kann es auch rechtfertigen, dass der Senat ohne einen entsprechenden Antrag der Beschwerdeführer eine solche von Amts wegen erlässt.«

Also werden wir das kommende Jahr abwarten müssen, bis das BVerfG eine endgültige Entscheidung treffen wird. Man kann weiter mit guten Gründen davon ausgehen, dass das Gesetz in der vorliegenden Fassung keinen Bestand haben dürfte angesichts der damit verbundenen bzw. der daraus resultierenden schwerwiegenden Auswirkungen auf die Koalitionsfreiheit, aus der in unserem Land das Streikrecht abgeleitet wird.