Bundessozialgericht: Auch ein Minijob kann möglicherweise einen Hartz IV-Anspruch für nach Deutschland eingereiste EU-Bürger begründen

Der Leistungsausschluss von EU-BürgerInnen aus dem SGB II/SGB XII beschäftigt seit Jahren die Sozialgerichtsbarkeit. In kaum einer anderen Rechtsfrage gehen die Entscheidungen der Sozialgerichte so weit auseinander wie in den Entscheidungen zum Leistungsausschluss von EU-Bürgern. »Der Ausschluss bestimmter EU-BürgerInnen von Leistungen des SGB II/SGB XII wurde zuletzt mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch am 29.12.2016 geändert. Motiv der Änderung war, die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vom 3. Dezember 2015 (BSG, B 4 AS 44/15 R) zu korrigieren«, so Bernd Eckhardt in seinem im Oktober 2019 veröffentlichten Beitrag Disparate Rechtsprechung bei den Leistungsausschlüssen von EU-BürgerInnen im SGB II/SGB XII. Das höchst umstrittene und politisch mehr als brisante Thema (dahinter steht letztendlich auch die Debatte über eine – angeblich – „Einwanderung in das deutsche Sozialsystem“) wurde auch hier schon behandelt, vgl. beispielsweise den Beitrag Arbeitnehmerfreizügigkeit, aber: Der EuGH gegen Sozialleistungen für EU-Bürger in anderen EU-Staaten, das BSG teilweise dafür, andere Sozialgerichte gegen das BSG vom 25. Februar 2016. Nun kann von zwei neuen Entscheidungen des Bundessozialgerichts berichtet werden, die es durchaus in sich haben. Zur Einordnung muss man wissen, dass seit Januar dieses Jahres der gesetzliche Ausschluss von Hartz-IV-Leistungen für EU-Bürger mit in Deutschland zur Schule gehenden Kindern weggefallen ist.

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Wenn das „sozialwidrige Verhalten“ im Hartz IV-System die Gerichtsleiter nach oben klettert, kommt es irgendwann beim Bundessozialgericht an (und fällt wieder runter)

Im September 2016 konnte man hier lesen: »Die Bundesagentur für Arbeit (BA) will … schärfer gegen Hartz-IV-Empfänger vorgehen, die ihre Bedürftigkeit selbst verursacht oder verschlimmert haben. Demnach sollen Betroffene, die ihre Hilfebedürftigkeit selbst herbeiführen, sie verschärfen oder nicht verringern, künftig sämtliche erhaltenen Leistungen für bis zu drei Jahre zurückzahlen müssen. Strenger ahnden sollen die Ämter demnach auch „sozialwidriges Verhalten“ von Hartz-Empfängern.« Das ist ein Zitat aus dem Artikel Jobcenter sollen „sozialwidriges Verhalten“ sanktionieren. Was muss man sich denn darunter vorstellen – „sozialwidriges Verhalten“? Das war die Leitfrage in dem hier am 2. September 2016 veröffentlichten Beitrag Wo soll das enden? Übergewichtige und Ganzkörpertätowierte könnte man doch auch … Ein Kommentar zum „sozialwidrigen Verhalten“, das die Jobcenter sanktionieren sollen. Es ging damals um neue Weisungen der BA auf der Grundlage einer Rechtsänderung, in denen dieses „sozialwidrige Verhalten“ konkretisiert wurde: »Betroffen seien etwa Berufskraftfahrer, die den Führerschein wegen Trunkenheit am Steuer verlieren und dann auf Hartz IV angewiesen sind … Die schärferen Bestimmungen könnten demnach auch Mütter treffen, die sich weigern, die Namen der Väter ihrer Kinder zu nennen. Denn dieser müsste möglicherweise Unterhalt zahlen, das Jobcenter müsste dann weniger Leistungen an die Mütter überweisen.«

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Von Jahr zu Jahr wird der Fehlbetrag größer: Hartz IV und die Stromkosten

Wenn über Hartz IV diskutiert wird, dann gibt es oftmals eine Verengung auf den Regelsatz, der im laufenden Jahr für einen Alleinstehenden bei 432 Euro im Monat liegt. Aber man muss schon genau sein, den neben dem Regelbedarf für den Lebensunterhalt nach § 20 SGB II kennt die Grundsicherung auch noch die „Bedarfe der Unterkunft und Heizung“ nach § 22 SGB II: »Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.« Das Schlüsselwort bei dieser Vorschrift ist der Terminus „angemessene Kosten“ – denn Kosten, die über der lokal festgelegten Angemessenheit liegen, müssen von den Hartz IV-Empfängern aus dem Regelsatz für den Lebensunterhalt finanziert, also abgezweigt werden. In den zurückliegenden Jahren waren das jährlich mehr als 600 Mio. Euro.
Im Durchschnitt werden 397 Euro für die Kosten der Unterkunft und Heizung zu den 432 Euro gezahlt und außerdem als dritter Posten sei noch auf die Krankenversicherungsbeiträge hingewiesen, die ebenfalls zum Leistungspaket gehören.

Nun werden viele davon ausgehen, dass die Stromkosten eines Hartz IV-Haushaltes zu den „Kosten der Unterkunft und Heizung“ gehören – dem ist aber nicht so. Die sind im Regelbedarf enthalten: »Der Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasst insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile sowie persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens«, so heißt es im ersten Absatz (ohne Hervorhebung) des § 20 SGB II. Um welche Größenordnung es dabei geht, verdeutlicht der Blick auf die Zusammensetzung des Regelbedarfs:

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