Zwischen Überbrückung und Verfestigung: Die Rolle der Grundsicherung beim Übergang in die Altersrente

Ein Teil der altersarmen Menschen ist auf Grundsicherung im Alter nach SGB XII angewiesen – wobei die Altersarmut auf gar keinen Fall reduziert werden darf auf diejenigen, die in diesem Sozialhilfezweig mehr oder weniger aufgefangen werden. Ausführlicher dazu der Beitrag Altersarmut: Diesseits und jenseits der Grundsicherung im Alter nach SGB XII vom 8. November 2022.

Was aber ist mit denjenigen, die vor dem Übergang in die Altersrente Grundsicherung beziehen? Setzt sich das dann im Rentenbezug fort? Oder dient der Bezug von Grundsicherungsleistungen der Überbrückung, bis der Anspruch auf eine Altersrente die betroffenen Menschen aus der Grundsicherung herausholt?

Antworten auf diese Fragen findet man in einer neuen Studie aus dem Institut für Arbeit und Qualifikation (IAQ) an der Universität Duisburg/Essen:

➔ Max Keck (2022): Versprechen und Enttäuschung: Die zwei Gesichter von Hartz IV beim Übergang in die Nacherwerbsphase. Altersübergangs-Report 2022-02, Duisburg: Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ), Oktober 2022

»Die Grundsicherung spielt an der Schnittstelle zur Rente eine zunehmend größere Rolle – allerdings in zwei Richtungen: Den einen hilft das Sozialgeld, um Arbeitslosigkeit und Kurzzeitarmut am Ende ihres Erwerbslebens zu überbrücken, anschließend leben sie dann in der Rente ohne finanzielle Hilfe und mit deutlich höherem Haushaltseinkommen. Die anderen bleiben aber auch im Alter in der Grundsicherung – der Anteil dieses „verfestigten Bezuges“ ist von 2006 bis 2020 von fünf auf neun Prozent gestiegen«, so ein Bericht des IAQ über die Arbeit von Keck (2022).

In der Studie von Keck wird mithilfe der Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) der Bezug von Grundsicherungsleistungen beim Übergang in die Nacherwerbsphase für die Daten der Jahre 2006 bis 2020 untersucht.

➔ Dieser Bezug hat zwei Gesichter: Einmal als prekärer Übergangspfad in eine Nacherwerbsphase ohne Grundsicherungsbezug und zunehmend als verfestigter Bezug über das Ende der Erwerbsphase hinaus. Der Anteil verfestigten Bezuges steigt von 2006 bis 2020 von 5 Prozent auf 9 Prozent der Übergänge.

Um wen handelt es sich dabei genauer? Dazu aus der Zusammenfassung von Keck (2022):

➔ »Alleinlebende Männer, ehemalige Angestellte in Berufen mit einem Anforderungsniveau bis Ausbildungsabschluss und umbruchsgeprägte Ostdeutsche leben häufiger in Haushalten, bei denen mit dem Übergang in die Nacherwerbsphase auch der Bezug von Grundsicherungsleistungen beendet wird (prekärer Übergangspfad).«

➔ »Alleinlebende Frauen, Kleingewerbetreibende, Langzeitarbeitslose im SGB II Bezug und Personen mit transnationaler Migrationserfahrung sind besonders häufig von verfestigtem Bezug beim Übergang in die Nacherwerbsphase betroffen.«

Und dann wird noch eine dritte Gruppe identifiziert:

➔ »Ein Bezug von Grundsicherungsleistungen, der erstmals mit dem Beginn der Nacherwerbsphase auftritt, ist sehr selten und tritt in Haushalten mit sehr geringen Erwerbseinkommen auf („Working-Poor“). Personen mit transnationaler Migrationserfahrung und Angestellte sind hiervon besonders betroffen.«

Zur Gleichzeitigkeit von Versprechen und Enttäuschung

Welches Fazit zieht Keck (2022: 9-11) aus seiner Analyse?

Ein Grundsicherungsbezug beim Übergang in die Nacherwerbsphase hat für die betroffenen Haushalte zwei Gesichter und zwar als „Versprechen und Enttäuschung zugleich“.

➔ »Versprechen, weil die Grundsicherung lebensverlaufsspezifische Risiken absichern soll und zwar nicht nur monetär, sondern primär, indem auf das rasche Ende des Grundsicherungsleistungsbezuges hingewirkt wird. Der Grundsicherungsbezug nach dem SGB II hat das Ziel, dass die Personen in den Bedarfsgemeinschaften ihren „Lebensunterhalt unabhängig von der Grundsicherung aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten können“ (§ 1, Absatz 2, SGB II). Dieses Versprechen hält die Grundsicherung bei einem Teil der Leistungsbeziehenden durchaus, wenn Arbeitslosigkeit beim Übergang in die Nacherwerbsphase als Kurzzeitarmut … und in Form eines prekären Übergangspfades auftritt, an den sich aber mit dem Beginn der Nacherwerbsphase ein Leben ohne Grundsicherungsleistungen mit deutlich höheren Haushaltsnettoeinkommen anschließt. Hier hilft die Grundsicherung ökonomische Abstiege, aber auch sozialen Ausschluss, die mit dem Eintreten des biographischen Risikos Arbeitslosigkeit einhergehen können, abzufedern und reduziert so soziale Ungleichheit. Der Anteil dieser Gruppe hat sich zuletzt reduziert.« (S. 9)

➔ »In einer Reihe an Haushalten kann die Grundsicherung dieses Versprechen aber nicht halten – und dieser Anteil ist zuletzt gestiegen. Die Grundsicherung enttäuscht, wenn sich dem Bezug von Leistungen nach dem SGB II beim Übergang in die Nacherwerbsphase ein weiterer Leistungsbezug anschließt. Hier verstetigt sich der Grundsicherungsbezug und führt zu dauerhaften Armutslagen.
Für die Betroffenen ist dies nicht folgenlos: Forschungen haben gezeigt, dass Personen, die längerfristig im Grundsicherungsbezug sind, diesen als ein Stigma empfinden … und längerfristiger Bezug von Grundsicherungsleistungen auch tatsächlich mit sozialem Ausschluss einher geht, vor allem weil die Grundsicherung eine vergleichsweise geringe materielle Absicherung mit sich bringt, aber auch weil die Stigmatisierung von Armen und Langzeitarbeitslosen sowie von anderen benachteiligten Gruppen zur gesellschaftlichen Praxis und zum Alltag gehört.« (S. 10)

Diese zwei Gesichter des Grundsicherungsbezuges lassen Hinweise auf die zugrundeliegenden Risiken zu:

»Diese Risiken sind vor allem Leistungslücken in den Sozialversicherungen und zwar der Arbeitslosen- und Rentenversicherung: Mangelnde oder fehlende eigene Leistungsansprüche betreffen vor allem Frauen, die in Haushalten leben, die nach dem Alleinernährermodell organisiert sind … Diese werden gerade bei Scheidungen und Trennungen oder bei Tod des ehemaligen Alleinernährers zum Risiko für den Bezug von Grundsicherung. Daneben sind auch kleine Selbstständige betroffen, da sie keinem Pflichtversicherungsschutz unterliegen, aber oft auch nicht ausreichend für Krisen wie Arbeitslosigkeit oder Alter vorsorgen können … Nicht ausreichend abgesichert sind zudem von Langzeitarbeitslosigkeit betroffene Personen, da die maximale Bezugsdauer von Leistungen der Arbeitslosenversicherung bei 24 Monaten liegt und ein sich daran anschließender Bezug von Leistungen nach dem SGB II dazu führt, dass keine Leistungen an Rentenversicherungsträger gezahlt werden. Schließlich ist auch Zuwanderung ein Risiko für Grundsicherungsbezug. Gerade wenn zwischen den Herkunftsländern und der Bundesrepublik Deutschland keine Sozialversicherungsabkommen bestehen, können eventuelle im Herkunftsland bestandene Beschäftigungsverhältnisse nicht als Beitragszeiten berücksichtigt werden. (S. 10; Hervorhebungen nicht im Original).

Keck präsentiert auch mögliche Lösungsansätze in seiner Ausarbeitung:

»Einmal Lösungen, die auf Reformen im Bereich der Sozialversicherungen verweisen. Lücken oder nur geringe Ansprüche in der Versichertenbiographie, wie sie zum Beispiel durch Nichterwerbstätigkeit, bei Arbeitslosigkeit oder im Kontext von Zuwanderung entstehen, sollten stärker durch einen sozialen Ausgleich in der Rentenversicherung kompensiert werden, wie dies z.B. bereits durch die Anerkennung von Sorge- und Pflegearbeit geschieht. Gleichzeitig könnten Lücken in der Versichertenbiographie durch die Abschaffung oder Begrenzung sozialversicherungsfreier Arbeitsverhältnisse verhindert werden und einer Universalisierung der GRV, wie sie im Kontext der Bürgerversicherung diskutiert wird, kann helfen, bisher nicht abgesicherte Gruppen in das System der Sozialversicherungen zu integrieren.« (S. 10; Hervorhebungen nicht im Original).