Von neoliberaler Kritik am „Rentensozialismus“ bis hin zu einem „völkischen“ Rentenkonzept des national-sozialen Flügels: Anmerkungen zum rentenpolitischen Nebel in der AfD

»Sozialpolitik wird das große Zukunftsthema sein, wahlentscheidend bei uns im Osten.«
(Björn Höcke, zitiert nach Sabine am Orde, Rente von ganz rechts)

»Sollte sich Höckes Position durchsetzen – und der Erfolg der Partei im Osten der Republik wird ein starkes Argument sein – könnte das der AfD den Aufstieg zur Volkspartei endgültig ebnen.«
(Leander F. Badura, Hayek oder Hitler)

Diese beiden Zitate stammen aus dem Beitrag Konturen einer rechtspopulistischen Sozialpolitik? „Soldarischer Patriotismus“ als umstrittenes Angebot innerhalb der AfD und was das mit der Rente und Betriebsräten zu tun hat, der hier am 1. Februar 2018 veröffentlicht wurde. Darin findet man dieses Zitat des Frontmanns des radikal-rechten Flügels der AfD, Björn Höcke: »Die neoliberale Ideologie, die von allen Altparteien getragen wird und Staaten zu Wurmfortsätzen global agierender Konzerne gemacht hat, entzieht den Volkswirtschaften dringend benötigtes Investitionskapital und senkt in den westlichen Industrienationen die Löhne zugunsten der Kapitalrendite. Die Folgen für den Sozialstaat und die Renten sind verheerend.« Und er führt weiter aus: Die gesetzliche Rentenversicherung sei zugunsten von privaten Versicherungen und Banken ausgehöhlt worden. CDU und SPD haben mit der Ausweitung der Leiharbeit Niedriglöhne auf breiter Front etabliert und das Lohngefüge zugunsten der Kapitalrendite gedrückt. Und die private Vorsorge war ein Irrweg.

Auch wenn es den einen oder anderen irritieren wird – das sind Zitate nicht aus dem linken politischen Lager in diesem Land. Die Stoßrichtung von Höcke ist offensichtlich: Er will die AfD als Partei der sogenannten kleinen Leute aufstellen und ihr das Profil des „solidarischen Patriotismus“ verpassen – um darüber weitere Wähler zu gewinnen, die bislang eher für SPD und Linkspartei gestimmt haben, wenn sie denn überhaupt noch gewählt haben.

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Die Rentenkommission setzt sich in Bewegung. Was rauskommen wird? Mit hoher Wahrscheinlichkeit eine höchst problematische weitere Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters

Hinsichtlich der großen Baustelle Rentenpolitik ist der Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD ein Monument des Kompromisses. So haben die Sozialdemokraten einige gesichtswahrende Punkte in dem Dokument verankern können, aber die die wahre Frage nach der zukünftigen Ausgestaltung des Alterssicherungssystems hat man a) inhaltlich vertagt und b) in die ganz eigene Welt einer Kommission outgesourct, die nun erst einmal nachdenken soll und muss, was wiederum a) auf der Zeitschiene bis zum Ende der Legislatur ermöglicht.

Die Sozialdemokraten heben als besondere erfolgt diese Vereinbarung im Koalitionsvertrag hervor:
»… werden wir die gesetzliche Rente auf heutigem Niveau von 48 Prozent bis zum Jahr 2025 absichern und bei Bedarf durch Steuermittel sicherstellen, dass der Beitragssatz nicht über 20 Prozent steigen wird. Für die Sicherung des Niveaus bei 48 Prozent werden wir in 2018 die Rentenformel ändern.« (S. 90)

Das nun hört sich nach einer richtigen Schubumkehr hinsichtlich der bisherigen Fahrtrichtung des Rentenniveaus nach unten an. Endlich, möchte man meinen. Allerdings wurde schon Anfang des Jahres, als im Ergebnispapier der damaligen Sondierungsgespräche dieser Punkt auftauchte, etwas spöttisch angemerkt, dass sich dieser scheinbare sozialpolitische Hengst als reichlich müder Gaul entpuppt, wenn man genauer hinschaut.

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Betriebsrenten sind sicher. Also eine sichere Quelle für Besorgnis und düstere Aussichten. Das gefällt den Mehrsäulenverschiebern im Alterssicherungssystem gar nicht

In der Sozialpolitik ist eines sicher – manche Themen, die im öffentlichen Diskurs kurzzeitig von der Berichterstattung aufgegriffen und dann wieder zu den Akten gelegt werden, fressen sich weiter durch die Landschaft, wenn sie denn nicht wirklich bearbeitet werden oder sich auch nicht bearbeiten lassen. Bis sie dann wieder ganz dringlich, weil nicht mehr zu leugnen auf die Tagesordnung gesetzt werden müssen.

Schauen wir zurück in das Jahr 2016. Am 21. Juni 2016 wurde hier dieser Beitrag veröffentlicht: Betriebsrenten als Butter in der Sonne? Das wäre ärgerlich für die Finanzindustrie und ihre Hoffnungen auf ein Riester-Substitut. Und Betroffene erleben ihr blaues Wunder. Dort konnte man lesen: »Offensichtlich geht es vielen Betriebsrenten nicht gut – und erst recht nicht denen, die da noch kommen sollen. Nicht wirklich überraschend hat das etwas zu tun mit dem selbst gestandene Volkswirte irritierenden Umfeld einer seit Jahren anhaltenden und auf absehbare Sicht auch weiter vorherrschenden Niedrig-, Null- und sogar Negativzinswelt, in der sich die Kapitaldeckungsvarianten bewegen und absehbar weiter bewegen müssen.« Und dann wurde von den näher kommenden Einschlägen berichtet. Beispielsweise von der nach eigenen Angaben größte Pensionskasse in Deutschland. »Die BVV Versorgungskasse des Bankgewerbes e.V. plant, auf ihrer ordentlichen Mitgliederversammlung am 24. Juni im Hotel Intercontinental in Berlin eine tiefgreifende Änderung der sogenannten Leistungspläne beschließen zu lassen. Das würde für junge Beschäftigte deutlich geringere Ansprüche auf Betriebspensionen bedeuten.« Damals ging es – noch – darum:

»Anwartschaften auf Rentenzahlungen, die in der Vergangenheit erworben wurden, bleiben bestehen – hingegen sollen die Kunden der Pensionskasse mit den entsprechenden Verträgen für die künftigen Einzahlungen … im Alter weniger Rente erhalten, als sie bislang eingeplant haben und als vereinbart war.« Es soll fast ein Viertel weniger Rente für die betroffenen Bankmitarbeiter geben, zumindest was die künftigen Einzahlungen betrifft.«

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Mehr als ein Passungsproblem: Teilzeitarbeit ist defizitär – damit lässt sich im bestehenden System keine Rente machen. Zugleich sollen die Frauen die Rente „retten“

Demnächst wird die von der neuen alten Großen Koalition im Koalitionsvertrag beschlossene „Rentenkommission“ ihre Arbeit aufnehmen. Das Gremium soll bis zum März 2020 ein Gesamtkonzept für die Alterssicherung ab dem Jahr 2025 vorschlagen. Bis dahin kann man dann immer darauf verweisen, dass ja die Kommission an dem Thema arbeitet.

Zwischenzeitlich wird aus allen Ecken in den öffentlichen Raum geschossen, was angeblich unausweichlich passieren muss. „Natürlich“ geht es dabei wieder einmal um das gesetzliche Renteneintrittsalter. Und da soll es bei der „Rente mit 67“ nicht bleiben: Wir brauchen Rente mit 70 – oder 500.000 Zuwanderer im Jahr, so kommt einer der vielen Artikel aus diesem Lager daher, der sicher nicht zufällig in der apodiktischen Art und Weise der Betitelung auf Abwehrreflexe in weiten Teilen der Bevölkerung gegen solche behaupteten Zuwandererzahlen setzt, um dann die andere angeblich alternativlose Alternative durchsetzen und verankern zu können. Der Artikel stützt sich übrigens auf das Frühjahrsgutachten 2018 eines Konsortiums von Wirtschaftsforschungsinstituten. Kristina Antonia Schäfer hat das Thema in ihrem Artikel Rente mit 70: Überfällig oder überflüssig? aufgegriffen: »Unter Wirtschaftsexperten tobt ein Streit, wie der Kollaps der Rentensysteme abgewendet werden kann. Die einen fordern die Rente mit 70, die anderen halten das für überflüssig – und haben eine Alternative.«

Mit dem Hinweis auf eine Alternative meint sie die Studie Den demografischen Wandel bewältigen: Die Schlüsselrolle des Arbeitsmarkts von Erik Türk et al., die vor kurzem veröffentlicht wurde. Ein Kernpunkt in der Argumentation der gewerkschaftsnahen Wissenschaftler: Viele gängige Prognosen zum demografischen Wandel und seinen Wirkungen auf die Alterssicherung verharrten ohne Not bei „Katastrophen-Szenarien“, konstatieren die Forscher. Zentrale Gründe dafür: Sie schreiben vermeintlich stabile demografische Trends über Jahrzehnte fort, obwohl es signifikante Änderungen gibt. Dabei gibt es ein enormes Beschäftigungspotenzial, was die Folgen für die Rente erheblich verändern würde, wenn es denn erschlossen werden würde. 

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Rückblick: Die kurzfristige Option einer abschlagsfreien „Rente mit 63“ wurde von Hunderttausenden in Anspruch genommen

Das war mal ein sozialpolitisches Aufreger-Thema: die „Rente mit 63“. Dieses der SPD zugeschriebene Projekt wurde am Anfang der letzten Großen Koalition im Jahr 2014 zusammen mit der von der Union gepushten und ebenfalls umstrittenen „Mütterrente“ gesetzgeberisch ins Leben gerufen. Aus den Reihen der Wirtschaft hat man aus allen Rohren geschossen gegen die Eröffnung der Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen bereits mit 63 eine abschlagsfreie Altersrente in Anspruch nehmen zu können, denn man befürchtete nicht ohne Grund, dass zahlreiche Arbeitnehmer davon Gebrauch machen werden und darunter vor allem Facharbeiter und andere qualifizierte Arbeitskräfte, die (noch) in den Genuss ordentlicher Renten kommen. Nicht ohne Grund ist die „Rente mit 63“ vor allem seitens der großen und einflussreichen Industriegewerkschaften in den damaligen Koalitionsvertrag bugsiert worden.

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