Die Rentenfrage als Lackmustest? Die AfD und ihre weiter ungeklärte sozialpolitische Ausrichtung

»Die neoliberale Ideologie, die von allen Altparteien getragen wird und Staaten zu Wurmfortsätzen global agierender Konzerne gemacht hat, entzieht den Volkswirtschaften dringend benötigtes Investitionskapital und senkt in den westlichen Industrienationen die Löhne zugunsten der Kapitalrendite. Die Folgen für den Sozialstaat und die Renten sind verheerend.« Und er führt weiter aus: Die gesetzliche Rentenversicherung sei zugunsten von privaten Versicherungen und Banken ausgehöhlt worden. CDU und SPD haben mit der Ausweitung der Leiharbeit Niedriglöhne auf breiter Front etabliert und das Lohngefüge zugunsten der Kapitalrendite gedrückt. Und die private Vorsorge war ein Irrweg.

Und wer hat das gesagt? Spontan würde man das irgendwelchen Linken zuschreiben, wenn da nicht für die aufmerksamen Leser das Wort „Altparteien“ wäre. Denn das verwenden derzeit ganz andere Kräfte. Beispielsweise die AfD. Und so überrascht es auch nicht (mehr), wenn hier die Auflösung für die Urheberschaft geliefert wird: Björn Höcke war es. Der Frontmann des radikal-rechten Flügels der AfD. Das Zitat ist einem Interview entnommen, das Ende November 2017 unter der bezeichnenden Überschrift „Das sind die Frontverläufe unserer Zeit“ veröffentlicht wurde. Heck und sein Anhang sind nicht im Nebulös-Allgemeinen stehen geblieben, sondern sie haben an einer ganz eigenen sozialpolitischen Profilierung der AfD gearbeitet. 

Anfang Juni sucht der thüringische Landeschef der AfD die große Bühne im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin. Dort präsentierten Höcke & Co. eines der Rentenkonzepte für die AfD – oder soll man sagen, überhaupt mal ein Konzept? Und das, was dort gefordert wurde, wird manchem Linken unangenehm aufgestoßen sein, hätte es doch auch von ihnen kommen können. Dazu Nadine Lindner in ihrer Hintergrundsendung des Deutschlandfunks unter der Überschrift AfD-Parteitag in Augsburg: Selbstzufrieden trotz programmatischer Lücken:

„Die erste Kernmaßnahme ist die Erhöhung des Rentenniveaus auf fünfzig Prozent. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Wir brauchen die 50 Prozent, um unseren Rentnern ein würdiges Alter zu ermöglichen.“ Das Rentenniveau liegt aktuell bei 48 Prozent, soll aber bis 2030 auf 43 Prozent sinken. Hinzu kommt, so will es Höcke, die bessere Berücksichtigung von Kindern bei der Rente sowie die Einführung eines staatlich finanzierten Staatsbürgeraufschlags nur für Deutsche. Außerdem soll an der staatlichen Förderung der privaten Altersvorsorge gerüttelt werden. Jürgen Pohl, Bundestagsabgeordneter aus Thüringen, Sozialpolitiker und Vertrauter Höckes. „Wir sagen, dass die Aufwendungen, die jetzt in die private Altersvorsorge einfließen, nicht zielführend sind und man diskutieren muss, ob die Mittel nicht in die gesetzliche Altersvorsorge einfließen sollen, zur Finanzierung.“

Und Lindner liefert uns auch gleich ein starkes Motiv für den sozialpolitisch daherkommenden Husarenritt von Höcke – mit einem Zitat des Rechtsaußen höchstselbst, das nachdenklich stimmen sollte:

„Die soziale Frage war das Kronjuwel der Linken, es war ihre Existenzgarantie. Und wenn wir als AfD glaubwürdig bleiben und entschlossen bleiben, dann können wir der Linken dieses Kronjuwel jetzt abjagen! Und das sollten wir tun!“

Gesagt hat er das vor AfD-Mitgliedern und Sympathisanten auf dem sogenannten „Kyffhäuser-Treffen“ des nationalistischen „Flügels“ am 23. Juni. Dazu kann man dem Artikel Rechtsnationaler „Flügel“ bei „Kyffhäusertreffen“ entnehmen: »AfD-Politiker wie Parteichef Jörg Meuthen, Björn Höcke und André Poggenburg sind in Burgscheidungen im Süden Sachsen-Anhalts zu einem Treffen des rechtsnationalen „Flügels“ der Partei zusammengekommen. Auf Einladung der beiden AfD-Rechtsaußen Poggenburg und Höcke versammelten sich laut Polizei rund 1000 Teilnehmer zum sogenannten Kyffhäusertreffen auf einem abgeschotteten Schlossgelände … Die Strömung „Flügel“ gilt als rechteste und nationalste innerhalb der AfD. Nach Angaben des Mitorganisators und früheren sachsen-anhaltischen AfD-Landeschefs Poggenburg ist sie vor allem in Ostdeutschland stark.«

Die Sozialpolitik ist ein zentraler Baustein in der Strategie, um im Osten Wähler zu gewinnen, so Höcke. Und man muss wissen, dass im Herbst 2019 in drei ostdeutschen Bundesländern Landtagswahlen anstehen: In Sachsen, Brandenburg und Thüringen. Höcke und seine Mitstreiter  warnen, dass der Osten das Armenhaus Deutschlands wird. Es sind klassische Themen der Linken, präsentiert jetzt von Rechtsaußen in der AfD.

Über die rentenpolitischen Vorstöße dieses AfD-Lagers wurde hier schon berichtet – so in dem Beitrag Konturen einer rechtspopulistischen Sozialpolitik? „Soldarischer Patriotismus“ als umstrittenes Angebot innerhalb der AfD und was das mit der Rente und Betriebsräten zu tun hat am 1. Februar 2018 und dann wieder – mit einem genauen Blick auf die bislang vorliegenden rentenpolitischen Ideen – am 7. Juni 2018 in dem Beitrag Von neoliberaler Kritik am „Rentensozialismus“ bis hin zu einem „völkischen“ Rentenkonzept des national-sozialen Flügels: Anmerkungen zum rentenpolitischen Nebel in der AfD. Dort wurden auch die teilweise völlig konträren Rentenkonzepte, die innerhalb der AfD zirkulieren, genauer vorgestellt.
Auch Nadine Lindner weist auf die verschiedenen Rentenkonzepte hin: »Neben Höckes Idee steht ein Vorstoß von Markus Frohnmeier aus dem Landesverband Baden-Württemberg. Frohnmeier, der zur wirtschaftsliberalen Strömung zählt, setzt auf private Versicherungsmodelle, auf Altersvorsorge aus Kapitalerträgen. Die Arbeitnehmer innerhalb der AfD wiederum wollen ein Zusammenspiel von gesetzlicher, privater und betrieblicher Altersvorsorge. Die Rentenbeiträge sollen bei 20 Prozent gedeckelt werden. Vorbild ist hier: die Schweiz.«

Und nun gab es den AfD-Bundesparteitag in Augsburg. Und dort konnte sich Höcke zumindest – die genannten anstehenden Landtagswahlen in Ostdeutschland im kommenden Jahr fest im Blick – mit dem Antrag durchsetzen, dass es 2019 einen Sonderbeitrag zum Thema Sozialpolitik geben wird. Als Tagungsort hat Höcke Sachsen vorgeschlagen, jenes Bundesland, in dem die AfD bei der Bundestagswahl 2017 stärker abschnitt als die CDU. Der Diskussionsbedarf ist mehr als offensichtlich und wurde auf dem Parteitag in Augsburg durch die Rede des AfD-Parteivorsitzenden Jörg Meuthen deutlich – und auch seine sozial- und rentenpolitische Naivität. Gegen das, was Meuthen dort mit erkennbar wenig Resonanz im Plenum zur Rentenfrage vorgetragen hat, sind Leute wie Riester, Rürup oder Maschmeyer wahre Juwelen des Sozialstaates.

Der Wirtschaftsprofessor Jörg Meuthen vertritt in der Sozialpolitik einen ordoliberalen Kurs – den er auf dem Augsburger Parteitag gleichsam extremistisch entfaltet hat. Er wollte mit einer Grundsatzrede zur Rentenpolitik punkten, die als eine der größten Lücken im AfD-Programm gilt. Und was hat er von sich gegeben? »Die Menschen sollten Schritt für Schritt in eine „selbstgewählte, freie Form ihrer Altersvorsorge“ entlassen werden. Der Staat solle nur diejenigen mit Steuermitteln unterstützen, die das nicht schafften. Das kommt einer Abschaffung der gesetzlichen Rente gleich.« So Maria Fiedler in ihrem Artikel AfD steuert auf Zerwürfnis in der Sozialpolitik zu. Meuthen, so Sabine am Orde in ihrem Artikel Die Rechte diskutiert Sozialpolitik, »will weg vom „zwangsfinanzierten Umlagesystem“, der Staat soll seiner Vorstellung nach nur für die aufkommen, die es alleine nicht schaffen. Auch der Vorstellung, dass Selbstständige und Beamte wie Angestellte in die Rentenkasse einzahlen, hat Meuthen eine Absage erteilt.« Das kam schon bei den Delegierten auf dem Parteitag nicht gut an. Und Sabine am Orde ergänzt zu Meuthen: »Was er sagt, ist wenig konkret. Doch klar ist: Es widerspricht grundsätzlich dem, was der radikal rechte Flügel der Partei um Thüringens Partei- und Fraktionschef Björn Höcke jüngst vorgeschlagen hat. Der setzt auf einen national-sozialen Kurs, der unter anderem staatliche Zuschläge für niedrige Renten nur für deutsche Staatsbürger vorsieht.«

Da Meuthen für ein „staatsfern“ konstruiertes Rentensystem plädiert, bildet er den innerparteilichen Gegenpol zu Höcke. Er hat sich weit aus dem Fenster gehängt: Bloß nicht zu viel Sozialismus, so ist ein Artikel von Tilmann Steffen dazu überschrieben. Es liegen Welten zwischen den einzelnen Konzepterstellern und spätestens im kommenden Jahr wird die AfD Farbe bekennen müssen, auf welches Gleis sie sich setzen lässt. Der Parteitag in Augsburg ist eine aufschiebende Zwischenetappe auf diesem Weg, vgl. dazu auch Tilmann Steffen in seinem Artikel Rente nur für Deutsche? Die Chancen für die national-soziale Fraktion um Höcke stehen nicht schlecht, wenn man an die Stärke der Partei im Osten denkt – und dort hat die Rentenfrage ein ganz besonderes Gewicht. Das haben die schon gut erkannt. Und das werden die anderen noch zu spüren bekommen. Soweit man das zum jetzigen Zeitpunkt einschätzen kann.