Die „Bürgerversicherung“ wurde in den klinischen Tod sondiert. Und nun ein neuer Anlauf über die unterschiedlichen Vergütungswelten der GKV und PKV?

Also mit der „Bürgerversicherung“ hat es nicht sein sollen. Dabei sind die Freunde dieses Umbauanliegens als Tiger gestartet: Noch Ende November 2017 konnte man diese knallharte Ansage zur Kenntnis nehmen: »SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach nannte die Bürgerversicherung ein „zentrales Anliegen“ seiner Partei. Die SPD wolle eine „Bürgerversicherung mit einem gemeinsamen Versicherungsmarkt ohne Zwei-Klassen-Medizin“, sagte der Gesundheitsexperte … Wenn die Union der SPD nicht entgegen komme, werde es Neuwahlen geben.« Gut gebrüllt, aber in diesen Zeiten der Kehrtwenden nicht viel wert, wie man dann den Sondierungsergebnisse für eine GroKo neu entnehmen musste (vgl. dazu den Überblick in dem Beitrag Umrisse einer GroKo neu. Teil 3: Gesundheitspolitik und Pflege vom 15. Januar 2018). Die Union hatte der SPD deutlich gemacht – mit uns wird es eine „Bürgerversicherung“ nicht geben. Im Vorfeld wurden parallel schwere Geschütze von den Verteidigern des Status Quo eines dualen Krankenversicherungssystems aufgefahren, nicht nur die Privaten Krankenversicherer selbst. Vgl. zu deren Aktivitäten den Beitrag des Politikmagazins „Kontraste“ (ARD) vom 18. Januar 2018: Wie die privaten Krankenversicherer gegen die Bürgerversicherung Front machen: »Seit Monaten überziehen die privaten Krankenversicherer Deutschland mit einer Kampagne, in der sie vor der Einführung der Bürgerversicherung warnen. Dann würden Praxenschließungen drohen und Patienten müssten auf fortschrittliche Behandlungsmethoden verzichten, so die Privaten. Kontraste-Recherchen zeigen: Eine Kampagne voller FakeNews, die aber zu wirken scheint.« Sekundiert wurden sie von Ärzte-Funktionäre, die mit harten Bandagen unterstützend eingegriffen haben.

Wie gesehen, das hat sich gelohnt, die SPD ist da auf Granit gestoßen und – das muss man fairerweise anmerken – sie wurde an einer anderen Stelle für den Verzicht auf ihr Prestigeprojekt „entschädigt“ mit einem dieser (aus Sicht des Bundes) klassischen Geschäfte zu Lasten Dritter: »Wir werden die Parität bei den Beiträgen zur Gesetzlichen Krankenversicherung wiederherstellen. Die Beiträge zur Krankenversicherung sollen künftig wieder in gleichem Maße von Arbeitgebern und Beschäftigten geleistet werden.« So heißt es in den Ergebnissen der Sondierung von Union und SPD vom 12.01.2018. Und wir sprechen hier, das muss man anerkennend zum Ausdruck bringen, nicht von Peanuts, sowohl in Euro gemessen wir auch mit Blick auf das Gesamtsystem der Finanzierung: Bei den Zusatzbeiträgen geht es um Größenordnungen von mehr als 14 Mrd. Euro – die alleine von den Versicherten aufzubringen sind. Und mit Blick auf die Zukunft überaus relevant ist die eherne Mechanik, die in dem bestehenden System eingebaut ist: alle zukünftigen Kostensteigerungen gehen aufs Konto der Versicherten aufgrund des einzementierten allgemeinen und paritätisch zu finanzierenden Beitragssatzes. Insofern ist dieser Punkt schon von fundamentaler Bedeutung.

Damit könnte man das Thema „Bürgerversicherung“ wie erwartet (vgl. dazu bereits meinen Beitrag Und vor jeder neuen Legislaturperiode grüßt die „Bürgerversicherung“. Über ein fundamentales Umbauanliegen und das Schattenboxen vor dem Haifischbecken vom 10. Dezember 2017) zu den Akten legen. Aber natürlich schmerzt es die sozialdemokratische Seele, wenn ein derart wichtiges – und von den eigenen Funktionären wie dem umtriebigen Karl Lauterbach so in den medialen Fokus gezerrtes – Herzensanliegen einfach brutal ausgebremst wird.

Besonders weh tun müssen dann solche Umfrageergebnisse, von denen Rainer Woratschka in seinem Artikel Auch viele Privatpatienten wollen eine Bürgerversicherung berichtet: »Politisch keine Chance, doch die Ablehnung widerspricht offenbar dem Wählerwillen: Selbst bei Unterstützern von Union und FDP gibt es eine Mehrheit für die Bürgerversicherung.« Das sitzt. »61 Prozent stehen nach einer repräsentativen Umfrage von YouGov hinter dem abgeräumten SPD-Anliegen, nur zehn Prozent lehnen es kategorisch ab. Bei den Wählern aller Bundestagsparteien gibt es eine Mehrheit dafür, Union und FDP inklusive. Und, vielleicht am überraschendsten: Selbst 40 Prozent der derzeit privat Versicherten hätten lieber ein einheitliches Kassensystem.«

Und insofern überrascht es nicht, dass dieser Punkt zumindest seitens der Sozialdemokratie eben (noch) nicht kampflos geschluckt werden konnte, sondern auf dem dramatischen SPD-Parteitag am 21. Januar 2018 in Bonn, auf dem sich die Befürworter der Aufnahme von formellen Koalitionsverhandlungen nur knapp durchsetzen konnten, wurde den Unterhändlern (die doch eigentlich bereits mit dem Sondierungsergebnispapier vom 12. Januar 2018 einen bis auf redaktionelle Änderungsbedarfe fast fertigen Koalitionsvertrag vorgelegt haben) mit auf den Verhandlungsweg gegeben, einige Punkte nun aber unbedingt noch nachzulegen. Die sind prophylaktisch in einem vom Bundesvorstand selbst den Delegierten vorgelegten Antrag formuliert, nur so sah man überhaupt eine Chance, das Projekt „Weitermachen“ durchzubekommen (vgl. den angenommenen Leitantrag des Bundesvorstands in Beschlüsse des außerordentlichen Bundesparteitags der SPD vom 21. Januar 2018 in Bonn). Dort findet man auf der Seite 7 den hier besonders interessierenden Passus – den man bitte genau lesen sollte, den bei solchen Punkten zeigt sich für den Normalleser erst im Nachhinein die Kunst des geschickten Formulierens:

»Wir wollen das Ende der Zwei-Klassen-Medizin einleiten. Dazu muss sich die Versorgung nach dem Bedarf der Patientinnen und Patienten und nicht nach ihrem Versicherungsstatus richten. Hierzu sind eine gerechtere Honorarordnung, die derzeit erhebliche Fehlanreize setzt, sowie die Öffnung der GKV für Beamte geeignete Schritte.«

In der Berichterstattung in den Medien wurde das so verdichtet, dass die SPD eine einheitliche Ärztevergütung mit der Union verhandeln will, dass also die bisherige und (für die Ärzte bessere) Bezahlung durch die PKV abgeschafft werden solle.

Das steht da aber erstens so nicht. Die Delegierten haben beschlossen, dass »eine gerechtere Honorarordnung« zu den „geeigneten Schritten“ auf dem Weg in eine Welt ohne „Zwei-Klassen-Medizin“ gehört. Da steht aber eben nicht, dass man explizit fordert, die derzeit völlig unterschiedlichen Vergütungssysteme (auf der EBM-Basis in der GKV und auf der GOÄ-Basis in der PKV) zu einem einheitlichen Vergütungssystem zusammenfassen will, das dann für alle ärztlichen Leistungen ohne Ausnahme Anwendung finden müsste. Das allerdings wäre ein massiver Angriff auf das Geschäftsmodell der Privaten Krankenversicherung, die ja gerade mit den Vergütungsunterschieden zwischen ihr und der „Holzklasse“ GKV Werbung macht.

Unabhängig davon, dass der Beschluss des SPD-Parteitags nun wirklich nicht als knallharte Forderung für ein einheitliches Vergütungssystem gelesen werden kann – diese Werbung ist für PKV-Versicherte selbst eine echte Zumutung, wenn man das mal zu Ende denkt, was da an Argumenten vorgetragen wird.

Schauen wir uns dazu einmal die Positionierung des PKV-Verbandes im Original an, die man dieser Meldung vom 21.01.2018 entnehmen kann: Einheitliche Gebührenordnung: „Einstieg in die Bürgerversicherung durch die Hintertür“:

»Volker Leienbach, Direktor des PKV-Verbandes, warnt eindringlich vor den Folgen einer einheitlichen Gebührenordnung, wie sie zurzeit von großen Teilen der SPD gefordert wird … ohne die Mehrzahlungen durch die Privatpatienten würden Ärzten, aber auch Physiotherapeuten oder Hebammen, Einnahmen fehlen. Die Folge: „Sie werden ihre Leistungen zum Teil einstellen.“ Wenn diese Verluste jedoch vom System der Gesetzlichen Krankenversicherung ausgeglichen werden sollen, bedeute dies eine Beitragserhöhung. „Für einen Durchschnittsverdiener sind das ungefähr 400 Euro im Monat. Das will niemand“, so Leienbach.«

Der eine oder andere könnte auf die Frage kommen – wieso denn 400 Euro mehr im Monat zu dem, was bereits an Beiträgen gezahlt werden muss? Man sollte das mal abbuchen unter dem Motto: Hau einfach mal eine Zahl raus, die möglichst viel Schrecken verbreitet. Vielleicht hat der Herr Direktor einfach auch nur Monat mit Jahr vertauscht? Wer weiß das schon.

Was den PKV-Versicherten selbst mal gehörig auf die Nerven gehen sollte, wenn sie denn nicht masochistisch veranlagt sind, ist die ständig vorgetragene Argumentation der PKV, sie „subventioniere“ die vielen Versicherten aus der Holzklasse des dualen Systems, weil die Ärzte von der PKV überhöhte Honorare kassieren kann, die dann überdurchschnittlich zum Praxisumsatz beitrage. Was bedeutet das denn im Klartext? Die PKV lässt den Ärzten ja nicht eine Zusatzvergütung aus eigenen schwarzen Kassen zukommen, um sie bei Laune zu halten, sondern alles muss von den Versicherten mit ihren Prämien selbst bezahlt werden. Und offensichtlich muss der privat Versicherte eine ordentliche Schippe auf seine Prämien rauflegen, „subventioniert“ er doch die Arztpraxen mit deren Einnahmen aus der Behandlung der Privatversicherten (nur als Fußnote: Ökonomisch korrekt ist das natürlich alles nicht, denn die Subventionierungsrichtung ist natürlich umgekehrt: Die – wie auch immer in ihrer Ausgestaltung kritisierbare – Finanzierung für die 90 Prozent GKV-Versicherte ermöglicht es den Arztpraxen, einen Surplus aus der Behandlung der Privatversicherten zu ziehen). Dem in der PKV-Versicherten wird also permanent ins Stammbuch geschrieben, dass er zugespitzt formuliert ausgenommen wird wie eine Weihnachtsgans. Und würde der PKV-Versicherte nur einen Moment lang weiterdenken, könnte er auf die nächste unangenehme Erkenntnis stoßen: So wird ihm offiziell immer verkauft, dass er oder sie medizinisch viel besser versorgt werde als die die „normal“ Versicherten aus der unteren Etage, aber wenn er dann die Mechanik des bestehenden Vergütungssystems der PKV genauer anschaut, dann wird er feststellen, dass das vor allem aus zwei Gründen von den „Leistungserbringern“ geliebt wird: Zum einen können sie Einzelleistungen abrechnen, sie müssen sich nicht mit Pauschalen für dieses und jenes wie in der GKV herumschlagen. Und das muss man mit dem zweiten Punkt unauflösbar verbunden sehen: Man kann in die Menge gehen, es gibt keine Mengenbegrenzung.

Schön für die Leistungserbringer – zugleich kann das aber auch ein echtes Risiko für die Versicherten sein, wenn es zu einer pekuniär bedingten Überinanspruchnahme von Diagnostik und Therapie führt, die sich angesichts der ausgeprägten Arzt-Patienten-Asymmetrie auch seitens des dann profitierenden Leistungserbringer auf den Weg bringen lässt. In dem bereits zitierten Bericht von Rainer Woratschka über die Ergebnisse einer neuen Umfrage zur „Bürgerversicherung“ weist er darauf hin, dass jeder fünfte PKV-Kunde sich selbst für „überversorgt“ hält (vgl. dazu auch das Interview mit Birgit König, Chefin der Allianz Private Krankenversicherung, das hier besonders passend unter der Überschrift „Viele Behandlungen sind unnötig“ gestellt wurde).

Das sind doch summa summarum einige gewichtige Argumente, nun endlich den angesprochenen Weg einer einheitlichen Vergütungsordnung für die Ärzte anzugehen. Aber man muss sich in einem ersten Schritt klar darüber werden, dass wir nicht nur über zwei bislang getrennte Systeme sprechen, die man zu einem neuen System miteinander kombinieren müsste (was schon rein technisch enorm kompliziert werden würde), sondern man sollte bedenken, dass eine einheitliche Vergütung der Ärzte das gesamte Geschäftsmodell der PKV fundamental in Frage stellen würde, deshalb wird hiergegen massiv Widerstand mobilisiert werden.

Und interessanterweise – mit Blick auf die Konsequenzen einer Umsetzung des Anliegens – wird dieser Widerstand selbst von den Krankenkassen aus der GKV-Welt unterstützt, die doch auf den ersten Blick ein Interesse haben müssten an der Erschütterung des Geschäftsmodells der PKV. Die wissen aber eben auch, dass alles seinen Preis hat, den jemand zahlen muss: Unter der Überschrift Krankenkassen sehen SPD-Pläne skeptisch berichtet Peter Thelen, dass es die gesetzlichen Kassen ablehnen, »Ärzten mehr Geld zu zahlen. Damit sind sie sich mit den Privaten überraschend einig.« Der Vizevorstandschef des GKV-Spitzenverbands, Johann Magnus von Stackelberg, wird mit diesen institutionenegoistisch verständlichen Worte zitiert: „Wenn einheitliche Honorierung bedeutet, dass die gesetzlichen Krankenkassen in Zukunft mehr bezahlen und die privaten Krankenversicherungen weniger, dann lehnen wir das ab.“ Wir zahlen schon genug ist, lautet die Botschaft der gesetzlichen Kassen.

Wie dem auch sei, man könnte jetzt vertiefend einsteigen und der Frage analytisch nachgehen, wie denn so unterschiedliche Welten wie die EBM- und die GOÄ-Welt miteinander fusioniert werden könnten. Motiviert vielleicht durch solche Berichte: SPD rückt von Bürger­versicherung ab und nennt Arzthonorar­angleichung unverzichtbar. Und schon wieder wird Lauterbach zitiert, der hier große Erwartungen befeuert, die erneut als Bettvorleger enden werden. Denn man kann das auch mit guten Gründen sein lassen, nicht nur, weil die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen Umbaus äußerst gering sein wird, sondern auch, weil die SPD selbst vorgesorgt hat mit der bereits zitierten  Formulierung in dem Verhandlungsauftrag an die, die jetzt möglichst schnell eine neue GroKo ins Leben rufen wollen: Danach gehöre »eine gerechtere Honorarordnung« zu den „geeigneten Schritten“ auf dem Weg in eine Welt ohne „Zwei-Klassen-Medizin“ – unter einer „gerechteren“ Honorarordnung kann man nun wirklich vieles hineinfwrmulieren, auch eine Angleichung der GKV-Vergütung nach oben ohne Infragestellung der PKV-Welt oder einfach nur einen schönen Prüfauftrag im Koalitionsvertrag neu. Prüfen heißt ja nicht, dass man etwas ändern muss.

Zwischen Verschiebebahnhof und einer der GKV fremden gruppenbezogenen Risikoäquivalenz: „Teure“ Hartz IV-Bezieher in der Krankenversicherung mit einer großen „Deckungslücke“

Wie so oft in der sozial- und hier besonders der gesundheitspolitischen Diskussion reden wir über Geld, über richtig viel Geld. Es geht um Milliarden, die man hat oder eben nicht. Und wenn man die nicht hat, vor allem dann nicht, wenn sie einem vorenthalten werden, gibt es große Anreize, diesen Tatbestand öffentlich zu machen, am besten nach dem etablierten Muster „Eine Studie hat ergeben …“, so dass man daraus und der sich anschließenden Berichterstattung Druck aufbauen kann, politische Weichenstellungen zu korrigieren. Diese Vorbemerkungen müssen sein, wenn man solche Schlagzeilen zur Kenntnis nehmen muss, deren Impulsgeber in dieser Meldung zu finden ist: Bund erstattet Krankenkassen Milliarden zu wenig, so die FAZ:

»Ein neues Gutachten zeigt, dass die Bundesregierung den Krankenkassen jedes Jahr fast zehn Milliarden Euro weniger zahlt, als diese für Hartz-IV-Bezieher ausgeben … Demnach decken die Überweisungen des Staates an die Kassen nur 38 Prozent der dort anfallenden Ausgaben für ALG-II-Bezieher, Aufstocker und Arbeitslose. Die Unterdeckung belaufe sich auf 9,6 Milliarden Euro im Jahr. Statt der bezahlten knapp 100 Euro sei eigentlich ein Betrag von bis zu 290 Euro je Hilfebezieher und Monat nötig, um deren Kosten auszugleichen.«

Das wurde von anderen Medien aufgegriffen: Hartz-IV-Empfänger: Staat zahlt Krankenkassen zehn Milliarden Euro zu wenig, so beispielsweise Spiegel Online. Dort findet man diesen Hinweis: »Das Problem kam bereits Anfang vergangenen Jahres während der Flüchtlingskrise auf. Schon damals klagten die Kassen, der Bund komme nicht annähernd für die Kosten zur Gesundheitsversorgung von Hartz-IV-Empfängern auf. Damals wurde befürchtet, dass sich das Problem durch arbeitslose Flüchtlinge verschärfen könnte, die nach 15 Monaten in die gesetzliche Krankenversicherung wechseln können und ebenfalls Leistungen nach den Hartz-IV-Regelungen (Arbeitslosengeld II) bekommen.«

Das wurde auch in diesem Blog am 21. Februar 2016 in einem längeren Beitrag behandelt: Teure Flüchtlinge und/oder nicht-kostendeckende Hartz IV-Empfänger? Untiefen der Krankenkassen-Finanzierung und die Frage nach der (Nicht-mehr-)Parität. In diesem Beitrag wird Timot Szent-Ivanyi zitiert, der in seinem Artikel Krankenkassen droht Milliardendefizit ausgeführt hat:

»Der Bund überweist viel zu geringe Krankenkassenbeiträge für Flüchtlinge und andere Hartz-IV-Empfänger. Das so entstehende Loch müssen die gesetzlich Versicherten über höhere Zusatzbeiträge ausgleichen.«

Die Argumentationskette damals spielt auch heute wieder eine Rolle, nur mit anderen Werten:

»Flüchtlinge werden in Bezug auf die Sozialsysteme nach einer Wartezeit von 15 Monaten normalen Arbeitnehmern gleich gestellt. Wenn sie keinen Job haben – was zunächst für die meisten Flüchtlinge gelten wird, haben sie Anspruch auf Arbeitslosengeld II (Hartz-IV). Sie erhalten zudem die vollen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, die Beiträge an die jeweilige Kasse zahlt der Bund. Die Höhe der vom Bund übernommenen Beiträge ist aber nicht ansatzweise kostendeckend. Derzeit zahlt der Bund für jeden Hartz-IV-Empfänger rund 90 Euro im Monat. Zwar fehlen noch verlässliche Zahlen, wie hoch die von Flüchtlingen verursachten Gesundheitskosten tatsächlich sind. Es gibt allerdings erste Erfahrungswerte aus Hamburg, die von Kosten in Höhe von 180 bis 200 Euro im Monat ausgehen. Auch in Nordrhein-Westfalen wird dieser Wert für realistisch gehalten. Dabei wird davon ausgegangen, dass viele Flüchtlinge traumatisiert sind und eine umfangreiche medizinische Behandlung benötigen.«

Ging es Anfang des vergangenen Jahres noch um die Gruppe der Flüchtlinge, stehen nun wieder einmal die Hartz IV-Bezieher insgesamt und damit eine weitaus größere Gruppe im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Um die Differenz zwischen den Einnahmen und den auf sie entfallenden Ausgaben zu beziffern, wurde das IGES-Institut beauftragt, für die Bundesgesundheitsministerium eine entsprechende Studie zu erstellen. Die ist nun veröffentlicht worden und darauf bezieht sich auch die aktuelle Berichterstattung:

Martin Albrecht et al. (2017): GKV-Beiträge der Bezieher von ALG II. Forschungsgutachten zur Berechnung kostendeckender Beiträge für gesetzlich krankenversicherte Bezieher von Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld im SGB II. Ergebnisbericht für das Bundesministerium für Gesundheit, Berlin, Dezember 2017

Das Bundesgesundheitsministerium »musste zu der IGES-Analyse aber erst vom Bundesrat motiviert werden. Im Juli 2016 hatte die Länderkammer den Bund aufgefordert, „transparent und zeitnah die Leistungsausgaben der Krankenkassen und die geleisteten Beiträge für ALG II-Bezieher zu evaluieren“. Seit den Hartz-Reformen im Jahr 2005 hat der Bund mehrfach an den Bemessungsgrundlagen für die Beiträge der Hartz IV-Empfänger geschraubt – stets zu Lasten der GKV«, kann man diesem Artikel von Florian Staeck entnehmen: Lastesel GKV: Der Bund verschiebt Milliarden bei Hartz IV.

Das Eindampfen der Einkommensbasis, von der dann Beiträge abgeleitet werden, hat bei Arbeitslosen vor allem im steuerfinanzierten Bereich eine lange Geschichte. Bereits mit dem Rentenreformgesetz 1992 wurde mit Wirkung zum Jahr 1995 eingeführt, dass Beiträge für die Krankenversicherung der Arbeitslosenhilfe-Bezieher nicht mehr auf die volle Höhe, sondern nur noch auf 80 Prozent des der Lohnersatzleistung zugrundeliegenden Arbeitsentgelts zu zahlen waren seitens der damaligen Bundesanstalt für Arbeit. Nach einem Zwischenschritt 1997 wurde dann 2001 der Anteil auf nur noch 58 Prozent abgesenkt und damit gegenüber der Zeit vor 1996 quasi halbiert. Nach der Einführung von Arbeitslosengeld II im Jahr 2005 im Zuge der Hartz-Gesetze wurde mehrere Änderungen der Beitragsbemessung vorgenommen, die letzte erfolgte mit dem GKV-FQWG zum Jahr 2016. Die führte dazu, dass der 2015 noch gezahlte Monatsbeitrag von 145 Euro auf 90 Euro abgesenkt wurde, wenn auch die bis dahin gegebene beitragsfreie Familienmitversicherung gestrichen wurde (aber nicht für die Kinder bis 14 Jahre). Davon versprach man sich unterm Strich keine Einnahmeausfälle für die GKV. Aber: Die Hoffnung, dass die Umstellung für die Krankenversicherung kostenneutral ist, hat sich allerdings nicht erfüllt. Die Kassen verlieren gegenüber der alten Regelung 120 Millionen Euro im Jahr, Tendenz steigend, so der Hinweis in dem Blog-Beitrag aus dem Februar 2016.

Aktuell zahlt der Bund für Bezieher von Arbeitslosengeld II einen Krankenversicherungsbeitrag von 96,81 Euro an den Gesundheitsfonds. Das IGES-Gutachten hatte nun den Auftrag, »die Differenz zwischen den GKV-Beitragszahlungen für bzw. von ALG-II-Bezieher(n) einerseits und den Ausgaben der Krankenkassen für diese Personen und den ihnen zuzurechnenden Beziehern von Sozialgeld andererseits zu ermitteln, um so das aktuelle Ausmaß einer systemischen Unterdeckung der Kosten der Existenzsicherung dieser Personengruppe in der GKV aufzuzeigen. Darüber hinaus soll auf dieser Basis eine kostendeckende Beitragspauschale berechnet und daraus ein kostendeckender Faktor … abgeleitet werden« (Albrecht et al. 2017: 9 f.).

Die Ergebnisse der Berechnungen sind in der Abbildung am Anfang dieses Beitrags dargestellt. Den Beitragseinnahmen der GKV für die Hartz IV-Bezieher in Höhe von insgesamt 5,9 Mrd. Euro stehen laut Gutachten Gesamtausgaben in Höhe von 15,5 Mrd. Euro gegenüber (wobei zu den Leistungsausgaben den Personenkreis betreffend in Höhe von 14,5 Mrd. Euro noch 949 Mio. Euro von den Verwaltungsausgaben der Krankenkassen kalkulatorisch auf die Hartz IV-Bezieher umgelegt wurden. In der Bilanz ergibt sich ein nicht gedeckter Betrag in der Größenordnung von 9,6 Mrd. Euro  pro Jahr, auf denen die GKV „sitzen bleibt“, die also von den anderen Versicherten mitfinanziert werden müssen. Über alle Hartz IV-Beziehergruppen hinweg ergibt sich nach dem Gutachten, dass  gerade einmal 38 Prozent der Krankenversicherungskosten aus Steuermitteln finanziert werden., wir also mit einer Deckungslücke von 62 Prozent konfrontiert werden. Fazit: Der Bund verschiebt also sozialpolitische Lasten in Milliardenhöhe an die GKV-Mitglieder und dabei einseitig auf die Versicherten, da ja der Arbeitgeberanteil zur GKV-Beitragsfinanzierung eingefroren wurde im Beitragssatz, während die Versicherten – vor allem über den Mechanismus der Zusatzbeiträge – die Kostenanstiege (und auch politisch produzierte Beitragsausfälle) alleine zu schultern haben.

Und das IGES-Gutachten liefert auch eine Antwort auf die gestellte Frage nach einer „kostendeckenden Beitragspauschale“, bei der man berücksichtigen muss, dass nach den Daten der Studie die Leistungsausgaben der GKV je Versicherten und Monat laut Schätzerkreis beim Bundesversicherungsamt im vergangenen Jahr 245,49 Euro betrugen, die Leistungsausgaben für Hartz IV-Empfänger aber deutlich über dem GKV-Durchschnitt lagen (und liegen), vor allem bedingt durch höhere Ausgaben im Bereich der Krankenhausleistungen sowie der Arzneimittelausgaben.

Die Gutachter präsentieren hinsichtlich der Größenordnung einer „kostendeckenden Beitragspauschale“ für die Hartz IV-Bezieher den Betrag von 275,31 Euro pro Monat, also 178,50 Euro mehr, als der Bund bisher an den Gesundheitsfonds überweist. Wenn man sich an dieser Stelle in Erinnerung ruft, dass die derzeitige Pauschale von 96,81 Euro pro Monat ein Volumen von fast genau 6 Mrd. Euro bedeutet, kann man sich vorstellen, wie groß das Interesse des Bundes an einer Pauschale von mehr als 275 Euro pro Monat und den damit verbundenen Milliarden-Mehrausgaben aus dem Steuertopf ist.

Damit wären wir angekommen bei einem der Finanzierungsgrundprobleme der GKV – den sogenannten „versicherungsfremden Leistungen“, die eigentlich aus Steuermitteln zu finanzieren sind bzw. wären, denn es handelt sich hier um gesamtgesellschaftliche Aufgaben, die von der GKV übernommen werden. Der Bund hat 2016 hierfür 13,9 Mrd. Euro als Zuschuss in den Gesundheitsfonds eingespeist, für das laufende Jahr 2017 sind 14,5 Mrd. Euro angesetzt. Dem stehen aber – zumindest laut GKV – „versicherungsfremde Leistungen“ in einer ganz anderen Größenordnung gegenüber, wie Florian Staeck in seinem Artikel ausführt:

»Das Gesamtvolumen versicherungsfremder Leistungen hat die GKV für 2013 auf rund 34 Milliarden Euro taxiert … Die größte versicherungsfremde Leistung ist der Versicherungsschutz für Personen, die selber keine Beiträge zahlen. Darunter fällt die beitragsfreie Mitversicherung für Kinder und Jugendliche in Höhe von rund 16 Milliarden Euro, für Ehegatten der Mitglieder (rund 8,1 Milliarden Euro) und Familienangehörige (rund 5,6 Milliarden Euro). Leistungen rund um Schwangerschaft und Mutterschaft, vom Einnahmeverlust durch Beitragsfreiheit bei Mutterschutz und Elternzeit (rund eine Milliarde Euro) bis zu weiteren Leistungen wie Haushaltshilfe oder Krankengeld für Eltern, wenn sie wegen der Betreuung des Kindes nicht arbeiten können (etwa 3,9 Milliarden Euro).«

Vor diesem Hintergrund besteht im Grunde überhaupt kein Zweifel an der mehr als berechtigten Forderung nach einer deutlichen Erhöhung der Steuermittel bei der Finanzierung der GKV.

Allerdings mehr als ambivalent ist die Vorgehensweise einer Einnahmen-Ausgaben-Rechnung für einzelne Gruppen, hier der ALG II-Bezieher aus dem Hartz IV -System. Und die Begründung, aufgrund einer erheblichen „Deckungslücke“ zwischen den Einnahmen und den Ausgaben müsse eine „kostendeckende Beitragspauschale“ konstruiert werden. So verständlich das aus der Perspektive der Kassenhaushalte ist – der ganze Ansatz muss mit sehr spitzen Fingern angefasst werden.

Das hier relevante Problem hat etwas zu tun mit den Grundprinzipien der Gesetzlichen Krankenversicherung, die aus guten Gründen als Sozialversicherung ausgestaltet wurde und nicht als Privatversicherung (jedenfalls für 90 Prozent der Menschen in Deutschland). Man kann sich den Unterschieden zwischen dem Privaten und dem Sozialen beispielsweise so annähern: Grundsätzlich gilt: Das Versicherungsprinzip beruht auf dem statistischen Gesetz der „großen Zahlen“, d.h. dass der im Einzelfall nicht vorhersehbare Risikoeintritt und der vorher nicht  bestimmbare Bedarf an Mitteln für eine größere Gesamtheit der von gleichartigen Risiken Betroffenen zu kalkulierbaren Größen werden. Wie sieht es nun aus, wenn man auf der Basis von Privatversicherungen operiert? Im Falle der Privatversicherung werden die Versicherungsprämien auf der Basis von Risikoausgleichskalkülen nach dem Prinzip der versicherungstechnischen Individualäquivalenz gestaltet, d.h. der strengen Orientierung der Prämienleistungen am Erwartungsschaden (= Risikoeintrittswahrscheinlichkeit x erwartete Schadenshöhe).

Das Sozialversicherungsprinzip ist ein in zweifacher Weise nach dem Grundsatz der Solidarität modifiziertes Individualversicherungsprinzip:

  • Die Beiträge in der Sozialversicherung sind nicht an individuellen Risikowahrscheinlichkeiten orientiert (z.B. sind die Beiträge nicht alters- oder familienstandsabhängig; in der GKV sind allerdings nicht erwerbstätige Familienmitglieder beitragsfrei mitversichert).
  • Auch die Versicherungsleistungen sind nicht streng beitragsorientiert (z.B. sind die Sachleistungen in der GKV beitragsunabhängig), es gibt nur eine  relative Beitragsäquivalenz der Leistungen (man denke hier an den Zusammenhang zwischen Beitragshöhe und den dadurch erworbenen Leistungsansprüchen in der Gesetzlichen Rentenversicherung) und speziell in der GKV haben wir den Tatbestand, dass es bei den dominierenden Sachleistungen überhaupt keine Äquivalenz haben zwischen der Beitragshöhe und dem Leistungsanspruch, anders formuliert: Derjenigen, der „nur“ Beiträge auf 1.700 Euro Monatseinkommen abführt, bekommt eine sehr teure Operation im Bedarfsfall genau so wie jemand, der über der Beitragsbemessungsgrenze verdient und entsprechend hohe Beiträge zahlen muss.

Eine Folge des Solidaritätsprinzips ist es, dass die Sozialversicherung im Gegensatz zur Individual- oder Privatversicherung für die Pflichtversicherten weder Risikoausschlüsse noch Leistungsausschlüsse kennt, also auch die von besonderen Risiken und damit von wirtschaftlicher und sozialer Schwäche besonders bedrohten Menschen bedingungslos und ohne zusätzliche Beitragsleistungen versichert.

Das hat Konsequenzen in der GKV, wir haben es hier mit mehreren Umverteilungsdimensionen zu tun, über die man sich bewusst sein sollte:
  • Zum einen wird in der GKV auf der Finanzierungsseite von hohen zu niedrigen Einkommen umverteilt, denn alle erwerben den gleichen Umfang an Versicherungsschutz (wenn wir vom Sonderfall des Krankengeldes absehen). Ganz genau formuliert haben wir eine doppelte Umverteilung von hohen zu niedrigeren Einkommen.: Zum einen zeitpunktbezogen zwischen verschiedenen Personen, in der GKV aber auch zusätzlich mit Blick auf den Lebenslauf des einzelnen Versicherten eine intertemporale Umverteilung zwischen höheren und geringeren Einkommen der einzelnen Person dadurch, dass die Beiträge in der aktiven Erwerbsphase durch die dort realisierten Einkommen höher sind als in der Zeit des Rentenbezugs, wo geringere Beiträge anfallen für die Krankenkassen. Zugleich ist das aber gerade die Zeit, in der aufgrund der Alterskorrelation vieler Erkrankungen und Behandlungsbedarfe deutlich höhere Ausgaben anfallen. Insofern haben wir eine Umverteilung von jungen zu älteren Versicherten – und das sowohl intra- als auch interpersonell. 
  • Zum anderen haben wir eine Umverteilung von Gesunden zu Kranken, was die grundsätzliche Versicherungsfunktion reflektiert. 
  • Und die Leistungen für die Kranken werden nicht differenziert nach ihrem Beitragsaufkommen. 

Die Abbildung „Aus welchen Quellen finanziert sich die GKV?“ verdeutlicht auf einen Blick, dass es zwischen den einzelnen Finanzierungsbeiträgen und dem, was die Krankenkassen an Leistungen finanzieren, eine Trennung gibt, durch die die beschriebenen Umverteilungsfunktionen realisiert werden können. Die Haupteinnahmequelle der GKV sind die bruttolohnbezogenen Beiträge der Arbeitnehmer und Arbeitnehmer und damit eben eine Berücksichtigung der individuellen Einkommensposition (hier erkennt man auch einen ganz wesentlichen Unterschied zur Prämienbelastung in der PKV, denn die Höhe der dort festgelegten Beiträge ist völlig unabhängig von der individuellen Einkommensposition des Versicherten, selbst wenn der kein Einkommen mehr hat, muss die Prämie geleistet werden). 

Zugespitzt formuliert und hier besonders relevant: In der GKV kann es aufgrund des Finanzierungssystems immer nur „kostendeckende Beiträge“ im Kollektiv geben, niemals für einzelne Teilgruppen des Kollektivs. Konsequenterweise werden dann auch alle Einnahmenkomponenten der Krankenkassen erst einmal in einen großen Topf geschmissen („Gesundheitsfonds“) und in einem zweiten, durch den „morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich“ modifizierten Schritt wieder an die Kassen ausgeschüttet, um deren Ausgaben zu decken.
Die IGES-Studie und die Argumentation der Krankenkassen, so nachvollziehbar sie auch isoliert betrachtet ist, stellt ab auf ein der bisherigen GKV wesensfremdes Element – einer „gruppenbezogenen Risikoäquivalenz“ und damit ein Merkmal, das wir – wenn überhaupt – aus der Kalkulationslogik der Prämien in der Privaten Krankenversicherung kennen, die aber ganz anderen Konstruktionsprinzipien folgt.

„Kostendeckende“ Beiträge für einzelne Teilgruppen unter den Versicherten würden eine zentrale Säule der GKV als Sozialversicherung zerstören (müssen) – und wenn man das aus strategisch-taktischen Motiven für die Gruppe der Hartz IV-Bezieher macht, warum dann nicht auch für andere Gruppen, beispielsweise für die Rentner in der GKV? Ob bewusst oder (eher wahrscheinlich) unbewusst – hier wird die Umverteilungsmechanik der GKV als Sozialversicherung in Frage gestellt.
Das bedeutet nicht, dass man die derzeitige (und über die vergangenen Jahre mehrfach abgesenkte) Beitragspauschale des Bundes für die GKV-versicherten Grundsicherungsempfänger nicht unbedingt anheben müsste. Ganz offensichtlich werden wir hier erneut Zeuge eines der klassischen Verschiebebahnhöfe des Bundes von der (eigentlich „richtigen“) Steuerfinanzierung hin zu einer Belastung der in einem Parafiskus organisierten Beitragszahler, um die eigenen Kassen zu entlasten. Das gilt aber, wie gezeigt, auch für andere „versicherungsfremde“ Leistungen. Diese systemadäquat abzugrenzen und „richtig“ zu finanzieren, das wäre allen Schweiß der Edlen wert. Aber dann müsste man auch konsequent berücksichtigen, dass es bei allen anderen Gruppen in der GKV eben keine „kostendeckende Beitragskalkulation“ gibt, wie sie jetzt für diese eine Teilgruppe mit dem IGES-Gutachten versucht wird. Sondern die Beiträge orientieren sich (noch?) an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gemessen an der individuellen Einkommenslage. Dann müsste man folglich konsequenterweise die Beiträge der Hartz IV-Empfänger an der Gesamtsumme der als Einkommensersatz an sie fließenden Leistungen bemessen (was im Grunde heute schon passiert mit dem „beitragspflichtigen Einnahmen“, allerdings eben politisch kleingeschreddert, vgl. § 232a Abs. 1 Nr. 2 SGB V), auch wenn das Vorgehen bedeuten kann, dass man eben keine „kostendeckende Beiträge“ von dieser einen Gruppe bekommen kann. 

Und vor jeder neuen Legislaturperiode grüßt die „Bürgerversicherung“. Über ein fundamentales Umbauanliegen und das Schattenboxen vor dem Haifischbecken

Die Cineasten unter den Lesern werden den Klassiker „Und täglich grüßt das Murmeltier“ aus dem Jahr 1993 kennen. Bill Murray spielt darin einen arroganten, egozentrischen und zynischen Wetteransager, der in einer Zeitschleife festsitzt und ein und denselben Tag immer wieder erlebt, bis er als geläuterter Mann sein Leben fortsetzen kann. In so einer Zeitschleife scheint ganz offensichtlich auch die Forderung nach einer „Bürgerversicherung“ festzustecken – wobei die Läuterung, die zur Auflösung der andauernden Wiederholung der Forderung und dann deren Nicht-Einlösung derzeit noch auf sich warten lässt.

Wenn man schon einige Jahre unterwegs ist in der Sozialpolitik, dann kennt man das Prozedere. Nehmen wir als Beispiel die erste Große Koalition zwischen CDU/CSU und SPD, die 2005 nach der Abwahl der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder gebildet werden musste. CDU/CSU und SPD waren mit grundsätzlich verschiedenen Konzepten für einen Systemwechsel, zumindest hinsichtlich der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung, in den Wahlkampf 2005 gezogen („Bürgerversicherung“ versus „Gesundheitsprämie“). Diese beiden Konzepte waren derart unterschiedlich, dass sie für die Jahre 2005 bis 2009 stillgelegt werden mussten (vgl. zur Bilanz der damaligen GroKo, in deren Mittelpunkt der Gesundheitsfonds stand, diesen Beitrag: Stefan Sell: Die Suche nach der Goldformel. Bürgerversicherung oder Kopfpauschale – trotz großer Gegensätze haben Union und SPD die Gesundheitspolitik vier Jahre lang gemeinsam gelenkt. Das Zauberwort für die schwarz-rote Reform heißt Gesundheitsfonds, in: Gesundheit und Gesellschaft, Heft 7-8/2009, S. 35-41).

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