Eine sichere Anlage, folgt man neuen Studien: Pflegeheime. Also von oben betrachtet und mit Blick auf die Zukunft. Wobei die bekanntlich immer unsicher ist

Am 29. September 2015 wurde in diesem Blog im Beitrag Immer mehr davon. Der Bedarf an zusätzlichen Pflegeheimplätzen in den Bundesländern. Ein weiterer Blick in die Pflegeinfrastruktur-Glaskugel berichtet über eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), in der versucht wird, die (möglichen) Auswirkungen der angenommenen Entwicklung der Zahl der Pflegebedürftigen auf die Pflegeinfrastruktur zu bestimmen – und dies dann differenziert nach den Bundesländern. Die Studie im Original: Susanna Kochskämper und Jochen Pimpertz: Herausforderungen an die Pflegeinfrastruktur, in: IW-Trends Heft 3/2015, S. 59-75. Die präsentierten Zahlen beeindrucken: 2,6 Millionen Menschen waren 2013 in Deutschland pflegebedürftig, diese Zahl dürfte nach den IW-Schätzungen bis zum Jahr 2030 um bis zu 828.000 steigen. Bundesweit müssen dafür bis zu 220.000 Plätze mehr in Pflegeheimen geschaffen werden. Aber wie kann das sein angesichts der vielen Berichte, dass die Menschen immer länger zu Hause verbleiben (bis es gar nicht mehr geht) und der Fokus der Politik angeblich auf der Stärkung der ambulanten Versorgung der Pflegebedürftigen liegt? Dazu die IW-Wissenschaftler: »Anders als die Bundesregierung gehen die Wissenschaftler nicht davon aus, dass Heimpflege zunehmend „out“ werden und der Anteil von ambulant erbrachter Pflege durch Angehörige oder Nachbarn in Zukunft merklich steigen könnte. Im Gegenteil: Bundesweit sei eher ein Trend zu mehr professioneller Pflege zu beobachten … Zu berücksichtigen seien zudem eine weiter steigende Erwerbstätigenquote von Frauen und die wachsende Zahl von Alleinstehenden und Kinderlosen,« so Rainer Woratschka in einem Artikel über die IW-Studie.

Das IW selbst erläutert diesen Punkt so: »Die Politik setzt derzeit auf mehr ambulante Pflege, insbesondere durch Angehörige und Ehrenamtliche. Realistisch ist das nicht, warnt IW-Forscher Jochen Pimpertz: „Bislang fehlen empirische Beweise dafür, dass die familiäre oder nachbarschaftliche Pflege steigt.“ Bundesweit gibt es eher einen Trend hin zu mehr professioneller Pflege. Zudem spielen gesellschaftliche Entwicklungen eine Rolle: Die Zahl der Single-Haushalte steigt, genau wie die Gruppe der Kinderlosen. Partner und Kinder fallen damit immer häufiger als potenzielle Pfleger weg. Auch ist nicht absehbar, wie sich die steigende Erwerbstätigkeit von Frauen auf die Pflegebereitschaft auswirkt. Bislang übernehmen vor allem Töchter, Schwestern und Schwiegertöchter die Pflege, was sich allein rein zeitlich meist nicht mit einem Job vereinbaren lässt.«

Und die IW-Vorhersagen bekommen nun gewissermaßen „Instituts-Unterstützung“ seitens des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen, das den „Pflegeheim Rating Report 2015“ von RWI, hcb GmbH und Philips GmbH veröffentlicht hat (vgl. die Zusammenfassung des Reports). Die Pressemitteilung dazu hat das RWI überschrieben mit: Pflegeheime: Alterung der Gesellschaft wird zu Engpässen führen: »Den meisten deutschen Pflegeheimen geht es momentan zwar wirtschaftlich gut, in den nächsten Jahren drohen aufgrund der zunehmenden Alterung der Gesellschaft jedoch Engpässe bei stationären Pflegeplätzen und Pflegepersonal.«

Rainer Woratschka hat seinen Artikel zum Pflegeheim Rating Report 2015 kurz und bündig, gleichsam provozierend überschrieben mit: Run auf Pflegeheime: »Zu den 700.000 Vollzeit-Pflegekräften, über die man derzeit verfüge, müssten bis 2030 weitere 345.000 hinzukommen. Für neue Heime seien Investitionen von 80 Milliarden Euro nötig … Allein die Heime müssten in den nächsten 15 Jahren um bis zu 321.000 Pflegeplätze aufgestockt werden.«

Das RWI selbst präsentiert einige zentrale Befunde aus dem neuen „Pflegeheim Rating Report 2015“ (Für die aktuelle Ausgabe des alle zwei Jahre erscheinenden Reports wurden 469 Jahresabschlüsse ausgewertet, die insgesamt 2 252 Pflegeheime umfassen. Zudem berücksichtigt der Report amtliche Daten des Statistischen Bundesamts von allen rund 13 000 Pflegeheimen, 12 700 ambulanten Diensten und 2,6 Millionen Pflegebedürftigen):
Die meisten deutschen Pflegeheime befinden sich in einer guten wirtschaftlichen Lage. Im Jahr 2013 befanden sich lediglich 7% im „roten Bereich“ mit erhöhter Insolvenzgefahr, während 72% im „grünen Bereich“ mit geringer Insolvenzgefahr lagen. Ihre durchschnittliche Ausfallwahrscheinlichkeit (Zahlungsunfähigkeit) lag mit 0,9% deutlich niedriger als die von Krankenhäusern und Rehakliniken.
Hinsichtlich des zukünftigen Bedarfs erfahren wir beim Rai direkt und etwas differenzierter als in dem Beitrag von Woratschka:

»Der gesamte deutsche Pflegemarkt ist ein Wachstumsmarkt. Zwischen 1997 und 2013 hat sich sein Anteil am gesamten Gesundheitsmarkt von 8,6% auf 12,7% erhöht. Insgesamt gab es im Jahr 2013 2,6 Millionen Pflegebedürftige. Ihre Zahl wird bis zum Jahr 2030 voraussichtlich um ein Drittel auf 3,5 Millionen ansteigen. Damit verbunden ist ein zusätzlicher Bedarf von voraussichtlich zwischen 131.000 und 321.000 stationären Pflegeplätzen. Die dafür erforderlichen Neu- und Re-Investitionen belaufen sich auf 58 bis 80 Milliarden Euro. Darüber hinaus ist auch mehr Personal erforderlich. Bis 2030 ist mit insgesamt 128.000 bis 245.000 zusätzlichen Stellen (Vollkräfte) in der stationären und mit 63.000 bis 124.000 in der ambulanten Pflege zu rechnen.«

Hier werden korrekterweise Spannweiten angegeben angesichts der Unsicherheiten, die mit der Vorhersage verbunden sind. Allerdings verdeutlichen die Schätzgrößen auch das Dilemma, vor dem man vor Ort steht, wenn es um die handfeste Planung der Pflegeinfrastruktur geht. Zwischen 131.000 und 321.000 stationäre Pflegeplätze – das ist nun schon eine höchst relevante Unsicherheit in der Vorhersage, was auch angesichts der Vielzahl und interagierender Komplexität der Einflussfaktoren nicht wirklich überrascht.
Zwar erreichte die Zahl der Pflegeheime im Jahr 2013 einen neuen Höchstwert von 13.030 und die Zahl der Plätze erhöhte sich auf 903.000. Dennoch stieg die durchschnittliche Auslastung der Heime an.
Sollte die Vorhersage des RWI der Wirklichkeit entsprechen, dann wird sich das heute schon bekannte Personalmangelproblem in der Pflege weiter verschärfen – und zwar deutlich:

»Im Jahr 2013 waren in der ambulanten und stationären Pflege 1.005.000 Personen beschäftigt, was 704.000 Vollkräften entsprach, davon 297.000 Pflegefachkräfte. Zwischen 1999 und 2013 wurden fast 239.000 Arbeitsplätze geschaffen. Gleichzeitig nimmt der Mangel an Pflegefachkräften zu: Im März 2015 lag die Zahl der gemeldeten offenen Stellen bei Heimen mehr als dreimal so hoch wie im März 2007.«

Die Gewinnung des dafür notwendigen Personals wird sich zunehmend als schwierig herausstellen:

»Ziel sollte es sein, die Verweildauer im Pflegeberuf zu verlängern, die Vollzeitquote auszuweiten und neue Auszubildende zu gewinnen. Dazu werden die Löhne für qualifiziertes Personal gegenüber Hilfskräften steigen müssen.«

»Steigen die Löhne im Pflegebereich an, wird das zunächst die wirtschaftliche Lage  der Pflegeheime verschlechtern. Der Lohndruck dürfte dann über steigende Preise für Pflegeleistungen aufgefangen werden. Die dadurch bedingte höhere Belastung der Pflegebedürftigen und der Sozialhilfeträger wird allerdings Gegenreaktionen auslösen. Heime, die dem Kostendruck durch effizientere Abläufe entgegenwirken können, werden sich Wettbewerbsvorteile verschaffen. Zudem lässt sich die betriebliche Effizienz über horizontale und vertikale Integration weiter erhöhen. Hinzu kommt, dass der Pflegemarkt in Deutschland nach wie vor sehr kleinteilig ist. Die Bildung großer Verbünde zur Nutzung gemeinsamer Ressourcen ist daher noch in großem Maße möglich.«

Auf einen interessanten Aspekt weist Rainer Woratschka in seinem Artikel Run auf Pflegeheime hin:

„Es scheint sogar, dass heute leichte Fälle schneller im Heim landen als noch vor zehn Jahren“, so Sebastian Krolop in seinem Beitrag: »Die meisten dieser Zuweisungen gibt es der Studie zufolge nach Klinikaufenthalten. Betraf dies 2003 noch rund 88.000 Patienten, sind es inzwischen pro Jahr viermal so viele. „Rund 70 Prozent der Neuzugänge eines Pflegeheims kommen heute direkt aus dem Krankenhaus“, heißt es in dem Report.

Und weiter erfahren wir:

»Die meisten dieser Zuweisungen gibt es der Studie zufolge nach Klinikaufenthalten. Betraf dies 2003 noch rund 88.000 Patienten, sind es inzwischen pro Jahr viermal so viele. „Rund 70 Prozent der Neuzugänge eines Pflegeheims kommen heute direkt aus dem Krankenhaus“, heißt es in dem Report.«

Und: »Als Ursache dafür vermuten die Autoren die Einführung der Fallpauschalen. Dadurch sei es in den Kliniken zu einem „Outsourcing von Pflege“ gekommen. Seit 2003 sei dort die Verweildauer von 8,9 auf 7,5 Tage gesunken. Patienten würden also „schneller verlegt … .«

Die zwei Welten des (Nicht-)Personalmangels in der Krankenhauspflege

Es ist schon so viel geschrieben und damit gesagt worden zum Thema Pflegekräftemangel in den Krankenhäusern unseres Landes. Man mag eigentlich nicht mehr, aber dieser Impuls kann und darf nur ein vorübergehender sein, wenn man sich die vielen Hilferufe aus der Pflege anhören muss, die den erreichen, der hinhört und hinhören will. Man könnte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass doch in zahlreichen Studien immer wieder der heute schon manifeste und sich weiter zuspitzende Pflegemangel nicht nur in der Altenpflege, sondern auch in vielen Kliniken herausgearbeitet worden ist – und das dringender Handlungsbedarf besteht. Zuweilen ist es mehr als aufschlussreich, ganz nach unten zu gehen und sich den Verhältnissen und deren Interpretation vor Ort anzuschauen, um einen Eindruck zu bekommen, wie „auf Kante genäht“ viele Pflegekräfte ihren Arbeitsalltag offensichtlich verbringen müssen – und zugleich, wie die Verantwortlichen in ihrer Welt agieren und argumentieren.

Ein lehrreiches Beispiel dafür erreicht uns aus Baden-Württemberg, genauer: aus dem Krankenhaus in Bietigheim-Bissingen, Landkreis Ludwigsburg.  Hilferuf der Pflegekräfte – so ohne jeden Schnörkel hat Melanie Braun ihren Artikel überschrieben. Kurz zum Sachverhalt: Ein Stationsleiter des Bietigheimer Krankenhauses hat seine Position wegen Arbeitsüberlastung nach 15 Jahren gekündigt. Er habe erklärt, die herrschenden Verhältnisse dem Personal und den Patienten gegenüber ethisch nicht mehr vertreten zu können, heißt es. Seine Mitarbeiter prangern nun in einem offenen Brief massive Missstände an.  Die Belegschaft der kardiologischen Station 1B im Bietigheimer Krankenhaus spricht in diesem offenen Brief »von unzumutbaren Zuständen in ihrem Arbeitsalltag, von einem schändlichen Umgang der Klinikleitung mit Mitarbeitern und Patienten und von dramatischen Personalengpässen.«

Und wie unter einem Brennglas kann man an diesem konkreten Fall die beiden Welten des (Nicht-)Personalmangels studieren. Auf der einen Seite die Pflegekräfte, auf der anderen das Management und die Verantwortlichen für die Organisation der Klinik.

Werfen wir zuerst einen Blick auf die, die die Arbeit machen (müssen). Über deren Perspektive berichtet Melanie Braun:

„Wir sind geschockt, aufgewühlt und sehr traurig, aber auch sehr wütend gegenüber der gesamten Führungsebene, aber auch gegenüber den Politikern“, heißt es darin. Denn es werde „extrem rücksichtslos“ mit der Gesundheit der Menschen umgegangen, die Pflegekräfte würden „benutzt wie Material“ und „ohne Rücksicht auf Verluste bis aufs Letzte ausgelaugt“. Wegen der angespannten Personalsituation und einem seit Langem hohen Krankenstand komme es immer wieder zu Versorgungsengpässen bei den Patienten, zudem steige die Gefahr, dass Fehler passierten … Marc Kappler, Gewerkschaftssekretär im Fachbereich Gesundheit bei Verdi, wurde bereits vor Monaten vom Team der Station 1B zu Hilfe gerufen. Tatsächlich habe es zwischendurch Verbesserungen gegeben, bestätigt er: So sei die Zahl der Betten von 36 auf 30 reduziert worden und die Beratungsfirma habe versucht, Abläufe zu optimieren. Doch weil das Team, das aus 15 Vollzeitstellen besteht, bereits seit Jahren zusammen arbeite und sehr eingespielt sei, habe es wenig Verbesserungspotenzial gegeben. Zudem sei die Zahl der belegten Betten inzwischen wieder gestiegen … Aus seiner Sicht würde es bereits helfen, in dieser Notsituation nur für eine gewisse Zeit mehr Kräfte auf der Station einzusetzen, damit das Personal sich erholen und wieder gesund werden könne – dann könne man schauen, ob die aktuelle Besetzung ausreiche oder nicht. Doch die Chefetage habe bislang auf stur geschaltet.«

Aber offensichtlich kann man das auch alles ganz anders sehen. Hier die Perspektive des Managements:

Die Klinikleitung kann die Aufregung jedoch nicht verstehen. „Ich bin überrascht über das Schreiben“, sagt Jörg Martin, Chef der Regionalen Klinikenholding (RKH), zu der auch das Bietigheimer Krankenhaus gehört. Denn man sei schon seit Monaten mit der Station im Gespräch und habe bereits Maßnahmen ergriffen, um die Belastung der Pflegekräfte zu reduzieren. So habe man ein externes Beratungsunternehmen ins Haus geholt, das zusammen mit den Mitarbeitern Lösungen suche. Es habe Coachings gegeben, Workshops und eine Reduzierung der Betten … Ein strukturelles Problem gibt es laut Jörg Martin allerdings nicht: „Ich sehe nicht, dass die Station chronisch unterbesetzt ist“, sagt er – die externe Beratungsfirma stimme ihm da zu. Engpässe oder Probleme könne es immer mal geben, aber er versuche stets, rechtzeitig gegenzusteuern. Auch der Landrat Rainer Haas, Vorsitzender des Aufsichtsrats der Klinikenholding, sieht keinen Handlungsbedarf: „Ich habe keinen Anlass, an den Informationen der Geschäftsführung zu zweifeln“, sagt er.

So oder ähnlich wird es derzeit in vielen Krankenhäusern ablaufen. Und es wird immer schlimmer (werden müssen), wenn man sich nur einige wenige strukturelle Rahmenbedingungen verdeutlicht. Im Kontext des unbefristeten Streiks von Pflegekräften an der Berliner Charité im Sommer dieses Jahres (vgl. dazu auch die Beiträge in diesem Blog Mehr, sie brauchen und wollen mehr. Mehr Personal. Ein Streik, der das Gesundheitssystem erschüttern könnte. Der Arbeitskampf des Pflegepersonals an der Charité in Berlin vom 22.06.2015 sowie Nicht mehr Geld, sondern mehr Leute: Der unbefristete Pflegestreik an der Charité in Berlin wird ausgesetzt. Eckpunkte für eine zukünftige Personalausstattung vereinbart vom 01.07.2015) hat Rainer Woratschka seinen Artikel zutreffend und das Kernproblem auf den Punkt bringend so überschrieben: Immer weniger Pflegekräfte für immer mehr Patienten.
Daraus nur einige wenige Zahlen:

»Musste 1991 eine Vollzeitkraft rechnerisch 45 Fälle versorgen, waren es 2013 schon 59. Die Zahl der Behandlungsfälle stieg bundesweit um 28,9 Prozent auf fast 19 Millionen. Gleichzeitig ging das Personal, in Vollzeitkräften gerechnet, um 1,2 Prozent auf 316 000 zurück. Massiv gestiegen ist auch die Zahl der Pflegekräfte, die über das vereinbarte Pensum hinaus zu arbeiten hatten – wie eine Sonderauswertung des Statistischen Bundesamtes ergab. Waren es 2011 noch 79 000, die derartige Mehrarbeit erbrachten, lag die Zahl 2013 bereits bei 104 000 – ein Anstieg um 32 Prozent. Die Zahl der Beschäftigten mit Mehrarbeit in Form von Überstunden erhöhte sich um 57 Prozent. Die Fälle von Mehrarbeit über Arbeitszeitkonten nahmen um 24 Prozent zu.«

Diese Entwicklung korrespondiert mit einer erheblichen Verschiebung der Grundgesamtheit der pflegerisch zu versorgenden Patienten, die sich eindampfen lässt auf: Immer kürzer, immer intensiver.

»Hintergrund ist neben der steigenden Patientenzahl auch die infolge des Kostendrucks kürzere Verweildauer der Patienten. Sie sank zwischen 1991 und 2013 von 14 auf durchschnittlich 7,5 Tage – an der Charité gar auf 5,9 Tage.«

Das alles hat was mit dem Finanzierungssystem der Krankenhäuser zu tun, also dem Fallpauschalensystem auf DRG-Basis sowie dem erheblichen Investitionsstau, der sich herausgebildet hat im System der dualen Krankenhausfinanzierung, weil die Bundesländern ihren Part bei der Finanzierung der notwendigen Investitionen nicht ausreichend gerecht geworden sind.

Die Altenpflege und die Pflegereform II. Auf der einen Seite himmelhoch jauchzend, auf der anderen Seite zentrale Baustellen, auf denen nichts passiert und Vertröstungen produziert werden

Es ist vollbracht. Auch die zweite Stufe der Pflegereform
hat die parlamentarischen Hürden genommen und das „Zweite Pflegestärkungsgesetz“
wurde im Bundestag verabschiedet. Auf der Mitteilungsseite
des Bundestags
zu den Beschlüssen liest sich das bürokratisch-trocken so: »Gegen
das Votum der Linken bei Enthaltung der Grünen hat der Bundestag am 13.
November den zweiten Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stärkung der
pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (18/5926, 18/6182) in der vom
Gesundheitsausschuss geänderten Fassung (18/6688) angenommen.
Damit wird ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff und ein neues
Begutachtungsinstrument mit fünf Pflegegraden eingeführt. Dadurch sollen die
Inhalte der Pflegeversicherung und die pflegerische Leistungserbringungen auf
eine neue pflegefachliche Grundlage gestellt werden. Erstmals werden alle für
die Feststellung der Pflegebedürftigkeit relevanten Kriterien in einer
einheitlichen Systematik erfasst. Ergänzt und neu strukturiert werden die
Vorschriften zur Sicherung und Entwicklung der Qualität in der Pflege. Der
Beitragssatz der sozialen Pflegeversicherung wird um 0,2 Beitragssatzpunkte
erhöht.« Immerhin kann man der Mitteilung entnehmen, dass es nicht nur eine
Große Pflegekoalition gibt, sondern auch die beiden Oppositionsparteien hatten
– erwartungsgemäß erfolglos – versucht, den Finger auf weiter offene Wunden zu
legen: der Finanzierung des Systems und der Personalfrage:

»Gegen die Stimmen der übrigen Fraktionen scheiterte Die
Linke mit ihrem Entschließungsantrag (18/6692), einen
Gesetzentwurf zur Einführung eines neuen Pflegebegriffs vorzulegen. Mit
dem gleichen Stimmenverhältnis lehnte der Bundestag einen Antrag der Linken (18/5110) ab, in dem
die Einführung einer Bürgerversicherung in der Pflege gefordert wird. Damit
ließen sich Reformen wie die Einführung des neuen Pflegebegriffs und deutliche
Leistungsverbesserungen schultern, argumentierte die Fraktion. Gegen das Votum
der Opposition scheiterten die Grünen mit einem Antrag (18/6066), indem
umfassende Maßnahmen gegen den Personalmangel in der Pflege gefordert werden.
Unter anderem wollten die Grünen eine Pflege-Bürgerversicherung einführen und
pflegende Angehörige stärker unterstützen.«

Wenn es jemand gerne überschäumender hätte hinsichtlich der
positiven Bewertung der nun verabschiedeten zweiten Stufe der Pflegereform,
dann sollte man einen Blick werfen in den Artikel Bundestag
beschließt Revolution des Pflegesystems
von Rainer Woratschka.
Offensichtlich ist hier Großes geleistet worden: »Der Bundestag hat eine
Pflegereform abgesegnet, die den Namen wirklich verdient. An Kleinreparaturen
hatten sich schon etliche Minister versucht. Hermann Gröhe vollendet nun einen
Kraftakt.«

Vielleicht liegt die Wahrheit ja irgendwie in der Mitte.
Dann wären wir konfrontiert mit der Gleichzeitigkeit von wichtigen und guten
Weiterentwicklungen des bestehenden Systems (bei denen es anders als ansonsten
mittlerweile beim Thema Reformen nicht um Einsparungen und
Leistungsreduzierungen geht) und zugleich aber auch die Fortexistenz
grundlegender Systemprobleme, deren Bearbeitung entweder ausgeklammert oder auf
die zeitlich lange Bank zwischengelagert werden.

Einen Hinweis auf die Ambivalenz der Pflegereform kann man
beispielsweise der reichlich miesepetrigen Kommentierung in der FAZ entnehmen.
Heike Göbel schreibt unter der wegweisenden Überschrift Wähler-Pflege:
»Der Bundestag hat den teuersten Ausbau der gesetzlichen Pflegeversicherung
seit deren Gründung vor zwanzig Jahren beschlossen. Aber die Regierung scheut
sich, die Bürger mit den vollen Konsequenzen zu konfrontieren.« Und weiter:

»Pünktlich zur Bundestagswahl 2017 wächst damit der Kreis
der Anspruchsberechtigten, vor allem durch die Einbeziehung der Demenzkranken,
um eine halbe Million. Zugleich steigen vielfach die Leistungen, die
Eingruppierung der zu Pflegenden erfolgt nach einem ganz neuen Schlüssel. Die
Umstellung ist mit Bestandsschutz für die verbunden, die schon Geld erhalten.
Ihre Leistungen können nur steigen, nicht sinken. Das alles verschlingt fünf
Milliarden Euro jährlich zusätzlich, finanziert über abermals höhere
Beitragssätze und aus den – noch – vorhandenen Reserven der Pflegekasse.«

Was aber stört sie? »Notwendig wäre eine noch stärkere
Anhebung der Beitragssätze – und zwar begleitet von Einsparungen in anderen
Säulen des Sozialsystems. Stattdessen wird überall gleichzeitig erweitert, die
Kranken- ebenso wie die Rentenversicherung. Hier baut sich Druck auf die
Lohnkosten auf, verbunden mit Gefahren für die Beschäftigung nicht nur der
Flüchtlinge.« Und sie legt noch eine Schippe nach: »Auch fehlt der klare
Hinweis, dass die gesetzliche Versicherung nur dazu gedacht ist, einen
(kleinen) Teil der Kosten zu decken. Der zügige Ausbau erweckt den Eindruck,
eigene Vorsorge sei nicht nötig. Die Regierung pflegt mit dieser Reform ihre
älteren Wähler, die Jüngeren müssen wieder einmal sehen, wo sie bleiben.«

Nach so viel Kritik muss man einfach zum Ausgleich einen
Blick werfen in den Artikel, der uns eine Revolution des Pflegesystems
verspricht. Woratschka sieht „eine wirkliche Grundsanierung des Systems“. Im
weiteren Gang seiner Argumentation wird auch klar, dass er das Bild von der
Revolution kopiert hat, denn es geht hierbei um den neuen
Pflegebedürftigkeitsbegriff:
»Experten wie der Bremer Gesundheitsökonom Heinz Rothgang
sehen darin „eine Art Revolution“ . Das bisherige System orientierte sich fast
ausschließlich an den körperlichen Gebrechen der Pflegebedürftigen. Danach
wurden sie eingestuft und entsprechend sahen die Leistungen aus
(„Satt-Sauber-Pflege“). Nun rücken auch Alltagskompetenz und kognitive
Fähigkeiten in den Fokus, die soziale und psychische Situation wird
gleichwertig berücksichtigt. Dadurch bleiben etwa Demenzkranke, die körperlich
fit sind, aber dennoch aufwendige Betreuung benötigen, nicht länger außen vor.
Statt der bisherigen drei Pflegestufen gibt es künftig fünf Pflegegrade … Beurteilt
werden die Menschen künftig nach ihrer Fähigkeit zu Mobilität, Orientierung,
Kommunikation, Selbstversorgung, Alltagsgestaltung und sozialen Kontakten. An
den daraus erwachsenden Bedürfnissen sollen sich künftig die zugestandenen
Leistungen bemessen. Die Verrichtungspflege nach Minuten wird abgeschafft.«

Weitere Verbesserungen müssen genannt werden: So bekommen Heimbewohner
garantiert, dass sich ihr Eigenanteil an den Kosten auch bei zunehmender
Pflegebedürftigkeit nicht erhöht. Bisher droht ihnen bei jeder Einstufung in
eine höhere Pflegestufe auch eine höhere Zuzahlung. »Laut Ministerium soll der
heimindividuelle Eigenanteil in den Pflegegraden zwei bis fünf künftig für alle
im Schnitt bei 580 Euro liegen. Bisher sind es, je nach Pflegestufe, 460 bis
900 Euro im Monat.« Alle Heimbewohner haben einen Anspruch auf zusätzliche
Betreuungsangebote, was auch für die Pflegebedürftigen gilt, die zu Hause
betreut werden. Damit nicht genug: »Die Versicherer haben jedem
Pflegebedürftigen einen persönlichen Berater zu nennen. Länger als zwei Wochen
braucht künftig keiner mehr auf einen Beratungstermin zu warten. Auch
Angehörige erhalten einen eigenständigen Anspruch auf Beratung, wenn die Pflegebedürftigen
zustimmen – und auf kostenlose Pflegekurse.« Auch die pflegenden Angehörigen
dürfen auf Verbesserungen hoffen – sie werden in der Renten- und
Arbeitslosenversicherung besser abgesichert. »Und wer seinen Job aufgibt, um
sich der Pflege eines Angehörigen zu widmen, erhält künftig auch seine Beiträge
zur Arbeitslosenversicherung aus dem Topf der Pflegeversicherung – für die
gesamte Dauer seiner Pflegetätigkeit.«


Nun muss man aber auch darauf hinweisen, dass das Gesetz
zwar zum 1. Januar 2016 in Kraft treten wird, die wesentlichen Reformpunkte
aber erst zu einem späteren Zeitpunkt wirksam werden. So werden der neue
Pflegebedürftigkeitsbegriff und die Leistungen nach den fünf Pflegegraden sowie
die Fixierung des Eigenanteils bei den Heimbewohnern erst ab dem 1. Januar 2017
das Licht der Pflegewelt erblicken.
Ein große Leerstelle auch dieser ambitionierten Reform
bleibt leider wieder die Personalfrage. Man muss nur die Twitter-Beiträge mit
dem Hashtag #Pflegestreik verfolgen, um zu erkennen, wie prekär bis skandalös
schlecht schon heute die Pflege-Bedingungen in den Kliniken und gerade auch in
den Pflegeheimen sind. Das ganze System lebt offensichtlich von der Substanz.
Dazu nur ein – scheinbar – krasser Ausnahmefall aus dem
Pflegealltag in unserem Land: Feuerwehrleute
kommen Pflegerin zu Hilfe und retten Kranke
oder Wenn
einer Pflegerin nur der Notruf bleibt
, um nur zwei der
Artikel-Überschriften zu zitieren. »Sie war allein mit 21 hochgradig
Pflegebedürftigen eines privaten Altenheims. Als sie merkte, dass sie nicht
alle versorgen konnte, wählte sie die 112. Das Heim ist in Branchenkreisen
bekannt«, so Antje Hildebrandt in ihrer Schilderung der Ereignisse in Berlin.
Das Pflegeheim in Berlin-Rudow nennt sich Gartenstadt und wirbt auf seiner
Homepage mit dem Slogan „Ein Platz zum Wohlfühlen“ und dem Hinweis
auf „Ausgezeichnete Pflegequalität – jetzt auch geprüft!“

»Doch Anspruch und Wirklichkeit klaffen dort offenbar weit
auseinander – und am vergangenen Sonntag wurde das zum ersten Mal auch
öffentlich bekannt. Eigentlich waren zwei Kollegen für die Sonntagsschicht
eingeteilt, doch die Fachkraft, so heißt es heute beim Träger Casa Reha, sei
kurzfristig erkrankt. Die Hilfspflegerin habe daraufhin einen Kollegen aus
einem anderen Wohnbereich um Hilfe gebeten, doch der habe abgelehnt.«

Und mit dieser Konstellation wurde eine Angehörige
konfrontiert:
»Es ist der Albtraum aller Menschen, deren Angehörige in
einem Pflegeheim betreut werden: Man besucht diesen Verwandten an einem
Sonntagvormittag. Man stellt fest, es geht ihm nicht gut. Er hätte schon um
sieben Uhr morgens Insulin und andere Medikamente benötigt. Doch niemand kommt.
Es ist nur eine Pflegerin für 21 Bewohner da. Und auf Anfrage erfährt der
Besucher, diese Pflegerin dürfe leider keine Medikamente verabreichen. Sie sei
nur Hilfspflegekraft.«
Die Angehörige des Pflegeheimbewohners »hat die Polizei
alarmiert. Die wiederum forderte die Pflegerin auf, die 112 zu wählen, um einen
Notfallarzt zu rufen.«

Das Landeskriminalamt ermittelt jetzt wegen des Verdachts
der Vernachlässigung von Schutzbefohlenen. Der Fall hat ein grelles Licht auf
den Pflegenotstand in deutschen Altenheimen geworfen.

Nun wird der eine oder andere nicht ganz unplausibel
einwenden, dass das sicherlich ein krasser Fall ist, unakzeptabel, aber eben
ein Ausreißer, ein bedauerlicher Einzelfall.
Dann also ein Blick in die wissenschaftliche Auseinandersetzung
mit dem Thema Personalnotstand in der Altenpflege. Im
Nachtdienst versorgt eine Pflegerin 52 Bewohner
, so ein Bericht von Rainer
Woratschka über eine neue Studie von Wissenschaftlern der Universität
Witten/Herdecke. Die Zahlen sind skandalös: »Nachts haben die Altenpflegerinnen
in vielen Heimen „Stress pur“. Einer aktuellen Studie zufolge muss
sich fast jede zehnte Pflegekraft sogar um mehr als 100 Menschen kümmern.« Legt
man den Durchschnittswert von 52 Heimbewohnern zugrunde, dann bedeutet das: Für
einen Heimbewohner pro Nacht  stehen gerade
mal zwölf Minuten Zeit zur Verfügung. Aber: »Mindestens 40 dieser 52 Bewohner
benötigten nachts nämlich auch „direkte Unterstützung“ – sei es, dass sie
regelmäßig umgelagert werden, Medikamente gespritzt bekommen oder zur Toilette
begleitet werden müssten. Allein für die vorgeschriebene Handhygiene seien pro
Nacht mindestens zwei Stunden zu veranschlagen.« Es gibt in den an sich schon
untragbaren Zuständen in der wirklichen Wirklichkeit noch Steigerungsformen: In
einigen Fällen seien Pflegekräfte sogar für mehrere Häuser verantwortlich und
hätten mit dem Auto hin- und herzupendeln, berichtete die Studienleiterin. Noch
ein paar weitere Aspekte aus der Befragung der Pflegekräfte? »26 Prozent gaben an,
während ihres Nachtdienstes nur selten oder nie Pausen machen zu können. Knapp
zwei Drittel hätten sich „häufig“ oder „sehr oft“ um herumirrende Patienten mit
Demenz zu kümmern. Und jede zweite Pflegekraft kann nachts auch in Notfällen
auf keinen Hintergrunddienst zurückgreifen.« Kann es da wirklich noch
verwundern, wenn berichtet wird, »dass etwa ein Viertel der Versorgten mit
freiheitseinschränkenden Maßnahmen oder Medikamenten ruhiggestellt wird. Der
Studie zufolge verabreicht im Schnitt jede Pflegeperson pro Nacht rund zwölf
ihrer Schützlinge Schlafmittel, bei sieben kommen Bettgitter zum Einsatz.«

Und auch diese Zahl sollte gerade vor dem aktuellen
Hintergrund der Diskussion und parlamentarischen Behandlung von
Palliativmedizin wie auch Sterbehilfe zur Kenntnis genommen werden: »Am meisten
litten die Pflegekräfte darunter, im Nachtdienst keine Zeit für Sterbende zu
haben … 66 Prozent der Befragten klagten in der Studie darüber.«
Aber die Befragten haben auch Rückmeldungen gegeben, was
sich ändern müsste. Diese Stimmen aus der Praxis haben die Forscher in
einem Forderungskatalog zusammengefasst
:
  • In der Nacht muss gewährleistet sein, dass mindestens zwei
    bis drei Pflegende für 60 Bewohner anwesend sind
  • Verantwortliche Pflegefachpersonen müssen über die beste
    Qualifikation verfügen, da sie schnell und alleine Situationen einschätzen und
    passgenaue Versorgungsmaßnahmen einleiten können müssen
  • Jede Einrichtung muss einen hochqualifizierten
    Hintergrunddienst bereitstellen, der jederzeit beratend und unterstützend
    eingreifen kann
  • Notfallleitlinien, ein erreichbarer ärztlicher
    Hintergrunddienst und eine stetig lieferbereite Apotheke stellen eine
    erforderliche Grundlage dar
  • Es muss gewährleistet sein, dass Nachtpflegende mindestens
    pro Nacht eine 30-minütige Pause haben, die sie ohne Störungen verbringen
    können
  • Mehr als vier Nächte hintereinander sollten Pflegende nicht
    die Verantwortung für die BewohnerInnen übernehmen
  • Es muss sichergestellt werden, dass Pflegende des
    Nachtdienstes an  Fortbildungen
    teilnehmen können, ohne ihre Schlafzeit reduzieren zu müssen

Die Pflegeexpertin der Grünen im Bundestag, Elisabeth
Scharfenberg, zeigte sich „entsetzt“ über die Ergebnisse der Studie. Sie frage
sich, „wie Pflegekräfte das mit sich machen lassen können“ und wo die
Aufsichtsbehörden seien. Gute Fragen.

Wer die ganze Studie im Original lesen möchte, der kann die
hier als PDF-Datei downloaden:
Christel Bienstein 
und Jörg große Schlarmann: Die
Nacht in deutschen Pflegeheimen. Ergebnisbericht
, Department für Pflegewissenschaft,
Universität Witten/Herdecke, 2015.
Wir könnten das jetzt fortführen – natürlich gibt es auch am
Tag erhebliche Personalprobleme in der Altenpflege. Und was sagt die
Pflegereform zu diesem nicht nur sensiblen, sondern auch zentralen Thema für
eine wirkliche Reform der Pflege?

Also hier fehlt der revolutionäre Impuls, den Rainer
Woratschka für die Pflegereform generell unterstellt hat – und er
schreibt selbst
: » Die Selbstverwaltung werde verpflichtet … „bis
Mitte 2020 ein wissenschaftlich abgesichertes Verfahren zur
Personalbedarfsbemessung zu entwickeln“. Damit soll dann zumindest irgendwo
stehen, wie viele Pflegekräfte theoretisch für gute Pflege benötigt werden. Ob
und wie das in den Heimen umgesetzt werden kann, bleibt offen.«
Was für ein Signal an die immer stärker
aufgebracht-frustrierten Pflegekräfte. Haltet durch, nur noch ein paar Jahre.
Und wenn wir schon bei dem Muster „auf die lange Bank
schieben sind“, dann sollten wir den Pflege-TÜV an dieser Stelle nicht
vergessen. Pflege-TÜV? Wurde der nicht vom Pflegebeauftragten der
Bundesregierung, Staatssekretär Laumann höchstpersönlich, für gescheitert
erklärt? Einer Bewertung, der sich auch 95 Prozent der Experten und vor allem
der Praktiker zustimmen werden. Im Prinzip ja, muss die Antwort hier ausfallen.
Was aber nicht bedeutet, dass man das jetzt konsequent entsorgt und in die
Tonnen haut:

»Es gibt einen Neuanlauf. Ab 2018 soll es für die Heime und
ab 2019 auch für die ambulanten Pflegedienste ein völlig neues Bewertungssystem
geben. Damit habe „die Irreführung der Bürger ein Ende“, sagte der
Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (CDU). Danach werde
es bei der Beurteilung eines Heims beispielsweise nicht mehr möglich sein,
„dass schwere Pflegefehler bei der Medikamentenausgabe durch eine schön
gedruckte Speisekarte ausgeglichen werden können“. Bis dahin dürfen die
Betreiber allerdings weiter mit ihren offensichtlich geschönten Noten werben.
Der sogenannte Pflege-TÜV war in die Kritik geraten, weil bei dem bisherigen
Prüfverfahren selbst Heime mit offensichtlichen Mängel Bestnoten erreichten.«

Die Idiotie muss man sich erst einmal verdeutlichen. Da wird
festgestellt, dass man mit den Noten des Pflege-TÜV eigentlich nichts anfangen
kann und dass das abgeschafft gehört, dann trifft man die Entscheidung, mit
einem neuen, (hoffentlich) besseren Verfahren das alte System zu ersetzen – aber
bis dahin macht man erst einmal mit dem alten Unsinn weiter. Bis 2018.
Ein anderer Teilbereich der Pflegelandschaft geht hingegen
seinen Weg – gemeint sind hier die privaten, auf Gewinnerzielung ausgerichteten
Pflegekonzerne. Die wachsen und konsolidieren sich, wie die Ökonomen das
nennen. Sie schließen sich also untereinander zusammen. Und hier können wir
wieder anknüpfen an die Geschichte mit der völlig überforderten Pflegehelferin
aus einem Berliner Altenheim, der die Polizei geraten hatte, den Notarzt zu
rufen, was sie dann auch gemacht hat. Das Heim, in dem es zu diesem
schwerwiegenden Vorfall gekommen ist, gehört zu Casa Reha, einer dieser
privaten, auf Gewinn ausgerichteten Betreiber. Casa Reha mit Sitz in Oberursel
bei Frankfurt betreibt 70 Pflegeheime mit mehr als 10.000 Betten und 4.100
Mitarbeitern. Der Jahresumsatz liegt bei 270 Millionen Euro, der operative
Gewinn (Ebitda) Finanzkreisen zufolge bei 30 Millionen Euro.

Für die wird sich auf der obersten Ebene und mit Blick auf
das ganze Unternehmen eine Menge ändern, denn: Casa
Reha geht an französische Korian
. Es handelt sich dabei um einen französischen
Altenheim- und Klinikbetreiber. QCasa Reha mit Sitz in Oberursel bei Frankfurt
betreibt 70 Pflegeheime mit mehr als 10.000 Betten und 4100 Mitarbeitern. Der
Jahresumsatz liegt bei 270 Millionen Euro, der operative Gewinn (Ebitda)
Finanzkreisen zufolge bei 30 Millionen Euro.«
Und der schlägt jetzt zum dritten Mal zu in Deutschland: »Nach
den Pflegeheim-Ketten Phoenix und Curanum verleibt sich Korian auch die Nummer
drei Casa Reha ein, wie die Unternehmen am Dienstag mitteilten. Casa Reha hatte
seit 2007 dem britischen Finanzinvestor Hg Capital gehört … .«

Fazit: Hier
laufen die Geschäfte. Die Betonung liegt auf hier.