Pflegekräfte ziemlich allein gelassen. In der Krankenhaus-Realität und im internationalen Vergleich

In deutschen Krankenhäusern werden im internationalen Vergleich sehr wenig Pflegekräfte beschäftigt. Das den betroffenen Fachkräften seit langem bekannte Problem wurde nun durch eine weitere Studie mit einigen Zahlen belegt.

»Demnach waren 2012 in Deutschland rechnerisch 19 Pflegekräfte (Vollzeitstellen) je 1.000 Fälle angestellt. Im Schnitt der OECD-Länder waren es fast 32. In Japan sind es sogar 53 Vollzeitpflegekräfte je 1.000 Fälle gewesen … Das gelte auch, wenn man die Zahl der Pfle­ge­kräfte auf die Belegungstage betrachte. Dann lande Deutschland sogar auf dem letz­ten Platz. Trotz­­dem hätten die Kliniken weiter Pflegepersonal abgebaut, erläutert die Un­tersu­chung. Dem­nach habe es 2015 rund 3,4 Prozent weniger Pflegepersonal gegeben als im Jahr 2000«, kann man dem Artikel Pflegepersonal: Deutschland auf den hinteren Plätzen entnehmen, in dem einige Befunde der Studie dargestellt werden. Das muss im Kontext der Tatsache gesehen werden, dass mit den verkürzten Liegezeiten der Patienten die Be­­lastung der Pflegekräfte angestiegen ist. Während eine Pflegevollkraft in einem allgemeinen Kranken­haus 2003 statistisch 57,3 Behandlungsfälle zu betreuen hatte, seien es 2015 schon 64 gewesen. Man könnte das Dilemma der deutschen Pflege auch mit diesem Zahlenvergleich illustrieren: 19 Pflegekräfte versorgen in Deutschland 1.000 Krankenhauspatienten, in Norwegen sind es 40.

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Die „Verkammerung“ der Profession Pflege stolpert vor sich hin und Bayern geht einen freistaatlichen Sonderweg – mit Folgen

Deutschland ist ein „verkammertes Land“. Also zumindest mit Blick auf bestimmte Berufe und Professionen. Überall stößt man auf berufsständische Kammern. Bei den Ärzten gibt es selbstverständlich und seit langem Ärztekammern. Wie auch bei anderen Professionen, man denke hier an die Rechtsanwälte mit den Rechtsanwaltskammern als berufsständische Organisation. Die Notare, die Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, die Architekten und die Ingenieure haben ihre Kammern. Das Institut für Kammerrecht (IFK) stellt eine Übersicht über das damit verbundene und aufgrund der Breite notwendigerweise weit gefächerte Berufskammerrecht zur Verfügung.
Ärztekammern sind die Träger der berufsständischen Selbstverwaltung der deutschen Ärzte. Es gibt 17 Landesärztekammern (im Bundesland Nordrhein-Westfalen sind es mit Nordrhein und Westfalen-Lippe zwei eigenständige Länderkammern). Und es gibt – natürlich – eine Bundesärztekammer.
Neben den Berufskammern kennen wir die Wirtschaftskammern, also die Industrie- und Handelskammern, die Handwerkskammern, die Landwirtschaftskammern und in zwei Bundesländern, Bremen und Saarland, gibt es sogar eine Arbeitnehmerkammer. Dieses Kammerwesen ist der institutionelle Ausdruck einer letztendlich nur historisch zu verstehenden funktionalen Selbstverwaltung, wobei der Begriff bereits andeutet, dass dahinter eine eigenständige Philosophie der Steuerung steht, die sich bewusst abgrenzt von einer unmittelbaren Durchgriffssteuerung seitens des Staats, diesen zugleich durch Übernahme auch hoheitlicher bzw. originär staatlicher Funktionen entlasten soll.

Und die Pflege als Profession möchte auch gerne im Kammerkonzert mitspielen – das es übrigens nicht nur in Deutschland gibt, in vielen anderen Ländern kann man Pflegekammern vorfinden. Nicht erst seit kurzem. Seit Jahrzehnten fordern Pflegekräfte die Selbstverwaltung ihres Berufes. In den 1970er Jahren forderten Pflegekräfte auf dem 4. Nationalen Kongress für Krankenpflege 1981 in Hamburg die Errichtung einer Kammer für Pflegeberufe.

Dort formulierten Krankenschwestern und Krankenpfleger das Dilemma der Pflege durch die Überfremdung ihres Berufstands, die sie durch Tätigkeitsdelegation seitens der Ärzte, fehlende adäquate Stellenplan- oder Ausbildungsnovellierungen und mangelnde Klärung diffuser Rechtssituationen charakterisiert sahen (vgl. dazu den Vortrag von Robert Roßbruch (2014): Werdegang zur Pflegekammer in Rheinland-Pfalz – Perspektiven und Chancen einer Pflegekammer in NRW).

Mitte der 1980er Jahre, so kann man diesem Artikel entnehmen, »entsteht die Arbeitsgruppe Münchener Pflegekräfte (AMP). Sie setzt sich für bessere Arbeitsbedingungen und eine bessere Bezahlung der Pflegenden ein. Zusammen mit Gewerkschaften und Pflegeverbänden demonstriert sie bundesweit für grundlegende inhaltliche Veränderungen und die Selbstverwaltung des Pflegeberufs. Auf der Delegiertentagung des Bundesausschusses der Arbeitsgemeinschaften der Unterrichtsschwestern und Unterrichtspfleger plädieren leitende Pflegekräfte 1989 ebenfalls für die Errichtung von Pflegekammern. Zu Beginn der 1990er Jahre teilt sich die Arbeitsgruppe Münchener Pflegekräfte in die Pflegegewerkschaft und in den Förderverein zur Gründung einer Pflegekammer in Bayern … In nahezu allen Bundesländern werden ebenfalls Fördervereine und Initiativgruppen gebildet.«

Wie man schon erkennt, müssen hier auf der Zeitachse ganz dicke Bretter gebohrt werden. Und so langsam geht der Prozess auch weiter: »Am 11. Februar 1995 konstituiert sich der Runde Tisch zur Errichtung von Pflegekammern. Er vernetzt alle bis zu dem Zeitpunkt gegründeten Fördervereine und die die Kammergründung mittragenden Pflegeverbände. Im Jahr 1997 geht dieser dann in der Nationalen Konferenz zur Errichtung von Pflegekammern in Deutschland auf, die mit der pflegepolitischen Dachorganisation, dem 1998 gegründeten Deutschen Pflegerat, kooperiert.«
Und jetzt schieben wir uns mal weitere 20 Jahre nach vorne, bis man diese Nachricht zur Kenntnis nehmen darf: Am 17. Dezember 2014 wird die Landespflegekammer Rheinland-Pfalz als bundesweit erste Pflegekammer gegründet.

Und im Jahr 2017? Bislang gibt es lediglich in Rheinland-Pfalz eine arbeitsfähige Pflegekammer. In Schleswig-Holstein und Niedersachsen sind Kammern in der Gründungsphase. Nordrhein-Westfalen prüft eine Initiative.

Auf dem Deutschen Pflegetag 2016 forderte Andreas Westerfellhaus, der Präsident des Deutschen Pflegerates, »die Verkammerung der Pflegeberufe durch die Bildung einer Bundespflegekammer zu forcieren. Spätestens 2017 solle eine Bundespflegekammer die Arbeit aufnehmen.« Eigentlich wäre dazu natürlich der Unterbau erforderlich, also die Existenz von Landespflegekammern wie in Rheinland-Pfalz. Aber da ist offensichtlich nicht nur noch ein weiter Weg zurückzulegen, wenn man in die einzelnen Bundesländer schaut (vgl. dazu die gute Übersicht Errichtung von Pflegekammern in den einzelnen Bundesländern vom 22.03.2017), sondern mit Bayern haben wir aktuell den Fall einer bewussten Abkoppelung von einer möglichen einheitlichen Verkammerung auf Bundesländer- und dann auch auf der Bundesebene.

Man kann den jahrelangen Auseinandersetzungen um die (Nicht-)Gründung von Landespflegekammern entnehmen, dass diese Institution nicht annähernd konsensual, sondern ganz im Gegenteil hoch konfliktär diskutiert wird. Auf der Seite der Widerständler gegen eine Verkammerung findet man „interessante“ Koalitionen, so die Anbieter privater Pflegeeinrichtungen, die vehement Front machen, aber auch die Gewerkschaft ver.di, die offensichtlich eine Konkurrenz zu ihren gewerkschaftlichen Aktivitäten sieht. Aber auch unter den Pflegekräfte selbst, so die bislang vorliegenden Befragungsergebnisse, gibt es teilweise sehr hohe Ablehnungswerte, oftmals machen sich diese fest am Institut der Zwangsmitgliedschaft und der Zwangsbeiträge für alle Pflegekräfte. Das oll und kann hier nicht im Detail ausdifferenziert werden.

Schauen wir nach Bayern. Denn dort ist diese Tage eine ganz eigene Entwicklungsrichtung beschritten worden, die Folgen haben wird bis hinauf auf die Bundesebene, wenn das so durchgezogen wird. Denn die Bayern haben dem bisherigen Optionenraum – Landespflegekammer ja oder nein (bzw. vielleicht mal später) – eine dritte Variante hinzugefügt, die man durchaus so charakterisieren kann: Nicht Fisch, nicht Fleisch. Statt einer Landespflegekammer soll es eine „Vereinigung der bayerischen Pflege“ geben.

Der bereits erwähnten Übersicht über den Stand der Errichtung von Pflegekammern in den Bundesländern kann man zu Bayern entnehmen:

»Am 18. Oktober (2016) befasste sich der bayerische Landtag erstmals mit dem Gesetzentwurf zur Errichtung einer Vereinigung der bayerischen Pflege. Mitte Juli 2016 hatte sich das bayerische Kabinett gegen die Einführung einer Pflegekammer und für eine „Vereinigung der bayerischen Pflege“ entschieden.  Die Mitgliedschaft in dieser Vereinigung wäre im Gegensatz zu einer Mitgliedschaft in einer Pflegekammer freiwillig und beitragsfrei. Die bayerische Gesundheitsministerin betonte, dass die Vereinigung bei allen Gesetzgebungsverfahren, die die Pflege betreffen, eingebunden würden. Dieser bayerische Sonderweg ist umstritten. Der Landtag hat den Gesetzentwurf jetzt erst einmal zur weiteren Beratung an den Ausschuss für Gesundheit und Pflege überwiesen.«

Und nun diese Meldung: Pflegekräfte bekommen freiwillige Interessenvertretung. »Der Landtag in München stimmte am Donnerstag für die Einrichtung einer „Vereinigung der Pflegenden in Bayern“. Das Gesetz tritt am 1. Mai in Kraft. Bis zum Herbst soll ein Gründungsausschuss berufen werden. Im Gegensatz zu einer Pflegekammer ist die Mitgliedschaft in der Vereinigung freiwillig und kostenlos.« Das ist nun wirklich ein Sonderweg. „Mit diesem Konzept nutzen wir die wesentlichen Vorteile einer klassischen Kammer, ohne gleichzeitig die Pflegekräfte mit Pflichtmitgliedschaft und Pflichtbeiträgen zu belasten“, wird die bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) zitiert.
Die „Pflege-Vereinigung“ soll eine Körperschaft des öffentlichen Rechts sein, ohne Pflichtmitgliedschaft oder Beitragszahlungen. Die Finanzierung soll staatlich erfolgen. Für die Vereinigung soll es kammerähnliche Befugnisse geben, wie die Berufsaufsicht und die Anerkennung von Weiterbildungen. Die Berufs- und Weiterbildungsordnung selbst soll aber der Staat erlassen, anders als etwa bei der Ärztekammer. Damit ist aber auch klar – sollte der Ansatz einer Bundespflegekammer wirklich den Forderungsraum verlassen, dann wären die Bayern nicht dabei. Mit diesem Sonderweg torpedieren die Bayern diesen Weg – und sie sehen ihr Modell als das an, was es ist: ein Spaltpilz für die anderen Bundesländer, die sich noch nicht entschieden haben.
Der „bayerische Weg“ könne auch Vorbild für andere Bundesländer in der bundesweit geführten Pflegekammer-Debatte sein, so wird folgerichtig die bayerische Gesundheitsministerin zitiert.

Fazit: Das Gewürge um eine Verkammerung der Pflege geht weiter und wird durch den bayerischen Sonderweg zusätzlich verkompliziert. Letztendlich, so muss man es wohl bilanzieren, sind wir erneut mit der strategischen Schwäche der Pflegeprofession in Deutschland konfrontiert, die sich auch bei dem ebenfalls mehr als „schwierigen“ Prozess einer Reform der Pflegeausbildung gezeigt hat (vgl. dazu den Beitrag Von allem etwas und später mal nachschauen, was passiert ist? Der Kompromiss zur Reform der Pflegeausbildung vom 8. April 2017). Schade, sehr schaden, wenn man bedenkt, dass wir genau das Gegenteil bräuchten, einen energischen Professionalisierungsschub der Pflege, der nicht nur inhaltlich fundiert und ausgestaltet sein muss, sondern sich auch institutionell ausdrücken sollte.

Hebammen: Immer weniger für immer mehr. Und enorme Vergütungsunterschiede in der Pflege

Hebammen stehen eigentlich für Glück. Den in den meisten Fällen ist ihre Arbeit verbunden mit einem für Eltern glücklichen Ereignis. Und sie leisten eine wichtige Arbeit – vor, während und nach der Geburt der Kinder. Sie ist unverzichtbar. Aber die anhänglichen Leser dieses Blogs werden sich erinnern, dass die Hebammen hier schon vor geraumer Zeit in weniger glücklichen Umständen porträtiert worden sind. Am 17. Februar 2014 wurde der Beitrag Hebammen allein gelassen. Zwischen Versicherungslosigkeit ante portas und dem Lösungsansatz einer Sozialisierung nicht-mehr-normal-versicherbarer Risiken veröffentlicht. Darin ging es um das Problem einer (drohenden) Versicherungslosigkeit der Hebammen in der Geburtshilfe aufgrund des Anstiegs der Haftpflichtversicherungsbeiträge. Kurze Zeit später, am 4. Mai 2014, war dann ein erster Hoffnungsschimmer am Horizont erkennbar: Hebammen nicht mehr allein gelassen? Der Berg kreißte und gebar eine Maus oder ein Geschäft zu Lasten Dritter? Die Hebammen und ihre fortschreitende Versicherungslosigkeit, die vorläufig unter dem Dach der Krankenkassen geparkt werden soll. Bis zur nächsten Runde. Die Länge der Überschrift verdeutlicht schon, dass wir es mit einer komplexen Gemengelage zu tun hatten, bei der man nicht einfach schreiben konnte. Und fast anderthalb Jahre später, am 28. November 2015, wurde man dann erneut mit einer Zwischenlösungsmeldung konfrontiert: Drohende Versicherungslosigkeit eines Teils der Hebammen vorerst vermieden. Aber das kostet was.
Und nun, im März 2017, muss das Thema Hebammen erneut aufgerufen werden, wieder nicht mit einer Freudenbotschaft versehen.

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Dauer-Leih-Schwestern vom DRK: Auch in Zukunft im Angebot? Da muss die Ministerin selbst Hand anlegen, um das hinzubiegen

Täglich werden zehntausende Kranke von Schwestern des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) gepflegt. »In bundesweit 33 Schwesternschaften beim DRK … sind derzeit etwa 25.000 Schwestern organisiert. Einige Tausend arbeiten in DRK-Einrichtungen, 18.000 werden nach Angaben ihres Verbandes über spezielle Vereinbarungen dauerhaft in anderen Kliniken und Krankenhäusern in ihren Pflegeberufen eingesetzt. Die Schwesternschaften überlassen quasi öffentlichen oder privaten Kliniken ihre Vereinsmitglieder. Sie bekommen dafür ein Entgelt, das die Personal- und Verwaltungskosten umfasst«, so die Darstellung in dem Artikel Sind DRK-Schwestern Leiharbeiter? Das hört sich an wie Arbeitnehmerüberlassung, also Leiharbeit. Das wurde aber bislang nicht so gesehen. Bisher haben sie einen Sonderstatus – sie gelten nach der Rechtsprechung auch des Bundesarbeitsgerichts als Mitglieder eines gemeinnützigen Vereins und damit wurde ihr jahrelanger Einsatz in anderen Kliniken nicht als Leiharbeit gewertet.

Wenn man sie hingegen als Leiharbeiterinnen einstufen würde, dann würden sie unter das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) fallen und mithin auch unter die Höchstüberlassungdauer von 18 Monate nach dem AÜG in seiner am 1. April 2017 in Kraft tretenden Fassung.

Man muss sich klar machen, mit was für einer Beschäftigungskonstruktion wir es hier zu tun haben: Die DRK-Schwestern sind (bis vor kurzem) nach der Definition des Bundesarbeitsgerichts keine Beschäftigte nach dem Betriebsverfassungsgesetz und verfügen über keine Arbeitsverträge und -rechte. Sie besitzen keinen Kündigungsschutz und dürfen auch keinen Betriebsrat wählen. Sie leisten Arbeit aufgrund ihrer DRK-Mitgliedschaft, ihr Gehalt auf Tarifniveau wird ihnen offiziell als „Aufwandsentschädigung für karitativen Einsatz“ von der Schwesternschaft gezahlt. Bei Konflikten zählt ausschließlich die Vereinssatzung.

Aber das ganz Konstrukt wurde in Frage gestellt und der Streit darüber vor die Gerichte getragen. Nicht von einer Schwester selbst, sondern von dem Betriebsrat der Ruhrlandklinik in Essen. Der »verweigerte seine Zustimmung, eine DRK-Schwester auf unbestimmte Zeit im Pflegedienst zu beschäftigen. Er sah darin einen Verstoß gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Die Klinik zog wegen der verweigerten Betriebsratszustimmung vor Gericht – und gewann in den ersten beiden Instanzen.«

2015 landete der Fall dann vor dem Bundesarbeitsgericht und das hat sich der Rechtsauffassung der Vorgängerinstanzen angeschlossen und die Nicht-Anwendbarkeit des AÜG bestätigt. Allerdings war man sich wohl nicht sicher in Erfurt, denn: Das BAG hat den Europäischen Gerichtshof (EuGH) angerufen: »Es wollte wissen, ob die deutsche Regelung zu den Rotkreuzschwestern mit der europäischen Leiharbeitsrichtlinie vereinbar ist. Der EuGH erkannt im November 2016 (Urteil vom 17. November 2016 – C-216/15) den Sonderstatus der DRK-Schwestern nicht an, übertrug die Entscheidung aber den deutschen Richtern.«

Lange Vorrede, kurze Überleitung in die Gegenwart: Am 21. Februar 2017 hat das Bundesarbeitsgericht seine Entscheidung verkündet: Unter der erst einmal nichtssagenden Überschrift Arbeitnehmerüberlassung – DRK-Schwester erfahren wir: Nun ist Schluss mit dem Sonderstatus.

»Wird eine DRK-Schwester, die als Mitglied einer DRK-Schwesternschaft angehört, von dieser in einem vom Dritten betriebenen Krankenhaus eingesetzt um dort nach dessen Weisung gegen Entgelt tätig zu sein, handelt es sich um Arbeitnehmerüberlassung. Der Betriebsrat des Krankenhauses kann dieser Einstellung die erforderliche Zustimmung verweigern, wenn der Einsatz gegen das Verbot der nicht vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung nach § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG verstößt.«

Das Schlüsselsatz in der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts:

»Der Betriebsrat hat die Zustimmung zu Recht verweigert. Bei der Gestellung der DRK-Schwester handelt es sich um Arbeitnehmerüberlassung.«

Und nun? Die „Rettung“ naht in Gestalt der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles, die sich doch gerade erst hat feiern lassen, dass sie die Leiharbeit aber jetzt so richtig begrenzt hat – und dabei immer wieder auf die ab April geltende Überlassungshöchstdauer hinweist. Dem eingangs zitierten Artikel Sind DRK-Schwestern Leiharbeiter? kann man das hier entnehmen:

»Weil die Gerichtsentscheidung von Brisanz für das Gesundheitswesen ist, wurde vorgebaut: Ende vergangener Woche verständigten sich Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) und DRK-Präsident Rudolf Seiters auf einen Weg zum Erhalt des Schwesternschaftmodells. Nach Angaben beider Seiten soll das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz zwar auf die DRK-Schwestern Anwendung finden. Ein Passus jedoch nicht: Die Befristung von Einsätzen auf 18 Monate.«

Über diesen Ansatz berichtet Kai von Appen in seinem Artikel Die Dauer-Leih-Schwestern: »Für das Deutsche Rote Kreuz (DRK) macht Andrea Nahles eine Ausnahme: Für Krankenschwestern, die das Rote Kreuz ähnlich wie eine Leiharbeitsfirma an Krankenhäuser entsendet, will sie einen Teil des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes außer Kraft setzen.«

Man fragt sich an dieser Stelle dann schon, wie das praktisch umgesetzt werden kann. Dazu Kai von Appen:

»Das Arbeitnehmer­überlassungsgesetz finde zwar Anwendung, aber ohne die Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten. Entsprechend soll das DRK-Gesetz geändert werden. „Dank der zugesagten Ausnahmeregelung wäre auch zukünftig die unbefristete Gestellung von Rotkreuzschwestern möglich“, sagt die Präsidentin des Schwesternschaft-Verbands, Gabriele Müller-Stutzer.«

Dazu auch die entsprechende Pressemitteilung des Verbandes der Schwesternschaften vom DRK, die am Tag der Urteilsverkündung des BAG unter dieser Überschrift veröffentlicht wurde: BAG revidiert jahrzehntelange Rechtsprechung. Zugesagte Ergänzung im DRK-Gesetz würde aber auch weiterhin unbefristete Gestellung von Rotkreuzschwestern ermöglichen.

Schaut man allerdings in das DRK-Gesetz, ein überaus schmales und aus nur fünf Paragrafen bestehendes Werk, dann fragt man sich schon, was die offensichtlich schon vereinbarte vollständige Ausnahmeregelung für die Schwesternschaften dort zu suchen hätte. Das Gesetz ist ein Bundesgesetz, das in Deutschland auf der Basis der Genfer Konventionen die Rechtsstellung des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), des Malteser Hilfsdienstes (MHD) und der Johanniter-Unfall-Hilfe (JUH) sowie die Aufgaben des DRK regelt.

»Das Deutsche Rote Kreuz e. V. ist die … freiwillige Hilfsgesellschaft der deutschen Behörden im humanitären Bereich«, so heißt es im § 1 DRKG. Es geht um die Einbindung des DRK und der beiden anderen Hilfsorganisationen in das hoheitliche Gefüge des Staates, unterstützend tätig zu werden.
Eine Formulierung, dass die Schwestern des DRK vom Anwendungsbereich des AÜG ausgenommen werden, passt nicht in dieses Gesetz. Aber irgendwo muss man die – nach dem bestehenden Recht gar nicht zulässige Sonderbehandlung bei den Verleihzeiten – ja unterbringen.

Kai von Appen schreibt dazu:

»Für den Hamburger Arbeitsrechtsanwalt Klaus Bertelsmann, der bereits mehrere Verfahren zur Gleichstellung der DRK-Schwestern geführt hat, ist die Ausnahmeregelung „unerfindlich“. „Die DRK-Schwestern könnten dann – wie bisher – über Jahre und Jahrzehnte hinweg in anderen Krankenhäuser tätig sein, ohne dort angestellt zu sein“, bemängelt Bertelsmann. Anscheinend sei der Druck der DRK-Leitung auf Nahles groß genug gewesen, „um unsinnige Ausnahmen zu schaffen und auch die absurde Stellung der DRK-Mitgliedsschwestern als Nichtarbeitnehmer nicht anzufassen“.«

Eine unbefristete vollständige Herausnehme dieser Personengruppe aus dem Geltungskreis des AÜG wäre ein rechtssystematisch „mutiger“ Ansatz, um das nett zu formulieren. Mögliche Folgeprobleme (beispielsweise die absehbare Forderung anderer Branchen und Unternehmen, eine vergleichbare Sonderregelung für die eigenen Beschäftigten zu bekommen) liegen auf der Hand.

Der Fremdkörpercharakter einer solchen einmaligen Sonderreglung wird erkennbar, wenn man sich anschaut, worauf man sich im nunmehr vergangenen Jahr bei den Änderungen des Auges geeinigt hat. Grundsätzlich gilt: Die zeitliche Limitierung der Überlassungsdauer ist zwingend, da ansonsten der nur temporäre Einsatz des entliehenen Personals in eine Dauerbeschäftigung außerhalb der eigenen Belegschaft (aber zugleich eingebunden in den Betrieb) möglich wird.

Die Zielsetzung des Koalitionsvertrags der Unionsparteien und der SPD aus dem Dezember 2013 hinsichtlich der Überlassungsdauer lässt sich auf diese Formel eindampfen: 18 (+ x).
Damit ist das hier gemeint: Die Präzisierung des „vorübergehenden“ Verleihs soll durch eine Fixierung der zulässigen Höchstdauer auf 18 Monate präzisiert werden – zugleich werden „abweichende Lösungen“ durch tarifvertragliche Regelungen in Aussicht gestellt.

Was ist daraus geworden? Auch hier wieder ein Formel-Ansatz zur Illustration: 18 + (ohne Obergrenze) oder (24).
Die Dauer des Einsatzes von Leiharbeit soll auf 18 Monaten begrenzt werden. Sogleich folgt allerdings die Umsetzung der (+ x)-Öffnungsklausel, denn in einem Tarifvertrag (der Tarifparteien der Einsatzbranche wohlgemerkt) können abweichenden Regelungen und eine längere Einsatzdauer vereinbart werden. Damit gibt es im Fall der tarifvertraglichen Regelung nach oben keine definierte Grenze bei der Überlassungsdauer, festgelegt werden muss nur eine Höchstdauer, die von den 18 Monaten nach oben abweichen kann.
Diese Option gilt aber nicht nur für tarifgebundene Unternehmen auf der Entleiher-Seite, denn: Im Geltungsbereich eines Tarifvertrages der Einsatzbranche können auch nicht tarifgebundene Entleiher von der Höchstüberlassungsdauer abweichende tarifvertragliche Regelungen durch Betriebs- oder Dienstvereinbarungen übernehmen. Bei denen wird dann aber eine zweite Höchstüberlassungsdauergrenze eingezogen, die bei 24 Monate liegt.
Insofern ist es irreführend, wenn immer wieder behauptet wird, dass nach 18 Monaten Schluss sein muss mit Leiharbeit in einem Entleih-Unternehmen. Aber selbst wenn sich die Tarifparteien der entleihenden Branche auf ein Überschreiten der 18 Monate verständigen, muss (irgendeine) Höchstüberlassungsdauer ausgewiesen werden.

Genau davon will man nun bei den DRK-Schwestern irgendwie abweichen, denn ansonsten wäre ja die im Grunde unbefristete Gestellung des Personals nicht mehr möglich.

Es wird spannend sein, ob eine – derzeit noch nicht im gesetzgeberischen Detail bekannte – konkrete Herausnehme der DRK-Schwestern aus diesem Regelwerk vor den Gerichten Bestand haben wird. Fragezeichen wären hier mehr als berechtigt.

Auf die lange Bank schieben. Die Blockade der Reform der Pflegeausbildung und eine dauerhafte Abwertung der Altenpflege

Die auf dem gesetzgeberischen Weg derzeit blockierte Reform der Pflegeberufe hin zu einer generalistischen Pflegeausbildung, über die der mit mehr als 133.000 Auszubildenden größte Ausbildungsberuf in Deutschland entstehen soll (vgl. dazu ausführlicher den Beitrag Reform der Pflegeausbildung: Noch auf der Kippe oder schon vor der Geburt verstorben? vom 15. Januar 2017) ist weiter Thema. Im Zentrum der Blockierer steht hierbei der pflegepolitische Sprecher der Unionsfraktion, der Bundestagsabgeordnete Erwin Rüddel (CDU). Und der hat sich eindeutig positioniert: »Der Pflegeexperte der Unionsfraktion Erwin Rüddel sagt, die Reform der Pflegeberufe sei nur zu retten, wenn die Befürworter der Generalistik Bedingungen akzeptieren«, so der Vorspann zu einem Interview mit ihm. Besonders bezeichnend sind seine Ausführungen speziell zur Altenpflege. So hebt er hervor, »dass, während in der Krankenpflege überwiegend Abiturienten und Realschüler einen Abschluss machen, es in der Altenpflege ein wesentlich breiteres Spektrum an Bildungsabschlüssen – beginnend bei den Hauptschülern – und sehr viele Quereinsteiger gibt.« Und weiter: »Es besteht die Gefahr, dass sich Hauptschulabsolventen zukünftig seltener für eine Pflegeausbildung entscheiden werden, wenn sich das Ausbildungsniveau an die Krankenpflege anpasst.« Und dann lässt er die Katze aus dem Sack und skizziert, wohin die Reise gehen könnte – jedenfalls nicht in die Richtung, die sich die vielen Fachvertreter, die für die Reform der Pflegeausbildung votieren, erhoffen und wie es im Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Pflegeberufe (Pflegeberufereformgesetz – PflBRefG) angelegt ist, denn er führt aus: »Ich halte es für denkbar, das Konzept des derzeitigen Gesetzentwurfs in einem Bundesland zu erproben … Risiko und Kosten blieben überschaubar und man könnte in einigen Jahren evaluieren, ob sich die Ausbildungszahlen und das Lohnniveau in der Pflege in diesem Bundesland tatsächlich erhöht haben.« Das nennt man auf die lange Bank schieben.

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