Hebammen stehen eigentlich für Glück. Den in den meisten Fällen ist ihre Arbeit verbunden mit einem für Eltern glücklichen Ereignis. Und sie leisten eine wichtige Arbeit – vor, während und nach der Geburt der Kinder. Sie ist unverzichtbar. Aber die anhänglichen Leser dieses Blogs werden sich erinnern, dass die Hebammen hier schon vor geraumer Zeit in weniger glücklichen Umständen porträtiert worden sind. Am 17. Februar 2014 wurde der Beitrag Hebammen allein gelassen. Zwischen Versicherungslosigkeit ante portas und dem Lösungsansatz einer Sozialisierung nicht-mehr-normal-versicherbarer Risiken veröffentlicht. Darin ging es um das Problem einer (drohenden) Versicherungslosigkeit der Hebammen in der Geburtshilfe aufgrund des Anstiegs der Haftpflichtversicherungsbeiträge. Kurze Zeit später, am 4. Mai 2014, war dann ein erster Hoffnungsschimmer am Horizont erkennbar: Hebammen nicht mehr allein gelassen? Der Berg kreißte und gebar eine Maus oder ein Geschäft zu Lasten Dritter? Die Hebammen und ihre fortschreitende Versicherungslosigkeit, die vorläufig unter dem Dach der Krankenkassen geparkt werden soll. Bis zur nächsten Runde. Die Länge der Überschrift verdeutlicht schon, dass wir es mit einer komplexen Gemengelage zu tun hatten, bei der man nicht einfach schreiben konnte. Und fast anderthalb Jahre später, am 28. November 2015, wurde man dann erneut mit einer Zwischenlösungsmeldung konfrontiert: Drohende Versicherungslosigkeit eines Teils der Hebammen vorerst vermieden. Aber das kostet was.
Und nun, im März 2017, muss das Thema Hebammen erneut aufgerufen werden, wieder nicht mit einer Freudenbotschaft versehen.
Sabine Menkens hat einen Artikel veröffentlicht unter dieser ziemlich eindeutigen Überschrift: Zu wenige Hebammen für zu viele Geburten. Schon die ersten Sätze des Beitrags lassen nicht Gutes hoffen: »Die Geburtshilfe in Deutschland ist chronisch unterfinanziert und unterbesetzt. Oft müssen bis zu drei Frauen von einer Hebamme gleichzeitig betreut werden. Und es kann noch schlimmer kommen.«
Die Geburtsstationen in deutschen Krankenhäusern sind chronisch unterbesetzt. Das kollidiert eigentlich mit dem, was in den Leitlinien niedergeschrieben ist:
»Nach der S1-Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften soll unter der Geburt eigentlich eine kontinuierliche Betreuung jeder Schwangeren durch eine Hebamme gewährleistet sein. Dadurch können Komplikationen unter der Geburt und Kaiserschnittraten nachweislich gesenkt werden.
Doch eine solche 1:1-Betreuung ist bisher nur eine Handlungsempfehlung der Experten. In der Realität muss sich fast die Hälfte aller Hebammen in deutschen Krankenhäusern um drei Gebärende gleichzeitig kümmern.«
Ganz offensichtlich sind wir mit einem doppelt strukturellen Problem konfrontiert, denn zum einen sinkt das Angebot an Entbildungsmöglichkeiten an den deutschen Krankenhäusern und gleichzeitig baut sich ein Personalmangel bei den Hebammen auf:
»Nach Angaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft hat fast jedes zweite Krankenhaus Schwierigkeiten, offene Hebammenstellen zu besetzen – und das, obwohl die Zahl der Kliniken mit Geburtshilfeabteilung von 1991 bis 2015 um 40 Prozent auf nur noch 709 Einrichtungen gesunken ist. Und trotz der Massenschließungen unrentabler Entbindungsstationen arbeiten immer noch 60 Prozent der geburtshilflichen Abteilungen nicht kostendeckend.«
Doch woher hat Sabine Menkens ihre Informationen? Sie greift zurück auf ein neues Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages. Dort wird nicht nur die Situation in Deutschland untersucht, sondern auch die in anderen europäischen Ländern. Die angesprochene Studie findet man im Original hier:
Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (2017): Zur Frage der Sicherstellung einer angemessenen personellen in stationären Geburtshilfeeinrichtungen in ausgewählten Ländern. Sachstandsbericht, Berlin, 24. Februar 2017
In diesem Sachstandsbericht wird neben der Situation in Deutschland ein Blick in diese Länder geworfen: Großbritannien, Norwegen, Schweiz, Spanien, Türkei, Ungarn und Frankreich. Das Gefälle zwischen den Ländern ist krass, wie Menkens mit Bezug auf die Studie an einem Beispiel belegt:
»So kommen in Norwegen auf eine in Vollzeit beschäftigte Hebamme 33 Geburten im Jahr, in Deutschland aber fast 100, rechnet der Deutsche Hebammenverband vor. Und das neben weiteren Verpflichtung wie der Geburtsnachsorge, Dokumentation, Stillberatung und sogar Putzdiensten.«
Ganz offensichtlich werden wir erneut Zeuge, wie durch primär ökonomisch bedingte Entscheidungen weitere Folgeprobleme im Sinn eines Teufelskreislaufs herausbilden:
»Wie schlimm die Lage inzwischen ist, zeigt ein Brandbrief von knapp 600 Hebammen aus Baden-Württemberg an die Politik. „Die Suche nach einem Platz im Kreißsaal gleicht im Jahr 2017 der Herbergssuche zu Christi Geburt“, heißt es dort. Durch die Schließung von Geburtshilfestationen hätte sich der Arbeitsanfall in den verbliebenen Kliniken enorm verdichtet, Stellenschlüssel würden zu spät angepasst, freie Stellen durch Hebammenmangel und schlechte Arbeitsbedingungen in einem überlasteten Team oft nicht mehr besetzt.«
Was tun? Zum einen muss man versuchen, die angestellten Hebammen durch Anreize und Entlastung in den Kreißsälen zu halten und zum anderen braucht es höhere Fallpauschalen für natürliche Geburten (vgl. dazu auch den Beitrag Viele Kaiserschnitte, zu wenig Kinderchirurgen und immer wieder das Fallpauschalensystem der Krankenhausfinanzierung vom 2. Dezember 2015).
Immerhin kann man bei der Vergütung mal was Positives vermelden: Seit Anfang des Jahres gilt für in Vollzeit angestellte Hebammen der neue Einsteigertarif P8 von 2.732 Euro brutto – eine deutliche Verbesserung.
Auch für die selbstständigen Hebammen, die unter exorbitant hohen Versicherungsbeiträgen leiden, konnten zuletzt Verbesserungen erreicht werden, so jedenfalls die Wahrnehmung des Bundesgesundheitsministeriums. Aber:
»Gerade einmal 271,94 Euro bekommt eine solche Beleghebamme für eine Geburt im Krankenhaus, mit Nachtzuschlag 327,94 Euro – für viele lohnt sich das einfach nicht mehr. Die Mehrheit der bundesweit 23.000 Hebammen arbeitet deshalb nur noch in der Vor- und Nachsorge, 72 Prozent von ihnen in Teilzeit. Rund 9.000 Geburtshelferinnen sind in Kliniken angestellt, auch sie oft in Teilzeit.«
Die Vergütung der Hebammen wurde schon angesprochen. Das leitet über zu einem Blick auf die Vergütung in den Pflegeberufen insgesamt – und ihrer Unterschiede.
»Die Gehälter in der Pflege sind ein Politikum. Doch was wird wirklich gezahlt? Je nach Bundesland sind die Unterschiede gewaltig«, bilanziert Britta Beeger in ihrem Artikel Wo Pfleger gut verdienen. Man muss nicht nur Obacht geben bei der Berufs-, sondern offensichtlich auch bei der Ortswahl:
»Wer in der Pflege gut verdienen möchte, der sollte Krankenpfleger werden, idealerweise in einem Krankenhaus im Saarland. Dann sind im Mittel 3.293 Euro brutto im Monat drin.«
Aber auf die Streuung kommt es an: »Eine Fachkraft in der Altenpflege etwa bekam im Jahr 2013 in Schleswig-Holstein im Mittel nur 2.325 Euro brutto im Monat, also fast 1.000 Euro weniger als der Krankenpfleger im Saarland.«
Nur am Rande: Solche Unterschiede zuungunsten der Altenpflege erklären auch einen gehörigen Teil der Widerstände aus dem Arbeitgeberlager gegen die geplante Reform der Pflegeausbildung hin zu einer generalistischen Pflegeausbildung, denn man „befürchtet“ nicht zu Unrecht, dass dann die Vergütungsunterschiede zwischen Alten- und Krankenpflege nicht mehr zu halten sind.
Dabei müsste die Vergütung – würde es sich um eine halbwegs „normale“ Marktkonfiguration handeln, schon längst nach oben gehen. Wenn man denn den nicht nur drohenden, sondern bereits vorhandenen Fachkräftemangel berücksichtigt: »Wie Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zeigen, sind Stellenangebote für … Fachkräfte in der Altenpflege im Schnitt 138 Tage vakant, 52 Tage länger als über alle Berufe hinweg. 19.000 Stellen waren dem aktuellen Pflegebericht der Bundesregierung zufolge zuletzt unbesetzt.« (Vgl. zu diesem Thema auch den Beitrag Pflege & Co. auf der Rutschbahn des Mangels: Mit Schmerzmitteln zur Arbeit. Das Blaulicht bleibt aus, bis die Kopfprämie wirkt. Über einen real existierenden Fachkräftemangel vom 23. November 2016).
Aber man muss bei „den“ Pflegeberufen eben genauer hinschauen, wie die Differenzierung zwischen Alten- und Krankenpflege bereits angedeutet hat: Beispiel Fachkräfte in der Gesundheitsbezogenen- und Krankenpflege:
»Eine Fachkraft verdient in diesem Bereich in Deutschland im Mittel 3.042 Euro brutto im Monat, wie eine Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) für den Pflegebeauftragten der Bundesregierung aus dem Jahr 2015 ergeben hat. Es handelt sich dabei um das Medianeinkommen, genau die Hälfte bekommt also mehr, die andere Hälfte weniger.
Auffällig ist, wie gut die Fachkräfte der Krankenpflege im Vergleich zu anderen Fachkräften abschneiden: Das mittlere Einkommen liegt 25 Prozent über dem der Altenpflege, 21 Prozent über anderen Gesundheits-, Sozial- und Erzieherberufen, 15 Prozent über Berufen aus dem Bereich Bau und Architektur, 11 Prozent über dem aller Fachkräfte in Deutschland und immerhin noch 3 Prozent über dem aller Beschäftigten in Deutschland.«
Wie gesagt, wo Licht da auch Schatten. Beispiel Fachkräfte in der Altenpflege:
»Ein anderes Bild ergibt sich mit Blick auf die Fachkräfte in der Altenpflege, deren mittleres Einkommen 2441 Euro beträgt. Im Vergleich zur Gesamtheit der Beschäftigten verdienen sie beispielsweise 17,5 Prozent weniger. Obwohl deutlich höher qualifiziert, bekommen sie im Mittel sogar nur geringfügig mehr als die Helfer in der Krankenpflege. Auf dem Lohnzettel zeigt sich die große Nachfrage nach Altenpflegern bisher nicht.«
Und auch innerhalb der Pflegeberufe gibt es bekannte Unterschiede, beispielsweise nach Ost und West: »Eine Fachkraft in der Krankenpflege bekommt in Westdeutschland im Mittel 400 Euro mehr als im Osten, in der Altenpflege sind es sogar mehr als 600 Euro mehr.«
Hinsichtlich der Verdienstmöglichkeiten in der Pflege muss man natürlich auch berücksichtigen, dass die Mehrzahl der Pflegekräfte gar nicht in Vollzeit arbeitet, sondern in Teilzeit, was angesichts des hohen Frauenanteils nicht überrascht (aber oftmals wird aus der Praxis auch berichtet, dass man gar nicht Vollzeit arbeiten könne unter den heute herrschenden Bedingungen). Unter den Fachkräften ist jeder zweite teilzeitbeschäftigt, unter den Helfern sind es mit 60 bis 70 Prozent sogar mehr als doppelt so viele wie im Durchschnitt aller Beschäftigten. Hinsichtlich der Motive muss man nach den Erkenntnissen des IAB unterscheiden: So lässt sich zeigen, dass in Westdeutschland nur wenige Pflegekräfte unfreiwillig in Teilzeit arbeiten. Stattdessen überwiegen persönliche und familiäre Gründe. In Ostdeutschland hingegen geben viele Pflegekräfte an, dass eine Vollzeitstelle nicht zu finden sei.