Da schreit jemand – nicht – vor Glück. Die (noch) Zwei-Klassen-Gesellschaft bei den Paket- und Kurierdiensten und Wildwest bei den Arbeitsbedingungen

„Die schöne neue Shoppingwelt darf die dunklen Seiten des Internethandels nicht ausblenden“, so die Worte des nordrhein-westfälischen Arbeitsministers Guntram Schneider (SPD).

„Erschreckende und alarmierende“ Ergebnisse hat der Minister der Öffentlichkeit zur Kenntnis gegeben. Und er bezieht das auf diese Botschaft: Viele Paket- und Kurierdienste hebeln Arbeitsschutz aus.

Es geht hier nicht um irgendeine Orchideenbranche, sondern um einen boomenden Wirtschaftszweig: Die Onlinehändler expandieren ohne Ende und damit auch die Paket- und Kurierdienste, die das Zeug zum Kunden bringen müssen. Und da geht es offensichtlich drunter und drüber, was die Arbeitsbedingungen angeht.

Was genau erregt nun derart das Missfallen des Ministers?

»Von überprüften 22 Verteilzentren aller großen Anbieter sowie 131 Paket- und Kurierdiensten hielten insgesamt 85 Prozent die entsprechenden Vorschriften nicht ein … Von 415 kontrollierten Fahrern verstießen 60 Prozent gegen Schutzvorschriften, vor allem in Bezug auf Lenk- und Ruhezeiten … Die Fahrer von 35 Prozent der überprüften Betriebe führten überhaupt keine Aufzeichnungen über Lenk-, Ruhe- und Arbeitszeiten. Missstände seien bei allen großen Anbietern der Branche gefunden worden.«

Wie kann es dazu kommen? Es sind zwei Aspekte, die man dieser Stelle besonders hervorheben muss:

Zum einen ist es offensichtlich und wie schon seit langem kritisiert so, dass die Hauptauftragnehmer die Verantwortung für die Einhaltung des Arbeitsschutzes offenbar überwiegend ihren Subunternehmen überlassen.

Die aber befinden sich in einem knochenharten Wettbewerb untereinander, wovon die Hauptauftraggeber natürlich profitieren. Dazu Frank-Thomas Wenzel in seinem Artikel „Sklavenähnliche“ Arbeitsbedingungen:

»Es gibt insgesamt fünf große Zustelldienste. Branchenführer ist die Deutsche Post DHL. Hinzu kommen UPS, GLS, DPD und Hermes. Der Prozess des Auslieferns der Pakete ist bei allen Unternehmen weitgehend gleichförmig. Hie kann kein Anbieter große Vorteile erreichen. Wichtigster Faktor bei den Aufwendungen sind die Personalkosten und damit einhergehend die Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten der Beschäftigten.«

Die Auswirkungen auf viele Beschäftigte sind fatal und zugleich systematisch bedingt, wie Wenzel in seinem Artikel herausarbeitet:

»Massiver Arbeitsdruck, unbezahlte Überstunden und extrem niedrige Löhne sind das Ergebnis …  Inzwischen hat sich in der Branche eine Zwei-Klassengesellschaft entwickelt. Viele große Paketdienste haben Tarifverträge, die halbwegs akzeptable Konditionen bieten. Allerdings hat Postchef Frank Appel gerade angekündigt, dass neu Eingestellte künftig mit niedrigeren Löhnen rechnen müssen. Zugleich lagern die Konzerne einen großen Teil ihrer Aufträge aus. Daraus entsteht ein System von Sub-Sub-Unternehmen. Am Ende der Kette stehen Zusteller, die als Selbstständige arbeiten und mit Privatwagen die Pakete ausfahren. Als Lohn bleiben dann nach Recherchen des WDR  nicht selten gerade einmal 1000 Euro brutto im Monat übrig. Diese „Selbstständigen“ müssen dann ihren Verdienst mit Hartz IV aufstocken, um über die Runden zu kommen.«

Man muss an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die aufgezeigte Zwei-Klassengesellschaft derzeit – wie der Hinweis auf die Drohungen des Postchefs Frank Appel belegt – möglicherweise, also wenn den kein Einhalt geboten wird bzw. werden kann, nur als Zwischenschritt nach unten zu verstehen ist. Für das Verständnis dessen, was hier abgeht, ist es von entscheidender Bedeutung, dass man die enormen Vorteile des Sub-Sub-Unternehmertums versteht: nehmen wir als ein Beispiel GLS, die mit einem weit verzweigten Netz an Subunternehmern zusammenarbeiten. Auf dem Papier müssen die vielen kleinen Subunternehmer dem auftraggebenden Konzern garantieren, die üblichen Arbeits- und Sozialbestimmungen einzuhalten. Ob sie das aber auch angesichts der enormen Konkurrenz, mit der sie auf ihrer Ebene konfrontiert sind, praktisch realisieren können, steht dann wieder auf einem ganz anderen Blatt Papier. Letztendlich treffen wir hier immer wieder auf die gleiche pyramidale Organisationsstruktur, die dazu führt, dass diejenigen, die an der Spitze der Pyramide sind, immer nach außen ihre Hände in Unschuld waschen können, während der brutale Wettbewerb und Überlebenskampf unten, an der Basis der Pyramide tobt. Dort aber tummeln sich unzählige kleine Unternehmen sowie Einzel-Selbstständige. Das verweist zugleich auf die Fragwürdigkeit von einfachen Lösungsvorschlägen, denn natürlich müsste man die Arbeitsbedingungen schärfer und öfter kontrollieren. Das ist aber bei der gegebenen Struktur schon ein mathematisches Problem, geschweige denn, dass die Aufsichtsbehörden offensichtlich gar nicht über die Ressourcen verfügen, eine flächendeckende Kontrolle sicherstellen zu können, denn auch die Daten, auf die sich der nordrhein-westfälische Arbeitsminister jetzt stützt, stammen aus einer Schwerpunktprüfung.

Der Mindestlohn wird sicherlich eine punktuelle Verbesserung bringen (können), also auch hier wieder unter dem Vorbehalt, dass das Ganze auch kontrolliert wird, zugleich aber greift der Mindestlohn ins Leere bei der in diesem Bereich sehr weit verbreiteten (Schein-)Selbstständigkeit sowie den vielen bekannten Umgehungsstrategien, wie beispielsweise der offiziellen Beschäftigung von 450 €-Jobber, die aber faktisch weitaus mehr arbeiten (müssen).

Was schlägt der Minister vor? »Schneider forderte Nachbesserungen bei den Arbeitsschutz-Regelungen. Künftig müssten die großen Paketdienstleister Mitverantwortung für die Einhaltung der Vorschriften bei ihren Subunternehmern tragen.« Es wird interessant werden, wie er das operationalisieren will – zugleich muss man hervorheben, dass er hier den Kernbereich des Problems adressiert. Es muss gelingen, eine neue „Verantwortungsarchitektur“ zu implementieren, die dann allerdings auch mit harten rechtlichen Konsequenzen verbunden sein muss. Das einige Paketdienste und ihre großen Auftraggeber, also Amazon, Zalando und Co., vor einigen Monaten einen „Ehrenkodex“ verabschiedet haben, wird nicht wirklich helfen und hat den gleichen Charakter wie die freiwillige Frauenquote der Dax-Konzerne für ihre Führungspositionen. Wohlfeil, aber nicht wirklich „gefährlich“.

Und ewig grüßen die Dumpinglöhne. Aus der Welt der Sub-Subunternehmer-Ökonomie

Heute schon einen richtigen Brief verschickt, beispielsweise eine handgeschriebene Liebeseloge oder eine Anfrage nach Flensburg, das eigene Punktekonto beim Verkehrszentralregister betreffend? Dann hat man den Brief in einen Briefkasten der Deutschen Post geworfen und viele Menschen gehen davon aus, dass Mitarbeiter der Deutschen Post diese leeren und die mehr oder weniger wichtigen Schreiben in die großen Briefverteilzentren bringen. Aber bekanntlich gibt es solche und solche Mitarbeiter. Und wir leben in einer sich metastasierend ausbreitenden Subunternehmer-Ökonomie, von der auch unsere Briefe betroffen sind – sowohl bei der Zustellung wie auch schon beim Einsammeln. In dem wirklich lesenswerten Artikel Weniger ist leer von Bettina Malter müssen wir lesen: »Die Deutsche Post duldet Dumpinglöhne beim Einsammeln der Briefe. Lange war nicht bekannt, wie schlecht die Arbeitsbedingungen sind. Jetzt bricht ein Fahrer sein Schweigen.«

Es geht um eine richtig große Sache: 112.052 Briefkästen stehen (noch) in Deutschland. Und die müssen regelmäßig geleert werden. Bettina Malter berichtet von Matthias Jung (Name natürlich geändert), der solche Briefkästen abfährt und entleert und der ein gelbes T-Shirt mit dem bekannten Posthorn trägt, also scheinbar bei dem ehemaligen Staatsmonopolisten Deutsche Post – die immer noch auf einen Marktanteil von 89% im Briefgeschäft kommt – arbeitet. Scheinbar deshalb, weil er das nicht tut, was sich erschließt, wenn man den kleinen Aufdruck „Servicepartner der Deutschen Post“ bedenkt, den er mit sich herumtragen muss. Er ist angestellt bei einem Auftragnehmer der Deutschen Post, in seinem Fall konkret bei einem  Subunternehmen eines Subunternehmers der Post.
»Um Kosten zu sparen, hat die Post vor mehr als zehn Jahren damit begonnen, diese Arbeiten an Fremdfirmen zu vergeben. Die Post sagt, es werde nur „ein geringer Anteil der Leerungen durch Servicepartner“ erledigt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di geht aber vom Gegenteil aus: „Die Fremdvergabe ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel.“ So ist ein Netz aus Hunderten Firmen entstanden, die um die Aufträge buhlen. Billiger gewinnt. Nicht zuletzt deshalb, weil die Partnerfirmen ihren Mitarbeitern nicht den gleichen Lohn zahlen wie die Post. Fahrer, die bei der Deutschen Post beschäftigt sind, bekommen laut Tarifvertrag etwa 11 Euro die Stunde, nach zwölf Jahren sogar rund 14 Euro, und haben eine 38,5-Stunden-Woche.

Matthias Jungs Vertrag sieht demgegenüber 40 Wochenstunden vor – bei einem Gehalt von 789 Euro brutto im Monat. Sein Tag beginnt um sieben Uhr morgens und endet um 19 Uhr. Mittags hat er zwei Stunden frei, samstags früher Feierabend. Umgerechnet verdient er 4,50 Euro die Stunde. Jung muss also fast zweieinhalb Stunden arbeiten, um genauso viel zu verdienen wie ein Post-Angestellter in einer Stunde.«

Ja ist das denn nicht „sittenwidrig“, wird sich der eine oder die andere an dieser Stelle fragen? Hat nicht das Bundesarbeitsgericht 2004 – so Bettina Malter in ihrem Artikel – in einer wichtigen Entscheidung das heute immer wieder gerne zitierte Merkmal für Sittenwidrigkeit definiert, dass ein Lohn, der ein Drittel unterhalb des Tariflohns liegt, ein Wucherlohn sei? Wenn das so ist, dann ist der Lohn des Herrn Jung sittenwidrig.

Hier nur ein kleiner Exkurs in die Untiefen der „Sittenwidrigkeit“ bzw. des „Lohnwuchers“ (im Sinne eines „Wuchers“ nach unten): Offensichtlich bezieht sich Bettina Malter auf BAG , Urt. v. 24.03.2004, Az.: 5 AZR 303/03. Das Gericht berichtete damals in einer Pressemitteilung über den Sachverhalt und die Entscheidung: »Der Kläger war von Dezember 2000 bis August 2001 bei dem beklagten Zeitarbeitsunternehmen als Lager- und Versandarbeiter/Hilfskraft in Berlin beschäftigt. Der arbeitsvertraglich vereinbarte Stundenlohn betrug zunächst 11, 99 DM und dann ab 1. Mai 2001 12, 38 DM. Der Kläger meint, der vereinbarte Lohn sei sittenwidrig, weil er in einem auffälligen Missverhältnis zu dem vom Statistischen Landesamt mitgeteilten Durchschnittslohn für ungelernte Arbeiter im produzierenden Gewerbe in Berlin in Höhe von 23, 35 DM stehe. Mit seiner Klage verlangt er die Differenz zwischen dem vertraglich vereinbarten Stundenlohn und dem seiner Meinung nach ortsüblichen Lohn in Höhe von 23, 35 DM. Die Klage blieb in allen Instanzen erfolglos. Der vertraglich vereinbarte Stundenlohn des Klägers ist nicht sittenwidrig.« Und warum? »Der Kläger war nicht im produzierenden Gewerbe tätig, sondern bei einem Zeitarbeitsunternehmen. Maßgebliche Bezugsgröße für die Feststellung der Sittenwidrigkeit der Lohnvereinbarung ist der bei Zeitarbeitsunternehmen geltende Tariflohn … Dieser Tariflohn ist seinerseits nicht sittenwidrig.« In dem Beitrag Niedriglohn oder Lohnwucher? auf der Website anwalt.de wurde bereits 2010 zum Thema „Sittenwidrigkeit“ ausgeführt: »Bereits 1997 hat der Bundesgerichtshof im Rahmen einer Strafverurteilung eines Bauunternehmers, der zwei tschechischen Maurern einen Wucherlohn gezahlt hatte, einen Richtwert vorgegeben: Danach ist ein Lohn sittenwidrig, wenn er unterhalb von zwei Dritteln des in der Branche und Region üblicherweise gezahlten Tariflohns liegt (Beschluss v. 22.04.1997, Az.: 1 StR 701/96). An diesem Grenzwert orientierten sich die Arbeitsgerichte, wenn sie entscheiden mussten, ob ein Lohn sittenwidrig ist. Diesen Grenzwert des BGH hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil v. 22.04.2009 auf die arbeitsrechtliche Komponente übertragen (Az.: 5 AZR 463/08). Der Entscheidung lag ein besonders schwerwiegender Fall von Lohndumping zugrunde: Eine Portugiesin, die kein Deutsch konnte, war als Hilfskraft in einem Gartenbaubetrieb beschäftigt. Laut dem in Portugiesisch verfassten Arbeitsvertrag arbeitete sie für einen Stundenlohn in Höhe von 3,25 Euro im Monat bis zu 352 Stunden. Sie und ihre Familie bekamen vom Arbeitgeber eine Wohngelegenheit auf dem Betriebsgelände gestellt. Der 5. Senat bestätigte, dass dieser Stundenlohn unter zwei Dritteln des Tariflohns lag. Aus seiner Sicht lag vorliegend zweifelsohne Ausbeutung und damit Lohnwucher gemäß § 138 Abs. 2 BGB vor, was die gesetzeswidrig hohen Arbeitszeiten verdeutlichten.« Entscheidend, so das BAG, bei der Beurteilung, ob ein sittenwidriger Wucherlohn vorliegt, ist allein das Missverhältnis zwischen Arbeitsleistung und Arbeitsentgelt.
Zurück zur Deutschen Post und ihren Subunternehmen: Matthias Jungs Gehalt liegt sogar noch deutlich unter zwei Drittel der Vergütung der posteigenen Mitarbeiter und ist damit – sittenwidrig. Also eigentlich. Nur scheint das die Deutsche Post nicht besonders zu interessieren und sie greift zu einer Argumentationsfigur, die wir auch aus anderen Zusammenhängen – man denke hier beispielsweise an die Subunternehmerketten bei den Paketdiensten wie GLS & Co. – kennen: „Die Verantwortung für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen“ und auch „der Höhe der Vergütung liegt beim Servicepartner“. Wie schön. Aus den Augen, aus dem Sinn oder Wegdelegation von Verantwortlichkeit nennt man das dann wohl.

Hätten wir doch schon den 1. Januar 2015, wird der eine oder die andere jetzt denken, dann gäbe es schon die magischen 8,50 Euro gesetzlichen Mindestlohn. Aber der Mindestlohn hat im Postbereich eine eigene, besondere Geschichte und Bettina Malter berichtet auch darüber, die zynische Note dieser Geschichte nicht aussparend:

»Am 1. Januar 2008 fiel in Deutschland das Briefmonopol. Seither dürfen nicht mehr nur die Deutsche Post, sondern auch Konkurrenten wie die Pin Mail AG oder TNT Briefe transportieren. Mehr Wettbewerb sollte für niedrige Preise und höhere Qualität sorgen. Doch gleichzeitig geschah etwas anderes: Wenige Tage vor der Marktöffnung hatte die Bundesregierung – auf massiven Druck der Post hin – hastig einen Mindestlohn beschlossen. Er sollte allerdings weniger dem Schutz der Arbeitnehmer dienen als dem Schutz des bisherigen Monopolisten vor mehr Wettbewerb. Als das Bundesverwaltungsgericht den Mindestlohn zwei Jahre später wieder kippte, waren viele Post-Konkurrenten bereits vom Markt verschwunden. Sie konnten die hohen Tarife nicht zahlen und mussten Insolvenz anmelden.
Man kann also sagen: Mit dem alten Post-Mindestlohn schaffte sich die Post unliebsame Konkurrenten vom Leib, um nun anschließend mit der Fremdvergabe von Aufträgen jenen Zustand zu befördern, den sie einst bei ihren Wettbewerbern anprangerte: Dumpinglöhne.«

Das hat schon was.

Aber es gibt doch mit der Bundesnetzagentur eine staatliche Aufsicht über die Postdienstleister, mithin und gerade über die Deutsche Post. Kann man hier keine Hilfe erhoffen? Kann man leider nicht. „Die Bundesnetzagentur überwacht die Fremdvergabe nicht“, heißt es auf Anfrage. Es gebe in diesem Bereich „keine postrechtlichen Regelungen“, berichtet Malter. Matthias Jung hat Pech – er arbeitet in einem „weitgehend unregulierten Bereich“.

Immerhin hat die Bundesnetzagentur ganz aktuell wenigstens mal genauer hingeschaut im Bereich der (eigentlich regulierten) Briefzustellung und das, was man gefunden hat, in einem Bericht über die „wesentlichen Arbeitsbedingungen bei den Linznehmern im lizenzpflichtigen Briefbereich“ veröffentlicht. Birger Nicolai berichtete in der Tageszeitung „Die Welt“ vor kurzem über den noch unveröffentlichten Bericht unter der Überschrift „Löhne der privaten Zusteller sind zu niedrig“. Mit Blick auf die Briefzustellung kommt die Agentur zu dem Befund: » Insgesamt 15.863 solcher Fremdfirmen gab es Ende 2012, davon waren 4.909 für private Briefdienste und 10.954 für das Briefgeschäft der Deutschen Post tätig. Im Vergleichsjahr 2009 waren insgesamt nur 11.964 Subunternehmer beschäftigt, 10.849 bei der Post.« Zu den Löhnen erfahren wir: »Danach zahlen private Briefdienste den eigenen Zustellern 9,46 Euro durchschnittlich in der Stunde. Zwischen den Bundesländern gibt es Unterschiede: In Hamburg sind es 10,34 Euro, in Sachsen 8,32 Euro. Enthalten sind darin auch mögliche Sonderzahlungen wie Weihnachtsgeld oder Urlaubsgeld.« In drei Bundesländern lagen die Verdienste unter dem (kommenden) gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. „Insgesamt zeigt die vorliegende Untersuchung, dass das Lohnniveau bei den Wettbewerbern seit der letzten Erhebung im Jahr 2009 merklich angestiegen ist“, so die Agentur. Zwar zahlt die Deutsche Post im Durchschnitt mit 16,01 Euro wesentlich mehr als ihre Wettbewerber, allerdings muss man dabei bedenken, dass der Stundenlohn der Post vom hohen Anteil älterer Arbeitsverträge sowie von den Beamtenlöhnen nach oben geschoben wird. Neueinsteiger erhalten bei der Post 11,48 Euro und damit nur noch etwas mehr als die Konkurrenten. Und das soll so weitergehen – also aus der Perspektive der Deutschen Post nach unten: »Kürzlich hat Postchef Frank Appel angekündigt, sich den Wettbewerbern beim Lohn annähern zu wollen. Angestrebt wird ein niedrigerer Einstiegslohn.« Man muss dieses Ansinnen auch und gerade vor diesem Hintergrund sehen und bewerten: Im vergangenen Jahr verzeichnete die Post ein operatives Ergebnis von 2,9 Milliarden Euro. Allein in der Briefsparte lag es bei 1,2 Milliarden Euro.

Dass die Deutsche Post allein in der Briefsparte ein operatives Ergebnis in Höhe von 1,2 Milliarden Euro erzielt hat, liegt eben auch an Menschen wie dem Matthias Jung, über den Bettina Malter in ihrem Artikel berichtet. Die armen Schweine am Ende der Kette. Da, wo die Ausbeutung am größten ist. Auch deshalb: Im Gegensatz zu Briefträgern und Paketboten, die die Post nach Hause bringen, haben die Briefkastenleerer keinen Kontakt zum Kunden. Kaum tauchen sie irgendwo an einem Briefkasten auf, sind sie schon wieder verschwunden. Matthias Jung wird unbemerkt ausgebeutet, so die Einschätzung von Malter. Sie hat die Gewerkschaft ver.di mit dem Arbeitsvertrag des Matthias Jung konfrontiert, konkret den Arbeitsrechtler Steffen Damm von der Rechtsabteilung von ver.di Berlin-Brandenburg:

»Paragraf 7 macht dann selbst den erfahrenen Juristen fassungslos: „Mit dem Grundgehalt sind 16 Überstunden pro Woche abgegolten“, steht dort. Die 789 Euro im Monat beinhalten also fast 70 unbezahlte Arbeitsstunden. Jung bestätigt, dass er sie jede Woche voll leisten muss. Der Arbeitgeber spart dadurch mehr als eine Drittelstelle ein. Drei Fahrer machen also die Arbeit von vier. „Solch eine Klausel ist bei dem vereinbarten Gehalt nichtig“, sagt Damm.«
Jetzt also – hier hat man doch endlich eine Handhabe. Oder doch nicht? Es ist wie ein Teufelskreis des Zynismus: »Denn in der Kette von Subunternehmern, die für die Post arbeiten, gibt es viele Kleinunternehmen; Betriebe, die weniger als zehn Mitarbeiter haben.« Und in so kleinen Unternehmen dürfe der Arbeitgeber eine Kündigung aussprechen, ohne sie begründen zu müssen. Was also faktisch bedeutet: Herr Jung kann selbstverständlich juristisch gegen die Ausbeutung vorgehen und für sich genommen hat er gute Chancen, aber er wird dann absehbar seinen Arbeitsplatz verlieren. Das wissen bzw. ahnen viele Betroffene und die Arbeitgeber wissen das ganz besonders.

Der Besuch bei dem Arbeitsrecht-Profi von der Gewerkschaft bringt übrigens weitere brisante Details ans Tageslicht:

»“Gehalt 789,00 Euro brutto“, liest er vor. In den nächsten Zeilen reihen sich Beträge untereinander, die steuerfrei an Jung gezahlt werden: Erstattung der Telefonkosten, ein Ausgleich für ausgelegte Kosten – die es nicht gibt – und ein sehr hoher Verpflegungszuschuss, so hoch, wie er gesetzlich nur zulässig ist, wenn Jung den ganzen Monat außerhalb Berlins arbeiten würde – was er nicht tut. Diese Leistungen bekommt Jung nicht aus Großzügigkeit, sondern, so schlussfolgert Anwalt Damm: „Der Arbeitgeber will damit Sozialversicherungsbeiträge umgehen.“ Alles addiert, kommt Jung letztlich auf ein Bruttogehalt von 1.400 Euro. Davon bleiben ihm knapp 1.200 Euro, wovon sein eigentlicher Nettolohn wiederum 600 Euro ausmacht. Nicht nur für die Sozialkassen, auch für Jung hat das konkrete Auswirkungen: Wenn er in den Urlaub fährt oder krank ist, zahlt ihm seine Firma allenfalls das Gehalt, nicht aber die sonstigen Zuschüsse … Jung und sein Arbeitgeber zahlen aufgrund des geringen Grundgehalts weniger in die Rentenkasse ein, als sie müssten. Die Folge kann Jung auf seinem Rentenbescheid nachlesen: Wenn er so weiterarbeitet wie jetzt, kann er im Alter mit einer Rente von gerade einmal 600 Euro rechnen.«

Bettina Malter hat lange suchen müssen, um einen zu finden, der aus den Untiefen dieses Segments berichtet. Viele andere haben abgelehnt aus Angst vor dem Jobverlust.
Zugleich berichtet sie aber von gleichsam „kannibalistischen“ Ausformungen eines Brutalo-Wettbewerbs: Sie zitiert beispielsweise einen türkischen Fahrer im Westen Berlins: „Ich verdiene 5,80 Euro“, sagt er. „Die Polen, die hier viele Touren übernehmen, fahren für noch weniger Geld.“ Gerade im Norden der Stadt haben viele Transporter von Servicepartnern ein polnisches Kennzeichen. Von den angesprochenen polnischen Fahrern war keiner bereit zu reden.
Man muss an dieser Stelle wieder daran erinnern, wer ganz oben für das mindestens mitverantwortlich ist: Die Deutsche Post. Sie schweigt offiziell zu der Frage, was sie denn ihren Subunternehmen zahlt. Zumindest bestreitet sie, die Auftragnehmer nach Stunden zu bezahlen. Soweit die Theorie. Die Praxis sieht anders aus:

»Subunternehmer hingegen berichten von Preisen zwischen 16 und 19 Euro pro Stunde. Damit müssen Personal, Benzin, Fahrzeuge und die Miete fürs Büro bezahlt werden. Wer eine Tour erhält, gibt sie für einen geringeren Preis an einen Sub-Subunternehmer weiter. Es geht darum, Personalkosten und Kosten für die Fahrzeuge zu sparen, und darum, das eigene Risiko zu verringern. Und natürlich will jeder der Beteiligten Gewinn machen. Das größte Risiko trägt letztlich der, der in der Kette ganz unten steht. In vielen Fällen sind das Einmannfirmen, Taxifahrer oder Pizzalieferanten, die sich vor allem in ländlichen Regionen als Briefkastenleerer ein Zubrot verdienen.«

Abschließend: Es geht hier nicht um ganz besondere „Stilblüten“ in einer sicher bedauernswerten, allerdings einmaligen Neben-Branche. Zeitgleich zu dem hier herausgestellten Artikel von Bettina Malter wurden wir konfrontiert mit einem Bericht aus den Untiefen der Busbeförderung von Schülern und behinderten Menschen, die ebenfalls oft vergeben werden an mehr oder weniger dubiose Subunternehmen: Dumpinglöhne konkret: „Bedenkliche“ 2,88 Euro und wieder einmal die Arbeitszeitmanipulation als Haupteinfallstor für Bypass-Strategien zum Unterlaufen von Lohnansprüchen. Zugleich ein Ausblick auf das, was noch kommen wird – so habe ich einen Blog-Beitrag auf der Facebook-Seite von „Aktuelle Sozialpolitik“ überschrieben. In diesem Beitrag wird ein Artikel aus der Online-Ausgabe der WAZ zitiert, in dem berichtet wird, dass ein Busunternehmer sich auf einen Vergleich vor Gericht eingelassen habe, der dem klagenden Busfahrer eine Nachzahlung von über 4.000 Euro bringen wird, weil der Richter die gezahlten 2,88 Euro pro Stunde als „bedenklich“ tituliert hat. Aber 2,88 Euro pro Stunde sind nicht „bedenklich“, sondern eine richtige Schweinerei.

Von Putzfrauen, die ein Krankenhauskonzern in die Mangel nimmt, über Praktikanten in Bundesministerien, die sich glücklich schätzen können, umsonst arbeiten zu dürfen bis hin zu den Paketzustellern, den wahren Helden der Adventszeit

Die Gesundheitspolitik ist bekanntlich ein Haifischbecken, auch deshalb, weil es hier um Milliarden-Beträge geht und man bei allem Wehgeklage durchaus eine Menge Geld verdienen kann. Damit soll hier gar nicht die hinsichtlich des Geldverdienens reflexhaft vorgeführte Pharmaindustrie adressiert werden, sondern die Krankenhäuser, die ansonsten doch eher als unterfinanziert und überlastet daherkommen und sich auch so darstellen. Nun gibt es solche und solche Kliniken. Es gibt viele, die in den roten Zahlen feststecken oder wenn es hochkommt, eine schwarze Null erreichen, aber da sind eben auch hochprofitable Kliniken auf dem „Markt“, die richtig gute Renditen erwirtschaften. Weil sie sich spezialisiert haben, weil sie auf Effizienz getrimmt sind und bzw. oder, weil sie den einen (z.B. dem Personal) etwas wegnehmen, um es anderen (z.B. den Aktionären) zu geben. Sprechen wir also von einem börsennotierten Klinikkonzern: Der Rhön-Klinikum AG – und von ihren Putzfrauen.


Die Rhön-Klinikum AG mit Sitz in Bad Neustadt an der Saale, am Rande der Rhön besitzt und betreibt mehr als 40 Kliniken mit 17.000 Betten. Dort werden jährlich mehr als 2,5 Millionen Patienten behandelt, die fast drei Milliarden Euro Umsatz und fast 300 Millionen Euro Gewinn bringen (vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen). Die Abbildung verdeutlicht die Entwicklung der wichtigsten Unternehmenskennzahlen in den Jahren 2008 bis 2012.

Damit die Kosten möglichst gering und die Profite möglichst hoch ausfallen, sind in einigen Kliniken offenbar über Jahre hinweg Putzkräfte systematisch ausgebeutet worden. Nun soll das Klinik-Imperium bezahlen, berichtet Klaus Ott in seinem Artikel „Die Angst der Putzkraft„. Die Fahnder des Zolls Die Fahnder haben untersucht, wie Putzfrauen in den Privat-Kliniken des Rhön-Konzerns behandelt wurden. Der Zoll hat angeblich erschreckende Befunde ans Tageslicht befördert. Immer wieder – so kann man es dem Artikel entnehmen – geht es um das Phänomen der unbezahlten Mehrarbeit der Putzfrauen:

»Eine Putzkraft aus der Klinik Warburg in Westfalen hat erzählt, sie habe zehn Stunden zusätzlich im Monat arbeiten müssen und dafür keinen Lohn erhalten. Aus Angst um ihren Arbeitsplatz habe sie sich nicht beschwert … Eine Vorarbeiterin aus der Klinik in Herzberg am Harz hat ebenfalls von … unbezahlten Überstunden (berichtet). Jede Frau habe pro Tag und Station eine Stunde mehr arbeiten müssen. Der Vorarbeiterin fielen auf Anhieb 15 Kolleginnen ein, denen es so ergangen sei. Das vorgegebene Arbeitspensum habe erledigt werden müssen, egal wie.« Aber die Protokolle des Zolls, die voll sind mit heftigen Anschuldigungen der vernommenen Putzkräfte, enthalten auch dies: »In etlichen Regionen berichteten Reinigungsfrauen, sie hätten keinen Grund zur Klage. Sie würden anständig behandelt und für alle Stunden bezahlt.«

Wir lernen aus dem vorliegenden Sachverhalt auch noch etwas anderes, gerade mit Blick auf die Kontrollproblematik in Zeiten eines sich am Horizont abzeichnenden allgemeinen Mindestlohnes: Kontrolle, Ermittlung und Beweisführung ziehen sich oftmals wie Kaugummi auf der Zeitachse: »Zwei Jahre und drei Monate ist es her, dass der Zoll bundesweit Rhön-Beschäftigte vernahm, um mutmaßliche Missstände aufzudecken.« Und jetzt läuft die Maschinerie so langsam, aber sicher an: Die Sozialversicherer machen für die unbezahlten Überstunden nicht abgeführte, also hinterzogene Beiträge geltend. »Die Behörden und Versicherer glauben, mehrere zehn Millionen Euro Sozialbeiträge seien nachträglich fällig. Allenfalls einige Millionen Euro wären gerechtfertigt, wenn überhaupt, heißt es in Rhön-Kreisen.«

Es wird viele nicht überraschen, dass eine Komponente der Effizienzoptimierung der Krankenhauskonzernmanager die Ausnutzung aller Tiefen und Untiefen des Steuerrechts darstellt. Sie haben sich eines legalen Steuertricks bedient, berichtet Klaus Ott:

»Bis 2007 ließ der Konzern seine Krankenhäuser von Reinigungsfirmen putzen. Dann gründete Rhön eigene Tochterfirmen zum Säubern der Kliniken. Mehrheitseigner: die Rhön AG. Minderheitspartner: Reinigungsfirmen. Diese Konstruktion hat für den Konzern den Vorteil, dass er für die Putz-Rechnungen keine Umsatzsteuer mehr zahlen muss. Das spart 20 Millionen Euro im Jahr. Und trägt dazu bei, dass die Krankenhäuser profitabel sind … Sechs Firmen mit mehreren Tausend Putzkräften hat Rhön. Die Reinigungsgesellschaften Süd, Nord, West, Ost, Mitte und Zentral.«

Also immer wieder die Arbeitszeitmanipulation – denn wir müssen bedenken, dass es für die Reinigungskräfte schon seit längerem einen allgemeinverbindlichen Branchen-Mindestlohn gibt – der lag 2011, als der Zoll die Frauen befragte, bei 7 Euro im Osten und 8,55 Euro im Westen. Und den wollte bzw. musste man aufgrund der Vorgaben unterlaufen.

»Eine Beschäftigte aus Norddeutschland erzählte, vorher habe sie sechs Stunden Zeit für ihr Pensum gehabt, danach nur noch 4,8 Stunden, für dieselbe Arbeit. Keine Pause, extremer Stress, die Zeit sei knapp, man laufe wie ein Blitz durch, zu hoch angesetzte Normen, so steht es in den Protokollen.
Eine andere Frau hat ausgesagt, nach einer gesetzlichen Lohnerhöhung sei einfach die vorgegebene Arbeitszeit für das jeweilige Reinigungspensum gekürzt worden, oder man habe in derselben Zeit mehr leisten müssen. Zum Beispiel zusätzlich das Treppenhaus putzen. Das Pensum legten die „großen Chefs“ in Bad Neustadt fest, hat eine Teamleiterin ausgesagt.«

Man wird abwarten, was bei den Aktivitäten des Zolls und der Sozialversicherungsträger am Ende rauskommt. Aber da war doch noch was – genau, der Aufsichtsrat. Denn in dem war ein bekannter SPD-Gesundheitspolitiker Mitglied, Karl Lauterbach, der auch die einschlägige Verhandlungsgruppe für die SPD bei den Koalitionsverhandlungen angeführt hat. Genauer gesagt von Juli 2001 bis Juni 2013 saß er im Aufsichtsrat der Rhön-Klinikum AG. 64.000 Euro hat der Genosse laut Geschäftsbericht des Unternehmens dort im Jahr 2012 als Aufsichtsrat kassiert. 62.000 Euro sind es im Jahr zuvor gewesen, berichtet Klaus Ott in dem Artikel „Karlchen Überall“ und die Putzkräfte. Dafür müssen Putzfrauen lange stricken. Aber der Herr Abgeordnete lehnt jeden Kommentar dazu ab und geht auf Tauchstation.

Durch die Berichterstattung ist das Thema angekommen in den heiligen Hallen des Bundestages. Und da können wir unsere Reise durch die Arbeitswelt fortsetzen, durchaus passend, denn im Bundestag soll ja nach allen Ankündigungen demnächst die Arbeit aufgenommen werden an der gesetzlichen Fundierung des in Aussicht gestellten gesetzlichen, flächendeckenden Mindestlohnes in Höhe von 8,50 Euro. Dann können die vielen Praktikanten, die in den Bundesministerien an ihrem Lebenslauf basteln, hilfreich zuarbeiten, wenn es um die gesetzgeberische Arbeit geht. Und sie sind zugleich nicht nur Zeuge, sondern auch mitten drin in einem historischen Prozess. Dafür kann man doch nun wirklich auf eine Vergütung verzichten, wenn man so eine Chance bekommt. Müssen sie offensichtlich auch, folgt man dem Artikel „So drücken sich Bundesministerien um Praktikanten-Bezahlung“ von Lena Greiner: »Jedes Jahr absolvieren Hunderte Studenten ein Praktikum in einem Bundesministerium. Viele schreiben Reden, organisieren Veranstaltungen und führen Protokoll. Die beliebtesten Häuser zahlen dafür nicht. Denn was Arbeit ist, ist Definitionssache.«

Alle 14 Bundesministerien bieten Praktika an. Im Jahr 2012 waren es insgesamt 1.751 Plätze, allein 1.009 Praktikanten arbeiteten durchschnittlich drei Monate für das Auswärtige Amt. So steht es in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen im Bundestag. Dazu kommen noch 2.984 junge Menschen, die Praktika in Behörden absolvieren, die den Bundesministerien nachgeordnet sind. Und wie sieht es mit der Bezahlung aus? Dazu Lena Greiner in ihrem Artikel:

»Acht der Bundesministerien bezahlen ihre Praktikanten, 300 Euro monatlich sind es meistens. Sechs dieser Berliner Ministerien bezahlen ihre Vollzeitpraktikanten jedoch nicht. Keine Vergütung und keine Aufwandsentschädigung zahlen: das Auswärtige Amt, das Innenministerium, das Finanzministerium, das Wirtschaftsministerium, das Verteidigungsministerium und das Umweltministerium.«

Dabei ist doch eigentlich wie so oft alles geregelt: Seit November 2011 gibt es eine überarbeitete Fassung der „Praktikantenrichtlinie Bund„. Laut Innenministerium waren an der Ausarbeitung auch alle anderen Ministerien beteiligt. In der aktuellen Fassung heißt es unter anderem: „Für Praktika von Schülerinnen und Schülern, Berufsschülerinnen und Berufsschülern sowie Studierenden sind mindestens 300,- Euro monatlich zu zahlen.“Aber jetzt muss man wieder auf das Kleingedruckte achten: Dieser Satz mit den mindestens 300 Euro gilt nur für sogenannte freiwillige Praktika. Daneben gibt es noch die sogenannten Pflichtpraktika. Dazu heißt es in der Richtlinie: Die Pflicht-Praktikanten „besitzen keinen gesetzlichen Vergütungsanspruch“.

Die Verfechter dieses Systems argumentieren so: „Bei Pflichtpraktikanten geht man davon aus, dass die über Bafög oder die Eltern abgesichert sind“, so der Sprecher des Bundesinnenministeriums. »Doch welches Bafög sichert die Miete in einer anderen Stadt, tägliches Mittagessen in einer Ministeriumskantine, S-Bahn-Tickets, Anreisekosten und angemessene Kleidung? Wer keine Ersparnisse oder wohlhabende Eltern hat, kann ein solches Praktikum nur schwerlich machen«, so Lena Greiner in ihrem Beitrag. Aber letztendlich ist alles eine Frage des semantischen Zugangs, wie man dem folgenden Zitat entnehmen kann: Auf die Frage, warum die Praktikanten dort nichts bekommen, antwortet etwa das Umweltministerium: „Im Rahmen der Pflichtpraktika werden keine Arbeitsleistungen erbracht.“

Runden wir unsere Reise durch die Arbeitswelt ab mit einem Blick auf die wahren Helden dieser Tage vor der Bescherung: den Paketzustellern. Ungefähr 200.000 Menschen sind als Angestellte oder selbstständige Unternehmer im Kurier-, Express- und Paketgeschäft tätig. Größter Arbeitgeber ist die Deutsche Post AG, die 2012 nach eigenen Angaben allein 60.000 Zusteller für Paketlieferungen beschäftigte. Eine gute Übersicht über die Situation in diesem Teilbereich der Logistik liefert der Artikel „Countdown zum Kunden„. Darin findet man die folgenden Erläuterungen zu den Arbeitsverhältnissen bei den Paketdienstleistern:

»… der Status des Arbeitnehmers verschwindet – zugunsten von Freiberuflern oder Subunternehmern. Das Outsourcing erschwert die Interessenvertretung der Beschäftigten. So erledigt DHL Express die gesamte Zustellung mit Fremdfirmen. Anders die Paketsparte der Deutschen Post. Dort ist mit ver.di vereinbart, maximal 990 Zustellbezirke nach außen zu vergeben; den Beschäftigten wird hier ein vergleichsweise hohes Gehalts- und Schutzniveau geboten. DPD, GLS und Hermes vergeben die Zustelljobs größtenteils oder vollständig fremd, während UPS nach Gewerkschaftsangaben immerhin zu rund 60 Prozent eigene Paketboten beschäftigt. Die Subunternehmen sind weitgehend mitbestimmungsfreie Zonen.«

Anne Kunze hatte bereits Anfang Dezember in ihrem Artikel „Fünf Tonnen am Tag“ den Alltag der Paketzusteller beschrieben: »Paketboten schleppen Kühlschränke und Matratzen, Bücher und Schuhe: Noch nie haben die Deutschen so viel bestellt. Um die Pakete billig zu liefern, werden auch Zusteller der DHL ausgebeutet.« Im November hat die Deutsche Post DHL in Deutschland jeden Tag fünf Millionen Pakete zugestellt. Jetzt, vor Weihnachten, sind es acht Millionen. Die Marktbeobachter des Analystenhauses A.T. Kearney gehen in diesem Jahr von 2,3 Milliarden Paketsendungen nur in Deutschland aus. Tendenz steigend.

Die Deutsche Post DHL ist der größte Logistikkonzern der Welt. In diesem Jahr rechnet sie mit einem Gewinn von bis zu drei Milliarden Euro. Die Paketdienstleistung gehört zu den „wichtigsten Wachstumstreibern“. Aber: Zur Wahrheit über den Paketboom gehört auch, dass diejenigen den Preis drücken, die die Pakete verschicken: Experten schätzen, dass Händler wie Zalando gerade mal zwei Euro pro Paket bezahlen. Das dürfte die Kosten der Zusteller kaum decken. Den Druck geben die Paketdienstleister nach unten weiter, immer tiefer, bis er bei den Zustellern an der Paketfront ankommt.
Einen vergleichbaren Ansatz der Beschreibung des Arbeitsalltags der Paketzusteller wie Anne Kunze hat Anette Noppen in ihrem Artikel „Paket-Mann schleppt täglich 2000 Kilogramm“ gewählt, der in der Rhein-Zeitung erschienen ist. Sie porträtiert einen Tag im Arbeitsleben des Alexander Gilewitsch von der DHL. Der gehört sozusagen zu den „glücklichen Fällen“ unter den Paketzustellern:

»Seit 1997 fährt er für DHL – für 15 Euro brutto die Stunde. Gilewitsch geht es damit gut, wie er selbst sagt. Er gehört zur „alten Garde“, sein Lohn genießt Bestandsschutz. Gilewitsch wird nach Stunden bezahlt, nicht nach ausgelieferten Paketen. Überstunden werden noch einmal mit ein, zwei, drei Euro über dem regulären Stundensatz entlohnt.«

Abr natürlich kennt auch er die andere Seite, Kollegen bei den Subunternehmen der DHL, die für die gleiche Arbeit 600 Euro brutto weniger im Monat rausbekommen.
150 bis 180 Pakete fährt er an einem „normalen Tag“ aus. Die Arbeitsbelastung ist enorm: »Fast 2.000 Kilo wird er am Ende des Tages geschleppt haben. Geschätzte 400 Höhenmeter hat er dann zurückgelegt, 400 Mal ist er in seinen Transporter aus- und wieder eingestiegen. Kein Wunder, dass der Mann auf Sport in der Freizeit getrost verzichten kann.« Und er verweist mit Blick auf dieses Belastungsprofil auf eine andere sozialpolitische Großbaustelle:

»Der Rücken schmerzt immer wieder. „Bis zur Rente machen das meine Knochen nicht mit“, befürchtet Gilewitsch. Er denkt über Altersteilzeit nach. Dann könnte er mit 63 in Rente gehen. Und schon bei diesem Alter kommt Alexander Gilewitsch ins Grübeln. 21 Millionen Treppenstufen müsste er bis dahin noch steigen, mehr als 10 000 Tonnen Pakete schleppen. Am Ende seines Arbeitslebens hätte er dann umgerechnet etwa 250 Mal den Mount Everest erklommen. Und noch 21 Mal hätte er dann den Weihnachtspaketboten gespielt.«

Daniel Taab hat in seinem Artikel „Knochenjob zum Hungerlohn“ die Situation vieler Paketzusteller am Beispiel der Ergebnisse einer Kontrolle von 200 Paketfahrern am Flughafen Köln/Bonn durch den Zoll beschrieben. Er zitiert einen Zollfahnder, der von einem „knüppelharten Geschäft“ spricht: »Die Rede ist von Paketfahrern, die für einen geringen Lohn nachts Waren ausliefern, ständig unter Zeitdruck sind, oft für den Sprit selber aufkommen müssen und am Ende eines Monates zwischen 450 und 600 Euro brutto auf dem Konto haben. Um das verworrene Geschäftsgebaren von großen Paketdiensten, Subunternehmern, Paketboten und Scheinselbstständigen zu durchleuchten, kontrollierte das Hauptzollamt in den vergangenen Tagen am Flughafen Köln/Bonn mehr als 200 Fahrer.« Die Zollbeamten »sind bei ihren Kontrollen beispielsweise auf Rentner gestoßen, die zum Teil schon 75 Jahre alt sind und sich für die Aufbesserung ihrer Rente Nacht für Nacht ans Steuer der Paketwagen setzen.« Und weiter: »Zudem gebe es laut Zoll Fahrer, die im Frachtbereich manchmal acht Stunden in ihrem Sprinter sitzen und darüber hinaus in Bereitschaft sind, um eine zusätzliche Tour zu ergattern. Manchmal werde dann eine Fahrt von Köln nach Frankfurt angeboten – gezahlt werden 100 Euro netto.«

Das alles – und darüber wird schon seit Jahren in den Medien immer wieder berichtet – ist kein Spezifikum nur für Deutschland, wie man für Österreich dem in der Wiener Zeitung erschienenen Beitrag „Für die „Paketsklaven“ dauert ein Arbeitstag bis zu 14 Stunden“ entnehmen kann. Es werden die gleichen Strukturen beschrieben, wie wir sie auch in Deutschland vorfinden:
Immer mehr Paketzusteller sind nicht angestellt, sondern arbeiten als Selbständige. »Um Transporte möglichst günstig anzubieten, werden Subfirmen beauftragt. Die Konstruktionen sind vielfach kompliziert: Die Paketfirmen beauftragen Subunternehmen, die für die Zustellung in einem Gebiet wiederum mit Subfirmen – vielfach Ein-Personen-Betrieben – zusammenarbeiten. Bezahlt werden die Selbständigen meist pro ausgeliefertes Paket oder pro Stopp.«

Und das folgende Zitat verdeutlicht die Zusammenhänge mit anderen sozialpolitischen Themen:
»Die Fluktuation in der Branche ist hoch, viele Migranten sind als Paketzusteller tätig. Eine Prüfung der Krankenkassen, wie viele Paketzusteller als Scheinselbständige anzusehen sind und angestellt werden müssten, würde das Problem wohl auch nicht lösen … Denn einige Zusteller wollen selbständig bleiben, weil sie keine Arbeitserlaubnis für Österreich besitzen.« Da wären wir ja fast schon beim nächsten spannenden Thema.