Erzieher/innen verdienen mehr. Tarifpolitik für und mit den Kita-Beschäftigten: Gut gemeint, aber mit welchem Risiko?

In diesem Jahr wird es bei den Erzieher/innen und den Sozialarbeitern eine – wahrscheinlich – heftige Tarifrunde geben. Die Gewerkschaft ver.di will – gemeinsam mit der GEW, bei der auch viele Beschäftigte aus den Kindertageseinrichtungen organisiert sind – die Berufe deutlich aufwerten, indem sie tariflich höher eingestuft und deutlich besser bezahlt werden. Es geht da nicht um eine prozentuale Erhöhung der gegebenen Tarife wie bei einer allgemeinen Lohnrunde, sondern um eine weitaus härtere Nuss, die geknackt werden soll: Zum Jahresende 2014 hat ver.di gegenüber den kommunalen Arbeitgebern die Tarifvorschriften über die Eingruppierung der Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst gekündigt.

Es geht um eine „Neuregelung der Eingruppierungsvorschriften und der Tätigkeitsmerkmale im Umfang von durchschnittlich zehn Prozent“ in der entsprechenden Gehaltstabelle, der S-Tabelle, so die Gewerkschaft in einer Pressemitteilung vom Ende November 2014 mit der Überschrift Mehr Wertschätzung für die Beschäftigten. Vor allem mit Blick auf die Beschäftigten in den Kindertageseinrichtungen geht es um eine Berufsgruppe, die in den vergangenen Jahren im Mittelpunkt einer  gesellschaftspolitischen Diskussion gestanden haben, die mit dem Ausbau der Betreuungsangebote für Kinder unter drei Jahren einhergegangen ist. Durch die Einführung eines Rechtsanspruchs auf einen solchen Betreuungsplatz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr zum 1. August 2014 und die damit verbundenen quantitativen Ausbauentwicklungen gab es auch in einer breiten Öffentlichkeit eine Sensibilisierung für die Arbeitsbedingungen des Personals in den Kindertageseinrichtungen, angereichert um die Wahrnehmung eines zunehmenden Fachkräftemangels. Auf der anderen Seite muss man zur Kenntnis nehmen, dass sich die Forderungen der Gewerkschaften an die Kommunen richten, die ebenfalls in der öffentlichen Wahrnehmung stehen, allerdings oftmals vor dem Hintergrund, dass ihn vorne und hinten die Finanzmittel fehlen. Insofern stellt sich die berechtigte und zentrale Frage, wie die nunmehr vorliegenden Forderungen zu beurteilen sind, aber auch, was das im Kontext der kommunalen Finanzsituation im Ergebnis bedeuten könnte.

In der Berichterstattung über die gewerkschaftlichen Tarifstrukturveränderungsforderungen hat Yasmin El-Sharif ihren Artikel überschrieben mit einem kompakten Schlecht bezahlt, gut gefordert. Sie versucht sich abzuarbeiten an der Frage, was sollten die Fachkräfte verdienen? Und was ist uns die Betreuung unserer Kinder wert? Das sind nicht nur objektiv beantwortbare, zumindest vergleichend analysierbare Fragestellungen, sondern eben auch höchst normative.

Und darüber hinaus: Auch wenn man zu dem nachvollziehbaren Ergebnis kommen würde, dass die pädagogischen Fachkräfte in den Kindertageseinrichtungen (und auch in der Kindertagespflege, was aber aufgrund der besonderen Verhältnisse in diesem Bereich nicht Gegenstand der gewerkschaftlichen Forderungen ist) eine deutliche monetäre Aufwertung bekommen sollten, bleibt die eben nicht triviale Anschlussfrage, wer das denn bezahlen soll. Wir haben es also grob gesprochen mit zwei in sich bereits überaus komplexen Problemstellungen zu tun, die dann auch noch miteinander verbunden sind:

Zum einen die Frage, in welcher Höhe eine „richtige“ Vergütung für die pädagogischen Fachkräfte liegen sollte, zum anderen aber auch der Blick auf die Kostenträgerschaft bzw. der konkreten Verteilung der durch eine solche Veränderung anfallenden erheblichen Mehrkosten auf die unterschiedlichen Ebenen unseres föderalen Systems, also Kommunen, Bundesländer und Bund, hinzu kommen noch die Eltern (jedenfalls in den meisten Bundesländern) über die von ihnen aufzubringenden Elternbeiträge sowie die Träger der Einrichtungen mit ihren Eigenanteilen –  man sieht bereits an dieser überaus gerafften Skizze, dass wir es mit einer Vielzahl unterschiedlicher Akteure im bestehenden System der Finanzierung von Kindertageseinrichtungen zu tun haben, wobei generell hier schon die Anmerkung gemacht werden muss, dass es in Deutschland gerade kein „System“ gibt, sondern 16 unterschiedliche, teilweise erheblich voneinander abweichende „Kita-Systeme“, mit einem weiteren Akteur, dem Bund, der auch seine Finger im Spiel hat, sowohl hinsichtlich der Gesetzgebung (SGB VIII wie auch mit Blick auf seine Finanzierungsbeteiligung).

Dabei zeigt bereits ein grober Blick auf die Entwicklung der Kita-Landschaft in den vergangenen Jahren, dass es gute Gründe gibt für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen, wobei darunter auch die Vergütung – aber eben nicht nur – fällt. Seit 2006 zeigt sich ein gewaltiger quantitativer Ausbau – sowohl hinsichtlich der Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren wie auch mit Blick auf die in der Kindertagesbetreuung beschäftigten Menschen. In den letzten acht Jahren stieg die Zahl der in Kitas und der Tagespflege betreuten Kleinkinder um 131%, die Zahl der hier tätigen Personen um 184.000 (+48%) auf über 567.000 im nunmehr vergangenen Jahr (zu den Zahlen und der Abbildung vgl. den Beitrag von Rauschenbach, T.: „Kita 2020“ – eine empirische Zwischenbilanz. Erfolge und Herausforderungen des U3-Ausbaus, in: Kommentierte Daten der Kinder- & Jugendhilfe, Heft 3/2014, S. 4ff.). Das war (und ist, denn der Ausbauprozess ist ja nicht abgeschlossen) ein erheblicher Kraftakt, natürlich vor allem getrieben durch den individuellen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr, der am 1. August 2014 scharf gestellt worden ist.

Aber damit bei weitem nicht genug, denn die Anforderungen und die Rahmenbedingungen für die pädagogischen Fachkräfte in den Kitas haben sich in den vergangenen Jahren massiv verändert. Hierzu an dieser Stelle nur einige wenige Stichworte, die andeuten sollen, was damit gemeint ist: Hinsichtlich der Arbeit lassen sich mehrfach steigende Anforderungen an die Fachkräfte beobachten: durch die bildungs-, familien- und sozialpolitische Aufladung der Einrichtungen (mit der Folge eines steigenden Erwartungsdrucks, sowohl seitens der Politik und Wirtschaft, aber auch eines nicht kleinen Teils der Eltern, was die Inhalte und Angebote angeht), die Öffnung der Kitas „nach unten“ (also immer jüngere Kinder, die aufgenommen werden) und zugleich „nach außen“ (im Sinne einer Familien- und Sozialraumorientierung) sowie „nach oben“ (hier ist der Übergang in das Schulsystem gemeint), eine Verlängerung der Öffnungszeiten (die sich zunehmend von den Betreuungszeiten der Kinder entkoppeln mit allen daraus resultierenden Anforderungen an die Personalpolitik in den Einrichtungen) in Verbindung mit einer Verlängerung der von den einzelnen Kindern in Anspruch genommenen Zeiten (Trend in Richtung mehr Stunden pro Kind, also hin zum Ganztag). Man darf und muss darauf hinweisen, dass in vielen Einrichtungen auch der „pädagogische Schweregrad“ der Kinder gestiegen ist analog zu den Verwerfungen, die man in nicht wenigen Familien beobachten muss.

Mit Blick auf die Beschäftigten sind mehrere Besonderheiten herauszustellen, die oftmals in der Diskussion über „die“ Erzieher/innen vergessen werden: In der „durchschnittliche“ Normal-Kita arbeiten weniger als 10 Beschäftigte, es handelt sich also um eine kleinbetriebliche Struktur (mit allen Vorteilen, aber eben auch Nachteilen). Die möglichen Nachteile machen sich beispielsweise dann bemerkbar, wenn eine oder mehr aus dem Team krankheitsbedingt und das dann auch noch für längere Zeit ausfallen und man nicht eingebunden ist in einer größere und professionelle Trägerstruktur. Da gibt es dann oftmals keine Reserven und trotzdem wird der Betrieb am Laufen gehalten, auch wenn das bis in den Bereich der rechtlich eigentlich nicht zulässigen Einzelbesetzungen in Gruppen reicht. Hinzu kommt eine stetige Alterung der Belegschaften in den Kitas und eine sukzessive Zunahme des Anteils der Teilzeitbeschäftigten.


Vor diesem Hintergrund ist es mehr als nachvollziehbar, dass die betroffenen Fachkräfte endlich eine spürbare Verbesserung der Rahmenbedingungen ihrer Arbeit erwarten. Dazu gehört neben der Vergütungsfrage sicher mindestens genau so wichtig eine Verbesserung des Personalschlüssels.
Insofern werden die Forderungen von ver.di bei vielen Erzieher/innen auf mehr als fruchtbaren Boden fallen. Was die bereits erwähnten Tarifstrukturverbesserungen bedeuten würden, veranschaulicht und konkretisiert die Abbildung zu den Gehaltsstufen der Erzieher/innen nach der aktuellen Eingruppierung und bei einer Umsetzung der Gewerkschaftsforderungen. Für die Arbeitgeber würde das natürlich eine erhebliche Kostensteigerung bedeuten. Und von außen betrachtet sind die Zeiten sehr gut, um solche weitreichenden Forderungen nicht nur zu stellen, sondern nach einer entsprechend harten Tarifrunde auch in die Nähe einer Realisierung zu kommen.

Denn die Beobachtung eines zunehmenden Fachkräftemangels in immer mehr Regionen kann nicht nur als anekdotische Evidenz ins Felde geführt werden. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die in den letzten Jahren zählbare Ausweitung der Beschäftigung in der Kindertagesbetreuung vor allem dadurch ermöglicht wurde, dass es offensichtlich gelungen ist, neben einer verstärkten Ausbildung  auch durch eine Reaktivierung von Fachkräften den steigenden Personalbedarf gleichsam aus dem „früheren“ Bestand zu decken. Die Befürchtung, es würde auch nicht ausreichend qualifiziertes Personal eingesetzt, hat sich bisher nicht bestätigt, neben den Zugängen aus der Ausbildung vor allen bedingt durch die Rückkehr von Fachkräften, die zwischenzeitlich in anderen Tätigkeitsfeldern beschäftigt waren, worauf Mariana Grgic, Britta Matthes und Heiko Stüber in ihrer aktuellen. vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit veröffentlichten Studie Kindertagesbetreuung in Deutschland: Die Fachkräftereserve ist nahezu ausgeschöpft hinweisen. Aber: »Gleichzeitig wurde die Fachkräftereserve abgebaut, sodass sie nahezu ausgeschöpft ist. Wenn es weiter eine starke Nachfrage geben sollte (z. B. aufgrund von Ersatz- oder Zusatzbedarf), muss deshalb über zusätzliche Strategien zur Gewinnung von Fachkräften nachgedacht werden« (Grgic et al. 2014: 7; ein ausführlicher Forschungsbericht dazu wurde zeitgleich veröffentlicht: Die Fachkräftereserve in der Kinderbetreuung und -erziehung: Ergebnisse für Deutschland und die Bundesländer). Mit Blick auf die Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen ist das eigentlich eine sehr gute Nebenbedingung, neigen sich doch die Knappheitsverhältnisse auf diesem Teilarbeitsmarkt zugunsten der Beschäftigten, was ihre Verhandlungsposition stärken sollte. Also grundsätzlich. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass wir es mit einem besonderen „Markt“ zu tun haben und diese Besonderheiten werden es erschweren, die Forderungen auch umsetzen zu können – bzw. wenn, dann mit möglicherweise problematischen Nebenfolgen.
Auf diese richten Ulrike Plewnia und Herbert Weber in ihrem Artikel „Perverse Nebeneffekte“ in der Print-Ausgabe des Nachrichtenmagazins „Focus“ (Heft 4/2015) ihr Augenmerk, wenn auch mit einem noch zu diskutierenden problematischen Subtext versehen. »Die bislang verbissenste Tarifrunde für die Kinderbetreuung mit wochenlangen Streiks droht.  Eltern von Babys, Klein- und Schulkindern wären davon betroffen. Am Ende stehen, das ist schon sicher, höhere Gebühren und eventuell sogar eine schlechtere Kinderbetreuung.« Wie kommen die beiden Autoren zu dieser Schlussfolgerung?  Sie gehen aus von dem bestehenden System, das bereits heute durch eine markante Unterfinanzierung gekennzeichnet ist (vgl. hierzu und darüber hinaus zu einem möglichen Lösungsansatz ausführlicher Sell, S.: Die Finanzierung der Kindertagesbetreuung vom Kopf auf die Füße stellen. Das Modell eines „KiTa-Fonds“ zur Verringerung der erheblichen Unter- und Fehlfinanzierung der Kindertagesbetreuung in Deutschland. Remagener Beiträge zur Kinder- und Jugendhilfe 07-2014. Remagen, 2014).

Gleichsam als Kronzeugen berufen sie sich auf Thomas Höhle von der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) und Personaldezernent der Stadt München.  Er wird in dem Artikel mit der Aussage zitiert, dass die meisten Kommunen angesichts ihrer Haushaltslage gar nicht anders könnten, als die Qualität der Betreuung einzuschränken. Unabhängig von der Frage, ob es sich hierbei nur um eine angesichts der bevorstehenden Tarifauseinandersetzung verständliche Drohung der Arbeitgeberseite handelt, gibt es durchaus Faktoren, die dafür sprechen, dass man dieses Szenario nicht von vornherein verwerfen kann.  Ungeachtet der enormen Heterogenität der kommunalen Finanzlandschaft  ist es unbestreitbar so, dass tatsächlich viele Kommunen mit einer desaströsen Haushaltslage zu kämpfen haben und zugleich, wie bereits erwähnt, die Hauptkostenträger vor allem hinsichtlich der Betriebskosten, die zu weit über 80 % aus Personalkosten bestehen, sind. Und viele Kommunen haben in den vergangenen Jahren enorme Mittel in den Bereich der Kindertagesbetreuung investiert bzw. investieren müssen vor dem Hintergrund der Umsetzung des vom Bundesgesetzgeber implementierten Rechtsanspruchs.

Um die ganze Sache noch etwas komplizierter zu machen, muss man darauf hinweisen, dass von den 557.000 Beschäftigten in den Kindertageseinrichtungen 178.000 bei den Kommunen beschäftigt sind, während die große Zahl von 349.000 bei freien und (wenigen) privaten Kita-Trägern angestellt sind. Die Gewerkschaften führen die Tarifauseinandersetzung, die nun ansteht, aber erst einmal „nur“ mit den Kommunen. In einer zweiten Runde müssten dann die freien Träger möglicherweise vereinbarte Tariferhöhungen in ihre Regelwerke übernehmen bzw. diese entsprechend anpassen. Dieser Hinweis ist auch deswegen von Bedeutung, weil ein möglicher Streik als Druckmittel in den Tarifverhandlungen bei einem Großteil der freien Träger und damit seitens der dort beschäftigten pädagogischen Fachkräfte gar nicht möglich wäre, denn in den Einrichtungen, die konfessionell gebunden sind, gilt der „dritte Weg“ und damit ein faktisches Streikverbot. Wenn also die Erzieherinnen beispielsweise zu Arbeitskampfmaßnahmen aufgerufen werden, dann muss man beachten, dass faktisch ausschließlich die kommunal Beschäftigten diese auch umsetzen können bzw. dürfen.

Auch ein Repräsentant der freien Träger kommt in dem Artikel zu Wort: Wolfgang Stadler, der Bundesvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt, die bundesweit 2.300 Kitas betreibt, erwartet, dass Personal abgebaut wird: „Künftig wird noch schärfer gerechnet, jegliche Puffer und Extrastellen fallen dann weg“, so wird er in dem Artikel zitiert. Das ist besonders problematisch vor dem Hintergrund, dass die Ausstattung mit Personal vielerorts schon jetzt schlichtweg skelettös ist. Aber ob es einem gefällt oder nicht, man muss tatsächlich die Möglichkeit im Auge behalten, dass ein Erfolg der Gewerkschaften hinsichtlich der Tarifstruktur mit den daraus resultierenden Kostensteigerungen vor allem für die Kommunen dazu führen könnte, dass in dem bestehenden – leider völlig unter- und vor allem fehlfinanzierten – System der Rationalisierungsdruck für die Kitas steigt, wenn die kommunalen Haushälter versuchen sollten, das Gehaltsplus an anderer Stelle wieder auszugleichen. Dass sie das durchaus – trotz der bereits erwähnten gegebenen Unterausstattung mit Personal – machen könnten, verweist auf ein weiteres strukturelles Problem in der Kindertagesbetreuung: Es ist bislang nicht gelungen, fachwissenschaftlich fundierte Personalstandards vorzugeben, in vielen Fällen werden noch nicht einmal betriebswirtschaftlich elementare Faktoren einer richtigen Personalkalkulation berücksichtigt, wie beispielsweise die Ausfallzeiten, geschweige denn Vor- und Nachbereitungszeiten.

An dieser Stelle, man muss es in aller Deutlichkeit sagen, rächt sich das strategische „Versagen“ der großen Träger bzw. ihrer Verbände vor der Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz, denn damals war die Politik dermaßen verunsichert über ein mögliches Scheitern des notwendigen Ausbaus der Kindertagesbetreuungsangebote, dass man sicherlich – wenn man einen entsprechenden Druck aufgebaut hätte – weiter reichende Zugeständnisse der Politik beispielsweise hinsichtlich der Personalschlüssel, die erforderlich sind, um Kinder unter drei Jahren richtig zu betreuen, hätte herausschlagen können. Die großen freien Träger, die die Mehrzahl der Kitas in Deutschland betreiben, hätten eine Art „Kartell“ auf der Anbieterseite bilden müssen, dessen einziger Forderung darin bestanden hätte, eine Beteiligung an dem Ausbau der Betreuungsangebote für unter dreijährige Kinder unter den Vorbehalt einer entsprechenden fachlich vertretbaren Regelung der Personalschlüssel auch auf der gesetzlichen Grundlage zu stellen. Aus ganz unterschiedlichen, hier nicht zu diskutierenden Gründen ist es nicht gelungen, diesen so wichtigen Weg einzuschlagen. Nun steht man allerdings vor der Situation, dass nicht nur die gegebene Personalausstattung mehr als fragwürdig, mit Blick auf die besonders Kleinkinder teilweise in den Bereich der Kindeswohlgefährdung hineinreichend, ist, sondern ein Erfolg der Gewerkschaften bei den anstehenden Tarifverhandlungen könnte tatsächlich dazu führen, dass die Kommunen den Druck auf die gegebenen Rahmenbedingungen in den Kindertageseinrichtungen erhöhen (müssen).

Das alles bedeutet allerdings nicht, dass man deswegen jegliche Bemühungen und letztendlich am Ende eines möglicherweise erfolglosen Verhandlungsprozesses auch umfangreiche Streikmaßnahmen unterlassen sollte. Aber genau diese Botschaft wird ein Stück weit in dem erwähnten Artikel im „Focus“ transportiert. Dem sollte und dem darf nicht so sein. Es gibt gute Argumente dafür, den Druck im Kessel zu erhöhen, das ist letztendlich die einzige Sprache, die in solchen Auseinandersetzungen vor allem von der Politik gehört und verstanden wird. Aber zur Wahrheit gehört auch der Hinweis,  dass es eben nicht einfach ist, „die“ Erzieherinnen für Arbeitskampfmaßnahmen zu gewinnen, nicht nur aufgrund der Tatsache, dass lediglich die kommunal Beschäftigten in den Kindertageseinrichtungen an die Streikfront geführt werden können, sondern auch vor dem Hintergrund, dass die Erfahrungen beim letzten großen Arbeitskampf in diesem Bereich, der im Jahr 2009 stattgefunden hat, gezeigt haben, dass sehr viele Erzieherinnen sich schwertun mit Streikaktionen, die beispielsweise in anderen Bereichen unserer Wirtschaft, man denke hier an den Metallbereich, aber auch an die Bahn oder andere Beispiele, ohne Bedenken durchgeführt werden. Das hat etwas mit der inneren Verfasstheit der in dem Bereich der Kindertageseinrichtung arbeitenden Frauen zu tun. Insofern muss eine Gewerkschaft, wenn sie denn verantwortungsvoll handelt, diese Restriktionen beachten. Man kann und darf die Erzieherinnen schlichtweg nicht überfordern, es handelt sich hierbei nicht um Arbeitnehmer, die seit Jahren beispielsweise in der IG Metall organisiert sind und entsprechende Erfahrungen gesammelt haben. Das wissen natürlich auch die Arbeitgeber, was das Geschäft nicht einfacher macht.

Daraus nun abzuleiten, dass man von vornherein die Segel streichen sollte, wäre aber eine unzulässige und dem berechtigten Anliegen der pädagogischen Fachkräfte letztendlich auch schadende Schlussfolgerung.

Man kann es drehen und wenden wie man will, wir sind mit einem echten Dilemma konfrontiert. So sehr man den betroffenen Arbeitnehmerinnen und wenigen Arbeitnehmern in diesem Bereich erfolgreiche Tarifverhandlungen wünscht, man muss eben auch die Risiken diskutieren, die derzeit erkennbar sind. Hinzu kommt: Es geht eben nicht um Schrauben oder Autos oder einen Supermarkt, sondern im Mittelpunkt der Arbeit stehen kleine Kinder (und ihre Eltern), was natürlich bedeutet, dass man in jeglicher Hinsicht sensibel vorgehen muss. Einen möglichen Gedanken sollten allerdings strategisch veranlagte Gewerkschaftsfunktionäre lieber nicht weiter verfolgen: Die Erzieherinnen werden keinen „Ersatz“ bieten für die früheren Müllwerker, die für die ÖTV an der Speerspitze von Arbeitskämpfen gestanden haben. Die sind mittlerweile überwiegend privatisiert und teilweise marginalisiert. So hört man immer wieder von Überlegungen aus dem Gewerkschaftslager, dass die Beschäftigten in den Kitas diese Rolle übernehmen (sollen), denn von Streikaktionen in diesem Bereich sind natürlich neben den Kindern, die einen zeitweiligen Nicht-Besuch vielleicht sogar ganz gut wegstecken würden, sehr viele berufstätige Eltern betroffen, die nach einer anfänglichen Sympathiewelle über kurz oder lang auch sehr starken Druck ausüben werden auf die betroffenen Erzieherinnen vor Ort.

 Zugleich – und damit abschließend – verdeutlicht der Hinweis auf die vielen Eltern, deren Erwerbstätigkeit von einer funktionierenden Kinderbetreuung abhängt, andererseits eben auch das gewaltige Druckpotenzial, über das die Branche verfügt. Man stelle sich einfach mal hypothetisch einen großen und längere Zeit dauernden Kita-Streik vor. Sollte es dazu kommen und die betroffenen Eltern, also im Regelfall immer noch die Mütter, müssten schlichtweg zu Hause bleiben, dann würde erkennbar, welche zentrale Bedeutung diese Einrichtungen für die gesamte Wirtschaft in unserem Land haben. Durch einen längeren Ausfall könnte man ganze Branchen empfindlich treffen. Wie gesagt, nur zum Nachdenken und immer vor dem Hinweis, dass so etwas eine lange und intensive Vorbereitung notwendig machen würde, damit man dem gewaltigen Druck gewachsen wäre, der dann entsteht.

Die Hoffnung stirbt zuletzt und wenn, dann in der nächsten Legislaturperiode. (Zwei) Wohlfahrtsverbände und die Gewerkschaft GEW fordern ein „Bundesqualitätsgesetz“ für die Kindertagesbetreuung

Nach bzw. neben dem (immer noch bei weitem nicht abgeschlossenen) quantitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung im Kontext des zum 1. August 2013 scharf gestellten Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr soll es nun um eine qualitative Weiterentwicklung der Kindertagesbetreuung gehen. So weit, so gut und wichtig. Dem Grunde nach, denn man muss wie immer genauer hinschauen.

Am 6. November treffen sich das Bundesfamilienministerium und die Länderministerien zu einer Bund-Länder-Konferenz „Frühe Bildung“ in Berlin – ursprünglich mal als „Kita-Gipfel“ geplant und angekündigt. Noch im Juli dieses Jahres konnte man in dem SPIEGEL-Artikel Der Kita-Betrug von Ann-Katrin Müller lesen: »Für Anfang November hat Schwesig einen Kita-Gipfel angekündigt. Dort wolle sie mit Ländern, Kommunen, Gewerkschaften und Trägern in „einen regelmäßigen Austausch zu Struktur- und Qualitätsfragen“ treten, wie sie sagt. Mit konkreten Maßnahmen sollten die Teilnehmer allerdings nicht rechnen. Die Länder wehren sich vehement gegen verbindliche Standards, sie fürchten die Kosten. Und Schwesig hat dem wenig entgegenzusetzen. Alles, was mehr Personal und bessere Qualifizierung angehe, werde man „mittelfristig“ betrachten, heißt es aus ihrer Ressortspitze, also eher in der nächsten Legislaturperiode.« Nunmehr hat man Gewerkschaften und Träger ausgeklammert und das zu einem föderalen Gesprächskreis runtergebrochen, bei dem die anderen Akteure vor der Tür bleiben müssen.

Das ist insgesamt mehr als enttäuschend, denn in den vergangenen Monaten wurde hinter den Kulissen intensiv seitens vieler Fachleute an den Inhalten eines echten Bundesqualitätsgesetzes gearbeitet. Die natürlich mit zusätzlichen Kosten verbunden wären und die sind dann auch wieder einmal der Knackpunkt, denn die Bundesfamilienministerin Schwesig (SPD) hat das dafür erforderliche Geld vom Bundesfinanzminister schlichtweg nicht bekommen können (vgl. dazu bereits anlässlich der Aufteilung der 6 Mrd. Euro aus dem „Bildungspaket“ den Blog-Beitrag Die selbsternannte „Bildungsrepublik“ kreißte und gebar eine föderalisierte Maus. Das „Bildungspaket“ ist vor allem eine haushälterische Flickschusterei in Zeiten des Patchwork-Regierens vom 27.05.2014 – und auch die dort seitens der Länderfamilien- und -jugendminister geforderten, aber nicht realisierten 2 Mrd. Euro würden nicht ausreichen, um die erhebliche Unterfinanzierung der Kitas auszugleichen, was aber notwendig wäre, um reale Qualitätsverbesserungen in der Fläche erreichen zu können).

Nun wurden eine Woche vor dem geschrumpften Kita-Gipfel in Berlin die Forderung nach einem „Bundesqualitätsgesetz“ für Kindertagesbetreuung der Öffentlichkeit präsentiert – von einem „interessanten“ Bündnis aus Arbeiterwohlfahrt Bundesverband (AWO), dem Deutschen Caritasverband (DCV) und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).
Diese drei Organisationen haben vor der Bundespressekonferenz die Erklärung „Deutschland braucht ein Bundesqualitätsgesetz für die Kindertagesbetreuung“ vorgestellt.

Aus der Berichterstattung in den Medien hier einige Hinweise, hier auf drei Radiobeiträge, in denen wichtige Punkte zusammengefasst werden:

DLF: Wohlfahrtsverbände zu Kita-Qualität (29.10.2014)
DLF: Interview Norbert Hocke, Vorstandsmitglied GEW zur Kita-Qualität (29.10.2014)
SWRinfo: Wohlfahrtsverbände und Gewerkschaft fordern ein Bundesqualitätsgesetz für die Kindertagesbetreuung. Interview mit Stefan Sell (29.10.2014)

Das Bündnis aus Wohlfahrtsverbänden und Gewerkschaft weist rückblickend darauf hin, dass die Idee und Forderung nach einem „Bundesqualitätsgesetz“ erstens keine ganz neue Angelegenheit ist und man muss zweitens ergänzen, dass dieser Ansatz auch kein eigener, neuer Punkt der Bundesfamilienministerin Schwesig (SPD) ist: Bereits Ende Mai 2012 legte das Bundesfamilienministerium das von der Vorgängerregierung verabschiedete „10-Punkte-Programm für ein bedarfsgerechtes Angebot“ in der Kindertagesbetreuung vor. Darin steht es schwarz auf weiß geschrieben: Durch ein Qualitätsgesetz sollen Regelungen mit bundesweiter Gültigkeit geschaffen werden, die den Förderungsauftrag der Kindertagesbetreuung beschreiben. Ergänzend dazu darf in diesem Zusammenhang an die folgende Meldung aus dem Jahr 2013 erinnert werden:

»Das Bundesfamilienministerium arbeitet an einem Entwurf für ein Kita-Qualitätsgesetz. Derzeit lässt das Haus von Ministerin Kristina Schröder (CDU) einen Verfassungsrechtler prüfen, in welchem Umfang die Festlegung bundesweiter Standards mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Länder und Kommunen pochen auf ihre Zuständigkeit für das Thema frühkindliche Bildung. Die Länder dürften wohl einheitliche Standards akzeptieren, wenn sich der Bund als Gegenleistung stärker am Betrieb und Ausbau von Kitas beteiligt. Ein entsprechendes Wahlergebnis vorausgesetzt, soll das Gesetz bereits in den Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl eine Rolle spielen.« (DER SPIEGEL, Nr. 39/2013, 21.09.2013)

Ganz offensichtlich sind diese und auch die neuen Anläufe gescheitert. Aber schauen wir uns einmal genauer an, was denn seitens der Verbände und der Gewerkschaft hinsichtlich der anzustrebenden Inhalte eines Bundesqualitätsgesetzes gefordert wird:

»Ziel der beiden Verbände und der Gewerkschaft ist es, in einem Bundesqualitätsgesetz strukturelle Standards für die Kindertagesbetreuung festzulegen, die länderübergreifend von öffentlichen und freien Trägern umgesetzt werden, und pädagogische Qualität ermöglichen. Dazu gehören neben Regelungen zur Freistellung von Kita-Leitungen vor allem auch eine Neuberechnung der Fachkraft-Kind Relation. Des Weiteren sollte das Qualifikationsniveau der pädagogischen Fachkräfte sowie die Fort- und Weiterbildung geregelt werden.«

Zwei wichtige Einschränkungen werden hervorgehoben: Zum einen ist bei der Festlegung der einzelnen Qualitätsstandards darauf zu achten, dass wissenschaftliche Expertisen zugrunde gelegt werden, die belegen, welche Rahmenbedingungen erforderlich sind, um eine hochwertige Qualität in der Kindertagesbetreuung sicherzustellen und zum anderen sei es nicht akzeptabel, wenn mit Rücksicht auf einzelne Bundesländer Standards vereinbart würden, die zu einer Absenkung des Qualitätsniveaus führen.

In dem Gesetz sollte die folgenden Bereich geregelt werden:

  • Fachkraft-Kind-Relation
  • Mittelbare pädagogische Arbeitszeit
  • Qualifikation, Fort- und Weiterbildung
  • Leitungsfreistellung für Kindertageseinrichtungen
  • Fachberatung
  • Finanzierung und Recht

Diese Punkte werden dann in der Erklärung genauer erläutert. Hier nur eine Illustration anhand des wichtigen Aspekts der Fachkraft-Kind-Relation:

»Die Fachkraft-Kind-Relation beschreibt, wie viele Fachkräfte für die Kinder zur Verfügung stehen. Dazu ist es erforderlich, die garantierte Anwesenheit von der Fachkraft zu den angemeldeten Kindern pro Einrichtung neu zu berechnen. Um dies erreichen zu können, müssen die bisherigen Personalschlüsselberechnungen neu bewertet werden. In der Berechnung sind 254 Arbeitstage zugrunde zu legen, 30 Tage Urlaub, 15 Tage Krankheit und zehn Tage Fort- und Weiterbildung.«

Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass die immer wieder in der öffentlichen Diskussion zitierten Personalschlüssel noch besser sein müssen als die „Fachkraft-Kind-Relation“, denn die letztere Relation bezieht sich auf die Zeit, die am und mit den Kindern gearbeitet werden kann. Um diesen Punkt zu erläutern: Neben dem direkten Kontakt mit den Kindern (unmittelbare pädagogische Arbeitszeit) bedarf es beispielsweise Zeit für die Vor- und Nachbereitung, für die Dokumentation von Bildungsprozessen und die Zusammenarbeit mit Eltern (mittelbare pädagogische Arbeitszeit). Wird diese mittelbare Arbeitszeit nicht in den Personalschlüssel eingerechnet, führt dies zwangsläufig zu einer Verminderung der Zeit mit den Kindern. Das Papier der Verbände und der GEW ist hier ganz konkret: »Gefordert wird: 25 Prozent der Arbeitszeit als mittelbare Arbeitszeit personalwirksam in die Fachkraft-Kind-Relation einzurechnen.«
Wie sieht nun die Ist-Situation aus?

»Zum Stichtag 1. März 2013 variiert der Fachkraft-Kind-Schlüssel in Deutschland für unter Dreijährige von 4,3 bis 8,9 und für die Altersgruppe der 3- bis 6-jährigen Kinder von 10,3 bis 19,9.«

Ist das nun in Ordnung, zu viel oder viel zu viel? Dazu das Papier auf der Grundlage der fachwissenschaftlichen Diskussion:

»Notwendig ist eine Fachkraft-Kind-Relation für Kinder von
– 0 bis 1 Jahr = 1:2
– 1 bis 3 Jahr = 1:3
– 3 bis 5 Jahr = 1:8
– und ab 6 Jahre = 1:10.«

Ein Abgleich der Ist- mit den Soll-Werten verdeutlicht natürlich auf einen Blick, wie groß die Diskrepanz ist zwischen dem, was wir haben und dem, was wir haben sollten.

Besonders hervorzuheben und aus fachlicher Sicht uneingeschränkt zu befürworten ist der folgende Passus aus dem Forderungspapier, denn er bezieht sich auf die Kindertagespflege, die in der allgemeinen Debatte über Kindertagesbetreuung, der der es ganz überwiegend um die Kitas geht, in der Regel immer „vergessen“ wird:

»Analog dazu sollte die Anzahl der betreuten Kinder in Kindertagespflege geregelt werden, was Wirkungen auf die Erlaubnis zur Kindertagespflege (§ 43 SGB VIII) und die laufende Geldleistung (§ 23 Abs. 2a SGB VIII) nach sich zieht, die in diesem Zusammenhang ebenfalls bundesgesetzlich weiterentwickelt werden müssten.«

Ganz am Ende des Papiers finden wir dann den Punkt, der auch erklärt, warum sich auf der politischen Ebene nichts bewegt. Gemeint ist hier – nicht wirklich überraschend – der Komplex „Finanzierung“:

»Um eine finanzielle Ausstattung gewährleisten zu können, mit der sich eine qualitativ hochwertige Kindertagesbetreuung realisieren lässt, müssten nach OECD-Empfehlungen in Deutschland zu den Ausgaben von derzeit jährlich 17 Milliarden Euro zusätzlich neun Milliarden Euro in das System hinein gegeben werden. Das entspricht einem Prozent des Bruttoinlandsproduktes.
Derzeit beläuft sich der Anteil der Kommunen an den öffentlichen Netto-Ausgaben der Kindertagesbetreuung auf rund 60 Prozent, während der Anteil der Bundesländer bei knapp 40 Prozent liegt. Der Bund ist bislang an der Finanzierung der Kindertagesbetreuung im Wesentlichen über eine anteilige Finanzierung der Kosten für den Ausbau an Plätzen für die Betreuung von unter dreijährigen Kindern beteiligt. Hier bedarf es einer dauerhaft gesicherten Finanzierung der Betriebskosten, an der sich neben den Kommunen und den Ländern auch der Bund beteiligt.«
Zu diesem Punkt und einem konkreten Vorschlag, wie man die regelgebundene anteilige Bundesfinanzierung umsetzen könnte, wenn man denn wollte, vgl. die Ausführungen in Sell, S.: Die Finanzierung der Kindertagesbetreuung vom Kopf auf die Füße stellen. Das Modell eines „KiTa-Fonds“ zur Verringerung der erheblichen Unter- und Fehlfinanzierung der Kindertagesbetreuung in Deutschland (= Remagener Beiträge zur Kinder- und Jugendhilfe 07-2014), Remagen, 2014.

Fazit: Es ist wichtig und lobenswert, dass das Dreier-Bündnis aus Trägervertreter und Gewerkschaft hier eine Konkretisierung dessen vorgelegt haben, was in einem anzustrebenden Bundesqualitätsgesetz enthalten sein müsste. Von besonderer Bedeutung ist die Tatsache, dass in den Vorschlägen nicht etwa Minimalstandards oder der Durchschnitt aus den bestehenden Personalschlüsseln, die wir heute haben, als Bezugspunkt genommen werden, sondern hier werden tatsächlich die anzustrebenden Soll-Werte, die  aus der mittlerweile vorliegenden gesicherten empirischen Evidenz der frühpädagogische Forschung abgeleitet worden sind, als Referenz. Für ein Gesetz formuliert. Das ist deshalb besonders wichtig, weil im Vorfeld von einigen „Kritikern“ die Befürchtung gestreut wurde, dass angesichts der erheblichen Heterogenität der Rahmenbedingungen zwischen den Bundesländern ein „Bundesqualitätsgesetz“ dazu führen könnte, dass man sich irgendwo „in der Mitte“ einigt und somit für die, die bereits heute bessere Rahmenbedingungen als andere Bundesländer haben, eine Verschlechterung der Ist-Situation eintreten könnte.

Wenn man sich die gegebene und in einigen Bundesländern – gerade in Ostdeutschland – desaströse Personalausstattung in den Kindertageseinrichtungen anschaut, dann wird klar, dass die in dem Forderungspaket der Verbände und der GEW geforderten Personalverhältnisse nicht von heute auf morgen realisiert werden könnten. Auch wenn man dies wollte, weil es längst überfällig ist, würde eine Realisierung schlichtweg daran scheitern, dass wir bereits heute im System mit großen regionalen Unterschieden teilweise einen erheblichen Fachkräftemangel haben, der sich natürlich noch einmal potenzieren würde, wenn man diese deutlich höheren Werte umzusetzen versucht. Bei einer praktischen Umsetzung eines Bundesqualitätsgesetzes bliebe mithin nur der Weg, über einen Korridormodell eine schrittweise Annäherung der einzelnen Bundesländer an die Soll-Werte mit einer mehrjährigen Übergangszeit, die allerdings – wie der Rechtsanspruch auch – gesetzlich normiert werden müsste, anzustreben.

Auch wenn es unangenehm ist, so muss doch bilanzieren darauf hingewiesen werden, dass die Aussichten für dieses wichtige Projekt gegen Null gehen, was seine Realisierung angeht. Dies aus zwei Gründen: Zum einen haben die Ausführungen zur Finanzierung deutlich gemacht, wie die enorme Unterfinanzierung des bestehenden Systems ist, also wie viele Milliarden zusätzlich in das System hinein gegeben werden müssten, um die Standards auch wirklich umsetzen zu können. Diese finanzseitige Notwendigkeit – die übrigens bei einer „richtigen“ volkswirtschaftlichen Betrachtung dahingehend abgemildert wird, dass die Nettokosten erheblich geringer sind als die hier ausgewiesenen Bruttokosten aufgrund der erheblichen Rückflüsse, die aus der Kindertagesbetreuung induziert werden –, stößt in der derzeitigen politischen Realität auf eine Doppelblockade, deren vordergründige Verursachung man mit dem Begriff „schwarze Null“ sowie der nunmehr sich eintrübenden Konjunktur, wie das im Wirtschaftswissenschaftler-Deutsch genannt wird,  was zu Steuerausfällen im Haushalt führen wird, belegen kann. Aber es ist eben nicht nur eine reflexhafte Abwehrhaltung der Haushaltspolitiker auf der Ebene des Bundes, die eine absolut notwendige und hier auch geforderte Bundesbeteiligung an den laufenden Betriebskosten der Kindertageseinrichtungen (und der Kindertagespflege) blockiert. Auch die Bundesländer spielen hier ein hoch problematisches Spiel, wollen sie doch gerne Geld vom Bund, dieses aber nicht zweckgebunden und vor allem keine konkreten gesetzgeberischen Festlegungen der Rahmenbedingungen. Viele Kommunen saufen derzeit finanziell ab, nicht nur angesichts der Tatsache, dass sie die Hauptlast der laufenden Kosten in der Kindertagesbetreuung zu tragen haben und mit einer immer noch steigende Nachfrage der Eltern nach Betreuungsplätzen konfrontiert sind, die sie vor dem Hintergrund des Rechtsanspruchs auch erfüllen müssen, sondern zugleich werden sie auch in anderen sozialpolitischen relevanten Handlungsfeldern massiv unter Druck gesetzt, man denke hier nur an die Problematik der Unterbringung der Flüchtlinge.

Einen kritischen Hinweis verdient aber auch die konkrete Zusammensetzung des Bündnisses für ein Bundesqualitätsgesetz, was sich nun an die Öffentlichkeit gewandt hat. Es ist absolut lobenswert, dass sowohl die AWO wie auch die Caritas, die beide Träger von Kitas repräsentieren, gemeinsam mit der Gewerkschaft GEW diesen Vorstoß unternommen haben. Dem interessierten Beobachter wird sich allerdings sofort die Frage stellen: Wo sind denn die anderen? Wo ist an dieser Stelle der ansonsten wortgewaltige Herr Schneider vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband? Wo ist die Diakonie? Das DRK? Warum hat es keine von allen Seiten getragene Initiative in diese Richtung gegeben? Das sind nicht nur Fragen von grundsätzlicher politischer Bedeutung, sondern gerade die Mitarbeiter in den Einrichtungen sollten diese Fragen an ihre Trägervertreter stellen, denn eigentlich haben die die Funktion und Aufgabe und Verpflichtung, das zu tun, was mit dem neuen Papier jetzt wenigstens versucht wurde.

Von Quantitäten, Qualitäten und einem realen Fachkräftemangel: Die Kindertageseinrichtungen und das (fehlende) Personal. Und wieder einmal: Das Geld

Leider keine Überraschung, aber angesichts des bevorstehenden Jahrestages des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr auf alle Fälle eine gut platzierte Botschaft: Deutschlands Kitas fehlen 120.000 Erzieher, hat die Bertelsmann-Stiftung herausgefunden. Was keine Neuigkeit ist für diejenigen, die sich seit langem mit dieser Thematik beschäftigen. Immer wieder in den zurückliegenden Monaten wurde auch hier eindringlich darauf hingewiesen, dass schon der rein quantitative Ausbau der Betreuungsplätze für die unter dreijährigen Kinder – und das bei den in den Bundesländern gegebenen und von der Fachwelt unisono als deutlich zu schlecht kritisierten Rahmenbedingungen – zu einem quantitativen Mangel an pädagogischen Fachkräften führen muss, denn die zersplitterten Aus- und auch Weiterbildungssysteme sind nicht frühzeitig auf den seit Jahren absehbar steigenden Bedarf eingestellt, d.h. ausgebaut worden. Nun kann man aber die Fachkräfte nicht einfach per Knopfdruck backen und auch bekannte Hilfskonstruktionen wie die Schnellbleiche anderer Berufsgruppen oder der Import von Fachkräften aus Griechenland oder Spanien kann – wenn überhaupt – nur partiell etwas Luft verschaffen.

Und es muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass wir bislang „nur“ von einem quantitativen Personalmangel gesprochen haben, (noch) nicht von einem auch qualitativen Mangel, der aber mindestens genauso existiert wie der andere.

Man kann sich das an zwei Beispielen verdeutlichen, warum der Aspekt des qualitativen Fachkräftemangels erhebliche Implikationen haben kann und hat:

1.) Stellen wir uns vor, wie auch zunehmend beobachtbar, dass eine Großstadt mehrere studierte pädagogische Fachkräfte aus Griechenland oder Spanien eingestellt hat. Diese Maßnahme kann nun tatsächlich dazu führen, dass der unmittelbare quantitative Personalmangel in den Einrichtungen vor Ort abgemildert wird. Und ohne Zweifel ist es auch so, dass gerade viele der Fachkräfte, die aus den südeuropäischen Ländern kommen, über eine hohe Qualifikation verfügen, die meisten haben dort eine akademische Qualifizierung durchlaufen. Das wird ihnen aber wenig helfen, wenn es beispielsweise um die Sprachförderung geht, die ja nach allen Forschungsbefunden, die uns vorliegen, eine ganz zentrale Bedeutung haben in der frühkindlichen Bildung. Eine griechische oder spanische Erzieherin kann noch so gut in ihrem Land ausgebildet worden sein, allein die Sprachbarrieren werden es verunmöglichen, dass sie auf absehbare Zeit eine unseren Maßstäben entsprechende Sprachförderung betreiben könnte. Das liegt in der Natur der Sache.

2.) Zahlreiche Studien der Vergangenheit haben belegen können, von welcher entscheidenden Bedeutung auch in den Kindertageseinrichtungen die Leitungsebene ist. Immer mehr Träger aber berichten von erheblichen Schwierigkeiten, überhaupt Bewerbungen für offene Leitungsstellen zu bekommen. Dies liegt nicht nur, aber auch an den schlechten Rahmenbedingungen für diese Tätigkeit, die von so großer Bedeutung ist.

Der Bertelsmann-Stiftung geht es primär um etwas anderes. Man will zum einen auf den grundsätzlichen Fachkräftemangel hinweisen, was aber schon seit längerem getan wird, und man will Schützenhilfe leisten für eine Entwicklungslinie, die derzeit leider ins Leere zu laufen droht. Gemeint sind die Bestrebungen, auf der bundesgesetzlichen Ebene Qualitätsstandards zu verankern, ein Ansatz, der schon von der ehemaligen Bundesfamilienministerin Schröder (CDU) auf der Ankündigungsebene in den Raum gestellt wurde und wozu es in den vergangenen Monaten auf der Fachebene zahlreiche Gespräche und auch Fachveranstaltungen gegeben hat. Dazu die Bertelsmann-Stifftung in ihrer Pressemitteilung Zu wenig Erzieherinnen in Kitas. Qualität bleibt in der frühkindlichen Bildung oft auf der Strecke):

»In der frühkindlichen Bildung bleibt gute Qualität oftmals auf der Strecke, weil viele Kindertageseinrichtungen nicht genügend Erzieherinnen haben. Die Personalschlüssel für Kitas in Deutschland weichen teilweise erheblich von einem kindgerechten und pädagogisch sinnvollen Betreuungsverhältnis ab und sind zudem von Bundesland zu Bundesland höchst unterschiedlich. In Bremen und Baden-Württemberg ist eine Erzieherin in den Krippen durchschnittlich für drei Kinder zuständig, in Sachsen-Anhalt hingegen für mehr als sechs Kinder. „Wir brauchen dringend einheitliche Qualitätsstandards, die in einem Bundes-Kita-Gesetz geregelt sind“, sagte Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung. Würden die von der Bertelsmann Stiftung empfohlenen Personalschlüssel für alle Kitas in Deutschland verbindlich gelten, wären 120.000 zusätzliche Erzieherinnen erforderlich.«

An dieser Stelle ergeben sich zwei zentrale Fragen:

Zum einen muss man natürlich darüber diskutieren, ob und wie man überhaupt in absehbarer Zeit diese Zahl an zusätzlichen Fachkräften gewinnen kann (und gleichzeitig sollte man an dieser Stelle immer gedanklich mitlaufen lassen, dass ja auch der „normale Ersatzbedarf“ im System gestemmt werden muss, also der Ersatz der aus Alters- oder sonstigen Gründen ausscheidenden Fachkräfte). Und wenn es einem dabei – wie auch der Bertelsmann-Stiftung – um mehr Qualität geht, dann müssen natürlich auch hochwertige Qualifikationen die Basis für diese zusätzlich erforderliche Zahl an Fachkräften darstellen.

Zum anderen landen wir auch hier zwangsläufig und nicht wirklich überraschend bei der Geldfrage, denn Personal kostet, auch die Ausbildung kostet Geld. Dazu hat sich die Stiftung ebenfalls positioniert. In einem ersten Schritt hat sie abzuschätzen versucht, was das denn kosten würde:
»Nach Berechnungen der Stiftung verursacht das jährlich zusätzliche Personalkosten von rund fünf Milliarden Euro. Verglichen mit den derzeit im Kita-Bereich anfallenden Personalkosten in Höhe von rund 14 Milliarden Euro bedeutet dies einen Anstieg um mehr als ein Drittel (36 Prozent).«
Diese Größenordnung wird viele politischen Entscheidungsträger „erschrecken“ – hilfreich wäre an dieser Stelle übrigens ein Hinweis gewesen, dass es sich um „Bruttokosten“ handelt, die tatsächlichen Nettokosten für die öffentliche Hand liegen deutlich niedriger.

Nun muss man an dieser Stelle darauf hinweisen, dass angesichts des Finanzierungsdurcheinanders, das wir in Deutschland im System der Kindertagesbetreuung haben (korrekterweise muss man von insgesamt 16 teilweise sehr unterschiedlichen KiTa-Systemen in den einzelnen Bundesländern sprechen), neben der offensichtlichen Unterfinanzierung vor allem mit einem strukturellen Mega-Problem konfrontiert sind, das zugleich ein föderales ist, was jede mögliche Problemlösung mit einer nicht gerade hohen Wahrscheinlichkeit belastet: Der Hauptkostenträger sind die Kommunen und von denen sind viele unter erheblichen finanziellen Druck und bereits mit dem rechtsanspruchsbedingten quantitativen Platzausbau für die unter dreijährigen Kinder überfordert. Sollte der Bund also im SGB VIII, was er verfassungsrechtlich durchaus machen könnte, beispielsweise Mindestpersonalschlüssel verankern, dann werden die Kommunen und die Bundesländer mit Bezug auf das Konnexitätsprinzip darauf bestehen, dass der, der bestellt, auch bezahlt. Spätestens dann wird eine regelgebundene Finanzierungsbeteiligung des Bundes notwendig, die ich bereits seit vielen Jahren fordere. Auch die Bertelsmann-Stiftung sieht die Notwendigkeit einer solchen Mitfinanzierung seitens des Bundes:

»Ohne stärkeres finanzielles Engagement des Bundes in der frühkindlichen Bildung sind diese Ausgaben allerdings für die meisten Bundesländer und Kommunen kaum zu stemmen. Die Bertelsmann Stiftung empfiehlt deshalb, in einem Bundes-Kita-Gesetz festzulegen, für welchen bundesweit einheitlichen Standard der Bund welche Unterstützung leistet.«

Aber wie kann und soll das geschehen? Dazu finden wir in der folgenden Veröffentlichung der Bertelsmann-Stiftung einen Hinweis:

Bertelsmann Stiftung: Qualitätsausbau in KiTas. 7 Fragen zum Qualitätsausbau in deutschen KiTas. 7 Antworten der Bertelsmann Stiftung: Status quo, Handlungsbedarfe und Empfehlungen. Methodische Erläuterungen, Gütersloh, Juli 2014

Die Stiftung plädiert darin für eine „standardbasierte Finanzierungsbeteiligung des Bundes“. Was muss man sich darunter vorstellen? Voraussetzung wäre eine Einigung »auf bundeseinheitliche Standards, wie beispielsweise Personalschlüssel. Nach einer Festlegung verbindlicher Personalschlüssel kann ermittelt werden, wie viel Personal erforderlich ist, um diesen Standard in jedem Bundesland realisieren zu können. Im nächsten Schritt können die Kosten kalkuliert werden, die in jedem Bundesland für diesen Standard entstehen, um auf dieser Basis die Finanzierungsbeteiligung des Bundes bestimmen zu können« (S. 5). Hinsichtlich der operativen Umsetzung dieses Ansatzes verbleiben die Ausführungen im vorliegenden Material im Andeutungsmodus – in einer Abbildung wird offensichtlich ein Modell präferiert, bei dem der Personalkostenanteil des Bundes in 16 Länderfonds gezahlt wird, die das dann weiterleiten müssen an die Kommunen und damit an die Einrichtungen vor Ort (Abb. 4 auf der S. 5).
Genau diesen Ansatz habe ich bereits im Oktober 2013 in einem Reformmodell vorgeschlagen, das der Öffentlichkeit auf der Bundespressekonferenz in Berlin gemeinsam mit dem Vorstandsvorsitzenden des AWO-Bundesverbandes, Wolfgang Stadler, präsentiert wurde:

Sell, Stefan: Die Finanzierung der Kindertagesbetreuung vom Kopf auf die Füße stellen. Das Modell eines „KiTa-Fonds“ zur Verringerung der erheblichen Unter- und Fehlfinanzierung der Kindertagesbetreuung in Deutschland (= Remagener Beiträge zur Kinder- und Jugendhilfe 07-2014), Remagen, 2014

Dort findet man auf der S. 6 die folgende Abbildung:

Wichtig an dieser Stelle, wenn man denn den Ansatz einer Bundesmitfinanzierung an den laufenden Kosten der Kindertagesbetreuung wirklich verfolgen will, wofür es gute Argumente gibt: Wir brauchen nicht nur eine „standardbasierte Finanzierungsbeteiligung“ – die sich übrigens auf die „Big Five“ der Strukturqualität beziehen sollte, also Fachkraft-Kind-Schlüssel, Gruppengröße, Qualifikation des Personals, Leitungsfreistellung und Fachberatung -, sondern auch eine regel- und vor allem zweckgebundene Finanzierungsbeteiligung. Der Aspekt der notwendigen Zweckbindung ist von großer Bedeutung, denn ansonsten besteht angesichts der Mehrebenenfinanzierung, mit der wir es in der Kindertagesbetreuung zu tun haben (Kommunen, Bundesländer, Bund sowie aber auch Eltern und Träger der Einrichtungen) die plausible Gefahr, dass Mittel des Bundes dergestalt zweckentfremdet werden, dass beispielsweise Bundesländer ihren Finanzierungsanteil nach unten fahren, so dass es im Ergebnis nicht zu mehr Mitteln im System kommt, sondern lediglich eine Substitution vorgenommen wird. Ein komplexes Unterfangen, aber der gesellschaftspolitische Nutzen wäre aller Anstrengung wert.