Online-Redakteure: Auf der einen Seite in der neuen Welt, auf der anderen Seite Sehnsucht nach der alten. Um Löhne geht es – und um viel mehr

Das Internet hat unglaublich viele positive Folgen und Nebenfolgen für unser Leben. Und es bestimmt dieses mehr und mehr. Wie viele Informationen, Meinungen und Gefühle werden über dieses Medium transportiert und beeinflussen uns in einem umfassenden Sinne. Nicht nur zum Guten. Man kann es so sehen wie Mercedes Lauenstein: Wasteland, so ist der Artikel überschrieben, der aus einer mehr als kritischen Selbstbetrachtung besteht:

»Innerhalb von Minuten hatte ich fast 30 Tabs offen mit Geschichten, die mich interessierten, nebenbei liefen auf Twitter dauernd neue Links rein. Und dann waren plötzlich drei Stunden vergangen, ohne dass ich auch nur einen einzigen Text gelesen hatte. So ist das an solchen Tagen: Ich lese keinen einzigen Text zu Ende, der länger ist als zwei Absätze. Ich überfliege alles nur, meine Augen sind eigentlich gar nicht mehr imstande, sich langsam über einen Text zu bewegen. Mein Hirn ist auf Speed, und wenn es ein Gesicht wäre, wäre es ein Junkiegesicht, das vor lauter Druffheit mit den Zähnen knirscht. Nach 45 Minuten irrem Tabs-fürs-Späterlesen-Öffnen bin ich nur noch für Dinge aufnahmefähig, die meine Sensationsgeilheit anheizen. Ich bin im Buzzmodus. Das fühlt sich an, wie an einem riesigen Büfett zu stehen und immer weiterzufressen, egal ob einem schon ganz schlecht ist oder nicht, Hauptsache, es kommt was rein.« Mit einem fatalen Ergebnis: »Als Leser wird man … zu hohlem Voyeurismus erzogen, stopft den ganzen Gehirnmüll der Leute wie Fastfood in sich hinein und hat nach einer halben Stunde Blabla schon dermaßen das Hirn voll, dass für echte Lektüre und müßiges Nachdenken über ein Thema keine Kraft mehr da ist. Und wenn man den ganzen Lärm des Internets ausschaltet, dann zieht es einem den Boden unter den Füßen weg: Stille verlernt.«

In dieser frustriert daherkommenden Weltsicht sind die Online-Redaktionen der Medien Müll-Lieferanten, die den ganzen Prozess am Laufen halten, beständig für Nachschub sorgen.

Aber es gibt solche und andere. Es gibt weiterhin die vielen Versuche, uns die Welt zu erklären, Bruchstücke von ihr an uns heranzutragen, sorgfältig zu wiegen und zu messen, bevor man irgendeine steile These in die Welt setzt. Das ist eine – vielleicht altmodische – Erwartungshaltung an das – anscheinend auslaufenden – Modell des klassischen Journalismus. Und was immer auch man von der ZEIT hält (oder nicht) – sie steht neben einigen anderen Medien insgesamt betrachtet für das Versprechen auf die alte Welt des Journalismus. Und sie bedient sich natürlich in den heutigen Zeiten auch des Online-Zugangs zu den Menschen und (potenziellen bzw. tatsächlichen) Kunden des an sich immer schwieriger aufgestellten Kernprodukts, also der in diesem Fall gedruckten Wochenzeitung. Während aber viele Tageszeitungen seit Jahren im klassischen Print-Bereich erhebliche Einbrüche zu verzeichnen haben, ist das bei der ZEIT nicht der Fall, dieser Wochenzeitung geht es gut. Am 20. Februar feiert die ZEIT ihren 70. Geburtstag und es geht ihr so gut wie kaum einer anderen überregionalen Zeitung.

Und genau hier ist derzeit ein Konflikt zu besichtigen, der von grundsätzlicher Bedeutung ist bzw. werden könnte für die expandierende Online-Branche. Darüber berichtet Anne Fromm in ihrem Artikel Online ist streikbereit. Und sie zeichnet ein etwas anderes Bild von diesem Erfolgsprojekt, denn innerhalb dessen, was wir als „die“ ZEIT wahrnehmen, »kämpfen die Onlineredakteure seit Monaten für bessere Bezahlung. Sie wollen so viel verdienen wie ihre Kollegen beim Blatt: „Gleiches Geld für gleiche Arbeit“. Bisher verdienen die Onlineredakteure laut Betriebsrat im Schnitt rund 10.000 Euro im Jahr weniger als ihre Printkollegen.«

Damit stellen die Redakteure dort eine zweifache Grundsatzfrage: Zum einen werden die Online-Journalisten flächendeckend schlechter bezahlt als ihre „klassischen“ Pendants in den Prinz-Redaktionen und zum anderen haben die Betroffenen das auch deshalb so lange akzeptiert, weil es historisch so gewachsen ist, mithin also eine Systemfrage aufgeworfen wird, denn natürlich haben die Verlage kein wirkliches Interesse daran, das Lohn- und damit Kostendifferential einzuebnen.

Nicht wenige Verlage haben ihre Onlineredaktionen ausgegliedert, als sie entstanden sind. So ist das auch bei er ZEIT gelaufen. Mit diesem Ergebnis:

»Hinter Zeit Online stehen die Zeit Online GmbH und die Zeit Digital GmbH, beide hundertprozentige Töchter der Holtzbrinck Gruppe, zu der auch die Zeit gehört. Anders als der Zeit Verlag ist Zeit Online nicht tarifgebunden. So kommt es, dass von den rund 120 Zeit Online-Mitarbeitern rund die Hälfte unter Tarif verdient, schätzt ein Vertreter von Verdi. Und selbst die, die Tariflohn bekämen, seien weit entfernt von den Printgehältern.«

Solche Unterschiede sind natürlich nur zu rechtfertigen, wenn es auch gravierende Unterschiede gibt zwischen den einen und den anderen. Hier allerdings verschiebt bzw. besser: vermischt sich immer mehr: »Die Berliner Zeit Online-Redaktion will in zwei Jahren mit der Print-Hauptstadtredaktion in ein gemeinsames Gebäude ziehen. Bisher sind deren Büros getrennt, auch wenn die Redaktionen immer mehr zusammenwachsen. Zeit Online-Redakteure schreiben zunehmend für das Blatt und anders herum.« In Zukunft werden also Print- und Onlineredakteure in Berlin Tür an Tür sitzen. Sie würden die gleiche Arbeit machen, mit dem gleichen Qualitätsanspruch, aber ungleich bezahlt werden.

Der Geschäftsführer, Rainer Esser, kann das Zusammenwachsen nur begrüßen: »Auf einer Betriebsversammlung Anfang Dezember in Hamburg sprach er über die „große Schnittmenge“ von Print und Online. Zwischen beiden Redaktionen dürfe es keine Qualitätsunterschiede geben, zitieren ihn Leute, die dabei waren.« Keine Qualitätsunterschiede, aber sehr wohl Vergütungsunterschiede. Die Arbeitgebersicht ist hier a) nicht überraschend, b) natürlich begründungspflichtig und c) (mögliche) Quelle für erhebliche Auseinandersetzung mit den eigenen Leuten – die, wie im Fall der ZEIT, offensichtlich auch nicht mehr den Konflikt scheuen.

»Erkämpft sich die Redaktion höhere Gehälter, könnte das auf die gesamte Onlinebranche ausstrahlen. Die Gewerkschaften und Betriebsräte anderer Redaktionen beobachten interessiert, was sich beim Hamburger Verlagshaus und seinem Berliner Onlineableger tut. Denn einen Flächentarifvertrag für ausgelagerte Onlineredakteure, wie im Falle Zeit Online, gibt es bisher nicht. Ein Erfolg der Zeit Online-Redaktion könnte den Druck erhöhen.«

Zum speziellen Hintergrund muss man wissen: »Drei Jahre lang hat der Betriebsrat von Zeit Online versucht, Gehaltsverbesserungen zu erstreiten. Als das scheiterte, zog er die Gewerkschaften hinzu. Die führen nun in dritter Runde Verhandlungen mit der Verlagsgeschäftsführung und stoßen dabei auf großen Widerstand.«

Nun wird immer wieder eingeworfen, dass es sich eben um ganz unterschiedliche Geschäftsmodelle handelt und gerade der Online-Bereich einer sei, bei dem rote Zahlen geschrieben werden aufgrund der Kostenlos-Mentalität im Netz. Und auch wenn man Bezahlschranken hochzieht, dann sind die Erlöse daraus in aller Regel nicht ausreichend, um eine tarifliche, also bessere Vergütung gewährleisten zu können. Nur stellt sich hier die Frage, ob es auch wirklich zwei getrennte Welten sind, zwischen Print und Online. Der ZEIT-Geschäftsführer Rainer Esser wird aber so zitiert:

»Tatsächlich ist Zeit Online in den letzten Jahren stark gewachsen: um zwölf Prozent allein im Jahr 2014. Vor einem knappen Jahr feierte sich Zeit-Geschäftsführer Rainer Esser … dafür, dass Zeit Online den „Break-Even“ geschafft habe und keine Verluste mehr schreibe.«

Der gesamte ZEIT-Verlag meldet ein Umsatz von 180 Millionen Euro. »Auf einer Betriebsversammlung im Dezember in Hamburg sagte Esser noch, die Erlöse von Zeit und Zeit Online könnten nur noch gemeinsam betrachtet werden.«

Dass das aber offensichtlich nur in die eine Richtung gilt, wird im aktuellen Konfliktfall erkennbar, denn jetzt argumentiert der Geschäftsführer so, dass ZEIT Online ein defizitäres Unternehmen sei und man deshalb auch leider keine dem Printbereich entsprechende Vergütung vornehmen könne.

»Der Frust der Onliner wächst. Mittlerweile sind drei Viertel der Belegschaft in die Gewerkschaft eingetreten. Sie seien streikbereit, sagt ein Mitglied des Betriebsrates.« Und sollten diese Redakteure erfolgreich sein, dann wird das auch auf andere Bereiche ausstrahlen. Wir dürfen gespannt verfolgen, wie diese Auseinandersetzung ausgehen wird.

Die weit über die Online-Redaktion der ZEIT hinausreichende Bedeutung der Auseinandersetzung ist darin zu sehen, dass es hier eben auch um grundsätzliche Fragen der Branche und vor allem der Geschäftsmodelle geht. Denn die Vergütungsunterschiede zwischen Print- und Online-Journalisten ist – das wurde in dem Beitrag von Anne Fromm angesprochen – historisch bedingt. Sie stammt aus einer Zeit, in der man die Online-Angebote als quasi „add-on“ des eigentlichen Produkts, also der Druckausgabe der Zeitungen, kostenlos im Netz verfügbar gemacht hat. Seit Jahren schon stehen die Zeitungsverlage vor dem betriebswirtschaftlichen Dilemma, dass zum einen der Absatz des Kernprodukts rückläufig ist, parallel dazu die Anzeigenerlöse durch eine Verlagerung der Werbebudgets ins Internet sinken und die Online-Nutzer haben sich an die Gratis-Angebote gewöhnt. Man versucht mehr oder weniger erfolgreich, dieses Dilemma mit einem Umschwenken auf Paid Content-Modelle aufzulösen. Aber die Abbildung mit einer Auswertung der aktuellen Situation auf der Grundlage von 113 Zeitungen in Deutschland verdeutlicht, dass das gar nicht so einfach ist. Gemessen am Referenzmodell der harten Bezahlschranke sprechen wir dann von lediglich 5,3 Prozent der Zeitungen, die diesen Weg bislang eingeschlagen haben. Die große Mehrheit experimentiert mit sehr abgeschwächten Varianten des Bezahl-Modells. Genau an dieser – für die Verlage sicher unbefriedigenden Situation – setzt ja auch die Argumentation der „Aufspalter“ in Print- versus Online-Redaktionen an, denn nach dieser Logik sind die Online-Redaktionen immer defizitär und darüber kann man dann auch deutlich abgesenkte Standards bei den Arbeitsbedingungen und damit auch der Vergütung zu legitimieren versuchen. Allerdings kann man eben auch darauf verweisen, dass die beiden anfangs durchaus getrennten Bereiche mittlerweile immer stärker zusammenwachsen und es zahlreiche Vermischungen gibt – Hinweise am Beispiel der ZEIT wurden ebenfalls schon gegeben.

Wenn es aber so ist, dass die Grenzen zwischen Print und Online immer brüchiger und sich absehbar auflösen werden, dann wäre es für die Beschäftigten ein strukturelles Problem, wenn die schlechteren Arbeitsbedingungen in dem einen Bereich perpetuiert und stabilisiert werden, weil es dann betriebswirtschaftlich rational eine Rutschbahn nach unten für alle Journalisten geben muss, denn das wird den immer kleiner werdenden Teil der „klassischen“ Redaktionen „zu teuer“ werden lassen. Und man kann ja in immer stärkeren Umfang auf die anderen, „billigeren“ Journalisten zurückgreifen.

Dass die Verlage gegen eine Angleichung „nach oben“ erbitterten Widerstand leisten (müssen), ergibt sich aus ihrer Perspektive auch verstärkend dadurch, dass weitere, bislang gerne in Anspruch genommene Billig-Modelle wie die der „Pauschalisten“ zunehmend unter Druck geraten. Vgl. hierzu den Beitrag Wenn Pauschalisten plötzlich richtig eingestellt werden: Scheinselbständigkeit im Journalismus und deren Eindämmung. Möglicherweise aufgrund eines Gesetzentwurfs, der noch feststeckt im politischen Betrieb vom 22. Januar 2016.

Wenn unterschiedlich starke Arme das Gleiche wollen, sich erst in die Haare kriegen und dann doch miteinander kooperieren. Eine Fortsetzungsgeschichte aus der Gewerkschaftswelt

Im Jahr 2014 wurde intensiv über die damals beabsichtigte und zwischenzeitlich auch vollzogene Verabschiedung eines Tarifeinheitsgesetzes heftig gestritten. In einem Beitrag in diesem Blog wurde am 3. September 2014 unter der Überschrift Wenn unterschiedlich starke Arme eigentlich das Gleiche wollen und sich in die Haare kriegen: „Tarifeinheit“ aus einer anderen Perspektive auf eine mehr als pikante Gemengelage innerhalb der DGB-Gewerkschaften hingewiesen:

Man könnte »den Eindruck bekommen, dass es bei der Frage nach „Tarifeinheit“ um die schutzbedürftigen Großgewerkschaften geht, denen rein mitgliederegoistische Spartengewerkschaften gegenüberstehen, die sich aus der Solidarität der Gesamtbelegschaften verabschiedet haben und radikal die Interessen kleiner, aber zumeist mit Flaschenhalscharakter ausgestatteter Berufsgruppen wie Piloten oder Lokführern vertreten. Unabhängig davon, dass die Wirklichkeit wie immer weitaus komplizierter ist, kann man eine der Grundfragen, um die herum die Tarifeinheitsdebatte kreist, auch innerhalb bzw. zwischen den DGB-Gewerkschaften selbst identifizieren: Wessen mehr oder weniger starker Arm soll es denn sein, der die Interessen der Belegschaften vertreten darf, kann oder muss?« Damals ging es konkret um das Logistikunternehmen Stute, eine Tochterfirma des Logistikkonzerns Kühne + Nagel, das aber ausschließlich für den Flugzeugbauer Airbus arbeitet, was nicht verwundert, handelt es sich doch um die outgesourcte Logistik-Sparte von Airbus. Jahrelang gab es in diesem Unternehmen keinen Betriebsrat und keine Tarifbindung. Formal zuständig nach den Organisationsprinzipien des DGB wäre der Fachbereich Post und Logistik der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Formal ist aber nicht immer auch real, denn eine zweite, konkurrierende Gewerkschaft, die IG Metall, betrat die Bühne – und ihr gelang es, mehr als 60 Prozent der Beschäftigten unter ihrem Dach zu organisieren, was sie formal gemäß der Maxime „Eine Branche – eine Gewerkschaft“ eigentlich nicht hätte machen dürfen. Die Beschäftigten des Logistik-Dienstleisters Stute haben sich wie die Arbeitnehmer verhalten, die sich in Spartengewerkschaften organisieren, denn über die IG Metall war mehr zu holen. Die eigentlich zuständige Gewerkschaft Verdi war richtig sauer, auch weil das kein Einzelfall blieb, sondern die IG Metall als strategische Antwort auf die Outsourcing-Welle die gesamte Kontraktlogistik ins tarifpolitische Visier genommen hat. Aus Sicht der Metall-Gewerkschafter ist es sinnvoll, wenn man das vorgelagerte, aber immer stärker in das eigentliche Produktionszentrum vorrückende Geflecht an „Zulieferer“ (wieder) unter das (dann allerdings breiter werdende) Dach der IG Metall-Tarifwelt zu holen versucht.

Nun gibt es von dieser Baustelle Neuigkeiten zu vermelden, die nicht nur für das komplexe Zuständigkeitsgefüge in der Welt der DGB-Gewerkschaften bedeutsam sind:  »Die Industrieproduktion wird immer komplexer. Regelmäßig stellt sich die Frage, welche Gewerkschaft eigentlich für bestimmte Betriebe zuständig ist. Die IG Metall und Verdi ziehen nun klare Linien – im Interesse der Beschäftigten«, so die IG Metall in einer Erläuterung unter der Überschrift IG Metall und Verdi vereinbaren Kooperation.  Das kann man ohne Einschränkung als einen zentralen Durchbruch bezeichnen.

Zum Verständnis der Thematik wird das Grundproblem umrissen:

»Ein Autobauer baut Autos heute längst nicht mehr alleine. Die Produktion wird in immer kleinere Teile zerlegt. Auf dem Werksgelände sind die verschiedensten Firmen im Auftrag des Autobauers tätig: Leiharbeitsfirmen, Entwicklungsdienstleister – und immer häufiger sogenannte Kontraktlogistiker. Sie verteilen Fahrzeugteile an die Montagelinien des Autobauers oder montieren zunehmend sogar selbst Teile vor: Räder, Armaturenbretter oder Achsen – eigentlich klassische Industriearbeit.
Für die Beschäftigten haben Auslagerung und Zergliederung oft negative Folgen: kein Tarifvertrag, schlechtere Bezahlung, längere Arbeitszeiten. Um die Interessen aller Beschäftigten wirksam zu vertreten, müssen Gewerkschaften eng kooperieren. Sie müssen sich abstimmen und klären, wer für welche Betriebe zuständig ist. Innerhalb der Wertschöpfungskette sind Abgrenzungen zwischen Produktion und Dienstleistungen oft schwierig.«

Um die damit verbundenen Abgrenzungsfragen nicht konflikthaft auszutragen, haben beide Gewerkschaften nun eine Kooperationsvereinbarung geschlossen.  Damit werden die Organisations- und die Tarifzuständigkeit für Unternehmen der industriellen Kontraktlogistik geklärt. Und zwar in den Branchen Automobil- und Fahrzeugbau, Stahl, Luft- und Raumfahrt sowie Schiffbau. Es geht hier also um industrielle Kernbereiche der deutschen Volkswirtschaft. Eine ähnliche Kooperationsvereinbarung hatte die IG Metall Anfang 2015 bereits mit den Gewerkschaften EVG, IG Bau und IG BCE abgeschlossen, vgl. hierzu Gewerkschaften in der Industrie vereinbaren Kooperation. Mit der nun die Sache abrundenden Vereinbarung zwischen IG Metall und Verdi ist tarifpolitisch im Kontext der Umbrüche in vielen Branchen ein wichtiger Schritt getan, um gewerkschaftliche Handlungsfähigkeit sicherzustellen.

Und das es auch andere gute Nachrichten für die Gewerkschaften gibt, verdeutlicht dieser Artikel: Gemeinsam durch die Arbeitswelt: »Münchner Gewerkschaften drehen den negativen Trend bei Mitgliedern um: Sie gewinnen viele Junge und Frauen hinzu.«

Das höchst umstrittene Tarifeinheitsgesetz scheitert nicht am Bundesverfassungsgericht. Jedenfalls nicht auf die Schnelle.

Das von der Großen Koalition beschlossene Tarifeinheitsgesetz ist bekanntlich überaus umstritten – nicht nur hinsichtlich der erfahrbaren Ablehnung bei den davon betroffenen Sparten- bzw. Berufsgewerkschaften, sondern der Riss zwischen den Befürwortern und Gegnern geht auch durch die Reihen der DGB-Gewerkschaften und viele Arbeitsrechtler haben vor der Verabschiedung des Gesetzes darauf hingewiesen, dass sie mit einem Scheitern vor dem Bundesverfassungsgericht rechnen, da einige zentrale Bestandteile der Regelung offensichtlich verfassungswidrig seien.

Nun ist es bekanntlich so: Auf hoher See und vor Gericht ist man in Gottes Hand und – scheinbar – können wir diesen Hinweis auf die Unberechenbarkeit dessen, was am Ende passiert, am Beispiel des Tarifeinheitsgesetzes studieren, denn: Gewerkschaften scheitern mit Eilantrag gegen das Tarifeinheitsgesetz. Lagen also die vielen Experten mit ihrer sehr kritischen Einschätzung der Verfassungswidrigkeit des Tarifeinheitsgesetzes völlig daneben? Das nun wieder wäre eine nicht nur voreilige, sondern schlichtweg falsche Bewertung dessen, was in Karlsruhe passiert ist. Der Augenmerk muss gerichtet werden auf den Terminus „Eilantrag“, darum ging es, nicht um die Substanz des umstrittenen Gesetzes.

Das Bundesverfassungsgericht selbst hat am 9. Oktober 2015 eine Pressemitteilung zu seiner Entscheidung veröffentlicht unter der Überschrift Anträge auf einstweilige Anordnung gegen das Tarifeinheitsgesetz erfolglos. Und der kann man zu den vorliegenden drei Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen das Tarifeinheitsgesetz entnehmen:

»Soll ein Gesetz außer Vollzug gesetzt werden, gelten besonders hohe Hürden. Vorliegend sind jedoch keine entsprechend gravierenden, irreversiblen oder nur schwer revidierbaren Nachteile feststellbar, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung unabdingbar machten. Derzeit ist nicht absehbar, dass den Beschwerdeführern bei Fortgeltung des Tarifeinheitsgesetzes bis zur Entscheidung in der Hauptsache das Aushandeln von Tarifverträgen längerfristig unmöglich würde oder sie im Hinblick auf ihre Mitgliederzahl oder ihre Tariffähigkeit in ihrer Existenz bedroht wären. Im Hauptsacheverfahren, dessen Ausgang offen ist, strebt der Erste Senat eine Entscheidung bis zum Ende des nächsten Jahres an.«

Bei den drei Beschwerdeführern handelt es sich um Berufsgruppengewerkschaften. Es ging um Eilanträge von Marburger Bund, Vereinigung Cockpit und dem Deutschen Journalisten-Verband. GDL und Deutscher Beamtenbund beschränken sich hingegen auf eine reguläre Klage. Ihre Tarifzuständigkeiten überschneiden sich mit denen anderer Gewerkschaften, die regelmäßig einen größeren Personenkreis abhängig Beschäftigter organisieren. Das Gesetz zur Tarifeinheit fügt eine neue Kollisionsregel in das Tarifvertragsrecht ein, die dazu führt, dass nur der Tarifvertrag derjenigen Gewerkschaft gilt, die in diesem Betrieb die meisten Mitglieder hat. Eine (kleinere) Gewerkschaft, deren Tarifvertrag verdrängt wird, hat dann nur noch die Möglichkeit, den Tarifvertrag der größeren Gewerkschaft zu übernehmen bzw. sich diesem unterzuordnen. Damit – so einer der zentralen Argumente der Kritiker – würde die Existenzfrage für die kleineren Gewerkschaften gestellt, denn warum sollte man sich dann noch als Arbeitnehmer in einer solchen Organisation zusammenschließen?
Das Bundesverfassungsgericht hat die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen das Tarifeinheitsgesetz zwar verworfen, aber nicht, weil es das Gesetz für verfassungskonform bewertet, denn die dazu anhängige Befassung des Gerichts, also das Hauptsacheverfahren, hat erst begonnen und läuft noch – es soll nach Bekunden des Gerichts bis Ende des kommenden Jahres abgeschlossen, also mit einer endgültigen Entscheidung versehen werden. Der zentrale Argumentationsanker des BVerfG zu Ablehnung der Eilanträge bezieht sich darauf, dass ein möglicher Schaden angesichts der genannten Frist nicht unzumutbar sei:

»So ist gegenwärtig nicht erkennbar, dass die Beschwerdeführer oder Dritte im Zeitraum bis zur Entscheidung in der Hauptsache, die der Senat bis zum Ende nächsten Jahres anstrebt, gravierende, kaum revidierbare oder irreversible Nachteile erleiden, weil die gesetzlich angeordnete Tarifeinheit schon vor Eintritt des Kollisionsfalls Wirkungen entfaltet. Soweit die Beschwerdeführer ihre tarifpolitische Verhandlungsmacht durch das Tarifeinheitsgesetz geschwächt sehen, liegt darin zwar ein Nachteil. Das angegriffene Gesetz untersagt jedoch nicht die tarifpolitische Betätigung an sich.«

Hinzu kommt ein pragmatischer Aspekt: Die Verfassungsrichter können keinen aktuell relevanten Fall erkennen, bei dem es zu einer möglichen Benachteiligung durch Anwendung der Tarifkollisionsregel im neuen Gesetz kommen könnte, mithin sich die Frage der Eilbedürftigkeit einer Entscheidung derzeit gar nicht stellt:

»Es ist derzeit nicht absehbar, inwieweit es im Zeitraum bis zur Entscheidung in der Hauptsache tatsächlich in einem Ausmaß zur Anwendung der Kollisionsregel des § 4a TVG kommt, der eine einstweilige Anordnung unabdingbar erscheinen ließe.«

Ganz am Ende der Entscheidung (im Original: Beschluss vom 06. Oktober 2015, 1 BvR 1571/15, 1 BvR 1588/15, 1 BvR 1582/15) findet sich dann ein höchst interessanter Hinweis an diejenigen, die sich jetzt als Befürworter des Tarifeinheitsgesetzes schon auf der sicheren Seite wähnen, denn an die ist der letzte Satz des hier aus der Pressemitteilung zitierten Textes gerichtet:

»Es bleibt den Beschwerdeführern unbenommen, bei einer erheblichen Änderung der tatsächlichen Umstände einen erneuten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu stellen. Die Sicherungsfunktion der einstweiligen Anordnung kann es auch rechtfertigen, dass der Senat ohne einen entsprechenden Antrag der Beschwerdeführer eine solche von Amts wegen erlässt.«

Also werden wir das kommende Jahr abwarten müssen, bis das BVerfG eine endgültige Entscheidung treffen wird. Man kann weiter mit guten Gründen davon ausgehen, dass das Gesetz in der vorliegenden Fassung keinen Bestand haben dürfte angesichts der damit verbundenen bzw. der daraus resultierenden schwerwiegenden Auswirkungen auf die Koalitionsfreiheit, aus der in unserem Land das Streikrecht abgeleitet wird.

Tarifflucht des Arbeitgebers und Zwangsteilzeit für die Beschäftigten. Das ist Real. Wieder einmal über eine Branche auf der Rutschbahn nach unten

Man kann ein eigenes Archiv eröffnen, wenn es um die Arbeitsbedingungen im Einzelhandel geht. Und dieses Archiv mit unzähligen Berichten hätte eine recht eindeutige Unwucht ab dem Jahr 2000. Denn bis dahin galt der Einzelhandel als eine relativ wohlgeordnete Branche. Die meisten Beschäftigten hatten eine Ausbildung, die Arbeitgeber waren tarifgebunden – wenn auch einige nicht freiwillig, sondern weil das Tarifwerk allgemein verbindlich war. Das bedeutet, alle Unternehmen mussten sich an die tariflichen Bestimmungen halten. Dadurch gab es eine wirkkräftige Sperre für Dumpingversuche einzelner Unternehmen, denn die waren schlichtweg nicht möglich.

Die damalige rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder hat dem ein Ende gesetzt, als auf Druck der Arbeitgeber die Allgemeinverbindlichkeit aufgehoben wurde. Seit diesem Schritt muss man beobachten, wie die gesamte Branche auf eine Rutschbahn nach unten gesetzt wurde, denn nunmehr lohnte es sich für einzelne Unternehmen, nach unten auszubrechen und beispielsweise durch Lohndumping bei den eigenen Beschäftigten Kostenvorteile gegenüber der Konkurrenz zu „erwirtschaften“. Was dann natürlich auch prompt geschehen ist. Nun hat so eine Rutschbahn die unangenehme Konsequenz, dass sie früher oder später auch die mit nach unten zieht, die eigentlich diesen Weg nicht gehen wollten, denn die Kostenvorteile der anderen, die die neue Bewegungsfreiheit genutzt haben, wurden bzw. werden in einer Branche, die sich durch einen brutalen Preiskrieg und sehr niedrige Margen auszeichnet, so elementar, dass man sich dem dadurch ausgelösten Druck nicht auf Dauer entziehen kann.

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Werkverträge als echtes Problem für Betriebsräte und Gewerkschaft. Und eine „doppelte Tariffrage“ für die IG Metall

Während sich die Medien untereinander über die Abgas-Probleme des VW-Konzerns austauschen und ihr Augenmerk auf Personalien richten wie den Rücktritt des VW-Vorstandsvorsitzenden Winterkorn, war heute eine Menge los in den Produktionsstätten der deutschen Automobil-Industrie, eines der wichtigsten Branchen der deutschen Volkswirtschaft. Denn die IG Metall hatte zu einem bundesweiten Aktionstag gegen Werkverträge aufgerufen. Dazu aus der Berichterstattung beispielsweise Beschäftigte protestieren gegen Werkverträge in der Autoindustrie oder an anderer Stelle  Protesttag gegen Werkverträge. Und was sagt die Gewerkschaft selbst?  Gemeinsam gegen die Billig-Strategie der Arbeitgeber, so hat die IG Metall ihre Pressemitteilung dazu überschrieben: »Mehrere zehntausend Beschäftigte von Automobilherstellern und Zulieferern senden beim bundesweiten Automobil-Aktionstag der IG Metall gegen den Missbrauch von Werkverträgen eine deutliche Botschaft an Arbeitgeber und Politik: Wir lassen uns nicht spalten!« Der IG Metall-Vorsitzende Detlef Wetzen stellte zugleich klar, dass die IG Metall nicht grundsätzlich gegen Werkverträge sei, „sondern gegen die Werkverträge, die ausschließlich dazu genutzt werden, um Löhne zu senken und Arbeitsbedingungen zu verschlechtern.“ Mehr als 150.000 Arbeitsplätze in der Automobilbranche in den Bereichen Industrielogistik, Entwicklungsdienstleistung und Industrieservice seien bereits über Werkverträge ausgelagert.

Und was fordert die Gewerkschaft? Es sind vor allem zwei Punkte, die heute vorgetragen wurden:
Schluss mit der Auslagerung von Tätigkeiten, die zum Kerngeschäft eines Unternehmens gehören und unvermeidbare Auslagerungen nur an Dienstleister mit IG Metall-Tarifen und Betriebsräten. Die letzte Forderung berührt die „erste“ Tariffrage, vor der die Metallgewerkschaft steht. Gerade in der Automobilindustrie hat die IG Metall sehr hohe Organisationsgrade unter den Beschäftigten und entsprechende Einflussmöglichkeiten. Bei vielen Zulieferern und Werkvertragsunternehmen sieht das ganz anders aus, da gibt es oft noch nicht einmal einen Betriebsrat. Mindestens 44 Prozent der beauftragten Werkvertragunternehmen haben keine Tarifverträge, kann man dem Artikel Protesttag gegen Werkverträge entnehmen. Da sind wir schon bei der ersten „Tariffrage“ für die IG Metall. Deren Aktivitäten zum Thema Werkverträge kann und muss man auch als ein Signal an die Werkvertragsunternehmen verstehen, dass auch dort tarifvertragliche Regelungen gelten sollen. Aber es gibt noch ein anderes Problem, das die Gewerkschaft zu adressieren versucht: Ein Drittel der Werkverträge betreffen nach Gewerkschaftswahrnehmung die Produktion und damit den Kernbereich der Autoindustrie.

Bayerns IG Metall-Chef Jürgen Wechsler wird mit diesem Beispiel zitiert:

»Ein besonders dreistes Beispiel für einen Werkvertrag kennt er von BMW am Standort Dingolfing. „BMW hat dort eine Werkshalle leergeräumt und per Werkvertrag den Kontraktlogistiker Schnellecke ins Haus geholt“, sagt er. Der erledige mit 400 Leuten dort, was vorher BMW-Stammpersonal getan habe. Kontraktlogistik ist dabei ein ziemlich irreführender Begriff. Denn in dieser Branche wird weniger transportiert als vielmehr montiert. Im BMW-Beispiel werden angelieferte Teile auf dem Werksgelände zusammengeschraubt und dann an Autos montiert. Vorgesehen sind Werkverträge aber aus Sicht der IG Metall für Tätigkeiten wie das Streichen einer Werkshalle oder allenfalls noch deren Säuberung, nicht aber für die Kernarbeiten eines Unternehmens.«

Da sind wir schon bei einem zentralen Problem angekommen: Der Frage nach der Abgrenzung von „guten“ und „schlechten“ Werkverträgen. Um das an einem Beispiel zu illustrieren: Wenn man etwas anstreichen lassen will in seinem Unternehmen, dann beauftragt man eine Malerfirma und vereinbart einen Preis. Keiner würde auf die Idee kommen, dass das beauftragende Unternehmen Maler vorhalten sollte, um den vielleicht einmal im Jahr oder auch noch weniger oft anfallenden Bedarfen gerecht werden zu können – außer man kombiniert das mit anderen anfallenden Tätigkeiten, die dann von einer Person ausgeübt werden können.

Ganz anders stellt sich die Situation dar, wenn die Werkvertragsunternehmen sukzessive vordringen in den Kernbereich der Produktion, der bislang der Stammbelegschaft vorbehalten ist. Wenn es also bei einem „Logistikunternehmen“ eben nicht nur darum geht, Ware an die Pforten irgendeines Lagers zu fahren, sondern Tätigkeiten innerhalb des beauftragenden Unternehmens auszuüben. Und genau so sieht es in der Automobilindustrie mittlerweile aus, wenn man der Argumentation der Gewerkschaften folgt:

»Kontraktlogistik ist dabei ein ziemlich irreführender Begriff. Denn in dieser Branche wird weniger transportiert als vielmehr montiert. Im BMW-Beispiel werden angelieferte Teile auf dem Werksgelände zusammengeschraubt und dann an Autos montiert. Vorgesehen sind Werkverträge aber aus Sicht der IG Metall für Tätigkeiten wie das Streichen einer Werkshalle oder allenfalls noch deren Säuberung, nicht aber für die Kernarbeiten eines Unternehmens.«

Und das habe erhebliche Folgen für die Beschäftigten in den Werkvertragsunternehmen, wie der Vergleich mit der Stammbelegschaft verdeutlicht:

»Gegenüber dem Stammpersonal bekommen Beschäftigte bei Werkverträgen im Schnitt nur etwa halben Lohn, sagt Wechsler. Beim Beispiel Schnellecke in Dingolfing ist es nach Berechnung der IG Metall noch weniger. Statt tariflich 35 Wochenstunden arbeiten die auf dem BMW-Gelände Beschäftigten 40 Stunden. Sie erhalten nicht einmal halben Grundlohn, drei Tage weniger Urlaub und nur ein Drittel Urlaubsgeld. Höhere Leistungszulagen gleichen das nicht aus.«

Vor diesem Hintergrund ist der Aktionstag der IG Metall zu sehen, der sich einbettet in zahlreiche Aktivitäten dieser und anderer Gewerkschaften gegen „die“ Werkverträge. Und das bisherige Tun der IG Metall war und ist nicht ohne Erfolg.

Es tut sich was am Rand, so hat Jörn Boewe seinen Artikel überschrieben, in dem er über die Entwicklungen rund um Leipzig berichtet. Der Blick auf Leipzig ist deshalb interessant, weil sich hier ein „Automobilcluster“ entwickelt hat:

»Ein paar Kilometer nördlich von Leipzig, auf der grünen Wiese nahe der Autobahn A 14, stehen die modernsten Autofabriken Europas. BMW und Porsche bauen hier seit zehn Jahren Limousinen, Coupés, Cabrios, Geländewagen – alle im »Premiumsegment«. Niemand kann genau sagen, wie viele Menschen hier arbeiten. Der »Automobilcluster« Leipzig, wie der Produktionsstandort im Branchenjargon genannt wird, ist nach einem hochflexiblen Fertigungskonzept organisiert: Man spricht von der „atmenden Fabrik“. Gibt es viel zu tun, pumpt sie sich auf. Ist die Auftragslage mau, schrumpft sie.«

Und gerade hier finden wir auf den ersten Blick die Diagnose der Gewerkschaft bestätigt, dass die Werkvertrags-Beschäftigung immer stärker in die Kernbereiche der Produktion diffundiert:

»18.000 Menschen arbeiten nach Schätzungen der IG Metall in der Leipziger Autoindustrie, doch nicht einmal die Hälfte gehört zu den Stammbelegschaften von BMW und Porsche. Die Mehrheit sind Leiharbeiter oder bei Werkvertragsunternehmen beschäftigt, die als sogenannte produktionsnahe Dienstleister für die großen Hersteller tätig sind. Sie montieren Einzelteile und Komponenten und bringen sie „just in sequence“, in genau abgestimmter Reihenfolge, direkt an die Produktionsfließbänder von BMW und Porsche. Die Tätigkeiten sind unmittelbarer Teil der Produktion, von der sie nicht zu trennen sind.«

Die IG Metall hat nun einen Sozialreport Automobilcluster Leipzig veröffentlicht und sich die Situation der Beschäftigten genauer angeschaut. Ein Ergebnis: Fast 30 Prozent der Befragten verdienen inklusive aller Zuschläge weniger als 1.750 Euro brutto. Fast 44 Prozent sagen, ihnen fehle das Geld für Urlaub. Dabei arbeiten 90 Prozent auch an Wochenenden und Feiertagen. Das ist auch eine Folge der Tatsache, dass die Automobilindustrie den Standort Leipzig zu einem Labor für Produktions- und Arbeitszeitkonzepte gemacht habe. Dem allerdings hat sich die IG Metall gestellt. „Die harten Tarifauseinandersetzungen bei Schnellecke, Rudolph Logistik und der WISAG waren Meilensteine zu einem tariflichen Ordnungsrahmen. Lange Zeit waren die Arbeitsbedingungen bei den Kontraktlogistikern und Industriedienstleistern ungeregelt. Die Beschäftigten haben in diesen Konflikten erfahren, dass sie nicht per se prekäre Hilfskräfte an der letzten »verlängerten Werkbank« sind, sondern genauso Teil des Gesamtprozesses wie ihre Kolleginnen und Kollegen der Stammbelegschaften an den Endmontagebändern von BMW und Porsche“, so wird der IG Metall-Bezirksleiter Olivier Höbel zitiert. (Der ganze Report als PDF-Datei: IG Metall: Sozialreport Automobilcluster Leipzig. Zur Lage der Beschäftigten bei industriellen Dienstleistern. Wege zu einem gemeinsamen tariflichen Ordnungsrahmen. Frankfurt 2015).

Von den schrittweise Erfolgen der Gewerkschaft berichtet auch Jörn Boewe in seinem Artikel:

»Der Report zeigt aber auch, dass es etwa seit fünf, sechs Jahren eine Verbesserung der Situation gibt. Das Wiederanziehen der Konjunktur nach der Krise von 2008/2009 spielt dabei eine Rolle, aber auch eine veränderte Herangehensweise der Gewerkschaft. 2008 hatte sie eine großangelegte Kampagne zur Gleichstellung der Leiharbeiter gestartet und damit erstmals die »Arbeit am Rand« in den Blick genommen. In Leipzig suchten Gewerkschaftssekretäre Kontakt zu den Beschäftigten der zahlreichen Industriedienstleister und unterstützten die Wahl von Betriebsräten und Tarifkommissionen.

2010 konnte die IG Metall beim weltweit agierenden Autozulieferer Schnellecke einen Haustarifvertrag durchsetzen, was den Kollegen im Schnitt 400 Euro mehr pro Monat bedeutete. Der Durchbruch folgte zwei Jahre später beim Industrielogistiker Rudolph. Hier beteiligten sich die Beschäftigten sogar fünfmal an Warnstreiks. Weitere Tarifabschlüsse in anderen Firmen folgten. Auf diese Weise konnten Einkommenserhöhungen und kürzere Arbeitszeiten für insgesamt rund 2.400 Arbeiter durchgesetzt werden.«

Was man hier erkennen kann ist die mühsame, aber offensichtlich sukzessiv auch durchaus erfolgreiche Bearbeitung der einen Tariffrage: Wenn der Druck auf die Stammbelegschaften durch die immer stärkere Ausbreitung der Werkverträge in den Kernbereich hinein steigt, dann muss man eben die eigene Tarifpolitik auf diese vor- und nachgelagerten Bereiche ausdehnen, um das tarifpolitisch wieder in Griff zu bekommen.

Genau hier aber tut sich eine zweite Tariffrage auf. Gemeint ist die Tatsache, dass viele der Werkvertragsunternehmen der Logistik-Branche zugeordnet sind und hier gilt die Zuständigkeit einer anderen Gewerkschaft – von Verdi. Und da gibt es zunehmend Konflikte, denn die IG Metall muss immer stärker diese Zuständigkeitsgrenze überschreiten, um die ganze Wertschöpfungskette wieder unter ihr Dach zu bekommen. Das führt zu handfesten Konflikten – vgl. dazu den Beitrag Wenn unterschiedlich starke Arme eigentlich das Gleiche wollen und sich in die Haare kriegen: „Tarifeinheit“ aus einer anderen Perspektive vom 3. September 2014.

Es gibt also gute Gründe, „die“ Werkverträge zu einem Thema zu machen – allerdings sollen die Anführungszeichen verdeutlichen, dass es eben eine enorme Heterogenität der Werkverträge gibt und nicht alle können und dürfen unter dem Label „Lohndumping“ subsumiert werden. Hinzu kommt: Die Ambivalenz vieler Betriebsräte erklärt sich aus der Tatsache, dass natürlich in gewissem Maße ein Teil der schlechteren Bedingungen bei den Werkvertrags-Beschäftigten die besseren Bedingungen der Stammbeschäftigten stabilisiert. Insofern könnte am Ende des Prozesses das Ergebnis stehen, dass die IG Metall die an solchen Aktionstagen natürlich grundsätzlich beklagte Auffächerung der Tarifstruktur nach unten (aus der Perspektive des Niveaus der heutigen Stammbelegschaft) in geordneten Bahnen mitgehen wird (so meine These in dem Beitrag Outsourcing mit Folgen: Werkverträge im Visier. Die IG Metall versucht, den Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen vom 1. September 2015).

Von der nun anstehenden gesetzlichen Neuregelung der Werkverträge – auch wenn sich der Aktionstag hier ausdrücklich an Berlin gerichtet hat – werden sich die Gewerkschaften außer einem Informationsrecht für Betriebsräte nicht viel erwarten dürfen. Das von ihrer Seite aus geforderte Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte wird es nicht geben. Dazu ist der Widerstand der Arbeitgeber an dieser Stelle viel zu groß und die politischen Handlungsspielräume der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) innerhalb der Großen Koalition sind zu klein bzw. gar nicht mehr vorhanden, was weitere Regulierungen angeht. Die Formulierung im Koalitionsvertrag spricht nur von Informations-, nicht aber von Mitbestimmungsrechten, so dass sich die Union hier auch nicht weiter wird bewegen müssen.