Die Festung Europa wächst und gedeiht im Windschatten der Unaufmerksamkeit: Von der faktischen Legalisierung des völkerrechtswidrigen „Refoulement“ bis hin zu messerscharfen Draht gegen die, die es am Boden versuchen

Es ist immer wieder das gleiche Elend: Wenn Flüchtlinge im Mare Nostrum elendig ersaufen, dann richten sich für einen Moment die Scheinwerfer der medialen Aufmerksamkeit auf die Vorgänge im Mittelmeer, um nach kurzer Zeit dann wieder das Handy der Bundeskanzlerin oder andere mehr oder weniger gewichtige Themen auszuleuchten. Immerhin hat zwischenzeitlich der Name Lampedusa eine traurige Berühmtheit erlangt und mit temporären Schaudern ertappen sich viele Menschen dabei, auf der einen Seite irgendwie ein schlechtes Gewissen haben zu müssen angesichts des Elends der Flüchtlingswellen, die an die – andererseits für viele mit so schönen Urlaubserinnerungen verbundenen – Mittelmeerstrände zu gelangen versuchen und das oftmals mit ihrem Leben zahlen. Auf der anderen Seite gibt es da dieses Gefühl, Angst haben zu müssen vor „unkontrollierbaren“ Flüchtlingsströmen aus den Tiefen Afrikas, denen unsere Gesellschaften nicht Herr werden könnte und die zu einer Überforderung und einer entsprechenden Radikalisierung vieler Menschen führen würde. Und ist es nicht auch so: Die Aufnahmefähigkeit Europas ist nun mal begrenzt? Sicher haben wir es hier mit einem letztendlich nicht auflösbaren Dilemma zu tun, aber das Pendel derjenigen, die in Europa Verantwortung tragen, hat sich längst in eine Richtung bewegt: Abschottung, Abwehr, Vermeidung weiterer Zuwanderung wo und wie es nur geht.

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Wenn ein Speditionsunternehmen in Lettland philippinische Lkw-Fahrer mit lettischer Arbeitserlaubnis quer durch EU-Europa fahren lässt – dann versteht man den Schulterschluss von Logistik-Unternehmen und der Gewerkschaft ver.di in Deutschland

Auf den deutschen Straßen sind immer weniger LKW aus Deutschland unterwegs. Die Konkurrenz aus dem Ausland macht es dem Transport-Gewerbe zunehmend schwer. Zu schwer, finden der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) und die Gewerkschaft ver.di – und haben deshalb ein Bündnis geschmiedet, um dagegen und vor allem gegen weitere geplante Verschlechterungen ein Zeichen zu setzen.

Der Bundesverband der Speditionsunternehmen erläutert den Hintergrund der für die deutschen Unternehmen und ihren Beschäftigten bedrohlichen Entwicklung mit Blick auf die osteuropäische Konkurrenz in einer Pressemitteilung: »Vor allem aufgrund niedrigerer Lohn- und Sozialkostenstandards gelang es den Transportunternehmen aus den EU-Beitrittsstaaten, ihren Anteil am mautpflichtigen Lkw- Verkehr (gemessen in Mautkilometern) in Deutschland binnen weniger Jahre von 18 % auf über 26 % zu steigern.« Der Verband erläutert dann konkretisierend, was das bedeutet: »Schätzungsweise sind hierdurch mindestens 15.000 deutsche Lkw vom Markt verdrängt worden, deren Transporte durch gebietsfremde Fahrzeuge übernommen wurden. Dadurch entsteht den deutschen Steuer- und Sozialkassen ein Minus in Höhe von 1,2 Mrd. Euro – pro Jahr!«, so wird Adalbert Wandt, der Präsident des BGL zitiert. Wie kommt man auf einen solchen Betrag? Dazu hat der BGL eine Beispielkalkulation vorgelegt: „Steuer-, Abgaben- und Umlagenausfälle sowie zusätzliche Sozialkosten durch die Verdrängung eines deutschen LKW durch gebietsfremde„, so ist die Tabelle überschrieben, die aufzeigt, was passiert, wenn ein in Deutschland gemeldeter und von hier aus betriebener Lkw ausfällt und die daran hängenden Arbeitnehmer ihren Job verlieren würden. 

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Bulgaren und Rumänen: Kommen (noch) mehr und wenn ja wie viele? Und welche? Über Arbeits- und Armutszuwanderung aus dem Armenhaus der EU

Erinnern wir uns noch an die Debatten im Vorfeld der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit für Menschen aus den osteuropäischen Beitrittsländern zur EU? Da wurde von vielen Medien mit der Angst vor den vielen Polen gespielt, die nur darauf warten, ins gelobte Deutschland zu strömen. Aus dem Strom ist bekanntlich in der Realität eher ein überschaubares Flüsschen geworden.

Nun beginnt das Spiel wieder von vorne, diesmal sind alle Augen auf die Bulgaren und Rumänen gerichtet. Denn ab 2014, also in einem halben Jahr, fällt auch gegenüber diesen beiden Ländern die Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Und sofort beginnt wieder die Debatte über einen gewaltigen Zustrom, handelt es sich bei diesen Ländern doch auch tatsächlich um das Armenhaus der EU. Und übrigens – sind nicht schon viele aus den dort herrschenden trostlosen Verhältnissen ins reiche Deutschland gekommen? Häufen sich nicht die Berichte über die Armutszuwanderer in deutschen Großstädten, von Duisburg bis Berlin-Neukölln?

Zu den damit verbundenen Fragen hat sich nun das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit Gedanken gemacht und eine Studie veröffentlicht:

Herbert Brücker, Andreas Hauptmann und Ehsan Vallizadeh: Arbeitsmigration oder Armutsmigration? Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien (= IAB-Kurzbericht 16/2013), Nürnberg, 2013

Zehntausende werden die Chance nutzen, schätzen Experten, wie wir einem der Artikel über die neue IAB-Studie entnehmen können: „2014 bis zu 180.000 Zuwanderer aus Südosteuropa„. Schauen wir uns die Studie des IAB einmal genauer an:

Die kompakte Zusammenfassung lautet: »Der starke Anstieg der Migration aus Bul­garien und Rumänien hat Befürchtungen ausgelöst, dass dies den Arbeitsmarkt und die Sozialsysteme in Deutschland belasten könnte. Zwar sind die bulgari­schen und rumänischen Neuzuwanderer im Durchschnitt geringer qualifiziert als andere, aber die Arbeitslosenquoten und die Anteile der Bezieher von Transfer­leistungen sind unter den hier lebenden Bulgaren und Rumänen deutlich geringer als bei anderen Migrantengruppen – und insgesamt profitiert Deutschland von die­ ser Zuwanderung. Allerdings sieht das Bild in deutschen Großstädten sehr un­terschiedlich aus.«

Die Nettozuwanderung aus Bulgarien und Rumänien könnte nach Einführung der Arbeitnehmerfreizügigkeit am 1.1.2014 von 71.000 Personen im Jahr 2012 auf 100.000 bis 180.000 Personen steigen, schreiben die Wissenschaftler in ihrer Zusammenfassung der Befunde aus ihrer Studie.

Vor dem Hintergrund der sich zunehmend verfestigenden Wahrnehmung der Menschen, die aus Rumänien und Bulgarien zu uns kommen, als „arme Schlucker“, die für unsere Sozialsysteme zu einer großen Belastung werden, ist der folgende Befund interessant, der zugleich wieder einmal verdeutlicht, dass es keinen Sinn macht, von „den“ Rumänen oder Bulgaren zu sprechen: »Im Jahr 2010 verfügten 25 Prozent der Neuzuwanderer aus Bulgarien und Rumänien über einen Hochschulabschluss, aber auch 35 Prozent hatten keine abgeschlossene Berufsausbildung.«

Die Abbildung, die dem IAB-Bericht entnommen ist, verdeutlicht anschaulich, dass die Betroffenheit der Rumänen und Bulgaren sowohl von (gemessener) Arbeitslosigkeit und von Grundsicherungsbezug zwar etwas höher liegt als der Bevölkerungsdurchschnitt, aber deutlich unter der aller Ausländer in Deutschland.

Mit Blick auf die Zukunft und im Lichte der Erfahrungswerte aus der jüngeren Vergangenheit schreiben die Wissenschaftler: »Bei der Einführung der Arbeitnehmerfreizügigkeit für die Länder der ersten Osterweiterungsrunde sind die Arbeitslosenquoten und Anteile der SGB-II-Leistungsempfänger gesunken. Ob dies auch bei Bulgaren und Rumänen der Fall sein wird, ist aufgrund ihrer im Schnitt geringeren Qualifikation allerdings offen.«

Die bulgarische und rumänische Bevölkerung konzentriert sich in Deutschland mit wenigen Ausnahmen auf prosperierende Großstädte. Allerdings ist bereits heute eine bedenkliche Polarisierung zu beobachten, die dazu führt, dass die Kommunen, denen es schon heute am schlechtesten geht, überdurchschnittlich stark belastet werden: »Während in Großstädten wie München, Mannheim und Stuttgart die Zahl der arbeitslosen Bulgaren und Rumänen vergleichsweise moderat ausfalle, konzentrierten sich die Probleme vor allem auf drei Städte: Berlin, Duisburg und Dortmund. Hier seien die Arbeitslosenquoten außergewöhnlich hoch. In Berlin beziehe fast ein Fünftel der bulgarischen und rumänischen Bevölkerung Hartz IV-Leistungen, berichten die Arbeitsmarktforscher. Auch in Köln, Hamburg, Frankfurt am Main und Offenbach sei der Anteil der bulgarischen und rumänischen Hartz-IV-Bezieher groß«, so der Beitrag bei Handelsblatt Online.

Und hier sind wir an einem bereits aktuell mehr als sichtbaren Armutsproblem angekommen, was auch von anderen Medien und in anderen Formaten aufgegriffen wird. Besonders zu empfehlen in diesem Zusammenhang ist die ARD-Dokumentation „Deutschlands neue Slums – Das Geschäft mit den Armutseinwanderern“, die am 19.08.2013 ausgestrahlt worden ist. Der redaktionellen Beschreibung der Dokumentation können wir entnehmen:

»Dortmund im Frühsommer 2013. Zwei Gestalten laufen durch die Nacht, mit einem Bündel Habseligkeiten. Zuletzt etwas gegessen haben sie gestern, sagen sie. Wo sie schlafen werden? Vielleicht in einem alten Transporter, im Park oder in einem Keller – wie viele andere Bulgaren und Rumänen auch. Viele der Alteingesessenen fühlen sich in ihren Vierteln nicht mehr wohl. Sie fürchten den Anstieg von Kriminalität, Prostitution, Menschenhandel. Manche haben Angst vor den Zuwanderern und vor denen, die mit ihnen Geschäfte machen. Die Reportage begleitet die neuen Armutseinwanderer ein halbes Jahr lang und versuchen herauszufinden, wer an den Menschen „ganz unten“ verdient. Unter welchen Umständen kommen sie nach Deutschland? Wer sind die Leute, die ihnen statt Wohnungen Matratzen oder Kellerlöcher vermieten? Wer lässt sie unter unwürdigen Bedingungen arbeiten, oftmals nur für einen Hungerlohn, wie sie erzählen?«

Ein sehenswerter Beitrag zu einem schwierigen Thema.