Wenn ein Speditionsunternehmen in Lettland philippinische Lkw-Fahrer mit lettischer Arbeitserlaubnis quer durch EU-Europa fahren lässt – dann versteht man den Schulterschluss von Logistik-Unternehmen und der Gewerkschaft ver.di in Deutschland

Auf den deutschen Straßen sind immer weniger LKW aus Deutschland unterwegs. Die Konkurrenz aus dem Ausland macht es dem Transport-Gewerbe zunehmend schwer. Zu schwer, finden der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) und die Gewerkschaft ver.di – und haben deshalb ein Bündnis geschmiedet, um dagegen und vor allem gegen weitere geplante Verschlechterungen ein Zeichen zu setzen.

Der Bundesverband der Speditionsunternehmen erläutert den Hintergrund der für die deutschen Unternehmen und ihren Beschäftigten bedrohlichen Entwicklung mit Blick auf die osteuropäische Konkurrenz in einer Pressemitteilung: »Vor allem aufgrund niedrigerer Lohn- und Sozialkostenstandards gelang es den Transportunternehmen aus den EU-Beitrittsstaaten, ihren Anteil am mautpflichtigen Lkw- Verkehr (gemessen in Mautkilometern) in Deutschland binnen weniger Jahre von 18 % auf über 26 % zu steigern.« Der Verband erläutert dann konkretisierend, was das bedeutet: »Schätzungsweise sind hierdurch mindestens 15.000 deutsche Lkw vom Markt verdrängt worden, deren Transporte durch gebietsfremde Fahrzeuge übernommen wurden. Dadurch entsteht den deutschen Steuer- und Sozialkassen ein Minus in Höhe von 1,2 Mrd. Euro – pro Jahr!«, so wird Adalbert Wandt, der Präsident des BGL zitiert. Wie kommt man auf einen solchen Betrag? Dazu hat der BGL eine Beispielkalkulation vorgelegt: „Steuer-, Abgaben- und Umlagenausfälle sowie zusätzliche Sozialkosten durch die Verdrängung eines deutschen LKW durch gebietsfremde„, so ist die Tabelle überschrieben, die aufzeigt, was passiert, wenn ein in Deutschland gemeldeter und von hier aus betriebener Lkw ausfällt und die daran hängenden Arbeitnehmer ihren Job verlieren würden. 

Ausgehend von den angegebenen 15.000 deutschen Lkw, die vom Markt verdrängt worden sind, kommt man auf die genannte Größenordnung von fast 1,2 Mrd. Euro.
Das zwischen BGL und der Gewerkschaft ver.di geschlossene Bündnis richtet sich aber nicht nur allgemein gegen das Sozialdumping durch die Billiganbieter gerade aus den osteuropäischen Ländern, sondern bereits im Juli wurde die „Bündnispartnerschaft Kabotage“ geschlossen. An dieser Stelle wird sich der eine oder die andere sicher fragen, was um alles in der Welt „Kabotage“ bedeutet. Eine erste Erläuterung finden wir hier: Unter Kabotage versteht man speziell „Transportdienstleistungen innerhalb eines Landes, die von ausländischen Verkehrsunternehmen erbracht werden.“ Und weiter: »Unter Kabotagefreiheit ist zu verstehen, dass Verkehrsmittel aus einem Staat das Recht haben, in einem anderen Staat Transportleistungen gegen Entgelt anzubieten und durchzuführen. Beispiel: Binnenschiffe unter polnischer Flagge haben seit dem Beitritt Polens zur EU am 1. Mai 2004 das Recht, Güter innerhalb Deutschlands zu transportieren. Zu Zeiten des Kabotageverbotes führte dies nach Hintransport immer zu unwirtschaftlichen und umweltbelastenden Leerfahrten. Das Einschränken der Kabotagefreiheit bis hin zum vollständigen Verbot von Kabotage ist eine protektionistische Maßnahme.« Hier wird es interessant, denn man könnte jetzt auf die Idee kommen, den deutschen Unternehmen und den Gewerkschaften vor Ort geht es „nur“ darum, sich unliebsame Konkurrenz vom Hals zu halten, was aus einer volkswirtschaftlichen Sicht letztendlich effizienzsenkend wirken würde, denn die anderen Unternehmen wären nicht in der Lage, sich Transportdienstleistungen billiger auf dem Markt zu besorgen.

Wie immer in der Wirklichkeit ist die Sachlage komplizierter. Die ganze Angelegenheit berührt europarechtliche Fragen, die wie so vieles andere auch die Frage der Kabotage in einer Richtlinie geordnet hat. Seit 2010 gibt es eine Verordnung der EU-Kommission und die lässt »Kabotagebeförderungen im Anschluss an eine grenzüberschreitende Beförderung erst nach vollständiger Entladung des Fahrzeuges zu. Zudem kann innerhalb von drei Tagen nach der Einfahrt mit einem unbeladenen Fahrzeug in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates eine Kabotagebeförderung durchgeführt werden. Dies setzt voraus, dass zuvor eine grenzüberschreitende Beförderung in einen anderen Mitgliedstaat stattgefunden hat, und dass insgesamt die 7-Tage-Frist eingehalten wird«, so die Erläuterungen des Bundesamtes für Güterverkehr (BAG). Auch wenn das wieder mal typisch kompliziert rüberkommt, so kann man dem schon entnehmen, dass Kabotage zwar möglich, aber zugleich auch begrenzt ist. Noch. Denn das ist das Problem.

Die Gewerkschaft ver.di bringt es auf den Punkt: »Für die Kabotage, worunter man zeitweilige Transportleistungen im Inland durch in anderen EU-Staaten zugelassene Fahrzeuge über 3,5 Tonnen versteht, gibt es im Moment enge Vorschriften. Ziel der EU-Kommission ist es allerdings, die grenzüberschreitenden Verkehre vollkommen frei zu geben.« Die Kabotagefahrten seien schon heute schwer zu kontrollieren. „Die Löhne sind schlecht und auch die weiteren Arbeitsbedingungen der betroffenen Fahrer sind oft inakzeptabel“, so die Gewerkschaft.

»Dabei nimmt das Sozialdumping immer unerträglichere Formen an: So bringt seit einiger Zeit ein Transportunternehmen aus Lettland europaweit die Lkw-Fahrer gegen sich auf, das philippinische Lkw-Fahrer zu Niedrigstlöhnen mit einer lettischen EU-Arbeitserlaubnis quer durch Europa fahren lässt. Das europäische Gemeinschaftsrecht lässt diese Praxis offenbar zu«, so die Schützenhilfe seitens des Unternehmensverbandes der Unternehmen des Güterkraftverkehrs.

Und wie sehen sie die Forderungen aus, um die Missstände zu beseitigen? Die Gewerkschaft positioniert sich hier scheinbar klar: Neben einem einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland in Höhe von 8,50 Euro sei auch der Ausbau eines wirksamen Kontrollsystems notwendig. Hierfür bräuchten die zuständigen Behörden ausreichend Personal und es müsse die Möglichkeit geschaffen werden, Verstöße grenzüberschreitend zu ahnden. Und gegenüber den Arbeitgebern wird formuliert: Die Unternehmen müssten aufhören, »sich gegenseitig kurzfristige Wettbewerbsvorteile durch Tarifflucht zu verschaffen. Wir wollen ein funktionierendes Flächentarifvertragssystem.«

Mit Verlaub – das sind nachvollziehbare und ehrenwerte Forderungen vor allem natürlich aus Arbeitnehmersicht, aber die richten sich primär an die inländischen Arbeitgeber, nur sekundär an die ausländischen Unternehmen, denn die wären höchstens an einen gesetzlichen Mindestlohn gebunden, wenn sie in Deutschland auch länger mit ihren Fahrern – wie es wohl die EU-Kommission vorhat – tätig wären. Aber trotzdem bleiben drei Schwachstellen in diesem Ansatz, der die heute bestehende Kostendifferenz zwischen in- und ausländischen Unternehmen nur reduzieren, nicht aber einebnen kann:

➔ Auch wenn den Fahrern der gesetzliche Mindestlohn gezahlt werden müsste für die Zeit, in der sie in Deutschland tätig sind und wenn man – ziemlich theoretisch, aber gedanklich zulässig – unterstellt, die Arbeitgeber machen das auch, dann bleibt das Problem eines fortbestehenden Kostendifferentials aufgrund der differierenden Sozialversicherungsbeiträge zwischen den in- und den ausländischen Anbietern.

➔ Eine grundsätzliche Problematik könnte sich daraus ergeben, dass der Gewinn eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns mit dem weiteren Verlust tarifzahlender Unternehmen erkauft wird, die sich nun ihrerseits lohnseitig an dem Mindestlohn ausrichten, denn das ist ja der Referenzpunkt für die konkurrierenden Unternehmen.

➔ Und abschließend sei darauf hingewiesen, dass es massiver Kontrollen bedürfte, um die zahlreichen schwarzen Schafe aus dem Ausland, die auf den Straßen unterwegs sind, von einem auch zukünftigen Unterlaufen der Mindestnormen abzubringen. Und ob das wirklich gelingen kann, muss hier offen bleiben.

Da überrascht es denn auch nicht, dass die Forderungen der Unternehmensverbandsseite weitaus abstrakter daherkommen als die der Gewerkschaft. Die BGL schreibt in ihrer Pressemitteilung: »Eine Harmonisierung der nationalen und europäischen Rechtsvorschriften ist somit unbedingt angezeigt, um zunächst eine Marktkonsolidierung und Wettbewerbsangleichung zu erreichen.« Möglicherweise ist die Stellungnahme des Verbandes auch deswegen so zurückhaltend, weil man ansonsten auf die ja nicht ganz unplausible Frage kommen und diese auch stellen könnte, wie viele deutsche Unternehmen den selbst eigene Unternehmen in Osteuropa gegründet oder sich an ihnen beteiligt haben, um die (potenziellen) Vorteile aus den Kostendifferentialen zwischen den Ländern nutzen zu können.

Um nicht missverstanden zu werden – selbstverständlich wäre eine „Wettbewerbsangleichung“ zu begrüßen, um fairere Rahmenbedingungen herzustellen und außerdem sollten die Kontrollen tatsächlich mit der erforderlichen Intensität durchgeführt werden, wenn man die Arbeitsbedingungen der Lkw-Fahrer, vor allem der aus Osteuropa, auch nur ansatzweise kennt. Nur zeigt sich an diesem Beispiel eben auch erneut ein Grunddilemma innerhalb einer Europäischen Union, die einerseits ausgerichtet ist auf weitestgehende Freizügigkeit zwischen den Mitgliedsstaaten und in der andererseits so extreme Wohlstandsunterschiede herrschen wie beispielsweise zwischen Deutschland und Bulgarien. Die Welt ist leider komplizierter und sperriger, als man es sich gerade in solchen Fällen wünschen würde.