Sie wächst und wächst, „die“ Beschäftigung. Aber welche eigentlich? Eine Dekomposition der Erwerbstätigenzahlen

Kurz und knapp ist die Überschrift der Pressemitteilung der Bundesagentur für Arbeit (BA) anlässlich der Bekanntgabe der Arbeitsmarktzahlen für den April 2017: „Gute Entwicklung setzt sich fort“. Die Zahl der arbeitslosen Menschen hat von März auf April um 93.000 auf 2.569.000 abgenommen. Es soll an dieser Stelle gar nicht auf die Zahl 2,6 Mio. Arbeitslose genauer eingegangen werden, liegt die „wahre“ Zahl der Arbeitslosen – wie schon in vielen früheren Beiträgen immer wieder hervorgehoben – doch tatsächlich mindestens um eine Million höher, also bei 3,6 Mio., ausweislich der Angaben der BA zur „Unterbeschäftigung“: »Insgesamt belief sich die Unterbeschäftigung im April 2017 auf 3.603.000 Personen.«

Hier soll es um einen anderen Aspekt gehen: »Erwerbstätigkeit und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung haben im Vergleich zum Vorjahr weiter kräftig zugenommen.« Und das Statistische Bundesamt hat die frohe Botschaft aus Nürnberg schon einen Tag zuvor mit dieser Ansage unterstrichen: März 2017: Erwerbstätigkeit mit stabilem Aufwärtstrend: » Im März 2017 waren nach vorläufigen Berechnungen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) rund 43,8 Millionen Personen mit Wohnort in Deutschland erwerbstätig. Gegenüber März 2016 nahm die Zahl der Erwerbstätigen um 641.000 Personen oder 1,5 % zu.« Die Abbildung am Anfang der Beitrags visualisiert die positive Entwicklung der Beschäftigtenzahlen des Statistischen Bundesamt – offensichtlich schreitet das deutsche „Jobwunder“ voran.

Nun haben solche Zahlen die Folge, dass sie zumeist unvollständig interpretiert und unters Volks gebracht werden. Dann kommen solche Meldungen dabei raus: Immer mehr Menschen haben Arbeit: »Im März sind 43,8 Millionen Menschen in Deutschland einer bezahlten Arbeit nachgegangen. Das hat das Statistische Bundesamt ausgerechnet.« Das ist nun nicht falsch, das kann man der erwähnten Pressemitteilung der Bundesstatistiker durchaus entnehmen, aber es kann problematisch werden, wenn man bedenkt, wie diese formal richtige Botschaft bei vielen Menschen ankommt, also wie die die Zahlen interpretieren. Denn zahlreiche Bürger haben – zumeist unbewusst – eine ganz bestimmte Vorstellung davon, was es heißt, einen Job zu haben oder wenn sie hören/lesen, von Januar 2014 bis zum März 2016 wurden (saisonbereinigt) 1,5 Mio. neue Arbeitsplätze geschaffen, was auch einige aus den Zahlen des Statistischen Bundesamtes abgeleitet haben.

Da denken viele Menschen irgendwie an „normale Jobs“, also eine Vollzeitbeschäftigung als Arbeitnehmer in einem Unternehmen. Die gibt es natürlich auch, aber sie sind nur eine Teilmenge dessen, was unter dem Oberbegriff „Erwerbstätige“ gezählt wird.

Bereits die offizielle Definition von Erwerbstätigen, wie man sie beim Statistischen Bundesamt finden kann, verdeutlicht die enorme Spannweite dessen, was da alles subsumiert wird. Der entscheidende Punkt: Die Zahl der Erwerbstätigen sagt nicht, dass es sich um halbwegs normale Jobs handelt, die hinter der Zahl stehen, das kann sein, muss aber nicht. Beispiel: Eine vollzeitbeschäftigte Mitarbeiterin im Einzelhandel (bislang also = 1 Erwerbstätige) wird ersetzt durch zwei teilzeitbeschäftigte Verkäuferinnen (= 2 Erwerbstätige) oder gar durch vier geringfügig Beschäftigte (= 4 Erwerbstätige) – obgleich die Arbeitszeit (40 Stunden pro Woche) gleich geblieben ist.

Der Zahl der Erwerbstätigen kann man eben nicht ansehen, wer da genau hinter steht. Eine auf 450-Euro-Basis, also geringfügig Beschäftigte, geht in die Statistik der Erwerbstätigen mit dem gleichen Gewicht ein wie eine mit 40 Wochenstunden angestellte und tariflich vergütete Angestellte.

Gemessen werden Köpfe, unabhängig ihres „Gewichts“ bezogen auf die tatsächliche Einbindung in Erwerbsarbeit. Ein erster Blick auf die Daten zeigt für die Jahre seit 2010, dass die „Kopfzahl“-Entwicklung bei den Erwerbstätigen und die Entwicklung der geleisteten Arbeitsstunden, also das Arbeitsvolumen, auseinanderlaufen. Die Zunahme der Zahl der Erwerbstätigen geht deutlich über die Expansion der geleisteten Arbeitsstunden hinaus. Es ist naheliegend, dass das nur dann passieren kann, wenn der Anteil der Beschäftigten steigt, die von der Arbeitszeit her gesehen weniger als die Beschäftigten früher arbeiten.

Dass diese Vermutung durchaus seine Berechtigung hat, zeigt die Aufarbeitung der Entwicklungsdynamik der einzelnen Komponenten der Erwerbstätigenzahlen, die man beispielsweise in der Arbeitsmarkt-Prognose 2017 des IAB finden kann.

Die Zahl der „marginal Beschäftigten“ und auch die der Selbständigen hat seit 2010 abgenommen und die Zahl der in Vollzeit beschäftigten Arbeitnehmer hat nur unterdurchschnittlich zugelegt, gemessen an der Entwicklung der Zahl der Erwerbstätigen insgesamt.
Gleichsam nach oben geschossen und mit einem entsprechend überdurchschnittlichen Beitrag zur allgemeinen Entwicklung der Erwerbstätigenzahlen sind die in regulärer Teilzeit beschäftigten Arbeitnehmer. Für 2017 gehen die Arbeitsmarktforscher des IAB von einer Teilzeitquote bei den beschäftigten Arbeitnehmern in Höhe von 39,4 Prozent aus.

Nun kann man an dieser Stelle argumentieren, eine alte Statistikerweisheit lautet: Auf das Basisjahr kommt es an. Und die bisherige Daten-Präsentation bezog sich auf die Jahre ab 2010. Aber natürlich kann man weiter zurückblicken, um zu prüfen, ob es in der langen Sicht vergleichbare Verschiebungen gegeben hat oder ob sich am aktuellen Rand etwas verändert gegenüber dem, was wir in der Vergangenheit feststellen konnten.

Hinzu liefert das Statistische Bundesamt Daten, die bis 1991 zurückreichen.
Und auch hier sehen wir wieder die unterdurchschnittliche Entwicklung bei den „Normalarbeitnehmern“, die der weit verbreiteten Vorstellung von einem „normalen“ Job entsprechen. Die haben nach 1991 sogar abgenommen, eine Trendwende dieses Abbauprozesses ist erst ab 2007 und mit einer gewissen Dynamik vor allem seit 2011 zu erkennen – das spiegelt sicher die insgesamt gute Arbeitsmarktentwicklung der vergangenen Jahre in Verbindung mit den Engpasserfahrungen eines Teils der Unternehmen, die vor allem auch demografisch bedingt sind, wider. Am aktuelle Rand der Entwicklung nehmen die Vollzeitstellen im sozialversicherungspflichtigen Bereich wieder zu hinsichtlich ihres Beitrags zur Zahl der zusätzlichen Erwerbstätigen. Die veränderte allgemeine Arbeitsmarktlage schlägt sich auf nieder bei der Entwicklung der Selbständigen und darunter bei der Gruppe der Solo-Selbständigen. Deren Zahl hat sich bis 2012 stark erhöht, seitdem geht sie wieder zurück, was auch den Rückgang bei den Selbständigen insgesamt erklären kann. Sicher auch deshalb, weil bisherige Solo-Selbständige, die sich eher aus der Not heraus selbständig gemacht haben, nun wieder in abhängige Beschäftigungsverhältnisse wechseln.

Aber auch aktuell entfallen die meisten zusätzlichen Erwerbstätigen auf den Bereich der sozialversicherungspflichtigen Teilzeitarbeit. Damit wird die langjährige Entwicklung fortgeschrieben. Das hat natürlich Auswirkungen, die sozialpolitisch bedeutsam sind. Und das in mehrfacher Hinsicht. Zum einen hat das eine geschlechterpolitische Dimension, denn Teilzeit ist immer noch primär eine Sache der Frauen. Hinzu kommt, dass Teilzeitarbeit überdurchschnittlich stark in Branchen vertreten ist, in denen wir mit einem niedrigen Lohnniveau konfrontiert sind – und selbst innerhalb der Branchen konnten Studien zeigen, dass es einen Lohnunterschied gibt zwischen Arbeitnehmern in Teil- und Vollzeit, vgl. dazu nur als ein Beispiel Elke Wolf: Lohndifferenziale zwischen Vollzeit- und Teilzeit­beschäftigten in Ost- und Westdeutschland. WSI-Diskussionspapier Nr. 174, Düsseldorf, Dezember 2010).

Sozialpolitisch besonders brisant ist die Tatsache, dass wichtige Teile unseres sozialen Sicherungssystems, von der Arbeitslosenversicherung bis hin (vor allem) zur Rentenversicherung, auf dem Modell der möglichst ohne Unterbrechungen praktizierten Vollzeit-Erwerbsarbeit mit einer (mindestens) durchschnittlichen Vergütung basieren, man denke hier nur an die Mechanik der Rentenformel (vgl. hierzu die §§ 64 ff. SGB VI). In der gesetzlichen Rentenversicherung hat man keine reale Chancen, eigenständig ausreichende Sicherungsansprüche aufzubauen, wenn man „nur“ und das über längere Zeiträume Teilzeit arbeitet. In Kombination mit den Merkmalen „Frauen“ und „Niedriglöhne“ hat man dann – wenn keine anderweitige abgeleiteten ausreichenden Sicherungsansprüche existieren oder diese wegbrechen – eine sichere Quelle zukünftiger Altersarmut.

Unabhängig davon und wieder zum Thema dieses Beitrags im engeren Sinne zurückkehrend sollte man an die Zahlen zur Beschäftigungsentwicklung mit großer Demut herangehen, man könnte auch zu größter Skepsis aufrufen. Dies wurde am 4. März 2017 in dem Beitrag Ein Wunder. Ein Beschäftigungswunder. 400.000 Arbeitnehmer sind wieder aufgetaucht. Die Bundesagentur für Arbeit und die Zahlen eindrücklich demonstriert.

Im ausführlichen Monatsbericht Januar 2017 der BA konnte man diese Aussagen lesen: »Der Aufbau sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung hat sich weiter fortgesetzt, wenn auch nicht mehr so stark wie im ersten Halbjahr 2016 … Seit Juni nahm die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung monatsdurchschnittlich um 10.000 zu, nachdem sie von Januar bis Mai noch um 42.000 gewachsen war … Die saisonbereinigte Entwicklung und die Veränderung der Vorjahresabstände zeigen, dass der Aufbau sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung zuletzt deutlich an Dynamik verloren hat, obwohl die reale Wirtschaftsleistung stetig wächst.« Und dann die Überraschung:

Nur wenige Wochen später, anlässlich der Arbeitsmarktzahlen für den Februar 2017 (vgl. dazu Der Arbeitsmarkt im Februar 2017 vom 01.03.2017), wird auf einmal ein ganz anderes Bild hinsichtlich der Beschäftigungsentwicklung gezeichnet: »Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung hat nach der Hochrechnung der BA von November auf Dezember saisonbereinigt um 82.000 zugenommen. Insgesamt waren im Dezember nach hochgerechneten Angaben 31,88 Millionen Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt, 735.000 mehr als ein Jahr zuvor.« Moment, wird der eine oder andere an dieser Stelle aufmerken, noch einen Monat vorher wurden doch „nur“ 332.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mehr als Vorjahr gemeldet und die rückläufige Dynamik beim Beschäftigungsaufbau beklagt. Die BA schiebt aber sogleich eine Erläuterung zu dieser nun wirklich nicht unerheblichen Differenz nach: » Die Angaben für die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und die Erwerbstätigkeit wurden ab August 2016 deutlich nach oben korrigiert, weil es Anfang 2016 Datenverarbeitungsfehler von Beschäftigungsmeldungen gab. Erst jetzt hat sich herausgestellt, dass Meldungen in größerem Umfang nicht berücksichtigt wurden.«

Und schwuppdiwupp sind 400.000 verschütt gegangene Arbeitnehmer wieder zum Leben erweckt worden. Gott sei Dank, denn hätte man das nicht gemacht, würden die immer noch arbeiten und statistisch tot sein.

Ein Wunder. Ein Beschäftigungswunder. 400.000 Arbeitnehmer sind wieder aufgetaucht. Die Bundesagentur für Arbeit und die Zahlen

Zahlen, vor allem die ganz großen Zahlen, spielen in Politik und Wissenschaft eine wichtige Rolle. Erst diese Tage hatten wir es wieder sehen können, bei der Veröffentlichung der monatlichen Arbeitsmarktzahlen in Nürnberg. Und durch alle Medien rauscht dann die eine Größe, also die Zahl der Arbeitslosen. 2.762.000 Menschen seien als solche im Februar 2017 gezählt worden. Einige wenige weisen dann noch darauf hin, dass es auch noch eine andere Zahl gibt, die sich nicht irgendwelche Spinner ausgedacht haben, sondern die man ebenfalls in der offiziellen Verlautbarung der Bundesagentur für Arbeit findet – die Zahl der „Unterbeschäftigten“. Die wird mit  3.762.000 Personen angegeben, also immerhin eine Million Menschen mehr als die offizielle Arbeitslosenzahl. Über die Untiefen der Arbeitsmarktstatistik wird hier seit Jahren berichtet, zuletzt beispielsweise in dem Artikel Der Arbeitsmarkt und die vielen Zahlen: Von (halb)offiziellen Arbeitslosen über Flüchtlinge im statistischen Niemandsland bis zu dauerhaft im Grundsicherungssystem Eingeschlossenen vom 2. Februar 2017.

Und zu den wirklich wichtigen großen Zahlen gehört neben den Arbeitslosen sicher auch die Zahl der Beschäftigten, also der Menschen mit einer Erwerbsarbeit – wobei man auch da sehr aufpassen muss, was genau mit Beschäftigten gemeint ist. Die ganz große Zahl ist die der Erwerbstätigen, in der sind eigentlich alle irgendwie beschäftigten Menschen beschäftigt, also neben der großen Gruppe der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmer, ob in Vollzeit oder Teilzeit, auch die geringfügig Beschäftigten, also die Minijobber, die Beamten, die Selbständigen. Und in dieser Statistik werden erst einmal Köpfe gezählt, die alle gleich viel wert sind, egal, ob sie 40 Stunden und mehr in der Woche arbeiten oder einem 450-Euro-Job nachgehen. Und wenn auf der Basis der Erwerbstätigen dann gesagt wird, wir haben mehrere hunderttausend neue Jobs bekommen in den vergangenen Monaten, dann muss man das berücksichtigen, was eben gerade ausgeführt wurde, denn der normale Bürger, der sich nicht intensiv mit den Datengrundlagen beschäftigt hat, wird unbewusst-bewusst davon ausgehen, dass es sich dabei um „normale“ Jobs handelt, also das, was die Bürger als solches darunter verstehen. Richtige Arbeitsplätze eben. Theoretisch könnte aber der Beschäftigungsabbau ausschließlich auf eine Expansion der Minijobs zurückgehen, um ein hypothetisches Beispiel zu nennen oder alle neuen Jobs sind Teilzeitverhältnisse, die aber genauso gezählt werden wie die Vollzeitjobs.

Und natürlich ist die Beschäftigungsentwicklung ein zentraler Indikator für die Einschätzung der Arbeitsmarktentwicklung. Man denke hier nur an die Auseinandersetzungen vor und nach der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns im Januar 2015, als viele Ökonomen erhebliche Beschäftigungsverluste vorgesagt hatten, die aber nicht nur nicht eingetreten sind, sondern ganz im Gegenteil, sowohl 2015 wie auch 2016 hat die Zahl der Erwerbstätigen und darunter vor allem die der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmer weiter zugenommen.

Und so konnte man in der Pressemitteilung der Bundesagentur für Arbeit zu den Arbeitsmarkzahlen im Januar 2017 (Der Arbeitsmarkt im Januar 2017 vom 31.01.2017) lesen: »Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung hat nach der Hochrechnung der BA von Oktober auf November saisonbereinigt um 22.000 zugenommen. Insgesamt waren im November 31,72 Millionen Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt, 332.000 mehr als ein Jahr zuvor.« Und im ausführlichen Monatsbericht Januar 2017 der BA findet man dann diese Aussagen: »Der Aufbau sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung hat sich weiter fortgesetzt, wenn auch nicht mehr so stark wie im ersten Halbjahr 2016 … Seit Juni nahm die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung monatsdurchschnittlich um 10.000 zu, nachdem sie von Januar bis Mai noch um 42.000 gewachsen war … Die saisonbereinigte Entwicklung und die Veränderung der Vorjahresabstände zeigen, dass der Aufbau sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung zuletzt deutlich an Dynamik verloren hat, obwohl die reale Wirtschaftsleistung stetig wächst.«

Nur wenige Wochen später, anlässlich der Arbeitsmarktzahlen für den Februar 2017 (vgl. dazu Der Arbeitsmarkt im Februar 2017 vom 01.03.2017), wird auf einmal ein ganz anderes Bild hinsichtlich der Beschäftigungsentwicklung gezeichnet: »Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung hat nach der Hochrechnung der BA von November auf Dezember saisonbereinigt um 82.000 zugenommen. Insgesamt waren im Dezember nach hochgerechneten Angaben 31,88 Millionen Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt, 735.000 mehr als ein Jahr zuvor.« Moment, wird der eine oder andere an dieser Stelle aufmerken, noch einen Monat vorher wurden doch „nur“ 332.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mehr als Vorjahr gemeldet und die rückläufige Dynamik beim Beschäftigungsaufbau beklagt. Die BA schiebt aber sogleich eine Erläuterung zu dieser nun wirklich nicht unerheblichen Differenz nach: » Die Angaben für die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und die Erwerbstätigkeit wurden ab August 2016 deutlich nach oben korrigiert, weil es Anfang 2016 Datenverarbeitungsfehler von Beschäftigungsmeldungen gab. Erst jetzt hat sich herausgestellt, dass Meldungen in größerem Umfang nicht berücksichtigt wurden.«

Schaut man dann in den ausführlichen Monatsbericht Februar 2017 der BA, dann wird dort die bisherige Bewertung der Beschäftigungsentwicklung deutlich korrigiert: »Nach dem neuen Datenstand hat sich der Aufbau der Erwerbstätigkeit und darunter der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in der zweiten Jahreshälfte ungebrochen fortgesetzt.«

Im Monatsbericht wird dem Leser in einem separaten Kasten erläutert (vgl. Korrektur der Beschäftigungsstatistik, S.10-11), was da schief gelaufen ist und nunmehr korrigiert wurde. Eine ausführliche Hintergrundinformation hat die BA auch veröffentlicht: Beschäftigungsstatistik: Korrektur vorläufiger Ergebnisse für das 2. Halbjahr 2016, März 2017. Darin heißt es:

»Zum Veröffentlichungstermin 1. März 2017 korrigiert die Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) die bisherigen Hochrechnungsergebnisse über sozialversicherungspflichtige Beschäftigung für das 2. Halbjahr 2016 stärker als sonst üblich. Die Ursache sind im Februar 2017 erkannte Datenverarbeitungsfehler von Anfang 2016, welche Auswirkungen auf die zuvor veröffentlichten Ergebnisse haben … Für die Beschäftigungsentwicklung bedeuten die neuen Ergebnisse: Der Zuwachs der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung gegenüber dem Vorjahr hält praktisch unverändert an.«

Und was genau ist passiert? Für Liebhaber der Statistik hier die Erläuterung:

»Im Februar 2017 wurden Fehler in der Datenverarbeitung zur Beschäftigungsstatistik festgestellt. Diese Fehler sind bereits ein Jahr zuvor aufgetreten. Aufgrund eines technischen Problems im Datenverarbeitungsprozess sind Arbeitgebermeldungen zur Sozialversicherung in größerem Umfang nicht in die Statistik-Datenverarbeitung eingeflossen. Die dadurch entstandene Melde-Lücke in den Beschäftigungsverläufen wurde in der Statistik-Datenverarbeitung zunächst regulär außer Acht gelassen, weil es auch verspätete Meldungen geben kann. Nach 18 Monaten setzt dann allerdings in den gespeicherten Beschäftigungsverläufen ein Mechanismus zur technischen Beendigung von Beschäftigungsverhältnissen ein, mit dem verhindert wird, dass der Bestand der Beschäftigten aufgrund ausbleibender Meldungen immer weiter anwächst und dadurch die Statistik verfälscht wird. Durch diese technisch vorgenommenen Beendigungen wurde der Beschäftigtenbestand seit den Sommermonaten 2016 sukzessive reduziert. Mit den neuen Datenlieferungen im Februar 2017 sind nun für diese Beschäftigungsverhältnisse bestätigende Jahresmeldungen für 2016 eingegangen. Dadurch wurden im Beschäftigungsverlauf zwischenzeitlich beendete Beschäftigungsverhältnisse rückwirkend wieder reaktiviert. Dies führt zu einer merklichen Korrektur der Beschäftigtendaten nach oben.«

Alles klar? Einer der wenigen, dem das aufgefallen ist und der das dann auch in der Berichterstattung aufgegriffen hat, ist Holger Hansen, der in seinem Artikel Beschäftigungswunder nach Datenkorrektur der BA zu den Erläuterungen der BA schreibt:  »Durch Meldungen und Abmeldungen der Arbeitgeber erfasst sie die Beschäftigtenzahl. Diese werden ergänzt durch Jahresmeldungen, praktisch eine Inventurmeldung zum Bestand der Beschäftigten des Vorjahres. Etwa 90 Millionen Meldungen über Arbeitsverhältnisse würden auf diese Weise jedes Jahr erfasst. Laut BA wurde vor einem Jahr ein ganzes Datenpaket mit solchen Jahresmeldungen nicht verarbeitet. Die Folge war, dass Beschäftigungsverhältnisse, für die seit mehr als 18 Monaten keine Bestätigungsmeldung vorlag, schrittweise aus der Statistik fielen. Erst im Februar 2017 sei der Fehler durch die Jahresmeldungen für 2016 aufgefallen. Irrtümlich für beendet erklärte Arbeitsverhältnisse würden damit „rückwirkend wieder aufleben“…« Ob es sich um einen Maschinenfehler oder einen Bedienungsfehler von Mitarbeitern handelte, ließ die Behörde offen, so Hansen in seinem Artikel.

Was kann man aus diesem „Beschäftigungswunder“, das nun kein wirkliches Wunder ist, weil tatsächlich lebende Arbeitnehmer statistisch für Tod erklärt und nunmehr statistisch wiederbelebt worden sind, allerdings in einer Größenordnung von mehreren hunderttausend Arbeitnehmern, lernen?

Zum einen in einem engeren inhaltlichen Sinne: mehr Vorsicht bei der Interpretation der Statistiken, vor allem, wenn sie sich am aktuellen Rand bewegen, da kann man richtig auflaufen, wie das hier präsentierte Beispiel zeigt. In diese Richtung geht auch Holger Hansen: » Die BA musste eine Vermutung zurücknehmen, die sie im Januar aufgestellt hatte: Dort hatte es geheißen, die Abschwächung der Jobdynamik könnte damit zusammenhängen, dass das inländische Arbeitskräfteangebot durch die zunehmende Alterung der Deutschen zurückgehe. Die damaligen – falschen – Daten hatten gezeigt, dass der Beschäftigungsaufbau vor allem für deutsche Arbeitnehmer ins Stocken geraten war. Davon ist nun nicht mehr die Rede – die neuen Daten zeigen für sie ein Beschäftigungsplus von 419.000 im Vergleich zum Vorjahr.« Gerne hätte man sich von der BA genauere Hinweise gewünscht, wie es zu derart krassen Abweichungen hat kommen können und ob das technisches oder menschliches Versagen war und ob das jetzt für die Zukunft ausgeschlossen werden kann oder ob man damit rechnen sollte in Zukunft. Denn als Nutzer ist man angesichts der Monopolstellung der BA in diesem Bereich auf die Daten und den Glauben, dass die stimmen, angewiesen.

Zum anderen sollte gerade Ökonomen und andere Wissenschaftler, die gerne unumstößlich daherkommende Wahrheiten verkünden auf der Grundlage des Blicks auf die offiziellen Statistiken, erkennen, dass sich die Zahlen einfach lesen lassen, aber dass deren Erhebung und Auswertung ganz im Gegenteil eine höchst komplexe Angelegenheit darstellt mit zahlreichen möglichen technischen und menschlichen Fehlerquellen. Was daraus folgen sollte? Vielleicht schlichtweg mehr Demut vor der Statistik und eine gesunde Portion Skepsis mit den Zahlen.

Arbeitsmarktlich besonders relevant ist neben diesen Grundsatzfragen das, was man in der Abbildung erkennen kann: Der Aufbau sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung ist im vergangenen Jahr nach den neuen Schätzungen bis zum Jahresende ungebremst weiter gegangen. Das ist doch mal eine gute Nachricht.

Bringt der Storch doch die Kinder? Über die eben nicht trivialen Unterschiede zwischen Korrelation und Kausalität

Da hat der designierte Kanzlerkandidat der SPD, Martin Schulz, nur ein paar – teilweise nebulöse – Andeutungen darüber gemacht, was er mit Blick auf die „Agenda 2010“ an der einen oder anderen Stelle verändern würde, schon wird das als große Sau durchs mediale Dorf getrieben: Schulz verabschiede sich von der Agenda 2010 des rot-grünen Bundeskanzlers a.D. Gerhard Schröder. Schulz und seine Sozialdemokraten bekommen sofort zu spüren, was Gegenfeuer bedeutet, aus allen Rohren wird geschossen, als hätte der Kandidat irgendeine Reliquie aus der Kirche gestohlen und geschändet. Dabei sind seine konkreten Vorschläge mehr als überschaubar und eines gewiss nicht – eine Infragestellung der Agenda 2010 als solche (vgl. dazu meine Beiträge zum einen zum Thema Verlängerung des Arbeitslosengeld I-Bezugs: Am Welttag für soziale Gerechtigkeit mehr Gerechtigkeit für (ältere) Arbeitslose? Martin Schulz und der alte Wein in alten Schläuchen vom 20. Februar 2017 sowie zum Thema Abschaffung der Möglichkeit, sachgrundlos zu befristen den Beitrag Die befristeten Arbeitsverträge zwischen Schreckensszenario, systemischer Notwendigkeit und Instrumentalisierung im Kontext einer verunsicherten Gesellschaft vom 23. Februar 2017). Die von den Metallarbeitgebern mit Millionenbeträgen gepamperte Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) greift sofort in die Portokasse und schaltet eine ganzseitige Anzeige in der FAZ und in der Süddeutschen Zeitung.

Die Hauptbotschaft lautet: Die Arbeitslosigkeit in Deutschland – aber seien wir schon an dieser Stelle genau: die offizielle Arbeitslosigkeit, die tatsächliche ist weitaus höher als das, was uns monatlich als Zahl der Arbeitslosen und Arbeitslosenquote präsentiert wird, vgl. dazu auch beispielsweise diesen Beitrag vom 7. Februar 2017 – ist in den vergangenen Jahren wegen der Agenda 2010 mit dem Hartz IV-System als Kernbereich zurückgegangen.

Und die Lobbyisten erhalten wieder einmal Schützenhilfe aus dem Lager der Wirtschaftswissenschaftler, beispielsweise in Gestalt von Isabel Schnabel, an der Universität Bonn Professorin für Financial Economics und zugleich Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, umgangssprachlich auch als „fünf Wirtschaftsweise“ bekannt. Die hat den nebenstehenden Tweet abgesetzt mit der klaren Botschaft, dass eine Abkehr von den Reformen, die mit der Agenda 2010 verbunden werden, ein „riesiger Fehler“ wäre, denn man kann ja dem Chart entnehmen, dass die Arbeitslosigkeit (rechte Skala, gemessen an der offiziellen Arbeitslosenquote, während auf der gestauchten linken Skala die absolute Zahl der Erwerbstätigen abgetragen ist) nach 2005 deutlich zurückgegangen sei.

Der Eindruck soll hängen bleiben und das tut er sicher auch bei vielen – es gibt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den Hartz-Reformen und den so ausgewiesenen Rückgang der offiziellen Arbeitslosenquote. Aber etwas, was man am Anfang seines Studiums lernen sollte, darf an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben: Es gibt einen nicht trivialen Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität.

Anders ausgedrückt: Wenn man die Zahl der Störche mit den Geburtenraten in den Stadt- und Landkreisen der Bundesrepublik Deutschland korreliert, dann wird man einen solchen statistischen Zusammenhang finden: je höher der Anteil der Störche, desto höher die Geburtenrate. Dieses plakative Beispiel für eine offensichtliche Scheinkorrelation ist immer wieder publiziert worden, vgl. nur als ein Beispiel die 2001 publizierte Arbeit von Robert Matthews, Der Storch bringt die Babys zur Welt, in der er zeigen kann, dass es eine statistisch hoch signifikante Korrelation gibt zwischen den Anzahl der Störche und der Geburtenrate in europäischen Ländern.
Nun wird die große Mehrheit der Leser natürlich wissen, dass es sich bei dieser offensichtlichen statistischen Korrelation eben nicht um eine kausale Beziehung handelt. Zugleich handelt es sich aber auch nicht um eine ganz triviale Scheinkorrelation, den rechnerischen – aber eben nicht kausalen – Zusammenhang könnte man durch intervenierende Kontextvariablen zumindest teilweise erklären.

Und – so meine Kritik – auch die Wirtschaftsweise suggeriert eine (scheinbare) Kausalität auf der Grundlage einer erst einmal offensichtlich erkennbaren Korrelation zweier unterschiedlich dimensionierter Werte auf der Zeitachse.

Aber was, wenn das eine nichts oder nur wenig mit dem anderen zu tun hat? Anders formuliert: Wäre es nicht auch denkbar, dass der erkennbare Anstieg der Beschäftigung (übrigens gemessen an der Zahl der Erwerbstätigen) sowie die Abnahme der Quote der offiziell registrierten Arbeitslosigkeit aus anderen Quellen gespeist wird als aus der Agenda 2010? Dass es dazu auch oder ähnlich gekommen wäre, wenn man nicht Hartz IV eingeführt hätte?

Die Abbildung suggeriert nämlich auch für den einen oder anderen, dass die Arbeitslosen, die ja laut Quote weniger geworden sind, in den anderen Aggregatzustand gewechselt sind, also (wieder) zu Erwerbstätigen geworden sind. Das kann man aber dieser Statistik gar nicht entnehmen. Möglicherweise sind die aus der Arbeitslosigkeit in die Nicht-Beschäftigung abgegangen, beispielsweise in den Rentenbezug. Oder die Quote, in deren Nenner ja die Beschäftigten stehen, ist auch deshalb so stark gestiegen, weil die Zahl der Beschäftigten stark gestiegen ist, was aber nicht unbedingt etwas mit der Agenda 2010 zu tun haben muss, sondern auf andere Ursachen zurückgeführt werden könnte.

Man könnte – um nur auf zwei Punkte der eben hoch kontroversen Debatte über den (Nicht-)Einfluss der Agenda 2010 einzugehen – zum einen die Frage stellen, was denn die Einführung des Hartz IV-Systems und die Daumenschrauben, die man damit einem Teil der Arbeitslosen angelegt hat, mit dem Beschäftigungswachstum in der Industrie zu tun haben soll? Die Arbeitnehmer in der Automobilindustrie, dem Maschinenbau oder der Chemie bewegen sich auch lohnmäßig in ganz anderen Regionen. Spielt da möglicherweise die seit den 1990er Jahren erkennbare Lohnzurückhaltung der Gewerkschaften bei den Tarifabschlüssen oder außenwirtschaftlich relevante Faktoren wie die Einführung des Euro eine viel größere Rolle und die Agenda 2010 gar keine?

Und als zweites Beispiel sei an dieser Stelle auf die demografische „Entlastung“ der Arbeitsangebotsseite hingewiesen. Bereits seit vielen Jahren verlieren wir beim Arbeitsangebot, dem Erwerbspersonenpotenzial, jedes Jahr erheblich mehr Menschen, die aus Altersgründen aus dem Erwerbsleben ausscheiden, als jüngere nachkommen. Man sieht in der Abbildung, dass sich diese Entwicklung in den vergangenen Jahren auf jährlich über 300.000 Erwerbspersonen ausgeweitet hat – und ein Ende ist definitiv nicht abzusehen, ganz im Gegenteil, denn der Abgang der geburtenstarken Jahrgänge aus dem Erwerbsleben kommt erst noch in den vor uns liegenden Jahren. Dass trotzdem die Zahl der Beschäftigten noch gestiegen und nicht geschrumpft ist, liegt an den kompensierenden Effekten der „Verhaltenskomponente“ (also der Zunahme der Erwerbsbeteiligung der Frauen, vor allem der Mütter mit kleinen Kindern und das spätere Ausscheiden der älteren Arbeitnehmer) sowie dem „Migrationseffekt“, also der Zuwanderung von – potenziellen bzw. tatsächlichen – Arbeitskräften nach Deutschland.

Aber die Wirkkraft der Demografie der letzten Jahrzehnte auf dem Arbeitsmarkt ist enorm – so hat das IAB erst vor kurzem rechnerisch einen Ausblick gegeben auf die Entwicklung des Erwerbspersonenpotenzials bis 2060. Eine rein quantitative Stabilisierung des Arbeitsangebots würde eine jährliche Nettozuwanderung von 500.000 Personen voraussetzen und dann wäre nur ein rechnerischer Ausgleich erwartbar – vgl. dazu ausführlicher den Beitrag Das Arbeitsangebot wird kleiner werden – auch wenn mehr Zuwanderer nach Deutschland kommen (sollten). Also wahrscheinlich, nach einer neuen Studie des IAB vom 17. Februar 2017.

Es geht an dieser Stelle nicht darum, die Gegenbehauptung aufzustellen, dass die „Hartz-Reformen“ überhaupt keinen Effekt hatten. Darüber kann man streiten. Aber es ist schlichtweg a) entweder Ignoranz oder schlimmer noch b) bewusste Manipulation, wenn man behauptet, dass der arbeitslosigkeitsreduzierende Effekt der Agenda 2010 im Sinne einer kausalen Beziehung belegt sei. Genau davon kann man bei Sichtung der vorliegenden Forschungsevidenz definitiv nicht ausgehen. Es gibt nun wirklich nicht wenige Arbeitsmarktforscher, die eine solche Kausalität in Abrede stellen.

Auf der anderen Seite kann man an den Debatten diese Tage erahnen, was der SPD blühen würde, wenn sie die Agenda wirklich substanziell in Frage stellen würde, also nicht nur einige kleinere Modifikationen am Regelwerk vorzunehmen gedenkt, die bereits für so ein Sperrfeuer sorgen. Also wenn sie das Hartz IV-System einer grundlegenden Revision unterziehen würde. Was natürlich nicht dagegen sprechen würde, so etwas in Erwägung zu ziehen.

Abbildung 1: INSM-Anzeige Zeit für Realismus, Martin Schulz
Abbildung 2: Tweet von Isabel Schnabel vom 22.02.2017

Das Arbeitsangebot wird kleiner werden – auch wenn mehr Zuwanderer nach Deutschland kommen (sollten). Also wahrscheinlich, nach einer neuen Studie des IAB

Mit den Vorhersagen, generell, aber vor allem die demografische Entwicklung betreffend, ist das ja so eine Sache. Auf der einen Seite wurde und wird „die“ demografische Entwicklung immer sehr gerne instrumentalisiert für eigentlich ganz andere Zwecke, beispielsweise den Sozialabbau (weil wir uns das angeblich wegen des demografischen Wandels nicht mehr leisten können). Besonders beliebt ist das im Bereich der Alterssicherung und dabei vor allem der umlagefinanzierten Rentenversicherung. Immer mehr Rentner (von denen dann auch noch viele ziemlich langlebig sind, was gut ist für die Menschen, aber schlecht für die Rentenversicherung, die bis zum Ende zahlen muss) stehen immer weniger Menschen gegenüber, die mit ihrer Erwerbsarbeit die Renten erwirtschaften müssen. Das wäre eine wahrlich eigenes Thema, vor allem, was die in der Regel nicht diskutierten Alternativen beispielsweise auf der Finanzierungsseite angeht.

Aber die demografische Entwicklung hat unbestreitbar auch Auswirkungen auf die Arbeitsmarktentwicklung. Das kann jeder nachvollziehen, der heute einen Blick wirft auf ganz normale Belegschaften. Deren Durchschnittsalter liegt in den meisten Unternehmen bei über 50 Jahre, was auch nicht verwundert, wenn man sich verdeutlicht, dass heute die geburtenstarken Jahrgänge, die sogenannten „Baby-Boomer“, die Mehrheit stellen und mithin entsprechend auch unter den Beschäftigten den zahlenmäßigen Ton angeben. Noch und in den nächsten Jahren, bis sie in den Ruhestand wechseln.

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit hat nun eine Studie veröffentlicht, in der die Wissenschaftler unterschiedliche Szenerien gerechnet, bzw. manche würden sagen einen tiefen Blick in die Glaskugel geworfen haben, wie sich denn das Arbeitsangebot in unserer Volkswirtschaft in den vor uns liegenden Jahren entwickeln wird.

Johann Fuchs, Doris Söhnlein und Brigitte Weber (2017): Projektion des Erwerbspersonenpotenzials bis 2060: Arbeitskräfteangebot sinkt auch bei hoher Zuwanderung. IAB-Kurzbericht, 06/2017, Nürnberg 2017

Auch bei einer Nettozuwanderung von 200.000 Personen jährlich sinkt das Arbeitskräfteangebot bis 2060 auf unter 40 Millionen – so hat das IAB die zugehörige Pressemitteilung überschrieben: »Liegt die jährliche Nettozuwanderung in den nächsten Jahrzehnten mit rund 200.000 im Bereich des langjährigen Durchschnitts in Deutschland, würde das Arbeitskräfteangebot vom heutigen Stand mit rund 46 Millionen bis zum Jahr 2060 auf unter 40 Millionen sinken. Die voraussichtlich weiter steigende Erwerbsbeteiligung der Frauen und der Älteren ist dabei schon berücksichtigt. Um das Arbeitskräfteangebot bis 2060 auf dem heutigen Niveau zu halten, wäre eine jährliche Nettozuwanderung von 400.000 Personen erforderlich.«

Wie immer bei solchen Vorausberechnungen ist alles eine Frage der Annahmen, die man zugrundelegen muss. Hinsichtlich der Entwicklung des Erwerbspersonenpotenzials, also die dem Arbeitsmarkt grundsätzlich zur Verfügung stehenden Personen, ist die Zuwanderung nach Deutschland sicher eine, wenn nicht die schwierigste Komponente in der Rechnung. Die Wissenschaftler schreiben selbst in ihrer Studie mit Blick auf die zurückliegenden Jahre: »Die Zahl der Zuzüge nach Deutschland überwog die der Fortzüge in den letzten fünf Jahren, also seit 2011, um fast 2,8 Mio. Dieser Wanderungsüberschuss sowie die seit Kurzem steigenden Geburtenziffern wecken die Hoffnung, dass damit der demografisch bedingte Abwärtstrend des Erwerbspersonenpotenzials gebremst, vielleicht sogar gestoppt wird.« Im weiteren Gang der Untersuchung zeigen sie aber, dass diese Hoffnung nicht bestätigt werden kann, wenn man ihren Rechenergebnissen vertraut.

Die Forscher arbeiten mit unterschiedlichen Szenarien und begründen das auch, was wichtig ist vor dem Hintergrund, dass man den Vorhersagen der Vergangenheit – rückblickend ist man immer schlauer – vorwerfen kann, dass die Zuwanderungen nach Deutschland zu niedrig angesetzt waren:

»Weil Wanderungen kaum prognostizierbar sind, wurde der Einfluss der Zuwanderung mit unterschiedlichen jährlichen Wanderungsannahmen modelliert. Eine hypothetische Variante „ohne Wanderungen“ berücksichtigt nur die Einflüsse der Alterung und der natürlichen Bevölkerungsbewegung (Geburten und Sterbefälle), also überhaupt keine Wanderungen. Die Varianten, die Wanderungsbewegungen einschließen, gehen ab 2018 von jeweils konstant 100.000, 200.000, 300.000 oder 400.000 Personen Nettozuwanderung pro Jahr aus.«

Die Abbildung aus der IAB-Studie mit den Auswirkungen der drei dort dargestellten Szenarien hinsichtlich der Entwicklung des Erwerbspersonenpotenzials verdeutlicht, wie stark die erwartbaren Werte streuen, vor allem bei Berücksichtigung von Zuwanderung.

Die Entwicklung des Erwerbspersonenpotenzials  lässt sich in die Einflussfaktoren Demografie, Verhalten (Erwerbsquoten) und Migration zerlegen:

(1) Die demografische Komponente umfasst die Veränderungen, die sich ergeben, wenn Jüngere ins Erwerbsalter hineinwachsen und Ältere aus dem Erwerbsleben ausscheiden.

(2) Die Verhaltenskomponente bezieht sich auf die Erwerbsbeteiligung nach Altersgruppen und Geschlecht. Das muss dann auch noch differenziert werden nach Deutschen und Ausländern, weil es hier erfahrungsgemäß Unterschiede gibt. In ihren Berechnungen gehen die Wissenschaftler von einem Anstieg der Erwerbsquoten bei Frauen und Älteren aus. Bei den Älteren ist der angenommene Anstieg vor allem eine Folge der Rentengesetzgebung, insbesondere der sogenannten „Rente mit 67“.

(3) Der Migrationseffekt hängt entscheidend vom Zuwanderungssaldo ab. Bei dem in der Studie angenommenen jährlichen Wanderungssaldo von 200.000 Personen würde bis 2030 ein Plus von 2,4 Mio. Erwerbspersonen aufgebaut.

Ein zentrales Ergebnis lautet: »Aus der Komponentenzerlegung wird die überragende Bedeutung der Demografie für die künftige Entwicklung des Arbeitskräfteangebots deutlich: Eine höhere Erwerbsbeteiligung und – aus heutiger Sicht – erwartbare Wanderungsannahmen können die demografischen Effekte nicht mehr kompensieren.«

Fuchs/Söhnlein/Weber (2017: 7) bilanzieren die Ergebnisse ihrer umfangreichen Berechnungen so:

»Das Erwerbspersonenpotenzial in Deutschland wird voraussichtlich sinken. Selbst Szenarien mit optimistischen Annahmen zeigen, wie schwer es wird, diesen Trend zu verlangsamen. Die hohe Nettozuwanderung der vergangenen fünf Jahre von insgesamt fast 2,8 Mio. Personen hat zwar die Ausgangsbasis verbessert, aber bei weitgehend unveränderten demografischen Rahmenbedingungen werden sich die vorgegebene Altersstruktur und die weiterhin zu niedrigen Geburtenraten mittel- und längerfristig durchsetzen. Bei Wanderungsströmen, wie sie über einen längeren Zeitraum in der Vergangenheit zu beobachten waren, nimmt das Erwerbspersonenpotenzial bis 2030 zwar „nur“ um 3 Prozent ab; bis 2050 sind es aber weitere 8 Prozent. Im Jahr 2060 könnte das Erwerbspersonenpotenzial auf unter 40 Mio. Erwerbspersonen gesunken sein, wobei höhere Erwerbsquoten von Frauen und Älteren eingerechnet wurden.«

Und langfristig hohe Zuwanderungssalden sind nicht leicht aufrechtzuerhalten und noch höhere (die man quantitativ brauchen würde) kaum herstellbar. Die Autoren der Studie verweisen darauf, dass die aktuell hohe Zuwanderung aus EU-Staaten künftig abflachen wird, vor allem weil die Geburtenraten in den meisten Ländern der EU zu niedrig sind. Das gilt gerade für die osteuropäischen Länder.

Was die Autoren an dieser Stelle nicht sagen: Natürlich könnte man sich höhere Zuwanderungszahlen vorstellen, aber eben nicht aus europäischen Ländern, sondern vor allem aus den Maghreb-Staaten und aus Afrika. Das würde rechnerisch für sehr hohe Zuwanderungszahlen reichen, aber es ist relativ klar, dass es kaum einen ernstzunehmenden Politiker gegen wird, der den Menschen hier eine Nettozuwanderung von jährlich 500.000 Menschen aus Afrika vorschlagen wird. Die gesellschaftlichen Implikationen sind vielschichtig und hochgradig konfliktär, um das vorsichtig auszudrücken.

Und eine weitere wichtige Anmerkung, die als Ergänzung, nicht aber als Kritik an der Studie zu verstehen ist, deren Leistung in einer quantitativen Abschätzung besteht: Selbst wenn man eine rechnerische Kompensation erreichen würde durch Zuwanderung bedeutet das noch lange nicht, dass damit auch eine Passungsfähigkeit hinsichtlich der erforderlichen Qualifikationsprofile auf dem Arbeitsmarkt vorhanden ist. Wir erleben gerade bei der überaus schwierigen Aufgabe der Arbeitsmarktintegration der Flüchtlinge, wie lange man für eine Irgendwie-Integration in den Arbeitsmarkt benötigt und dass es einen nicht kleinen Anteil geben wird, die auch nach vielen Jahren kein Fuß haben fassen können in der Erwerbsarbeitswelt.

Und wenn man bedenkt, dass derzeit und vor allem mit Blick auf die Baby-Boomer-Generation in den vor uns liegenden Jahren zahlreiche gut qualifizierte Arbeitnehmer/innen aus dem sogenannten „mittleren Qualifikationsbereich“ (also Handwerker und Facharbeiter beispielsweise) altersbedingt den Arbeitsmarkt verlassen, dann wird in Umrissen erkennbar, welchen gewaltigen Qualifizierungsbedarf wir selbst bei einer ordentlichen Zuwanderung hätten, nur um den Ersatzbedarf abdecken zu können. Eigentlich, so die zentrale arbeitsmarktpolitische Schlussfolgerung, hätte schon längst eine massive Qualifizierungsoffensive anlaufen müssen. Nur ein Beispiel, um nicht immer auf Zuwanderer zu hoffen oder von ihnen enttäuscht zu werden: Wir haben über 1,2 Million Menschen zwischen 20 und 30 Jahre, die keinen Berufsabschluss haben. Viele von ihnen sind früher, als es „zu viele“ Ausbildungsplatzbewerber und „zu wenig“ Ausbildungsplätze gegeben hat, durch den Rost gefallen. Wenn es uns gelingen würde, durch ein attraktives Angebot diese nun schon lebensälteren Arbeitnehmer zum Nachholen eines Berufsabschlusses zu bewegen, in dem man beispielsweise – was es Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre schon mal gegeben hat – den Betroffenen ein Unterhaltsgeld von bis zu 90 Prozent ihres letzten Nettoentgelts zahlen würde, dann könnte wir den absehbaren Fachkräftemangel mit Sicherheit deutlich abschwächen. Das allerdings setzt politische Entscheidungen voraus, die mit einer weiten Perspektive hinterlegt sind. Daran mangelt es ganz erheblich.

Zu hoffen, eine große Zuwanderung wird uns arbeitsmarktlich retten, das zeigt die neue Studie im Detail, wird sich als eine große Enttäuschung erweisen.

Fälle, Bestandszahlen, Köpfe und Jobcenter. Also wieder einmal das Thema Sanktionen. Und die Statistik

Immer diese Zahlen. Man kann ja auch verdammt schnell durcheinander kommen. Aber knackige Überschriften verkaufen sich natürlich gut, sie lenken die knappe Ressource Aufmerksamkeit auf die Nachricht, die sowieso mal wieder vergessen sein wird. Nehmen wir das hier als Beispiel: Jobcenter bestrafen wieder mehr Hartz-IV-Empfänger. Und der aufmerksam gemachte Leser erfährt dann recht eindeutig: »Das Jobcenter hat 2016 wieder mehr Hartz-IV-Empfänger bestraft: Rund 135.000 von ihnen wurde das Existenzminimum gekürzt.«

Nun wird schon an dieser Stelle der eine oder andere stutzen und sich fragen – gab es da nicht mal ganz andere Zahlen? Wurde nicht von fast einer Million Sanktionen gesprochen, was natürlich ein erheblicher Unterschied wäre?

Man muss den Artikel einfach weiterlesen, dann stößt man auf diese – sachlich korrekte – Formulierung im Text: »Im Schnitt waren 2016 monatlich 134.390 Menschen von Leistungskürzungen betroffen.« Es geht also, anders als am Anfang in den Raum gestellt, um eine Monatszahl und eben nicht um eine Jahreszahl. Die lag nämlich 2016 bei 945.362, also fast eine Million, neu verhängter Sanktionen. Wobei man nun nicht davon ausgehen darf, dass es sich um 945.362 Hartz IV-Empfänger handelt, denn einer von denen kann durchaus von mehreren Sanktionen betroffen sein, Fälle sind eben nicht immer gleich Köpfe.

Und der Blick auf die Zahlen, die aus der Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf Fragen der Bundestagsabgeordneten Katja Kipping von den Linken stammen, fördert einen differenzierten Blick zu Tage: Tatsächlich angestiegen ist die Zahl der durchschnittlich in einem Monat des vergangenen Jahres mit mindestens einer Sanktion belegten Hartz IV-Empfänger, um +2,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Gleichzeitig zeigen die Zahlen aber auch, dass die neu verhängten Sanktionen um 3,4 Prozent zurückgegangen sind.

Ob die Jobcenter nun wirklich wieder „mehr bestrafen“, kann man letztendlich nur beantworten, wenn man die Grundgesamtheit der zu bildenden Sanktionsquote berücksichtigt, also die erwerbsfähigen und damit grundsätzlich sanktionierbaren Zahl der Hartz IV-Emfänger insgesamt. Wenn die deutlich stärker zurückgegangen ist als die Zahl der neu verhängten Sanktionen, dann wird aus dem „mehr“ ein „weniger“.

Die aufmerksamen Leser dieses Blogs werden sich möglicherweise erinnern – war da nicht mal was zu diesem Thema vor gar nicht so langer Zeit? Genau, da war das hier: Die Jobcenter werden „weicher“ und sanktionieren Hartz IV-Empfänger weniger. Ein Fall für die kritische Statistik vom 16. Oktober 2016. Damals ging es – übrigens mit Bezug auf die etwas voreilig interpretierten Sanktionszahlen des ersten Halbjahres 2016 um eine genau anders gelagerte These:

»Weniger Strafen gegen Hartz-IV-Empfänger ausgesprochen, so konnte man das mit den gewohnt großen Buchstaben in der BILD-Zeitung lesen. Die FAZ hat sich sogar zu dieser Überschrift hinreißen lassen: Deutlich weniger Strafen für Hartz-IV-Empfänger: »Die Zahl der Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger ist auf den tiefsten Stand seit fünf Jahren gefallen. Das soll auch am sanfteren Durchgreifen der Jobcenter liegen.« Mit Blick auf den letzten Punkt ist mein absoluter Favorit diese Überschrift: Die Jobcenter werden weicher

Tatsächlich war es genau nicht so, denn ein detaillierter Blick auf die Daten hat zeigen können: Die Zahlen über eine rückläufige Zahl der neu verhängten Sanktionen waren nicht etwa falsch, die stimmen schon. Aber neben der Grundlagenweisheit, dass man nur dann von „deutlich weniger“ bei den Sanktionen sprechen kann, wenn die Nennergröße gleich geblieben ist, nicht aber, wenn parallel die Zahl der tatsächlich oder potenziell sanktionierbaren Hartz IV-Empfänger zurückgegangen ist und das in einem stärkeren Maße als die Verringerung bei den Absolutzahlen die Sanktionen betreffend, muss man bedenken, dass die Sanktionen einmal neu verhängt werden, dann aber oft eine dreimonatige Laufzeit haben, in denen der Betroffene sanktioniert wird. Und drei Monate in der Bestandsstatistik auftauchen (können). In dem damaligen Beitrag wurde Paul. M. Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) zitiert, der herausgefunden hat: »Der Anteil der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, deren Leistungsanspruch durch eine Sanktion gekürzt wurde, war in jedem der ersten sechs Monate des Jahres 2016 größer als in den entsprechenden Monaten des Vorjahres.«

Was einen sozialpolitisch besonders umtreiben sollte – ausweislich der Daten (dazu auch die Abbildung am Anfang dieses Beitrags) waren jeden Monat im vergangenen Jahr durchschnittlich 44.383 Hartz IV-Empfänger sanktioniert, in deren Haushalt ein oder mehrere Kinder leben. Vgl. dazu auch ausführlicher den Beitrag Hartz IV: Auch die Kinder kommen unter die Räder. Von Sanktionen der Jobcenter sind jeden Monat tausende Familien betroffen vom 14. November 2016.

Aber abschließend, weil wir es hier vor allem mit de Zahlen zu tun haben, der Hinweis auf eine weitere statistische Nahtoderfahrung, von der der bereits erwähnte Paul M. Schröder berichtet: Er ist auf diesen Artikel gestoßen: Eine Entwarnung, die keine ist. Darin geht es um die neuesten Vorhersagen der demografischen Entwicklung, die von weniger dramatischen Auswirkungen auf die Bevölkerungszahl in Deutschland sprechen als bislang. Und in dem Artikel stößt man dann auf diese Formulierung: Der Altenquotient »meint das Verhältnis von Menschen im Rentenalter zur Population im erwerbsfähigen Alter. 2015 lag dieser Wert bei 34 Prozent. Nach verschiedenen Modellrechnungen könnte der Altenquotient im Jahr 2035 bei 45 bis 47 Prozent liegen. Auf jeden Erwerbsfähigen käme dann ein Rentner.«

Hier nun zuckt nicht nur Paul M. Schröder zusammen. Er schreibt in seinem Beitrag Weser-Kurier: „Altenquotient bis 47 Prozent“ und „auf jeden Erwerbsfähigen ein Rentner“?: Der genannte Altenquotient von „45 bis 47 Prozent“ ist schon richtig, wenn man die Ergebnisse der 13. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes (Variante 2) zugrundelegt: »14 Millionen unter 20 Jahre, 45 Millionen zwischen 20 Jahre und gesetzlicher Altersgrenze (67 Jahre) und 21 Millionen im gesetzlichen Rentenalter. Der im Weser-Kurier genannte Altenquotient ergibt sich aus dem Verhältnis von 21 Millionen Menschen im gesetzlichen Rentenalter und 45 Millionen im sogenannten erwerbsfähigen Alter von 20 Jahren bis zur gesetzlichen Altersgrenze.«

Allerdings stellt sich hier die Frage: Wei kommt bei 45 Millionen Menschen im „erwerbsfähigen Alter“ und 21 Millionen Menschen im gesetzlichen Rentenalter „auf jeden Erwerbsfähigen … ein Rentner“, wie das im Artikel des Weser-Kurier behauptet wird? Das ist natürlich Unsinn.
Paul M. Schröder hat dann die Zeitung am 6. und 7. Februar die Zeitung gebeten, diesen offensichtlichen Unsinn zu korrigieren. Am 8. Februar bekam Schröder eine Mail von der Zeitung: „Sie haben natürlich völlig recht, das „1:1-Ergebnis“ ist ja angesichts der genannten Werte unlogisch. Das ist leider am Ende einer etwas hektischen Produktionszeit am Sonntagabend passiert.“
Kann ja mal passieren, in der Hektik, keine Frage. Aber: Eine Korrektur erfolgte nicht, auch nicht in der Online-Ausgabe der Zeitung. Und tatsächlich, der Artikel mit der offensichtlichen Unsinnsrelation wurde heute, am 16. Februar 2017, aufgerufen. Keine Änderung, alles so, wie zitiert und kritisiert.

Und da sind wir bei einem echten Problem eines Teils der Medien: Fehler werden nicht (mehr) korrigiert, selbst wenn sie angesprochen werden. Man sitzt das einfach aus. Auch ein Beispiel für die zahlreichen Qualitätsprobleme, mit denen man so konfrontiert wird. Gerade wenn man viel mit Zahlen arbeitet, dann weiß man, wie schnell einem ein Fehler unterlaufen kann. Alles kein Problem, wenn man das dann wieder korrigiert und auch offensiv vertritt, das man sich vertan hat. Gerade dann, wenn e sich nicht um irgendwelche Zahlen wie die der Schafe in Deutschland handelt, sondern aus den genannten Daten sozialpolitische Schlussfolgerungen abgeleitet werden oder man diese Ableitung machen könnte.