Von Konfusion bis dreister Realitätsverweigerung in der Berichterstattung über Rente und Altersarmut

Man sollte erwarten dürfen, dass Medien, die sich selbst mit dem Merkmal „Qualität“ belegen und bewerben, ein gewisses Maß an Orientierung liefern für die Leser (oder Zuschauer oder Zuhörer). Und die komplexe Dinge, um die es in der Sozialpolitik oft geht, für die vielen, die sich nicht hauptberuflich damit beschäftigen, irgendwie aufbereiten, damit sie besser beurteilt werden können. Durchaus problematisch ist es dann natürlich, wenn man einen Sachverhalt so darstellt, dass man am Ende gar nicht mehr weiß oder ahnt, wer für was ist. Aber richtig gefährlich kann es werden, wenn eine ideologische Agenda verfolgt und der Leser mit einer eigenen Welt konfrontiert wird, die als Wirklichkeit behauptet, mit dieser aber nur am Rande bis gar nichts mehr zu tun hat. Werfen wir einen Blick auf die aktuelle Rentendebatte, da finden wir Beispiele der Konfusion bis hin zu einer wirklich dreisten Umdeutung der Wirklichkeit.

Den Anfang machte der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU), der sich zitieren lies mit den Worten, die Riester-Rente sei gescheitert und gehöre abgeschafft, wobei seine – nun ja – rentenpolitischen Ausführungen eher als ein Bild mit sehr groben Strichen bezeichnet werden muss und keine auch nur annähernd differenzierte Analyse. Aber zuweilen kommt es in der Politik ja auch eher auf das Gespür für das große Ganze an und nicht auf die Korrektheit der Details:

»CSU-Chef Horst Seehofer will in einer großen Rentenreform die Altersbezüge für breite Bevölkerungsschichten wieder erhöhen. Die Anfang des vergangenen Jahrzehnts beschlossene Kürzung des Rentenniveaus wird nach Seehofers Einschätzung dazu führen, „dass etwa die Hälfte der Bevölkerung in der Sozialhilfe landen würde“, sagte Seehofer in München. „Die Riester-Rente ist gescheitert“«, konnte man beispielsweise dem Artikel „Gescheitert“ – Seehofer will Riester-Rente abschaffen entnehmen. In dem Artikel wird der Hinweis gegeben, dass es sich wohl weniger um eine konsequente Schlussfolgerung aus der Vertiefung in die deutsche Rentenpolitik handelt, sondern vielmehr erkannt wurde, welche möglicherweise wählermobilisierenden Effekte das Versprechen einer Verbesserung der Lage für viele Ältere haben kann: »Die Rentenreform soll Teil eines großen Programms werden, mit der Seehofer verlorenes Vertrauen und verlorene Wähler für die Union zurückgewinnen will. Die Volksparteien hätten einst zusammen gut 80 Prozent der Wähler vertreten, derzeit sei es nur noch die Hälfte, sagte Seehofer nach der Eröffnung der neuen CSU-Zentrale in München zu den aktuellen Umfragewerten von Union und SPD. Die „Neoliberalisierung“ des vergangenen Jahrzehnts sei gescheitert, betonte der CSU-Chef.«

Man könnte auf die Idee kommen, dass das der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) durchaus ins eigene Konzept passen müsste – denn hat es nicht in den vergangenen Jahren gerade in der SPD einen Prozess der kritischen Auseinandersetzung mit dem Paradigmenwechsel in der deutschen Rentenpolitik durch die rot-grünen Rentenreformen Anfang des neuen Jahrtausends, zu der auch die Einführung der staatlich gepamperten kapitalgedeckten privaten Altersvorsorge in  Gestalt der „Riester-Rente“ gehört, gegeben? Hat man nicht zunehmend verstanden, dass die damals beschlossene Absenkung des Rentenniveaus in der wichtigsten (und für manche eben auch einzigsten) Säule der Alterssicherung im komplexen Zusammenspiel mit den zahlreichen Verwerfungen auf den Arbeitsmärkten zu definitiver Altersarmut führen muss, worauf viele Rentenexperten seit Jahren hinweisen?

Insofern müsste Ministerin Nahles großes Gefallen an der Seehoferschen Flanke finden müssen, sollen, können. Also eigentlich. Aber dann bekommt man unter der Überschrift Nahles garantiert die staatliche Riester-Rente so was zu lesen:

»Nahles warf Seehofer vor, mit seiner Kritik „16 Millionen Riester-Sparer verunsichert“ zu haben. Wer eine Riester-Rente abgeschlossen habe, habe alles richtig gemacht. Die Bundesregierung werde darauf achten, dass diejenigen, die vorsorgten, auch belohnt würden.« Und weiter: » In einem Interview versuchte sie, die Sparer zu beruhigen. „Der Staat garantiert, dass alle Riester-Inhaber ihr Geld ausgezahlt bekommen“, sagte Nahles der Bild am Sonntag.«

Ja ja, wird der eine oder andere einwerfen, da wird ein nicht vorhandener Konflikt aufgebaut, denn die Ministerin müsse doch nur das Selbstverständliche tun, also auf die rechtlichen Grundlagen hinweisen, nach denen die, die schon Riester-Sparer sind, keine – unberechtigten – Ängste haben müssen, dass das, was sie angespart haben (oder was sie glauben, gespart zu haben), nun auch vor der Abschaffung steht. Vertrauensschutz ist und wird gewährleistet. Eine entsprechende Formulierung findet man auch in dem Artikel: » In einem Interview versuchte sie, die Sparer zu beruhigen.« Aber selbst wenn Seehofer nicht so drin ist in den Details, wenn er von Abschaffung gesprochen hat, dann meint er sicher den Wegfall der Riester-Renten-Subventionierung für zukünftige Fälle. Das müsste dann doch wieder eine Schnittmenge mit Nahles ergeben.

Oder doch nicht? Allein der bereits zitierte Artikel aus der Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung verursacht einen Positionierungsschwindel, denn man kann dem Beitrag auch entnehmen:

»Gleichzeitig kündigte Nahles … eine Reform der Riester-Rente an. Die sei nötig, weil sich die Renditehoffnungen nicht erfüllt hätten und zu wenig Geringverdiener eine solche Altersvorsorge abgeschlossen hätten. „Wir müssen neue Maßnahmen ergreifen, um die kapitalgedeckte Altersvorsorge zu verbreitern und attraktiver zu machen“, sagte Nahles.«

Reform? Das hört sich nicht nach Abschaffung an, für die es viele gute Gründe gibt und die in den vergangenen Jahren von vielen unterschiedlichen Seiten auch gefordert wurde, vor allem angesichts der realen Verteilungswirkungen der milliardenschweren Subventionierung aus Steuermitteln.
Offensichtlich hat die Ministerin vor Augen, dass eine echte Rentenreform eine ganz andere Nummer darstellen würde als die „Mütterrente“ oder die temporäre „Rente mit 63“ für bestimmte Arbeitnehmer. In diese Richtung geht auch die Überschrift dieses Artikels: Nahles plant neue Großbaustellen bei der Rente. Interessant daraus ist der folgende Passus, der anzudeuten vermag, auf welches Minenfeld man sich bei einer großen Rentenreform begeben würde:

»Der Wirtschaftsflügel in der SPD warnte die Partei davor, sich vorwiegend an Geringverdienern, Arbeitslosen und Rentnern zu orientieren. „Wir müssen mit unserer Politik dafür sorgen, dass auch die gut verdienende Mittelschicht wieder SPD wählt“, sagte Michael Frenzel, Präsident des SPD-Wirtschaftsforums, der Zeitung „Welt am Sonntag“. Allein mit der Ansprache von Geringverdienern komme die Partei nicht aus dem 20-Prozent-Tief heraus. Das sehe man alleine daran, dass die Durchsetzung des Mindestlohns der SPD kaum geholfen habe.«

Da kommt einiges zusammen und geht so manches durcheinander.

Aber den Vogel abgeschossen hat der unter der Fahne des Journalisten segelnde Aktivist Rainer Hank, verantwortlicher Redakteur für Wirtschaft und „Geld & Mehr“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Der war auch Studiogast am 17.04.2016 in der Talgsendung von Anne Will zum Thema Altersarmut – mit Ausführungen, die viele Menschen erschüttert haben. Dazu nur stellvertretend aus den Rezensionen der Sendung der Hinweis auf diesen Artikel von Sylvie-Sophie Schindler: Von „Ahnungslosen“ und „Luxusrenten-Empfängern“. Sie berichtet:

»Im Online-Forum zur Sendung sind wütende Kommentare zu finden: „Die sollten mal auf den Bau oder in ein Krankenhaus zum Arbeiten gehen.“ Es handle sich um eine Sendung mit „Ahnungslosen“, mit einer „Fehlbesetzung“, mit „unerträglichen Luxusrenten-Empfängern“« Mit einer Ausnahme: Susanne Neumann. Seit Jahrzehnten ist Neumann als Gebäudereinigerin in einem Gelsenkirchener Unternehmen beschäftigt. »Der Vorwurf der Realitätsferne ging insbesondere an Rainer Hank. Zahlreiche Foristen wetterten. Beispielsweise so: „Frage mich gerade, auf welchem Planeten der lebt. Wie soll jemand, der 8,50 Euro verdient, sparen, um Geld für Riester übrig zu haben?“ Oder so: „Sie leben wohl auf einer Insel der Seligen? Setzen 6!“ Über die Diskussion zwischen Neumann und Hank schrieb ein Zuschauer: „Eine Putzfrau erklärt einem welt- und realitätsfremden Wirtschaftsredakteur die Altersarmut und das wahre Leben – meinen Respekt.“«

Das hat der Herr Redakteur sicher gelesen und sich geärgert über die pöbelnden Plebejer. Also legt er trotzig nach in dem Medium, das er bespielen kann, in seinem Fall also die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Er hat einen Kommentar veröffentlicht, der nun wirklich angesichts der Dreistigkeit der Realitätsumdefinition einer deftigen Kommentierung bedarf: Von wegen Altersarmut!, so springt uns die beabsichtigte Hauptbotschaft in dicken Lettern entgegen.

Und auf die folgende Zusammenfassung muss man erst einmal kommen: »Gerade erst hat die Regierung die fetteste Rentenerhöhung seit 23 Jahren gebilligt. Jetzt aber erklären etliche Alarmisten, ab 2029 werde uns das Elend der Altersarmut überkommen. Dabei werden wir immer reicher.«

Überraschung: „Wir“ werden immer reicher. Und die „fetteste“ Rentenerhöhung seit 23 Jahren? Eben. Deshalb die Abbildung mit den Rentenanpassungen seit 2005, die dem nicht vernagelten Betrachter einen ersten Hinweis geben kann auf die Null- und Minusrunden, die wir in der Vergangenheit bei Rentenanpassungen hatten und die verursacht wurden durch politische Manipulationen an der Rentenanpassungsformel (wer darüber fundiert informiert werden möchte, wie das genau funktioniert, der sei auf den Beitrag Rentenanpassung 2016. Mindestlohn, Beschäftigungshoch und Statistikeffekt bringen deutliches Plus von Johannes Steffen verwiesen).
Aber zurück zu den wahrlich abenteuerlichen Ausführungen des Wirtschaftsjournalisten Rainer Hank, der offensichtlich von Sozialpolitik keine oder nur eine rudimentäre Ahnung hat. Man muss sich allein einmal dieser Zeilen des Herrn Hank zu Gemüte führen:

»… auch in den kommenden dreizehn Jahren werden die Rentenerhöhungen im Durchschnitt jährlich mehr als zwei Prozent betragen, was sich auf eine Einkommensverbesserung der Ruheständler um insgesamt 41 Prozent addiert. Selbst wenn die Inflation im selben Zeitraum wieder etwas zulegen sollte (was alles andere als gewiss ist), bleibt am Ende eine deutliche Steigerung der realen Rentenzahlungen. Wir werden nicht immer ärmer, sondern immer reicher. Keine Rede von Altersarmut.«

Der Mann ist ja nicht dumm (was die Angelegenheit besonders ärgerlich und kritikwürdig macht), denn er hat sich wohl bereits beim Schreiben den naheliegenden Einwand vorgestellt auf den zitierten Passus: Prozentualer Anstieg von was? Bezogen auf welchen Ausgangswert? 41 Prozent in 13 Jahren von 500 Euro sind bekanntlich eine andere Hausnummer als wenn wir von 2.000 Euro ausgehen könnten.

Und er hat sich angelesen, dass sich diese Steigerungsraten auf den aktuellen Rentenwert beziehen, den man für ein Jahr genau dann bekommt, wenn man in diesem Jahr genau das durchschnittliche Arbeitsentgelt der in der Rentenversicherung beitragspflichtigen Versicherten verdient hat. Nur zur Info: Dieses Durchschnittsentgelt wird für 2016 mit 36.267 Euro pro Jahr bzw. 3.022 Euro pro Monat ausgewiesen – und die muss man erst einmal verdienen. Und dann auch noch 45 Jahre lang immer Beiträge gezahlt haben auf dem Niveau des Durchschittentgelts, denn dann gehört man zu dem Kunstfigurenkabinett des deutschen „Eckrentners“, der genau diese Bedingungen erfüllt und den auch Hank als Kronzeugen für seine „Anti-Altersarmut-Rhetorik“ zitiert:

»Der exemplarische „Eckrentner“, der mit einem Durchschnittsverdienst 45 Jahre lang Beiträge gezahlt hat, bezieht heute eine Rente von 1301 Euro. Im Jahr 2029 steigt sein Rentenanspruch auf 2029 Euro, obwohl das Rentenniveau um mehr als drei Prozentpunkte sinkt.«

Nein, Herr Hank, dem ist nicht so. Zum einen: Die derzeitige Eckrentner-Rente auszurechnen ist wirklich nicht schwer, man muss lediglich 45 Entgeltpunkte multiplizieren mit dem „aktuellen Rentenwert“, das allerdings zweimal, denn der im Westen ist ein anderer als der im Osten: Wenn man das tut, dann landet man bei 1.217 Euro im Osten und bei 1.314 Euro im Westen, 1.301 Euro gibt es für keinen Eckrentner. Aber – und dieser Einwand ist bedeutsamer: Was Hank verschweigt – es handelt sich um Bruttorenten, die der Eckrentner Ost und West, sollte es ihn geben, gar nicht wirklich zur Verfügung hat, sondern deren Nettorenten nach Abzug der von ihnen zu zahlenden Sozialbeiträge beläuft sich derzeit auf 1.086 Euro im Osten und 1.173 Euro im Westen. Davon müssen die nach so einem langen, beitragspflichtigen und immer normalverdienenden, niemals unterbrochenen Arbeitnehmerleben über die Runden kommen, wenn sie nicht noch andere Einkommensquellen haben.

Aber Herr Hank treibt das Spiel weiter und auf die Spitze. Man lese selbst:

»Die Absenkung des Rentenniveaus, die eingeführt wurde, um der demographischen Falle zu entkommen, bedeutet keine Rentenkürzung. Das wird in der aktuellen Debatte über die Altersarmut ständig und grottenfalsch durcheinandergeworfen. Denn mit den Rentenansprüchen für den Eckrentner steigen auch die Auszahlungserwartungen für die Grundsicherung, die als Armutsgrenze zu bezeichnen man sich angewöhnt hat. Das bedeutet, dass auch der Arme in dreizehn Jahren mehr Geld zum Leben hat als heute – und zwar auch real deutlich mehr, als von der Teuerung weggefressen wird.«

Die Absenkung des Rentenniveaus sei keine Rentenkürzung? Wovon phantasiert Herr Hank? Natürlich war und ist diese Rentenniveauabsenkung eine richtig heftige Rentenkürzung, denn sie wurde in die Rentenformel eingebaut und betrifft – aufgepasst, Herr Redakteur – alle Rentner, während er sich auf eine angebliche Erhöhung der Grundsicherung bezieht, die aber eine bedürftigkeitsabhängige Sozialleistung darstellt. Das die über die Grundsicherung definierten Armen in dreizehn Jahren nominal mehr Geld bekommen werden, hilft doch allen Rentnern nicht, die von der Absenkung des Rentenniveaus betroffen sind. Und wenn die in dreizehn Jahren ein Rentenniveau bekommen würden, wie es vor den rot-grünen „Reformen“ gegolten hat statt dem, was sie erwarten dürfen, wenn das Ruder nicht herum gerissen wird, dann werden die Herrn Hank mindestens was husten (wenn nicht mehr) hinsichtlich seines Spruchs, das sei keine Rentenkürzung gewesen. Der Mann ist schlichtweg verwirrt oder will einfach nur Recht haben angesichts der vielen, die ihn völlig zu Recht als abseitig von der wirklichen Wirklichkeit kritisieren.

Ich kann ihm nur empfehlen, einmal den Blog-Beitrag Einige Zahlen und Zusammenhänge jenseits der punktuellen medialen Aufgeregtheit über Altersarmut und Rentenversicherung vom 17. April 2016 zu lesen, gerade auch deshalb, weil ich einerseits den nicht begründbaren Alarmismus, dass jeder Zweite 2030 in Altersarmut landen werde, als falsch zurückweise, zugleich aber aufzeigen kann, dass es zahlreichen Gründe gibt, warum bei Perpetuierung des bestehenden Systems viele Menschen in die Altersarmut getrieben werden.

Wenn, wenn wir nichts ändern. Man kann nur hoffen, dass die Debatte über eine dringend notwendige echte Reform der Alterssicherung von anderen Menschen geführt werden kann. Ansonsten endet das alles im Desaster.

Übrigens – den Zynismus des Herrn Hank uns seine eigentliche Absicht, aus seiner ideologischen Perspektive Politik zu machen, verdeutlicht das Ende seines Kommentars. Ich zitiere nur noch, die Kraft zum Kommentieren hat mich verlassen:

Nach 2030, so Hank, »sind all die putzmunteren Babyboomer im Ruhestand, deren Lebenserwartung glücklicherweise hoch ist. Und die Geburtenrate wird immer noch nicht besser sein. Da hilft nur: privat vorsorgen und hören auf den 73-jährigen Finanzminister Wolfgang Schäuble, der das Renteneintrittsalter auf 70 Jahre erhöhen will. Das bringt mehr Beiträge und verkürzt zugleich die Ansprüche. Noch besser wäre es, das gesetzliche Renteneintrittsalter ganz abzuschaffen. Dann hätte jeder selbst die Wahl, ob er, weil reich geerbt oder üppig gespart, früher in Rente geht, oder ob er, weil das Arbeiten Spaß macht und Sinn gibt, noch ein paar Jahre länger seinen Beruf ausüben möchte.«

Für die einen zu hoch, für die anderen (viel) zu niedrig. Der (in der Gegenwart existenzsichernde?) Mindestlohn und dann noch eine (daraus in Zukunft erzielbare?) Rente über der Grundsicherung. Anders gesagt: Auf die Perspektive kommt es an

Zwei Dinge muss man wissen, wenn man sich mit Sozialpolitik beschäftigt: Zum einen hängen die Dinge mehrfach verschachtelt miteinander zusammen, was aber immer auch bedeutet, dass man mitdenken muss, was in anderen Systemen passiert, wenn man irgendwo Veränderungen macht oder diese vorschlägt. Und zum anderen: Oftmals werden Aspekte, die schon seit langem bekannt sind, als neue Botschaft unters Volk gebracht.

Ein aktuelles Fallbeispiel dazu betrifft die Debatte über Altersarmut, Rentenversicherung und den Mindestlohn. Unter der Überschrift Mindestlohn reicht nicht für Rente oberhalb der Grundsicherung kann man auf Zeit Online lesen:

»Ein Gehalt auf Mindestlohnniveau reicht auch nach 45 Beitragsjahren nicht für eine Rente oberhalb der Grundsicherung. Vielmehr müsste der Stundenlohn dafür bei 11,68 Euro liegen, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken hervorgeht.
Die 11,68 Euro werden gebraucht, um eine Nettorente zu bekommen, die über dem durchschnittlichen Bruttobedarf in der Grundsicherung in Höhe von 788 Euro monatlich liegt. Zugrunde gelegt werden bei der Rechnung eine Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden und 45 Arbeitsjahre.
Der Linken-Abgeordnete Klaus Ernst wird dann mit dieser Aussage zitiert: »Wer einen Mindestlohn erhalte und 45 Jahre einen vollen Job mache, habe im Rentenalter nur Anspruch auf Sozialhilfe. „Das ist eine Blamage für unseren Sozialstaat.“ Der Mindestlohn müsse deutlich steigen.«

Das interessierte Publikum sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass das grundsätzliche Problem des gesetzlichen Mindestlohns hinsichtlich seiner Nicht-Funktionalität im bestehenden Rentensystem mit Blick auf die Zielsetzung einer Rente oberhalb der Grundsicherung seit langem bekannt und in der Mindestlohn-Debatte wurde immer wieder auch darauf hingewiesen. An dieser Stelle der Verweis auf meinen Blog-Beitrag 8,17 Euro, 10,98 Euro bzw. eigentlich 11,94 Euro pro Stunde. Und 2028 dann 17,84 Euro. Es geht um den existenzsichernden Mindestlohn vom 17. Februar 2015.

Die damals gewählte (und nur auf den ersten Blick) verwirrende Überschrift soll andeuten, dass es entscheidend darauf ankommt, aus welcher Perspektive man den Mindestlohn bewertet. Genau darum geht es ja auch bei der aktuellen Meldung, wenn beispielsweise der Linken-Abgeordnete Klaus Ernst mit diesen Worten zitiert wird: „Der Mindestlohn soll vor Armut schützen – gerade auch im Alter. Doch mit 8,50 Euro wird dieses Ziel nicht annähernd erreicht.“ Der eine oder andere wird sich erinnern an die heftige Debatte im Vorfeld der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns, in der die Befürworter dieser Lohnuntergrenze tatsächlich immer auch so argumentiert haben: Man soll von der Arbeit leben können – und beispielsweise nicht auf ergänzende, das Erwerbseinkommen aufstockende Hartz IV-Leistungen aus dem Grundsicherungssystem angewiesen sein. Und eine Altersrente oberhalb der Grundsicherung für Ältere soll auch drin sein.

Der Vollständigkeit halber mit Blick auf die hier besonders interessierenden Perspektiven sollte darauf hingewiesen werden, dass die Gegner des Mindestlohns (und vor allem seiner konkreten Höhe) im Wesentlichen abgestellt haben (und das trotz der mittlerweile vorliegenden empirischen Evidenz immer noch tun) auf die behaupteten negativen Beschäftigungseffekte des Instruments und kaum bis gar nicht auf die sozialpolitische Funktionalität eingegangen sind. Dieser Unterschied wird gleich noch mal höchst bedeutsam werden.

Wie es mit der existenzsichernden Funktion des seit dem 1. Januar 2015 in Kraft gesetzten gesetzlichen Mindestlohns in Höhe von 8,50 Euro pro Stunde (für fast, aber eben nicht alle) bestellt ist, wurde bereits im Februar 2015 in diesem Blog mit Bezug auf eine damals veröffentlichte Ausarbeitung des Rentenexperten Johannes Steffen aus Bremen dargestellt. Wobei man gleich anmerken sollte, dass es bei der existenzsichernden Funktion des Mindestlohns nicht um etwas Singuläres geht, sondern man muss von mehreren (am Grundsicherungsniveau gemessenen) Existenzsicherungen sprechen, darunter mindestens zwei: Geht es um die Existenzsicherung im Hier und Jetzt der Arbeitswelt, wenn man zu diesem Lohn arbeitet bzw. arbeiten muss – oder geht es um die aus einer solchen Arbeit in Zukunft erzielbaren Existenzsicherung im Alter, wenn man davon ausgeht, dass die gesetzliche Rente die einzige Einkommensquelle darstellen wird? Die Unterscheidung ist nicht nur theoretisch, sondern – wie Steffen damals hat zeigen können – von größter praktischer Relevanz. Und mit Blick auf die Zukunft, das sei hier vorangestellt, doppelt problematisch.

Beginnen wir mit der Einordnung des Hier und Jetzt, also der Gegenwart auf dem Arbeitsmarkt. Das Prüfergebnis war: Es kann funktionieren, mit der Existenzsicherung durch die 8,50 Euro, wenn man einige notwendige Rahmenbedingungen beachtet – und wenn man akzeptiert, dass das jeweiligen Grundsicherungsniveau der Maßstab für „Existenzsicherung“ ist, was man durchaus mit guten Gründen in Frage stellen kann, wenn man an die Diskussion über die Kritik an der Höhe der Hartz IV-Leistungen denkt. Unbeschadet dieses Einwands ergibt sich dann der folgende Befund, der hier aus dem Blog-Beitrag vom Februar 2015 zitiert wird:

»Wenn man auf dieser Grundlage die Frage stellt, welcher Stundenlohn notwendig ist, damit ein Single in Vollzeitarbeit keinen Anspruch mehr hat auf aufstockende Leistungen aus dem Grundsicherungssystem (SGB II), dann ergibt sich der erste Wert für einen existenzsichernden Mindestlohn: »Nach gegenwärtigem Stand wäre dies ein Brutto-Stundenlohn in Höhe von 8,17 Euro oder monatlich 1.333 Euro«, so Johannes Steffen. Insofern könnte man an dieser Stelle also zu dem Ergebnis kommen, dass der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde zu einer Existenzsicherung führt, wenn man diese daran bemisst, dass man keine Ansprüche mehr auf SGB II-Leistungen hat. Allerdings gilt das nur unter den beschriebenen Rahmenbedingungen, also eine alleinstehende Person in Vollzeit. Anders würde es aussehen, wenn weitere Haushaltsmitglieder dazu kommen und vor allem natürlich, wenn Teilzeit gearbeitet oder – bei Aufstocken sehr häufig – nur eine geringfügige Beschäftigung ausgeübt wird. Aber das kann man nicht dem Mindestlohn an sich anlasten. Für den hier definierten Referenzfall Alleinstehende und Vollzeit würde es funktionieren mit en 8,50 Euro.«

Anders stellt sich die Situation dar, wenn es um eine existenzsichernde Rentenleistung geht. Hier kam Steffen zu einem in zweifacher Hinsicht überaus ernüchternden Befund. Er berechnete das notwendige Erwerbseinkommen, um nach 45 Beitragsjahren eine Nettorente in Höhe von 706 Euro erzielen zu können. »Nach den vorläufigen Werten für 2015 sind dies monatlich 1.793 Euro, so dass bei einer 37,7-Stunden-Woche ein Stundenlohn von 10,98 Euro für eine existenzsichernde Altersrente notwendig wäre.«


Die Qualität der damaligen Berechnungen zeigt sich, wenn man berücksichtigt, dass man nicht nur von den heutigen Verhältnissen ausgehen darf (genau an diesem Punkt bleiben die meisten anderen Berechnungen immer stehen, so auch die aus der zitierten Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der Linken), sondern bereits verabschiedete gesetzliche Veränderungen in der Rentenversicherung müssen auch einberechnet werden. Und wenn man das tut, dann öffnet sich eine zusätzliche Problemdimension:

»Aber selbst die 10,98 Euro reichen eigentlich nicht, denn man muss die Rentenniveausenkungen berücksichtigen, die im bestehenden Rentenrecht verankert sind und die derzeit nicht von der Regierung nicht in Frage gestellt werden … Zur Wahrung einer existenzsichernden Rente müsste (der derzeitige Mindestlohn) c. p. bis zum Jahr 2028 um gut 62 Prozent auf 17,84 Euro steigen. Und: Der nach heutigen Werten fürs Alter als existenzsichernd ermittelte Mindestlohn von 10,98 Euro erweist sich im Nachhinein – also aus Sicht des Jahres 2028 – als zu niedrig. Denn als Minimum ist dann bereits im Schnitt der 45 Beitragsjahre eine Entgeltposition von 67 (statt 61) Prozent des Durchschnitts nötig. Rückblickend wäre im Jahr 2015 demnach ein Mindestlohn von 11,94 Euro erforderlich gewesen. Der Grund für den Wertverlust des aus heutiger Sicht mit 10,98 Euro noch ausreichend hohen Mindestlohns liegt in dem künftig deutlich niedrigeren Rentenniveau.«

Steffen selbst wurde damals mit diesen Worten zitiert, die gerade im Kontext der aktuellen Debatte über Altersarmut und Rentenversicherung erneut aufgerufen werden müssen:

»Erforderlich sind vielmehr ein Stopp der weiteren Absenkung des Leistungsniveaus sowie die Rückkehr zu einer lebensstandardsichernd ausgerichteten Rente. Denn ohne Abkehr von dem unter Rot-Grün eingeleiteten Paradigmenwechsel in der Rentenpolitik bleiben alle Instrumente sowohl auf der Ebene der Primärverteilung, wie etwa ein Mindestlohn, als auch auf der Sekundärverteilungsebene (beispielsweise die nachträgliche Hochwertung niedriger Pflichtbeitragszeiten) im Kampf gegen Altersarmut weitgehend stumpf.«

Im Lichte der bereits vor über einem Jahr präsentierten differenzierten Befunde wird verständlich, dass man die aktuellen Schlussfolgerungen ebenfalls differenziert einordnen muss. Denn die Forderung des Linken-Politikers Ernst machen nur Sinn, wenn man dem gesetzlichen Mindestlohn unter den bestehenden Bedingungen die Funktion zuweist, für eine Rente zu sorgen, die oberhalb des Grundsicherungsniveaus liegen soll. Aber – das hat das Rechenexempel zeigen können – der Mindestlohn ist nicht nur bei seinem Start deutlich zu niedrig gewesen, diese Aufgabe erfüllen zu können und die erhebliche Lücke wird besonders erkennbar, wenn man die bereits verabschiedeten Eingriffe in das Rentenniveau berücksichtigt. Aber – und das ist die zentrale Frage – ist das wirklich ein Problem der 8,50 Euro? Wenn ja, müsste man diesen Betrag tatsächlich anpassen. Oder ist es ein Problem der infolge einer politischen Entscheidung im Rentensystem vorgenommenen Manipulation an der Rentenformel? Wenn das der Fall ist, dann würde die Frage, wie hoch müsste der Mindestlohn sein, hinsichtlich ihrer Beantwortung wie ein Hase-und-Igel-Wettlauf enden, man müsste den Mindestlohn ständig mit Blick auf die erzielbare Rente nach oben anpassen. Man könnte an dieser Stelle durchaus aber auf die Idee kommen können, dass eine kausale Therapie in diesem Fall an der Ausgestaltung des Rentensystems ansetzen müsste, dass man also nicht nur die drastischen Rentenkürzungen zurücknimmt oder partiell wenigstens für die Geringverdiener korrigiert oder gleich einen weiteren Schritt macht und die Konstruktion des Alterssicherungssystems an die veränderten Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt anpasst.

Denn das ist dem aufmerksamen Leser nicht entgangen: Wir sprechen hier über Renten, die – auch wenn sie knapp über dem (an anderer Stelle umstrittenen) Grundsicherungsniveau liegen – voraussetzen, dass die Modellrentner 45 Jahre lang zu dem Mindestlohnniveau gearbeitet haben. Jeder halbwegs geerdete Analytiker der bestehenden Rentensystematik wird zugestehen, dass es viele Menschen geben wird, die selbst bei höheren Stundenlöhnen im Zusammenspiel mit den Anforderungen, die man nach der Rentenformel erfüllen muss, um auf eine halbwegs akzeptable Rentenhöhe zu kommen, nicht werden erfüllen können. Zu wenige Entgeltpunkte mag als Stichwort genügen.

Auch wenn man dennoch an der Funktionszuschreibung des Mindestlohns im bestehenden Rentensystem festhalte will, würde man konfrontiert werden mit der arbeitsmarkteichen Perspektive auf den Mindestlohn. Es geht dabei nicht um die eigentlich geklärte Frage, ob schon die 8,50 Euro zu hoch sind. Aber man kann aus dieser – anderen – Perspektive nicht einfach vom Tisch wischen, dass ein Mindestlohn von gut 12 Euro, der bereits im vergangenen Jahr notwendig gewesen wäre, durchaus negative Beschäftigungseffekte zeigen könnte. Wenn dann aber Menschen in die Arbeitslosigkeit fallen würden, dann hätte das „tödliche“ Folgen im bestehenden Rentensystem angesichts der Tatsache, dass Zeiten der Arbeitslosigkeit immer weniger und im Hartz IV-System überhaupt nicht mehr beitragsseitig abgebildet werden, mit entsprechenden Auswirkungen auf die erreichbaren Entgeltpunkte. Zur Rutschbahn nach unten bei der Berücksichtigung von Zeiten der Arbeitslosigkeit in der Rentenversicherung vgl. auch Zeiten der Arbeitslosigkeit in der gesetzlichen Rentenversicherung von Johannes Steffen aus dem Jahr 2014.

Man kann es drehen und wenden wie man will: Das eigentliche – und weit über die Mindestlohnbeschäftigten hinausreichende – Problem liegt in der immer größer werdenden Inkompatibilität des bestehenden Rentensystems mit den realen Erwerbsbiografien eines wachsenden Teils der Beschäftigten, wobei das nicht alle und auch nicht jeden Zweiten betreffen wird, aber definitiv immer mehr Menschen, die keine Renten mehr oberhalb der Grundsicherung werden erwirtschaften können. Auch bei 30 oder mehr Beitragsjahren. Wohl gemerkt, im bestehenden System in Verbindung mit den politischen Eingriffen in Richtung erheblicher Rentensenkungen. An einer grundlegenden Reform des Rentensystems führt kein Weg vorbei, auch weil sich das Sicherungsproblem nicht nur beschränkt auf die nach Mindestlohn arbeitenden Menschen, sondern in Bereiche vorgestoßen ist, wo die Stundenlöhne darüber liegen.

Es geht bergauf. Immer mehr Menschen auf Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung angewiesen. Das passt in die Debatte über Altersarmut und Rente – und auch wieder nicht

In der vergangenen Woche haben sich ganz viele Medien mit dem Thema Altersarmut und dem Zustand der Rentenversicherung beschäftigt. Grundlage dafür war eine Meldung des WDR, die – auf allerdings teilweise grotesk verzerrter Datenbasis (dazu der Beitrag Viele Menschen stehen vor der Altersarmut, wenn sich im System nichts ändert. Aber gleich mehr als 25 Millionen Menschen? Wohl kaum vom 12. April 2016) – eine Vorhersage in die Welt gesetzt hat, nach der mit Blick auf das Jahr 2030 jedem Zweiten die Altersarmut drohen soll. Die Talk-Sendung „Anne Will“ machte das am Sonntag zu ihrem Thema (vgl. dazu die Besprechung von Frank Lübberding unter der bezeichnenden Überschrift Das große Renten-Vergessen) und selbst in der Bundesregierung ist eine Rentendebatte ausgebrochen, in der wir Zeugen werden nicht-alltäglicher Bündnisse. So gibt ein Horst Seehofer (CSU) bekannt, in der Rentenfrage sei er der gleichen Auffassung wie Andrea Nahles (SPD). Bei anderen, beispielsweise dem Namensgeber und heutigen Profiteur der Riester-Rente, liegen die Nerven offensichtlich blank angesichts der erneuten Tiefschläge gegen ihre Kapitaldeckungsprodukte, wo doch die Geschäfte bereits seit längerem mehr als schlecht laufen, weil immer mehr Menschen begriffen haben, wer hier was abzieht. So meldet sich Walter Riester, der ehemalige Bundesarbeitsminister der rot-grünen Bundesregierung, zu Wort und kritisiert die Kritik an der privaten Altersvorsorge: „Immer wieder kommt diese saudumme Debatte, die wirklich Millionen Menschen verunsichert“, wird Riester zitiert.

Und als ob Öl ins Feuer gegossen werden soll, kommen dann auch noch neue Zahlen vom Statistischen Bundesamt über die Inanspruchnahme der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. In der trockenen Sprache der Statistiker liest sich die Überschrift zur Meldung dann so: 1.038.000 Empfänger von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung im Dezember 2015: »Im Dezember 2015 hatten rund 536 000 beziehungsweise 51,6 % der Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung die Altersgrenze erreicht oder überschritten und erhielten somit Grundsicherung im Alter … Knapp 502 000 beziehungsweise 48,4 % der Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung waren im Alter von 18 Jahren bis unter die Altersgrenze. Sie erhielten diese Leistungen aufgrund einer dauerhaft vollen Erwerbsminderung.

Die Abbildungen verdeutlichen, dass es sich um zwei Leistungsbereiche (nach dem SGB XII) handelt – zum einen die Grundsicherung bei voller Erwerbsminderung, wenn man also nicht mehr arbeiten kann, aber noch nicht im Rentenalter ist, zum anderen die Grundsicherung im Alter, um die es derzeit u.a. bei der Debatte über Altersarmut geht.
Deren Entwicklung in den Jahren seit 2003 kann kurz und knapp zusammengefasst werden: Die Inanspruchnahme hat sich von 257.000 innerhalb weniger Jahre auf über 536.000 mehr als verdoppelt. Und sie steigt von Jahr zu Jahr weiter an.

An dieser Stelle muss berücksichtigt werden, dass das nur als Untergrenze zu verstehen ist, denn wir gehen von einer erheblichen Dunkelziffer aus, also Menschen, die im Grunde Anspruch hätten auf diese Leistungen, aber auf einen Leistungsbezug verzichten. Dazu die Hinweise in dem Beitrag Diesseits und jenseits der Grundsicherung im Alter: Die Legende von der massenhaften Rentner-Armut. Das ist (nicht) richtig vom 7. August 2015: »Die Verteilungsforscherin Irene Becker hat … 2012 einen Beitrag publiziert, in dem sie die Ergebnisse einer Untersuchung vorgestellt hat, die der Frage nachgegangen ist, wie sich die verdeckte Armut unter Älteren seit der 2003 erfolgten Einführung der „Grundsicherung im Alter“ entwickelt hat (vgl. Irene Becker: Finanzielle Mindestsicherung und Bedürftigkeit im Alter. In: Zeitschrift für Sozialreform, Heft 2, 2012, S. 123-148). Die Ergebnisse ihrer Studie bezogen sich auf das Jahr 2007: Von gut einer Million Menschen ab 65 Jahren, denen damals Grundsicherung zustand, bezogen nur 340.000 tatsächlich Leistungen. Die „Quote der Nichtinanspruchnahme“, so der technische Begriff für die Dunkelziffer der Armut, betrug 68 Prozent.

Nun haben sich die Verhältnisse – möglicherweise – seit damals geändert. Wir wissen darüber aber nichts genaues und es ist durchaus plausibel, immer noch von einer nicht unerheblichen Dunkelziffer auszugehen, gerade bei den älteren Menschen, bei denen beispielsweise Scham-Faktoren hinsichtlich der Inanspruchnahme einer bedürftigkeitsabhängigen Sozialleistung eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen. Hinzuweisen wäre auch auf den Tatbestand, dass die Einkommens- und vor allem die Vermögensanrechnung im SGB XII, wo die Grundsicherung im Alter normiert ist, restriktiver erfolgt als im SGB II, also im „normalen“ Hartz IV-System.«

Aber auch wenn noch mehr ältere Menschen in den offiziellen Grundsicherungszahlen auftauchen würden, so wäre es dennoch falsch, das Thema Altersarmut auf die Quote der diese Leistung beziehenden Menschen abzubilden. Das dafür immer noch gültige Maß ist die relative Einkommensarmut bzw. im Statistiker-Deutsch Armutsgefährungsschwelle. Und von Armut oder Armutsgefährdung spricht man nach internationalen Konventionen, wenn man weniger als 60 Prozent des Medieneinkommens in der Gesellschaft, in der man lebt, zur Verfügung hat. Und dann wird aus den 3 Prozent, die Grundsicherungsleistungen im Alter beziehen, gleich ein ganz anderer Prozentwert.

In der im April 2015 veröffentlichten Publikation Grundsicherungsbezug und Armutsrisikoquote als Indikatoren von Altersarmut führt Johannes Geyer vom DIW aus, dass 2013 »14,9% aller Personen ab 65 Jahren als armutsgefährdet galten, in der jüngeren Bevölkerung lag der Wert mit 16,4% nur unwesentlich höher.«

Und im neuen Armutsbericht des Paritätischen und anderer Sozialverbände, der Anfang dieses Jahres veröffentlicht wurde ( Zeit zu handeln. Bericht zur Armutsentwicklung in Deutschland 2016), heißt es mit Blick auf das Jahr 2014: »Während in neun Bundesländern die Armutsquoten 2014 gesunken seien, belegt der Bericht einen Anstieg der Armut in den bevölkerungsreichen Bundesländern Bayern und Nordrhein-Westfalen. Hauptrisikogruppen seien Alleinerziehende und Erwerbslose sowie Rentnerinnen und Rentner, deren Armutsquote rasant gestiegen sei und erstmals über dem Durchschnitt liege … Die Armut verharre mit 15,4 Prozent auf hohem Niveau.«
Erstmals über dem Durchschnitt – und rückblickend wird sich dieses Jahr als das erweisen, in dem die Entwicklung der Armutsbetroffenheit in der älteren Generation weiter an Fahrt aufnehmen wird, wenn sich denn nichts grundlegend ändert.

Aber die hier präsentierten und in Abbildungen gegossenen neuen Zahlen des Statistischen Bundesamtes weisen noch auf einen anderen wichtigen Aspekt hin, der in der gegenwärtigen Debatte über Altersarmut und Rentenversicherung völlig ausgeblendet wird und ansonsten auch immer ein Schattendasein fristet: Betrachtet man die Entwicklungsdynamik der Grundsicherungsleistungen, dann kann man erkennen, dass wir den stärksten Anstieg nicht bei den Älteren haben, sondern im Bereich der Menschen, die wegen einer vollen Erwerbsminderung auf Hilfe angewiesen sind.
Die finanzielle Situation der voll erwerbsgeminderten Menschen ist hoch problematisch (vgl. dazu beispielsweise aus dem Jahr 2013 Johannes Steffen: Erwerbsminderungsrenten im Sinkflug
Ursachen und Handlungsoptionen) – schon in der Gegenwart und angesichts der im Regelfall sicheren Perspektive, in der Altersarmut zu landen.

Die Ursachen für den beobachtbaren Anstieg der Erwerbsminderungsfälle sind vielschichtig und berühren zahlreiche Arbeitsmarktprozesse und natürlich immer auch individuelle Dispositionen.
Als Beispiel aus der Forschung vgl. Ralf Müller: Erwerbsminderungsrente in Bremen: Berufsgruppen im Spiegel von Arbeitsbelastung und Arbeitslosigkeit. Schriftenreihe der Arbeitnehmerkammer Bremen 02 | 2015, Bremen 2015.

Das soll nur andeuten, was wir alles berücksichtigen müssen, wenn es um eine wirkliche Rentenreform gehen sollte, die das Alterssicherungssystem vor allem hinsichtlich der vielen, die ansonsten unter die Armutsschwelle gedrückt werden, wetterfest machen soll.

Einige Zahlen und Zusammenhänge jenseits der punktuellen medialen Aufgeregtheit über Altersarmut und Rentenversicherung

Da wird so mancher, der seit Jahren auf die systematischen Schwachstellen im Alterssicherungssystem hinweist und für einen Teil der älteren Menschen bei gleichbleibenden Bedingungen den sicheren Marsch in die Altersarmut ausrechnen kann, mit dem Kopf schütteln, wenn er oder sie die mediale Welle zur Kenntnis nimmt, die  in dieser Woche durch die Landschaft gerauscht ist – ausgehend von einer Meldung des WDR, die zudem noch falsche Zahlen enthielt (vgl. dazu den kritischen Beitrag Viele Menschen stehen vor der Altersarmut, wenn sich im System nichts ändert. Aber gleich mehr als 25 Millionen Menschen? Wohl kaum vom 12. April 2016). Die Botschaft ist ja auch erschütternd und zugleich hervorragend geeignet, in der in den Strukturen der Aufmerksamkeitsökonomie gefangenen Medienwelt eine (kurzzeitige) Resonanz zu erzeugen: Fast jedem Zweiten droht 2030 die Altersarmut. Da läuft es dem Leser oder Zuschauer oder Zuhörer aber kalt den Rücken runter.

Unabhängig von der Tatsache, dass man das eben nicht so ableiten kann, wie das seitens des WDR behauptet wurde, da man dort einfach die Menschen in ihren heutigen Verhältnissen verbleibend hinsichtlich ihrer Rentenansprüche hochgerechnet hat (während die tatsächliche gesetzliche Rente immer die Einkommensposition des gesamten Erwerbslebens widerspiegelt) und außerdem nicht berücksichtigt wurde, dass der individuelle Rentenzahlbetrag nicht gleichbedeutend mit dem Haushaltseinkommen ist bzw. sein muss, ist es von entscheidender Bedeutung für eine rationale Alterssicherungsdiskussion, dass man die systematischen Schwachstellen in unserem gegebenen System, zu dem neben der gesetzlichen Rente als der wichtigsten Säule auch noch die Betriebsrenten und die private Altersvorsorge für einen Teil der älteren Menschen gehört, auf den Tisch legt, damit man erkennt, dass ohne systematische Änderungen immer mehr Menschen aufgrund einer weit verbreiteten Kumulation von Risikofaktoren unabwendbar in die tatsächliche Altersarmut rutschen werden, in der sich übrigens heute schon zahlreiche ältere Menschen befinden.

Aber gerade wenn man für die unglaubliche Brisanz des Themas (bestehende und vor allem kommende) Altersarmut sensibilisieren und nach Ansatzpunkten für eine notwendige Veränderung suchen will, dann muss man sauber bleiben bei der Präsentation der Daten – und seien sie noch so geeignet, dem Schnappatmungsmechanismus vieler Medien zu bedienen. Das hilft der Sache letztendlich nicht weiter. Es gibt dann nur die reflexhaften Hinweise auf eine unzulässige Dramatisierung, was im Ergebnis ablenkt von den eigentlichen Baustellen.

Schauen wir uns ein Beispiel an. Nachdem zahlreiche Medien die Meldung des WDR über die drohende Altersverarmung fast jedes zweiten Älteren aufgegriffen haben, kam am 12.04.2016 eine Lebensäußerung seitens der Rentenversicherung: Berechnung des Westdeutschen Rundfunks (WDR) zu Rentenhöhen. Stellungnahme der Deutschen Rentenversicherung Bund, so ist das überschrieben und dort wird natürlich auf die Schwachstellen in der Argumentation hingewiesen: »Nicht nachzuvollziehen ist die Aussage des WDR, dass beinahe die Hälfte der Rentnerinnen und Rentner, die ab 2030 in Rente gehen, möglicherweise abhängig von staatlichen Grundsicherungsleistungen wären. Aufgrund der Betrachtung individueller Ansprüche alleine aus der gesetzlichen Rentenversicherung kann kein Armutsrisiko ermittelt werden. Einkommensarmut kann immer nur im Haushaltskontext bestimmt werden. Die Höhe der gesetzlichen Rente alleine kann also keine Auskunft über die Einkommenslage von Rentnerhaushalten geben.« Das ist richtig. Der zweite Erwiderungspunkt: »Die Lebensstandardsicherung erfolgt spätestens seit der Rentenreform 2001 im Drei-Säulen-System. Nur wenn alle Vorsorgeformen berücksichtigt werden, lassen sich Aussagen zur Einkommenslage im Alter treffen. Die Berechnungen des WDR berücksichtigen aber nicht die Absicherung in der zweiten und dritten Säule, d.h. in der betrieblichen und der privaten Alterssicherung. Auch können niedrige Rentenleistungen eines Partners durch den anderen Partner ausgeglichen werden. Darüber hinaus verfügen Rentnerhaushalte in nicht wenigen Fällen über Einkünfte aus weiteren Quellen.« Auch das ist – so erst einmal – richtig. Der dritte Punkt: »Das Vorkommen von Renten unter Grundsicherungsniveau beruht zu einem erheblichen Anteil darauf, dass Versicherte nur kurze Zeit in die Rentenversicherung eingezahlt haben. Hierzu zählen etwa Hausfrauen, die nur kurze Zeit versichert waren oder selbständig Erwerbstätige, die keine Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet haben. Teilweise resultieren niedrige gesetzliche Renten auch auf einem frühen Wechsel von der gesetzlichen Rentenversicherung in andere Alterssicherungssysteme wie beispielsweise die Beamtenversorgung oder ein berufsständisches Versorgungswerk. Da Rentner in diesen Fällen auch aus anderen Versorgungssystemen Leistungen erhalten, sagt eine niedrige Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung wenig über das Gesamteinkommen im Alter aus.« Auch das ist durchaus plausibel.
Aber so vordergründig richtig die Einwände der Deutschen Rentenversicherung auch sind – sie unterschlagen wesentliche Schwachstellen im bestehenden Alterssicherungssystem, die sich erschließen, wenn man sich die Mechanik des bestehenden Rentensystems genauer anschaut.

In der Abbildung am Anfang dieses Beitrags wurde am Beispiel der vielleicht berühmtesten Kunstfigur des deutschen Sozialrechts, dem „Eckrentner“, illustriert, wie voraussetzungsvoll der Bezug einer gesetzlichen Rente ist, wenn man sein Erwerbsleben lang Mitglied in der Rentenversicherung war und mit deren Leistungen seinen Lebensunterhalt bestreiten muss oder korrekter: müsste.

Die Rentenformel (vgl. hierzu die §§ 64 bis 68 SGB VI) ist an sich eine simple Angelegenheit. Unter der Voraussetzung, dass man bis zum Erreichen des gesetzlich festgelegten Renteneintrittsalters durchgehalten hat, bestimmt sich die Höhe der monatlichen Altersrente aus zwei Faktoren: Zum einen aus der individuellen Einkommensposition über das gesamte Erwerbsleben hinweg, was sich in den Entgeltpunkten niederschlägt. Der „Eckrentner“ hat per definitionem sein ganzes Erwerbsleben (= 45 Jahre) durchgehend gearbeitet und dabei immer genau das Durchschnittsentgelt der Versicherten verdient – für das laufende Jahr 2016 muss man also einen monatlichen Bruttoverdienst von 3.022 Euro erreichen, um das Kriterium zu erfüllen. Dann bekommt man für dieses Jahr genau einen Entgeltpunkt gutgeschrieben.

An diesem Punkt kann man erste fundamentale Schwachstellen des Systems identifizieren: Es überrascht nicht, dass viele Arbeitnehmer zum einen damit konfrontiert sind, dass sie schlichtweg weniger verdienen als das, was als Durchschnittsentgelt ausgewiesen wird. Wenn man aber beispielsweise mit einem Monatsverdienst von 1.500 Euro nach Hause gehen muss, dann kann sich jeder ausrechnen, dass dann für ein ganzes Jahr Erwerbsarbeit eine Zahl deutlich kleiner als 1 bei den persönlichen Entgeltpunkten verbucht werden muss. Das gleiche gilt auch für so gut wie alle Teilzeitbeschäftigten, die kommen auch nicht auf die 1,0. Hinzu kommt: Die Rentenformel geht – angesichts des Beitragsbezugs der Rente auch in sich völlig korrekt – von einem ganzen Jahr aus, in dem man gearbeitet und Beiträge gezahlt hat. Wenn aber das Jahr in Arbeitslosigkeit verbracht wurde, dann sieht es düster aus, denn in den vergangenen Jahren haben wir einen massiven Entwertungsprozess der Anrechnung von Arbeitslosigkeitszeiten in der Rentenversicherung erleben müssen. Früher wurden seitens der Arbeitslosenversicherung noch Beiträge an die Rentenversicherung geleistet, das ist systematisch runtergefahren und für die Hartz IV-Empfänger mittlerweile beseitigt worden. Muss man an dieser Stelle wirklich begründen, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen niedriger Entlohnung (die zu einem Wert < 1 in der Rentenformel bei den EP führt) und der Betroffenheit von Arbeitslosigkeit? In nicht wenigen Fällen haben wir es hier mit einem verbundenen Risiko zu tun. Im Ergebnis führt das zu einer kumulativen Schlechterstellung im Rentensystem.

Aber wie ist es mit dem Hinweis auf die die erste Säule des Alterssicherungssystems ergänzende zweite und dritte Säule bestellt? Also den Betriebsrenten und der privaten Altersvorsorge? Die können ja durchaus eine Menge kompensieren bzw. die tatsächlichen Mittel in der Rente deutlich erhöhen. Wenn, ja wenn wir auch hier nicht mit einer systematischen Ungleichverteilung zuungunsten der unteren Einkommen konfrontiert wären.

Vereinfacht gesagt und mit den vorliegenden Daten auch gut zu belegen: Gerade diejenigen, die des kompensatorischen Effekts aus diesen zwei ergänzenden Säulen bedürfen, sind unterdurchschnittlich bis gar nicht integriert in diese Systeme. Für die Riester-Rente vgl. dazu beispielsweise den Beitrag (Keine) Überraschung: Gute Riester-Rente für höhere Einkommen, kaum bis gar keine Riester-Rente für die unteren Einkommen. Eigentlich wäre mal wieder die Systemfrage fällig vom 7. Juli 2015. Und auch die Betriebsrenten entfallen eher auf die höheren Einkommen. Bereits 2012 konnte man dazu in dem Artikel Nur eine Minderheit sorgt betrieblich vor lesen: » Nur 6,2 Prozent der Beschäftigten mit einem Bruttostundenlohn um 10 Euro oder weniger nutzen die Möglichkeit zur Entgeltumwandlung. Bei Besserverdienenden, die über 23 Euro je Stunde bekommen, ist es dagegen ein gutes Drittel.«

Zwischenfazit: Gerade die unteren Einkommen sind aufgrund der Rahmenbedingungen im Wesentlichen angewiesen auf die Leistungen aus der Gesetzlichen Rentenversicherung, die allerdings nur dann ein Rentenniveau oberhalb der Grundsicherung gewährleisten kann, wenn man möglichst ohne nennenswerte Brüche in der eigenen Erwerbsbiografie durchs Leben gekommen ist und dabei mindestens den Durchschnitt verdient hat. Selbst wenn jemand 45 Jahre gearbeitet, aber unterdurchschnittlich verdient hat, wird er oder sie auf keine Rente kommen können, die oberhalb des Hartz IV-Satzes liegen wird.

Das wird sich alles angesichts der gewaltigen Verwerfungen am Arbeitsmarkt, also dem das Rentensystem strukturierenden vorgelagerten System, in jedem vor uns liegenden Jahr weiter entfalten müssen, wenn man in dem bestehenden System keine grundsätzlichen Veränderungen vornimmt.

Kehren wir wieder zurück in das Hier und Heute. Der Rentenexperte Johannes Steffen, der das Portal Sozialpolitik betreibt, hat sich die Mühe gemacht, die gegenwärtigen Zählbeträge in der Gesetzlichen Rentenversicherung zu vergleichen mit dem Grundsicherungssatz. Das Ergebnis sieht man hinsichtlich des Rentenbestandes im Jahr 2014 in der nebenstehenden Abbildung.

»Ein Blick in die aktuelle Rentenstatistik zeigt: Schon heute (letzte Daten stammen aus 2014) liegt der Zahlbetrag bei fast der Hälfte aller Altersrenten unterhalb des durchschnittlichen Bedarfs der Grundsicherung nach SGB XII. Dieser betrug 2014 bei älteren Personen außerhalb von Einrichtungen (avE) 769 Euro im Monat. Im Rentenbestand lag der Zahlbetrag bei fast 48 Prozent der Renten unterhalb von 750 Euro (West: 52,6%, Ost: 26,7%) – beim Rentenzugang waren es gut 52 Prozent (West: 56,4%, Ost: 31,5%)«, schreibt er in seinem Beitrag Rentenzahlbeträge und Grundsicherung, dem auch die Abbildungen entnommen sind.

Und weiter erfahren wir:

»Von den insgesamt knapp 15,5 Millionen Inlandsrentnern (Altersrenten) bezogen allerdings nur 2,5 Prozent zusätzlich noch Leistungen der Grundsicherung im Alter. Niedrige Altersrenten sind also nicht gleichbedeutend mit Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB XII. – Aber: Wenn erwerbslebenslang vollzeitnah Beschäftigte infolge der Senkung des Rentenniveaus nicht mehr mit einer Rente deutlich oberhalb des Fürsorgeniveaus rechnen können, dann gerät die Pflichtversicherung in eine schwere Legitimationskrise.«

Steffen bezieht sich auf die Grundsicherungsschwelle, also den Betrag, den  man auch bekommen würde, wenn man sein Leben lang nicht gearbeitet hätte und keine anderen Einkünfte oder gar Vermögen hat. Hinsichtlich der Einkommensarmut älterer Menschen relevant ist aber die offizielle Armutsgefährdungsschwelle, die bei (weniger als) 60 Prozent des Medianeinkommens liegt.

Hierzu hat auch der statistisch umtriebige Paul M. Schröder vom BIAJ veröffentlicht: Zum einen den Beitrag Altersrenten: Rentenzugänge, Rentenbestand und Rentenzahlbeträge 2000 bis 2014 sowie ergänzend dazu Altersrenten unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle und Armutsgefährdung 2005 bis 2014.

Daraus die folgenden Hinweise – zuerst aus seiner ersten Veröffentlichung, die sich ebenfalls an der WDR-Veröffentlichung abarbeitet:

»Das Ausmaß der Armutsgefährdung aller Menschen im Alter von 65 Jahren und älter lässt sich nicht eins zu eins aus den gesetzlichen Renten wegen Alters ableiten. 2014 lag der Rentenzahlbetrag bei 10,90 Millionen Renten wegen Alters unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle (917 Euro), bei 8,488 Millionen Renten unterhalb von 750 Euro. Die auf Grundlage der amtlichen Sozialberichterstattung für 2014 ermittelte Zahl der armutsgefährdeten Menschen im Alter von 65 Jahren und älter betrug 2,44 Millionen. Und die die Altersarmut deutlich unterzeichnende Zahl der Menschen, die Grundsicherung bezogen, betrug 515.289. Dass Menschen auch ohne oder mit einer geringen gesetzlichen Rente wegen Alters nicht arm oder sogar reich sein können, bleibt in der WDR-Projektion unbeachtet. Kurz: Mit der „Erklärung“ von nahezu der Hälfte der Bevölkerung als armutsgefährdet wird der Blick auf die wachsende Zahl der wirklich armen Menschen verstellt – und damit wohl auch auf die notwendigen gesetzlichen Veränderungen für diese Menschen.«

Und seiner Ergänzung zum ersten Text können wir entnehmen:

»Der Anteil der Renten nach SGB VI wegen Alters mit einem Rentenzahlbetrag unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle stieg von 50,7 Prozent (8,59 Millionen) in 2005 auf 61,0 Prozent (10,90 Millionen) in 2014 … Männer-Renten: von 25,0 Prozent (1,88 Millionen) in 2005 auf 35,8 Prozent (2,85 Millionen) in 2014 … Frauen-Renten: von 71,0 Prozent (6,71 Millionen) in 2005 auf 81,3 Prozent (8,05 Millionen) in 2014.«

Aber bezogen auf den Tatbestand der Einkommensarmut fügt er an:

»Die Zahl der armutsgefährdeten Menschen im Alter von 65 Jahren und älter stieg von 1,72 Millionen in 2005 … von Jahr zu Jahr auf 2,44 Millionen in 2014 …. Männer: von 0,65 Millionen in 2005 auf 0,90 Millionen in 2014 … Frauen: von 1,17 Millionen in 2005 auf 1,55 Millionen in 2014.«

Wenn man das aufrechnet ergibt sich der folgende Befund:

»Gemessen am Bestand der Renten nach SGB VI wegen Alters mit einem Rentenzahlbetrag unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle galten pro 100 Renten im Jahr 2005 insgesamt 20,0 Men- schen im Alter von 65 Jahren und älter als armutsgefährdet.«

Fazit: Wenn sich nichts am System ändert (beispielsweise die (Wieder-)Einführung einer Rente nach Mindesteinkommen), dann werden immer mehr Menschen in den vor uns liegenden Jahren in die Altersarmut rutschen (müssen), da sie nicht die Kriterien der „alten“ Rentenformel erfüllen (können). Hinzu kommen weitere Phänomene, die hier noch gar nicht eingebaut wurden in die Vorhersage. So beispielsweise die zunehmende Problematik einer wohnkostenbedingten Verarmung älterer Menschen. Darüber berichtet beispielsweise das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL in seinem Heft 16/2016 unter der Überschrift „Altersrisiko Wohnen“:

»Wenn Hol­ger Pur­gan­der, 72, auf sein Le­ben zu­rück­blickt, muss er sich nicht schä­men. 40 Jah­re lang Pünkt­lich­keit, 40 Jah­re lang hat er als Bus­fah­rer und Ma­schi­nen­schlos­ser ge­ar­bei­tet, im­mer Steu­ern be­zahlt. Mit sei­nen 811,90 Euro Ren­te mo­nat­lich kam der Rent­ner ei­ni­ger­ma­ßen über die Run­den. Bis sei­ne 54-Qua­drat­me­ter-Woh­nung im Ber­lner Au­ßen­be­zirk Nie­der­schön­hau­sen zwei neue Fens­ter und ei­nen Bal­kon be­kam.
Für den Ver­mie­ter war die In­ves­ti­ti­on eine Mo­der­ni­sie­rung, für Pur­gan­der war es der Schritt ins so­zia­le Ab­seits. Die Mo­nats­mie­te klet­ter­te, von 204 im Jahr 2012 auf inzwischen 313 Euro kalt. Jetzt blei­ben Pur­gan­der noch 150 Euro im Mo­nat für Lebensmit­tel, zu we­nig für drei Mahl­zei­ten am Tag, und so schleicht er sich, wenn es am Mo­nats­en­de mal wie­der eng wird, für ein Mit­tag­es­sen zur nahe ge­le­ge­nen Ca­ri­tas … Zwei ge­gen­läu­fi­ge Pro­zes­se ver­schär­fen die Al­ters­ar­mut: Wäh­rend die Im­mo­bi­li­en- und Miet­prei­se in den städ­ti­schen Zen­tren ra­sant an­zie­hen, ver­fal­len die Häu­ser­wer­te in vielen länd­li­chen Re­gio­nen. Es geht also nicht nur um Mie­ter in teu­ren Bal­lungs­räu­men, auch die Lage ei­ner Viel­zahl von Ei­gen­heim­be­sit­zern ver­schlim­mert sich. Sie hat­ten sich die Im­mo­bi­lie nicht zu­letzt als Si­cher­heit fürs Al­ter zu­ge­legt. Doch nun ist das er­spar­te Heim im­mer we­ni­ger wert.«

Oder wie wäre es mit dieser Botschaft? Immer mehr Ältere geraten in die Schuldenfalle, berichtet die FAZ. Nach dem von der Wirtschaftsauskunftei Creditreform veröffentlichten „Schuldneratlas 2015“ »stieg die Zahl der über 60-Jährigen mit Schulden, die sie nicht mehr vollständig bedienen können, in den vergangenen zwei Jahren drastisch an. Bei den 60 bis 69-Jährigen um 12,4 Prozent, bei den Senioren ab 70 sogar um 35,4 Prozent.«

Diese beiden Beispiele mögen genügen, wenn es darum geht, darauf hinzuweisen, dass das Thema Altersarmut ein Megathema der vor uns liegenden Jahre werden muss, wenn … . Ja, wenn nicht endlich systematisch die Schwachstellen im bestehenden Alterssicherungssystem auf die Tagesordnung gesetzt werden.

Viele Menschen stehen vor der Altersarmut, wenn sich im System nichts ändert. Aber gleich mehr als 25 Millionen Menschen? Wohl kaum

Was für eine Aufregungswelle in den Medien. Der WDR hat Ergebnisse einer Recherche zur drohenden Altersarmut ab dem Jahr 2030 veröffentlicht. Mit einer mehr als beunruhigenden Botschaft, die natürlich sofort aufgegriffen wurde: Fast jedem Zweiten droht die Altersarmut: »2030 werden von 53,7 Mio Rentnern etwa 25,1 Mio. von Altersarmut bedroht sein.« Schon an dieser Stelle sollte man sich verwundert die Augen reiben, dazu gleich mehr. Aber lesen wir weiter: »Ursache dafür sind nicht nur niedrige Löhne etwa im Einzelhandel oder im Gastgewerbe, sondern auch die hohe Zahl von Teilzeitbeschäftigten, Solo-Selbständigen oder Mini-Jobbern. Gerade in diesen Gruppen dürfte das künftige Armutsrisiko im Alter massiv sein. Um im Jahr 2030 eine Rente über dem Grundsicherungsniveau zu bekommen, müsste ein Arbeitnehmer nach heutigem Stand 40 Jahre lang ununterbrochen pro Monat mindestens 2.097 Euro brutto verdienen.« Da wird ein Finger auf eine klaffende Wunde legen, wie es seit vielen Jahren von den nicht-interessengebundenen Sozialpolitik-Beobachtern getan wird – auch immer wieder in Beiträgen zum Thema Altersarmut auf dieser Seite.

Und gerade weil es so wichtig ist, dass das Thema breit in der Gesellschaft diskutiert und endlich auch über eine fundamentale Reform des Alterssicherungssystems gestritten wird, sollte man sich nicht durch grobe Fehler eine Blöße geben.

Damit wären wir wieder bei den Zahlen im ersten Zitat aus dem WDR-Bericht: 53,7 Mio. Rentner 2030? In welchem Land leben die Verfasser des Berichts. Schon hier hätte man innehalten müssen, wenn man nur mal berücksichtigt, dass wir derzeit etwas über 20 Mio. Rentner haben, die in Deutschland leben. Müssen wir von einer dramatischen Zuwanderung von Millionen Ruheständlern ausgehen in den kommenden Jahren? Wohl kaum. Da hat sich schlichtweg jemand verstrickt in den großen Zahlen.
Auch Paul M. Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) hat das unter der hier zutreffenden Rubrik „absurde Statistik“ aufgegriffen: WDR: 53,7 Millionen Rentnerinnen und Rentner in 2030 – wie und wo?, fragt er ebenfalls.

»Nach der 13. Bevölkerungsvorausberechnung der statistischen Ämter des Bundes und der Länder werden in der Bundesrepublik Deutschland Ende 2030 z.B. nach der Variante 2 („Kontinuität bei stärkerer Zuwanderung“) 80,919 Millionen Menschen leben, darunter 19,239 Millionen im Alter von 67 Jahren und älter. Und nach der Variante 3 („relativ alte Bevölkerung“) 79,631 Millionen Menschen, darunter 19,555 Millionen im Alter von 67 Jahren und älter.«

Auch wenn es ein oder zwei Millionen Menschen in der Altersgruppe mehr sein sollten – das ist alles ganz weit weg von den über 50 Mio. Rentnern des Jahres 2030. Die wird es nicht geben, weil es sie nicht geben kann.

Es wäre natürlich schön, wenn eine Projektion des WDR eintreten würde, die allerdings auf den völlig aus dem Ruder gelaufenen Zahlen abgeleitet wurde und damit nicht realistisch ist: In einer tabellarischen Übersicht findet man den Hinweis für 2030, dass 28,6 Mio. Menschen mit einer ausreichenden Rente versorgt sein werden. Wenn uns dieser Wert gelingen würde, hätten wir keine Altersarmut mehr. Wenn.