Erst vor kurzem wurde hier ein Blick geworfen auf die vielen Menschen, die seit 2015 als schutzsuchende Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind – dabei ging es um die Menschen aus den Ländern Afghanistan, Eritrea, Iran, Irak, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien, die als „Asylherkunftsländer“ bezeichnet werden und damit die Länder umfassen, aus denen die meisten Asylbewerber stammen. Die über eine Million Menschen, die als Kriegsflüchtlinge seit dem Frühjahr 2022 aus der Ukraine zu uns gekommen sind, wurden dabei ausgeklammert: Es geht voran mit der Integration der Geflüchteten aus den „Asylherkunftsländern“ in den Arbeitsmarkt. Wie immer lohnt ein etwas genauerer Blick auf die Zahlen, so ist der Beitrag überschrieben, der hier am 10. Juli 2023 veröffentlicht wurde. Zu dem, was wir über die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine (nicht) wissen, vgl. diesen Beitrag vom 16. Juli 2023: Gekommen, um (nicht) zu bleiben. Was wir über die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine (nicht) wissen.
In dem Beitrag über die Integration der Geflüchteten aus den „Asylherkunftsländern“ in den Arbeitsmarkt wurde u.a. mit Bezug auf aktuelle Daten des IAB ausgeführt, »dass noch eine Menge zu tun ist hinsichtlich einer (erfolgreichen) Integration in den Arbeitsmarkt: Die Beschäftigungsquote der Menschen aus den Asylherkunftsländern liegt bei 41,4 Prozent … Die „SGB II-Hilfequote“ wird mit 45,5 Prozent ausgewiesen und liegt damit erheblich höher als bei den Ausländern insgesamt (21,3 Prozent) oder gar den Deutschen (mit 8,6 Prozent).«
Da könnte es den einen oder anderen irritieren, wenn man mit solchen Meldungen konfrontiert wird: Über die Hälfte der 2015 Geflüchteten erwerbstätig: »Mehr als die Hälfte der im Jahr 2015 nach Deutschland gekommenen Flüchtlinge war einer Analyse zufolge im Jahr 2021 erwerbstätig. Im Vergleich zu 2020 ist dies ein Anstieg um etwa zehn Prozent. Das zeigt eine in Nürnberg veröffentlichte Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).«
Zwischen gut 41 Prozent und mehr als die Hälfte ist ja nun schon ein Unterschied. Wie immer muss man bei solchen Anteilswerten genau hinschauen, beide Zahlen sind richtig, für sich genommen. Die 41,4 Prozent beziehen sich auf alle Flüchtlinge aus den genannten Asylherkunftsländern, also beinhalten beispielsweise auch diejenigen, die erst am aktuellen Rand nach Deutschland gekommen sind. Allerdings beziehen sich die Zahlen, die vom IAB monatlich im „Zuwanderungsmonitor“ veröffentlicht werden, auf die Grundgesamtheit u.a. aller Menschen, die aus den Asylherkunftsländern gekommen sind. Bei den Zahlen die Beschäftigung nach Aufenthaltsdauer betreffend, über die derzeit berichtet wird, handelt es sich um aus einer auf einer umfangreichen Befragung basierenden Stichprobe hochgerechnete Werte, nicht um eine Erfassung aller Flüchtlinge, die in den Jahren 2015 bis 2019 nach Deutschland gekommen und hier geblieben sind.
Die in der Presse zitierte Studie des IAB hat sich eine besondere Teilgruppe angeschaut: »Wir untersuchen, wie sich Arbeitsmarktintegration, Leistungsbezug und Bildungserwerb der bis 2019 zugezogenen Schutzsuchen den entwickelt haben, um Schlussfolgerungen für die weiteren Erwerbsverläufe dieser Gruppe und auch der später zugezogenen Geflüchteten zu ziehen.«
➔ Man muss an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die Zahlen, die in der IAB-Studie von Brücker et al. präsentiert werden, aus einer Stichprobe stammen. Konkret: »Das IAB führt die (jährliche) IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten gemeinsam mit dem Forschungszentrum des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF-FZ) und dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) am DIW Berlin durch … Sie ist als Längsschnittbefragung von Personen, die als Schutzsuchende nach Deutschland zugezogen sind, und ihrer Haushaltsmitglieder angelegt. Die Stichprobe wird aus dem Ausländerzentralregister gezogen. Unter Verwendung statistischer Hochrechnungsverfahren können repräsentative Aussagen für die Schutzsuchenden, die vom 1.1.2013 bis zum 30.6.2019 nach Deutschland zugezogen sind, und für ihre Haushaltsangehörigen gemacht werden. Die Gesamtstichprobe umfasst inzwischen 10.111 erwachsene Personen, die mindestens einmal und bis zu sechsmal befragt wurden. Betrachtet werden hier 8.799 Geflüchtete im erwerbsfähigen Alter (18 bis 64 Jahre), die seit 2013 zugezogen sind (gut 22.000 Personen-Jahr-Beobachtungen). Die Analysen zur Befragungswelle 2021 beziehen 2.193 Personen ein. Die Erhebung enthält in dem Personen- und Biografiefragebogen rund 400 Fragen und in dem Haushaltsfragebogen rund 100 Fragen, die neben vielen anderen Aspekten detaillierte Informationen über die Flucht- und Migrationsbiografie, Bildung und Ausbildung, den Erwerbsstatus, über den Leistungsbezug und zur Teilnahme an Bildungs-, Ausbildungs-, Sprach- und Integrationsprogrammen erfassen.« (Brücker et al. 2023: 2).
➔ Herbert Brücker et al. (2023): Entwicklung der Arbeitsmarktintegration seit Ankunft in Deutschland. Erwerbstätigkeit und Löhne von Geflüchteten steigen deutlich. IAB-Kurzbericht Nr. 13/2023, Nürnberg: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Juli 2023
Es geht also um die bis 2019 nach Deutschland gekommenen Flüchtlinge. Und dann beziehen sich einige der Zahlen, die dort auftauchen, wie die „mehr als die Hälfte“, die einer Erwerbsarbeit nachgehen, auf die Gruppe derjenigen, die sechs Jahre Aufenthaltsdauer hinter sich haben.
Zu welchen Befunden kommen die IAB-Forscher mit Blick auf diese Personengruppe?
➞ Sechs Jahre nach Ankunft in Deutschland zeichnen sich in allen Dimensionen der Arbeitsmarktintegration erhebliche Fortschritte ab.
➞ 54 Prozent der Geflüchteten mit einer Aufenthaltsdauer von sechs Jahren sind erwerbstätig. Davon arbeiten zwei Drittel in Vollzeit und 70 Prozent üben eine qualifizierte
Berufstätigkeit aus.
➞ Die mittleren Bruttomonatsverdienste von Vollzeiterwerbstätigen belaufen sich bei sechsjähriger Aufenthaltsdauer auf gut 2.000 Euro.
➞ Innerhalb der ersten sechs Jahre nach Zuzug besuchte ein Drittel der erwachsenen Geflüchteten Schulen und Hochschulen oder absolvierte Ausbildungen und Weiterbildungsmaßnahmen.
➞ In mehreren Dimensionen der Arbeitsmarktintegration zeigt sich ein erhebliches Gefälle zulasten der Frauen, das unter anderem im Zusammenhang mit ihrer Sorgearbeit steht.
Mit expliziten Bezug auf die Ausführungen in dem Beitrag Es geht voran mit der Integration der Geflüchteten aus den „Asylherkunftsländern“ in den Arbeitsmarkt. Wie immer lohnt ein etwas genauerer Blick auf die Zahlen sollen hier zwei der Befunde genauer betrachtet werden.
Höhere Löhne, aber immer noch deutlich unter der Niedriglohnschwelle
Die IAB-Forscher heben eine positive Lohnentwicklung hervor:
»Das mittlere Bruttomonatsentgelt (Median, deflationiert auf das Basisjahr 2020) der vollzeiterwerbstätigen Geflüchteten steigt von 1.660 Euro in den ersten beiden Jahren nach Ankunft auf 2.037 Euro im sechsten Jahr, das mittlere Bruttomonatsentgelt aller geflüchteten Beschäftigten von 664 Euro auf 1.683 Euro. Die Zunahme von Letzterem resultiert aus dem wachsenden Anteil der Vollzeitbeschäftigten, einer Erhöhung der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit und einem Anstieg der Stundenverdienste.«
Wie muss man diese Durchschnittszahlen einordnen?
»Die mittleren Bruttomonatsverdienste von vollzeiterwerbstätigen Geflüchteten belaufen sich damit sechs Jahre nach Zuzug auf 60 Prozent der mittleren Vollzeitverdienste in der Gesamtbevölkerung … Die mittleren Bruttostundenverdienste nehmen von 9,20 Euro in den ersten beiden Jahren nach Zuzug auf 10,90 Euro im sechsten Jahr nach dem Zuzug zu.
Fakt ist also: Die Mehrheit der Geflüchteten verdient sechs Jahre nach dem Zuzug noch unterhalb der Schwelle zum Niedriglohnbereich (zwei Drittel der mittleren Verdienste).
Das muss auch vor dem Hintergrund dieser Ausführungen gesehen werden: »… selbst wenn man sich begrenzt auf „sozialversicherungspflichtige (Teilzeit- und Vollzeit-)Beschäftigung“ könnte man hinsichtlich der Bewertung der Arbeitsmarktintegration auf die Idee kommen, nach dem über diese Tätigkeit realisierten Einkommen zu fragen oder der Stabilität der Beschäftigungsverhältnisse. Denn wenn, so eine durchaus naheliegende These, Geflüchtete zwar erwerbsarbeiten, aber das nur zu (sehr) geringen Löhnen, dann wird daraus eine fortdauernde Abhängigkeit von aufstockenden Leistungen im Grundsicherungssystem resultieren, vor allem, wenn mehrere Personen versorgt werden müssen … dass es in vielen Fällen trotz einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nicht gelingt, aus der Hilfebedürftigkeit und der daraus resultierenden aufstockenden Leistungen herauskommen zu können.«
Arbeitsmarktintegration als ein überwiegend „männliches Phänomen“?
Die IAB-Forscher haben es am Ende und etwas verklausuliert am Ende ihrer Zusammenfassung so formuliert: »In mehreren Dimensionen der Arbeitsmarktintegration zeigt sich ein erhebliches Gefälle zulasten der Frauen, das unter anderem im Zusammenhang mit ihrer Sorgearbeit steht.«
In der Studie wird diese Abbildung präsentiert, die für sich spricht:
»Sechs Jahre nach dem Zuzug sind unter den Geflüchteten 23 Prozent der Frauen und 67 Prozent der Männer erwerbstätig.« Wohlgemerkt, hier wird die Kategorie Erwerbstätigkeit verwendet, als jeder Form der bezahlten Tätigkeit.
Die Werte zeigen eine extrem unterdurchschnittliche Erwerbsbeteiligung der geflüchteten Frauen. Und das kann (und wird) im Zusammenspiel mit niedrigen Löhnen selbst bei Vollzeitbeschäftigung des (männlichen) Partners dazu führen (müssen), dass der Haushalt mittel- und möglicherweise je nach weiterem Verlauf auch langfristig einzementiert bleibt in aufstockenden Transferleistungen.
Was sagen die IAB-Forscher zu diesem Erwerbsbeteiligungsgefälle? Sie beziehen sich auf eine vertiefende Untersuchung aus ihrem eigenen Haus (Kosyakova et al. 2021) und schreiben zu den Ursachen: »Sie lassen sich zu erheblichen Teilen durch Sorgearbeit und insbesondere durch das Vorhandensein von Kindern unter drei Jahren im Haushalt erklären. Weiterhin spielen Unterschiede zwischen den Geschlechtern bei in Deutschland getätigten Sprach- und Bildungsinvestitionen, der Inanspruchnahme von Beratungsangeboten sowie der Berufserfahrung und (Aus-)Bildung im Herkunftsland eine Rolle.«
Das sind sicher alles relevante Einflussfaktoren, aber so formuliert, als ob es ausschließlich an dem umgebenden System liegen würde und mit den betroffenen Menschen nur dergestalt etwas zu tun hat, als dass sie Objekte dieses Systems sind, nicht aber auch Subjekte, die nicht nur in der Aufnahmegesellschaft eingebettet sind, sondern auch in die eigenen Wertestrukturen. Wie bereits an anderer Stelle formuliert:
Die Beschäftigungsquote der geflüchteten Frauen nicht nur aus Syrien ist sehr niedrig. Und das hat mitnichten nur mit dem Problem fehlender oder nicht passender Kinderbetreuungsmöglichkeiten zu tun. Das wurde hier bereits in der Vergangenheit kritisch thematisiert: So am 10. Dezember 2020, am Ende des ersten Pandemijahres, in dem Beitrag Es geht (nicht mehr?) voran. Zur Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt vor dem Hintergrund der Corona-Krise: Neben allen notwendigen kritischen Hinweisen, ob wirklich genug getan wird, um gerade den Frauen und darunter den Müttern passende Angebote für Integrations- und vor allem Sprachförderung zu machen (so beispielsweise die Ausführungen von Yuliya Kosyakova: »… da gibt es noch einen Nachholbedarf beim Spracherwerb. Frauen, die sich intensiv um ihre Kleinkinder kümmern, sind klar im Nachteil. Wir brauchen folglich ein breiteres Angebot an Sprachkursen mit Kinder-Betreuung. Generell wurde bei den Integrationsbemühungen der Fokus bislang eher auf Männer gelegt, weniger auf Frauen. Das halte ich für ein Problem«), so muss man auch sehen, dass es nicht nur eine Seite gibt und nicht nur eine Bringschuld, denn – so bereits in einem Beitrag aus dem Januar 2020 – »man (muss) aus einer arbeitsmarktlichen, aber auch generell aus einer integrationsorientierten Perspektive zur Kenntnis nehmen, dass viele Frauen nicht nur von der Arbeitsmarktintegration ausgeschlossen sind, sondern sie ziehen sich oftmals generell zurück in die Rolle der Mutter, die auch meint, an keinem Sprach- und Integrationskurs teilnehmen zu müssen. Natürlich spiegelt das teilweise das vormoderne Rollenverständnis vieler Zuwanderer wieder. Aber es wird sich in den vor uns liegenden Jahren höchst wahrscheinlich bitter rächen, wenn man diese Exklusionsprozesse nicht wenigstens offen – und das bedeutet in diesem Fall: kritisch – anzusprechen und aufzubrechen versucht.«
Vor dem Hintergrund des rein objekthaften Zugangs zur Thematik sind dann die Lösungsvorschläge von Brücker et al. konsequent, aber zugleich auch mehr als unvollständig:
»Obwohl viele Fortschritte bei der Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten erzielt worden sind, gibt es dennoch weiterhin Handlungsbedarf. Vordringlich ist die Förderung der Arbeitsmarktintegration und -teilhabe von geflüchteten Frauen. Dafür könnten Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung sowie Sozialpartner und Unternehmen vielfältige Maßnahmen ergreifen, wie zum Beispiel einen frühen Zugang zu umfassender Kinderbetreuung, die Förderung von flexiblen Arbeitszeitmodellen oder die aktive Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen und Männer in der Arbeitswelt.«