Paketdienste: Die Weihnachtsschlacht ist geschlagen, ein weiter wachsender Berg voll Arbeit bleibt in einem „System der Ausbeutung“. Und wieder einmal: Amazon

Es wurde wieder angeliefert was das Zeug hält. Täglich waren es Millionen Pakete, die in den vergangenen vorweihnachtlichen Wochen an die Haustüren der Menschen geliefert wurden, die von Büchern bis hin zu den skurrilsten und kiloschweren Gütern des außeralltäglichen Lebens unzählige Waren im Internet bestellt haben und selbstverständlich davon ausgegangen sind, dass die ihnen an die Haustür gebracht werden.

Und während der „klassische“ stationäre Einzelhandel nunmehr die zweite, durch die Einschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie enttäuschende Weihnachtssaison abschreiben musste, boomt der Internet- und Versandhandel – der allerdings schon lange vor Corona abgehoben hat gemessen an der Umsatzentwicklung, während der Einzelhandel in Verkaufsräumen vor sich hinstagniert.

Dieser Boom der Bestell-Ökonomie kommt ohne die letzten Gliedern in der Lieferkette nicht aus, denn die Click-and-Buy-Güter müssen zu den Kunden geschafft werden, um sich aus der Online-Welt zu vergegenständlichen. Und das läuft über die Paketdienste und die dort arbeitenden Menschen.

Im vergangenen Jahr (2020) wurden geschätzt mehr als vier Milliarden Pakete versendet und zugestellt – das waren im Schnitt pro Tag 13 Millionen Pakete. In den Wochen vor dem Weihnachtsfest sind es mehr als 22 Millionen Pakete täglich. Abgewickelt wird das in Deutschland von nur sechs Paketdienstleistern:

Der Gesamtumsatz mit Kurier-, Express- und Paketsendungen belief sich 2020 auf 23,5 Mrd. Euro.

Mit ihren bundesweit 36 Paketzentren, 270 Zustellbasen und über 2.600 Zustellstützpunkten ist die Deutsche Post DHL (noch) die größte Zustellerin. Seit dem Sommer 2019 arbeiten auch die vorher ausgelagerten Zusteller der DHL-Tochter Delivery wieder unter dem Haustarifvertrag der DHL (vgl. dazu auch den Beitrag Endlich mal eine gute Nachricht: Die Zweiklassengesellschaft wird beendet. Also bei der Deutschen Post und ihren Paketzustellern vom 28. März 2019). Während die Deutsche Post DHL weitgehend auf eigene Zusteller setzt und den Ausflug in die Welt der outgesourcten Billig-Paketzusteller vorerst beendet hat, sieht es bei konkurrierenden großen Zustellern ganz anders aus: Hermes beschäftigt rund 70 Prozent Subunternehmer, GLS und DPD arbeiten ausschließlich mit Subunternehmern.

»Der Bundesverband Paket und Expresslogistik (BIEK) zählte zuletzt etwa 255.000 Beschäftigte der Branche in Deutschland, 70.000 mehr als noch vor zehn Jahren. Doch die Arbeitsbedingungen unterscheiden sich stark: Während die Deutsche Post und UPS Zusteller zum Großteil fest anstellen, setzen Wettbewerber wie Hermes oder DPD bislang vor allem auf Subunternehmen«, so Benedikt Müller-Arnold unter der Überschrift Verdi kritisiert „unerträgliche“ Arbeitsverhältnisse der Paketzusteller: »Eigentlich schützt der Staat Paketboten seit zwei Jahren mit strengeren Regeln. Doch viele Probleme sind geblieben, moniert die Gewerkschaft – und spricht von einem „System der Ausbeutung“.« Aus den Reihen der Gewerkschaft wird kritisiert, »dass prekäre Arbeitsverhältnisse in der Paketbranche inzwischen „ein unerträgliches Maß angenommen“ hätten. Das sagt die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Andrea Kocsis und verweist auf Kontrollen des Zolls: Die Behörde hat in der Vergangenheit mehrere Hinweise auf scheinselbständige Zusteller in der Branche gefunden – oder auf Versuche, den Mindestlohn zu unterschreiten.«

»Tatsächlich haben Paketdienste in den vergangenen Jahren Zehntausende Arbeitsplätze geschaffen. Je mehr die Menschen im Internet bestellen, desto mehr Pakete gilt es zu sortieren und auszufahren. Die Corona-Krise hat dieses Wachstum beschleunigt, als viele Läden wochenlang schließen mussten.« Der damit einhergehende steigende Arbeitskräftebedarf wurde bislang vor allem mit Menschen aus Osteuropa gedeckt – damit einhergehend teilweise unter skandalösen Arbeits- und Lebensbedingungen, über die immer wieder berichtet wurde und wird. »Man findet sie inzwischen in vielen Städten – so wie früh morgens am Columbiadamm in Berlin. Paketzusteller aus Osteuropa, die bei offener Schiebetür einen Blick in ihre Lieferwagen preisgeben. Manche liegen noch auf einem aufgefalteten Karton in einem Schlafsack. Andere stehen schon im nächsten Gebüsch für die morgendliche Notdurft. 10–12 Stunden später werden sie in Berlin und andernorts noch immer Pakete ausfahren, die sie an einem der deutschlandweit tausenden Zustellpunkten verschiedener Logistikunternehmen aufladen.« So beginnt eine der kritischen Wortmeldungen der Gewerkschaft Verdi, die am 13. Dezember 2021 unter der Überschrift Ein Berg voll Arbeit inmitten der weihnachtlichen Paketschlacht veröffentlicht wurde.

Was ist eigentlich mit diesem „Paketbotenschutzgesetz“, mit dem der Ausbeutung ein Riegel vorgeschoben werden sollte?

»Eigentlich schützt der Staat Paketboten seit zwei Jahren mit strengeren Regeln«, so der Hinweis von Benedikt Müller-Arnold in seinem Artikel. Und da wird sich der eine oder andere an das vom damaligen und weiterhin im Amt befindlichen Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bejubelte „Paketbotenschutzgesetz“ erinnern. Als sich die nunmehr abgewählte Koalition aus Union und SPD auf dieses Schutzgesetz geeinigt hatte, ließ der damalige Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske im Jahr 2019 eine klare Botschaft verbreiten: „Kriminellen Machenschaften wird mit der Nachunternehmerhaftung ein Riegel vorgeschoben. Gut so!“

Dazu aus dem Artikel Paketdienste am Pranger von Hermanns Pfeiffer: »Seit 2019 haften Paketdienste immerhin für die Arbeitsbedingungen bei ihren Subunternehmen. Anfänglich zeigte sich Verdi optimistisch, da die Nachunternehmerhaftung, welche der Gesetzgeber ins Sozialgesetzbuch 4 einfügte, »erste positive Wirkungen« zeigte. So stellten Paketdienste einige Beschäftigte fest an. Aber das erwies sich bald als Strohfeuer.« An dieser Darstellung ist nichts grundsätzlich falsch, aber wie so oft wird hier verkürzt und Erwartungen geweckt, die mit dem, was damals beschlossen wurde, so gar nicht eingelöst werden können.

➔ In diesem Blog wurde zu dem gesetzgeberischen Vorstoß am 4. März 2019 der Beitrag Paketzusteller: Die Spitze der Pyramide des Preis- und Lohndrucks soll in Haftung genommen werden können. Ein Schritt vorwärts mit einem Fragezeichen veröffentlicht, bei dem bereits in der Überschrift die Skepsis hinsichtlich eines durch die gesetzliche Regelung erreichbaren Durchbruchs zu besseren und die betroffenen Menschen schützenden Bedingungen enthalten ist. Und noch deutlicher dann die Formulierung in dem am 17. Mai 2019 hier publizierten Beitrag Endlich wird was für die Paketboten und gegen die Wild-West-Strukturen in der Branche getan. Dennoch bleiben kritische Anmerkungen angesichts der kursierenden Jubelmeldungen. Dort wurde ausgeführt: »Grundsätzlich ist der geplante gesetzgeberischer Ansatz, eine Nachunternehmerhaftung für nicht gezahlte Sozialbeiträge seitens der Subunternehmer einzuführen (denn „nur“ darum geht es jetzt), ein sicher wichtiges Signal an eine Branche, in der es bei vielen, die als letzte Glieder in einer unter enormen Preisdruck stehenden Verwertungskette agieren müssen und von denen viele den Druck als Lohndruck und in Form von massiven Verstößen gegen rechtliche Bestimmungen an die allersschwächsten Glieder, also den Paketboten, weitergeben. Das wird die Unsicherheitszone für die Auftraggeber an der Spitze der Pyramide, die bislang ihre Hände auf dem Papier in Unschuld waschen konnten, erhöhen.« Allerdings wurde dann sogleich darauf hingewiesen: »Paketdienste sollen für ihre Subunternehmer haften, wenn diese die Sozialbeiträge für ihre Fahrer nicht korrekt abgeführt haben … Aber das Zauberwort lautet: Wenn. Denn eine gesetzliche Vorschrift führt bekanntlich nicht annähernd automatisch dazu, dass sie auch eingehalten wird. Gerade in einem Bereich wie den Paketdiensten mit den dort vorherrschenden Rahmenbedingungen wird das nur dann eine Wirkung entfalten können, wenn die Einhaltung der Bestimmungen a) umfassend kontrolliert und b) damit verbunden eine die Unternehmen (sowohl die Auftraggeber wie die Subunternehmen) empfindlich treffende Sanktionierung erfolgt, die eine möglichst starke abschreckende Wirkung entfalten muss … Und wenn a) oder b) oder noch schlimmer, aber realistischer a) und b) nicht erfüllt sind oder werden können, dann nützt jedes noch so schöne Gesetz in praxi nichts oder nur punktuell. Man muss das Vorhaben also anders als in vielen aktuellen Berichten und daraus abgeleiteten Jubelmeldungen nicht vom Anfang, sondern vom notwendigen Ende der Gesetzgebungskette her denken.« Und aufgrund von Konstruktionsfehlern in dem vielleicht gut gemeinten, aber schlecht gemachten Schutzgesetz, beispielsweise hinsichtlich der unbedingt erforderlichen Arbeitszeitkontrolle, wurde hier bereits im Gesetzgebungsverfahren davor gewarnt, dass sich das als ein Tiger herausstellen wird, der dann als Bettvorleger hart aufschlägt. So ist es dann auch weitgehend passiert.

Bei den Paketdiensten gibt es drei Klassen von Beschäftigten: Eigenbeschäftigte, bei Subunternehmen Beschäftigte und Solo-Selbständige. Die Anzahl der tariflich abgesicherten und beim Paketdienstleister eigenbeschäftigten Zusteller ist dabei sogar rückläufig. »In der Branche hat die prekäre Beschäftigung inzwischen ein unerträgliches Maß angenommen«, wird Andrea Kocsis von Verdi zitiert. »Kontrollen des Zolls belegen Sozialversicherungsbetrug, Unterschreiten des Mindestlohns, Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung sowie systematischen Betrug an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die bei Subunternehmen beschäftigt sind und häufig aus Osteuropa kommen.«

Seit vielen Jahren wird das Subunternehmerunwesen bei den Paketdiensten kritisiert und die Verhältnisse dort waren ja auch Treiber des Paketbotenschutzgesetzes gewesen. Daran hat sich aber nicht viel geändert, so Jens Eberl in seinem Artikel Wenn der Postmann millionenfach klingelt, in dm er Stefan Thyroke, Bereichsleiter Logistik bei der Gewerkschaft Verdi, mit diesen Worten zitiert: „Bei Hermes arbeiten beispielsweise 11.000 Fahrerinnen und Fahrer ausschließlich bei Subunternehmen. Bei DPD sind gerade mal 600 fest angestellt – 11.000 hingegen bei Subunternehmen“.

Wenn es um ein „System der Ausbeutung“ geht, darf Amazon nicht fehlen

»Besonders harsch kritisiert Kocsis den weltgrößten Online-Händler Amazon. Er lässt seine vielen Sendungen von verschiedenen Paketdiensten zustellen, baut aber auch in Deutschland nach und nach ein eigenes Logistikgeschäft auf. In den USA oder Großbritannien beispielsweise zählt Amazon selbst schon zu den drei größten Paketdiensten, wie der internationale Postdienstleister Pitney Bowes berichtet. Hierzulande arbeite Amazon in der eigenen Zustellung mit vielen selbständigen Fahrern, kritisiert Verdi«, so Benedikt Müller-Arnold in seinem Artikel Verdi kritisiert „unerträgliche“ Arbeitsverhältnisse der Paketzusteller. »Von Amazon-Standorten will die Gewerkschaft erfahren haben, dass sogenannte Flex-Zusteller Paketmengen ausfahren müssten, die „überhaupt nicht zu bewältigen“ seien. Fahrer erhielten teilweise pauschale Tagessätze von 75 Euro, müssten dafür aber von acht Uhr morgens bis in den frühen Abend hinein schuften. Wenn sie krank sind oder Urlaub nehmen, erhielten sie kein Geld.« Ein „System der Ausbeutung“ nennt das die Gewerkschaft Verdi, was von dem Unternehmen natürlich bestritten wird. »Wir vergüten auch unsere Lieferpartner entsprechend, damit sie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gut bezahlen können. Wir führen regelmäßig Audits und Untersuchungen durch und ergreifen Maßnahmen, wenn wir feststellen, dass dies nicht der Fall ist«, so wird ein Amazon-Sprecher zitiert. Und auch dieser Textbaustein, den wir schon aus früheren Jahren von allen anderen Paketdiensten kennen, darf nicht fehlen: »Die Lieferpartner seien vertraglich verpflichtet, alle geltenden Gesetze einzuhalten, insbesondere in Bezug auf Löhne, Sozialabgaben und Arbeitszeiten.«

Und von Amazon wird diese Aussage berichtet: »Die kritisierten Flex-Modelle würden nur bei Personen angewandt, die lediglich ab und zu für Amazon arbeiten wollten, beispielsweise Studenten, so das Unternehmen.«

Dazu findet man aber an anderer Stelle: »Obwohl sich der frühere Buchhändler in Interviews und ganzseitigen Anzeigenkampagnen als gütiger Arbeitgeber inszeniert, fährt Amazon-Deutschland-Chef Ralf Kleber hinter den bunten Kulissen in einem Graubereich: Vor allem junge Männer aus Bulgarien, Rumänien und anderen mittel- und osteuropäischen Staaten werden … als Solo-Selbständige engagiert. Für diese gelten keine Arbeitszeitenregeln, keine Mindestlohnpflichten, ihre Arbeitskraft ist billig zu kaufen.«

Nicht nur die Gewerkschaft spricht mit Blick auf das expandierende Flex-Modell von Amazon von „Solo-Scheinselbständigen“. Da die Zusteller in die Betriebsabläufe eingebunden seien, Hardware und Software des Unternehmens nutzten und Anweisungen befolgen müssten, müssten sie sozialversicherungspflichtig angestellt werden. Und wieder einmal, wie in anderen Branchen, in denen Scheinselbstständigkeit ausgenutzt wurde, dauert es unendlich lange, bis in Deutschland die eigentlich zuständigen Behörden in Bewegung kommen – und wenn sie tätig werden, dann fehlen oftmals die gesetzlichen Grundlagen, um diesem missbräuchlichen Verhalten einen Riegel vorschieben zu können. Vor diesem Hintergrund verwundert es dann auch nicht, dass die Gewerkschaft Verdi das macht, was bereits seit Jahren vorgetragen wird: Sie »fordert von der neuen Bundesregierung ein entschlossenes Vorgehen gegen fragwürdige Arbeitsbedingungen in der Branche. Der Zoll müsse Sozialversicherungsbetrug, Unterschreiten des Mindestlohns, Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung verstärkt kontrollieren. Die Sozialversicherungsträger fordert ver.di auf, mehr Betriebsprüfungen vorzunehmen, um scheinselbstständige Beschäftigungsverhältnisse zu beenden«, berichtet Jens Eberl in seinem Artikel.

Bei dem Streit über die Frage, ob es sich bei dem Amazon-Modell um eine bewusste Inanspruchnahme von Scheinselbstständigkeit handelt, geht es nicht nur darum, dass die Fahrer wenigstens den Mindestlohn erhalten und dass für sie Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden. Darüber hinaus geht es auch um Arbeitsbedingungen. »Die Zahl der auszuliefernden Pakete beträgt bis zu 300 Stück pro Tag und ihre Gewichte steigen immer mehr – bis zu 31,5 Kilogramm pro Gebinde sind erlaubt. Zunehmend wird nach den Erfahrungen der Betriebsräte im Pkw und ohne Sackkarre zugestellt, was dem »Muskel-Skelett-System« der Betroffenen schade«, so Hermanns Pfeiffer in seinem Bericht.

Und man sollte einen Aspekt nicht vergessen – der bekannt aggressive Expansionskurs, den Amazon jetzt auch beim Aufbau eines eigenen Zustelldienstes an den Tag legt, hat enorme Rückwirkungen auf die anderen Paketdienste, die – noch – weitaus größere Marktanteile haben. Dazu als ein Beispiel:

»Die prekären Bedingungen in diesem Teil der Branche setzt selbst die Anbieter unter Druck, die vor allem festangestellte Zusteller haben. „Der Kostendruck durch Mitbewerber wie Amazon wird immer stärker und führt dazu, dass andere sich anpassen müssen“, sagt etwa Hartmut Schul, Gesamtbetriebsratsvorsitzender von FedEx. Als im Mai der Haustarifvertrag von FedEx in Deutschland auslief, habe sich das Unternehmen wegen des steigenden Kostendrucks gegen eine Verlängerung gesperrt. Nun arbeiten die FedEx-Beschäftigen stattdessen nach den Bedingungen der Logistikflächentarifverträgen, sagt Schul. Für viele Angestellte bedeute das eine Verschlechterung beim Arbeitsschutz und auch den Finanzen«, berichtet Jacqueline Goebel in ihrem Artikel „Missstände wie in der Fleischindustrie“. Der Querverweis auf eine andere Branche – die Fleischindustrie – könnte aufzeigen, wo man ebenfalls ansetzen könnte: Bei einem Austrocknen des Subunternehmerunwesens. Die Paketzusteller sollten schlichtweg dort arbeiten, wo mit ihnen Umsatz und Gewinn gemacht wird, also bei den Paketdiensten selbst. Und dann mindestens mit einem allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag. Also nur mal so als Gedanke.

Aber wenn die Paketzusteller mittlerweile händeringend gesucht werden, dann sind wenigstens die Löhne ordentlich gestiegen. Oder?

Jeder, der halbwegs aufmerksam durchs Arbeitsleben geht, muss mitbekommen haben, dass es den Paketdiensten bzw. den vielen kleinen Subunternehmen, die sich hier tummeln, immer schwerer fällt, überhaupt noch irgendwelche Arbeitskräfte rekrutieren zu können, die bereit sind, zu den immer noch vorherrschenden Arbeitsbedingungen den Rücken krumm zu machen. Dann muss aber nach allen Regeln der Ökonomie wenigstens der Preis für den Faktor Arbeit, also der Lohn, reagiert haben. Die Löhne müssten gestiegen sein.

Könnte man durchaus naheliegend denken. Und dann muss man so etwas lesen: »Der Online-Handel boomt besonders in der Corona-Krise – und auch zu Weihnachten 2021 erreicht er wieder Höchststände. Doch diejenigen, die die Pakete und Geschenke zu den Bestellern nach Hause bringen, haben trotz vielfacher Kritik seit mehr als zehn Jahren keine Lohnsteigerungen erfahren.« Das berichtet Birgit Marschall unter der Überschrift 17 Euro brutto pro Stunde. »Der durchschnittliche Brutto-Stundenlohn der Beschäftigten in der Kurier-, Express- und Paketbranche (KEP) lag im vergangenen Jahr bei 17,13 Euro ohne Sonderzahlungen. Die Paketzusteller verdienten damit im Jahr 2020 nicht mehr als im Jahr 2009.«

Die Zahlen stammen aus dieser Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf eine Anfrage der Linken-Fraktion im Bundestag:

➔ Entwicklung der Löhne und Arbeitsbedingungen in der Brief- und Paketzustellungsbranche, Bundestags-Drucksache 20/299 vom 17.12.2021

»Der Antwort zufolge gab es 2020 gegenüber dem Jahr 2009 einen Nominallohnanstieg von nur 0,1 Prozent. Berücksichtigt man die Inflation in den zurückliegenden zwölf Jahren, bedeutete das für die Zusteller einen Kaufkraftverlust von knapp 13 Prozent.« Und weiter: »Vollzeitbeschäftigte in der KEP-Branche lagen damit 2020 bei nur knapp 73 Prozent des gesamtwirtschaftlichen Durchschnitts, wie aus der Antwort des Ministeriums hervorgeht. Und 43 Prozent aller Beschäftigten der Post-, Kurier und Expressdienste erhielten im Jahr 2018 einen Niedriglohn von weniger als 11,05 Euro die Stunde brutto, heißt es in der Antwort.«

Man kann den Daten auch ein erhebliches Lohngefälle zwischen tarifgebundenen und nicht-tarifgebundenen KEP-Unternehmen entnehmen: »Das durchschnittliche Monatsgehalt (ohne Sonderzahlungen) von Vollzeitbeschäftigten in tarifgebundenen KEP-Unternehmen lag im Jahr 2020 mit 3.013 Euro brutto um 561 Euro höher als in nicht-tarifgebundenen KEP-Unternehmen.« Und dieses Lohngefälle ist seit 2009 größer geworden: Im Jahr 2009 lag die Differenz noch bei 330 Euro im Monat.