In „der“ Pflege wird jetzt überdurchschnittlich verdient. Ist das so? Ein Blick auf die Lohnentwicklung in der Kranken- und Altenpflege und was die Zahlen (nicht) aussagen

Bei den vielen negativen Schlagzeilen, die uns in dieser Zeit aus den einzelnen Bereichen der pflegerischen Versorgung erreichen, ist man dankbar für positive Nachrichten. Wie wäre es mit so einer? In der Pflege wird überdurchschnittlich verdient. Wir erfahren, dass der bpa, also der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste, aktuelle Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) zur Vergütung von Pflegekräften kommentiert. „In der Altenpflege wird überdurchschnittlich verdient. Diese gute Entwicklung haben Unternehmen und Träger in der Pflege in den vergangenen Jahren ganz ohne Eingriffe der Politik geschafft.“ Mit diesen Worten wird bpa-Präsident Bernd Meurer in dem Artikel zitiert.

Also funktioniert er doch, „der“ vielbeschworene Markt. Wenn flächendeckend über einen Mangel an Pflegekräften geklagt wird und wir gleichzeitig gerade in der Langzeitpflege eine steigende Nachfrage bei einem gleichbleibendem oder sogar abnehmenden Angebot haben, dann muss nach allen ökonomischen Grundregeln der Preis, in diesem Fall also der Lohn, nach oben gehen, wenn denn das Modell stimmt. Offensichtlich werden wir Zeugen, dass das auch funktioniert. Schauen wir aber sicherheitshalber einmal in die Originaldaten, die zu solchen frohen Botschaften geführt haben. Und dann ergibt sich wie so oft ein differenziertes Bild.

Ausgangspunkt für die neuen Meldungen zur Lohnentwicklung der Pflegekräfte ist diese Veröffentlichung aus dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit:

➔ Jeanette Carstensen, Holger Seibert und Doris Wiethölter (2021): Entgelte von Pflegekräften 2020, Nürnberg: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 29. September 2021

Das IAB hat bei der Vorstellung des neuen Zahlenberichts eine anders gelagerte Botschaft in den Vordergrund gestellt: Seit Jahren liegt die Bezahlung in der Altenpflege unter dem Durchschnitt aller Beschäftigten und gleichzeitig deutlich unter den Löhnen in der Krankenpflege. Die Entgelte in der Krankenpflege sind seit 2012 weitgehend entsprechend der allgemeinen Lohnentwicklung gestiegen, in der Altenpflege waren die Steigerungen leicht überdurchschnittlich. Das trifft für Helfer- sowie Fachkrafttätigkeiten in beiden Bereichen zu. Dadurch wurden die Lohnunterschiede zwischen Alten- und Krankenpflege über die Zeit etwas geringer, sind aber immer noch sehr ausgeprägt.

Am Anfang der Publikation von Carstensen et al. (2021) können wir lesen: »Der Pflegebranche fehlen akut Fachkräfte. In der aktuellen Corona-Krise hat sich die Lage noch einmal deutlich verschärft. Als eine Ursache für den Fachkräftemangel werden u. a. zu niedrige Gehälter angeführt. Seit dem Jahr 2012 sind die Entgelte in der Krankenpflege weitgehend entsprechend der allgemeinen Lohnentwicklung gestiegen, in der Altenpflege waren die Steigerungen überdurchschnittlich.«

Bevor man sich die Zahlen genauer anschaut, muss man hervorheben, was und vor allem wen hier die Arbeitsmarktforscher betrachtet haben:

Die hier vorgenommenen Entgeltanalysen beziehen sich auf Vollzeitbeschäftigte in den folgenden vier häufigsten Berufsgattungen in den Pflegeberufen (Stichtag 31.12.2020):
• Helferberufe in der Krankenpflege
• Fachkraftberufe in der Krankenpflege
• Helferberufe in der Altenpflege
• Fachkraftberufe in der Altenpflege
Bedeutsam ist der Hinweis, dass hier ausschließlich Daten von Vollzeitbeschäftigten ausgewertet wurden: »Insgesamt konnten die Entgelt-Daten von über 446.200 Fachkräften sowie ca. 139.800 Helfern in den ausgewählten Pflegeberufen in Vollzeit-Beschäftigungsverhältnissen ausgewertet werden. Zu berücksichtigen ist, dass wegen des hohen Anteils an Beschäftigten in Teilzeit nur ca. 45 Prozent der in den ausgewählten Pflegeberufen Beschäftigten in die Analysen einfließen.« (Carstensen et al. 2021: 9)
Ebenfalls von Bedeutung ist der statistische Hinweis, dass es sich bei den berichteten „Durchschnittswerten“ richtigerweise nicht um das arithmetische Mittel handelt, das bekanntlich sehr empfindlich ist gegenüber Ausreißer nach oben, sondern dargestellt werden die Median-Entgelte, also 50 Prozent der Entgelte liegen unter und die anderen 50 Prozent über den ausgewiesenen Median-Wert, was den Vorteil hat, dass einige wenige Ausreißerwerte nach oben nicht den durchschnittlichen Wert mit nach oben ziehen (können).

Zugleich werden nicht nur die Entgelte analysiert, die am Jahresende 2020 beobachtet wurden, sondern man hat die Entwicklung der Löhne seit 2012 in die Analyse einbezogen. Und mit Blick auf die durchschnittliche Entwicklung der Vergütungen seit 2012 bilanziert das IAB:

»Fachkräfte in der Krankenpflege verdienen im Dezember 2020 mit durchschnittlich 3.645 Euro mehr als alle Beschäftigten auf dem Anforderungsniveau der Fachkräfte (Berufe insgesamt) mit 3.166 Euro. Das Medianentgelt für Helfertätigkeiten in der Krankenpflege beläuft sich auf 2.755 Euro und liegt damit ebenfalls über dem durchschnittlichen Niveau aller Beschäftigten auf Helferniveau (2.357 €).
Fachkräfte in der Altenpflege verdienen erstmals mit einem mittleren Lohn von 3.174 Euro etwas mehr als alle beschäftigten Fachkräfte (3.166 €). Helfertätigkeiten in der Altenpflege schneiden im Vergleich am schlechtesten ab. Sie verdienen im Mittel 2.241 Euro und damit 514 Euro weniger als Helferberufe in der Krankenpflege bzw. fast 5 Prozent weniger im Vergleich zum Medianentgelt aller Beschäftigten auf Helferniveau (2.357 €).«

»Gegenüber 2012 sind die Entgelte für Fachkräfte in der Altenpflege um gut 34 Prozent gestiegen. In der Krankenpflege erzielen die Fachkräfte 2020 dagegen um ca. 23 Prozent höhere Entgelte als noch 2012. Die mittleren Entgelte aller Fachkraftberufe erhöhten sich um 19 Prozent.«

Der Unterschied zwischen Kranken- und Altenpflege wird etwas kleiner, aber bleibt erheblich mit mehreren hundert Euro pro Monat

Die Lohnabstände zwischen den Fachkräften in der Krankenpflege und denen in der Altenpflege haben sich seit 2012 zwar verringert, die Löhne der Fachkräfte in der Altenpflege liegen 2020 aber noch immer um 12,9 Prozent bzw. 471 Euro unter dem Medianlohn der Krankenpflegefachkräfte.

Und wie sieht es bei den Hilfskräften in der Pflege aus?

Dazu schreiben die IAB-Forscher: »Die Entgelte für Helferberufe in der Altenpflege erhöhten sich seit 2012 um 33 Prozent, für Helfertätigkeiten in der Krankenpflege stiegen sie um 21 Prozent … Im Vergleich ist die Entlohnung aller Vollzeitbeschäftigten auf Helferniveau zwischen 2012 und 2020 um rund 17 Prozent angestiegen. Auch bei den Helfertätigkeiten in der Altenpflege haben sich die Lohnabstände zu denen in der Krankenpflege verringert, sie liegen aber noch immer um 19 Prozent bzw. 514 Euro auseinander.«

Weiterhin teilweise erhebliche regionale Lohndifferenzen schon auf der Ebene der Bundesländer

Die regionalen Entgeltunterschiede sind wie schon in der Vergangenheit noch immer erheblich – was allerdings nicht nur für die Pflegeberufe gilt, sondern für das gesamte Lohngefüge in der gesamten Wirtschaft. Dazu gehört auch der weiterhin vorhandene Ost-West-Unterschied:

»So verdienen Beschäftigte (alle Berufe) in Ostdeutschland 2020 im Schnitt 18 Prozent weniger als in Westdeutschland. Bei Fachkräften sind es 19 Prozent, bei Helferberufen 15 Prozent weniger. Diese Ost-West-Kluft besteht auch in den Pflegeberufen, fällt prozentual aber etwas geringer aus.« Dazu diesen beiden Tabellen, in denen die auf der Ebene der Bundesländer gemessenen regionalen Lohnunterschiede für die Fach- und Hilfskräfte abgebildet werden:

Das mittlere Bruttoentgelt der Fachkräfte in der Altenpflege liegt in Ostdeutschland fast 11 Prozent unter demjenigen in den westdeutschen Bundesländern. Fachkräfte in der Krankenpflege erhalten im Osten im Mittel ca. 8 Prozent weniger als im Westen. Auch bei den Helferberufen liegt der Westen vorn: Helfertätigkeiten in der Altenpflege in Ostdeutschland erzielen im Mittel gut 9 Prozent weniger Lohn als im Westen. Bei Helferberufen in der Krankenpflege sind es sogar 15 Prozent weniger. Für alle Beschäftigten auf Helferniveau liegt der Entgelt-Unterschied zwischen Ost und West ebenfalls bei 15 Prozent.

Zum Ausmaß der regionalen Unterschieden im Lohngefüge schreiben Carstensen et al. (2021): »Bei den Fachkräften in der Altenpflege etwa liegt die Spannweite bei 26 Prozent zwischen 2.736 Euro in Sachsen-Anhalt und 3.446 Euro in Baden-Württemberg, bei den Fachkräften in der Krankenpflege bei 20 Prozent zwischen 3.245 Euro in Brandenburg und 3.894 Euro im Saarland.« Noch krasser sind die Unterschiede auf dem Helferniveau:

»Die Unterschiede fallen in den Tätigkeiten auf Helferniveau in der Krankenpflege mit 40 Prozent nochmals höher aus (Mecklenburg-Vorpommern: 2.157 Euro vs. Rheinland-Pfalz: 3.003 Euro …). Bei den Helferberufen in der Altenpflege ist der Unterschied geringer (23 %; Sachsen- Anhalt: 2.021 Euro vs. Nordrhein-Westfalen: 2.480 Euro).«

Wir sehen also eine Spreizung des Lohngefüges

a) zwischen der Kranken- und der Altenpflege
b) zwischen den Bundesländern

Hinzu kommt eine dritte Dimension: Es gibt teilweise erhebliche Unterschiede zwischen den Teilbereichen Krankenhauspflege sowie den stationären Einrichtungen und den ambulanten Diensten in der Altenpflege:

Das Ausmaß der Lohnspreizung ist mit Blick auf diese Dimension massiv: Für alle vier betrachteten Pflegeberufe gilt, dass sie in Krankenhäusern die höchsten Entgelte erzielen, in der ambulanten Pflege die niedrigsten. So verdienen z. B. Fachkräfte in der Krankenpflege in Westdeutschland im Mittel 3.831 Euro, wenn sie in Krankenhäusern beschäftigt sind. Arbeiten sie hingegen in der ambulanten Pflege, verdienen sie ca. 850 Euro weniger. Bei der Ursachensuche verweist das IAB auf diese Aspekte: »Diese ausgeprägten Unterschiede sind einerseits in den unterschiedlichen Versicherungssystemen zu suchen (Krankenversicherung vs. Pflegeversicherung), daneben aber auch in der Betriebsgröße (und damit in Tarifbindung und Mitarbeitervertretung) sowie der Trägerschaft der jeweiligen Einrichtungen (privat, gemeinnützig, öffentlich).«

Was muss man bei der Interpretation dieser Zahlen beachten?

Dazu bereits meine Ausführungen in dem Beitrag Neue Zahlen über den mittleren Verdienst eines Teils der Pflegekräfte in den Krankenhäusern, Pflegeheimen und ambulanten Pflegediensten vom 4. November 2020, in der die Daten für 2019 behandelt wurden:

Man sollte sich allerdings bewusst sein, was die hier präsentierten Gehaltsangaben (nicht) aussagen. Immer wieder gibt es die bekannte Sehnsucht nach der einen Zahl, die man verwenden kann: Wie viel bekommt eine Pflegekraft, die im Krankenhaus oder in einem Pflegeheim arbeitet? Wie viele Pflegekräfte fehlen derzeit in Deutschland? Um nur mal zwei Beispiel zu nennen, mit denen man gerade von Seiten der Medien immer wieder konfrontiert wird. Aber die wirkliche Wirklichkeit ist weitaus vielschichtiger und komplizierter.

Man kann das an den hier verwendeten Daten zum mittleren Einkommen der Pflegekräfte verdeutlichen. In den methodischen Erläuterungen merkt das IAB an: »Die Entlohnung von Pflegekräften wird in dieser Untersuchung durch die Bruttoarbeitsentgelte ermittelt, die im Meldeverfahren zur Sozialversicherung erhoben werden. Diese Angaben entsprechen den tatsächlichen Zahlungen der Arbeitgeber, wobei nur die steuerpflichtigen Sonderzahlungen und Zuschläge für Nachschichten sowie Sonn- und Feiertagsdienste einfließen.« Das nun wieder ist gerade im Pflegebereich von Bedeutung, denn: »Der steuerfreie Anteil der Zuschläge wird den Sozialversicherungsträgern nicht übermittelt und findet demnach in dieser Analyse keine Berücksichtigung.«

Aber von besonderer Bedeutung ist der folgende Hinweis: »Da für die Teilzeitbeschäftigten keine Angaben zur vereinbarten Stundenzahl vorliegen, können sich die Analysen nur auf die Vollzeitbeschäftigten (ohne Auszubildende) beschränken.« Nun wird der eine oder andere richtigerweise anmerken, dass das allerdings eine erhebliche Einschränkung der Daten bedeutet, wenn man daran denkt, dass gerade im Pflegebereich nicht nur viele Frauen, sondern auch sehr viele Teilzeitbeschäftigte unterwegs sind. Darauf weisen die Wissenschaftler vom IAB auch deutlich hin: »Insgesamt konnten die Entgelt-Daten von über 435.000 Fachkräften und 134.000 Helfern in den Pflegeberufen mit Vollzeit-Beschäftigungsverhältnissen ausgewertet werden. Zu berücksichtigen ist, dass wegen des hohen Teilzeitanteils nur 45 Prozent der Beschäftigten in den ausgewählten Pflegeberufen in die Analysen einfließen. Die vielen Teilzeitbeschäftigten in der Pflege erreichen gegenüber den hier ausgewiesenen Vollzeitlöhnen entsprechend niedrigere Lohnpositionen.«

➔ In den ambulanten Pflegediensten haben wir einen Teilzeitanteil von 70 Prozent, in den Pflegeheimen von über 60 Prozent.

Und dann noch dieses Durchschnittsproblem …

Durchschnitte sollen bekanntlich eine komplexe Datenlage vereinfachen und auf eine Zahl verdichten – aber das kann zuweilen auch nach hinten losgehen. So glauben dann viele (selbst und nicht selten gerade Wissenschaftler), dass „die“ Fachpflegekräfte in der Altenpflege 3.032 Euro brutto im Monat bekommen. Das ist ja der auch hier ausgewiesene mittlere Wert. Aber sogleich wird es selbst viele Vollzeitkräfte, denn nur deren Verdienste gehen ein in den mittleren Wert (hier wird völlig richtig der Median verwendet, also 50 Prozent verdienen weniger und 50 Prozent verdienen mehr als den Medianwert, nicht das arithmetisches Mittel, das besonders empfindlich ist gegen Ausreißerwerte, so dass einige wenige Fälle mit sehr hohen Einkommen den Durchschnittswert viel stärker nach oben ziehen als das beim Medianwert passieren kann), geben, die sich verwundert die Augen reiben und die dann darauf hinweisen, dass sie selbst viel weniger Geld bekommen für ihre Arbeit. Statistisch und darüber hinaus ganz praktisch gesehen ist hier entscheidend: Auf die Streuung der vielen Einzelwerte kommt es an, die alle in den Durchschnitt oder den mittleren Wert einfließen. Wenn wir also eine Lohnverteilung hätten, bei der es eine starke Streuung der Einzelwerte gibt, dann kann ein durchschnittlicher Wert zuweilen mehr verdecken als er an Aufklärung bringt. 

In der hier vorgestellten Publikation des IAB gibt es keine Hinweise auf die Streuung der Werte. Um einen ersten Eindruck von der tatsächlichen Streubreite zu vermitteln, habe ich mir die Daten aus dem Entgeltatlas der BA angeschaut, wo ebenfalls mit den Angaben aus der Beschäftigungsstatistik gearbeitet wird. Daraus ergibt sich dann das folgende Bild:

So kann man diesen Zahlen entnehmen, dass immerhin jede vierte Fachkraft in der Altenpflege in Deutschland, die in Vollzeit arbeitet, weniger als 2.600 Euro brutto im Monat mit nach Hause bringt. 

Das passt dann leider auch zu solchen Feststellungen (vgl. dazu den Beitrag Das kann es doch gar nicht geben: Ein Anstieg der Arbeitslosigkeit unter den Pflegekräften. Anmerkungen zu einem scheinbaren Widerspruch – und zu den immer noch vielen Niedriglöhnern in den Pflegeberufen vom 26. August 2020): 

Mehr als jede vierte Pflegekraft in Deutschland zählt zum Niedriglohnsektor. Als Niedriglohn gilt eine Entlohnung, die weniger als zwei Drittel des durchschnittlichen Stundenlohns von Vollzeitbeschäftigten beträgt. 28,3 Prozent der Altenpflegerinnen und Altenpfleger fallen laut den Zahlen der Bundesagentur in diese Kategorie. Im Osten Deutschlands liegt der Anteil demnach mit 40,7 Prozent deutlich höher, im Westen beträgt er 25,3 Prozent. Betroffen sind besonders Helfer in der Altenpflege, die keine Fachausbildung absolviert haben. Hier betrage der Niedriglohnanteil bundesweit 58 Prozent und in Ostdeutschland sogar 78,5 Prozent.