„Ende des Riester-Booms„, so die Süddeutsche Zeitung. Oder „Riester-Rente droht zu scheitern„, so die Berliner Zeitung. Keine schönen Schlagzeilen für den finanzindustriellen Komplex. Die private Altersvorsorge in Gestalt der mit erheblichen staatlichen Mitteln geförderten „Riester-Rente“ ist schon seit längerem unter Beschuss.
Bereits Ende 2011 meldete sich – um nur ein Beispiel von vielen zu zitieren – das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin zu Wort: DIW fordert grundlegende Reform der Riester-Rente: „Rendite oft so schlecht wie beim Sparstrumpf“. In einem ausführlichen Wochenbericht des DIW wurde das Thema behandelt: Riester-Rente: Grundlegende Reform dringend geboten, so der Titel der Publikation, an der u.a. Axel Kleinlein mitgearbeitet hat. Ein Befund damals: Riester-Sparer erzielen in vielen Fällen nur so viel Rendite, als hätten sie ihr Kapital im Sparstrumpf gesammelt. Und viele 2011 vereinbarte Riesterverträge, so berechneten die Forscher, führen zu einer schlechteren Rendite als noch 2001 geschlossene Verträge. Anschaulich illustriert Kornelia Hagen, die DIW-Expertin für Verbraucherpolitik, die Problematik: „Eine 35-jährige Frau, die heute einen Riestervertrag abschließt, muss – wird die Rendite auf die garantierte Rentenleistung und Überschüsse bezogen – mindestens 77 Jahre werden, um allein das herauszubekommen, was sie selbst eingezahlt und was sie an Zulagen vom Staat erhalten hat. Möchte diese Frau auch einen Inflationsausgleich und höhere Zinsen erwirtschaften, müsste sie sogar ihren 109. Geburtstag erleben“. Hört sich nach einem schlechten Geschäft an.
Zu einer vergleichbar schlechten Bewertung kam zum gleichen Zeitpunkt Carsten Schröder in der Expertise „Riester-Rente: Verbreitung, Mobilisierungseffekte und Renditen“ für die Friedrich-Ebert-Stiftung. Lesenswert ebenfalls die Studie von Axel Kleinlein „Zehn Jahre „Riester-Rente“. Bestandsaufnahme und Effizienzanalyse„, die ebenfalls von der Friedrich-Ebert-Stiftung Ende 2011 veröffentlicht wurde. Wer es lieber bildlich hat, dem sei die Anfang 2012 ausgestrahlte ARD-Dokumentation über die „Riester-Lüge“ empfohlen.
Aber zurück in die Gegenwart. Thomas Öchsner berichtet in der Süddeutschen Zeitung veröffentlichten Artikel: »Im ersten Quartal 2013 gab es weniger statt mehr staatlich geförderte Riester-Verträge. Die Zahlen gab das Ministerium aber diesmal nicht – wie zuvor die älteren Riester-Bilanzen per Pressemitteilung – bekannt, sondern stellte sie bislang von der breiten Öffentlichkeit unbemerkt auf die eigene Homepage”. Was ist das Neue?
Erstmals seit Einführung der Riester-Rente im Jahr 2002 ist die Anzahl der bestehenden Verträge zurückgegangen, um insgesamt 27.000 auf 15,652 Millionen. Das Arbeitsministerium sieht „eine gewisse Marktsättigung“.
»Es könnte aber auch eine zunehmende Skepsis der Verbraucher geben, was eine andere, neue Zahl des Hauses von der Leyen zeigt: Mittlerweile ist danach geschätzt fast jeder fünfte (19,5 Prozent) der knapp 15,7 Millionen Verträge ruhend gestellt, es werden also keine Beiträge einbezahlt – und damit auch keine staatlichen Zulagen mehr in Höhe von jährlich 154 Euro (plus bis zu 300 Euro je Kind) bezogen. Ende 2011 hatte dies laut Bundesfinanzministerium nur auf 15 Prozent der Verträge zugetroffen«, so Öchsner in seinem Beitrag.
Sicher ist: Bereits 2012 schrumpfte der Absatz von Riester-Verträgen um 36 Prozent. Das ist natürlich schlecht aus Sicht der Finanzindustrie. Die vor diesem Hintergrund natürlich sofort „Reformen“ anmahnt, um das Geschäft wieder anzukurbeln: Die Politik solle die Zulagen dynamisieren und den steuerlich geförderten Höchstbetrag von 2100 Euro wie in der betrieblichen Altersversorgung auf vier Prozent der Beitragsbemessungsgrenze festsetzen, so eine der Forderungen. Die Versicherungslobbyisten vom GDV machen sich dafür stark, die Grundzulage von 154 Euro zu erhöhen. „Das wäre ein starkes Signal pro Riester-Rente“, hofft die Sprecherin des Verbandes. Ein teures Signal vor allem für den Steuerzahler, denn der muss das bezahlen und soll die Verkaufsmaschine der Finanzindustrie noch weiter schmieren als bislang schon. Eine noch weitgehend „unerschlossene“ Zielgruppe bietet sich hier an: »Von den gut 4,2 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit einem Bruttolohn von weniger als 1500 Euro haben 1,8 Millionen weder eine betriebliche Altersversorgung noch einen Riester-Vertrag«, so Öchsner. Da wäre doch noch was zu holen. Und wieder einmal wird ein Hemmnis für die Geringverdiener aufgeführt, das seit Jahren immer wieder als Problem beschworen wird: Ist ein früherer Geringverdiener mit einer gesetzlichen Minirente auf die staatliche Grundsicherung im Alter angewiesen, werden Auszahlungen aus einer Riester-Rente angerechnet. In solchen Fällen wurde quasi vergebens gespart. Und Öchsner zitiert die Bundesarbeitsministerin, die das ändern wolle. An dieser Stelle darf man dann mal fragen – warum habt ihr das dann nicht schon längst gemacht? Dieses Problem war schon am Anfang der nun auslaufenden Legislaturperiode bekannt und benannt, man hatte im Hause von der Leyen als vier Jahre Zeit, das zu ändern. Passiert ist nichts.
Timot Szent-Ivanyi berichtet in seinem Artikel „Riester-Rente droht zu scheitern“ in der Berliner Zeitung, wie einer der maßgeblichen Akteure, die den Teil-Systemwechsel in der Rentenversicherung Anfang der 2000er Jahre mit durchgesetzt haben, heute das Thema sieht: „Es war ein Fehler, dass bei der Rentenreform 2001 die Privatvorsorge nicht obligatorisch eingeführt wurde“, so wird Bert Rürup zitiert. Na klar, dass wäre dann die Idealform für die Versicherungswirtschaft, ein Abschlusszwang über die gesamte Bevölkerung hinweg. Aber auch Rürup weiß, dass sich die Menschen heute nicht mehr derart ausnehmen lassen würden: „Eine verpflichtende Riester-Rente ist heute politisch nicht mehr durchsetzbar“, so wird er in dem Artikel zitiert. Und das ist auch gut so, wenn man gleichzeitig die erhebliche Unwucht zuungunsten der Gesetzlichen Rentenversicherung, vor allem mit Blick auf das Rentenniveau, wieder korrigieren würde im Sinne einer Stärkung der umlagefinanzierten Rentenversicherung.
Aber Rürup wäre nicht Rürup, wenn er nicht trotzdem versuchen würde, eine Bresche für die Finanzindustrie zu schlagen, auch wenn er davon ausgeht, dass eine obligatorische Verpflichtung aller Bürger nicht durchsetzbar ist. Dann bleibt ja noch die große Gruppe der Arbeitnehmer, die sind ja schon an Zwangsversicherungen gewöhnt: „Denkbar ist aber – wenn die Tarifvertragsparteien mitspielen – jeden Arbeitnehmer entweder zum Abschluss einer Betriebsrente oder einer Privatrente zu verpflichten“, schlug Rürup vor. Und „natürlich“ plädiert auch Rürup dafür, den Höchstbetrag des geförderten Riestersparens anzupassen. Er liegt seit 2002 unverändert bei 2.100 Euro pro Jahr. Also mehr Fördermittel vom Staat.
Auch wenn man gerade vor dem Hintergrund der erkennbaren Trendwende beim Riester-Geschäft darauf hoffen kann, dass immer mehr Bürger erkennen, wer hier vor allem profitiert und dementsprechend mit den Füßen abstimmen, so bleibt dennoch die durch die damalige rot-grüne „Rentenreform“ aufgerissene Sicherungslücke im System der Gesetzlichen Rentenversicherung. Und die sollte wieder geschlossen werden. Berechnungen können zeigen, dass das im bestehenden System der Gesetzlichen Rentenversicherung sogar günstiger zu haben wäre als der Umweg über die geförderte private Altersvorsorge – für die Arbeitnehmer. Natürlich nicht für den finanzindustriellen Komplex. Der würde gerne weiter die Milliarden-Förderbeträge des Staates abgreifen. Kann man verstehen, muss man aber nicht auch noch unterstützen.