Wie ein Stück Fleisch. Tagelöhner, die sich auf dem Arbeiterstrich verkaufen und obdachlos sind. In München

Wir schreiben das Jahr 2006. Der SPIEGEL veröffentlicht einen Artikel mit dem Titel Wie ein Stück Fleisch von Markus Deggerich. Darin beschreibt er diese Szene vom Arbeiterstrich: »Meistens steigen sie nicht mal aus. Sie bremsen, mustern mit kalten Blicken in der Morgendämmerung die Wartenden am Straßenrand. Und wenn ihnen gefällt, was sie sehen, lassen sie langsam die Fensterscheibe runter und beginnen grußlos die Preisverhandlungen. Ein Tag, 50 Euro, bar auf die Hand, sagt der Fahrer im blauen Golf: „Nur für echte Kerle“, fügt er hinzu. 50 Euro sind viel Geld. Torsten Berne, 47, hebt die Hand und nickt. Und die sechs anderen Männer neben ihm auch. Einer ruft in gebrochenem Deutsch noch dazwischen „50 Euro für zwei Mann“. Aber der Golf-Fahrer entscheidet sich für Berne. Vielleicht, weil sich so starke Oberarme unter dem löchrigen Blaumann abzeichnen. Vielleicht, weil er Deutsch spricht.« Ein Beispiel von den Discount-Anbietern der Ware Arbeitskraft, damals eingefangen auf einem der „Abholmärkte für Arbeiter“, auf einem Parkplatz vor dem Treptower Park im Südosten Berlins. Und schon damals, im Jahr 2006, war klar, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt: »Auf 80.000 schätzen die Gewerkschaften die Zahl der Tagelöhner in Deutschland. Doch erfasst sind damit nur die „Sichtbaren“, wie die Statistiker erklären, jene, die sich legal mit Personalausweis und Steuerkarte bei den offiziellen Vermittlungsstellen der Arbeitsagenturen für Tagesjobs melden. Daneben gibt es noch das Heer der „Unsichtbaren“: die, ähnlich wie früher, am Arbeiterstrich stehen oder – immer öfter – sich über das Internet andienen.«
Das war vor zehn Jahren. Aber 2016?

Wir schreiben den 1. März des Jahres 2016 und man muss so eine Meldung aus München zur Kenntnis nehmen: Obdachlose Tagelöhner demonstrieren vor dem Rathaus. Aus einer so reichen, wohlhabenden Stadt, aber eben nicht für alle. Auch – und vielleicht gerade? – hier blüht der Handel mit der menschlichen Arbeitskraft aus den Kelleretagen unserer Arbeitsgesellschaft. Was ist los in München?
Inga Rahmsdorf berichtet in ihrem Artikel von Ahmed Maksud, der seit mehr als vier Jahren in München lebt.

»Er hat auf Baustellen gearbeitet und für Reinigungsfirmen, manchmal hat er seinen Lohn erhalten und manchmal nicht. Einen Arbeitsvertrag hat er fast nie bekommen. Seine Frau und seine drei Töchter wohnen in Bulgarien. Nachts schläft er in einem großen Raum der Bayernkaserne, wo die Stadt den Winter über im Kälteschutzprogramm für Menschen wie Maksud Schlafplätze zur Verfügung stellt.
Im Sommer übernachtet er auf der Straße, in Hauseingängen oder unter Büschen. Es sei schwer, ohne seine Familie zu leben, sagt er. Aber das Leben in Bulgarien ohne Arbeit und ohne Perspektive sei noch miserabler gewesen. Maksud ist EU-Bürger, er darf legal hier arbeiten, aber meist findet er nur Jobs in Schwarzarbeit.«

Ahmed Maksud steckt in einem Teufelskreis fest: »Ohne festen Arbeitsvertrag hat er in München so gut wie keine Chance auf eine Wohnung. Ohne Wohnung kann er sich nicht anmelden. Und ohne Anmeldung hat er auch keine Möglichkeit, ganzjährig einen Platz in einer Notquartier für Wohnungslose zu erhalten.«

Und weil er darin feststeckt, hat er an der Demonstration in der Schillerstraße in München teilgenommen, wo auch das Beratungszentrum für wohnungslose Migranten ist. 50 Demonstranten, überwiegend bulgarische Arbeiter, ziehen durch das Bahnhofsviertel, über den Rindermarkt bis vor das Rathaus. Die EU-Migranten wollen auf ihre Situation aufmerksam machen, ihre Kritik richtet sich dabei vor allem an die Stadt München.

Die Demonstration ist der Auftakt einer Kampagne, die EU-Migranten gemeinsam mit Initiativen organisiert haben. »Sie fordern, dass die Migranten ganztägig und ganzjährig an dem Programm für Wohnungslose teilnehmen können und dass sie sich auch ohne Wohnsitz in München anmelden können.«

Und das in einer Stadt, die wächst, wo Wohnraum knapp und teuer ist. Die offiziellen Zahlen sprechen ihre eigene Sprache:

»Derzeit geht die Stadt von insgesamt etwa 5400 wohnungslosen Menschen aus, 4600 von ihnen sind in Notquartieren, Pensionen, Clearinghäusern und Unterkünften von Wohlfahrtsverbänden untergebracht. Hinzu kommen etwa 200 bis 270 Flüchtlinge, die, obwohl sie anerkannt sind, noch in Gemeinschaftsunterkünften leben, weil sie keine Wohnung finden. Und weitere 550 Menschen leben auf der Straße, wobei das nur eine geschätzte Zahl ist.«

Um Wohnungslosenhilfe zu erhalten, muss man nicht nur nachweisen, dass man sonst nirgendwo einen Wohnsitz hat, sondern auch glaubhaft machen, dass man aus eigenen Mitteln und trotz eigener Bemühungen keine Wohnung finden kann, beschreibt Rahmsdorf in ihrem Artikel ein veritables Zugangsproblem für die betroffenen Menschen.

Schon im vergangenen Jahr gab es Berichte über den Umgang mit den Tagelöhnern in München – man könnte sich ja vorstellen, dass diesen Menschen, die nun wirklich ganz unten gelandet sind, besondere Hilfe zukommen lässt. Aber offensichtlich gibt es auch andere Varianten, wenn man diesem Artikel folgt: Stadt bezahlt Sicherheitsdienst gegen Tagelöhner:

»Tagelöhner sollen nicht an Häuserwänden lehnen oder in Hofeingängen herumstehen: Einige Geschäftsleute im Münchner Bahnhofsviertel fühlen sich durch ihre Anwesenheit massiv gestört und haben deshalb einen privaten Sicherheitsdienst engagiert. Nun übernimmt die Stadt einen Großteil der Kosten – bis zu 20 000 Euro jährlich, so hat es der Wirtschaftsausschuss einstimmig beschlossen.«

Einer dieser klassischen Konflikte: Die Geschäftsleute fühlen sich vor Ort belästigt und haben Angst, dass Kunden wegbleiben: „Die Kreuzung sowie anliegende Gebäude und Ladengeschäfte werden mittlerweile regelmäßig belagert von stetig wachsenden Mengen von Arbeitern“, so wurde es schon in einer Petition aus dem Jahr 2013 vorgetragen.

Und die andere Perspektive kann mit diesen Zeilen angerissen werden: »In den geregelten Münchner Arbeitsmarkt zu kommen, ist für die Männer und Frauen schwer, viele haben nicht einmal eine Bleibe und schlafen im Sommer in Parks oder in Hofeinfahrten. „Und dann kommt die Polizei und verhaftet uns“, sagt ein anderer, der seit vier Monaten in München ist. „Wir werden hier behandelt wie Straßenköter.“«

Aber auch das ist München: Man hatte damals nicht nur den hier angesprochenen Beschluss gefasst, den Sicherheitsdienst gegen die Tagelöhner mitzufinanzieren, sondern auch, dass von den Arbeitern und von Sozialverbänden seit langem geforderte Beratungscafé einzurichten. Aber beides ist ein verzweifeltes Abarbeiten an den Symptomen einer grundsätzlichen Problematik.

Man sollte die vielen vorliegenden Berichte aus der Schattenwelt des Arbeitsmarktes in unserem Land sorgfältig zur Kenntnis nehmen – und sie sollten zu Konsequenzen führen, für die, die von diesen Zuständen profitieren. Dazu beispielsweise – wieder mit Blick auf München – der Artikel Schuften zum Hungerlohn aus dem Sommer des vergangenen Jahres. Allein die Kurzfassung lässt einen erschaudern über die Zustände: »Für teilweise nur 68 Cent pro Stunde haben acht Rumänen anscheinend auf einer … Baustelle gearbeitet. Auch dieser spärliche Lohn sei ihnen teilweise nicht ausbezahlt worden. Jetzt werden die Arbeiter von der Tafel versorgt. Der Zoll ermittelt.«

Wir haben ein echtes Problem in der Schattenwelt der Arbeitsprostitution und der Staat hätte die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, für eine flächendeckende Inspektion zu sorgen, eine Arbeit, wie sie von einzelnen Initiativen oder dem DGB-Projekt Faire Mobilität hier und da gleistet wird, auf breite und verlässliche Füße zu stellen. Denn dabei muss es auch darum gehen, die Betroffenen nicht nur als schützenswerte Subjekte zum Gegenstand hilfreichen Handelns zu machen, sondern ihnen Unterstützung zu geben, sich selbst – mit anderen – zu wehren, Nein sagen zu können.

Jeder Mensch, der heute schon in diesen Kelleretagen unterwegs sein muss, ist einer zu viel. Aber was glaubt man eigentlich, was in diesem Schattenreich passieren wird, wenn nur einige der vielen Flüchtlinge keine Perspektive bekommen, irgendwo legal arbeiten zu können bzw. zu dürfen?

Mehr Wohnungslose und der Sog in die Stadt. Das Beispiel Stuttgart. Und in Berlin „lohnen“ sich wohnungslose Männer nicht mehr

Die Zahl der wohnungslosen Menschen wächst. Wie sich die Lage verschärft hat, zeigen die jüngsten Zahlen des Stuttgarter Sozialamts, über die Mathias Bury in seinem Artikel Deutlich mehr Wohnungslose in Stuttgart. So hatte die städtische Wohnungsnotfallhilfe noch vor einem Jahr etwa 3.400 Plätze in unterschiedlichen Einrichtungen belegt. Ende 2015 waren es aber schon rund 3.700. Das ist eine Zunahme von knapp neun Prozent.

Dabei fällt auf, dass ein Großteil der hilfesuchenden Menschen in Stuttgart von außerhalb der Stadt, aus der Region kommen. Offensichtlich sind wir hier mit einem Sogeffekt konfrontiert: Die baden-württembergische Landeshauptstadt hält eine umfangreiches, differenziertes Hilfsangebot vor, während in vielen Städten und Landkreisen um Stuttgart herum die Angebote für Betroffene und die Anstrengungen zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit offenbar unzureichend ausgeprägt sind.

Die Stadt muss einiges stemmen. Hier ein paar Zahlen:

»Exakt 1.904 Personen „mit besonderen sozialen Schwierigkeiten“ … leben in Unterkünften mit sozialpädagogischer Betreuung. Genau 666 Menschen, die unfreiwillig obdachlos geworden waren und ordnungsrechtlich untergebracht wurden, fanden in Hotels oder Sozialpensionen eine Bleibe. Dabei handelt es sich zumeist um Einzelpersonen, für die man schnell eine Lösung finden musste. Und 1.135 Personen, vor allem Familien, aber auch ältere Menschen und psychisch Kranke, waren in städtischen Fürsorgeunterkünften einquartiert.«

Das Sozialamt weist darauf hin, dass 49 Prozent der betroffenen Menschen ihre Wohnung vorher nicht in Stuttgart hatten. In den Landkreisen heißt es für gewöhnlich: es ziehe diese Menschen eben in die Großstadt. Von Seiten der Sozialplaner aus Stuttgart wird hingegen auf das spezielle differenzierte Hilfsangebot der Landeshauptstadt hingewiesen, insbesondere für Menschen mit besonderen Schwierigkeiten sowie mit Angeboten speziell für Frauen und für Jugendliche, das andernorts nicht vorhanden sei.

Mit den offensichtlichen Unterschieden zwischen Stadt und Land sowie den differierenden Hilfeangebote hat sich auch eine Studie für Baden-Württemberg befasst, in der die Wahrnehmung eines „Sog-Effekts“ auf Stuttgarter Seite bestätigt wird:

Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung: Wohnungslosigkeit in Baden-Württemberg. Untersuchung zu Umfang, Struktur und Hilfen für Menschen in Wohnungsnotlagen im Auftrag des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren Baden-Württemberg, Köln/Stuttgart 2015

Ein interessanter Befund in dieser Studie ist auch der Hinweis, dass in den Großstädten des Landes im Vergleich eine weitaus bessere Prävention gegen Wohnungslosigkeit erfolgt.

Die großen Kommunen greifen etwa bei Mietrückständen oder bei Suchtproblemen von Bürgern systematisch, frühzeitig und wirkungsvoll ein und können diesen dadurch die Wohnung häufig erhalten. »So konnten rund drei Viertel der Fälle (76,2 Prozent) der Bedrohungslagen abgewendet werden. In den kleineren Städten lag dieser Wert nur bei 46,8 Prozent, bei den Landkreisen bei 46,6 Prozent«, berichtet Bury in seinem Artikel. In den kleineren Städten wurden in 28,6 Prozent der Problemfälle keine wohnraumsichernden Aktivitäten unternommen, bei den Kreisen war dies sogar bei 36,5 Prozent der Notfälle so.

Mathias Bury kommentiert das eine hier erkennbare Grundproblem unter der Überschrift „Dringend die kommunale Pflichtaufgabe erfüllen“: »Es ist ein nicht ganz neues Thema, dass die Großstädte in den Ballungsräumen Lasten für ihr Umland zu tragen haben, für die sie von den Mittelstädten und Landkreisen keinen Ausgleich bekommen. Das gilt für verschiedene Felder der Infrastruktur, so zum Beispiel für den Bildungsbereich, das Gesundheitswesen oder auch für die Kultur … Die Debatte, wie dieser Konflikt zu lösen wäre, wie ein gerechter Lastenausgleich aussehen könnte, ist schon in vielen Metropolregionen nicht nur in Deutschland geführt worden. Mit mäßigem Erfolg.« Hinsichtlich der hier relevanten Problematik der Versorgung wohnungsloser Menschen fährt er leicht resignativ fort:

»Die Mittelstädte und Landkreise seien daran erinnert, dass die Wohnungslosenhilfe seit der Verwaltungsreform des Landes im Jahr 2005 zu ihren Pflichtaufgaben zählt.
Einfach im Speckgürtel gemütlich abwarten mit der Einstellung, die Landeshauptstadt wird sich mit ihrer leistungsfähigen Verwaltung der Sache schon annehmen, widerspricht nicht nur dem häufig hochgehaltenen Regionalgedanken.«

In der erwähnten Studie zur Wohnungslosigkeit für das baden-württembergische Sozialministerium gibt es eine ganze Reihe an Empfehlungen seitens der Gutachter (S. 11 ff.), darunter auch die nach einem „landesweiten Fachkonzept“, an dem dann die unterschiedlichen Gebietskörperschaften gemessen werden können.

Und nun von Stuttgart nach Berlin, der Hauptstadt, die sich selbst gerne als „arm, aber sexy“ titulieren lässt. Schauen wir also (auch) auf das Geld.

»In Berlin gibt es seit Jahren ein Haus für Wohnungslose. Jetzt wurde ihnen gekündigt, denn Geflüchtete bringen mehr Geld ein. Doch die Betroffenen wehren sich«, so beginnt ein Bericht von Erik Peter unter der Überschrift Die Rebellen von Moabit.
Es geht um das Gästehaus Moabit, einem Heim für wohnungslose Männer in Berlin. »Mitte Dezember erreichten die 33 Bewohner schlimme Nachrichten. Ab März will der neue Betreiber, die Firma Gikon Hostels, mit der Weitervermietung Geld verdienen. Und weil das Land höhere Sätze pro Flüchtling auszahlt, sollen die Wohnungslosen raus.« Seit Jahrzehnten gibt es in der Berlichingenstraße diesen Zufluchtsort. Manche Bewohner leben selbst schon 20 Jahre hier.

Warum nun der Kurswechsel hin zu den Flüchtlingen. Am Gelde hängt’s, zum Gelde drängt’s:

»Während das Jobcenter für die Unterbringung von Wohnungslosen täglich 22,50 Euro zahlt, überweist die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales in Berlin (Lageso) für Flüchtlinge bis zu 50 Euro am Tag. Und der Profit könnte noch gesteigert werden.« Wenn man in jedem Zimmer mehrere Personen unterbringt.

Was sagt Gikon Hostels, die bereits sieben Flüchtlingsunterkünfte betreiben, dazu?

»Das Haus sei über ein Immobilienportal ausgeschrieben gewesen für eine monatliche Kaltmiete von 16.000 Euro. Beim Treffen mit den Eigentümern setzten diese den Preis auf 22.500 Euro hoch. Gikon schlug zu. Mit Nebenkosten käme man angeblich auf etwa 35.000 Euro im Monat, die man natürlich erwirtschaften muss. Die Kosten ließen sich durch die Wohnungslosen nicht decken, für die man nur die 22,50 Euro pro Tag bekommt. Und warum war das in der Vergangenheit kein Problem? Die alten Betreiber hätten das deswegen gekonnt, weil sie weniger als die Hälfte der Miete an die Hausbesitzer überweisen mussten, so Gikon Hotels.

Deren Konzept ist simpel und rechnet sich: Viele Flüchtlinge in Berlin erhalten Gutscheine, die auch für die Unterbringung in Hostels gelten. Die staatlichen Unterbringungsmöglichkeiten sind begrenzt, private Geschäftemacher wittern das große Geschäft. Im konkreten Fall will Gikon Hostels in dem Gebäude 50 Menschen, also etwa zwei pro Zimmer. Höhere Beträge (für die Flüchtlinge) plus (mindestens?) Doppelbelegung – da haben die Wohnungslosen keine betriebswirtschaftliche Chance.
Ein Teil der Bewohner will sich auf alle Fälle wehren. Und nicht freiwillig ausziehen. Man wird abwarten müssen, wie dieser Kampf ausgeht.

Wirklich schlimm an diesem Beispiel (und es gibt zahlreiche andere, bei denen ganz neue Verteilungskonflikte zwischen denen Armen und Ärmsten aufbrechen bzw. produziert werden) ist die Instrumentalisierung seitens der flüchtlingsfeindlichen Kräfte, die gerade im Internet gegen die angebliche Bevorzugung der Flüchtlinge gegenüber „unseren Wohnungslosen“ hetzen, sich bislang aber nie auch nur in Spurenelementen erkennbar für Wohnungslose interessiert haben. Auf der anderen Seite – nur weil das denen ins propagandistische Konzept passt, muss und darf man die realen Verteilungskonflikte auch nicht verschweigen oder herunterspielen. Natürlich entsteht hier eine  schlimme Konkurrenzsituation, dies eben aber auch wegen der Art und Weise der (unterschiedlichen) Finanzierung. Das muss man aus sozialpolitischer Sicht ganz besonders kritisch im Blick behalten.

Foto: © Reinhold Fahlbusch

Steuerhinterziehung und Schwarzarbeit? Zur Ambivalenz eines Geschäftsmodells für „Bürger in sozialen Schwierigkeiten“

Prognosen haben es oftmals an sich, dass sie nicht eintreten. Oder das tatsächliche Ergebnis weit von dem entfernt ist, was vorausgesagt wurde. Nehmen wir als Beispiel die Obdachlosen- oder Straßenzeitungen. Dieser Ansatz kann durchaus auf eine lange Geschichte zurückblicken. Zur Entwicklung in Deutschland erfahren wir rückblickend: »In den Jahren 1987 und 1988 erschienen die ersten von Hans Klunkelfuß herausgegebenen Berberbriefe, unregelmäßig erscheinend, etwa viermal im Jahr, 8–12 Seiten auf fotokopiertem Papier mit einer Auflage von 100 bis 500 Stück. Klunkelfuß und andere Wohnungslose nutzen den Verkauf der von ihnen selbst hergestellten Zeitung, um damit unabhängig von staatlicher Hilfe ihr Überleben auf der Straße zu sichern. Im Jahr 1992 erschien in Köln mit dem BankExpress, später BankExtra, heute Draussenseiter, die erste deutsche Straßenzeitung; im Oktober 1993 kamen Bürger In Sozialen Schwierigkeiten – BISS in München und 14 Tage später Hinz und Kunzt aus Hamburg dazu. Im Jahr 2006 gab es bereits ca. 30 Straßenzeitungen in Deutschland.«

Aber bereits 1999 konnte man im SPIEGEL unter der Überschrift Abgenutzte Idee lesen: »Vor vier Jahren war es eine Sensation: Die Hamburger Obdachlosenzeitung „Hinz & Kunzt“ nahm die Auflagenhürde von 100 000 Exemplaren. Nun sind die goldenen Zeiten vorbei, die Straßenblätter stecken in der Krise: Nur noch 75 000 Exemplare „Hinz & Kunzt“ werden monatlich verkauft. Die Auflagen der Berliner „Strassenzeitung“ und der Düsseldorfer „Fifty fifty“ sind von 30 000 auf 25 000 gesunken. „Die Idee hat sich abgenutzt, die Neugier ist vorbei“, erklärt Jutta Welle, Macherin der „Strassenzeitung“, das Phänomen. Und: „Die Menschen haben wohl selbst genug Ärger und wollen nicht noch über den der Obdachlosen etwas hören.“« Ein voreiliger Abgesang auf diesen Ansatz, den man durchaus als ein Modell für Hilfe zur Selbsthilfe bezeichnen kann.

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