Die kollektiv-schöne und die individuell-willkürliche Seite der Arbeitsverhältnisse – und die Realitäten dazwischen. Oder: Was der Tarifabschluss in der Metallindustrie mit Privatdetektiven zu tun hat

In der vergangenen Wochen hat es immer wieder hier und da Warnstreiks der in der IG Metall organisierten Arbeitnehmer gegeben – und nun wurde nach fünfzehnstündigen Verhandlungen ein erstes Tarifergebnis erzielt. 3,4 Prozent mehr Geld ab April 2015 bei einer Laufzeit von zwölf Monaten, eine Einmalzahlung von 150 Euro für die drei Monate Januar bis März 2015, erste Schritte in Richtung geförderter Bildungsteilzeit sowie eine verbesserte Altersteilzeit, so lassen sich die wichtigsten Bausteine des Abschlusses für die 800.000 Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg  – mit bundesweiter Pilotfunktion – zusammenfassen. Diese Regelungen werden erwartbar gelten für die bundesweit 3,7 Millionen Beschäftigte der Metall- und Elektroindustrie. Damit sind mögliche Streiks in dieser zentralen Industriebranche vom Tisch. Die Gewerkschaft kann mit diesem Ergebnis angesichts der drei zentralen Ausgangsforderungen – mehr Geld (die Forderung belief sich auf 5,5 Prozent), eine bessere Altersteilzeitregelung und als neues Instrument die Einführung einer geförderten Bildungsteilzeit – zufrieden sein. Die Beschäftigten kommen angesichts der derzeitigen und für die kommenden Monaten erwartbar niedrigen Inflation zu einem ordentlichen Reallohnanstieg. Beim Thema Altersteilzeit sei es gelungen, den bestehenden Tarifvertrag zu verbessern.
„Die Beschäftigten in den unteren Entgeltgruppen würden besser gestellt. Sie kommen nun auf circa 90 Prozent ihres Nettoentgelts und können sich so den verdienten Ausstieg aus dem Arbeitsleben leisten“, so wird Detlef Wetzel, Erster Vorsitzender der IG Metall, zitiert. Die Arbeitgeber wollten die Anzahl der Anspruchsberechtigten reduzieren, es bleibt aber bei der bisherigen Vier-Prozent-Quote. Am wenigsten erreichen konnte die IG Metall bei der neuen Komponente einer geförderten Bildungsteilzeit. Hier konnte man die grundsätzliche Blockade der Arbeitgeberseite aufbrechen, aber noch nicht wirklich mehr. Wobei das auch nicht überraschend ist, denn der Widerstand gegen dieses neuartige Instrument auf der Arbeitgeberseite ist aus durchaus nicht von der Hand zu weisenden Gründen (noch) stark ausgeprägt und auch der Gewerkschaft war klar, dass sie ihre Mitglieder kaum zu einem großen Arbeitskampf hätte motivieren können, wenn ein Tarifabschluss nur an der Bildungsteilzeit gescheitert wäre, denn das ist auch für viele Arbeitnehmer keine Herzensangelegenheit – anders als mehr Geld und Ausstiegsoptionen vor dem Rentenalter.

Der neue Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie steht stellvertretend für mehrere volkswirtschaftlich und sozialpolitisch relevante Aspekte. Zum einen verdeutlicht er die Vorteile einer (noch) funktionierenden Tarifautonomie. Arbeitgeber und Gewerkschaften wissen – meistens – am besten, wo der Kompromisspunkt liegt zwischen den je für sich berechtigten Interessen der Unternehmen und der Beschäftigten, gerade bei den flächendeckenden Tarifverträgen in einzelnen Branchen wird überwiegend ein vertretbarer Kompromiss innerhalb des nie auflösbaren Dilemmas zwischen Betriebs- und Volkswirtschaft aufgrund des Doppelcharakters der Löhne ausgehandelt.

Außerdem hat die IG Metall erneut unter Beweis gestellt, dass sie eine wortgewaltig auftretende, zugleich aber auch eng an die betrieblichen Realitäten angekoppelte Industriegewerkschaft ist, die verantwortungsvoll agiert. Natürlich beschwören die Arbeitgeberfunktionäre im Nachgang, dass man unter dem Druck drohender Arbeitskampfmaßnahmen über die „Schmerzgrenze“ des eigentlich Vertretbaren hinausgehen musste, aber angesichts der Lage in der Branche insgesamt können die meisten Unternehmen sicher mit dem nunmehr gefundenen Tarifergebnis leben, ansonsten hätte es nicht so schnell eine Einigung gegeben. Ein weiterer Aspekt: Das Tarifergebnis verdeutlicht auch, wie wichtig und nützlich ein ordentlicher Organisationsgrad der Beschäftigten einer Branche in einer Gewerkschaft ist bzw. sein kann – für die Beschäftigten.

In welchem Ausmaß auch immer – aber es ist durchaus plausibel, dem vergleichsweise zu anderen Branchen (noch) hohen Kollektivierungsgrad in der Metallindustrie einen eigenständigen Anteil an den positiven Merkmalen, die diese Branche auszeichnen, zuzuschreiben: »Rund 3,7 Millionen Menschen erwirtschafteten 2013 in knapp 24.000 Betrieben einen Jahresumsatz von rund 999 Milliarden Euro. Das Jahresbruttoeinkommen der Beschäftigten beträgt im Schnitt rund 50.000 Euro. Fast immer sind die Arbeitsverhältnisse laut Arbeitgeberverband unbefristet (95,5 Prozent) und Vollzeit (93,3 Prozent). 17 Prozent der Beschäftigten sind akademisch ausgebildet und weitere 60 Prozent ausgebildete Fachkräfte. Nur noch rund ein Fünftel ist angelernt. Dieser Anteil wird weiter schrumpfen, erwarten IG Metall und Arbeitgeber«, können wir einem Artikel entnehmen. Und gerade zum letzten Punkt liefert der neue Tarifabschluss ebenfalls Belege, wie sinnvoll eine tarifliche Strukturierung sein kann, denn wenn auch die von der IG Metall geforderte Bildungsteilzeit allenfalls embryonal verwirklicht wird, so hat man sich auf der anderen Seite auf Modelle zur Weiterbildung von Un- und Angelernten verständigt.

Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) in der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hat passend zum neuen Tarifabschluss in diesen Tagen eine Analyse der Lohnentwicklung in den vergangenen Jahren vorgelegt, aus der auch die nebenstehende Abbildung entnommen wurde: Reallöhne erstmals wieder höher als im Jahr 2000. »14 Jahre hat es gedauert: Ende 2014 lagen die durchschnittlichen Bruttolöhne je Beschäftigtem preisbereinigt um 1,4 Prozent höher als 2000 … Schwierige wirtschaftliche Rahmenbedingungen und die Deregulierung am Arbeitsmarkt hatten … (in den 2000er Jahren) die Entwicklung der Arbeitseinkommen gebremst. Der Niedriglohnsektor wuchs. Am Tiefpunkt der Entwicklung im Jahr 2009 hatten die realen Bruttolöhne um 4,3 Prozent niedriger gelegen als 2000«, so die Wissenschaftler des WSI. Und dann der hier entscheidende Punkt: »Stärker sind die Tariflöhne und -gehälter gestiegen. Sie waren 2014 real um 10,9 Prozent höher als im Jahr 2000. Meist beobachteten die Experten des WSI-Tarifarchivs in diesem Zeitraum eine negative Lohndrift. Das heißt: Die Bruttoeinkommen, in die unter anderem auch die Löhne der nicht nach Tarif bezahlten Arbeitnehmer einfließen, blieben hinter den Tarifeinkommen zurück.« Diesen Befund kann man in der Abbildung sehr gut erkennen. In den vergangenen anderthalb Jahrzehnten sank die Tarifbindung. Ein wichtiger Grund dafür, dass Steigerungen bei den Tariflöhnen nur zum Teil auf die Bruttoverdienste durchschlugen, so der WSI-Tarifexperte Reinhard Bispinck.

Viele Arbeitnehmer in anderen Branchen sollten die Erfahrungen, die man hier gesammelt hat, als Anregung verstehen, sich selbst stärker (wieder) in den Gewerkschaften zu organisieren, denn nur, wenn der Organisationsgrad eine kritische Masse erreicht, können die Gewerkschaften ihre Rolle überhaupt ausüben.

Nun wird sich der eine oder die andere fragen, was denn der Tarifabschluss der IG Metall mit Privatdetektiven zu tun hat, wie es der Titel des Blog-Beitrags in den Raum stellt. Es geht dabei um ein – scheinbar – völlig anderes Thema aus der Arbeitswelt, mit dem wir in diesen Tagen konfrontiert wurden und das die individuelle Seite des Arbeitsverhältnisses in einem unangenehmen Bereich beleuchtet, also gleichsam das andere Ende des Spektrums, denn bisher haben wir uns mit der kollektiven Seite am Beispiel des neuen Tarifabschlusses auseinandergesetzt: Observation durch einen Detektiv mit heimlichen Videoaufnahmen, so trocken – wie so oft – hat das Bundesarbeitsgericht seine Pressemeldung zu einem neuen Urteil (8 AZR 1007/13) überschrieben.

Die Entscheidung der obersten Arbeitsrichter: »Ein Arbeitgeber, der wegen des Verdachts einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit einem Detektiv die Überwachung eines Arbeitnehmers überträgt, handelt rechtswidrig, wenn sein Verdacht nicht auf konkreten Tatsachen beruht. Für dabei heimlich hergestellte Abbildungen gilt dasselbe. Eine solche rechtswidrige Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kann einen Geldentschädigungsanspruch („Schmerzensgeld“) begründen.«
Zuerst ein Blick auf den konkreten Sachverhalt, der dem Urteil des BAG zugrunde liegt:

»Die Klägerin war bei der Beklagten seit Mai 2011 als Sekretärin der Geschäftsleitung tätig. Ab dem 27. Dezember 2011 war sie arbeitsunfähig erkrankt, zunächst mit Bronchialerkrankungen. Für die Zeit bis 28. Februar 2012 legte sie nacheinander sechs Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor, zuerst vier eines Facharztes für Allgemeinmedizin, dann ab 31. Januar 2012 zwei einer Fachärztin für Orthopädie. Der Geschäftsführer der Beklagten bezweifelte den zuletzt telefonisch mitgeteilten Bandscheibenvorfall und beauftragte einen Detektiv mit der Observation der Klägerin. Diese erfolgte von Mitte bis Ende Februar 2012 an vier Tagen. Beobachtet wurden ua. das Haus der Klägerin, sie und ihr Mann mit Hund vor dem Haus und der Besuch der Klägerin in einem Waschsalon. Dabei wurden auch Videoaufnahmen erstellt. Der dem Arbeitgeber übergebene Observationsbericht enthält elf Bilder, neun davon aus Videosequenzen. Die Klägerin hält die Beauftragung der Observation einschließlich der Videoaufnahmen für rechtswidrig und fordert ein Schmerzensgeld, dessen Höhe sie in das Ermessen des Gerichts gestellt hat. Sie hält 10.500 Euro für angemessen.«

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in diesem Fall: »Die Observation einschließlich der heimlichen Aufnahmen war rechtswidrig. Der Arbeitgeber hatte keinen berechtigten Anlass zur Überwachung.« Der zentrale Punkt der Entscheidung: Ohne konkreten Verdacht sei die Überwachung eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. »Dadurch sind die Rechte der Arbeitnehmer gestärkt, ebenso die arbeitsrechtliche Relevanz der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eines Arztes. Ihr ist erst einmal grundsätzlich Glauben zu schenken, solange keine Tatsachen dagegen sprechen. Für Arbeitgeber, die einen Angestellten verdächtigen, „krank zu feiern“, wird es riskanter, ihn beschatten zu lassen«, so Henry Bernhard in einem Beitrag für den Deutschlandfunk. Es ist ein heikles, gleichsam vermintes Gelände, in dem man sich bewegt. Das „Sowohl-als-auch“-Dilemma kann man dem Interview „Ein Bauchgefühl rechtfertigt keine Spionage“ mit der Arbeitsrechtlerin Monika Birnbaum entnehmen.

Heribert Prantl spricht in seiner Kommentierung Gesetz aus der Altsteinzeit von einem „erfreulich klaren Urteil“ des Bundesarbeitsgerichts. Er ordnet das so ein:

»Dieser gerichtliche Schutz ist notwendig, weil der Gesetzgeber säumig ist. Praktiken, wie sie in den vergangenen Jahren eingerissen sind, hätten längst per Gesetz verboten werden müssen. Seit den Lidl-Bahn-Telekom-Skandalen vor etwa fünf Jahren weiß die Öffentlichkeit, wovor der Datenschutz schützen muss; aber der Gesetzgeber hat nichts getan: Der Datenschutz muss davor schützen, dass Angestellte auf dem Klo und in den Umkleidekabinen ihrer Firma von Videokameras gefilmt werden. Der Datenschutz muss davor schützen, dass die Chefs den Telefon- und Telekommunikationsverkehr ihrer Angestellten umfassend und systematisch abhören, kontrollieren und auswerten lassen. Der Datenschutz muss davor schützen, dass Personalchefs Dossiers über die Macken und Krankheiten ihrer Beschäftigten anlegen.
Aber nichts davon findet man bis heute im Datenschutzgesetz. Dieses Gesetz stammt von 1977; das ist, wenn es um Informationen geht, die Altsteinzeit. Eine Transformation ins 21. Jahrhundert hat das Gesetz nie erfahren; die Novellierung von 2009 war unzureichend. Der Arbeitnehmerdatenschutz ist daher bisher eine Sache der Gerichte geblieben.«

Und damit spricht er eine wichtige Dimension an, die wiederum verdeutlicht, dass es hier einen Link gibt zum kollektiven Ende des Arbeitsverhältnisses: Der Schutz der Arbeitsverhältnisse in ihrer Gesamtheit in einem Unternehmen ist sein Thema und damit der Schutz des an sich im Nachteil befindlichen Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber. Und angesichts der tatsächlichen Überwachungsexzesse in vielen Unternehmen in den vergangenen Jahren kann man dem nur zustimmen. Keine Frage. Aber auch Prantl deutet ein grundsätzliches Problem an, wenn er schreibt: »Gewiss: Bisweilen gibt es Grund zum Misstrauen. Aber Überwachungsmaßnahmen ohne konkrete Anhaltspunkte sind und bleiben unzulässig.« Das ist ja auch die Argumentation des Bundesarbeitsgerichts. Aber was bedeutet das nun konkret – und zwar für den Arbeitgeber, der gerade nicht willkürlich einen Arbeitnehmer abstrafen will, sondern der vielleicht sogar begründet den konkreten Verdacht hat, dass ein Mitarbeiter betrügerisch handelt, in dem er oder sie eine Arbeitsunfähigkeit vortäuscht? Und seien wir ehrlich – natürlich gibt es diese Fälle, die dann übrigens nicht nur zu Lasten des Arbeitgebers, sondern auch der anderen Arbeitnehmer im Unternehmen gehen. Wann liegt denn ein „konkreter Verdacht“ vor, der eine – grundsätzlich übrigens nicht verbotene Überwachung durch einen Privatdetektiv – rechtfertigen würde?

Man darf gespannt sein, ob das in einer annähernd handhabbaren Art und Weise konkretisiert wird. Unabhängig davon zeigt sich an dieser Stelle die Sinnhaftigkeit einer gleichsam zweiten Ebene der Kollektivierung auf der Arbeitnehmerseite. Denn neben den Gewerkschaften, die auf der tarifvertraglichen Ebene unterwegs sind, gibt es – grundsätzlich – die Betriebsräte in den Unternehmen. Und die sind nach dem Betriebsverfassungsgesetz nicht nur verpflichtet, die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten, sondern auch vertrauensvoll mit dem Unternehmen zusammenzuarbeiten. Und hierzu könnte auch gehören, dass der Arbeitgeber bei aus seiner Sicht berechtigten konkreten Zweifeln am Tun eines einzelnen Arbeitnehmers zur Aufklärung des Sachverhalts mit dem Betriebsrat zusammenzuarbeiten, um den ansonsten naheliegenden Verdacht eines willkürlichen Handelns gegen eine bestimmte Person zu entkräften.

Allerdings zeigt sich an dieser Stelle wieder einmal ein Schaden der Entwicklung der vergangenen Jahre: Die Zahl der Beschäftigten und der Betriebe, in denen es einen Betriebsrat gibt, hat in den vergangenen Jahren abgenommen und immer mehr Arbeitgeber verfolgen auch aktiv die Strategie, das gesetzlich verankerte Recht, einen Betriebsrat ins Leben zu rufen, mit allen Mitteln zu blockieren. Das rächt sich dann an anderer Stelle. Man kann eben nicht alles haben.

Foto: Screenshot von der Webseite der IG Metall am 24.02.2015 

Es lohnt sich. Kräftiger Anstieg der Reallöhne. Also im Durchschnitt über alle Arbeitnehmer und mit Wasser im Wein

Offensichtlich läuft es gut in Deutschland. Eine Erfolgsmeldung nach der anderen. Exporte, Importe und Exportüberschuss erreichen neue Rekordwerte, so berichtete das Statistische Bundesamt am 09.02.2015: »Die Außenhandelsbilanz schloss im Jahr 2014 mit dem bislang höchsten Überschuss von 217,0 Milliarden Euro ab. Damit wurde der bisherige Höchstwert von 195,3 Milliarden Euro im Jahr 2007 deutlich übertroffen.« Und am gleichen Tag legen die Bundesstatistiker nach und verkünden eine frohe Botschaft für die Arbeitnehmer: Reallohn­index 2014 um 1,6 % gestiegen. Der Reallohnanstieg von 1,6 % im Jahr 2014 – das ist »der höchste Anstieg seit Beginn der Zeitreihe des Reallohnindex im Jahr 2008.« Allerdings lohnt es sich, genauer hinzuschauen, denn die Statistiker geben wichtige Hinweise, wie es zu diesem an sich erfreulichen Ergebnis gekommen ist und sie schütten durchaus Wasser in den schön daherkommenden Wein: »Der starke Anstieg der Reallöhne im Jahr 2014 ist vor allem durch den niedrigen Anstieg der Verbraucherpreise begründet und nicht vorrangig auf die gestiegenen Verdienste zurückzuführen. Die Verbraucherpreise erhöhten sich mit + 0,9 % deutlich geringer als im Durchschnitt der letzten 5 Jahre (+ 1,5 %), der Anstieg der Nominallöhne (+ 2,4 %) lag hingegen sogar leicht unter dem entsprechenden Durchschnittswert (+ 2,5 %).« Noch kräftiger erhöhten sich die Löhne der Arbeitnehmer, für die ein Tarifvertrag gilt. Sie stiegen im Jahr 2014 sogar um 3,1 %. Über besonders kräftige Zuwächse konnten sich die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes freuen, die im Durchschnitt 3,5 % mehr Geld bekamen.

Die neuen, vorläufigen Daten des Statistischen Bundesamtes decken sich mit den Berechnungen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Dieses hatte den Anstieg der Nominallöhne kürzlich sogar mit durchschnittlich 2,7 Prozent beziffert und damit sogar eine Reallohnsteigerung von 1,8 Prozent ermittelt: Tariflöhne und -gehälter 2014: Reale Tarifsteigerungen von 2,2 Prozent. Neben den realen Steigerungen der Tariflöhne und -gehälter wird vom WSI immer auch die Entwicklung der „Effektivlöhne“ ausgewiesen. Es geht dabei um die effektiven Bruttoeinkommen – hier fließen unter anderem auch die Einkommen von Beschäftigten ein, die nicht nach Tarif bezahlt werden und das sind in den letzten Jahren immer mehr geworden. Das WSI schreibt zur Entwicklung:

»Die Tariflöhne haben im Jahr 2014 real (nach Abzug der Inflation) spürbar zugelegt. Die Verbraucherpreise sind im vergangenen Jahr um 0,9 Prozent gestiegen, die Tarifvergütungen dagegen um nominal 3,1 Prozent. Daraus ergibt sich im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt ein reales Wachstum der Tariflöhne und -gehälter um 2,2 Prozent … Bei den effektiven Bruttoeinkommen … fiel der Zuwachs im vergangenen Jahr ähnlich aus: Die Bruttolöhne und -gehälter sind 2014 nominal je Arbeitnehmer/in um 2,7 Prozent gestiegen, preisbereinigt bedeutet dies einen Anstieg um 1,8 Prozent.«

Man muss diese Daten natürlich einordnen. Wenn es so ist, dass vor allem die sehr niedrige Inflationsrate verantwortlich ist für den ausgewiesenen Reallohnanstieg und dieser weniger auf gestiegene Verdienste zurückzuführen ist, worauf das Statistische Bundesamt hingewiesen hat, dann muss man ergänzend erwähnen, dass auch „die“ Inflationsrate nicht einfach zu handhaben ist, handelt es sich doch ebenfalls um eine sehr hoch aggregierte Größe. In die Berechnung der Preissteigerungsrate gehen hunderte einzelner Güter und Dienstleistungen ein, die natürlich gewichtet werden müssen. Und die konkrete Art und Weise der konkreten Zusammensetzung des Wägungsschemas ist seit jeher eine Quelle der kritischen Debatte, inwieweit und welche Haushaltskonstellationen damit abgebildet werden (können). Es geht an dieser Stelle nicht um die überwiegend psychologisch zu erklärende Differenz zwischen der amtlich ausgewiesenen und der so genannten „gefühlten“ Inflation, die sich vor allem dadurch ergibt, dass bestimmte Güter und Dienstleistungen, die oft bis täglich in Anspruch genommen werden, bei den Menschen ein anderes Gewicht haben als ihnen im offiziellen Gewichtungsschema zugerechnet wird.

Es geht hier vor allem darum, dass die Haushalte mit niedrigen bis durchschnittlichen Einkommen oftmals ein Konsummuster haben (müssen), bei dem eine spezifische Berechnung der Preissteigerungsrate zu höheren Werten führen könnte als die, die von der einen offiziellen Inflationsrate ausgewiesen werden. Dann würde der gefeierte Reallohnanstieg differenziert nach Arbeitnehmereinkommensgruppen sicher wesentlich differenzierter betrachtet werden.
Eine weitere Einschränkung soll und kann an dieser Stelle nicht verschwiegen werden: In bestimmten Teilbereichen des Arbeitsmarktes sehen wir derzeit an vielen Beispielen die Tendenz, durch ein „Abschichten“, „Auslagern“ und anderen Strategien der Lohnkostensenkung die Arbeitseinkommen von Beschäftigtengruppen zu drücken – vgl. hierzu nur als ein Beispiel den Blog-Beitrag Billiger, noch billiger. Wo soll man anfangen? Karstadt, Deutsche Post DHL, Commerzbank … und Primark treibt es besonders konsequent.

Spannend wird das noch junge Jahr 2015 mit Blick auf die Auswirkungen unterschiedlicher Entwicklungslinien auf die weitere Lohnentwicklung. Also zum einen die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns, von dem trotz aller Ausnahmen gut drei Millionen Beschäftigte positiv betroffen sein müssten, darunter viele Arbeitnehmer, die in der Vergangenheit mit Löhnen deutlich unter den nun geltenden 8,50 Euro pro Stunde abgespeist worden sind. Zum anderen beginnt derzeit die Tarifrunde 2015. Für rund 11 Millionen Beschäftigte laufen die Tarifverträge in den kommenden Monaten aus. Die Verhandlungen haben in der Metallindustrie begonnen und starten demnächst im öffentlichen Dienst (Länder). Es folgen die Chemische Industrie, der Einzelhandel sowie der Groß- und Außenhandel. Vgl. dazu die Übersicht Tarifrunde 2015 vom WSI Tarifarchiv.

Endlich viele neue Jobs. Und dann wieder: Aber. Die Deutsche Post DHL als Opfer und Mittäter in einem Teufelskreis nach unten

Sie arbeiten, kommen aber trotzdem kaum über die Runden: Mehr als drei Millionen Erwerbstätige in Deutschland leben unterhalb der Armutsschwelle. Ihre Zahl ist in den vergangenen Jahren um 25 Prozent angestiegen. Solche Meldungen basieren auf einer Sonderauswertung des Statistischen Bundesamtes, über die in diesen Tagen berichtet wird: Danach lagen Ende 2013 rund 3,1 Millionen Erwerbstätige mit ihrem Einkommen unterhalb der „Armutsschwelle“ –  das waren immerhin 25 Prozent mehr als 2008. Über welche Beträge wir hier reden, verdeutlicht diese Erläuterung: »Als armutsgefährdet gilt, wer einschließlich aller staatlichen Transfers wie zum Beispiel Wohn- oder Kindergeld weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens erzielt. 2013 lag diese Schwelle den Angaben zufolge in Deutschland bei 979 Euro netto im Monat.« Ebenfalls mit Schwellenwerten arbeiten auch die Wissenschaftler des Instituts Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen (IAQ), die jährlich ihre Berechnungen auf der Basis von SOEP-Daten zum Anteil der „Niedriglohnbeschäftigten“ in Deutschland aktualisieren. Das IAQ verwendet – wie auch das Statistische Bundesamt und Eurostat – eine „Niedriglohnschwelle“ von zwei Dritteln des mittleren Stundenlohns (gemessen am Median) in Deutschland. »Die Stundenlöhne wurden auf der Basis der Angaben zum Bruttomonatsverdienst und zur tatsächlich geleisteten Arbeitszeit berechnet. Es handelt sich demnach um die effektiven Stundenlöhne, die von vertraglich vereinbarten Stundenlöhnen abweichen können – etwa, wenn unbezahlte Mehrarbeit geleistet wurde«, so die Erläuterungen im neuesten Bericht zur Niedriglohnbeschäftigung (Thorsten Kalina und Claudia Weinkopf: Niedriglohnbeschäftigung 2012 und was ein gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 € verändern könnte, IAQ-Report 2014-02). Ihre wichtigsten Befunde: »Im Jahr 2012 arbeiteten 24,3% aller abhängig Beschäftigten für einen Stundenlohn unterhalb der bundeseinheitlichen Niedriglohnschwelle von 9,30 €.« Und: »Die Zahl der Niedriglohnbeschäftigten ist seit 1995 von 5,9 auf 8,4 Millionen im Jahr 2012 gestiegen, was einer Zunahme um rund 2,5 Millionen (bzw. 42,1%) entspricht. Der prozentuale Anstieg der Niedriglohnbeschäftigung war in Westdeutschland weitaus höher als in Ostdeutschland.« So weit, so schlecht – aber was hat das nun mit der Deutsche Post DHL zu tun?

Die hat in diesen Tagen mal wieder für Aufmerksamkeit gesorgt – mit der erst einmal positiv daherkommenden Nachricht, dass das Unternehmen aufgrund des boomenden Paketgeschäfts zahlreiche neue Arbeitsplätze schaffen will: „Wir rechnen mit 10.000 neuen Stellen bis 2020 und wahrscheinlich 20.000 in Summe bis 2025“, so wird der für das Brief- und Paketgeschäft zuständige Vorstand Jürgen Gerdes zitiert. Eigentlich ein Grund zur Freude, die allerdings sogleich wieder getrübt wird, wenn man zur Kenntnis nehmen muss, dass die neuen Mitarbeiter in eigens gegründeten Gesellschaften arbeiten sollen. »Der Hausvertrag der Post gilt für sie damit nicht, vielmehr sollen sich ihre Löhne an den Tarifen der Logistikbranche orientieren. Diese liegen vielfach unter denen des Bonner Konzerns.« Und auch hier wieder der bereits zitierte Post-Vorstand Gerdes im Original die Motivation zu diesem Vorgehen erklärend: „Die Paketzustellung ist auf Dauer nicht innerhalb der existierenden Tarifverträge machbar, weil der Wettbewerbsnachteil zu groß ist“, die Personalkosten bei der Deutschen Post DHL seien im Durchschnitt doppelt so hoch wie die der Wettbewerber.

Über was und wen wird hier gesprochen? Es geht um den Paketmarkt in Deutschland, der schon 2013 ein Marktvolumen von 8, 2 Mrd. Euro auf die Waage gebracht hat. Der Marktanteil der DHL lag bei beeindruckenden 42,3%, die anderen 57,7% entfielen – wenn man die Daten aus dem Geschäftsbericht der Deutschen Post DHL zugrunde legt – auf die Wettbewerber der DHL. Zu denen zählen Unternehmen wie die zur Otto-Gruppe gehörende Hermes, die seit 2011 mehrheitlich zur französischen Post gehörende DPD, die amerikanische UPS sowie die GLS, eine Tochter der britischen Staatspost Royal Mail. Der Paketmarkt macht seit geraumer Zeit einen gewaltigen Strukturwandel durch, dessen Verständnis für das, was jetzt bei der Deutschen Post DHL passiert, hilfreich ist. Dieser Strukturwandel besteht grob gesagt aus zwei Komponenten. Zum einen erleben wir eine gewaltige quantitative Ausweitung des Paketmarktes an sich, vor allem natürlich bedingt durch die Expansion der Online-Versandhändler wie Amazon und Zalando. Immer mehr Pakete müssen also transportiert werden, eine scheinbar sehr gute Nachricht für die Anbieter dieser Dienstleistungen. Marktbeobachter sprechen Unternehmen wie Amazon und Zalando aufgrund ihres stetig wachsenden Gewichts den Status von „systemrelevanten Kunden“ zu, die natürlich gegenüber den Paketdiensten über eine entsprechende und wachsende Marktmacht verfügen, die sie auch ausüben (müssen), man denke hier nur beispielsweise an deren Problematik, dass die Kosten durch viele Retouren (die gleichsam die Folge von in die Haushalte der Online-Käufer ausgelagerten Umkleidekabinen sind).

Jacqueline Goebel hat es mit der Überschrift ihres Artikels Wie das eigene Wachstum für Paketdienste zum Fluch wird auf den Punkt gebracht, was als zweite Komponente des Strukturwandels des Paketmarktes zur Kenntnis genommen werden muss: »Die Paketdienste stehen nicht erst seit dem Boom des Online-Handels unter Druck. Ausbaden müssen diesen Druck die Fahrer.« Dies hängt auch damit zusammen, dass früher überwiegend Material oder Waren versandt und ausgeteilt wurden, die sich Unternehmen untereinander geschickt haben – was heute aber nur noch auf 42% der Pakete zutrifft. Die Mehrheit des Paketaufkommens entfällt nun auf Privathaushalte, die bei den Versandhändlern bestellt haben. Das ist aber mit erheblichen betriebswirtschaftlichen Herausforderungen verbunden: Die Zahl der Pakete nimmt erheblich zu und gleichzeitig die Zahl der Haushalte, die jeweils einzeln beliefert werden müssen und von denen viele – anders als Unternehmen, die meistens mehrere Sendungen geliefert bekommen – während der Auslieferungszeiten nicht anzutreffen sind. Logische Folge ist, dass die Kosten pro Paket für die Zustelldienste steigen, besonders wenn es um Pakete in ländlichen Räumen geht. Nun könnte man natürlich theoretisch die steigenden Zustellkosten an die Auftraggeber weiterreichen, aber dieser Mechanismus ist gestört, wenn nicht sogar ausgehebelt, sollte man aufgrund der Konkurrenzsituation mit anderen Anbietern das nicht durchsetzen können.

Und die anderen Anbieter im Paketmarkt haben – das wurde bereits mit Blick auf die zwei bis zweieinhalb Mal so hohen Personalkosten der DHL angedeutet – Geschäftsmodelle, die auf eine Preisunterbietung der DHL durch niedrigere Personalkosten setzen und die natürlich gezielt von den sehr großen Auftraggebern gegen mögliche Preiserhöhungsforderungen der „teureren“ DHL in Stellung gebracht werden können. Hier nur ein Hinweis, über welche Beträge wir reden, wenn es um die mindestens doppelt so hohen Personalkosten der DHL geht: Der Einstiegslohn dort liegt bei 14 Euro, der durchschnittliche Stundenlohn wird mit 18 Euro angegeben, somit bekommt man einen ersten Eindruck, von welchen Stundenlöhnen wir bei den Konkurrenz-Unternehmen ausgehen (müssen). Das muss auch und gerade vor dem Hintergrund unterschiedlicher Geschäftsmodelle der Paketdienste gesehen und bewertet werden: Die DHL beschäftigt überwiegend eigene Paketzusteller, bislang war es so, dass von den 10.000 Zustellbezirken maximal 990 und damit weniger als 10% von Fremdfirmen abgedeckt werden dürfen. UPS beschäftigt je nach Quelle zwischen 60 und 70 Prozent der Fahrer als eigene Angestellte und auch die restlichen Fremdfirmenbeschäftigten haben vergleichsweise faire Bedingungen. Vergleichsweise zu wem? Am anderen Ende der Skala stehen Unternehmen wie DPD oder GLS, die gar keine eigenen Fahrer haben und die alles über ein Subunternehmer-Modell laufen lassen, über das man „hervorragend“ den Kostendruck von oben nach unten weitergeben kann, ohne pro forma die Verantwortung übernehmen zu müssen für die daraus resultierenden Zustände, unter denen vor allem die Fahrer zu leiden haben.

Die Deutsche Post DHL will nun die aktuelle Situation nutzen, um gleichsam in einem „Doppelschlag“ das angesprochene Kostendilemma zu den Wettbewerbern kleiner zu machen. Denn zum einen gibt es seit dem 1. Januar 2015 den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn, der – wenn er denn eingehalten wird – bei den Subunternehmern und darüber vermittelt dann auch bei den Paketdiensten insgesamt einen entsprechenden Kostendruck nach oben ausüben wird, zum anderen will man perspektivisch bei den eigenen Beschäftigten vom „hohen“ Lohnniveau runter und sich dem darunter liegenden Lohnniveau der Konkurrenten annähern. Erreicht werden soll dies über eine Spaltung der Belegschaft in „alte“ Bestandsfälle, die weiter unter den bestehenden Haustarifvertrag fallen und „neuen“ armen Schluckern, die man in eigens dafür gegründete Gesellschaften auslagern und deutlich schlechter vergüten will. Die Post beschäftigt derzeit im Brief- und Paketgeschäft in Deutschland rund 180.000 Mitarbeiter. „Diejenigen Menschen, die bereits bei uns unbefristet beschäftigt sind, sind nicht Zielgruppe der neuen Gesellschaften. Für sie gilt der Haustarifvertrag weiter“, so wird Post-Vorstand Jürgen Gerdes zitiert. Die Post hat nach seinen Angaben bereits 49 neue Gesellschaften gegründet, die die neuen Mitarbeiter einstellen sollen. Die neu gegründeten Gesellschaften laufen unter dem Namen DHL Delivery GmbH. Dieses Unternehmen gibt es schon seit längerem und es hat auch schon in der Vergangenheit für unrühmliche Schlagzeilen gesorgt (vgl. hierzu beispielsweise den Artikel Eine kleine Tochter macht der Post großen Ärger aus dem September 2013).

Nach Angaben der Post würden die ersten Gesellschaften ab sofort neue Mitarbeiter einstellen. Dabei würden befristet Beschäftigte der Post, deren Verträge auslaufen, bevorzugt. Die Post beschäftigt nach eigenen Angaben derzeit 14.700 Arbeitskräfte mit zeitlich befristeten Verträgen. Das ist knapp ein Zehntel der Gesamtbelegschaft in der Brief- und Paketsparte. Unter anderem in Rostock, Bremen und Frankfurt am Main sollen die Mitarbeiter der neuen Gesellschaften bald komplette Bezirke für die Paketzustellung übernehmen. Es geht bei der Nutzung der Auslagerung in neue Gesellschaften nicht nur um eine bedeutsame Lohnsenkung – nach Berechnungen der Gewerkschaft drohen den Betroffenen allein mit Blick auf den Stundenlohn Absenkungen von bis zu rund 20 Prozent. Die Tarifentgelte in der Logistik, an denen sich die neuen Post-Tochtergesellschaften orientieren sollen, beginnen bei Stundenlöhnen von knapp mehr als zehn Euro. An dem Logistik-Tarif orientiert sich auch der Versandhändler Amazon, der deshalb schon lange kritisiert wird. Verdi verlangt von dem US-Händler, die Löhne in seinen Verteilzentren an die des Einzelhandels anzupassen. Bei der Post geht’s jetzt also von oben nach unten.

Der Konzern werde auch bei den Arbeitszeiten flexibler, Überstunden würden leichter möglich. Mitbewerber wie Hermes liefern Pakete bereits jetzt regelmäßig bis in die Abendstunden aus, so die „Positivliste“ des Post-Vorstandes Gerdes. Billiger und flexibler, so lässt sich die Zielsetzung der Post auf den Punkt bringen.

Das verursacht nicht wirklich überraschend erhebliche Spannungen im Unternehmen: Verdi kritisiert neuen Tarifkurs der Post. Die Gewerkschaft spricht vom „Einstieg in den Ausstieg aus der Sozialpartnerschaft“, so Andrea Kocsis, die stellvertretende ver.di-Vorsitzende. Aus gewerkschaftlicher Sicht handelt es sich um einen klaren Fall von Tarif- und Mitbestimmungsflucht. Ein „sozialpolitischer Skandal ersten Ranges“ sei das, so die Gewerkschaft in einer Stellungnahme. Und ver.di hat gute Gründe, mehr als sauer zu sein über die Deutsche Post DHL:

»Nachdem das Unternehmen unter Ausnutzung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes mehr als 24.000 befristet Beschäftigte in Geiselhaft genommen habe, so Kocsis …, solle jetzt aus bestehenden Verträgen ausgestiegen werden. Mit der Post sei Ende 2011 vereinbart worden, im Falle des „signifikanten Absinkens der wirtschaftlichen Ergebnisse“ Gespräche aufzunehmen. Dieser Fall sei aber bislang nicht eingetreten. „Umso unerträglicher ist für uns, dass die Post mit diesem Manöver offensichtlich unseren Vertrag zum Ausschluss der Fremdvergabe und den Entgelttarifvertrag unterlaufen will“, sagt Kocsis.
Der Vertrag zum Ausschluss der Fremdvergabe läuft bis zum 31. Dezember 2015 und legt fest, dass maximal 990 Paketzustellbezirke von Konzerntöchtern oder Dritten betrieben werden dürfen.«

Apropos wirtschaftliche Lage des Konzerns: Bereits 2013 hat die Deutsche Post DHL bei 55 Mrd. Euro Umsatz mehr als 2 Mrd. Euro Jahresüberschuss gemacht (2,091 Mrd. Euro). Die Umsatzrendite lag bei 5,2% (gemessen am EBIT). Und die Prognosen für die Sparte, in dem sich die Paketdienste der DHL bewegen, klingen nicht nach einem echten Sozialfall: »Der operative Gewinn soll demnach 2014, 2015 und 2016 bei jeweils mindestens 1,3 Milliarden Euro liegen«, so Maris Hubschmid in dem Artikel Viele neue Jobs, aber schlechtere Bezahlung.

Die Deutsche Post DHL hat sich auf eine Rutschbahn nach unten gesetzt, aus einer vermeintlichen Marktlogik heraus, die rein betriebswirtschaftlich gesehen durchaus logisch ist und angesichts des immer wieder herausgestellten Lohngefälles zwischen Post und Konkurrenzunternehmen führt für die DHL aus deren Binnenperspektive auch kein Weg daran vorbei, eine solche Strategie zu versuchen (vgl. hierzu auch den Blog-Beitrag Was Amazon, die Deutsche Post und Daimler gemeinsam haben vom 28.12.2014). Das gleiche Muster erleben wir ja in vielen anderen Branchen auch, vor allem im hier besonders interessierenden Bereich der personenbezogenen Dienstleistungen. Hier handelt es sich um Dienstleistungen, die in aller Regel nicht verlagerbar sind ins Ausland und die man auch nicht annähernd so rationalisieren kann wie beispielsweise die industrielle Produktion. Zumindest die letzte Meile zu den immer zahlreicher werdenden Kunden muss (noch) händisch abgearbeitet werden. Aber was betriebswirtschaftlich durchaus rational sein kann, erweist sich volkswirtschaftlich als Schuss ins eigene Knie und man landet dann dort, wo dieser Blog-Beitrag begonnen hat. Und um den Zynismus gleichsam „abzurunden“: Die Strategie der Lohnsenkung und der weiteren „Flexibilisierung“ wird scharf gestellt in einer Phase, in der sich die Arbeitsbedingungen in den Paketdiensten bereits erheblich verschlechtert haben (vgl. hierzu den Blog-Beitrag Paketdienste segeln auf der Sonnenseite der „Amazon-Gesellschaft“. Aber das hat seinen Preis, dessen Bezahlung wieder mal ungleich verteilt ist vom 09.12.2014). Die wahren „Helden“ der Amazon-Gesellschaft werden uns noch weiter beschäftigen.

Und abschließend nur noch eine Anmerkung zu einem Zusammenhang mit einem anderen, sozialpolitisch hoch brisanten Thema der Gegenwart: Die so genannte „Tarifeinheit“. In diesem Kontext haben die Arbeitgeber in ihrem Bemühen, die große Koalition zu einer gesetzgeberischen Regelung zu treiben, immer wieder als ein Argument darauf hingewiesen, sie wären total überfordert, mit einer Belegschaft, in der beispielsweise zwei Gewerkschaften um die Gunst der Arbeitnehmer und für deren Interessen agieren. Das wäre viel zu komplex. Ach ja, aber die Belegschaft zu spalten und mal eben 49 Tochtergesellschaften zu gründen, in denen dann die Mitarbeiter zu anderen Tarifen und Regelwerken arbeiten (müssen), das ist offensichtlich kein Problem. Da verstehe noch einer die Welt der Wirtschaft. Auch dort malt man sich die offensichtlich so, wie es gerade gefällt.

Foto: © Stefan Sell