Wenn Ökonomen „Kinder an die Macht“ fordern, dann sind Fragen angebracht. Vor allem, wenn es um eine angebliche „Diktatur der Rentner“ geht

Viele kennen und mögen den Song „Kinder an die Macht“ von Herbert Grönemeyer. Darin findet man den Passus „Gebt den Kindern das Kommando, sie berechnen nicht, was sie tun“. Das berührt bei vielen eine sehr deutsche, also idealistische Vorstellung von „unschuldigen“ Kindern, mithin ein Gegenbild zum Typus des angeblich immer nur eigennutzmaximierenden Politikers. Zugleich haben wir seit langem in Deutschland eine doppelt funktionalisierende Sichtweise auf Kinder und Jugendliche, die sich aus einem ökonomischen und sozialpolitische Denken speist: Zum einen die Konzeptualisierung des „Nachwuchses“ im so genannten „Generationenvertrag“ und damit die Funktion der Kinder als Rückgrat des Alterssicherungssystems, zum anderen wird beklagt, dass die Interessen der nachwachsenden Generation in der politischen Arena zu wenig Berücksichtigung finden, da sie keine Stimmenrelevanz aufgrund des fehlenden Wahlrechts haben und deshalb die Parteien ihre Agenda ausrichten werden auf die Interessen der Wahlberechtigten – und wenn die aufgrund des demografischen Wandels immer älter werden, dann führt das in dieser Argumentationslinie zu einer noch schwächeren Berücksichtigung der Interessen der Jüngeren. Aber die – scheinbare – Lösung für dieses Problem liegt auf dem Tisch: Die Kinder und Jugendlichen müssen zu einem relevanten Faktor  im Parteienstaat gemacht werden, in dem man ihnen das Wahlrecht gibt. Schauen wir genauer auf diesen Vorschlag.

Thomas Straubhaar ist Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI) sowie Universitätsprofessor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere internationale Wirtschaftsbeziehungen, an der Universität Hamburg. In einem aktuellen Beitrag für die Tageszeitung DIE WELT führt er aus: »Die Rentenpolitik der Regierung macht deutlich: Schon heute lässt sich in Deutschland gegen die Macht der Senioren keine Politik mehr machen.« Diese Wahrnehmung gipfelt in der Überschrift seines Beitrags: „Deutschland verkommt zur Diktatur der Rentner„. Er wirft der schwarz-roten Koalition vor, sie sei »auf einen Schmusekurs mit den Senioren eingeschwenkt«. Das rote Tuch für den gebürtigen Schweizer Straubhaar ist die „Rente mit 63“, denn die »verdeutlicht mit einer kaum zu vertuschenden Arroganz, bei wem in Deutschland die Macht liegt: den Älteren, deren politisches Übergewicht zunehmend dramatischer wird.« Straubhaar sieht im wahrsten Sinne des Wortes grau:

»Wahlsiege und Mehrheiten gibt es nur noch mit und nicht mehr ohne Zustimmung der Senioren. Wer das verkennt, hat in alternden Demokratien keine politische Überlebenschance. Er wird vom lauten, oft schrillen, manchmal gar gehässigen Protest der Grauhaarigen aus dem Amte gemobbt.«

Wenig wissenschaftlich, sondern wenn überhaupt feuilletonistisch daherkommend geht es bei Straubhaar weiter im Reigen der schlichten Gemütern durchaus eingängigen Behauptungen:

»Das Diktat der Alten wird die Richtung der deutschen Politik verändern. Verharren wird vor Verändern kommen. Gegenwart wird wichtiger als Zukunft. Die Lebensqualität der heutigen Generation bestimmt das Tun und nicht die Interessen der Kindeskinder. Eine älter werdende Bevölkerung … hat kürzere Zeithorizonte und will den Status quo eher bewahren als an neue Realitäten anpassen.«

Das klingt prima facie für viele eilige Leser sicher nicht unplausibel. Und einmal in Fahrt steigert sich Straubhaar so richtig hinein in seine eigene Argumentationslinie und legt semantisch noch eine Schippe drauf:

»Mit jedem Tag steigt das Medianalter weiter an, und die politischen Gewichte verschieben sich noch stärker zugunsten der älteren Bevölkerung. Je länger gewartet wird, sich dem Diktat der Alten zu widersetzen, umso schwieriger wird es für die junge Generation und ihre Kindeskinder werden, die Machtübernahme durch die Senioren zu verhindern.«

„Diktat der Alten“, „Machtübernahme durch die Senioren“ – starke Behauptungen. Aber sind sie auch belegt? Oder vielleicht eher ein in den öffentlichen Raum gestelltes Gefühl? In dem Artikel werden sie als quasi unumstößliche Gewissheiten verkauft. Was sie aber nicht sind. Doch bevor dieser kritische Einwand fundiert wird mit einem Blick auf das, was wir derzeit (nicht) wissen, soll zuerst noch der Lösungsansatz des Herrn Straubhaar entfaltet werden:

»Um die Jungen gegen eine Diktatur der Alten zu schützen, sollten Kinder das aktive Wahl- und Stimmrecht erhalten. Für unter 18-Jährige müssten Eltern oder Sorgerechtsvertreter die politischen Interessen ihrer Zöglinge bis zu deren politischer Volljährigkeit wahrnehmen können. Das tun sie als Erziehungsberechtigte ja sowieso in allen anderen Bereichen.«

Das ist nun kein neuer Vorschlag, sondern das hier propagierte „Familienwahlrecht“ wird schon seit Jahren immer wieder von unterschiedlichen Akteuren gefordert: Im Jahr 2008 haben 46 Bundestagsabgeordnete im deutschen Bundestag den Antrag für ein Wahlrecht von Geburt an eingebracht (vgl. „Der Zukunft eine Stimme geben – Für ein Wahlrecht von Geburt an“, Bundestags-Drucksache 16/9868 vom 27.06.2008). Auch die Stiftung für die Rechte der zukünftigen Generationen (SRZG) macht sich seit langem für ein Wahlrecht ohne Altersgrenze stark.

Hinsichtlich einer kritischen Bewertung der Ausführungen von Thomas Straubhaar müssen zwei seiner zentralen Argumentationslinien beleuchtet werden:

  1. Zum einen die Behauptung, dass die älteren Menschen, die ohne Zweifel immer stärker an Wahlgewicht gewinnen aufgrund der demografischen  Entwicklung, bei ihrer Wahlentscheidung überwiegend oder gar ausschließlich die eigenen Interessen durchzusetzen versuchen, was – wenn es so wäre – bei den politischen Parteien gleichsam zwangsläufig den Impuls auslösen muss, sich an diesen Interessen auszurichten.
  2. Zum anderen muss das Argument geprüft werden, dass ein Familienwahlrecht, bei dem die Erziehungsberechtigten der Kinder und Jugendlichen stellvertretend die Wahlentscheidung ausüben können, im Ergebnis dazu führt, dass die Interessen der Kinder und Jugendlichen in der faktischen Wahlentscheidung auch zum Ausdruck gebracht werden.

1.) Auch wenn es für viele auf den ersten Blick durchaus plausibel erscheint, dass die älteren Wähler ihre eigenen Interessen in den Mittelpunkt ihrer Wahlentscheidung  rücken, so kann man bereits ohne Rückgriff auf empirische Studien aus der Wahlforschung die Auffassung vertreten, dass die letztendliche Wahlentscheidung ein höchst komplexer Vorgang ist, bei der ganz unterschiedliche Zielsysteme miteinander austariert werden müssen. Man könnte zugespitzt formuliert die Gegenthese aufstellen, das zumindestens die älteren Wähler, die eigene Kinder haben, bei ihrer persönlichen Wahlentscheidung ganz besonders auf die Interessen der Jüngeren achten werden. Wenn also beispielsweise Großeltern an ihren eigenen Töchtern bzw. Schwiegertöchtern mitbekommen, mit welchen vielfältigen Problemen bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie hierzulande junge Frauen konfrontiert sind, wenn sie Kinder bekommen, dann kann gerade das dazu führen, dass sie Parteien wählen, die sich explizit für eine Verbesserung dieser Situation einsetzen und beispielsweise erhebliche Investitionen in den Ausbau der Kindertagesbetreuung in ihrem Programm vertreten.

Man kann auch einen Blick werfen in die Befunde der Wahlforschung – und die geben uns zahlreiche Hinweise darauf, dass es die bei Straubhaar unterstellte eindimensionale Bindung der Älteren an deren (vermeintlichen) Interessen, die als gegen die Jüngeren gerichtet behauptet werden, so nicht gibt. Als ein Beispiel von vielen sei hier die Publikation von Sabine Pokorny: Mit 60 Jahren fängt das Wählen an. Das Wahlverhalten der älteren Generation, St.Augustin 2013, herausgegriffen. Dort findet man am Beispiel eines Vergleichs der Wahlentscheidungen für Unionsparteien und Grüne den folgenden Hinweis:

»Die stärkere Affinität älterer Wähler zu den Unionsparteien führt … nicht dazu, dass die Zugewinne bei den Älteren überproportional ausfallen. Gleichzeitig verzeichnen die Grünen keine überdurchschnittlichen Verluste bei den Senioren. Stattdessen profitieren die Parteien in allen Altersgruppen gleichermaßen von einer ihnen gewogenen Stimmung. Umgekehrt verlieren sie in allen Gruppen etwa gleich stark, wenn sich die Stimmung dreht« (S. 44).

Und weiter:

»… legen die Analysen nahe, dass das Alter nicht der entscheidende Faktor für das Wahlverhalten ist. Wenn eine Partei Stimmen hinzugewinnen möchte, kann sie das nur, indem sie alle Altersgruppen anspricht. Denn eine positive Wahrnehmung der Partei oder des Kandidaten wirkt sich unabhängig vom Alter auf alle Wähler aus« (S. 45).

Allein dieses eine Beispiel verdeutlicht, dass man vorsichtig sein sollte, wenn man „Alter“ als eigenständige Kategorie konzeptualisiert. Dagegen sprechen gute und gewichtige Argumente. „Alter“ ist eine mehr als heterogene Kategorie und zahlreiche Unterschiede, die es schon bei den Jüngeren gibt und die durch Bildung, politische Partizipationserfahrungen im bisherigen Leben, Einkommens- und Vermögenslage usw. determiniert werden, haben eine sehr starken Einfluss auf Parteipräferenzen und Wahlbeteiligung. Das prolongiert sich dann in die höheren Altersgruppen. Vgl. dazu z.B. auch die Analyse von Thomas Petersen et al.: Politische Partizipation und Demokratiezufriedenheit vor der Bundestagswahl 2013, Gütersloh 2013.

2.) Bleibt der Vorschlag, ein „Familienwahlrecht“ einzuführen, um die Machtverhältnisse auf dem „Wählerstimmen-Markt“ zu verschieben zugunsten der jüngeren Menschen. Ein flüchtiger Blick auf die Zahlen gibt diesem Ansatz eine gewisse Attraktivität: 2013 waren nach Schätzungen des Bundeswahlleiters mehr als 20 Millionen Wahlberechtigte über 60 Jahre, aber nur etwa zehn Millionen Wahlberechtigte waren unter 30 Jahre. Hinzu kommt, dass unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Wahlbeteiligung von Jüngeren und Älteren die älteren Wähler bereits bei der letzten Bundestagswahl die strukturelle Wählermehrheit hatten.
Man könnte jetzt in die Details eines möglichen Familienwahlrechts einsteigen, dann würden sich zahlreiche Fragen aufdrängen: Was passiert eigentlich bei der Stellvertretungsregelung, also die Erziehungsberechtigten können das Wahlrecht für ihre Kinder wahrnehmen, wenn sich beide nicht einig sind? Die Mutter will Partei A, der Vater hingegen Partei B wählen? Man könnte jetzt noch zahlreiche weitere Fallkonstellationen ausbreiten und vertiefen.

Aber hier soll abschließend eher eine grundsätzlich skeptisch stimmende Frage aufgeworfen werden: Wer sagt denn, dass die Eltern im Interesse der Jüngeren abstimmen werden? Und vorgelagert zu dieser Frage: Wer bestimmt denn, was „die“ Interessen der Jüngeren sind? Straubhaar sieht die aktuell im Entstehen befindliche „Rente mit 63“ als eine die Interessen der Jüngeren verletzende Maßnahme an. Aber warum eigentlich? Und ist es nicht bezeichnend, dass er die ebenfalls vor der Einführung stehende „Mütterrente“ von ihm gar nicht erwähnt wird, obgleich damit ganz erhebliche Kosten verbunden sind, die – von vielen Seiten kritisiert – nicht aus Steuermitteln, sondern aus Beitragsmitteln finanziert werden wird? Fragen über Fragen.

Nun wirklich abschließend und nur als Anregung zum Weiterdenken gedacht: Wenn man der inneren Logik folgt, dass man die Familien über das vorgeschlagene Familienwahlrecht mit einem stärkeren Gewicht gegenüber den Älteren (und den Kinderlosen) ausstattet, damit deren scheinbar berechtigten Interessen stärker berücksichtigt werden müssen von den Parteien (so die Hoffnung) – wer kann denn grundsätzlich dem Argument widersprechen, dass wir möglicherweise in eine „Diktatur der von staatlichen Transferleistungen abhängigen Menschen“ hineinrutschen und dass diejenigen, die die Mittel erwirtschaften müssen, um diese Leistungen finanzieren zu können, eigentlich ein stärkeres Gewicht bei Wahlen bekommen sollten, damit die Parteien sich nicht – institutionenegoistisch völlig rational – bei ihren Plänen und Programmen immer stärker an denen ausrichten, die mehr Transferleistungen haben möchten? Eine „Leistungsträgerwahlrecht“ also? Nur mal so als Gedanke.

Der Mindestlohn mal wieder: Für manchen sind 8,50 Euro zu hoch, für eine gesetzliche Rente auf dem Niveau des Existenzminimums ist das deutlich zu niedrig. Kann eine „Mindestbemessungsgrundlage“ helfen?

Es ist schon ein – nicht nur – sozialpolitisches Kreuz mit dem Mindestlohn. Da hat man mal die 8,50 Euro pro Stunde in die Welt gesetzt und jetzt streiten sich alle um diesen Betrag. Für einen Teil der Arbeitgeber ist das natürlich viel zu viel, für andere ist das auch nicht mehr als ein „Hungerlohn“. Und ganz frisch ist die Erkenntnis, dass auch die, die nach außen fest zu mindestens 8,50 Euro stehen, in praxi, also bei Tarifverhandlungen, dann auch schon mal die 8,50 Euro eine weitere Zeit lang 7,75 Euro sein lassen, wie jetzt in der Fleischindustrie zu beobachten (hierzu der Beitrag Überraschend unblutige Einigung auf einen Mindestlohn von 8,75 Euro in der Fleischindustrie. Aber nicht sofort, sondern ab 2017). Über die Gründe dafür wird sicher noch zu spekulieren und zu diskutieren sein und möglicherweise liegen sie – wie in dem Beitrag angedeutet – tatsächlich in der Machtfrage zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern sowie der Einsicht, dass es derzeit betriebswirtschaftliche Realitäten „eigener Art“ gibt.

Aber stellen wir uns einmal vor, die Tarifparteien hätten sich auf 8,50 Euro ab dem 1. Juli 2014 geeinigt oder noch hypothetischer der Gesetzgeber hätte das für sie erledigt mit einem flächendeckenden, gesetzlichen Mindestlohn. Dann müsste man aus einer engeren sozialpolitischen Sicht den folgenden zusammenfassenden Befund zur Kenntnis nehmen: Nach derzeitigem Stand reicht ein Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro gerade aus, um die Aufstockung des Lohns vollzeitbeschäftigter Singles durch Leistungen nach SGB II („Hartz IV“) auszuschließen. Aber die auf dieser Basis erreichbaren Rentenanwartschaften reichen keinesfalls aus, um auch eine Existenzsicherung im Alter zu erreichen. Statt 8,50 Euro im Jahr 2015 müsste der Mindestlohn bei 11,21 Euro liegen – aber man bekommt auch bei diesem Stundenlohn nur dann eine Netto-Rente, die dem Existenzminimum entspricht, wenn der Biografie eine Vollzeit-Beschäftigung über 45 Jahre zugrunde liegt. Das war noch nicht alles.

Denn eigentlich müsste der Stundenlohn 2015 schon bei 12,11 Euro liegen, wenn man das rückblickend aus der Sicht des Jahres 2027 berechnet, wenn man unterstellt, dass die Rentenniveauabsenkungen fortgeführt werden. Alles klar? Dann noch eins: Der Mindeststundenlohn von 11,21 Euro bzw. 21,11 Euro des Jahres 2015 muss aber kontinuierlich angehoben werden, nur um eine Netto-Rente in Höhe des Existenzminimums erreichen zu können – dafür »müsste der Mindestlohn kontinuierlich angehoben werden – und zwar in den Jahren 2016 bis 2018 um jeweils 2,6 Prozent, im Jahr 2019 um 2,9 Prozent und ab dem Jahr 2020 jährlich um drei Prozent.«

So jedenfalls die Berechnungsergebnisse von Johannes Steffen, der die Website „Portal Sozialpolitik“ betreibt, in seiner neuen Veröffentlichung „Wenn der Mindestlohn fürs Alter nicht reicht. Plädoyer für eine Mindestbemessungsgrundlage für Rentenbeiträge auf Arbeitsentgelt„, aus der hier berichtet wird.

Steffen weist mit Blick auf die notwendige jährliche und nicht unerhebliche Dynamisierung des Mindestlohns – wohlgemerkt, nur um weiterhin das Ziel zu erreichen, eine Netto-Rente in Höhe des Existenzminimums sicherstellen zu können – gleich auf eine erste Schwachstelle der im Koalitionsvertrag fixierten Verständigung über den Mindestlohn hin:

»Nun sieht aber schon der Koalitionsvertrag die erste eventuelle Anpassung frühestens nach dreijähriger »Laufzeit« zum 1. Januar 2018 vor; dass es dann sogleich zu einer Erhöhung um 7,8 Prozent (3 x 2,6%) kommt, erscheint aus heutiger Sicht eher unwahrscheinlich …«

Aber wie kommt Johannes Steffen auf diese doch erheblichen Abweichungen? Sie resultieren aus der Logik der Entgeltpositionierung in einem beitragsabhängigen Rentenversicherungssystem:

»Auf Basis der … Werte für das erste Halbjahr 2014 ist eine erwerbslebensdurchschnittliche Entgeltposition von 61,43 Prozent (= 0,6143 EP/Jahr) notwendig, um nach 45 Beitragsjahren eine Nettorente in Höhe des … steuerfreien Existenzminimums … zu erzielen … Liegt die durchschnittliche Entgeltposition unterhalb dieses Schwellenwertes, so kann das Existenzminimum alleine mit der Nettorente nicht erreicht werden.«

Oder für alle, die das anhand von konkreten Zahlen brauchen, hier seine Abbildung dazu:

Man muss also 0,6143 Entgeltpunkte erreichen, nur um nach diesem Szenario auf eine Netto-Rente in Höhe des steuerfreien Existenzminimums zu kommen. Und das ist jetzt ein Problem bei einem vorgesehenen Mindestlohn von 8,50 Euro, denn: »Ganzjährig zum Mindestlohn Vollzeitbeschäftigte erreichen … im Jahr der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns eine relative Entgeltposition von 46,97 Prozent – oder 0,4697 Entgeltpunkte für das Jahr 2015.«

Anders ausgedrückt: Im Ausgangsjahr (2015) müsste der Mindestlohn um ein knappes Drittel höher angesetzt werden als im Koalitionsvertrag vorgesehen – und auch seine weitere Entwicklung bis zum Jahr 2027 müsste dynamischer verlaufen als der erwartbare Anstieg des Durchschnittseinkommens.

Die Bewertung der laut Koalitionsvertrag vorgesehenen Mindestlohnhöhe aus einer sozialpolitischen Sicht muss also zweigeteilt ausfallen:

1.) Geht man von dem berechtigten Anliegen aus, dass der gesetzliche Mindestlohn eine Höhe haben sollte, die bei durchschnittlicher Fallkonstellation einen aufstockenden Bezug von Grundsicherungsleistungen bei einem Alleinstehenden ausschließt, dann muss man zu dem Ergebnis kommen, dass dieses Ziel mit den 8,50 Euro gerade so erreichbar ist.

  • Zugleich aber, das sei hier nur angemerkt, wird dann aber auch klar, dass das eben nicht für einen alleinverdienenden Vater gelten muss und auch nicht gelten wird aufgrund der Defizite im System des Familienlastenausgleichs. Und vor allem kann es natürlich nicht funktionieren, wenn zwar Mindestlohn gezahlt wird oder sogar darüber), aber die Arbeitszeit nach unten abweicht von einer Vollzeitbeschäftigung. In diesen Fällen muss es auch in der 8,50 Euro- oder auch 10 Euro-Mindest-Zukunft Aufstockungen geben müssen.

2.) Man kann den Grundgedanken hinsichtlich der Abdeckung des Existenzminimums aus dem Lohneinkommen übertragen auf die Altersphase: »45 Beitragsjahre in Vollzeitbeschäftigung (Standarderwerbsbiografie) müssen eine Nettorente gewährleisten, die mindestens auf Höhe des Existenzminimums liegt und die damit für Alleinstehende eine Aufstockung durch Leistungen nach SGB XII im Regelfall (und unter Status-quo-Bedingungen) ausschließt.« Kann dies nicht (mehr) gewährleistet werden, so werden Armutsrenten – die nicht umstandslos gleichzusetzen sind mit Altersarmut – zu einem systematischen Problem eines Rentenversicherungssystems, das dessen Legitimität und die hier vorgesehenen Zwangsbeiträgen untergraben muss. Steffen weist darauf hin, dass der Versuch, die durch zu niedrige bemessene Arbeitseinkommen resultierenden Armutsrenten nachträglich wieder nach oben zu hieven – beispielsweise durch die geplante „solidarische Lebensleistungsrente“ – zum Scheitern verurteilt sein werden (vgl. hierzu  Steffen, J.: „Solidarische Lebensleistungsrente“. Rentenniveausenkung konterkariert Armutsvermeidung, Dezember 2013).
Was bleibt übrig?

»Herstellen lässt sich die erforderliche strukturelle Kompatibilität zwischen Beitragsbemessungsgrundlage und normativer Vorgabe letztlich nur durch einen ausreichend hohen und allgemein gültigen Mindestlohn oder – sofern dessen Höhe und/oder »allgemeine Gültigkeit« nicht hinreicht – ergänzend durch eine Mindestbemessungsgrundlage für Rentenbeiträge auf Arbeitsentgelt.«

Wie könnte so eine „Mindestbemessungsgrundlage“ für Rentenbeiträge auf Arbeitsentgelt aussehen, vor allem, welche Höhe müsste sie  haben? Hierzu präsentiert Steffen in seiner Veröffentlichung einen möglichen Rechenweg:

Das bedeutet: Bereits im vorgesehenen Einführungsjahr 2015 liegt der Mindestlohn von 8,50 Euro  um 2,71 Euro unterhalb der für erforderlich erachteten Mindestbemessungsgrundlage für Rentenbeiträge auf Arbeitsentgelt.

Fazit von Johannes Steffen: »Eine Mindestbemessungsgrundlage ist daher in Ergänzung des gesetzlichen Mindestlohns mit Blick auf die Altersvorsorge sowie für die Stärkung der Akzeptanz des Pflichtversicherungssystems unabdingbar.«

Und dann legt er noch einen drauf, was die Finanzierung angeht: »Der auf den Differenzbetrag zwischen Stundenlohn und Mindestbemessungsgrundlage fällige Beitrag wäre demgegenüber alleine vom Arbeitgeber zu entrichten (Aufstockungsbetrag).« Er spricht hier von „Vorsorgedumping“ und das rechtfertigt seiner Meinung nach die Finanzierung über die Arbeitgeber.
Was das für Arbeitgeber konkret bedeuten würde, beziffert Steffen auch:

»Bei einem gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro und einer Mindestbemessungsgrundlage von 10,89 Euro hätte der Arbeitgeber den auf den Differenzbetrag (2,39 Euro) entfallenden Beitrag zur Rentenversicherung in Höhe von 46 Eurocent pro Stunde aufzustocken. Verglichen mit einem Stundenlohn in Höhe von 8,50 Euro stiege das Arbeitgeber-Brutto um 4,52 Prozent von 10,14 Euro auf 10,60 Euro.«

Ein „vorsorgekompatibler Mindestlohn“ wie auch eine „Mindestbemessungsgrundlage für Rentenbeiträge“ würde allerdings – darauf weist Steffen ausdrücklich hin – nur die Situation in der Zukunft verbessern helfen. Niedriglöhne der Vergangenheit sind damit nicht mehr korrigierbar. Deshalb muss man dafür eine ergänzende Lösung finden, also zurückliegende Zeiten mit niedrigem Entgelt im Nachhinein für die Rente aufzuwerten. Steffen fordert in diesem Kontext: »… eine Verlängerung der gegenwärtig auf Zeiten vor 1992 begrenzten Regelungen zur sogenannten Rente nach Mindestentgeltpunkten … bildet insofern die leistungsrechtliche Kehrseite der beiden Medaillen Mindestlohn und Mindestbemessungsgrundlage.«

Man sieht, nichts für Leute, die auf der Suche sind nach einfachen Lösungen für ein komplexes System.

Eine harte Packung: Ungleichheit und soziale Polarisierung im Spiegel neuer Zahlen

Es gibt sie, diese Tage, an denen man förmlich bombardiert wird mit Zahlen und Aussagen, die auf fundamentale gesellschaftliche Entwicklungslinien verweisen. So ein Tag fängt beispielsweise an mit einer solchen Botschaft: Das Statistische Bundesamt bringt es in der für die Bundesstatistiker so typisch trockenen Art und Weise, aber zugleich absolut zutreffend schon in der Überschrift der Pressemitteilung über den neuen „Datenreport 2013“ auf den Punkt: „Mehr Jobs, aber auch mehr Armut„. Die Süddeutsche Zeitung titelt dazu: ”Reiches Deutschland, armes Deutschland“ und Spiegel Online gar: „Arme Deutsche sterben früher„. Eine Zusammenfassung einiger ausgewählter Aspekte aus dem neuen „Datenreport 2013“ kann man auf der Facebook-Seite von „Aktuelle Sozialpolitik“ nachlesen.

Aber damit noch nicht genug: „Deutschland vernachlässigt arme Rentner„, so berichtet Spiegel Online über eine neue OECD-Studie, die Online-Ausgabe der Welt überschreibt einen Artikel dazu mit: „Geringverdiener bekommen ein Rentenproblem„. Was ist hier los?

Die OECD hat eine neue Studie vorgestellt, aus der wir für Deutschland die folgende Perspektive entnehmen können: Nach derzeitigem Stand würden „die Rentenbezüge für Menschen mit verhältnismäßig kleinem Gehalt gegen Mitte dieses Jahrhunderts so niedrig sein wie in kaum einem anderen OECD-Land“, sagte die Leiterin der Abteilung für Sozialpolitik, Monika Queisser. Die Ökonomen der OECD analysieren die Lebensstandardänderung beim Eintritt in den Ruhestand. Die wird gemessen an den so genannten „Ersatzraten“:

»Sie zeigen an, wie hoch die Bezüge von Rentnern im Verhältnis zu ihrem früheren Einkommen in Zukunft liegen werden. Im Schnitt aller 34 Länder liegt die Rate bei 54 Prozent des Bruttoeinkommens. Wer in Deutschland 2012 zu arbeiten beginnt und sein Leben lang Rentenbeiträge zahlt, kann laut OECD später 42 Prozent seines durchschnittlichen Bruttoeinkommens erwarten. Das ist nicht einmal halb so viel wie beim Spitzenreiter Niederlande, der auf eine Ersatzrate von stolzen 89 Prozent kommt.«

Immerhin bekommt man in Deutschland mehr als in Großbritannien, wo Durchschnittverdiener nur knapp ein Drittel ihres früheren Einkommens erhalten.

Allerdings: Das sind die Durchschnittswerte. Und die Daten für die Geringverdiener zeigen für Deutschland ein weitaus schlechteres Bild:

»Deutlich schlechter sieht der Vergleich jedoch bei Geringverdienern aus, die nur über die Hälfte des durchschnittlichen Einkommens verfügen. Sie erhalten laut Studie in den meisten OECD-Ländern deutlich höhere Ersatzraten als Durchschnittsverdiener und werden somit vor Altersarmut geschützt. In Dänemark bekommen Niedrigverdiener 121 Prozent ihres früheren Einkommens, in Israel sind es 104 Prozent. Ganz anders in Deutschland: Hier erhalten Geringverdiener genauso wie der Durchschnitt nur 42 Prozent ihres Einkommens. Damit landet Deutschland noch hinter Polen (49 Prozent) auf dem letzten Platz.«

Nun wird an dieser Stelle immer wieder kritisch angemerkt, dass der Lebensstandard nicht nur von der Rente abhängig sei, sondern beispielsweise auch von Vermögenstatbeständen wie dem Besitz eines Hauses oder einer Eigentumswohnung. Doch auch da sieht es im internationalen Vergleich für einen Teil der in Deutschland lebenden Menschen nicht gut aus:

»So profitiert nur jeder zweite Deutsche im Ruhestand vom eigenen Haus oder der eigenen Wohnung. Im OECD-Schnitt sind es dagegen 76 Prozent.«

Und auf die immer wieder beschworenen Umverteilungseffekte staatlicher Leistungen kommen nicht berauschend daher:

»Staatliche Leistungen erhöhen das Einkommen der deutschen Rentnergeneration um durchschnittlich 30 Prozent, zehn Prozentpunkte unter dem OECD-Schnitt.«

Derzeit – gleichsam als Folgewirkung der „alten“ Erfolgsstory Rentenversicherung steht Deutschland nicht gut da beim Thema Altersarmut. Allerdings:

»Der (neue) Datenreport 2013 zeigt aber, dass die Armutsgefährdung gerade bei älteren Deutschen in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen hat.«

Die OECD weist darauf hin, dass viele Länder anders als Deutschland die Geringverdiener bei ihren Sparbeschlüssen verschont haben.

Was zu tun wäre? Ein relativ naheliegendes Konzept wäre die Besserstellung der Geringverdiener in der Rentenversicherung. Also eine stärkere Umverteilung innerhalb der Rentenversicherung. Wir hatten in der Vergangenheit solche Umverteilungselemente, die mittlerweile abgeschafft worden sind, beispielsweise die Rente nach Mindesteinkommen. Eine Mindestrente wäre die logische Antwort auf diese Entwicklungen. Beispielsweise.

Die Rentenversicherung zwischen kinderzahlabhängiger Talfahrtbeschleunigung und einem schönen Blick auf die Schweizer Berge. Irgendwo dazwischen die großkoalitionäre Sparflamme

Das war aber auch wieder ein Leseschock für viele Konsumenten der BILD-Zeitung: Weniger Rente für Kinderlose? sprang ihnen in den üblichen, also riesengroßen Lettern aus der Zeitung entgegen. Immerhin mit einem Fragezeichen, aber der Hinweis auf „Wirtschafts-Experten diskutieren“ verleiht der Nachricht doch eine gewisse Seriosität und verstärkt zugleich die Unsicherheit beim Empfänger der Botschaft, die sie auslösen soll. Dabei geht es doch „nur“ darum, wie die Renten „in der Zukunft“ gerechter gemacht werden können. Kern der Debatte, so die BILD, sei: »Kinderlose sollen künftig weniger staatliche Rente erhalten als Senioren, die Kinder großgezogen haben.« Und der „Sozialexperte Jochen Pimpertz“ vom Arbeitgeber-Institut der deutschen Wirtschaft (IW) wird zitiert mit den Worten: „Künftige Rentenansprüche von heute jungen Personen müssen auch von der Kinderzahl abhängig gemacht werden“. Aber das war gleichsam nur das Vorspiel, dann kommt der Auftritt von Hans-Werner Sinn vom ifo Wirtschaftsforschungsinstitut in München: Sinn »will Kinderlose verpflichten, stärker in die private Altersvorsorge (Riester-Rente) zu investieren. Familien sollen dagegen einen Extrazuschuss aus der gesetzlichen Rentenkasse bekommen. Ziel: mehr Kinder, gerechtere Renten!« Herr Sinn möchte also zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Zum einen mehr Kinder anreizen und zum anderen den finanzindustriellen Komplex bei der Riester-Rente, die bekanntlich nicht mehr so gut läuft seit immer mehr unerfreuliche Details bekannt werden, zwangspampern.

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Die zunehmende Altersarmut ist gefühlt sicher, die Gewerkschaften wollen ein Vorsorgelager anlegen und die Beitragszahler sollen den Müttern (und dem Bundeshaushalt) was Gutes tun

Es ist schon ein mehrfach verschachteltes Trauerspiel, das mit und um die Rente aufgeführt wird. Was waren das noch für Zeiten, als beispielsweise in den 1980er Jahren mehr als 90% der Menschen der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung vertraut haben. Innerhalb weniger Jahre ist es interessierten Kreisen in den 1990er Jahren gelungen, dieses bis dahin stabile Vertrauensfundament in der Bevölkerung grundlegend zu zerstören. Das Wort „Rentenreformen“ steht mittlerweile paradigmatisch für das Gegenteil von dem, was in der Vergangenheit im politischen Raum eigentlich mal mit „Reform“ verbunden war: Umgestaltung und Verbesserung bestehender Verhältnisse, wobei die Verbesserung hier zu unterstreichen wäre. Statt dessen hat „Reform“ heute fast ausschließlich die Bedeutung eines zumeist technokratisch daherkommenden Kürzungsprogramms. Viele empfinden mittlerweile im sozialpolitischen Bereich nur die Erwähnung des R-Wortes als Bedrohungsszenario. Und Hand aufs Herz: Sie haben meistens auch allen Grund dazu.

Während die einen – denen es um eine Dekonstruktion der umlagefinanzierten gesetzlichen Rente geht mit dem Ziel der Erschließung neuer Geschäftsfelder im Bereich der individualisierten privaten Altersvorsorge – die komplexen Prozesse der demografischen Entwicklung instrumentalisieren, um die Rentenversicherung sturmreif zu schießen (ohne natürlich auf den tiefen demografischen Treibsand der Kapitaldeckung hinzuweisen), herrscht immer noch bei nicht wenigen Versicherten ebenfalls eine Illusion hinsichtlich der Funktionsweise einer umlagefinanzierten Rentenversicherung. Die folgt eben nicht dem „Sparkassen-Modell“, die aktuellen Beiträge werden nicht angespart auf einem imaginären Rentenkonto, sondern direkt an die derzeit vorhandenen Rentner weitergeleitet. Und auf dem Rentenkonto der heutigen Beitragszahler sammeln sich Ansprüche darauf an, dass es in Zukunft mal vergleichbar ablaufen wird, worauf man hoffen darf, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Trotzdem glauben immer noch viele Versicherte, es handelt sich irgendwie doch um ein Ansparmodell „ihres“ Geldes.

In dieser Gemengelage muss dann wieder mal aus den Tiefen und Untiefen der Altersvorsorgeberichterstattung zitiert werden: „Die Angst vor Altersarmut wächst„, so hat Stefan Sauer seinen Artikel in der Online-Ausgabe der Frankfurter Rundschau überschrieben. Mittlerweile gehen 42 Prozent der Beschäftigten nach einer Erhebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes davon aus, dass ihre Rente zum Leben nicht ausreichen wird. Das sind vier Prozentpunkte mehr als noch 2012. Er bezieht sich hier auf die Ergebnisse einer Umfrage unter 5.800 Personen, die der DGB veröffentlicht hat: „So beurteilen die Beschäftigten die Rentenlage. Ergebnisse der Repräsentativumfrage des Instituts DGB-Index Gute Arbeit 2013„. Nun handelt es sich um Umfrageergebnisse und so sollte man die auch verstehen – insofern ist die Aussage auf dem Titelblatt der DGB-Veröffentlichung „42 Prozent werden von ihrer gesetzlichen Rente nicht leben können“ schlichtweg Unsinn, denn die glauben das – aber es könnten auch mehr oder eben weniger sein. Das ist jetzt keine Nörgelei, denn letztendlich bewegt sich die Qualität von solchen „Untersuchungen“ dann auf einem vergleichbar problematischen Niveau wie die immer wieder gerne verrissenen „Umfragen“ der anderen Seite, also der Finanzindustrie.

Apropos Finanzindustrie. Auch die hat sich mit den Ergebnissen einer Umfrage an die Öffentlichkeit gewandt, die zu unserem Themenfeld passt: Die vom Allensbach-Institut durchgeführte Postbank Studie „Altersvorsorge in Deutschland 2012/2013„.

  • Einige zusammenfassende Ergebnisse aus der Postbank-Studie: Die anhaltend niedrigen Zinsen hinterlassen Spuren bei der Bereitschaft der Bundesbürger zur Altersvorsorge. Knapp die Hälfte aller Berufstätigen will die private Altersvorsorge auch deshalb nicht mehr erweitern. Und bei denen, die noch weiter privat vorsorgen wollen, sind Immobilien gefragter denn je. Auf den Plätzen zwei und drei der Beliebtheitsskala beim Vorsorgeausbau liegen hinter dem Eigenheim zwei weitere Formen des „Betongolds“: Der Abschluss eines Bausparvertrages sowie der Erwerb von Immobilien zur Vermietung. Lebensversicherungen haben stark an Ansehen verloren. Die Pläne der Berufstätigen sind eindeutig: Nur noch fünf Prozent planen eine klassische Lebensversicherung mit Kapitalauszahlung abzuschließen. Und auch für eine private Riester-Rente interessieren sich nur noch neun Prozent der Berufstätigen, die ihre Altersvorsorge ausbauen wollen. Seit 2003 ist der Kreis der Berufstätigen, die nicht vermehrt vorsorgen wollen, um fast 60 Prozent gewachsen – auf den bisher höchsten in zehn Jahren gemessenen Stand. Die Fokussierung auf den Erwerb von Wohneigentum schlägt sich auch auf der Erwartungsseite nieder: Der Ruf nach stärkerer staatlicher Unterstützung beim Eigenheimerwerb wird laut. Fast 40 Prozent der Berufstätigen fordern dies. 89 Prozent der Befragten sehen Altersarmut künftig weiter zunehmen. 

Ein Befund aus der Postbank-Studie sei an dieser Stelle hervorgehoben: »…  zwei von drei Deutschen halten es … für falsch, die Rentenbeiträge, trotz der aktuellen Überschüsse in der Rentenkasse, zu kürzen«. Hier ist ein interessanter Link zu den Forderungen, die aktuell vom DGB vorgetragen werden. So wird Annelie Buntenbach vom DGB-Vorstand mit den folgenden Worten zitiert:

»Die Altersarmut, die uns in Zukunft droht, ist vermeidbar, wenn der Rentenversicherungsbeitrag nicht weiter gesenkt, sondern eine solidarische Demografie-Reserve in der gesetzlichen Rentenversicherung aufgebaut wird. Der Beitragssenkungsstopp hat oberste Priorität, denn der Rentenbeitrag für das nächste Jahr muss noch im Herbst festgelegt werden. Wenn die in wenigen Jahren ohnehin notwendige Beitragsanhebung in kleinen, paritätischen Schritten vorgezogen wird, kann zumindest das heutige Rentenniveau auf lange Sicht finanziert und die Erwerbsminderungsrente armutsfest gemacht werden.«

In diesem Zusammenhang interessant: „Ökonom fordert Rückbesinnung auf gesetzliche Rente„, so berichtet es die Online-Ausgabe der Welt.  Rudolf Zwiener, Volkswirt am Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, wird mit den Worten zitiert: »Die Auswirkungen der Niedrigzinsphase auf die privaten Rentenversicherungen machen deutlich, dass es falsch war, die gesetzliche Rente schrumpfen zu lassen und darauf zu setzen, dass die private Altersvorsorge die Lücke auffangen werde.« Geringverdienern oder Menschen, die erwerbsunfähig werden, fehle ohnehin das Geld für ein privates Sparprodukt. In körperlich belastenden Berufen wie auf dem Bau oder in der Pflege werde zudem das auf 67 erhöhte Renteneintrittsalter nicht erreicht. Auch wer mehr verdient, habe von den beiden kapitalgedeckten Rentensäulen, der privaten Altersvorsorge und den Betriebsrenten, vergleichsweise wenig – wenn man davon ausgeht, dass das niedrige Zinsniveau länger anhalten wird. Das bedeutet weniger Rendite auf den Kapitalmärkten und zugleich wollen die privaten Anbieter von Altersvorsorgeprodukten auch noch Kosten und vor allem ihre Gewinne abschöpfen.

Zwiener plädiert für eine Stärkung der umlagefinanzierten gesetzlichen Rente: »Um zwei Prozent höhere Beitragssätze für Angestellte und Arbeitgeber über 20 Jahre reichten aus, um das jetzige Rentenniveau zu halten – trotz Bevölkerungsentwicklung. „Jetzt zahlt ein junger Arbeitnehmer deutlich mehr: Die private Rente zahlt er komplett allein und bei vielen Betriebsrenten sinkt der Arbeitgeberanteil.“ Zudem benötige er noch eine zusätzlich Absicherung gegen Berufsunfähigkeit.«

Aber noch ist nicht Schluss – es fehlen noch die Mütter. Und auch an diesem Beispiel kann man die Verwirrungen in der rentenpolitischen Debatte studieren: „Union will Mütterrente ohne Steuergeld bezahlen„, so Rainer Woratschka im Tagesspiegel. 6,5 Milliarden Euro kostet es zwar pro Jahr, wenn sich künftig, wie versprochen, für jedes vor 1992 geborene Kind die Rente des erziehenden Elternteils um einen Entgeltpunkt erhöht. Aber dafür brauche man keine Steuererhöhungen, weil man überhaupt keine Steuermittel brauche – die aus Beiträgen finanzierte Rentenkasse sei doch prall gefüllt. Die Politiker – unter ihnen der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundesstagsfraktion Volker Kauder – haben ihre begehrlichen Blicke geworden auf die Rekord-Rücklage der Gesetzlichen Rentenversicherung von derzeit mehr als 28 Milliarden Euro. Dies entspricht 1,58 Monatsausgaben – gesetzlich vorgeschrieben ist lediglich eine Reserve von 0,2. Allerdings sollte die Betonung auf dem Wort „derzeit“ liegen, denn diese Rücklagen können auch ganz schnell wieder zusammenschmelzen. Aber das ist gar nicht der entscheidende Einwand – sondern dass es sich um Beitragsmittel der Versicherten handelt.
Dazu Rainer Woratschka: »Bisher galt für die Honorierung von Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung eine eherne Regel: Die Versicherer bekommen diese Ausgaben aus Bundesmitteln komplett erstattet. Schließlich handelt es um eine versicherungsfremde, vom Staat gewollte und nicht über Beiträge gedeckte Leistung. Im vergangenen Jahr kostete dieser Posten den Steuerzahler so mehr als 11,6 Milliarden Euro.« Franz Ruland, der Vorsitzende des Sozialbeirats der Bundesregierung, plädiert deshalb für eine Steuerfinanzierung. Eine Finanzierung aus Beitragsmitteln sei „ordnungspolitisch falsch“ – aber angenehm für den Bundeshaushalt, werden sich die Akteure in Berlin denken, die mit kleinen Geschenken glänzen möchten, die andere bezahlen sollen. Auch der DGB warnt die zukünftige Regierung vor einem Griff in die Sozialkassen, »eine Beitragsfinanzierung von ‚Mütterrenten‘ wäre ein gefährlicher Etikettenschwindel, denn am Ende bezahlen die Versicherten die Zeche mit höheren Beiträgen oder Leistungskürzungen.«