Und tschüss!? Zur Inanspruchnahme der „Rente ab 63“ und ihren Arbeitsmarktauswirkungen

Die „Rente ab 63“ hat im Vorfeld ihrer gesetzgeberischen Einführung polarisiert und sie polarisiert auch nach ihrer Inkraftsetzung. Vor allem in der Wirtschaft läuft man weiter Sturm gegen diesen gerade für die SPD neben dem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn so zentralen sozialpolitischen Baustein der Regierungsarbeit, während man sich im Gewerkschaftslager natürlich eher freut, allerdings zugleich den vorübergehenden Charakter dieser Möglichkeit, früher als bislang ohne Abschläge aus dem Erwerbsleben zu scheiden, beklagt. Im Mittelpunkt der kritisch-ablehnenden Bewertung der „Rente ab 63“ stehen zwei Aspekte: Zum einen wird darauf hingewiesen, dass die langjährige Entwicklung in Richtung auf ein späteres Ausscheiden aus dem Erwerbsleben im Sinne einer Annäherung des tatsächlichen Übergangs in die Altersrente an die (frühere) Regelaltersgrenze von 65 durch Maßnahmen wie Abbau der Frühverrentungsmöglichkeiten und die Verschärfung der Abschlagsregelungen bei vorzeitigem Renteneintritt durch die schrittweise Verlängerung des gesetzlichen Renteneintrittsalters („Rente mit 67“) durch die – temporäre, weil auf nur einige wenige Jahrgänge begrenzte – Sonderregelung der „Rente ab 63“ durchbrochen wird und damit die trendmäßige Anpassung des tatsächlichen Renteneintrittsalters nach oben aufgehalten und je nach Inanspruchnahme wieder umgekehrt wird (vgl. zum Austritt aus dem Erwerbsleben in den Altersrentenbezug Martin Brussig und Mirko Ribbat (2014): Entwicklung des Erwerbsaustrittsalters: Anstieg und Differenzierung. Der Unterschied zwischen Erwerbsaustrittsalter und Renteneintrittsalter ist nicht trivial, denn: »Nur in etwa einem Drittel der Rentenzugänge eines Jahres erfolgt der Rentenbeginn aus einer unmittelbar vorhergehenden stabilen versicherungspflichtigen Beschäftigung; Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Nichterwerbstätigkeit vor Rentenbeginn sind weit verbreitet.« Und mit dem hier interessierenden Blick auf die Arbeitsmarktauswirkungen ist das Erwerbsaustrittsalter besonders relevant).

Zum anderen wird beklagt, dass der arbeitsmarktliche „Aderlass“ durch die Inanspruchnahme der abschlagsfreien „Rente ab 63“ nicht gleichverteilt, sondern aufgrund der Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, teilweise hoch konzentriert ist auf bestimmte Branchen und Berufe, die – so die Stimmen aus der Wirtschaft – bereits heute angeblich durch einen spezifischen und zunehmenden Fachkräftemangel gekennzeichnet seien. Hier führt die befristete Öffnung eines vorzeitigen Austritts aufgrund der Anreizwirkungen zu einer starken Inanspruchnahme, die viele Betriebe vorzeitig ihrer erfahrenen Fachkräfte berauben würde. Insofern ist es vor diesem Hintergrund natürlich interessant, nicht nur die allgemeine Inanspruchnahme der „Rente ab 63“ zu betrachten, sondern einen genaueren Blick auf die spezifische Nutzung vor allem hinsichtlich der Branchen und Berufe zu werfen.

Genau das versucht die Bundesagentur für Arbeit (BA) und aus deren neuesten Daten resultieren dann solche Artikel: Maurer und Fliesenleger nutzen Rente ab 63 am häufigsten, so die FAZ: »Vor allem Berufstätige auf dem Bau nutzen die im vergangenen Sommer eingeführte Rente ab 63.«
Datengrundlage sind die Auswertungen der BA:

Bundesagentur für Arbeit: Hintergrundinformation Auswirkungen der Rente ab 63 Jahren nach langjährigen Beitragszeiten auf den Arbeitsmarkt. Berichtsmonat: Juli 2015, Nürnberg, Juli 2015

Zum 1. Juli 2014 trat das Gesetz über Leistungsverbesserung in der Rentenversicherung in Kraft. Das Gesetz ermöglicht langjährig Versicherten, die das 63. Lebensjahr vollendet haben und mindestens 45 Beitragsjahre vorweisen können, abschlagsfrei in Altersrente zu gehen. Bei der deutschen Rentenversicherung sind bis Ende April etwa 320.000 Anträge eingegangen – wobei man darauf hinweisen muss, dass das eine „Brutto-Zahl“ ist, also man nicht argumentieren kann, die 320.000 hätten ansonsten weitergearbeitet bzw. wären im Erwerbsleben geblieben. Für den „Netto-Effekt“ müsste man diejenigen abziehen, die von der möglichen, allerdings mit Abschlägen versehenen, vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrente Gebrauch gemacht hätten. Außerdem – der Vollständigkeit halber sei das hier auch erwähnt – handelt es sich um gestellte Anträge, die zuerst hinsichtlich der Erfüllung der notwendigen Voraussetzungen geprüft und bewilligt werden müssen, so dass die tatsächliche Zahl der „Rente ab 63“-Fälle niedriger ausfallen kann (und wird).

Zuerst zu den allgemeinen Auswirkungen der „Rente ab 63“ auf die Beschäftigung von älteren Arbeitnehmern, hier gemessen an der wichtigen Zahl der „sozialversicherungspflichtig Beschäftigten“ in der Altersgruppe 61 bis 65. Die am Anfang des Beitrags stehende Abbildung der BA zeigt deren Entwicklung von Anfang 2009 bis an den aktuellen Rand. Man erkennt die deutliche Zunahme der Beschäftigtenzahlen in dieser Altersgruppe bis zum Juni 2014, dem letzten Monat vor Einführung der abschlagsfreien Rente ab dem 63. Lebensjahr.

»Seit 2009 ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten über 63 Jahren kontinuierlich gestiegen … Nach der Einführung der Rente ab 63 Jahren im Juli 2014 hat sich die Beschäftigtenzahl verringert, und zwar von Juni 2014 bis Mai 2015 um 31.300 oder 7 Prozent auf 439.400. m Vorjahr hatte die Beschäftigung in dieser Altersgruppe von Juni 2013 bis Mai 2014 um 53.600 oder 13 Prozent zugenommen.«

Man erkennt den – nennen wir das mal so – „Nahles-Einbruch“ ja auch in der Abbildung.

Interessant ist natürlich wie bereits angesprochen ein differenzierter Blick auf die unterschiedliche Inanspruchnahme nach Branchen und Berufen vor dem Hintergrund der Ausgangsthese, dass das hoch konzentriert und nicht gleichverteilt abläuft. Auch dazu liefern die Hintergrundinformationen der BA einige interessante Daten, vor allem, was die Berufsgruppen angeht, bei denen man einen überdurchschnittlichen Rückgang der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Alter ab 63 Jahren feststellen kann bzw. muss. In der zweiten Abbildung habe ich die Berufsgruppen herausgegriffen, bei denen sechs Monate nach dem Inkrafttreten der „Rente ab 63“ im Juli 2014 überdurchschnittlich starke Rückgänge bei der relevanten, also sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung ab 63 Jahren zu beobachten sind. Man lasse die aufgeführten Berufsgruppen einen Moment auf sich wirken.

Unschwer zu erkennen: Eine besonders intensive Inanspruchnahme gibt es tatsächlich in bestimmten Berufsgruppen. Dazu der FAZ-Artikel:

»Handwerker wie Maurer, Estrich- und Fliesenleger nutzen die im vergangenen Sommer eingeführte Rente ab 63 offenbar am intensivsten. In diesen sogenannten Innenausbauberufen sank die Zahl der Beschäftigten ab 63 Jahren bis Ende 2014 um 25,9 Prozent …  auch die Zahl der ab 63-Jährigen im Hoch-und Tiefbau (ging) bei einem Minus von 18,7 Prozent deutlich zurück.«

Auch die anderen Berufe zeichnen sich in einer Gesamtschau dadurch aus, dass es sich im Regelfall um körperlich durchaus belastende und vernutzende Tätigkeiten handelt.

Anders ausgedrückt: In vielen dieser Berufe ist die Inanspruchnahme der abschlagsfreien Rente ab 63 durchaus verständlich und nachvollziehbar – und genau diese Differenzierung wird bzw. wurde viel zu wenig gemacht bei der generalisierenden Debatte über „die“ Rente mit 63 und vor allem der Kritik an dieser Regelung, denn ob bewusst oder unbewusst haben viele Beteiligte oftmals Berufe vor Augen, die heute im Bewusstsein eher dominant sind, also Schreibtischjobs beispielsweise. Doch bei denen, das zeigen die detaillierten Auswertungen der BA ebenfalls, ist die Inanspruchnahme der „Rente ab 63“ unterdurchschnittlich.

Fazit: Wir müssen unterscheiden zwischen den (vor allem den nach Branchen und Berufen differenzierten) Arbeitsmarktauswirkungen  und den rentenversicherungssystematischen Fragen einer „Rente ab 63“.

Zuerst zu den Arbeitsmarktauswirkungen: Eine ausgeprägte Nachfrage nach der Rente ab 63 gibt es bei (überwiegend bis ausschließlich männlichen) Handwerkern und Industriefacharbeitern, die diese Option ziehen und auch oftmals gute Gründe haben, so schnell wir möglich aus dem heutigen Erwerbsleben auszuscheiden, so lange es keine Kultur und zugleich keine adäquate finanzielle Ausgestaltung eines realisierbaren flexiblen, schrittweisen Rückzugs aus dem Erwerbsleben gibt. Das hat natürlich in diesen Branchen gewichtige negative Auswirkungen, die auch dadurch zustande kommen, dass man gerade in den hier relevanten Berufsgruppen heute die Folgen der in der Vergangenheit immer beklagten Ausbildungsdefizite, dass also zu wenig Nachwuchskräfte ausgebildet wurden, als es noch eine ausreichende Zahl an jungen Ausbildungslatzsuchenden gab.

Das ist ein generelles und den tatsächlich gerade bei Handwerkern und Industriefacharbeitern derzeit entstehenden und deutlich zunehmenden allgemeinen Fachkräftemangel beförderndes Problem, das jetzt übergangsweise durch den „Sonderausstieg“ eines Teils der älteren Fachkräfte gleichsam „verdoppelt“ wird. Insofern ist es verständlich und auch begründet, wenn das in diesen Bereichen als echtes Problem wahrgenommen wird, wenngleich auch das Inanspruchnahmeverhalten der älteren Beschäftigten in diesen Berufen nachvollziehbar ist.

Etwas anders gelagert ist die rentenversicherungssystematische Einordnung zu behandeln. Oftmals eine mehr oder weniger subtile Botschaft transportierend sind die Formulierungen, die man wählt. In dem bereits zitierten FAZ-Artikel Maurer und Fliesenleger nutzen Rente ab 63 am häufigsten heißt es in der Unterüberschrift gleich am Anfang: »Die abschlagsfreie Frührente ist gefragt.«

Wieso „Frührente“? Es handelt sich um eine abschlagsfreie Inanspruchnahme der Altersrente ab dem 63 (statt bisher 65), wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Und die wichtigste, an der dann auch viele Beschäftigten, vor allem Frauen, scheitern müssen, lautet: 45 Beitragsjahre (dazu und was darauf – nicht – angerechnet werden kann, vgl. die Informationen der DRV).

Man muss sich klar machen, um welchen Normalfall es hier geht: Es handelt sich um Arbeitnehmer, der sehr früh in ihrem Leben eine Ausbildung als Handwerker oder Facharbeiter gemacht haben und seitdem im Grunde ununterbrochen über Jahrzehnte gearbeitet haben – nicht selten, wie ja auch die jetzt vorliegende Inanspruchnahmestatistik aufzeigen kann – in Berufen, die körperlich durchaus mit erheblichen Belastungen verbunden sind. Ist der Bezug einer Altersrente nach 45 Beitragsjahren eine „Frührente“? Genau darüber kann man begründet diskutieren und hier sind wir auch an einer systematischen Unwucht der „Rente ab 63“ angelangt, denn man muss bei der ganzen Diskussion berücksichtigen: Entgegen der darüber transportierten Wahrnehmung in der Öffentlichkeit ist die derzeitige und so kontrovers diskutierte Regelung eine Art „Ausrutscher“ in einem ansonsten in eine andere Richtung angelegten Trend. Denn die „Rente ab 63“ schließt aufgrund der 45 Jahre-Anforderung nicht nur zahlreiche, vor allem weibliche Beschäftigte aus, sie wird ja auch mit ihrer Einführung gleich wieder sukzessive abgeschafft und dünnt sich aus, denn die generelle Verlängerung des gesetzlichen Renteneintrittsalters auf 67 Jahre, die dann erstmals vollständig erreicht wird für den Jahrgang 1964, nicht zufälligerweise der geburtenstärkste Jahrgang in Deutschland, wurde ja nicht aufgehoben, sondern läuft weiter. Für die Rente ab 63 bedeutet das konkret: Ab Jahrgang 1953 steigt diese Altersgrenze für die abschlagsfreie Rente wieder schrittweise an. Für alle 1964 oder später Geborenen liegt sie wieder wie bislang bei 65 Jahren.

Hier offenbart sich ein zentrales Problem: Offensichtlich hat die SPD in den Koalitionsverhandlungen eine zeitlich sehr begrenzte Öffnung des Renteneintrittsalters nach unten für ganz bestimmte Arbeitnehmer, die man zu dem Kernklientel der Industriegewerkschaften zählen kann und muss, durchsetzen können, ohne den allgemeinen Pfad einer Anhebung des Renteneintrittsalter damit aufgeben zu müssen. Das lässt das dann ja auch so unsystematisch wirken.

Auf der anderen Seite ist es eben gerade nicht gelungen, eine systematische Regelung zu finden, die einen „flexiblen“ Übertritt in den Ruhestand in Abhängigkeit von den individuell erbrachten Beitragsjahren zu ermöglichen, denn eine solche Regelung würde nicht nach einem kalendarischen Lebensalter fragen, sondern nach der Leistungszeit des Arbeitnehmers in der Gesetzlichen Rentenversicherung. Und wenn man in der Logik des bestehenden Rentenversicherungssystems bleibt, das ja auch differenziert bei der Rentenhöhe nach der Höhe der vorher eingezahlten Beiträge, dann wäre es durchaus gerechtfertigt, jemanden auch (vom Lebensalter her gesehen) „früher“ in Rente gehen zu lassen, wenn er oder sie beispielsweise 45 Beitragsjahre auf dem Buckel hat. Andere, beispielsweise Akademiker, die erst wesentlich später ins Erwerbsleben eingetreten sind, müssten dann eben „länger“ erwerbsarbeiten. Dafür kann man gute Argumente finden, man kann das natürlich auch kritisieren. Aber diese systematische Diskussion wurde und wird gar nicht geführt. Insofern bleibt der Befund: Die heutige „Rente ab 63“ ist ein Fremdkörper, der aufgrund seiner unterschiedlichen Auswirkungen in den einzelnen Wirtschaftszweigen durchaus als Problem wahrgenommen und erlebt wird, sie ist aber auch insofern ein rentenrechtlicher Fremdkörper, als das ihre Auflösung bereits mit dem Inkrafttreten begonnen hat und die Menschen eher verwirrt, die fälschlicherweise glauben, so was wie eine abschlagsfreie „Rente mit 63“ wird es auf Dauer geben.

Von „heißer Liebe zum deutschen Volk“ zum „1.000 Euro Starterpaket für jedes neue Baby“. Neues Altes zur Familien- und Rentenpolitik

„Aus heißer Liebe zum deutschen Volk“ – so hieß es am 26. Juni 1945 im Berliner Gründungsaufruf der Christdemokraten. Deshalb feiert die CDU ab der kommenden Woche ihren 70. Geburtstag und in einer etwas eigenen Adaption an diese Gründungsaufforderung hat sich jetzt die Junge Union zu Wort gemeldet, die Jugendorganisation der Union, immerhin mit offiziell 117.000 Mitglieder eine ziemlich große Organisation. Passend in unsere Zeit der Individualisierung wie auch der alle Lebensbereiche durchdringenden Ökonomisierung will man jetzt offensichtlich das deutsche Volk von unten unterstützen und die „heiße Liebe zum Kinderzeugen“ anreizen. Mit einem – festhalten, jetzt wird es ganz heiß – „1.000 Euro-Starterpaket für jedes neue Baby“. Wie scharf ist das denn?

Aber die Jungunionisten erweisen der immer irgendwie mitlaufenden Vorstellung, dass junge Menschen eine Präferenz für radikale Vorstellungen haben und sich gegen „die Alten“ auflehnen wollen und müssen (was empirisch spätestens seit den Shell-Jugendstudien mehr als widerlegt ist, denn dort wurde dokumentiert, dass die meisten Jugendlichen ihre Eltern als Kumpel und nette Partner wahrnehmen, was sicher nicht die Abarbeitung an den Positionen der Eltern befördert), scheinbar, aber eben nur scheinbar ihre Referenz: Sie fordern eine – aufgepasst – „radikale Reform der Familien- und Rentenpolitik“. Robert Roßmann beschreibt diese in seinem Artikel Junge Union fordert Sonderabgabe für Kinderlose.

Der JU-Chef Paul Ziemiak hat dazu einen Forderungskatalog dazu vorgelegt, der sich – man ahnt es schon – an „der“ demografischen Entwicklung abarbeitet.

Zur Rentenpolitik: Die Junge Union fordert die sofortige Abschaffung der Rente mit 63 und der JU-Chef »fordert eine grundlegende Änderung des Rentensystems. „Es muss eine Verknüpfung zwischen Renteneintrittsalter und Lebenserwartung geben“, sagt Ziemiak. Wenn die Lebenserwartung steige, verlängere sich bisher auch die Bezugsdauer der Rente, ohne dass die Versicherten dafür höhere Beiträge eingezahlt hätten …  Die Junge Union wolle, dass zwei Drittel der zusätzlichen Lebenszeit angerechnet werden.«

Nur eine von vielen möglichen kritischen Anmerkungen zu dieser Forderung, die ja nicht wirklich von den jungen Unionisten kommt, sondern die haben copy und paste gemacht beim Institut der deutschen Wirtschaft, bei Professor Sinn und anderen bis hin zu einem Teil der „fünf Wirtschaftsweisen“, die genau so eine Regelung seit längerem einfordern. Hier an dieser Stelle nur der eine Hinweis: Die Forderung kommt für viele auf den ersten Blick so plausibel daher, denn das leuchtet doch ein: Wenn die Lebenserwartung weiter ansteigt und man länger Rente bezieht, dann kann man doch einen Teil der gewonnenen Lebenserwartung dafür einbringen, über Arbeit die Beiträge (und Steuern) zu erwirtschaften, die man braucht, um das zu finanzieren. Genau so argumentiert die Junge Union in Person ihres Vorsitzenden Paul Ziemiak: „Wenn beispielsweise die durchschnittliche Lebenswartung der Jahrgänge von 1985 bis 1990 um drei Monate steigt, muss das Renteneintrittsalter für diese Jahrgänge um zwei Monate steigen“, so wird er zitiert. Schon mal was vom Unterschied zwischen Durchschnitt und Streuung der Originalwerte gehört? Ein Durchschnittswert kann zuweilen mehr verschleiern als Information verdichten, vor allem, wenn die Ausgangswerte sehr stark streuen um den Durchschnittswert. Und genau hier haben wir ein Riesenproblem bei dem durchschnittlichen Anstieg der Lebenserwartung. Der geht nämlich so: Bei der oberen Hälfte ist der Anstieg nicht drei Monate, sondern vielleicht fünf oder sechs, ganz oben noch mehr. Aber in der unteren Hälfte sind es nicht drei, sondern zwei, ganz unten vielleicht nur ein Monat oder gar keiner. Wenn wir jetzt aber eine anscheinend plausibel daherkommende Regelbindung haben, nach dem Muster ausgehend vom Durchschnitt drei Monate mehr = 2 Monate mehr beim gesetzlichen Renteneintrittsalter, dann ist die relative Belastung oben viel geringer als unten und unten erweist sich aufgrund der Streuung der Werte eine solche Regelung als das, was sie wohl auch sein soll: Eine richtig harte Rentenkürzung, denn man darf nicht vergessen, dass das Erreichen der Regelaltersgrenze verbunden ist mit der Abschlagsregelung im Rentenrecht, also alle, die es nicht bis dahin schaffen, werden mit lebenslangen Abschlägen bei ihrer – dann auch noch zumeist an sich niedrigeren – Rente belastet.

Zur „Familienpolitik“: »Die JU verlangt außerdem die Umwandlung des Ehegattensplittings in ein Familiensplitting. „Wir wollen nicht nur eine Erhöhung der Freibeträge, sondern ein echtes Familiensplitting“, sagt Ziemiak. Die steuerliche Entlastung durch das Splitting solle sich also – anders als bisher – mit der Zahl der Kinder erhöhen.«

Nun gibt  es diese Debatte schon lange und es handelt sich hier ebenfalls um keinen neuen Ansatz, sondern erneut haben die jungen Leute einfach nur abgeschrieben – aus dem Wahlprogramm der eigenen Mutterpartei. Die hat das 2013 bei der Bundestagswahl in ihrem Programm drin stehen gehabt. Eine „radikale“ Erweiterung besteht wohl darin, dass man ein „echtes“ Familiensplitting“ fordert und nicht „nur“ eine Anhebung der Freibeträge. Hier nur einige wenige Aspekte aus der kritischen Auseinandersetzung allein schon mit dem Modell der höheren Freibeträge, die von Richard Ochmann und Katharina Wrohlich 2013 in ihrem Aufsatz Familiensplitting der CDU/CSU: Hohe Kosten bei geringer Entlastung für einkommensschwache Familien vorgetragen wurden. Familien mit geringen Einkommen werden unterdurchschnittlich bis gar nicht entlastet. Je höher das (zu versteuernde) Einkommen, desto größer ist die Entlastung, was der Mechanik des Steuersystems geschuldet ist. Logischerweise und nicht vermeidbar bedeutet das, dass wenn man die Freibetragslogik mit der Zahl der Kinder koppelt, dass dann in den oberen Haushaltseinkommen richtig viel ankommt für deren Kinder, während es unten sehr viel weniger bis gar nichts wäre. Die notwendigen finanziellen Ressourcen für eine solche steuerliche Entlastung wären enorm. Und Oschmann/Wrohlich weisen darauf hin: »Generell haben alle Splittingmodelle den gravierenden Nachteil, dass sie dem familienpolitischen Ziel der Vereinbarkeit von Beruf und Familie entgegenwirken.«

Aber die Jungunionisten fordern nicht nur, sondern wie es sich heutzutage gehört, man liefert den Hohepriestern der Religion von der „schwarzen Null“ und einem schuldenfreien Haushalt gleich auch schon das passende Opfer der Gegenfinanzierung der Geld kostenden Vorschläge. Und was schlägt die Junge Union hier vor – um das gleich scheinbar „familienpolitisch“ zu ummänteln?
»Kinderlose sollen eine Sonderabgabe in Höhe von einem Prozent des Bruttoeinkommens zahlen.«
Man hat die Stimmen schon im Ohr, die auf eine gruppenbezogene Diskriminierung hinweisen werden. Der JU-Chef hält dagegen: „Das wäre keine Benachteiligung, sondern nur ein Ausgleich“, so wird er zitiert. Ausgleich für was bitte? Die Argumentation von Ziemiak geht so: »Eltern hätten enorme Ausgaben, die Kinderlose nicht hätten. Wegen der Mehrwertsteuer auf diese höheren Ausgaben würden Eltern bisher auch steuerlich schlechter gestellt als Kinderlose.« Aber auch daran ist gar nichts Neues, denn bereits vor drei Jahren hatten Bundestagsabgeordnete aus der Union genau diese Forderung zur Diskussion gestellt: »Die Abgeordneten hatten vorgeschlagen, Kinderlose vom 25. Lebensjahr an mit einem Prozent ihres Einkommens zur Kasse zu bitten. Die Abgabe sollte nach der Anzahl der Kinder gestaffelt werden. Kinderlose müssten voll zahlen, Eltern mit einem Kind die Hälfte, Eltern mit mehreren Kindern nichts.«

Auch das hat sich nicht ohne Grund nicht durchgesetzt, der vielleicht am Anfang vorhandene Charme einer gewissen Logik, „die“ Kinderlosen zahlen mehr als die armen mit Kindern belasteten Familien schmilzt wie die Butter in der Sonne, wenn man berücksichtigt, dass „die“ Kinderlosen dann zusätzlich belastet werden sollen für den Ausgleich einer höheren Steuerbelastung der Familien, obgleich die doch in dem Modell der Union parallel massiv entlastet werden sollen über das Familiensplitting.

Abschließend sind wir wieder am Anfang angekommen, denn die Junge Union fordert »die Einführung eines „Starterpakets“ für Eltern. Sie sollen für jedes Kind, das geboren wird, 1000 Euro vom Staat als Erstausstattung erhalten.« Super. Aber mal ehrlich – unabhängig von der Tatsache, dass es viele einkommensschwache Familien gibt, für die 1.000 Euro bei der Geburt eines Kindes mehr als hilfreich sein könnte: Von einer Begrenzung des „Starterpakets“ auf die, die materiell wirklich in schwierigen Verhältnissen sind, liest man nichts. Das „Starterpakekt“ sollen alle bekommen, also auch die Haushalte, die nun wirklich nicht angewiesen sind auf diesen Betrag. Und davon gibt es Gott sei Dank immer noch sehr viele in unserem Land. Was soll das? Will man perspektivisch die Premium-Hersteller von Kinderwägen pampern über diesen Betrag, den die Eltern dann in ein noch hipperes Modell reinvestieren werden? Vielleicht ist das aber auch ein geniales Programm zur Stärkung der Binnennachfrage.

Halt – alle würden die 1.000 Euro bekommen? Es steht zu befürchten, dass das in einer Hinsicht wieder nicht gelten würde: Für die, die einen solchen Betrag am nötigsten hätten. Also die Eltern im Grundsicherungsbezug. Erinnern wir uns an dieser Stelle an das „Betreuungsgeld“, das von den Befürwortern ausdrücklich als eine Honorierung der elterlichen Erziehung- und Betreuungsleistung zu Hause herausgestellt wurde, deshalb würden auch alle in den Genuss dieser Leistung kommen, also einkommensabhängig. Und tatsächlich ist es auch so, dass auch sehr einkommensstarke Haushalte die 150 Euro überwiesen bekommen – alle, aber nicht die „Hartz IV-Eltern“, denn bei denen wird das Betreuungsgeld vollständig angerechnet auf ihren Anspruch auf SGB II-Leistungen, mithin verrechnet. Sie gehen leer aus. Es steht zu befürchten, dass der gleiche Mechanismus zuschlagen würde beim „Starterpaket“.

Ach, jede Gesellschaft hat die Jugend, die sie verdient, könnte man jetzt bilanzieren. Oder anders: Entweder mal richtig auf die Pauke hauen und was Großes fordern oder aber wenn man sich schon so klein macht, dass man passungsfähig zu werden hofft, dann muss man sich eben auch messen lassen an Sorgfältigkeit beim Denken und entsprechendem Tiefgang beim Verfassen von Forderungen. Aber vielleicht wollte man einfach auch nur mal wieder in die Medien.

Die Rentendiskussion ist sicher: Die IG Metall will gegen die „Rente mit 63“ klagen und in der Union soll es eine flügelübergreifende Sehnsucht nach der „Flexi-Rente“ geben

Sicherlich hatte man in der Großen Koalition gehofft, dass man das Thema Rente vorerst an die Seite schieben und aus der öffentlichen Debatte bekommen kann, nachdem die „Rente mit 63“ und die „Mütterrente“ gleich am Anfang der Legislaturperiode abgearbeitet worden sind. Und eine der bekannten Einordnungen der Komponenten des „Rentenpakets“ der Bundesregierung lautet: Die „Rente mit 63“ (für einige wenige Jahrgänge und nur unter besonderen Voraussetzungen) sei das „Wahlgeschenk“ an die Gewerkschaften und die „Mütterrente“ das der Unionsparteien an die (vermeintliche) Wählergruppe der Älteren, vor allem der älteren Frauen mit Kindern, die vor 1992 geboren worden sind. Also müssten die doch alle zufrieden sein. Vor diesem Hintergrund scheint es dann überraschend, wenn man lesen muss: Gewerkschaften wollen Rente mit 63 vom Verfassungsgericht prüfen lassen oder Gewerkschaften bereiten Klage gegen Rente mit 63 vor, um bei der Komponente des Rentenpakets der Bundesregierung zu bleiben, das sich vor allem an die Industrie-Gewerkschaften richtet (vgl. hierzu beispielsweise Rente ab 63 ist eine Männerrente, denn aufgrund der Anspruchsvoraussetzungen, die erfüllt sein müssen, richtet sich diese Regelung vor allem an männliche Industrie-Arbeitnehmer oder auch Handwerker). Warum sind die jetzt unzufrieden mit „ihrem Geschenk“?

Um das zu verstehen, muss man sich in Erinnerung rufen, dass bei der gesetzgeberischen Konkretisierung immer und unvermeidbar Abgrenzungen vorgenommen werden müssen, die in bestimmten Fallkonstellationen als „Ungerechtigkeit“ wahrgenommen werden (können). Und genau um ein solche Unwucht bei der Operationalisierung der zu erfüllenden Zugangskriterien geht es jetzt: Die IG Metall sieht in einem Teil des Gesetzes eine willkürliche Ungleichbehandlung von Arbeitslosen und deshalb werden jetzt Musterverfahren gegen die Rente mit 63 vorbereitet. Es geht um Ausnahmeregelungen, die im letzten Moment in das Gesetz aufgenommen wurden, um die Union zu besänftigen, worauf Thomas Öchsner in seinem Artikel Rente mit 63 vor Gericht hinweist: »Bis Ende November wurden bereits 186 000 Anträge gestellt. 141 000 hat die Deutsche Rentenversicherung bereits abgearbeitet und in der Regel bewilligt.

Dennoch zeichnet sich schon jetzt neuer Ärger mit der neuen vorzeitigen Rente ab: Die in letzter Minute aufgenommenen Ausnahmen werden wohl bald die deutschen Sozialgerichte beschäftigen.«
Stefan Sauer bringt das Problem in seinem Artikel auf den Punkt:

»Versuche, mittels eines Gesetzes jede Eventualität präzise zu regulieren, gehen oft schief. Der Wunsch nach Einzelfall-Gerechtigkeit mündet nicht selten in komplizierten Durchführungsbestimmungen, neuen Ungerechtigkeiten  und juristischen Auseinandersetzungen. Dieses Schicksal droht nun der Rente mit 63, genauer: einzelnen Gesetzespassagen, mit denen der begünstigte Personenkreis möglichst genau eingrenzt werden soll.«

Schauen wir uns also in einem ersten Schritt den Sachverhalt genauer an, der diese Entwicklung ausgelöst hat: »Die Rente ab 63 ohne Abzüge vom Altersgeld erhält, wer 45 Beitragsjahre in der Rentenversicherung nachweisen kann. Dabei werden auch Zeiten anerkannt, in denen Arbeitslosengeld I (nicht Hartz IV) bezogen wurde. Es gibt aber eine Ausnahme, die den Wirtschaftsflügel der Union besänftigen sollte: Bei den letzten zwei Jahren vor dem jeweiligen Rentenbeginn werden Zeiten der Arbeitslosigkeit nicht angerechnet, um Frühverrentungen mit 61 zu vermeiden«, so Öchsner. Bei dieser Sonderregelung stand die Überlegung Pate, dass es ansonsten die „Gefahr“ geben könnte, dass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf eine Entlassung zum 61. Lebensjahr verständigen und die Betroffenen die Zeit bis zur Inanspruchnahme der abschlagsfreien „Rente mit 63“ mit Arbeitslosengeld I und ergänzenden Leistungen des Arbeitgebers überbrücken. Dann wäre aus der „Rente mit 63“ eine „Rente mit 61“ geworden. Es soll hier nicht darauf eingegangen werden, dass das eine teilweise sehr konstruiert wirkende Gefahrenbeschreibung war. Durch die Ausnahmeregelung die letzten beiden Jahre vor Eintritt in die abschlagsfreie Rente bei der Anrechnungsmöglichkeit von Arbeitslosengeld I-Bezug schien man das „Problem“ beseitigt zu haben – und hatte gleichzeitig ein neues zum Leben erweckt, denn die Regelung mag das Ausgangsproblem einer bewusst herbeigeführten Frühverrentung blockieren, aber was ist mit den Fällen, in dem der betroffenen Arbeitnehmer gegen seinen Willen den Arbeitsplatz verloren hat, also unfreiwillig? Und dem beispielsweise gerade ein oder zwei Jahre fehlen, um die 45 Beitragsjahre erfüllen zu können, die ihm einen Zugang zum abschlagsfreien Bezug der Altersrente ermöglichen würde?

Natürlich wurde dieses Problem erkannt und man versuchte, dem mit einer neuen Sonderregelung innerhalb der Sonderregelung zu begegnen. Stefan Sauer dazu: Für die erste Ausnahmeregelung »wurde, auf Druck der SPD, aber eine zweite Ausnahme ins Gesetz geschrieben: Ist die Arbeitslosigkeit vor Rentenantritt durch die vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers – etwa wegen einer Insolvenz -bedingt, so ist die Zeit der Arbeitslosigkeit bis zu zwei Jahre vor Rentenantritt doch anzurechnen. Damit sollte Arbeitnehmern Gerechtigkeit widerfahren, die ohne eigenes Verschulden ihren Job verlieren. So weit, so gut.«

Wie immer in der hyperkomplexen Sozialpolitik unserer Tage liegt der Teufel im Detail der semantischen Operationalisierung. Denn bei der Umsetzung des Willens des Gesetzgebers ergab sich eine Ausnahme Nummer drei, »die gestützt auf den Gesetzestext in den Arbeitsanweisungen der Rentenversicherung enthalten ist: Eine „vollständige Geschäftsaufgabe“ ist danach nur gegeben, wenn Unternehmen „ihre gesamte Betriebstätigkeit auf Dauer einstellen“, nicht aber, wenn lediglich einzelne Unternehmensteile stillgelegt werden«, so Sauer. Der Kern des aktuellen Problems liegt in dem scheinbar klaren Begriff der „vollständigen Geschäftsaufgabe“ des Unternehmens, denn daraus ergeben sich zwangsläufig nicht begründbare Ungleichbehandlungen, was Stefan Sauer in seinem Artikel an einem Beispiel illustriert:

»Beispiel: Opel-Mitarbeiter, die mit der Schließung des Werks in Bochum ihre Stellen verloren, würden bei der Beitragszeitanrechnung benachteiligt, weil zwar ihr Werk, aber nicht Opel als ganzes Unternehmen dicht gemacht wurde. Dabei ist unstrittig, dass die Bochumer Opelaner den Jobverlust gewiss nicht willentlich herbeiführen oder auch nur beeinflussen konnten. Sie sind ebenso schuldlos an ihrer Arbeitslosigkeit wie zum Beispiel Kollegen eines Zuliefererbetriebs, die aufgrund der Opel-Werksschließung ihren Job verlieren. Ginge ihr Betrieb pleite,  würde ihnen aber die Arbeitslosigkeit vor Rentenantritt angerechnet. Plausibel ist das nicht.«

Fakt ist: Arbeitnehmer, die ihren Job nicht freiwillig verlieren, werden höchst unterschiedlich behandelt, weil die Deutsche Rentenversicherung in ihren Arbeitsanweisungen den Willen des Gesetzgebers dergestalt konkretisiert, dass der Begriff der vollständigen Geschäftsaufgabe „eng auszulegen“ sei. Auch wieder „beispielhaft“ das Hin-und-Herschieben“ von Verantwortlichkeiten, wie man sie in der Sozialpolitik zur Genüge kennt: Die Rentenversicherung kennt das Problem. Man habe sich beim Formulieren der Arbeitsanweisungen „an den Gesetzeswortlaut gehalten“, sagt ein Sprecher. Das Arbeitsministerium teilt wiederum mit, die Auslegung der Rechtsvorschriften „obliegt den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung“, so Thomas Öchsner.

Man darf an dieser Stelle daran erinnern, dass das jetzt an die Oberfläche gespülte Problem bereits vor Monaten in Aussicht gestellt wurde – vom Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestags. Dazu der Artikel Rente mit 63 möglicherweise verfassungswidrig vom 9. Juli 2014: In dem damaligen Gutachten, das der rentenpolitische Sprecher der Grünen, Markus Kurth, beantragt hatte, ging es genau um die Ausnahme von der Ausnahme, die jetzt wieder aufgerufen wird. Die Nicht-Berücksichtigung von betriebsbedingten Kündigungen bei der Anrechnung auf die zu erfüllenden Beitragszeiten dürfte „wohl gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3, Abs. 1 GG verstoßen“, heißt es in der juristischen Bewertung des Wissenschaftlichen Dienstes. Die Gutachter hatten bereits damals schwerwiegende Bedenken hinsichtlich der Angemessenheit der Ungleichbehandlung formuliert.  Nach ihrer Bewertung sei es problematisch, dass „Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen unter Generalverdacht gestellt“ werden, obwohl es bereits an Kenntnissen über den Umfang eines möglichen Missbrauchs fehle. Es sei mithin „nicht nachvollziehbar, dass diejenigen, die aufgrund einer betriebsbedingten Kündigung ausscheiden und infolgedessen tatsächlich unfreiwillig arbeitslos werden, weniger schutzwürdig sein sollen als diejenigen, die aufgrund einer Insolvenz oder vollständigen Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden“.

Wie ein Bumerang kommen diese Bedenken jetzt wieder zurück. Die IG Metall sammelt bereits Fälle für mögliche Klagen und will die „willkürliche Ungleichbehandlung“ vor dem Bundesverfassungsgericht klären lassen.

Und das ist nicht der einzige Punkt, der die aktuelle Rentendebatte prägt. Bereits in den vergangenen Tagen wurde über eine (freiwillige) „Rente mit 70“ berichtet. Und offensichtlich bewegt das Thema große Teile innerhalb der Union: Drei Flügel der CDU werben für Flexi-Rente, kann man beispielsweise lesen. Das hört sich irgendwie nett an – „Flexi-Rente“.

»Es geht um bessere Bedingungen für Menschen, die auch im Rentenalter noch arbeiten möchten – oder müssen«, so beginnt der Artikel und zeigt damit zugleich auch schon, dass es möglicherweise nicht nur um die Ermöglichung eines lustvollen Weiterarbeitens im Alter geht. Die Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung, die Senioren-Union und die Junge Union haben nun ein gemeinsames Positionspapier veröffentlicht. „Wir müssen jetzt endlich Nägel mit Köpfen machen“, so heißt es darin und gemeint ist: es solle einen „Flexi-Bonus“ für beschäftigte Rentner geben. Hört sich auch erst einmal nett an. Konkret geht es um folgendes:

»Der Rentenversicherungsbeitrag, den Arbeitgeber auch für Mitarbeiter im Rentenalter zahlen müssen, solle die Rente des Betroffenen künftig erhöhen – anders als bisher. „Konkret soll dieser Beitrag jährlich auf die laufende Rentenzahlung als Zuschlag aufgestockt werden.“ Die Mittelstandsvereinigung hatte diesen Vorschlag bereits im Herbst gemacht. Zudem fordern die drei CDU-Flügel nun eine Abschaffung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung für Ältere und einen deutlich flexibleren Übergang auch in die Beamten-Pension.«

Mehr Geld also für arbeitende Rentner. Will man dagegen sein? Bereits in dem Blog-Beitrag Was für ein Jahresanfangsdurcheinander: Die Rente mit 70 (plus?), ein Nicht-Problem und die Realität des (Nicht-)Möglichen am 3. Januar 2015 im Kontext der Vorschläge einer (- noch – freiwilligen) „Rente mit 70“ wurde versucht zu zeigen, dass hier im Grunde ein Nicht-Problem adressiert wird.

In entsprechender Deutlichkeit kann man das auch in einem Beitrag aus dem arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW Köln) nachlesen und nachvollziehen: Finanzielle Förderung unsinnig und unnötig, so die zutreffende Überschrift.

»Arbeitnehmer (können) schon heute freiwillig länger arbeiten. Und: Wer sich mit seinem Arbeitgeber einigt und erst später als vorgesehen Rente beantragt, der erhöht seinen Rentenanspruch nicht nur entsprechend der zusätzlichen Beitragszahlung – obendrauf gibt es einen Zuschlag von 0,5 Prozent pro Monat. Ein westdeutscher Durchschnittsverdiener, der ein Jahr dranhängt, erhöht so seinen Rentenanspruch um 30,33 statt nur um 28,61 Euro pro Monat (27,97 statt 26,39 Euro in den neuen Bundesländern).«

Nun kann man an dieser Stelle einwenden, dass es um diese Fälle bei der „Flexi-Rente“ nicht geht, sondern um die, die bereits in Rente sind und dann weiterarbeiten (wollen/sollen/müssen), denen will man ja den „Flexi-Bonus“ gewähren, also einen Zuschlag auf ihre neben dem Arbeitseinkommen ausgezahlte Rente. Hierzu das IW, die zugleich erklären, warum in diesen Fällen der Arbeitgeber seinen Beitragsanteil an die Rentenversicherung (und auch an die Arbeitslosenversicherung) weiter zahlen muss, obgleich sich die Rente des betroffenen Arbeitnehmers dadurch nicht erhöht und aufgrund des Rentner-Status auch keine Ansprüche gegenüber der Arbeitslosenversicherung bestehen:

»Aber auch, wer seine Rente mit 65 bezieht, kann weiter sozialversicherungspflichtig arbeiten. Er bekommt dann das Nettogehalt zusätzlich zur gesetzlichen Rente. Während die Arbeitnehmerbeiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung wegfallen, muss der Arbeitgeber seinen Beitragsanteil weiter zahlen. Damit wird der Rentenanspruch allerdings nicht weiter erhöht. Die Beitragspflicht für Unternehmen soll lediglich verhindern, dass Rentner aufgrund niedrigerer Lohnnebenkosten junge Arbeitnehmer aus dem Betrieb verdrängen.«

Das ist der Punkt. Das Positionspapier aus der CDU führt also – würde man das umsetzen – dazu, dass der Rentenversicherungsbeitragsanteil der Arbeitgeber nicht mehr an die Rentenversicherung fließen würde, sondern als „Stimulus“ für die Rentner fungieren soll, (wieder) arbeiten zu gehen, weil sie dann neben dem Arbeitseinkommen auch noch einen Zuschlag auf ihre normale Rente bekommen. Bezahlt werden muss das aus der Sozialkasse. Und gleichzeitig würde der Arbeitgeber noch entlastet, weil seine Zahlung an die Arbeitslosenversicherung gestrichen werden soll, so dass der ältere Arbeitnehmer tatsächlich günstiger werden würde.

Abschließend: Die ganze Diskussion über eine „Flexi-Rente“ wird jetzt entwickelt und vorangetrieben mit dem Hinweis, man wolle doch nur vereinfachen, anreizen und alles sei freiwillig. Wie so oft im Leben sollte man aber mögliche mittel- und langfristige Auswirkungen nicht aus den Augen verlieren. Denn „Sinn“ macht eine solche Aufweichung vor allem mit Blick auf die stetig zunehmende Altersarmut durch die vergangenen Eingriffe in das Sicherungsniveau der gesetzlichen Rentenversicherung. Wenn es immer mehr Rentner geben wird, die mit ihrer kargen Rente nicht über die Runden kommen (können), dann kann man sie verweisen auf die Möglichkeiten, sich etwas dazu zu verdienen und zugleich bekommen sie noch eine etwas höhere Rente. Und alles ganz „freiwillig“ natürlich.