Die Würde des Menschen ist unantastbar – „es sei denn, er ist altersdement oder sonst sehr pflegebedürftig“. Und in Berlin? „Parturient montes, nascetur ridiculus mus“ *

Das Thema Pflege – vor allem die Pflege alter Menschen – ist ein Dauerbrenner für Skandalisierungen und Quelle vieler Ängste. Zugleich ist es aufgrund der demografischen Entwicklung klar, dass die Pflege, die bereits heute in ihren Fundamenten bröckelt, zu dem sozialpolitischen Megathema der vor uns liegenden Jahre werden wird. Und auch bei den Koalitionsverhandlungen derzeit in Berlin wird das Thema hin und her gewendet. Was aber auch leider klar sein muss: Pflege ist aus politischer Sicht ein „Verliererthema“, wie das mal ein Politiker unter vier Augen auf den Punkt gebracht hat. Er meinte damit, dass das auf der einen Seite zwar Millionen Menschen angeht, als (potenziell) Betroffene wie auch als Angehörige, und damit eigentlich alle Voraussetzungen mit sich bringt, dass sich Politiker hier zu profilieren versuchen. Dass das aber kaum einer macht liegt schlichtweg darin begründet, dass man nicht nur über sehr viel (mehr) Geld sprechen müsste, sondern eine Vielzahl oftmals sehr kleinteiliger Maßnahmen erforderlich wären, um der großen Pflegeherausforderung gerecht werden zu können. Das aber lässt sich nicht auf marketinggängige Einfachsprüche eindampfen und mithin schlecht oder gar nicht verkaufen.

Insofern ist die gegenwärtige Situation dadurch gekennzeichnet, dass zwar das Thema an sich bei allen Sonntagsreden irgendwie Erwähnung findet (und hier ähnelt es der öffentlichen Thematisierung am Anfang der menschlichen Lebensspanne, also dem Bereich der frühkindlichen Bildung und Betreuung), aber diese Erwähnungsintensität transportiert sich nicht annähernd vergleichbar in eine energische Weiterentwicklung und Umbau der Pflegestrukturen. Geschweige denn von mutigen Schritten im Sinne einer deutlich erkennbaren Verbesserung der desaströsen Rahmen- und Arbeitsbedingungen in diesem wichtigen Feld der Sorge-Arbeit.

Vor diesem Hintergrund ist es interessant und erwähnenswert, dass Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung unter der Überschrift „Pflegenotstand verletzt systematisch das Grundgesetz“ auf eine neue rechtswissenschaftliche Dissertation zum Thema Pflegenotstand hinweist. Verfasserin dieser von Prantl herausgestellten Arbeit ist die Juristin Susanne Moritz.

Susanne Moritz: Staatliche Schutzpflichten gegenüber pflegebedürftigen Menschen, Dissertation (= „Schriften zum Sozialrecht“, Band 29), Nomos, Baden-Baden 2013.

Prantl argumentiert in seinem Artikel, dass die Beschreibung der Zustände, die sich hinter dem Begriff „Pflegenotstand“ verbergen, »laufen, wenn man es verfassungsrechtlich formuliert, auf eine makabere Ergänzung des Artikels 1 Grundgesetz hinaus: Die Würde des Menschen ist unantastbar – „es sei denn, er ist altersdement oder sonst sehr pflegebedürftig“. Von diesem Ausgangspunkt stellt Prantl heraus, dass die junge Wissenschaftlerin wie ein „juristischer Schutzengel“ daherkommt für die vielen Menschen, für die der Terminus „Pflegenotstand“ kein Abstraktum bleibt: »Sie zieht spektakuläre rechtliche Konsequenzen aus der desaströsen Situation, der unzureichenden Reaktion der Politik darauf und der gesetzgeberischen Untätigkeit: Der Staat verletzte mit seiner Untätigkeit seine Schutzpflichten gegenüber Pflegebedürftigen so massiv, dass der Weg zum Verfassungsgericht eröffnet sei. „Angesichts der hohen Wertigkeit der betroffenen Grundrechte und der bereits eingetretenen Verletzung derselben“ hält die Wissenschaftlerin Verfassungsbeschwerden in Karlsruhe für Erfolg versprechend.«

Schaut man in das Thesenpapier von Susanne Moritz zu ihrer Dissertation, das auf der Website ihrer Hochschule veröffentlicht ist, dann findet man dort die folgenden Ausführungen – die wie so oft bei den Juristen, wie aufeinanderfolgende Hammerschläge wirken:

»Die Lebensbedingungen vieler Menschen in Pflegeheimen sind lebensunwert; der Pflegezustand sowie die Pflegequalität sind zu einem erheblichen Teil mangelhaft. Darüber hinaus lässt sich eine regelmäßige Gewaltanwendung gegenüber den Pflegebedürftigen nachweisen … Die Ursachen hierfür liegen in erster Linie in den gesetzlichen Rahmenbedingungen der Pflege. Die Finanznot der Pflegekassen steuert in weitem Ausmaß unmittelbar und mittelbar Qualität und Umfang der Pflegeleistungen. Folge ist die geringe Vergütung der Pflegeheime, deren defizitäre Personalausstattung und schlechte Arbeitsbedingungen für das Pflegepersonal … Die Behebung dieser systemischen Ursachen ist zuvörderst Sache des Gesetzgebers … Die belegbaren Missstände in den Pflegeheimen verletzen die Grundrechte der stationär untergebrachten Pflegebedürftigen. Zwar erfolgt die Pflege der Menschen in den Pflegeeinrichtungen durch Dritte; eine Zurechenbarkeit dieser Grundrechtsverletzungen an den Staat ergibt sich aber aus dessen Schutzpflichten, die ihm gegenüber den Pflegebedürftigen obliegen und die er durch seine Untätigkeit verletzt.«

So weit die Diagnose und Verantwortungszuordnung in der prägnanten Kürze des Thesenpapiers. Und weiter? Was resultiert daraus? Auf den nun folgenden Passus aus dem Thesenpapier von Moritz stützt sich Prantl und wir alle sollten genau zuhören bzw. hinschauen:

»Sofern die Regierung weiterhin untätig bleibt, ist eine Verbesserung der Zustände in den Pflegeheimen nicht zu erwarten. Eine aussichtsreiche Möglichkeit, den Pflegemissständen Abhilfe zu schaffen, stellt ein Vorgehen vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das gesetzgeberische Unterlassen dar. Angesichts der hohen Wertigkeit der betroffenen Grundrechte und der bereits eingetretenen Verletzung derselben scheint ein Eingreifen des Bundesverfassungsgerichts auch unter funktionell-rechtlichen Aspekten legitim. Dabei erweist sich ein Vorgehen mittels Verfassungsbeschwerde als erfolgversprechend. Eine Beschwerdebefugnis ist dabei nicht nur für die aktuell betroffenen Heimbewohner anzunehmen, sondern besteht für alle potentiell künftig Betroffenen.«

Der entscheidende Punkt in der Wahrnehmung von Prantl ist der Gedankengang, »beschwerdebefugt seien alle potenziell später pflegebedürftigen Menschen – also jeder«. Hier öffnet sich die Perspektive auf »eine gewaltige Massen-Verfassungsbeschwerde«.
Darüber wäre doch mal zu diskutieren.

Aber ist die Rettung nicht längst in Sicht? Das Thema Pflege ist doch angekommen in den Koalitionsverhandlungen in Berlin und die kennen doch auch die Probleme der Pflege, sollte man meinen. Aber die bislang vorliegenden Signale aus der Verhandlungsrunde zu diesem Themenfeld lassen einen nicht nur ernüchtert, sondern teilweise auch wütend zurück.

Die WELT berichtet beispielsweise über die Pflege-Vorschläge der Union für die nächste Verhandlungsrunde mit der SPD in dem Artikel „Union will den Kassen die Pflegekontrolle entziehen„. So soll der für die Pflegeheimkontrollen sowie für die Prüfung der Pflegebedürftigkeit von Patienten bislang zuständige Medizinische Dienst der Krankenversicherung aus der Verantwortung der gesetzlichen Krankenkassen herausgelöst und in ein unabhängiges Institut umgewandelt werden. Mit dieser Forderung will man den Betroffenen entgegenkommen, denn immer wieder entzündet sich heftige Kritik an der Begutachtungspraxis des Medizinischen Dienstes, dem vorgeworfen wird, dass die Entscheidungen auch beeinflusst seien von der Berücksichtigung der Kostendämpfungsinteressen der Pflegekassen.

Aber richtig spannend wird es bei den nächsten Punkten: »Klar ist bereits, dass Union und SPD in der geplanten großen Koalition den Pflegebeitrag in den nächsten Jahren um 0,5 Prozentpunkte anheben wollen. Die Union will dabei Kinderlose stärker belasten.« Hier wird zumindest offen zugegeben, dass man mehr Geld braucht, um zum einen die Umsetzung eines seit langem überfälligen Pflegebedürftigkeitsbegriffs wie zum anderen auch für mehr Pflegekräfte finanzieren zu können. Wobei man schon die Frage aufwerfen darf und muss, warum das alles über Beitragsmittel der Versicherten in der Sozialen Pflegeversicherung finanziert werden soll. Dann aber gibt es Grund, mehr als nur die Stirn zu runzeln: Die Union will »einen neuen Vorsorgefonds einrichten und diesen ab 2015 jährlich mit einer Milliarde Euro aus Beitragsgeldern speisen.« Ziel sei es, frühzeitig eine Rücklage in der Pflege aufzubauen – mit Beitragsmitteln aus einem Umlagesystem? Eine Milliarde Euro pro Jahr (zusätzlich zu den laufenden Ausgaben für die Pflegebedürftigen)? Aber bevor man sich „Sorgen“ machen muss, dass es zu größeren Veränderungen kommen wird, sei an dieser Stelle der Vorsitzende der zuständigen Koalitionsarbeitsgruppe, der CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn, zitiert, der prophylaktisch darauf hinweist: »… wir (müssen) ganz genau schauen, wo Verbesserungen dringend notwendig sind, und das Geld nicht nach dem Gießkannenprinzip verteilen«. Zur Not hilft am Ende der berühmte Finanzierungsvorbehalt. Bislang hingegen kein Wort beispielsweise über so substanzielle Fragen wie verbindliche Personalschlüssel in den Pflegeheimen, über die Verpflichtung der Pflegekassen, höhere Vergütungen für das Pflegepersonal auch mitzufinanzieren, kein Konzept für den dringend notwendigen auch finanziellen Ausbau der kommunalen Altenhilfe, um die Versorgungsbedarfe strukturiert zu bearbeiten. Keine Ankündigung einer wirklich konzertierten Aktion zur Gewinnung von zukünftigen Pflegefachkräften. Um nur einige Einwände vorzubringen. Wie am Anfang postuliert: „Parturient montes, nascetur ridiculus mus“ *

* „Es kreißen die Berge, zur Welt kommt nur ein lächerliches Mäuschen“. Redensart aus der „Ars poetica“ des römischen Dichters Horaz (65 bis 8 v. Chr.), Vers 139

Wenn Eltern Geld brauchen von ihren Kindern … Neue Entscheidung des BGH zum Elternunterhalt im Rahmen der Pflegekosten

Alle Fragen rund um die Pflege werden immer mehr zum gesellschaftspolitischen Megathema der vor uns liegenden Jahre. Und der Pflegebedarf wird nicht nur aufgrund der demografischen Entwicklung deutlich ansteigen, mit allen daran gekoppelten Herausforderungen an die Sicherstellung einer menschenwürdigen Versorgung der Pflegebedürftigen. Das alles ist nicht umsonst, sondern es ist in vielen Fällen richtig teuer. Zuerst einmal für die Betroffenen, die neben ihrer Rente und den Leistungen aus der Pflegeversicherung auch ihr gesamtes Vermögen einsetzen müssen – wenn sie denn welches haben. Und wo es Vermögende gibt, sind die Vermögenslosen nicht weit und nicht wenige. Und das sind natürlich oft auch die Menschen, die aufgrund ihrer Erwerbsbiografie nur durchschnittliche oder gar unterdurchschnittliche Erwerbseinkommen und damit Rentenansprüche erzielt haben. Die sind dann ab einer bestimmten Pflegephase, häufig im Zusammenhang mit einer stationären Versorgung, auf Leistungen der „Hilfe zur Pflege“ nach dem SGB XII, also seitens des kommunalen Sozialamtes, angewiesen, weil die knappe Rente und die Teilkaskobeträge aus der Pflegeversicherung nicht ausreichen, um die Heimkosten zu decken. Die Sozialämter zahlen auch, aber sie versuchen dann, das Geld wenigstens teilweise wieder reinzuholen von den Kindern der Betroffenen, wenn es welche gibt. Rechtsgrundlage für diese Heranziehung der Kinder ist das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB).

Dort finden wir die folgende, hier maßgebende Norm:

§ 1601 BGB Unterhaltsverpflichtete
Verwandte in gerader Linie sind verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren

§ 1603 BGB Leistungsfähigkeit
(1) Unterhaltspflichtig ist nicht, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren.

Mit der vor allem aus § 1603 BGB abgeleiteten Problematik, in welchem Umfang die Kinder herangezogen werden dürfen, hat sich erneut der Bundesgerichtshof in einer aktuellen Entscheidung beschäftigt, die gleich genauer beschrieben wird.
Vorweg aber eine kurze Darstellung  des Elternunterhalts, gefunden in dem instruktiven Beitrag „Pflege: Zuzahlung für Angehörige„, vor allem mit Blick auf die Frage der (möglichen) Höhe der Zuzahlung der Kinder zu den Pflegekosten:

»Maßgeblich für eine mögliche Unterhaltspflicht ist zunächst das Nettoeinkommen.
Hiervon dürfen noch die Versicherungsbeiträge, Kreditverpflichtungen, sowie berufsbedingte Aufwendungen (Werbungskosten) abgezogen werden. Die Zwischensumme daraus ergibt das sogenannte „bereinigte Nettoeinkommen”.
Vom diesem bereinigten Nettoeinkommen können zusätzlich etwaige Unterhaltskosten für geschiedene Ehepartner einschließlich der gemeinsamen Kinder abgezogen werden (für die Kinder nur aber dann, wenn diese polizeilich nicht in Ihrem Haushalt gemeldet sind).
Die Summe daraus ergibt den so genannten Selbstbehalt, welcher zurzeit 1.400 € pro Monat beträgt. Das bedeutet: wenn Ihnen nach Abzug der o. g. Kosten weniger als etwa 1.400 € monatlich zum Leben bleiben, muss dem Sozialamt nichts für die Pflege–Kosten dazu gezahlt werden.
Bleibt jedoch mehr übrig, müssen Familienangehörige zum Pflegeunterhalt etwas dabei steuern – und zwar die Hälfte aus der Differenz zwischen dem bereinigtem Nettoeinkommen und dem Selbstbehalt.« (Nur eine aktualisierende Anmerkung, die man auch später der Besprechung der neuen BGH-Entscheidung entnehmen kann: Seit dem 1. Januar 2013 liegt der Selbstbehaltsbetrag bei 1.600 Euro).

Der Berechnung des dann heranzuziehenden „bereinigten Nettoeinkommens“ der Kinder liegt folgende Logik zugrunde: Wenn man Kredite laufen hat, dann mindern die die Bemessungsgrundlage für den Elternunterhalt: »Als vermindernd gelten alle privaten Verbraucherkredite, Bauspardarlehen und Bank- oder Versicherungshypotheken zum Kauf, zur Modernisierung oder Renovierung einer Immobilie. Als relevante Ausgaben können nicht nur die Zinsbelastungen, sondern auch die Tilgungszahlungen angesetzt werden. Alle Kosten werden zu 100% angerechnet.«
Anders sieht es aus, wenn die Kinder Vermögen gebildet haben, denn grundsätzlich gilt, dass dieses ebenfalls einzusetzen ist für die Unterhaltsverpflichtung gegenüber den eigenen Eltern. Grundsätzlich bedeutet wie immer: Es gibt Ausnahmen von dieser Regel:

»Die Sozialämter erlauben in aller Regel ein bestimmtes Mindestvermögen, welches je nach Kommune aber sehr unterschiedlich sein kann. Meistens liegt der erlaubte Betrag zwischen 20.000 und 30.000 Euro. Wer mehr Sparvermögen hat, muss es zum Pflege–Unterhalt solange einsetzen, bis es an das erlaubte Mindestvermögen grenzt. Die Behörde darf ein Sparvermögen für die Pflege jedoch generell nicht anrechnen, wenn es zur eigenen Altersvorsorge über Lebens- oder Rentenversicherungen dient. Sie darf es auch dann nicht anrechnen, wenn die Auflösung eines Sparvertrages/einer Kapitalanlage mit finanziellen Verlusten verbunden wäre – oder aus anderen Gründen unwirtschaftlich ist.«

Ein für viele Menschen sicher sehr wichtige Frage: Wie sieht es aus mit dem Wohneigentum des Kindes bzw. der Kinder? Grundsätzlich gilt hier Entwarnung, wenn der Angehörige selbst darin wohnt und dies der Hauptwohnsitz ist, denn dann ist das Wohneigentum nach der Rechtsprechung des BGH vor einer Verwertung geschützt – und wieder muss man ein „aber“ einschieben: Das Sozialamt kann für das Wohnen im eigenen Haus einen geldwerten Vorteil ansetzen, der wie ein zusätzliches Einkommen hinzu gerechnet wird bei der Bestimmung des „bereinigten Nettoeinkommens“.

Und wie ist es eigentlich mit den Schwiegereltern? Muss man für die auch zahlen? Auch hier wieder grundsätzlich eigentlich nicht. Und dann das „aber“:

»Bei Ehepartnern mit nur einem Verdiener steht das bereinigte Nettoeinkommen jedoch zur Hälfte dem anderen Partner zu. Beträgt das Einkommen des Allein-verdieners also mehr als 2.800 €, muss er eine Zuzahlung auch für die Pflege-Kosten der Schwiegereltern leisten.«

Alles klar? Der eine oder die andere könnte jetzt durchaus auf die Idee kommen, dass es bei dieser Gemengelage „vernünftig“ wäre, vor dem Eintreten eines kostenträchtigen Pflegefalls sowohl bei den Betroffenen wie auch bei den Kindern alles auf den Kopf zu hauen, Schulden zu machen (die man ja, wie wir erfahren haben, unter bestimmten Bedingungen abziehen kann), also bloß kein Vermögen aufzubauen. Das ist durchaus richtig, wenn man es denn nur auf diese Gemengelage beziehen würde.

Jetzt aber zu der neuen Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH), die sich auseinandersetzt mit der oftmals strittigen Frage nach der „Leistungsfähigkeit zur Zahlung von Elternunterhalt„, die sich natürlich in dem grundsätzlichen Spannungsfeld bewegt, dass die einen möglichst eingeschränkt leistungsfähig daherkommen möchten, während die Kommunen einen möglichst hohen Zuzahlungsbetrag realisieren möchten.

Zuerst einmal der Sachverhalt, mit dem der XII. Zivilsenat des BGH konfrontiert wurde:

»Die 1926 geborene Mutter des Antragsgegners lebt in einem Altenpflegeheim. Weil sie die Heimkosten nicht vollständig aus ihrer Rente und den Leistungen der Pflegeversicherung aufbringen kann, gewährt der Antragsteller ihr Leistungen der Sozialhilfe. Im vorliegenden Verfahren verlangt der Antragsteller Erstattung der in der Zeit von Juli 2008 bis Februar 2011 geleisteten Beträge. Die Beteiligten streiten allein darüber, ob der Antragsgegner aus seinem Einkommen oder aus seinem Vermögen leistungsfähig ist.«

In der weiteren Beschreibung des Sachverhalts bekommen wir eine Konkretisierung der allgemeinen Beschreibung des Elternunterhalts und seiner Berechnung, mit der dieser Beitrag begonnen hat:

»Der Antragsgegner erzielte im Jahr 2008 ein Jahresbruttoeinkommen in Höhe von 27.497,92 €, woraus das Oberlandesgericht ein bereinigtes Nettoeinkommen von monatlich 1.121 € errechnet hat. Er ist Eigentümer einer aus drei Zimmern bestehenden Eigentumswohnung, deren Wohnvorteil das Oberlandesgericht mit 339,02 € ermittelt hat. Außerdem ist der Antragsgegner hälftiger Miteigentümer eines Hauses in Italien, dessen anteiliger Wert vom Antragsteller mit 60.000 € angegeben ist, und verfügt über zwei Lebensversicherungen mit Werten von 27.128,13 € und 5.559,03 € sowie über ein Sparguthaben von 6.412,39 €. Eine weitere Lebensversicherung hatte der Antragsgegner gekündigt und deren Wert zur Rückführung von Verbindlichkeiten verwendet, die auf dem Haus in Italien lasteten.«

Vor dem Amtsgericht ist der Sohn der pflegebedürftigen Mutter verurteilt worden, rückständigen Unterhalt in Höhe von insgesamt 5.497,78 € an das Sozialamt zu zahlen. Das Amt wollte aber noch mehr, was das Oberlandesgericht zurückgewiesen hat, wie den ganzen Antrag gleich mit. Das Oberlandesgericht hat auf der Grundlage der Einkünfte und Nutzungsvorteile von insgesamt rund 1.460 € die Leistungsfähigkeit des Sohnes verneint, weil der für den Elternunterhalt geltende, ihm zu belassende Selbstbehalt von 1.500 € nicht überschritten sei. Das nun wiederum lehnt der BGH ab, weil das nicht rechtsfehlerfrei zustande gekommen sei (weil das Nettoeinkommen nicht richtig bestimmt worden sei und weil damals noch die Grenze des Selbstbehalts bei 1.400 Euro lag, erst zum 1. Januar 2011 wurde der Selbstbehalt auf 1.500 € und zum 1. Januar 2013 auf 1.600 € erhöht.

Aber bei der neuen Entscheidung geht es nicht um Fragen der Berücksichtigung des laufenden Einkommens: Von besonderer Bedeutung sind die weiteren Ausführungen des Bundesgerichtshofs zum Einsatz des Vermögens im Rahmen des Elternunterhalts:

»Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss das unterhaltspflichtige Kind grundsätzlich auch den Stamm seines Vermögens zur Bestreitung des Unterhalts einsetzen. Einschränkungen ergeben sich aber daraus, dass nach dem Gesetz auch die sonstigen Verpflichtungen des Unterhaltsschuldners zu berücksichtigen sind und er seinen eigenen angemessenen Unterhalt nicht zu gefährden braucht. Dem dient auch die eigene Altersvorsorge, die der Unterhaltsschuldner neben der gesetzlichen Rentenversicherung mit weiteren 5 % von seinem Bruttoeinkommen betreiben darf. Entsprechend bleibt dann auch das so gebildete Altersvorsorgevermögen im Rahmen des Elternunterhalts unangreifbar … Der Bundesgerichtshof hat jetzt entschieden, dass der Wert einer angemessenen selbst genutzten Immobilie bei der Bemessung des Altersvermögens eines auf Elternunterhalt in Anspruch genommenen Unterhaltspflichtigen grundsätzlich unberücksichtigt bleibt, weil ihm eine Verwertung nicht zumutbar ist. Übersteigt das sonstige vorhandene Vermögen ein über die Dauer des Berufslebens mit 5 % vom Bruttoeinkommen geschütztes Altersvorsorgevermögen nicht, kommt eine Unterhaltspflicht aus dem Vermögensstamm nicht in Betracht.«

Fazit: Gewisse Schutzplanken für das selbst genutzte Wohneigentum sowie ein überschaubarer Vermögensanteil für die eigene Altersversorgung werden durch diese Entscheidung eingezogen, aber grundsätzlich gilt: Auch der Vermögensstamm der Kinder muss eingesetzt werden, wenn es um die Frage der Zuzahlungen zu den Pflegekosten der Eltern geht. Wir können davon ausgehen, dass die Fragen des Elternunterhalts in den kommenden Jahren an Bedeutung gewinnen werden – vor allem, wenn die vielen Alten mit sehr niedrigen Renten in die Pflegebedürftigkeit rutschen.

„Pflege-Bahr“: Begeisterung für das „Erfolgsmodell“ (bei der Versicherungswirtschaft)

Muss man sich beim Bundesgesundheitsminister Bahr (FDP) und der Versicherungswirtschaft entschuldigen? War die massive Kritik an der staatlichen Förderung einer privaten Pflegeversicherung in der Größenordnung von 5 Euro pro Monat vielleicht doch überzogen und nur eine reflexhafter, möglicherweise gar ideologisch begründeter Verhinderungsversuch von mehr Privatisierung in den Bereichen, in denen die Sozialversicherungen die Hauptlast zu schultern haben? Immerhin gibt es ja auch eine ausgeprägte und öffentlichkeitswirksame Kritik bis hin zur grundsätzlichen Infragestellung der „Riester-Rente“ als Schlachtschiff einer dritten Säule der Alterssicherung.
Man könnte schon auf diesen Gedanken kommen, wenn man die Jubelmeldung der privaten Versicherungswirtschaft über den so genannten „Pflege-Bahr“ zur Kenntnis nimmt.

So berichtet der „Tagesspiegel“ in dem Beitrag „Begeistert vom Pflege-Bahr“ von der Jahrestagung des Verbandes der privaten Krankenversicherung (PKV):

»Entgegen aller Schwarzmalerei habe sich die staatlich geförderte Pflegezusatzversicherung – kurz Pflege-Bahr genannt – als „echtes Erfolgsmodell“ erwiesen. Bis Ende Mai, so berichtete Schulte, hätten bereits mehr als 125 000 Menschen die neue, von Schwarz-Gelb propagierte Zusatzversicherung abgeschlossen. Da mit jedem Tag 1000 neue Anträge hinzukämen, liege man inzwischen wahrscheinlich schon bei rund 150 000. Und das, so der Verbandschef, sei „erst der Anfang“.«

Besonders empören können sich die Verbandsvertreter über eine angebliche Kampagne gegen die Pflegezusatzversicherung in den Medien, angestachelt durch Verbraucherschützer, die nur die Produkte madig machen. So hatte – ein Beispiel – schon im April Frederike Roser in ihrem Beitrag Stiftung-Warentest: „Pflege-Bahr taugt nichts“ über die deutliche Kritik der Verbraucherschützer berichtet. Die vom Staat geförderten Tarife, so Stiftung Warentest, decken den Bedarf häufig nicht. Besser seien nicht geförderte Pflegeversicherungen. Beim „Pflege-Bahr“ zahlt der Staat monatlich fünf Euro zu einer privaten Pflegeversicherung dazu, wenn der Versicherte mindestens zehn Euro im Monat selbst zahlt und der Vertrag eine Leistung von mindestens 600 Euro monatlich in Pflegestufe III vorsieht. Die staatliche Förderung hat allerdings für die privaten Versicherungsanbieter einen echten Nachteil: Bei den geförderten Tarifen dürfen die Versicherungen keine Kunden ablehnen und keine Risikozuschläge oder Leistungsausschlüsse verlangen.

Nun muss man wie immer bei den an sich unmöglichen Versicherungsvergleichen einen genauen Blick werfen auf die Annahmen, die den tarifvergleichenden Berechnungen zugrunde liegen. Im Fall der Stiftung Warentest waren die Modellkunden im Alter von 45 und 55 Jahren – mit einem monatlichen Betrag von 55 Euro (für den 45-Jährigen) beziehungsweise 85 Euro (für den 55-Jährigen). Das auf der Grundlage dieser Modellkunden gefundene negative Ergebnis muss – so ein Einwand der Kritiker – nicht auf andere Fallkonstellationen übertragbar sein, sondern kann sich beispielsweise bei den Jüngeren in der Altersgruppe 25 bis 35 ganz anders, nämlich positiv aussehen.
Der zweite Einwand gegen die Kritik der Verbraucherschützer bezieht sich auf die Zielgröße „Deckung der Versorgungslücke“, also Kompensation der Differenz zwischen den Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung und den tatsächlichen Kosten. Es war nun aber vom Anfang an auch klar, dass die als „Pflege-Bahr“ titulierten staatlich geförderten Pflegezusatzversicherungen angesichts der relativ mickrigen Beträge, die man da im Regelfall einzahlt, weil auch die „generöse“ Förderung seitens des Staates aufgrund der Begrenzung der Förderhöhe auf 60 Euro im Jahr nicht wirklich hoch ist, den teilweise erheblichen Differenzbetrag nicht ausgleichen kann.

Dies vor allem nicht, wenn man sich an eine Empfehlung hält, die man auf vielen der mittlerweile im Netz auffindbaren Seiten über den Pflege-Bahr finden kann: Man soll demnach eine Pflegezusatzversicherung mit staatlicher Förderung abschließen, aber nur in der Höhe, dass man die 60 Euro pro Jahr „mitnehmen“ kann und alles, was darüber hinaus abzusichern ist, sollte dann über nicht geförderte Pflegezusatzversicherungen abgedeckt werden, weil die wieder anders kalkuliert werden (können). Denn für diese Produkte gibt es kein Kontrahierungszwang und auch kein Verbot von Risikoaufschlägen, so dass diese Nicht-Belastung in relativ gesehen günstigere Tarife eingebaut werden können.

Folgt man diesem Ansatz, dann relativieren sich auf der anderen Seite aber auch zugleich die bereits zitierten Jubelmeldungen der Versicherungswirtschaft mit den mehr als 125.000 Menschen, die schon so eine staatlich subventionierte Versicherung abgeschlossen haben. Beim normalen Leser wird der Eindruck hängen bleiben, da haben 125.000 oder noch mehr Menschen zusätzlich eine Versicherung abgeschlossen, die das ansonsten nicht gemacht hätten. Dabei sind darunter auch sicher sehr viele, die genau so vorgehen, wie das gerade beschrieben wurde. Dann hätten wir auf der einen Seite eine eben nur scheinbare Zunahme der Pflegezusatzversicherungen (weil aus bislang einer werden mindestens zwei gemacht, um die Förderung zu bekommen) und auf der anderen Seite würde das bedeuten, dass es sich um einen klassischen Mitnahmeeffekt handeln würde, denn diese Personen hätten ansonsten auch eine dann eben ungeförderte private Zusatzversicherung abgeschlossen, sie splitten jetzt halt ihre Verträge, um die staatlichen Zuschüsse abzugreifen. Hinzu kommt die sicher wie auch bei der „Riester-Rente“ beobachtbare soziale Selektivität der Inanspruchnahme, das also gerade die bereist relativ gesehen gut gestellten Personen die Förderung in Anspruch nehmen.

Schlussendlich kann und muss man sich natürlich fragen, warum man überhaupt seitens des Staates Produkte mit Steuermitteln subventioniert, wo die Staatsmittel teilweise oder ganz in die Töpfe der Versicherungsunternehmen wandert. Man könnte an dieser Stelle die Vermutung äußern, dass das eigentliche Ziel dieser Maßnahme weniger die Absicherung des Pflegerisikos an sich war und ist, sondern dass es darum ging, der Versicherungswirtschaft eine Geschäftsmodell zu eröffnen. Aber das ist jetzt reine Spekulation …