Pflege-TÜV: Die Pflegenoten werden abgeschafft. Gut. Und jetzt?

Es war tatsächlich kein Aprilscherz, als der Pflegebevollmächtigten der Bundesregierung, Staatssekretär Karl-Josef Laumann, am 1. April mitteilen ließ: »Die Pflegenoten werden durch eine gesetzliche Regelung zum 1. Januar 2016 ausgesetzt, da sie keinen echten Qualitätsvergleich zwischen Einrichtungen ermöglichen.« Weg damit. Angesichts der Tatsache, dass die bundesdeutsche Durchschnittsnote über alle Einrichtungen mit hervorragenden 1,3 ausgewiesen wird, bekommt dieses Vorhaben den Charakter einer konsequenten Entscheidung, denn was sagt denn so etwas noch wirklich aus? Haben wir wirklich paradiesische Qualitätszustände in den Pflegeeinrichtungen, was diese Bewertung nahelegt? Was ist dann mit den unzähligen Berichten über teilweise eklatante Pflegemissstände? Alles nur Ausnahmen? Wohl kaum.

Vor diesem Hintergrund wurde die Ankündigung von vielen begrüßt: Notensystem ist am Ende, so ist ein Bericht dazu in der Ärzte Zeitung überschrieben. Zugleich findet man da aber auch den Hinweis: »Das umstrittene Notensystem soll nächstes Jahr abgeschafft werden, ein neues Bewertungssystem kommt aber nicht vor 2018.« Als „Übergangslösung“ wird eine gesetzliche Regelung in Aussicht gestellt, nach der Kassen und Pflegeeinrichtungen die Prüfergebnisse des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherungen in der bisherigen Form weiterhin veröffentlichen sollen, allerdings ohne die viel kritisierte Durchschnittsnote. Man kann an dieser Stelle schon die Frage aufwerfen, warum das Notensystem erst zum 1. Januar 2016 eingestellt und nicht sofort suspendiert wird.

2009 wurde das Notensystem eingeführt. Und steht seitdem in der Kritik. »Das System ermöglicht  selbst Heimen mit erheblichen Mängeln, eine gute Gesamtnote zu erzielen. Denn die Dutzenden Kriterien zur Notenvergabe sind untereinander nicht gewichtet«, so Berit Uhlmann in ihrem Artikel Pflegenoten werden wieder abgeschafft. Es geht immerhin um 77 Einzelwerte, die in einen Topf geworfen werden. »Die Spitzennoten kommen zustande, weil pflegerische Mängel zum Beispiel durch gute Küche und Freizeitangebote ausgeglichen werden können. Erst im Februar war in Bonn ein Pflegeheim wegen unhaltbarer Pflegemängel geschlossen worden, das mit einer Einser-Note für sich werben konnte«, so Anno Fricke in seinem Artikel. Ein anderes Bild: »Es wirkt so, als hätte der Bundestag vor mehr als 50 Jahren die Stiftung Warentest mit der Vorgabe aus der Taufe gehoben, nie ein Produkt schlechter als gut zu bewerten«, verdeutlicht Anno Fricke in dem Artikel Eine Ad hoc-Reform überfordert das System.
Aber was soll an die Stelle dessen gesetzt werden, was bislang über den Pflege-TÜV mit Notensystem erreicht werden sollte?

Eine der Lebensweisheitsempfehlungen lautet: Wenn man nicht mehr weiter weiß, dann gründet man einen Arbeitskreis. Offenbar will man diesem Motto auch diesmal eine Bühne geben:

»Zum 1. Januar 2016 soll ein „Pflegequalitätsausschuss“ gegründet werden, der Kriterien für künftige Heim-Prüfungen erarbeitet. In diesem Ausschuss sollen auch die Verbände der Pflegebedürftigen und der Pflegeberufe gleichberechtigt vertreten sein … Das Gremium wird bei seiner Arbeit durch ein neu zu gründendes „Pflegequalitätsinstitut“ mit unabhängigen Wissenschaftlern unterstützt. Bis Ende 2017 soll der Ausschuss seine Vorschläge vorlegen«, so Uhlmann in ihrem Artikel.

Zu dem angekündigten neuen „Pflegequalitätsinstitut“ kann man beim Pflegebevollmächtigten der Bundesregierung lesen: »Das Institut muss schlank sein und aus bereits vorhandenen Mitteln finanziert werden.«

Der Pflegebeauftragte skizziert den zu gründenden Arbeitskreis so: »Zum 1. Januar 2016 wollen wir deshalb einen Pflegequalitätsausschuss errichten, der ein neues Qualitätsprüfungs- und Veröffentlichungssystem für Pflegeeinrichtungen berät und als Richtlinie beschließt. In diesem Ausschuss müssen neben den Einrichtungs- und Kostenträgern künftig auch die Verbände der Pflegebedürftigen und der Pflegeberufe gleichberechtigt mit Stimmrecht vertreten sein.« Es geht also primär um eine institutionelle Veränderung, inhaltliche Fragen sollen an das zu schaffende Gremium delegiert werden. Aber die kurze Beschreibung offenbart natürlich auch schon eine erwartbare und aus der Vergangenheit bekannte Schwachstelle dieses Ansatzes, denn es sind vorrangig Interessenvertreter, die in dem Gremium platziert werden und dort natürlich versuchen müssen, ihre eigenen Interessen zu vertreten. Wozu das bereits in der Vergangenheit geführt hat, wird an dem folgenden Zitat erkennbar, entnommen dem Beitrag „Ungenügend“ von Udo Ludwig et al. aus der Print-Ausgabe des SPIEGEL (Heft 15/2015, S. 46):

»Der CDU-Sozialexperte Willi Zylajew plädiert dafür, beide Seiten, Kassen wie Heime, aus der Überprüfung herauszuhalten. Die Politik solle über ein neues Bewertungssystem bestimmen, „die Selbstverwaltung ist gescheitert“. Zylajew, früher in der Caritas zuständig für mehrere Pflegeheime, hatte im Jahr 2008 für die Union den Pflege-TÜV mit ausgehandelt. Vernünftige Vorschläge seien damals untergegangen, etwa die Forderung nach unangekündigten Kontrollen abends und an den Wochenenden.«

Steht so etwas wieder vor der Tür? Überraschend wäre das nicht. Ein Teil der Akteure beginnt sich bereits zu positionieren: »Der GKV-Spitzenverband will die Entwicklung eines neuen Pflege-TÜVs dominieren«, meldet die Ärzte Zeitung in einem Artikel. Ganz unbescheiden plädiert man dafür, dass »dem GKV-Spitzenverband … im Rahmen einer Richtlinienkompetenz der Auftrag erteilt werden (sollte), für die Pflegetransparenz die Kriterien der Veröffentlichung einschließlich der Bewertungssystematik zu entwickeln.« Gegen dieses Dominanzstreben regt sich natürlich sofort der Widerstand der Anbieter von Pflegeleistungen, die aus ihrer Sicht verständlich an der Entwicklung und gesetzgeberischen Definition von messbaren Qualitätskriterien beteiligt werden wollen.
Insofern überraschen solche Frontstellungen nicht, von denen der SPIEGEL berichtet:

»Interessenvertreter haben ihre Wünsche bereits formuliert. Die Pflegekassen wollen, dass der Einfluss der Heimträger beschnitten wird: Es gebe keine objektiven Noten, wenn die Kontrollierten mitentscheiden dürfen, wie und was kontrolliert wird. Die Vertreter der Pflegeheime dagegen möchten die Macht der Kassen beschneiden: Die Prüfer des Medizinischen Dienstes der Pflegekassen seien schon mächtig genug – und denen gehe es nicht um Qualität, sondern um Kostensenkung.«

Bereits im Jahr 2008 wurde der Wissenschaftler Klaus Wingenfeld von der Universität Bielefeld beauftragt, ein alternatives Bewertungsmodell zu entwerfen. 250 Pflegeheime in Deutschland wenden es heute an. »„Wir beurteilen nicht die Dokumentationsarbeit der Mitarbeiter, sondern das Ergeb- nis der Pflege, indem wir uns alle sechs Monate die Akten der Pflegeheimbewohner ansehen“, sagt Wingenfeld. Auch die Statistiken jeder Einrichtung würden ausgewertet, etwa über Stürze und Druckgeschwüre, ganz wichtig sei zudem, wie sich die Mobilität der Bewohner entwickelt habe. Am Ende stehe eine von drei Bewertungen: unterdurchschnittlich, durchschnittlich, überdurchschnittlich.« Er könne sich vorstellen, »dieses System durch Sterne zu ersetzen, wie bei Hotels. In den USA habe sich ein Fünfsternesystem bewährt.«

Wie dem auch sei und was immer als neues System auf die Welt gebracht wird – man muss sich wohl eingestehen, dass eine wirkliche Qualitätssicherung nur von innen durch eine Internalisierung bem Personal und in der Unternehmenskultur sowie zugleich durch permanente Begleitung von außen, also vor allem durch Angehörige und durch kommunale „Kümmerer“, erreicht werden kann.

Alles gut im Pflegebegutachtungsland Deutschland? Tolle Noten, erhebliche Zweifel. Und die Hoffnung auf einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff

Im vergangenen Jahr wurden von 1.400 Gutachtern mehr als 1,4 Millionen Pflegebegutachtungen, darunter 308.000 in Pflegeheimen, vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) durchgeführt. Sie stellen das Nadelöhr dar, durch das man durch muss, um nach Einstufung in eine der Pflegestufen Leistungen aus der Sozialen Pflegeversicherung zu bekommen. Das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz, das 2012 vom Bundestag verabschiedet wurde, sieht vor, dass die Medizinischen Dienste regelmäßig Versicherte befragen – konkret müssen an 2,5 Prozent der Versicherten, die Pflegeleistungen beantragen, Fragebögen verschicket werden. Die Ergebnisse wurden nun vom Medizinischen Dienst der Öffentlichkeit präsentiert. Und die können sich auf den ersten Blick sehen lassen: »86 Prozent der pflegebedürftigen Menschen sind mit der Begutachtung durch die  Medizinischen Dienste der Krankenversicherung (MDK) zufrieden … Die repräsentative Befragung belegt zudem, dass die MDK-Gutachter von 90 Prozent der Versicherten als kompetent, hilfsbereit und freundlich wahrgenommen werden.« (Quelle: Bundesweite Versichertenbefragung: Pflegebedürftige bewerten MDK-Begutachtung positiv). Also alles gut an diesem Nadelöhr des Pflegesystems? Dann irritiert die Überschrift eines Artikels von Anno Fricke in der Ärzte Zeitung: MDK räumt Mängel ein. Zwar sei die Mehrheit der Befragten mit dem MDK angeblich zufrieden, aber: »Der Blick aufs Detail offenbart jedoch Defizite.« Die Gutachter müssten künftig intensiver auf die individuelle Pflegesituation des Versicherten eingehen und ihr Vorgehen intensiver erläutern, so wird Peter Pick, der Geschäftsführer des Medizinischen Dienstes des GKV-Spitzenverbands, in dem Artikel zitiert. Und konkreter: Die Pflegegutachter sollten sich zudem mehr Zeit nehmen. „Sechs bis sieben Minuten für eine Begutachtung sind zu wenig“.

Wasser in den Wein gießt auch der Vorsitzende der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch: »Wieder stellt sich der MDK ein Zeugnis mit Bestnoten aus. Tatsächlich besagen sie nur, dass die Gutachter mehrheitlich pünktlich kamen, sich vorgestellt und höflich verhalten haben.« Und er legt nach: »Die Noten sagen aber rein gar nichts über die Ergebnisse aus. Mehr als jedes dritte Gutachten ist fehlerhaft oder falsch, mehr als 40 Prozent der Widersprüche führen zu einem Erfolg. Leider hat der Gesetzgeber blauäugig das gesamte Befragungsverfahren in die Hände des Kostenträgers gelegt. So hat man den Bock zum Gärtner gemacht.«

Die Ergebnisse der Befragung wurden zwar jetzt veröffentlicht, liegen aber schon seit längerem vor. Bereits im Juni berichtete beispielsweise die Ärzte Zeitung unter der Überschrift: Tolle Noten wecken Skepsis.

Dass es durchaus Grund gibt für Skepsis hinsichtlich der „Heile Welt“-Botschaft kann man auch der ARD-Dokumentation Im Zweifel gegen den Patienten? Der Kampf um die Pflegestufe entnehmen, die am 11. August 2014 ausgestrahlt wurde:

»Für viele alte Menschen ist es eine Schicksalsfrage: Wird mir eine Pflegestufe bewilligt oder bleibt mir die Hilfe verwehrt? Darüber entscheiden die Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung. Unabhängig und fair sollen sie handeln. Doch daran gibt es massive Zweifel. Die Reportage zeigt den Kampf von Patienten und deren Angehörigen um Gerechtigkeit. Im Film begegnen den Zuschauern verzweifelte Menschen, die sich von den Kassen und dem MDK betrogen fühlen. Die Recherchen bestätigen: Mit zum Teil absurden Begründungen werden Versicherte um ihre berechtigten Ansprüche gebracht.«

Also doch nicht alles Gold, was jetzt glänzend der Öffentlichkeit präsentiert wird? Sicher nicht.

Aber vielleicht hilft der Blick in die Zukunft? Dazu der MDK:

»Die Medizinischen Dienste gehen davon aus, dass durch die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs, der 2015 auf den Gesetzgebungsweg gebracht werden soll, die individuelle Pflegesituation besser in der Pflegebegutachtung berücksichtigt werden kann. Denn künftig wird bei der Begutachtung nicht mehr das Minutenzählen, sondern das Erfassen der Alltagskompetenz der Pflegebedürftigen im Fokus stehen. Das neue Verfahren soll alle Dimensionen der Pflegebedürftigkeit erfassen. Damit erhalten auch Betroffene mit gerontopsychiatrischen und kognitiven Einschränkungen einen besseren Zugang zu den Leistungen der Pflegeversicherung.«

Zum (übrigens seit Jahren geplanten und immer wieder verschobenen) neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff aus Sicht der Medizinischen Dienste der Krankenkassen vgl. auch die Beiträge in der Zeitschrift MDK Forum, Heft/2014.

Aber bei allen Verbesserungen, die ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff bringen könnte, bleibt auch hier eine gehörige Portion Skepsis und man sollte erst dann aufatmen, wenn das wirklich auch kommt: Denn bereits in den vergangenen Legislaturperioden hatte man das immer auf der Agenda und jedesmal sollte am Ende der Legislaturperiode was passieren und man hat das dann angesichts der dann anstehenden Wahlen auf den Beginn der neuen Legislaturperiode verschoben. Insofern gibt es keinen Grund, mit Blick auf den Kalender und auf die geplante Implementierung am Ende der laufenden Legislaturperiode nicht wieder mit einem „Wir würden ja gerne, aber … ganz bestimmt in der nächsten Legislaturperiode“-Effekt zu rechnen. Wir lassen uns gerne von einem „Diesmal aber anders“-Moment  überraschen.

„Die“ Pflege mal wieder … Von Betrug und fehlender Kontrolle hin zu der eigentlichen Frage: Wie sichert man gute Pflege, wenn man sie überhaupt bekommt?

Eine gelungene Vorlage für die vielen Medien, die gerne mit skandalisierenden Headlines das eigene Publikum versorgen: Die Antikorruptionsorganisation Transparency International Deutschland hat die Studie „Transparenzmängel, Betrug und Korruption im Bereich der Pflege und Betreuung“ in Berlin vorgestellt. Die Schwachstellen-Analyse stellt erhebliche Mängel fest: zu wenig Transparenz und Kontrollmöglichkeiten für die Betroffenen und jede Menge Möglichkeiten, die Abhängigkeit von Menschen mit Pflegebedarf wirtschaftlich auszubeuten.

„Die Vielzahl der Akteure und der gesetzlichen und Verwaltungsvorschriften macht es schwierig, Verantwortlichkeiten eindeutig zuzuordnen. Dadurch entstehen Einfallstore für Betrug und Korruption“, so wird Barbara Stolterfoht, Co-Autorin der Studie zitiert.

Entsprechend sind viele Berichte überschrieben: „Transparency legt Betrugsmaschen der Pflegebranche offen“ oder „Markt statt Ethik„, um nur zwei zu zitieren. So können wir bei Spiegel Online lesen:

»Die für die Untersuchung geführten Expertengespräche haben Transparency zufolge gängige Betrugsmaschen offengelegt, die sich aus den Milliardenausgaben für die soziale Pflegeversicherung speisten. Als Beispiel nannte die Organisation Fälle, in denen Ärzte von Pflegediensten Honorare für die Überweisung von Patienten erhielten. Auch „verkauften“ Pflegedienste lukrative Patienten an andere Pflegedienste. Weitere Fälle betrafen Sanitätshäuser, die an Heimleiter spendeten. Damit wollten sie sicherstellen, dass die Heimbewohner Rollatoren, orthopädische Schuhe oder sonstige Hilfsmittel aus ihrem Geschäft beziehen. Zudem soll es bei der Entscheidung über Pflegestufen vorgekommen sein, dass die zuständigen Mitarbeiter des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung ein „Kopfgeld“ erhielten – wenn sie bei der Einstufung möglichst restriktiv vorgingen. Damit würden die Ausgaben der Pflegeversicherung gesenkt, heißt es in der Studie weiter.«

Thorsten Denkler beschreibt in der Süddeutschen Zeitung, über was wir hier reden: »In der Pflege sind Milliarden zu holen. Allein die gesetzliche Pflegeversicherung gibt jedes Jahr weit über 20 Milliarden Euro aus. Etwa die gleiche Summe kommt aus den Töpfen privater Versicherer, der Angehörigen und den Sozialämtern, die die Pflege für Bedürftige bezahlen müssen. Für die über 2,5 Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland arbeiten heute gut eine Million Menschen als Pflegekräfte oder in der Verwaltung. Mehr als in der Automobilindustrie. Allerdings zu weit geringeren Löhnen.«

Konkret beklagt Transparency die mangelnde Kontrolle der Heimbetreiber, da es keine bundesweite Kontrolle geben würde. Interessant ist die folgende Formulierung im Beitrag von Denker:
»Die kriminelle Energie einiger Heimbetreiber kennt kaum Grenzen. Um etwa die Unterbringungskosten künstlich in die Höhe zu schrauben, wird das Heim-Gebäude einfach an einen Dritten verkauft und für viel Geld zurückgemietet. Die höheren Kosten werden den Patienten aufgebürdet. Idealerweise ist das dritte Unternehmen mit dem Pflegebetrieb geschäftlich verbunden. Am Ende bleibt dem Betreiber mehr Geld in der Kasse. Auf Kosten der Patienten.« Man muss sich allerdings an dieser Stelle fragen – ist das jetzt „kriminelle Energie“ oder sind das nicht eher typische Verhaltensweisen auf einem „Markt“? Wobei die Beantwortung dieser Frage in Richtung „Markt“ auf die eigentlichen Problematik in diesem Bereich hinführt, wo es um die Sorge-Arbeit mit nur sehr eingeschränkt oder gar nicht mehr beurteilungsfähigen Menschen geht.

Transparency fordert, ein deutschlandweites Register über Verstöße von Heimbetreibern einzurichten und die Sanktionsmöglichkeiten der Sozialämter zu erleichtern. Außerdem müssten Behörden die wirtschaftliche Zuverlässigkeit und fachliche Qualität von Pflegediensten durch „regelmäßige unangemeldete Kontrollen sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich“ überprüfen. Da stellt sich natürlich die Frage: Haben wir das nicht schon? Gibt es nicht den „Pflege-TÜV„, der diese Prüfung sowohl der stationären und der ambulanten Pflegedienste gewährleisten soll? Und gibt es nicht die Heimaufsicht? Da sind wir mit dem „Pflege-TÜV“ schon bei der nächsten Baustelle, denn parallel zur Veröffentlichung der Studie von Transparency Deutschland wurde bekannt, dass es nach zähen Verhandlungen zu einer „Reform“ des Systems der Pflegebenotung kommen soll.
»Pflegekassen und Heimbetreiber hatten sich nach dreijährigen Verhandlungen bereits im Juni in einer Schiedsstelle geeinigt. Ende vergangener Woche lief die Widerspruchsfrist ab. „Jetzt wird der Schiedsspruch ausformuliert und veröffentlicht“, hieß es in Verhandlungskreisen.

Der 2009 eingeführte Pflege-TÜV bewertet über 10.400 Pflegedienste und Pflegeheime in Deutschland wie in der Schule von „sehr gut“ bis „mangelhaft“ – und stellt die Noten ins Internet. Allerdings kritisieren Politiker, Patientenvertreter und Experten seit langem, dass der TÜV ein geschöntes Bild zeige. Es kämen zu viele Bestnoten heraus.

Schlechte Heime können sehr gute Noten bekommen, obwohl sie in wichtigen Kriterien wie Vorbeugung gegen das gefürchtete Wundliegen oder Medikamentenversorgung mangelhaft abschneiden. Das liegt daran, dass die endgültige Pflegenote aus Dutzenden Kriterien errechnet wird, die alle gleich stark gewichtet werden«, so der Beitrag „Pflege-TÜV wird verschärft„. Künftig sollen unter den bisher 82 Kriterien für die Bewertung eines Heims die Ergebnisse in den 21 zentralsten Punkten im Internet besonders hervorgehoben werden. Darunter die Frage, ob es in einem Heim Vorbeugung gegen Wundliegen gibt, ob die Flüssigkeitsversorgung angemessen ist und die Notwendigkeit von freiheitseinschränkenden Maßnahmen regelmäßig überprüft wird. Die Krankenkassen konnten sich aber nicht mit der Forderung durchsetzen, dass diese Kriterien bei der Benotung eines Heims stärker gewichtet werden. Andere Kriterien sollen künftig nicht mehr aufgeführt werden, etwa ob es „jahreszeitliche Feste“ gibt. Außerdem wird bei mehr Bewohnern als bisher die Pflege überprüft, vor allem bei mehr schweren Fällen der Pflegestufe drei. Auch sollen die Noten wegen geänderter Berechnung etwas schlechter ausfallen können. Einrichtungen, die heute mit 1,4 abschneiden, sollen etwa eher eine gute 2 bekommen, so der Bericht „Pflege-TÜV prüft alles außer Pflege„.

Trotz heftigster Kritik von allen Seiten hat es also drei Jahre gedauert, bis sich Pflegekassen und Heimbetreiber dieser Tage auf eine sehr bescheidene Nachbesserung des so genannten Pflege-TÜVs einigen konnten. Eine grundsätzliche Infragestellung dieses Instrumentariums ist damit nicht verbunden.  Man kann durchaus von einem „faulen Kompromiss“ sprechen.

Die eigentliche Frage muss doch lauten: Ist dieses Instrument einer formalen, punktuellen Überprüfung wirklich geeignet, die Pflegequalität zu sichern? Es handelt sich hier um ein höchst komplexes Feld der Sorge-Arbeit mit Menschen, 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr. Entscheidend sind die täglichen Abläufe und die Haltung der Menschen, die diese Sorge-Arbeit zu machen haben. So notwendig externe Kontrollen sind und auch in Zukunft bleiben werden – sie können niemals eine innere Qualitätsentwicklung ersetzen, die aber – das sei hier besonders betont – nicht sogleich deformiert werden darf durch die wieder von außen determinierte Ausrichtung des Systems und der in diesem arbeitenden Menschen auf formale Kriterien, die dann möglichst gut zu dokumentieren sind, was wieder enorme Ressourcen bindet, die bei den eigentlichen Kernprozessen in der Pflege fehlen. Und Kontrolle entfaltet dann ihre besondere Schlag- und Wirkkraft, wenn sie in der täglichen Praxis erfolgt seitens der Menschen, die als Angehörige oder als Quartiersbewohner in die Heime kommen. Es geht also um die Herstellung einer umfassenden Verantwortungsgemeinschaft vor Ort, so dass die Öffnung der Heime gegenüber dem Sozialraum, in dem sie angesiedelt sind, ein entscheidendes und eigenständiges Qualitätsmerkmal darstellt.

In diesem Zusammenhang muss dann aber auch auf eine gewisse Unwucht der öffentliche Wahrnehmung und Diskussion hingewiesen werden: Immer wieder werden angebliche und tatsächliche Missstände in den Heimen angeprangert, schon viel weniger die Situation in der ambulanten oder erst recht der häuslichen Pflege, wo natürlich ebenfalls vieles nicht gut läuft. Auch die immer stärker expandierenden Wohngemeinschaften verschwinden gerade in einem „schwarzen Loch“ der Nicht-Beachtung und Nicht-Zuständigkeit. Die Heimaufsicht? Der MDK? Wer kümmert sich genau um diese „Mini-Heime light“?

Und auch die von Transparency beschriebenen Ausformungen „marktlogischen“ bis hin zu betrügerischem Verhalten in der ambulanten Pflege – dass beispielsweise Leistungen abgerechnet werden, die gar nicht erbracht worden sind – hängt doch nicht nur an der Schlechtigkeit der beteiligten Akteure, sondern hat zumindest strukturelle Treiber, so ein Finanzierungssystem, das auf abrechenbare Einzelleistungen basiert und Pflege konsequent zu einer Minutenpflege zerstückelt. Man darf sich nicht wundern, wenn sich die Menschen dann der damit verbundenen Logik anpassen. Hier würde beispielsweise der Blick in andere Länder und Systeme helfen, so in die Niederlande, um nur einen Hinweis anzudeuten.

Und natürlich muss man bei der ganzen Debatte auch sehen, dass es sich bei der Pflege und Betreuung eben um personenbezogene soziale Dienstleistungen handelt, die nur marginal oder oftmals gar nicht einer Rationalisierung und damit einer Produktivitätssteigerung unterworfen werden können. Insofern ist die Personalfrage eine entscheidende – und bereits heute knirscht es gewaltig und der Fachkräftemangel beginnt sich immer stärker auszuprägen. Die hinreichende Ausstattung mit Personal wird sicher die Kardinalfrage im System. »Die Arbeitgeber fordern 50 000 zusätzliche Stellen in der Pflege. Bis Ende 2014 sollen – wie einst schon von der Politik geplant – 25 000 Helfer zu Fachkräften qualifiziert werden. Die Hilfskräfte hätten oft jahrelange Berufserfahrung, würden Abläufe kennen und seien motiviert, sagte Arbeitgeberpräsident Greiner. Er verlangt außerdem 25 000 zusätzliche Betreuer für Demenzkranke – also Helfer die sich etwa durch Spaziergänge oder Vorlesen mit Altersverwirrten beschäftigen. Die Betreuer sollten den Mindestlohn beziehen, den auch die Helfer bekommen (derzeit acht Euro Bruttostundenlohn im Osten, neun im Westen). Das wären rund 500 Millionen Euro im Jahr, die wohl aus dem Bundeshaushalt kommen müssten«, so  Hannes Heine und Rainer Woratschka in ihrem Beitrag „Das Dilemma mit der fremden Hilfe„.

Die neue Studie von Transparency Deutschland beleuchtet – und das sei abschließend noch angeführt – noch einen weiteren wichtigen Bereich: Untersucht wurde der Bereich der rechtlichen Betreuung – eine echte „Boombranche“:

»Die Zahl rechtlicher Betreuungen ist von 420.000 (1992) auf rund 1,3 Millionen (2008) gestiegen; zugleich stiegen die Kosten von fünf Millionen Euro auf 640 Millionen. Für die selbstständige Tätigkeit als Berufsbetreuer gibt es keine berufsrechtlich definierten Zugangskriterien. Die Berufsbetreuer unterstehen lediglich der gerichtlichen Kontrolle durch Rechtspfleger. Ein Rechtspfleger ist im Durchschnitt für die Aufsicht von fast 1.000 Verfahren zuständig. Die Einfallstore für Betrug und Korruption sind im Lauf einer Betreuung vielfältig, wie zum Beispiel bei der Haushaltsauflösung, abzuwickelnden Immobiliengeschäften oder der Vermögensverwaltung.«

Transparency Deutschland fordert im Bereich der rechtlichen Betreuung:

  • Die Aufsicht und Kontrolle im Bereich der rechtlichen Betreuung ist erheblich zu stärken, auch durch zusätzliche Personalressourcen im Bereich der Rechtspflege.
  • In den Amtsgerichtsbezirken sind Register für Berufsbetreuer sowie Datenbanken zum amtsgerichtsübergreifenden Abgleich der berufsbetreuerbezogenen Fallzahlen, aber auch zu Beschwerden und Verstößen einzurichten. 
  • Bei gerichtlicher Anordnung der Ermittlung des Vermögens von zu Betreuenden ist diese Aufgabe von der laufenden Betreuung zu trennen und durch die Rechtspfleger durchzuführen. Das Vier-Augen-Prinzip von Betreuer und Rechtspfleger ist strikt anzuwenden und eine genaue Dokumentation zum Prozess der Ermittlung zu erstellen.
  • Berufsbetreuer sind nach dem Verpflichtungsgesetz zu verpflichten. Damit würden sie als Amtsträger den strengen strafrechtlichen Regeln der Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung unterworfen.

Diese Forderungen sind richtig und sollten unterstützt werden.