Der Irrsinn mit den Kräften in der Pflege. Oder: Folge dem Geld, dann wird aus dem offensichtlichen Irrsinn ein betriebswirtschaftlich durchaus rationales Vorgehen

Am 9. März 2020 (Stand: 15:00 Uhr) wurden vom Robert Koch Institut (RKI) für Deutschland 1.139 COVID-19-Fälle gemeldet. Die Zahlen steigen, aber dennoch wird der eine oder andere denken, dass das in einem Land mit deutlich mehr als 80 Mio. Einwohner irgendwie eine überschaubare Größenordnung ist. Noch. Die Experten sprechen mittlerweile von einer Pandemie und man muss davon ausgehen, dass die Zahlen noch durch die Decke gehen werden. Und neben der Tatsache, dass nicht alle Infizierten auch behandlungsbedürftig sind, muss man plausibel annehmen, dass die Inanspruchnahme der Gesundheitseinrichtungen und darunter vor allem der Krankenhäuser in den kommenden Wochen und Monaten erheblich ansteigen wird. Und das trifft auf Kliniken, unter denen viele bereits unter der „Normallast“ immer öfter in die Knie gehen, vor allem aufgrund des grassierenden Mangels an Pflegekräften.

Ein Baustein, um mittel- und langfristig die Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals zu verbessern (und damit die Attraktivität des Berufsfeldes Pflege zu erhöhen), ist der Personalschlüssel. Und mit den Pflegepersonaluntergrenzen in ausgewählten Bereichen sollte zumindest ein Einstieg dahingehend erreicht werden, dass nunmehr bestimmte Relationen zwischen Patienten und Pflegekräften vorgegeben werden (über das Thema Pflegepersonaluntergrenzen wurde hier schon seit längerem und mehrfach berichtet, vgl. dazu beispielsweise den Beitrag Wenn eine als untere Schutzgrenze konzipierte Personalvorgabe zur problematischen und in der Praxis von zahlreichen Kliniken nicht erreichbaren Obergrenze mutiert: Anmerkungen zu den Pflegepersonaluntergrenzen vom 14. September 2019). Offensichtlich, das deutet die Überschrift schon an, gab es bereits unter „Normalbedingungen“ nicht in allen, aber in vielen Kliniken erhebliche Schwierigkeiten bei der Umsetzung dieser – wohlgemerkt – Untergrenzen (mit denen ganz offiziell nicht das Optimum, sondern das Minimum an Versorgungssicherheit für die Patienten realisiert werden soll). Und nun verfolgen wir seit Tagen den Anstieg der COVID-19-Fälle und ahnen, dass es bald richtig schwierig werden wird, die Patienten gut zu versorgen.

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Appell der Verzweiflung: Für die Pflege nehmen wir alle. Was für ein Schuss ins Knie

Ers vor kurzem wurde der seit langem erwartete Abschlussbericht über ein System der Personalbemessung für die stationäre Langzeitpflege veröffentlicht (vgl. dazu Rothgang et al. 2020). Während in der Medienberichterstattung vor allem die eine große Zahl herumgereicht wurde – nach dem Gutachten müsste die Zahl der Pflegekräfte in den Einrichtungen bei Anwendung des vorgeschlagenen Personalbemessungssystems um insgesamt 36 Prozent oder mehr als 100.000 erhöht werden, von jetzt rund 320.000 auf dann knapp 440.000 -, wurde kaum darüber diskutiert, dass die Gutachter damit weniger bis gar nicht Pflegefachkräfte gemeint haben, sondern der zusätzliche Personalbedarf, der bereits für die heutige Personalausstattung in den Heimen identifiziert wird, soll fast ausschließlich im Bereich der „Assistenzkräfte“ anfallen. Vgl. dazu ausführlich die kritischen Anmerkungen in dem Beitrag Die Zukunft der stationären Altenpflege zwischen Mindestlohn und wenn, dann mehr Hilfskräften? Kritische Anmerkungen angesichts einer doppelten Absenkung in einem ganz besonderen Arbeitsfeld vom 25. Februar 2020.

Das Gutachten bezieht sich ausschließlich auf den Bereich der stationären Alten- bzw. Langzeitpflege. Geht es um den Personalbedarf insgesamt, dann muss man natürlich auch die ambulanten Pflegedienste berücksichtigen und die Pflegekräfte in den Krankenhäusern. Und das alles dann unter dem Vorzeichen, dass der Bedarf an neuen und zusätzlichen Pflegekräften nicht nur deshalb enorm zunehmen wird, weil viele Pflegekräfte in den kommenden zehn, fünfzehn Jahren altersbedingt das Feld verlassen werden, sondern auch, weil wir es mit einem stark steigenden Pflegebedarf in der Bevölkerung zu tun haben.

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Die Zukunft der stationären Altenpflege zwischen Mindestlohn und wenn, dann mehr Hilfskräften? Kritische Anmerkungen angesichts einer doppelten Absenkung in einem ganz besonderen Arbeitsfeld

Seit Jahren wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die Personalausstattung in deutschen Pflegeheimen viel zu schlecht sei und die Realität in vielen Einrichtungen dazu beitrage, dass nicht nur die Versorgung der dort lebenden Menschen leide, sondern auch viele Pflegekräfte angesichts der Zustände kapitulieren und aus der Tätigkeit in der stationären Pflege fliehen. Und immer wieder wurde ein transparentes System der Personalbemessung gefordert, mehrere Anläufe zur Entwicklung eines solchen Verfahrens sind in der Vergangenheit gescheitert. Im Zuge des Pflegestärkungsgesetzes II hat der Gesetzgeber reagiert und 2016 den § 113c in das SGB XI geschrieben: »Die Vertragsparteien … stellen … die Entwicklung und Erprobung eines wissenschaftlich fundierten Verfahrens zur einheitlichen Bemessung des Personalbedarfs in Pflegeeinrichtungen nach qualitativen und quantitativen Maßstäben sicher. Die Entwicklung und Erprobung ist bis zum 30. Juni 2020 abzuschließen. Es ist ein strukturiertes, empirisch abgesichertes und valides Verfahren für die Personalbemessung in Pflegeeinrichtungen auf der Basis des durchschnittlichen Versorgungsaufwands für direkte und indirekte pflegerische Maßnahmen sowie für Hilfen bei der Haushaltsführung unter Berücksichtigung der fachlichen Ziele und Konzeption des ab dem 1. Januar 2017 geltenden Pflegebedürftigkeitsbegriffs zu erstellen. Hierzu sind einheitliche Maßstäbe zu ermitteln, die insbesondere Qualifikationsanforderungen, quantitative Bedarfe und die fachliche Angemessenheit der Maßnahmen berücksichtigen.«

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