„Hier regnet es Geld“: Von „guten“ und „schlechten“ Bettlern. Sogar bei denen gibt es eine Unter- und Mittelschicht. Und „Luxusverdiener“

Das sind Überschriften, mit denen man in der Normalwelt punkten kann: Ein Blick ins Innere der Bettlermafia, so ist ein Artikel aus Österreich überschrieben: »In Wien hat das Bundeskriminalamt ein Jahr lang die Strukturen durchleuchtet. Entdeckt wurde ein System voller Ausbeutung, Folter und Menschenverachtung«, folgt man Andreas Wetz in seinem Beitrag. Aufhänger ist die Geschichte eines 33-jährigen Rumänen, der durch einen Unfall zum Krüppel wurde, und den Kriminelle mitten in Wien jahrelang zum Betteln zwangen. Haben wir es also mit einem „Geschäftsmodell“ zu tun? Müssen wir uns verabschieden von der zuweilen fast schon romantisch daherkommenden Verklärung des bemitleidenswerten Einzelschicksals in der Fußgängerzone, das uns immer auch daran erinnert, dass wir es besser haben und nicht so enden möchten? Andere hingegen sehen in der Bettelei lediglich eine Störung ihrer Entfaltung in den Konsumzonen der Städte, ein (ästhetisches) Ärgernis, ein ordnungsrechtliches Problem, um das sich die zuständigen Stellen zu kümmern haben im Sinne einer Entfernung aus dem öffentlichen Raum.

Aber zurück nach Wien, Österreich: »Seit Juli 2013 durchleuchtet eine Arbeitsgruppe des Bundeskriminalamts die Wiener Bettlerszene. Die Beamten unterscheiden zwischen selbstbestimmtem Betteln auf Grund von Armut (legal), organisiertem Betteln zur Profitmaximierung (Verwaltungsübertretung) sowie der Ausbeutung von Bettlern durch Menschenhändler (eine Straftat).« Auf der Basis ihrer Grundlagenrecherche behauptet das österreichische Bundeskriminalamt, »dass der organisierte und der strafrechtlich relevante Teil der Bettler zusammen in Wien bereits den halben „Markt“ besetzt haben dürfte. Die betroffenen Personen stammen fast ausschließlich aus den ärmsten Regionen der Europäischen Union, konkret aus den Ländern Slowakei, Bulgarien und Rumänien.«

Andreas Wetz beschreibt das „Geschäftsmodell“ so:

»Meistens beginnt es in den Heimatländern, wo die Bosse Mittellose, Behinderte und Arbeitslose zu regelrechten Bewerbungsgesprächen laden. In den betroffenen Regionen spricht sich herum, dass durch gemeinsames Betteln im wohlhabenden Österreich für den Einzelnen pro Monat zwischen 100 und 200 Euro „Einkommen“ bleiben. Eine Summe, die in diesen Ländern einiges wert ist. Noch mehr jedoch verdienen die Banden.
Diese betreiben zwischen Bukarest und Wien eine Art Linienverkehr, der die Bettler transportiert. Hier angekommen, werden sie nach festgelegten Dienstplänen an zuvor zugewiesene Standorte gebracht. Die Nacht verbringen sie in Massenquartieren, wo sie 130 Euro pro Monat und Matratze bezahlen.
Aus den Ermittlungen geht auch hervor, welch gutes Geschäft die Vermieter dieser Wohnen machen. Bei Razzien wurden 50 Quadratmeter große Substandardwohnungen mit 40 eingemieteten Bettlern entdeckt. Ein anderes Mal besuchten Polizisten ein Haus, in dem offiziell 47 Personen gemeldet waren. Letztendlich hielten sich dort 220 Personen auf. Im Visier haben die Beamten auch einen Vermieter, der in Wien 70 entsprechende Quartiere betreiben soll.«

Von dem 33-jährigen Rumänen, der als Kronzeuge fungieren soll, erfährt man ganz erstaunliche „Umsätze“, der der körperlich schwer behinderte Mensch angeblich realisiert hat, denn es »stellte sich heraus, dass dieser im Durchschnitt 300 Euro am Tag einnahm, von denen er alles abgeben musste. In der Vorweihnachtszeit erreichte er Spitzenwerte von 1.000 Euro. Wurde das Tagespensum einmal nicht erreicht, setzte es brutale Schläge und Essensentzug.« Auf die Frage, warum er in Österreich gelandet ist, antwortet der rumänische Mann: „Hier regnet es Geld“.
Nun wird man sich an dieser Stelle sofort die Frage stellen (müssen): Ist das jetzt von eher anekdotischer Evidenz? Oder steht der Mann stellvertretend für eine „Branche“?

Zumindest sind die genannten Beträge – die wohlgemerkt von einem Einzelfall berichtet werden – Gegenstand einer heftigen Distanzierung seitens der österreichischen Caritas: Bettler: Caritas-Kritik an Bundeskriminalamt, so ist die Stellungnahme überschrieben.
Klaus Schwertner, Generalsekretär der Caritas der Erzdiözese Wien, zitiert eine Studie:

»Laut einer Studie würden Bettler zwischen 20 und 30 Euro pro Tag erhalten, Menschen mit Behinderung etwas mehr. Dass das … in die Höhe von 300 Euro im Schnitt und 1.000 Euro zu Spitzenzeiten gehen könne, wies Schwertner zurück.«

Insgesamt kommt die Stellungnahme sehr forsch daher: Wenn man von einem „Geschäftsmodell Bettelei“ spricht, dann hätte man von der Realität keine Ahnung. »Menschen, die betteln, geben ihr Wissen weiter, bilden Fahrgemeinschaften, nehmen Sammeltaxis in Anspruch oder teilen sich Wohnungen, weil sie sich die Mieten sonst nicht leisten können. An diesem Verhalten lässt sich nichts Verwerfliches erkennen, es wird aber derzeit als ‚organisiertes‘ Betteln bestraft“, betonte Schwertner.« Die Botschaft ist eindeutig: „Vom Betteln wird niemand reich. Hören Sie auf die Bevölkerung zu verunsichern und Bettler zu kriminalisieren!“, so wird Schwerter zitiert. Dem einen oder der anderen wird dieses Statement als einer dieser typischen Reflexreaktionen vorkommen, nach dem Muster wenn du eine bestimmte Personengruppe negativ etikettierst, dann werde ich generell Absolution erteilen und das herausgestellte Problem zu einem Nicht-Problem erklären. Wie so oft bewegen wir uns faktisch in einem Kontinuum der unterschiedlichen Formen der Bettelei und beide Pole des Geschehens sind vorfindbar, also der „alteingesessene, normale“, nicht-aufdringlich daherkommende Bettler existiert neben den von wem auch immer organisierten Bettlergruppen vor allem aus Osteuropa. Es kann an dieser Stelle nur darauf hingewiesen werden, dass die hier erkennbarer unterkomplexe Polarisierung nicht nur, aber auch einer defizitären bzw. sogar fehlenden empirischen Durchdringung des Phänomens geschuldet sein könnte. Dabei hätten gerade die Österreicher die Möglichkeit, auf eine der wenigen wissenschaftlich fundierten Versuche der Ausleuchtung des Themenfeldes zurückzugreifen: Im Jahr 2012 wurde der von Ferdinand Koller herausgegebene Sammelband „Betteln in Wien. Fakten und Analysen aus unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen“ veröffentlicht.

Offensichtlich bewegen wir uns hier in einem Spannungsfeld der bewusst-unbewusst vorgenommenen Unterscheidung zwischen „guten“ und „schlechten“ Bettlern – ein generell im Diskurs über Armut und Arme immer wieder auftauchender Strukturierungsversuch. Das findet man beispielsweise auch prominent platziert im Vorspann der Diskussionssendung Warum betteln Menschen im Sozialstaat? Mitleid als Geschäftsmodell, die vom SWR2 ausgestrahlt wurde (Audio-Datei der Sendung):

»Heute ist das Betteln teilweise zu einem professionellen Geschäftsmodell krimineller Organisationen geworden, die ihre Mitleids-Strategien immer weiter verfeinern. Und doch gibt es daneben ebenso die Einzelkämpfer, die durch einen persönlichen Schicksalsschlag auf der Straße gelandet sind.«

In dieser Sendung haben Stefan Gillich von Evangelische Obdachlosenhilfe, Diakonisches Werk in Frankfurt, Hans-Jörg Longen vom Ordnungsamt der Stadt Stuttgart sowie Dr. Iulia-Karin Patrut, Kulturwissenschaftlerin von der Universität Trier miteinander diskutiert über Bettler und Bettelei – übrigens wohltuend  differenziert und viele unterschiedliche Aspekte ansprechend.

Die Verwendung des Terminus „Bettlermafia“ ist übrigens keine österreichische Besonderheit, auch in Deutschland zieht sich das seit längerem durch die Medienberichterstattung und immer wieder gab es in der Vergangenheit Berichte etwa aus Berlin, Köln und München, wonach dort Gruppen Einwanderer aus Osteuropa „organisiert“ betteln und durch die „Bettelmafia“ ausgenutzt würden: Wie die Bettelmafia aus Mitleid Geld macht, Die rumänische Bettelmafia von Köln oder bereits vor einem Jahr in der Berliner Zeitung der Artikel Die Bettelmafia schnorrt jetzt mit Hunden, ein Phänomen, was gerade diese Tage von der BILD-Zeitung als „Neuigkeit“ verkauft wird, wenn sie mit ihren großen Buchstaben die Frage abfeuert: Warum haben so viele Bettler Luxus-Hunde?

Vielleicht steht das ganze Problem, das hier mehr schlecht als recht mit fragwürdigen Begriffen wie „Bettlermafia“ etikettiert wird, in der Traditionslinie von Stellvertreter-Themen. Damit ist gemeint, dass es eigentlich um etwas anderes geht, als das, worüber man scheinbar spricht. Da wäre auf der einen Seite der ordnungspolitische, sich auf die Anwendung von Ordnungsrecht bis hin zur Exklusionsversuchen des Problems kaprizierende Ansatz, nach dem das Problem primär eines der Störung der öffentlichen Ordnung ist, das man beseitigen möchte. Bei dieser Gruppe besteht die Gefahr, die Vielgestaltigkeit der Bettelei und der sie betreffenden Menschen aus den Augen zu verlieren und die Betroffenen zum Problem zu verengen. Auf der anderen Seite stehen die, die advokatorisch und praktisch helfend für die Menschen arbeiten (wollen) und die sich schützend vor diese stellen, dabei aber ebenfalls in die Gefahrenzone der Verengung geraten, in dem sie alle problematischen Fallkonstallationen wie die Strukturen und Prozesse einer organisierten Ausbeutungs-Bettelei als übertrieben oder gar nicht existent bewerten, oftmals weil sie Angst haben, das ansonsten alle anderen unter die Räder der von den Medien natürlich gerne, weil mit Skandalisierungspotenzial ausgestatteten Berichterstattung über diese eine Variante der Bettelei geraten werden.

Nicht selten hilft es, sich bei einem Thema, dass von den Medien als Neuigkeit in der immer flüchtiger werdenden Aufmerksamkeitsökonomie hochgespielt wird, klar zu machen, dass schon vor Jahren darüber diskutiert wurde und die Gesellschaft seitdem immer noch existiert. Ein Beispiel ist der Beitrag Bettelei ist schließlich kein Verbrechen von Patrick Bernau in der FAZ aus dem Jahr 2009 am Beispiel der Stadt Köln. Er versucht sich dem Thema aus einer distanziert-ökonomischen Sicht zu nähern. So zitiert er ein junge Bettlerin mit den folgenden Worten, die sich wie eine zielgruppengerechte Beschreibung der Tätigkeitsanforderungen liest: „Schnorren ist ein Knochenjob. Du musst bei jedem Wetter draußen stehen, immer nett sein und immer ’nen neuen guten Spruch auf den Lippen haben. Wenn du schlechte Laune kriegst, hast du schon verschissen.“ Offensichtlich kann man das nicht nur als einen „Job“ ansehen, sondern hier wirken ähnliche Grundmuster wie in der „normalen“ Wirtschaft: »Zehn Euro in der Stunde schaffen nur wenige. Denn Bettler müssen investieren, wollen sie gut verdienen. Ein Hund, eine Quetschkommode, eine Krücke verbessern den Umsatz.« Und auch sonst reproduzieren sich die gesellschaftlichen Strukturen, so dass sich auch bei den Underdogs eine Unter-, Mittel- und Oberschicht herausgebildet hat:

»… selbst bei denen, die in der Gesellschaft ganz unten sind, gibt es Abstufungen und Schichten. Das muss man sich ganz konkret und im Wortsinn vorstellen: Am schlechtesten geht es jenen Bettlern, die still auf dem Boden sitzen. Sie sind die Unterschicht.
Die Mittelschicht besteht aus Leuten, die aufstehen und aktiv andere ansprechen. Und zur Oberschicht der Bettler gehört, wer Programm macht – auf einer Geige spielt oder mit einer Krücke daherkommt. Wie in der großen Gesellschaft bezieht die Oberschicht am meisten Einkommen und Prestige. Doch wer aufsteigen will, muss investieren.«

Auch eine nüchterne Analyse der historischen Entwicklung des Bettlerwesens kann einige Aufschlüsse geben über das auch hier wirkende Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage. Dazu Bernau:

»Im Mittelalter bevölkerten noch viel mehr Bettler die Städte. Sie standen zwar damals schon am Rand der Gesellschaft, waren aber besser gelitten als heute. Armut galt als gottgegeben, und wer einem Bettler ein Almosen gab, sicherte sich sein Seelenheil – die Bettler nahmen also nicht nur, sondern lieferten dafür eine Leistung: Sie beteten, dass dem Spender seine Sünden vergeben werden. Kein Wunder, dass Bettler gut verdienten und das Gewerbe regen Zulauf bekam. Immer mehr Gauner mischten sich darunter, und am Ende verloren die Bettler die Akzeptanz. Im Bayern des 16. Jahrhunderts wurde mancher Bettler sogar hingerichtet.«

Der heute von dem einen oder dem anderen wahrgenommen „Aufschwung“ der Bettelei – wobei angemerkt werden muss, dass es hierzu keine auch nur halbwegs gesicherte Datenlage gibt – hat seine strukturelle Basis wie so vieles andere auch in den 1970er Jahren, konkret in der Herausnahme des Bettelverbots aus dem Strafgesetzbuch im Kontext der Strafrechtsreformen dieser Zeit.
Und auch in dem Beitrag von Bernau aus dem Jahr 2009 taucht der Mafia-Terminus schon auf, allerdings im Vergleich zur heutigen Debatte in einer gleichsam wohltuend differenzierte Art und Weise, wenn er auf die „Luxusverdiener“ unter den Bettlern zu sprechen kommt:

»Das sind die wenigen organisierten Bettler, die „Schnorrermafia“,wie sie von den anderen genannt werden. Seit ein paar Jahren gibt es sie in vielen Städten: Oft sind das Gruppen von Osteuropäerinnen, die morgens mit dem Kleinbus gemeinsam in die Stadt gebracht und abends wieder abgeholt werden. Manchmal tragen sie Babys auf dem Arm, die nicht ihre sind. Sie stützen sich auf eine Krücke, obwohl sie gut laufen können. Oder sie sitzen in einem Rollstuhl, aus dem sie abends wieder aufstehen … Dass diese Leute eine richtige Mafia sind, glauben allerdings weder die Polizei noch Forscher, die die Szene untersucht haben. Meistens arbeiten da einfach ein paar Leute zusammen, die miteinander verwandt sind oder einander aus dem Heimatdorf kennen. Das ist effektiv. Die Bettlerbanden ziehen mit Krücken und Babys genügend Aufmerksamkeit auf sich. Umso mehr erbost das die „normalen“ Bettler. Denn was die Banden tun, passt nicht zu dem rücksichtsvollen Umgang, den die Bettler sonst untereinander pflegen.«

Na ja – und dass die Zahl der bettelnden Menschen gerade aus osteuropäischen Ländern in unseren Städten zugenommen hat und – da kann man sehr sicher sein – weiter ansteigen wird, hängt auch mit Angebot und Nachfrage zusammen. Wenn man sich nur einmal das gewaltige Wohlstandsgefälle zwischen den Armenhäusern und den Reichtumsinseln innerhalb der EU, also bei Personenfreizügigkeit, anschaut, dann wird verständlich, warum bei dieser Konfiguration der Nachschub für die Bettelei aus dem Ausland sicher ist. Hinzu kommen die Inländer, die aus welchen biografischen Gründen auch immer bei uns durch alle Roste fallen und auf der Straße landen.

Apropos Menschen – die unglaubliche Heterogenität der Gründe, warum Menschen auf der Straße landen und welche Geschichten in ihnen stecken, kann man sich auf der Facebook-Seite Streets of Berlin anschauen. Ein beeindruckendes Projekt.

Ja gibt’s das denn: Wenn Deutsche das Ausland „überlasten“. Und ganz viele warten auf den EuGH

Die Debatte über die Zuwanderung von Menschen nach Deutschland geht munter weiter – sowohl in der mehr als einseitig-verzerrenden Variante der skandalisierenden Rede von der „Armutszuwanderung“ mit dem dort mitlaufenden Bild von „unsere“ Hartz IV-Töpfe auslöffelnden Massen aus den südeuropäischen Armenhäusern der EU (wobei das keinesfalls auf Deutschland bzw. Bayern beschränkt ist, wie der Wettstreit um Härte gegen Zuwanderer zeigt, dem man derzeit in Großbritannien beobachten muss), wie aber auch in einem parallel dazu vorgetragenen Lobgesang auf die vielen „qualifizierten“ Zuwanderer, die wir als Gesellschaft – die aufgrund der demografischen Entwicklung angeblich auf die Knie geht – so dringend brauchen. Insofern wird der vom Statistischen Bundesamt für 2013 gemeldete wahrscheinliche Zuwanderungsüberschuss von mehr als 400.000 Menschen in diesem Diskussionsstrang sicher freudig begrüßt:

»Die ohnehin schon hohen Wanderungsgewinne in den beiden Vorjahren (2011: +279.000, 2012: +369.000) werden der Schätzung zufolge 2013 nochmals übertroffen: Das Statistische Bundesamt rechnet damit, dass sogar erstmals seit 1993 etwas mehr als 400.000 Personen mehr aus dem Ausland zugezogen als ins Ausland fortgezogen sind. Damals hatte der Wanderungssaldo bei 462.000 gelegen.«

Aber wie immer liegt die Wahrheit wahrscheinlich in der Mitte oder anders formuliert: Die Wirklichkeit ist weitaus komplexer und selten schwarz oder weiß.

Ein Aspekt soll hier besonders herausgestellt werden, der eine wichtige, wenn nicht die zentrale Rolle spielt bei der teilweise hysterischen Debatte über (angeblich) ganz viele Armutsflüchtlinge, also Menschen, die nur deshalb zu uns nach Deutschland kommen, weil sie hier aus ihrer Sicht auf „paradiesische“ Sozialleistungen stoßen, mit denen sie dann – im Vergleich zu ihren Herkunftsländern – ein Leben „in Saus und Braus“ zu führen in der Lage sind. Es geht also um die Möglichkeit (oder den Ausschluss) vom Bezug der Sozialleistungen des Aufnahmelandes. Die Populisten haben das verdichtet auf die Rede über „Sozialtourismus“ oder „Sozialbetrug“ – und damit jeden Bezug von Hilfe unter das Dach eines ungerechtfertigten, ja eines illegalen Verhaltens gestellt. Hintergrund dieser völligen Verzerrung sind (neben ihrem Mobilisierungspotenzial einheimischer Wähler) auch die widersprüchlichen Signale, die von der deutschen Sozialgerichtsbarkeit ausgesendet werden. Da liegen Urteile vor, in denen die eher restriktive Rechtslage bestätigt wird, nach der das deutsche Sozialgesetzbuch II grundsätzlich ausdrücklich ausschließt, dass arbeitssuchende EU-Bürger Hartz IV erhalten, während andere Urteile den Hartz IV-Bezug auch von Anfang an meinen öffnen zu müssen – mit der Begründung, die bestehenden Leistungsausschlüsse in Deutschland seien europarechtlich nicht zu halten.

Dem obersten Sozialgericht unseres Landes wurde es zunehmend mulmig (auch vor dem steigenden Erwartungsdruck, eine Richtungsentscheidung zu treffen) und so hat es die Grundfrage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) weitergeleitet – und nun warten alle, wie das europäische Gericht entscheiden wird, denn dieser Verweisung des BSG an das EuGH ist die Anerkenntnis, dass es ein europarechtliches Problem gibt.

Corinna Burdas hat die Gefechtslage in ihrem Artikel „Europa entscheidet über Hartz IV für EU-Ausländer“ skizziert (wobei die Anmerkung gestattet sei, dass es weniger „Europa“ sein wird, als der EuGH, was nicht nur ein semantischer Unterschied ist):

»Ginge es … tatsächlich allein um deutsches Recht, wäre die Rechtslage klar. Paragraph 7 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 des Sozialgesetzbuches(SGB) II stellt nämlich unmissverständlich fest, dass das Arbeitslosengeld II in Höhe von nunmehr maximal 391 Euro im Monat nicht an Ausländer gezahlt wird, die sich allein zur Arbeitssuche in Deutschland aufhalten. Mit dieser Ausschlussklausel solle der „Sozialtourismus“ von Personen verhindert werden, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht oder kaum integrierbar seien, wie etwas das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen jüngst in einem Eilverfahren feststellte … im Zentrum des Streits stehen … im wesentlichen zwei – europäische – Regelwerke, die das Problem der Zuwanderung innerhalb der Grenzen der EU geradezu konträr lösen: Die europäische „Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit“ stellt klar, dass alle EU-Bürger gleich behandelt werden müssen. Die gleiche Frage regelt die „Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen“, allerdings mit dem genau umgekehrten Ergebnis: Diese „Unionsbürgerrichtlinie“ erlaubt es den Mitgliedstaaten ausdrücklich, EU-Ausländer von der Sozialhilfe auszunehmen. Gestützt wird das durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs: Er erlaubte im Juni 2009, Sozialhilfe erst dann zu gewähren, wenn der Arbeitssuchende eine tatsächliche Verbindung mit dem Arbeitsmarkt des Aufenthaltsstaats hergestellt hat. Von dieser Ausnahme hat Deutschland mit Paragraph 7 SGB II Gebrauch gemacht. «

Nun stellen sich natürlich viele die Frage, was und wie der EuGH entscheiden wird. Bekanntlich ist man auf hoher See und vor Gericht in Gottes Hand, was jede seriöse Prognostik erschwert bis verunmöglicht, aber man kann einen Blick nach links oder rechts werfen, um anhand anderer Entscheidungen Hinweise auf die anstehende zu finden: Ein Urteil zu einem Rentner, der staatliche Hilfen in Österreich beantragte, gibt solche Hinweise, mein Christian Rath in seinem Artikel „Wenn Deutsche das Ausland überlasten„. Er bezieht sich auf ein Urteil des EuGH aus dem September 2013 (Az.: C-140/12), das in Deutschland kaum bekannt ist.

Der Fall hat auch deswegen eine gewisse Pikanterie, denn er betrifft nicht die drohende Überlastung des deutschen Sozialsystems durch EU-Ausländer, sondern umgekehrt die drohende Überlastung des österreichischen Sozialsystems durch in die Alpenrepublik eingewanderte Deutsche.
Rath beschreibt die Fallkonstellation und die Entscheidung des EuGH zusammenfassend so:

»Konkret ging es um den deutschen Rentner Peter B., der 2011 mit seiner Ehefrau nach Österreich zog. B. bezieht aus Deutschland eine kleine Erwerbsminderungsrente. In Österreich beantragte er zusätzlich die dortige Ausgleichszulage, mit der unzureichende Renten auf das Existenzminimum aufgestockt werden. Die österreichischen Behörden verweigerten B. jedoch die Ausgleichszulage. Er habe gar kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Österreich, weil er nicht über ausreichende Mittel verfüge, um seinen Lebensunterhalt selbst zu finanzieren. Die Behörden beriefen sich dabei auf eine entsprechende Klausel im österreichischen Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz.
Der EuGH beanstandete die österreichische Klausel. Die dortigen Gerichte müssten vielmehr prüfen, ob die Gewährung der Leistung im konkreten Fall das Sozialsystem „unangemessen“ belastet.«

Die EuGH-Argumentation, dass Österreich prüfen müsse, ob die Gewährung der Leistung im vorliegenden Fall das Sozialsystem „unangemessen“ belastet, war auch Referenzpunkt für eine Entscheidung des nordrhein-westfälischen Landessozialgerichts:  Hartz IV dürfe für arbeitssuchende EU-Bürger nicht automatisch und ohne Ausnahme ausgeschlossen werden.

Christian Rath sieht in der EuGH-Entscheidung den deutschen Rentner in Österreich betreffend die folgenden Hinweise für das anstehende Urteil zum Hartz IV-Bezug für EU-Ausländer in Deutschland betreffend:

»So misst der EuGH den Fall nicht an der „EU-Verordnung zur Koordinierung der Systeme sozialer Sicherheit“, die in der Regel eine strikte Gleichbehandlung der EU-Bürger bei Sozialleistungen fordert. Maßstab sei vielmehr die Unionsbürger-Richtlinie, die ausdrücklich vorsieht, dass EU-Bürgern in bestimmten Konstellationen „Sozialhilfe“ verweigert werden kann.
Der Begriff der „Sozialhilfe“ wird zudem weit ausgelegt. Auch die österreichische Ausgleichszulage für Rentner wird deshalb als „Sozialhilfe“ eingestuft. Dies spricht dafür, dass der EuGH auch deutsche Hartz IV-Leistungen als „Sozialhilfe“ im Sinne des EU-Rechts werten wird.«

Damit wären wir in einem Kernbereich der zu entscheidenden Problematik angekommen, auf den auch Corinna Burdas in ihrem Beitrag hingewiesen hatte: So sei es »ungeklärt, ob das 2005 eingeführte Arbeitslosengeld II unter den Begriff der Sozialhilfe fällt oder eher eine „beitragsunabhängige Geldleistung“ ist, die nach der Unionsbürgerrichtlinie nicht ausgeschlossen werden darf. Damals wurden Sozialhilfe und die frühere Arbeitslosenhilfe zu einer Leistung zusammengefasst.«

So richtig kompliziert wird es, wenn man berücksichtigt, dass der EuGH in seinem Österreich-Urteil auch eine Pflicht zur „finanziellen Solidarität“ der Aufnahmestaaten betont hat, vor allem, wenn die Bedürftigkeit des EU-Bürgers „nur vorübergehender Natur“ ist. Ein „automatischer Ausschluss der wirtschaftlich nicht aktiven Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten“ von der Sozialhilfe sei deshalb unzulässig.

Schon wieder so ein unbestimmter Rechtsbegriff, der auf eine neue Mega-ABM für Juristen hindeutet: „Nur vorübergehender Natur“ – wie kann man das operationalisieren? Wann ist die Bedürftigkeit „nur vorübergehend“ und wann wird sie etwas anderes? Man verdeutliche sich die hier verborgene Problematik nur an der deutschen Diskussion über den „harten Kern“ an (formal?) erwerbsfähigen Langzeitarbeitslosen im Grundsicherungssystem, die sich seit Jahren im Leistungsbezug befinden (vgl. hierzu ausführlicher die quantitativen Befunde in der Studie von Obermeier, Tim; Sell, Stefan und Tiedemann, Birte: Messkonzept zur Bestimmung der Zielgruppe für eine öffentlich geförderte Beschäftigung. Methodisches Vorgehen und Ergebnisse der quantitativen Abschätzung, Remagen, 2013).

Übrigens kann man hinsichtlich der Debatte über den „harten Kern“ der Hartz IV-Empfänger in Deutschland auch einen grundlegenden und jetzt hoch relevanten Differenzierungsaspekt unserer sozialen Sicherungssysteme erkennen, denn mit Blick auf die Menschen, die sich seit Jahren im Hartz IV-Bezug befinden, wird immer wieder vorgetragen, dass sie aben nur noch formal erwerbsfähig seien, aber mittel- und langfristig keine Perspektiven haben werden auf einen Arbeitsplatz, so dass man doch überlegen solle, diese Menschen aus der „Grundsicherung für Arbeitsuchende“ (SGB II) herauszunehmen und sie in das SGB XII (Sozialhilfe) zu überführen. Und da haben die Deutschen selbst ein echtes Zuordnungsproblem, denn die Abgrenzung, also SGB II für die Erwerbsfähigen und SGB XII für die Nicht-(mehr)-Erwerbsfähigen, ist nur scheinbar eindeutig, man werfe nur einen Blick in die Zielbestimmung des (Rest-)Sozialhilfe-Gesetzes SGB XII, also in den § 1: „Aufgabe der Sozialhilfe ist es, den Leistungsberechtigten die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht. Die Leistung soll sie so weit wie möglich befähigen, unabhängig von ihr zu leben; darauf haben auch die Leistungsberechtigten nach ihren Kräften hinzuarbeiten.“ Ja wenn die Leistung sie befähigen soll, unabhängig von ihr zu leben, dann steckt dahinter ganz offensichtlich die Vorstellung, dass zumindest die Option vorhanden sein muss, dass sich die Sozialhilfe-Empfänger beispielsweise durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit wieder von der Bedürftigkeit befreien können, außer man reduziert die Optionen auf ein Entkommen aus der Hilfsbedürftigkeit auf einen auch bei Nicht-Erwerbstätigkeit erzielbaren Lotto-Gewinn, wenn man denn mitspielt.

Vor diesem Hintergrund könnte man schon auf den Gedanken kommen, dass das EuGH nicht im Sinne einer Ausschlussregelung entscheiden wird, denn EU-Bürger, die in Deutschland Arbeit suchen, wollen ja noch wirtschaftlich aktiv sein und deshalb benötigen sie nach EU-Logik eigentlich einen stärkeren Schutz im Aufnahmestaat als Rentner, so könnte man argumentieren. Ob die Richter das tun werden, steht in den Sternen und bleibt mithin abzuwarten.

Und bei aller Fokussierung auf die hier besprochene Problematik sollte man nicht vergessen: »Wer schon einmal in Deutschland gearbeitet hat oder ein Gewerbe betreibt, hat Anspruch auf Arbeitslosengeld II – zumindest als Aufstockungsleistung, wenn der Verdienst nicht zum Leben ausreicht. Auch Kindergeld erhalten alle EU-Bürger – übrigens unabhängig davon, ob sich die Kinder in Deutschland aufhalten«, so Corinna Budrich in ihrem Artikel.

Und eine letzte, gleichsam fundamentale Anmerkung: Wir sind hier konfrontiert mit gesellschaftlichen Kräften, die man nicht wirklich und vor allem nicht im entferntesten wird vollständig abblocken können. Man muss sehen: Wenn wir ein derart großes Wohlstandsgefälle haben zwischen den Mitgliedsstaaten der EU, das sich derzeit sogar noch vergrößert aufgrund der divergierenden ökonomischen Entwicklung, dann werden Menschen in einem „Binnenmarkt“ mit dem grundsätzlichen Recht der Personen-Freizügigkeit versuchen, ihr Glück zu suchen dort, wo die Lebensbedingungen deutlich besser sind oder zumindest erscheinen.

Natürlich kann das, wenn man realistisch und pragmatisch bleibt, nicht bedeuten, dass man jegliche Zuwanderung einschränkungslos zu akzeptieren hat. Man muss sich in diesem Fall darüber im Klaren sein, dass das zu massiven gesellschaftlichen Spannungen und Konflikten führen würde, die möglicherweise unverantwortbare Folgen hätten. Aber einen Mittelweg zu finden, wie man den aus dem nicht-aufhaltbaren Streben nach einem besseren Leben resultierenden Wanderungsbewegungen und den berechtigten Schutzinteressen der „Insider“ der Aufnahmeländer gerecht werden kann, das bleibt eine Aufgabe von Politikgestaltung, die a) höchst komplex ist und b) deren Lösung einem durch Gerichtsentscheidungen nicht abgenommen werden. Gerade wenn das so ist, muss man den modernen Populisten und ihrem das gesellschaftliche Klima vergiftenden öffentlichen Debatten so weit es geht Einhalt gebieten, man sollte aber auch nicht den Fehler machen, so zu tun, als wäre Zuwanderung im Gegenteil nur toll und ein großes Geschäft. Für manche Arbeitgeber und manche Branchen ist das sicher so, aber für viele andere Menschen sind damit oftmals erhebliche Konflikte und auch Verschlechterungen ihrer Lebensbedingungen verbunden, die man dann nicht den Populisten überlassen sollte.

Auch in Österreich das gleiche Problem wie in Deutschland: ein föderaler Flickenteppich bei der Kinderbetreuung. Und eine notwendige Debatte über Mindeststandards

Wenn in Deutschland über Kindertageseinrichtungen (und Kindertagespflege) diskutiert wird, dann wird immer gerne über „die“ Kitas oder „die“ Tagespflege gesprochen – dabei sind die Verhältnisse überaus heterogen, wir sind konfrontiert mit 16 unterschiedlichen Systemen der Kindertagesbetreuung in den Bundesländern und auch innerhalb der Länder gibt es oft von Kommune zu Kommune erhebliche Varianzen, beispielsweise bei den Elternbeiträgen oder der konkreten Finanzierung. Allein vor diesem Hintergrund verbieten sich allgemeine Aussagen über „die“ Kindertagesbetreuung.

Man kann sich die historisch gewachsenen Diskrepanzen allein schon auf der Ebene eines Bundesländervergleichs verdeutlichen, wenn man sich die Streuung der Personalschlüssel in den Kitas anschaut – es handelt sich hierbei, damit keine Missverständnisse auftauchen, die nicht um die tatsächliche Fachkraft-Kind-Relation, die ist ausgehend von den hier zitierten Werten noch schlechter, weil es sich nur um eine statistische Größe handelt, wie viele ganztags betreute Kinder auf eine Ganztagsfachkraft rechnerisch kommen, wohl wissend, dass die auch mal krank sein kann oder im Urlaub ist. Schaut man sich vor diesem Hintergrund die Bundesländerwerte an, dann fällt die erhebliche Streuung zwischen den Ländern auf. Nehmen wir einmal nur die klassischen Krippengruppen, also für Kinder unter drei Jahren. Dann liegt der 2013 vom Statistischen Bundesamt in der Studie „Der Personalschlüssel in Kindertageseinrichtungen. Aktuelle Ergebnisse auf Basis neuer Berechnungsgrundlagen 2012“ veröffentlichte beste Wert in Bremen bei 1 zu 3,2 Kinder, während der schlechteste Wert von Sachsen-Anhalt mit 1 zu 6,9 Kindern unter drei Jahre erreicht wird. Das bedeutet, der Personalschlüssel im Osten ist mehr als doppelt so schlecht wie in Bremen. Und wenn man jetzt weiß, dass auch der Spitzenwert in Bremen nicht den Wert erreicht, der in der frühpädagogischen Fachdiskussion als aus fachlichen Gründen geboten angesehen wird, dann kann man schnell erkennen, welche hoch problematischen Verhältnisse wir hier bei uns in Deutschland haben.

Auch Österreich ist mit dieser Problematik konfrontiert – nur sind es dort nicht 16, sondern „nur“ neun Bundesländer, was aber völlig ausreicht, um einen echten föderalen Flickenteppich hinzulegen. Darüber und vor allem über die Unterausstattung mit Personal berichtet eine neue Studie, die von der Arbeiterkammer Wien in Auftrag gegeben und nunmehr veröffentlicht wurde:

Stephanie Klamert, Marion Hackl, Caterina Hannes, Winfried Moser: Rechtliche Rahmenbedingungen für elementarpädagogische Einrichtungen im internationalen Vergleich. Eine Studie des Instituts für Kinderrechte und Elternbildung im Auftrag der der Arbeiterkammer Wien, Wien 2013

Gudrun Springer berichtet in ihrem Artikel „Kinderbetreuung: Neun Länder, neun Konzepte“ von einigen Befunden der Studie:

  • Beim Betreuungsschlüssel zeigt sich, dass im Österreich-Schnitt auf eine Fach- oder Hilfskraft 13 Kinder kommen. Rechnet man nur die Zahl der Kindergartenpädagoginnen, liegt der Schlüssel bei 1:24 – weit weg von der Empfehlung des Network on Childcare, wonach eine Betreuungskraft auf maximal 15 Kinder schauen soll (in Finnland beaufsichtigt eine Fachkraft sieben Kinder).
  • Die vorgeschriebene Gruppengröße liegt zwischen maximal 20 Kindern in Tirol und 25 in Wien, Kärnten, Niederösterreich, Burgenland und der Steiermark.
  • Für das unterstützende Personal ist laut Studie in Wien, Salzburg, Tirol und Vorarlberg gar keine Ausbildung gesetzlich festgeschrieben. Dabei arbeiten Kindergartenhelferinnen laut Karin Samer von den Wiener Kinderfreunden stark betreuend mit, denn: „Der Fachkräftemangel wäre nicht ohne Assistentinnen abzufangen.“ Österreich bräuchte demnach mindestens 900 zusätzliche Kindergartenpädagogen.
  • Der Besuch des Kindergartens ist in allen Bundesländern … im Jahr vor der Schulpflicht gratis (20 Stunden). Darüber hinaus sind die Regelungen für Elternbeiträge laut Studie „äußerst heterogen“ und daher nur bedingt vergleichbar.

Eine Zusammenfassung der Studienergebnisse sowie die daraus abgeleiteten politischen Forderungen hat die Arbeiterkammer Wien gemeinsam mit einigen Gewerkschaften auf einer Pressekonferenz unter dem Titel „Mehr Qualität in der Kinderbetreuung. Internationaler Vergleich, Erfahrungen aus der Praxis und politische Forderungen“ veröffentlicht. Und die Forderungen (S. 7) sind konkret formuliert und zugleich hilfreich für die gleiche Debatte, die auch hier in Deutschland notwendig ist:

  • Qualitätsstandards österreichweit: Stufenplan für die Vereinheitlichung mit dem Ziel einer bundeseinheitlichen gesetzliche Regelung von Mindeststandards (Gruppengrößen, Betreuungsschlüssel, Vorbereitungszeit, etc.) 
  • Einheitliche Ausbildungsstandards für das unterstützende Personal: Das unterstützende Personal ist in Österreich unverzichtbar in der Betreuung der Kinder. Ohne diese KollegInnen würde Österreich keine internationale Empfehlung zum Betreuungsschlüssel erreichen. Daher sind auch Ausbildung und die Berufsbezeichnung entsprechend österreichweit einheitlich zu sichern.
  • Hochschul-Ausbildung für PädagogInnen: Die Ausbildung von PädagogInnen auf Hochschulniveau soll auf den Weg gebracht werden. Vom Kinderhilfswerk UNICEF gibt es die Empfehlung, dass zumindest die Hälfte der PädagogInnen über eine Hochschulausbildung verfügen soll.
  • Finanzielle Rückendeckung für Gemeinden: Diese sollen künftig Zuschüsse nach der Zahl der betreuten Kinder erhalten, was bedeutet: je besser das Betreuungsangebot, desto mehr Geld (Stichwort aufgabenorientierter Finanzausgleich).
  • Kollektivvertrag: Für den privaten Bereich soll es einen Kollektivvertrag für alle Bundesländer geben.

In Deutschland muss es in den kommenden Monaten darum gehen, das von der Noch-Bundesfamilienministerin Schröder bereits im Sommer in Aussicht gestellte „Bundesqualitätsgesetz“ für den Bereich der Kindertagesbetreuung mit Leben zu füllen. Über dieses Gesetz sollten endlich im SGB VIII konkrete Personalstandards festgeschrieben werden, die bislang vollständig fehlen. Ein möglicher Ansatz wäre, dass man im Kinder- und Jugendhilfegesetz Mindestpersonalstandards normiert, die sich orientieren an den derzeit besten Personalschlüsseln, die wir in den westlichen Bundesländern haben. Auf dieser Grundlage wären dann alle Bundesländer verpflichtet, in einem zu definierenden Zeitrahmen diese Werte in ihren Einrichtungen sicherzustellen. Natürlich Würde eine solche Regelung bedeuten, dass der Bund sich aufgrund der Konnexität s Regeln an der Finanzierung der laufenden Betriebskosten der Kindertageseinrichtung unter Tagespflege anteilig beteiligen müsste. Aber genau das ist schon seit langem überfällig und unbedingt erforderlich, um das derzeit vorhandene krasse Missverhältnis in der Kosten-Nutzen-Architektur zuungunsten der Kommunen und zugunsten des Bundes und der Sozialversicherungen abzumildern.

Konkretere Vorschläge mit Blick auf eine Umsetzung der seit langem geforderten anteiligen Bundesfinanzierung über einen „KiTa-Fonds“ habe ich vor kurzem in einem Diskussionspapier veröffentlicht:

Stefan Sell: Die Finanzierung der Kindertagesbetreuung vom Kopf auf die Füße stellen. Das Modell eines „KiTa-Fonds“ zur Verringerung der erheblichen Unter- und Fehlfinanzierung der Kindertagesbetreuung in Deutschland, Berlin, Oktober 2013