Es lohnt sich. Kräftiger Anstieg der Reallöhne. Also im Durchschnitt über alle Arbeitnehmer und mit Wasser im Wein

Offensichtlich läuft es gut in Deutschland. Eine Erfolgsmeldung nach der anderen. Exporte, Importe und Exportüberschuss erreichen neue Rekordwerte, so berichtete das Statistische Bundesamt am 09.02.2015: »Die Außenhandelsbilanz schloss im Jahr 2014 mit dem bislang höchsten Überschuss von 217,0 Milliarden Euro ab. Damit wurde der bisherige Höchstwert von 195,3 Milliarden Euro im Jahr 2007 deutlich übertroffen.« Und am gleichen Tag legen die Bundesstatistiker nach und verkünden eine frohe Botschaft für die Arbeitnehmer: Reallohn­index 2014 um 1,6 % gestiegen. Der Reallohnanstieg von 1,6 % im Jahr 2014 – das ist »der höchste Anstieg seit Beginn der Zeitreihe des Reallohnindex im Jahr 2008.« Allerdings lohnt es sich, genauer hinzuschauen, denn die Statistiker geben wichtige Hinweise, wie es zu diesem an sich erfreulichen Ergebnis gekommen ist und sie schütten durchaus Wasser in den schön daherkommenden Wein: »Der starke Anstieg der Reallöhne im Jahr 2014 ist vor allem durch den niedrigen Anstieg der Verbraucherpreise begründet und nicht vorrangig auf die gestiegenen Verdienste zurückzuführen. Die Verbraucherpreise erhöhten sich mit + 0,9 % deutlich geringer als im Durchschnitt der letzten 5 Jahre (+ 1,5 %), der Anstieg der Nominallöhne (+ 2,4 %) lag hingegen sogar leicht unter dem entsprechenden Durchschnittswert (+ 2,5 %).« Noch kräftiger erhöhten sich die Löhne der Arbeitnehmer, für die ein Tarifvertrag gilt. Sie stiegen im Jahr 2014 sogar um 3,1 %. Über besonders kräftige Zuwächse konnten sich die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes freuen, die im Durchschnitt 3,5 % mehr Geld bekamen.

Die neuen, vorläufigen Daten des Statistischen Bundesamtes decken sich mit den Berechnungen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Dieses hatte den Anstieg der Nominallöhne kürzlich sogar mit durchschnittlich 2,7 Prozent beziffert und damit sogar eine Reallohnsteigerung von 1,8 Prozent ermittelt: Tariflöhne und -gehälter 2014: Reale Tarifsteigerungen von 2,2 Prozent. Neben den realen Steigerungen der Tariflöhne und -gehälter wird vom WSI immer auch die Entwicklung der „Effektivlöhne“ ausgewiesen. Es geht dabei um die effektiven Bruttoeinkommen – hier fließen unter anderem auch die Einkommen von Beschäftigten ein, die nicht nach Tarif bezahlt werden und das sind in den letzten Jahren immer mehr geworden. Das WSI schreibt zur Entwicklung:

»Die Tariflöhne haben im Jahr 2014 real (nach Abzug der Inflation) spürbar zugelegt. Die Verbraucherpreise sind im vergangenen Jahr um 0,9 Prozent gestiegen, die Tarifvergütungen dagegen um nominal 3,1 Prozent. Daraus ergibt sich im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt ein reales Wachstum der Tariflöhne und -gehälter um 2,2 Prozent … Bei den effektiven Bruttoeinkommen … fiel der Zuwachs im vergangenen Jahr ähnlich aus: Die Bruttolöhne und -gehälter sind 2014 nominal je Arbeitnehmer/in um 2,7 Prozent gestiegen, preisbereinigt bedeutet dies einen Anstieg um 1,8 Prozent.«

Man muss diese Daten natürlich einordnen. Wenn es so ist, dass vor allem die sehr niedrige Inflationsrate verantwortlich ist für den ausgewiesenen Reallohnanstieg und dieser weniger auf gestiegene Verdienste zurückzuführen ist, worauf das Statistische Bundesamt hingewiesen hat, dann muss man ergänzend erwähnen, dass auch „die“ Inflationsrate nicht einfach zu handhaben ist, handelt es sich doch ebenfalls um eine sehr hoch aggregierte Größe. In die Berechnung der Preissteigerungsrate gehen hunderte einzelner Güter und Dienstleistungen ein, die natürlich gewichtet werden müssen. Und die konkrete Art und Weise der konkreten Zusammensetzung des Wägungsschemas ist seit jeher eine Quelle der kritischen Debatte, inwieweit und welche Haushaltskonstellationen damit abgebildet werden (können). Es geht an dieser Stelle nicht um die überwiegend psychologisch zu erklärende Differenz zwischen der amtlich ausgewiesenen und der so genannten „gefühlten“ Inflation, die sich vor allem dadurch ergibt, dass bestimmte Güter und Dienstleistungen, die oft bis täglich in Anspruch genommen werden, bei den Menschen ein anderes Gewicht haben als ihnen im offiziellen Gewichtungsschema zugerechnet wird.

Es geht hier vor allem darum, dass die Haushalte mit niedrigen bis durchschnittlichen Einkommen oftmals ein Konsummuster haben (müssen), bei dem eine spezifische Berechnung der Preissteigerungsrate zu höheren Werten führen könnte als die, die von der einen offiziellen Inflationsrate ausgewiesen werden. Dann würde der gefeierte Reallohnanstieg differenziert nach Arbeitnehmereinkommensgruppen sicher wesentlich differenzierter betrachtet werden.
Eine weitere Einschränkung soll und kann an dieser Stelle nicht verschwiegen werden: In bestimmten Teilbereichen des Arbeitsmarktes sehen wir derzeit an vielen Beispielen die Tendenz, durch ein „Abschichten“, „Auslagern“ und anderen Strategien der Lohnkostensenkung die Arbeitseinkommen von Beschäftigtengruppen zu drücken – vgl. hierzu nur als ein Beispiel den Blog-Beitrag Billiger, noch billiger. Wo soll man anfangen? Karstadt, Deutsche Post DHL, Commerzbank … und Primark treibt es besonders konsequent.

Spannend wird das noch junge Jahr 2015 mit Blick auf die Auswirkungen unterschiedlicher Entwicklungslinien auf die weitere Lohnentwicklung. Also zum einen die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns, von dem trotz aller Ausnahmen gut drei Millionen Beschäftigte positiv betroffen sein müssten, darunter viele Arbeitnehmer, die in der Vergangenheit mit Löhnen deutlich unter den nun geltenden 8,50 Euro pro Stunde abgespeist worden sind. Zum anderen beginnt derzeit die Tarifrunde 2015. Für rund 11 Millionen Beschäftigte laufen die Tarifverträge in den kommenden Monaten aus. Die Verhandlungen haben in der Metallindustrie begonnen und starten demnächst im öffentlichen Dienst (Länder). Es folgen die Chemische Industrie, der Einzelhandel sowie der Groß- und Außenhandel. Vgl. dazu die Übersicht Tarifrunde 2015 vom WSI Tarifarchiv.

Überraschung: Die Bundesbank hat herausgefunden, dass Leute, die kein oder zu wenig Geld haben, auch nichts oder zu wenig kaufen können. Oder doch nicht?

Eine frohe Botschaft für die Arbeitnehmer konnte man der neuen Print-Ausgabe des SPIEGEL entnehmen: „Ende der Bescheidenheit“. Denn das proklamierte Ende richtet sich an die gewerkschaftlichen Lohnforderungen – und wird von einer Institution vorgetragen, von der man das nun so gar nicht erwartet hätte: »Bei der Forderung nach höheren Löhnen finden die Gewerkschaften einen ungewohnten Verbündeten: die Bundesbank. Den Währungshütern ist die aktuelle Inflationsrate zu niedrig – deshalb sollen die Gehälter nun kräftiger steigen als bisher.« Markus Dettmer und Christian Reichmann schreiben in ihrem Artikel vor dem Hintergrund dessen, was man bislang von den Bundesbankern gewohnt war: »Über Jahre konnten ihre Appelle für Sparsamkeit und Lohnzurückhaltung gar nicht streng genug ausfallen. Höhere Löhne treiben die Preise, so lautete ihr Mantra. Mochten sich andere Notenbanken bei ihren Entscheidungen daran orientieren, wie viele Menschen Arbeit suchten, die Bundesbank kannte nur ein Ziel: die Inflation im Zaum zu halten.« Haben die nun die Seiten gewechselt, ihr Herz für die Arbeiterbewegung entdeckt oder sind sie zum Keynesianismus konvertiert? Schauen wir genauer hin.


Im SPIEGEL-Artikel (vgl. auch die Kurzfassung Bundesbank plädiert für deutliches Lohnplus) wird darauf hingewiesen, dass die Bundesbank selbst – entgegen der doch vielen überraschten Reaktionen – keineswegs eine Kursänderung erkennen kann: »Als es der Wirtschaft schlecht ging, predigte sie den Gewerkschaften Bescheidenheit. Jetzt, wo die Konjunktur rundläuft, könnten die Tarife ruhig kräftiger zulegen. „Unsere Argumentation ist symmetrisch und konsistent“, sagt Jens Ulbrich, Chefökonom der Bundesbank …« Der Chefökonom der Bundesbank lobt die „sehr verantwortungsbewusste Lohnzurückhaltung“ der vergangenen Jahre. Was damit gemeint ist:

In den vergangenen Jahren blieben die Tariflohnabschlüsse zumeist unter der Marke dessen, was man als „verteilungsneutraler Lohnerhöhungsspielraum“ bezeichnet. Aus gewerkschaftlicher Sicht setzt sich der zusammen aus den beiden Komponenten Ausgleich in Höhe des (gesamtwirtschaftlichen) Produktivitätsfortschritts + Ausgleich der Preissteigerungsrate, während in anderen Beschreibungen etwas einschränkend darauf hingewiesen wird, dass man den durchschnittlichen Produktivitätsfortschritt der vergangenen Jahre heranziehen sollte und bei der Berücksichtigung der Preissteigerungsrate wird ein Deckel dahingehend raufgesetzt, als das nur die knapp unter 2%-Zielinflationsrate der EZB Berücksichtigung finden sollten, auch wenn die tatsächliche Inflation höher liegt. Das Konzept hat seine Bedeutung angesichts der Annahme, dass Lohnerhöhungen, die sich unterhalb dieser Grenze bewegen, nicht zu Arbeitsplatzabbau führen würden. Die Abbildung verdeutlicht mit Daten des WSI-Tarifarchivs die Entwicklung in den Jahren 2000 bis 2013.

Man erkennt sehr deutlich, dass in den zurückliegenden Jahren ganz überwiegend der verteilungsneutrale Lohnerhöhungsspielraum bei den Tariflöhnen nicht ausgeschöpft oder gar überschritten wurde, sondern die Tariflohnentwicklung zumeist unter dem verteilungsneutralen Spielraum lag (das Jahr 2009 muss ausgeklammert werden aufgrund der Sondersituation der schweren Rezession im Gefolge der Finanzkrise). Erst am aktuellen Rand sieht man wieder leicht über der Schwelle liegende Abschlüsse, was aber auch eine Folge des Absinkens des verteilungsneutralen Lohnerhöhungsspielraums bzw. seiner Komponenten ist.

Besondere Beachtung sollte dabei die Entwicklung der Inflationsrate finden, denn die ist noch weiter abgesunken – und zwar erheblich:  Im Juni stiegen die Preise im Euroraum nur noch um 0,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr (für Deutschland wird eine Preissteigerungsrate von einem Prozent gemeldet). An dieser Stelle sollten wir uns wieder an die Aussage des Chefökonomen der Bundesbank erinnern: „Unsere Argumentation ist symmetrisch und konsistent“. Und die Argumentation der Bundesbank ist eine Ein-Ziel-Argumentation, die da lautet: Preisstabilität. Nun haben sich aber die Rahmenbedingungen grundlegend verändert, die Hüter der Geldpolitik stehen vor einem erheblichen Problem: Nicht Inflation ist die Gefahr oder gar ein reales Phänomen, sondern möglicherweise ein deflationärer Prozess. Und eine Deflation ist ein gefährliche Angelegenheit und die muss man verhindern – normalerweise würde man das mit dem Waffenarsenal der Geldpolitik machen, also Leitzinssenkung und eine Politik des billigen Geldes. Doch dieses Pulver ist im Gefolge der Bewältigung der Finanzkrise weitestgehend verschossen. Der Leitzins wurde auf nur noch 0,15 Prozent gesenkt – und außerdem müssen die Banken jetzt einen Strafzins von 0,1 Prozent zahlen, wenn sie ihr Geld bei der EZB parken. Doch bisher sind die EZB-Maßnahmen wirkungslos verpufft, wie die niedrige Inflationsrate im Euroraum zeigt. So auch die Argumentation von Ulrike Herrmann in ihrem Artikel Bundesbank: Löhne müssen steigen!:

»… was früher gefürchtet war, soll jetzt die Rettung bringen. Die Bundesbank will eine Geldentwertung. Das Kalkül der Bank ist ganz einfach: Wenn die Gehälter zulegen, steigen automatisch die Kosten der Unternehmen. Also werden die Firmen versuchen, ihre Preise anzuheben.
Die Bundesbank will eine Inflation herbeizwingen, weil momentan das Gegenteil droht: eine Deflation, bei der die Preise permanent fallen und die Wirtschaft in einer Rezession verharrt.«

Da man geldpolitisch bei den Zinsen für die Banken nicht weiter kommt, interessiert man sich nun für die Löhne. Allerdings ist die Bundesbank hier eher ein Spätzünder, denn IWF und OECD hatten bereits im vergangenen Jahr gefordert, dass Deutschland seine Löhne anhebt.

Nun ist das mit den Löhnen so eine Sache, es gibt bekanntlich mehrere unterschiedliche Lohnformen. Die Ermunterung der Bundesbank für die Gewerkschaften, einen ordentlichen Schluck aus der Pulle zu nehmen, bezieht sich ja erst einmal nur auf die Tariflöhne, die von den Gewerkschaften ausgehandelt werden. Volkswirtschaftlich interessant sind natürlich die Löhne insgesamt und dabei ist zum einen zu beachten, dass viele Arbeitnehmer gar nicht oder nur beschränkt in den Genuss von Tariflohnsteigerungen kommen, weil sie in tariffreien Zonen arbeiten. Aber auch bei einem Teil der Arbeitnehmer, die unter dem Tarifschirm arbeiten, gibt es Öffnungsklauseln oder die Streichung anderer Lohnbestandteile. Und dann ist da noch der gesamte Niedriglohnsektor, der in den vergangenen Jahren enorm an Gewicht gewonnen hat. Und last but not least muss man natürlich auch den Zugriff des Staates auf die Bruttoeinkommen der Arbeitnehmer mit in Rechnung stellen, als Stichwort möge hier „kalte Progression“ genügen.

Kurzum: Die reale Entwicklung sah für viele Arbeitnehmer mehr als mau aus: »Die deutschen Reallöhne sind in den vergangenen 15 Jahren nicht gestiegen, sondern liegen um 0,7 Prozent niedriger als zur Jahrtausendwende«, so Ulrike Herrmann in ihrem Artikel.
Insofern könnte und müsste eine Schlussfolgerung lauten: Es gibt gute Gründe für eine ordentliche Anhebung der Tariflöhne, vgl. hierzu das Plädoyer in diese Richtung von Peter Bofinger in guter alter nachfrageorientierter Manier. Aber das allein wird nicht reichen, wenn man an die Beschäftigten denkt, die gar nicht profitieren können von den Tariflohnabschlüssen.

Abschließend zurück zur Bundesbank: Meint sie es nun gut mit den Arbeitnehmern? Folgt man ihrer Argumentation, dass sie nun gar keinen Kurswechsel vollzogen habe, dann könnte man auf einen schlimmen Gedanken kommen: »Die Bundesbank will eine Geldentwertung«, so Ulrike Herrmann. Das aber würde bedeuten, man treibt die Gewerkschaften an, höhere Löhne durchzusetzen, damit die Unternehmen in der Folge die Preise anheben, um den Kostenanstieg an die Abnehmer weiterzugeben. Dann steigt die Inflationsrate wieder an, was allerdings auch bedeutet, dass die Arbeitnehmer real weniger in der Kasse haben. Und außerdem – wenn die Argumentation der Bundesbank wirklich konsistent wäre, dann müsste sie eigentlich ein Befürworter des Mindestlohns sein, denn durch den müssen die Preise in vielen Branchen – man denke hier an den Bereich Hotel- und Gaststättengewerbe, um nur ein Beispiel zu nennen – angehoben werden angesichts der sehr niedrigen Margen, die man da realisieren kann. Aber das geht dann doch wohl zu weit.

Journalisten in der Zwickmühle zwischen (Nicht-)Können und (Nicht-)Wollen. Über schwieriger werdende Arbeitsbedingungen und die Schwierigkeiten, das aufzuhalten oder gar zu verändern

Die Medien und damit die Journalisten gelten seit langem als „vierte Gewalt“ neben der  Exekutive, Legislative und Judikative. Schon Jean-Jacques Rousseau hat die Presse als die „vierte Säule“ des Staates bezeichnet. Insofern üben die Medien und insbesondere die klassische Presse eine ganz zentrale Funktion aus innerhalb des demokratischen Gemeinwesens. Aber bekanntlich hat jede Medaille eine zweite Seite und als die muss man im vorliegenden Fall die Instrumentalisierung bis hin zum Missbrauch der Macht, die die Medien haben, bezeichnen. Aber das soll hier nicht das Thema sein. Es geht – scheinbar viel profaner – um die Bedingungen für diejenigen, die die Funktion einer „vierten Gewalt“ sicherstellen sollen bzw. müssen. Es geht konkret um die Arbeitsbedingungen der Journalisten. Die waren schon immer – um das vorsichtig auszudrücken – heterogen und in den sehr breiten Randbereichen oftmals fragil bzw. prekär. Ein Blick auf die aktuellen Auseinandersetzungen verdeutlicht, dass wir nunmehr vor einer neuen Runde der Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen stehen. Dazu schreibt Josef-Otto Freudenreich in seinem lesenswerten Artikel „Streiken im Keller„: »Noch nie haben die Verleger und ihre Manager derart dreist die Daumenschrauben angezogen. Bis zu 20 Prozent wollen sie die Einkommen ihres journalistischen Personals kürzen, ran ans Urlaubs- und Weihnachtsgeld, an die Altersversorgung und hin zu einer Entlohnung, gestaffelt nach regionaler Kaufkraft. Und dafür wollen sie immer mehr: Content für die gedruckte Zeitung, fürs Internet, für Facebook & Co., Fotos und Videos. Alles am besten gleichzeitig, von immer weniger Personal, was einleuchtet, weil den meisten von ihnen ohnehin egal ist, was drin- und draufsteht. Hauptsache billig.«

Die Forderungen der Arbeitgeberseite sind schon richtig heftig: »So hat der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) den Manteltarifvertrag gekündigt und will bei Neueinstellungen nur noch 30 Tage Urlaub gewähren. Außerdem sollen das Urlaubsgeld und die Höhe der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall reduziert werden. Die Verleger wollen die Gehälter künftig an der Kaufkraft im Verbreitungsgebiet ihrer jeweiligen Zeitung ausrichten«, so Mirko Knoche in seinem Artikel „Starkes Stück Panikmache„.

Vor diesem Hintergrund müssten die Beschäftigten, also die Journalisten, eigentlich Sturm laufen gegen die geplanten Verschlechterungen ihrer Arbeitsbedingungen. Allerdings, so Freudenreich, passiert das nicht. »Was geschieht, sind fruchtlose Verhandlungen zwischen Verlegern und Gewerkschaften, schon sieben seit August vergangenen Jahres.« Allerdings ist es nicht ganz richtig zu sagen, dass gar nichts passiert, denn in den vergangenen Tagen ist eine Warnstreikwelle durch den deutschen Blätterwald geschwappt.

Auf der Arbeitnehmerseite stehen den Verlegern vor allem zweier Organisationen gegenüber, zum einen die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju in ver.di) und zum anderen der Deutsche Journalisten-Verband (DJV).

Dennoch muss man zur Kenntnis nehmen, dass es offensichtlich erhebliche Probleme gibt, die Beschäftigten zu organisieren, geschweige denn, in einem größeren Umfang Arbeitskampfmaßnahmen durchführen zu können. Dies hängt natürlich auch zusammen mit der Heterogenität der Branche, aber auch den bereits heute erheblich ausdifferenzierten Beschäftigungsformen, in denen journalistisch gearbeitet wird bzw. werden muss. Hinzu kommt für die weniger werdenden festen Arbeitsverhältnisse im inneren Kern der Medienlandschaft, dass die unter starkem Konkurrenzdruck stehen zu den „freien“ Journalisten, was natürlich eine Asymmetrie zugunsten der Verleger-Seite darstellt. Diese strukturelle Dimension verbindet sich mit einer massiven Krise des Geschäftsmodells vieler Print-Produkte. Es muss an dieser Stelle angemerkt werden, dass es bei dem aktuellen Tarifkonflikt nicht nur um die Journalisten im engeren Sinne geht, ebenfalls betroffen sind die Drucker und auch Personengruppen, an die man nicht im ersten Moment denkt, beispielsweise die Zeitungsausträger. Hierzu Mirko Knoche:

»Die Turbulenzen im Pressegeschäft nutzt der Verlegerverband weidlich aus. So fordert er für Zeitungsausträger eine Ausnahme vom gesetzlichen Mindestlohn und führt dafür eine Gefährdung der Pressefreiheit ins Feld. »Ein starkes Stück und reine Panikmache« ist das für Werneke, der als Fachbereichsleiter Medien im ver.di-Bundesvorstand sitzt. Stundenlöhne von vier Euro oder Stücklöhne seien keine Seltenheit für die Austräger, welche frühmorgens bei Wind und Wetter durch die Straßen ziehen.«

Der DJV verweist auf die beobachtbaren Entwicklungen der letzten Jahre: »In letzter Zeit sind immer mehr Verlage dazu übergegangen, die Tarifbindung zu umgehen. Zu den genutzten Fluchtwegen gehören das Outsourcen von Redakteuren in eigenständige, nicht tarifgebundene Gesellschaften, der Einsatz von Leiharbeitnehmern in den Redaktionen sowie die so genannte OT-Mitgliedschaft im Verlegerverband. OT steht für „ohne Tarifbindung“. Ebenfalls genutzt wird die Möglichkeit, Volontäre nicht mehr im Verlag, sondern an Journalistenschulen anzustellen und so die Tarifverträge für Volontäre, insbesondere hinsichtlich des Gehalts, zu umgehen.« Konkrete Beispiele werden in einer instruktiven Übersicht auf der Seite „Tarifumgehung der Verlage“ dokumentiert, die zugleich verdeutlicht, wie weit verbreitet Tarifflucht und Kostensenkungsmaßnahmen zulasten der Beschäftigten mittlerweile sind.

Im Folgenden sollen zwei konkrete Beispiele vorgestellt werden, die verdeutlichen, wie schwierig mittlerweile die Situation für viele Beschäftigte ist. Dabei wurden ganz bewusst zwei Beispiele ausgewählt, bei denen man eher nicht erwartet hätte, dass sie sich durch Tarifumgehung bzw. -verweigerung „auszeichnen“: Zum einen der zur SPD gehörende Vorwärts-Verlag und zum anderen die „Frankfurter Rundschau“.

Der Vorwärts-Verlag ist klamm – er bezahlt unter Tarif, es drohen Kündigungen. Grund: Die SPD zahlt für ihre Publikationen nicht den vollen Preis, so beginnt ein Interview mit Andreas Köhn, Fachbereichsleiter Medien, Kunst und Industrie beim ver.di Landesverband Berlin-Brandenburg. Seit Herbst 2013 verhandelt ver.di bislang ergebnislos mit der Geschäftsführung der Vorwärts-Verlagsgesellschaft über einen Tarifvertrag für die rund 35 Beschäftigten.  Die Monatsgehälter von einem Drittel der Beschäftigten liegen drei-, teilweise sogar vierstellig unter Tarif. Der Verlag argumentiert mit einer „besonderen wirtschaftlichen Situation“, die es unmöglich mache, Tariflöhne zu zahlen. Woraus die besteht und was das mit der SPD zu tun hat, erläutert Andreas Löhn so: »Der SPD-Parteivorstand bestellt Veranstaltungen, Agenturleistungen und Zeitschriften in dem Wissen, dass sich diese nicht durch Mitgliedsbeiträge, Abos, Kioskverkauf, Anzeigenerlöse und Sponsoring tragen. Der Verlag soll dies über Anzeigenerlöse abdecken, was der Anzeigenmarkt aber momentan schlicht nicht hergibt. Hier ist Wunschdenken der SPD im Spiel.«
Jahrelange Bezahlung unter Tarif in einem SPD-Verlag. Das hat was.

Das zweite Beispiel betrifft die altehrwürdige „Frankfurter Rundschau“, ehedem Aushängeschild einer linksliberalen Tradition der Presseberichterstattung und SPD-nah. Der Schock war groß, als die FR in die Insolvenz gehen musste.  Aktuell schreibt die FR wieder schwarze Zahlen, hat aber zuvor unter Regie des Kölner Verlags DuMont/Schauberg 120 Redakteure auf die Straße gesetzt. Und es gibt eine weitere hässliche Seite des bestehenden Geschäftsmodells, wie man einem Interview mit Hans-Ulrich Heuser entnehmen kann: »54 der zur Zeit 88 Redakteurinnen und Redakteure der FR sind bei der Pressedienst Frankfurt GmbH (PDF) angestellt, einer ehemaligen Leiharbeitsfirma … Altersversorgung über das Presseversorgungswerk wird den Redakteurinnen und Redakteuren nicht gewährt. Sie haben einen geringeren Urlaubsanspruch, erhalten weder Urlaubs- noch Weihnachtsgeld.«

Die Liste mit den bedenklichen Beispielen ließe sich problemlos fortführen.

Übrigens – die nächste Verhandlungsrunde zwischen BDZV, dju und Deutschem Journalistenverband (DJV) findet am 8. März statt.