Die Medien und damit die Journalisten gelten seit langem als „vierte Gewalt“ neben der Exekutive, Legislative und Judikative. Schon Jean-Jacques Rousseau hat die Presse als die „vierte Säule“ des Staates bezeichnet. Insofern üben die Medien und insbesondere die klassische Presse eine ganz zentrale Funktion aus innerhalb des demokratischen Gemeinwesens. Aber bekanntlich hat jede Medaille eine zweite Seite und als die muss man im vorliegenden Fall die Instrumentalisierung bis hin zum Missbrauch der Macht, die die Medien haben, bezeichnen. Aber das soll hier nicht das Thema sein. Es geht – scheinbar viel profaner – um die Bedingungen für diejenigen, die die Funktion einer „vierten Gewalt“ sicherstellen sollen bzw. müssen. Es geht konkret um die Arbeitsbedingungen der Journalisten. Die waren schon immer – um das vorsichtig auszudrücken – heterogen und in den sehr breiten Randbereichen oftmals fragil bzw. prekär. Ein Blick auf die aktuellen Auseinandersetzungen verdeutlicht, dass wir nunmehr vor einer neuen Runde der Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen stehen. Dazu schreibt Josef-Otto Freudenreich in seinem lesenswerten Artikel „Streiken im Keller„: »Noch nie haben die Verleger und ihre Manager derart dreist die Daumenschrauben angezogen. Bis zu 20 Prozent wollen sie die Einkommen ihres journalistischen Personals kürzen, ran ans Urlaubs- und Weihnachtsgeld, an die Altersversorgung und hin zu einer Entlohnung, gestaffelt nach regionaler Kaufkraft. Und dafür wollen sie immer mehr: Content für die gedruckte Zeitung, fürs Internet, für Facebook & Co., Fotos und Videos. Alles am besten gleichzeitig, von immer weniger Personal, was einleuchtet, weil den meisten von ihnen ohnehin egal ist, was drin- und draufsteht. Hauptsache billig.«
Die Forderungen der Arbeitgeberseite sind schon richtig heftig: »So hat der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) den Manteltarifvertrag gekündigt und will bei Neueinstellungen nur noch 30 Tage Urlaub gewähren. Außerdem sollen das Urlaubsgeld und die Höhe der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall reduziert werden. Die Verleger wollen die Gehälter künftig an der Kaufkraft im Verbreitungsgebiet ihrer jeweiligen Zeitung ausrichten«, so Mirko Knoche in seinem Artikel „Starkes Stück Panikmache„.
Vor diesem Hintergrund müssten die Beschäftigten, also die Journalisten, eigentlich Sturm laufen gegen die geplanten Verschlechterungen ihrer Arbeitsbedingungen. Allerdings, so Freudenreich, passiert das nicht. »Was geschieht, sind fruchtlose Verhandlungen zwischen Verlegern und Gewerkschaften, schon sieben seit August vergangenen Jahres.« Allerdings ist es nicht ganz richtig zu sagen, dass gar nichts passiert, denn in den vergangenen Tagen ist eine Warnstreikwelle durch den deutschen Blätterwald geschwappt.
Auf der Arbeitnehmerseite stehen den Verlegern vor allem zweier Organisationen gegenüber, zum einen die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju in ver.di) und zum anderen der Deutsche Journalisten-Verband (DJV).
Dennoch muss man zur Kenntnis nehmen, dass es offensichtlich erhebliche Probleme gibt, die Beschäftigten zu organisieren, geschweige denn, in einem größeren Umfang Arbeitskampfmaßnahmen durchführen zu können. Dies hängt natürlich auch zusammen mit der Heterogenität der Branche, aber auch den bereits heute erheblich ausdifferenzierten Beschäftigungsformen, in denen journalistisch gearbeitet wird bzw. werden muss. Hinzu kommt für die weniger werdenden festen Arbeitsverhältnisse im inneren Kern der Medienlandschaft, dass die unter starkem Konkurrenzdruck stehen zu den „freien“ Journalisten, was natürlich eine Asymmetrie zugunsten der Verleger-Seite darstellt. Diese strukturelle Dimension verbindet sich mit einer massiven Krise des Geschäftsmodells vieler Print-Produkte. Es muss an dieser Stelle angemerkt werden, dass es bei dem aktuellen Tarifkonflikt nicht nur um die Journalisten im engeren Sinne geht, ebenfalls betroffen sind die Drucker und auch Personengruppen, an die man nicht im ersten Moment denkt, beispielsweise die Zeitungsausträger. Hierzu Mirko Knoche:
»Die Turbulenzen im Pressegeschäft nutzt der Verlegerverband weidlich aus. So fordert er für Zeitungsausträger eine Ausnahme vom gesetzlichen Mindestlohn und führt dafür eine Gefährdung der Pressefreiheit ins Feld. »Ein starkes Stück und reine Panikmache« ist das für Werneke, der als Fachbereichsleiter Medien im ver.di-Bundesvorstand sitzt. Stundenlöhne von vier Euro oder Stücklöhne seien keine Seltenheit für die Austräger, welche frühmorgens bei Wind und Wetter durch die Straßen ziehen.«
Der DJV verweist auf die beobachtbaren Entwicklungen der letzten Jahre: »In letzter Zeit sind immer mehr Verlage dazu übergegangen, die Tarifbindung zu umgehen. Zu den genutzten Fluchtwegen gehören das Outsourcen von Redakteuren in eigenständige, nicht tarifgebundene Gesellschaften, der Einsatz von Leiharbeitnehmern in den Redaktionen sowie die so genannte OT-Mitgliedschaft im Verlegerverband. OT steht für „ohne Tarifbindung“. Ebenfalls genutzt wird die Möglichkeit, Volontäre nicht mehr im Verlag, sondern an Journalistenschulen anzustellen und so die Tarifverträge für Volontäre, insbesondere hinsichtlich des Gehalts, zu umgehen.« Konkrete Beispiele werden in einer instruktiven Übersicht auf der Seite „Tarifumgehung der Verlage“ dokumentiert, die zugleich verdeutlicht, wie weit verbreitet Tarifflucht und Kostensenkungsmaßnahmen zulasten der Beschäftigten mittlerweile sind.
Im Folgenden sollen zwei konkrete Beispiele vorgestellt werden, die verdeutlichen, wie schwierig mittlerweile die Situation für viele Beschäftigte ist. Dabei wurden ganz bewusst zwei Beispiele ausgewählt, bei denen man eher nicht erwartet hätte, dass sie sich durch Tarifumgehung bzw. -verweigerung „auszeichnen“: Zum einen der zur SPD gehörende Vorwärts-Verlag und zum anderen die „Frankfurter Rundschau“.
Der Vorwärts-Verlag ist klamm – er bezahlt unter Tarif, es drohen Kündigungen. Grund: Die SPD zahlt für ihre Publikationen nicht den vollen Preis, so beginnt ein Interview mit Andreas Köhn, Fachbereichsleiter Medien, Kunst und Industrie beim ver.di Landesverband Berlin-Brandenburg. Seit Herbst 2013 verhandelt ver.di bislang ergebnislos mit der Geschäftsführung der Vorwärts-Verlagsgesellschaft über einen Tarifvertrag für die rund 35 Beschäftigten. Die Monatsgehälter von einem Drittel der Beschäftigten liegen drei-, teilweise sogar vierstellig unter Tarif. Der Verlag argumentiert mit einer „besonderen wirtschaftlichen Situation“, die es unmöglich mache, Tariflöhne zu zahlen. Woraus die besteht und was das mit der SPD zu tun hat, erläutert Andreas Löhn so: »Der SPD-Parteivorstand bestellt Veranstaltungen, Agenturleistungen und Zeitschriften in dem Wissen, dass sich diese nicht durch Mitgliedsbeiträge, Abos, Kioskverkauf, Anzeigenerlöse und Sponsoring tragen. Der Verlag soll dies über Anzeigenerlöse abdecken, was der Anzeigenmarkt aber momentan schlicht nicht hergibt. Hier ist Wunschdenken der SPD im Spiel.«
Jahrelange Bezahlung unter Tarif in einem SPD-Verlag. Das hat was.
Das zweite Beispiel betrifft die altehrwürdige „Frankfurter Rundschau“, ehedem Aushängeschild einer linksliberalen Tradition der Presseberichterstattung und SPD-nah. Der Schock war groß, als die FR in die Insolvenz gehen musste. Aktuell schreibt die FR wieder schwarze Zahlen, hat aber zuvor unter Regie des Kölner Verlags DuMont/Schauberg 120 Redakteure auf die Straße gesetzt. Und es gibt eine weitere hässliche Seite des bestehenden Geschäftsmodells, wie man einem Interview mit Hans-Ulrich Heuser entnehmen kann: »54 der zur Zeit 88 Redakteurinnen und Redakteure der FR sind bei der Pressedienst Frankfurt GmbH (PDF) angestellt, einer ehemaligen Leiharbeitsfirma … Altersversorgung über das Presseversorgungswerk wird den Redakteurinnen und Redakteuren nicht gewährt. Sie haben einen geringeren Urlaubsanspruch, erhalten weder Urlaubs- noch Weihnachtsgeld.«
Die Liste mit den bedenklichen Beispielen ließe sich problemlos fortführen.
Übrigens – die nächste Verhandlungsrunde zwischen BDZV, dju und Deutschem Journalistenverband (DJV) findet am 8. März statt.