Menschen in Hartz IV: „Vergessen“ und verloren zwischen den Systemen, wo es doch „Hilfe aus einer Hand“ geben soll? Und die Zeit läuft gegen sie (und gegen die Systeme)

Regelmäßig werden die Dinge (und die Menschen) durcheinander geworfen und dabei gehen viele über Bord. Gemeint sind mal wieder die Zahlen. Wenn über „die“ Arbeitslosen gesprochen wird, dann taucht in den Medien fast ausschließlich die Zahl der „registrierten Arbeitslosen“ auf, die jeden Monat von der Bundesagentur für Arbeit (BA) verkündet wird. Die liegt derzeit bei 2.882.00 Menschen, davon befinden sich 883.000 im SGB III-System, also der „klassischen“ Arbeitslosenversicherung, die größte Zahl hingen im SGB II- oder Grundsicherungssystem, umgangssprachlich auch als Hartz IV bezeichnet: 1.989.000 Menschen. Aber die 2, 9 Mio. Menschen sind nur als Untergrenze des tatsächlichen Problems zu verstehen. Die BA selbst weist eine weitere Zahl auf, die a) realistischer für die Abbildung des Problems der Erwerbsarbeitslosigkeit ist und b) die zugleich deutlich höher ausfällt: 3.801.00. Das ist die Zahl der Unterbeschäftigten. Und 3,8 Mio. sind schon deutlich mehr als die offiziellen 2,9 Mio. Arbeitslose.

Für eine genaue Aufschlüsselung, was man darunter versteht, vgl. den Beitrag Arbeitsmarkt im Mai: Über 3,7 Millionen Menschen ohne Arbeit von O-Ton Arbeitsmarkt). Dass 3,8 Mio. faktisch Arbeitslose mehr sind als die 2,9 Mio. offiziellen Arbeitslosen, das leuchtet noch ein, wenn man es erklärt, warum da fast eine Million Menschen nicht mitgezählt werden, obgleich sie natürlich arbeitslos sind, nur nicht im Sinne der amtlichen Zählvorschrift. Aber noch eine Nummer schwieriger wird es dann, wenn man das Thema erweitert und darauf hinweist (vgl. dazu die Abbildung,) dass von den derzeit 6.137.000 leistungsberechtigten Personen in der Grundsicherung (SGB II) immerhin 4.425.000 „erwerbsfähige“ Leistungsberechtigte sind, von diesen aber nur 1.989.000 als Arbeitslose gezählt werden. Erwerbsfähig, aber nicht arbeitslos im statistischen Sinne? So ist es. »Ein Großteil der Arbeitslosengeld II-Bezieher ist nicht arbeitslos. Das liegt daran, dass diese Personen erwerbstätig sind, kleine Kinder betreuen, Angehörige pflegen oder sich noch in der Ausbildung befinden«, erläutert uns die BA.

Aber die Zahlenakrobatik der Arbeitsmarktstatistik ist hier nicht das zu vertiefende Thema. »Schulden, Suchtprobleme oder psychosoziale Schwierigkeiten: Hartz-IV-Empfänger leiden häufig unter Problemen, die sie alleine nicht in den Griff bekommen. Von Kommunen und Jobcentern werden sie dabei allzu oft alleingelassen«, so kann man es beispielsweise in dem Artikel Viele Langzeitarbeitslose mit Schulden- und Suchtproblemen lesen.

Auslöser der Berichterstattung ist eine kritische Bestandsaufnahme des DGB: Sozialintegrative Leistungen der Kommunen im Hartz IV-System – Beratung „aus einer Hand“ erfolgt meist nicht, so lautet der Titel der von Wilhelm Adamy und Elena Zavlaris verfassten Studie. Mindestens zwei Millionen erwerbsfähige Hartz-IV-Empfänger haben nach dieser DGB-Studie Schulden- und Suchtprobleme sowie so genannte psychosoziale Schwierigkeiten. Von den zuständigen Kommunen würden die Betroffenen damit jedoch in den allermeisten Fällen alleingelassen. Die DGB-Autoren haben sich einmal die vorliegenden Statistiken angeschaut und sind zu folgenden Erkenntnissen gekommen:

  • Insgesamt kann man für das Jahr 2012 von gut 1,1 Millionen erwerbsfähigen Hartz-IV-Empfängern mit Schuldenproblemen aus, von denen nach einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit aber nur 32.500 durch die Kommunen entsprechend beraten wurden. 
  • Von den geschätzt 450.000 Hilfebedürftigen mit Suchtproblemen erhielten laut Statistik lediglich 9.000 eine Beratung. 
  • Mit Blick auf die 900.000 Betroffenen mit psychosozialen Schwierigkeiten wurden nur für 20.000 Personen kommunale Hilfen gemeldet.

Adamy/Zavlaris (2014: 1) merken dazu an: »Mit Hartz IV wurde die größte Sozialreform in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland umgesetzt. Eine zentrale Idee war die Bündelung der kommunalen Erfahrungen aus der ehemaligen Sozialhilfe mit den arbeitsmarktlichen Kompetenzen der Arbeitsagenturen. Sozialintegrative Hilfen sollten mit beruflichen Integrationsleistungen verzahnt werden, die Gewährung aller individuellen Hilfen aus einer Hand war beabsichtigt. Den Hartz-IV-Empfängern und -Empfängerinnen sollte mit einer umfassenden Beratung und Unterstützung geholfen werden. Doch die Praxis sieht ganz anders aus. Von einer ganzheitlichen Betreuung kann meist nicht gesprochen werden.«

Es geht um die „kommunalen Eingliederungsleistungen“ nach § 16a SGB II. Dazu die Autoren der Studie: »Der § 16a SGB II ist eine kommunale Kann-Regelung. Die sozialen Integrationshilfen liegen in der Entscheidungsautonomie von Städten und Gemeinden und deren tatsächliche Erbringung hängt von den vorhandenen beziehungsweise bereit gestellten finanziellen Ressourcen einer Kommune ab.«

Adamy und Zavlaris (2014: 2) kritisieren zu Recht: »Einheitliche und verbindliche Standards wie auch valide und bundesweit zugängliche Daten fehlen, sodass es keinerlei Transparenz über die Leistungserbringung gibt.«

Und das in einem Bereich, wo es um richtig viele Menschen geht: Denn es befinden sich »mehr als zwei Drittel (der 4,4 Mio. erwerbsfähigen Hartz-Empfänger) im Langzeitbezug, d. h. sie haben innerhalb der letzten 24 Monate mindestens 21 Monate Leistungen bezogen. Gerade bei diesem Personenkreis erschweren oft Schulden, Sucht oder psychosoziale Probleme den Weg aus dem Leistungsbezug – häufig treten mehrere Problemlagen gleichzeitig auf beziehungsweise bedingen oder verstärken sich gegenseitig.«

Zu der Personengruppe, die hier angesprochen wird, vgl. auch den Beitrag Hartz IV-Langzeitbezieher: Drei Viertel seit mindestens einem Jahr ohne Förderung von O-Ton Arbeitsmarkt. Dort wird festgestellt: »In den vorangegangenen 12 Monaten hat lediglich ein Viertel der im Januar 2014 fast drei Millionen Langzeitleistungsbezieher an einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme teilgenommen. Die übrigen rund 76 Prozent wurden in dieser Zeit nicht gefördert. Im Vergleich mit dem Vorjahr (Dezember 2013) ist die Zahl der Ungeförderten zudem von 2,22 auf 2,25 Millionen Menschen gestiegen. Dabei sind Langzeitleistungsbezieher besonders förderbedürftig, denn ihnen fällt der Ausweg aus der Hilfebedürftigkeit und in den Arbeitsmarkt extrem schwer. Wie schwer, zeigt die BA-Statistik mehr als deutlich, denn im Januar 2014 fanden nur 0,9 Prozent von ihnen eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Hintergrund sind, im Jargon der Bundesagentur für Arbeit, die „multiplen Vermittlungshemmnisse“.«

Zurück zur DGB-Studie über die sozialintegrativen Leistungen, die seitens der Kommunen bereit gestellt werden sollen: »Nach DGB-Schätzungen erhalten auch neun Jahre nach Errichtung des Hartz-IV-Systems allenfalls ein Viertel bis ein Fünftel aller Hilfebedürftigen mit entsprechendem Förderbedarf tatsächlich soziale Integrationshilfen der Kommunen. Diese sozialen Unterstützungshilfen hängen in starkem Maße davon ab, wo man lebt« (S. 6). Wartezeiten von bis zu sechs Monaten sind keine Ausnahmen.

Und weiter:

»Durch die Formulierung der kommunalen Eingliederungsleistungen als Ermessensleistungen hat der Gesetzgeber die Erbringung von den zur Verfügung gestellten Ressourcen der jeweiligen Kommune abhängig gemacht. Gerade in finanzschwachen Kommunen, in denen sich soziale Problemlagen häufen, stehen oft nicht ausreichend finanzielle Mittel bereit, um ein in Quantität und Qualität ausreichendes Angebot an kommunalen Leistungen vorzuhalten« (S. 8).

Man kann es drehen und wenden wie man will: Diese Befunde sind erschreckend und sie verweisen nicht nur viele der betroffenen Menschen in die Dauer-Passivität und oftmals in einen Teufelskreislauf sich verstärkender „Vermittlungshemmnisse“. Dabei ist besonders zu beachten, dass die Nicht-Förderung sowie eine fehlende oder defizitäre Berücksichtigung bei notwendigen sozialintegrativen Leistungen in der Bilanz oftmals zu einer massiven Verschlechterung der Lebenslage und darunter auch der Beschäftigungsfähigkeit der betroffenen Menschen führen. Mithin kann man sagen, dass die Zeit gegen die betroffenen Menschen arbeitet, denn je länger sie in der Langzeitarbeitslosigkeit verharren (müssen), umso unwahrscheinlicher wird eine (Wieder-) Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Aber nicht nur gegen sie, sondern auch gegen die Systeme, die mit ihrer – institutionenegoistisch nachvollziehbaren – Funktionsweise des Abschottens und Wegdelegierens  zentral verantwortlich sind für die Unterversorgung dieser Gruppe innerhalb des Grundsicherungssystems. Und das schlägt dann wieder in zahlreichen einzelnen Haushaltstöpfen auf, denn die Menschen verschwinden ja nicht von der Bildfläche, sondern sie arrangieren sich mit Überlebensstrategien, die bei dem einen oder anderen dann durchaus auch zu Folgeproblemen führen, die einen schweren Schaden für die Gesellschaft verursachen (können).

Der Blick über den Gartenzaun: Von Jubelmeldungen über eine (scheinbar) tolle Beschäftigungsentwicklung und vom Anziehen der Daumenschrauben bei Langzeitarbeitslosen, getarnt als Hilfe. Schauen wir nach Großbritannien

Wir kennen das gerade in Deutschland: Erfolgsmeldungen hinsichtlich der Arbeitsmarktentwicklung – vom deutschen „Jobwunder“ ist da immer wieder die Rede. Anlässlich der neuen Arbeitsmarktzahlen meldete sich die Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) zu Wort: »Der Arbeitsmarkt ist in guter Form … Neue Höchststände mit fast 42 Millionen Erwerbstätigen und 29,4 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten; dazu eine starke Frühjahrsbelebung nach den ohnehin schon guten Winterzahlen«, so die Ministerin. Nun auch in Großbritannien. Polly Toynbee berichtet von erwartbaren „triumphant headlines for the latest employment figures“ – und ergänzt mit einem sarkastischen Unterton: „More people will be in work, which is good news: far better to have half a job than no job at all.“ Allerdings entzaubern sich die schönen Zahlen bei genauerer Draufsicht und gleichzeitig – im Schatten der scheinbar guten Arbeitsmarktentwicklung – werden die Daumenschrauben für die Langzeitarbeitslosen richtig angezogen mit einem „Hilfsprogramm“, das den Begriff „workfare“ praktisch werden lässt.

Bleiben wir in einem ersten Schritt bei der – angeblich – so guten Arbeitsmarktentwicklung in Großbritannien. Polly Toynbee legt in ihrem Artikel den Finger auf die Wunde: »the last three-monthly figures showed that all the increase – yes, all of it – was not in jobs but in soaring self-employment, says Jonathan Portes of the National Institute for Economic and Social Research.« 80% der gesamten Beschäftigungszuwächse seit 2007 haben im Bereich vor allem der Solo-Selbständigkeit stattgefunden – vor allem aufgrund eines Mangels an alternativen Möglichkeiten der Erwerbsarbeit. Der „Notnagel“-Charakter wird auch hier erkennbar: »The TUC finds that 540,000 of the jobs created since 2010 are self-employed roles, with the over-50s in the majority and over-65s the fastest growing group.« Selbständigkeit als Fluchtweg vor allem für die älteren Erwerbslosen und für die armen Rentner. Die durchschnittlichen Einkommen der solo-selbständigen Frauen ist unter die 10.000 Pfund-Grenze gefallen. Auch über andere problematische Entwicklungen hinsichtlich der Qualität der Beschäftigung wird berichtet – über Leiharbeit und „Null-Stunden-Arbeitsverträge“: »Agency work and zero-hours contracts are growing ever more deeply embedded in the economy – no replacement for the good jobs lost.«

Jetzt aber – und vor diesem Hintergrund – zu den Langzeitarbeitslosen. Polly Toynbee schreibt in ihrem Artikel: Je besser die Arbeitsmarktzahlen daherkommen (und seien diese rein kosmetischer Natur), desto einfacher wird es für die Regierung, die Daumenschrauben anzuziehen für diejenigen, die noch in der Arbeitslosigkeit verbleiben. Und genau das passiert derzeit in Großbritannien – wieder einmal unter dem Deckmantel eines als Hilfsprogramms für die Langzeitarbeitslosen getarnten Maßnahmepakets, mit dem im Ergebnis das Workfare-Regime weiter verschärft werden soll. Die verantwortlichen Politiker drücken das natürlich ganz anders aus – und beziehen sich explizit auf die angeblich so tolle Arbeitsmarktentwicklung und der „Sorge“ um die, die trotzdem arbeitslos bleiben: „We are seeing record levels of employment in Britain, as more and more people find a job, but we need to look at those who are persistently stuck on benefits. This scheme will provide more help than ever before, getting people into work and on the road to a more secure future,“ so wird der Premierminister David Cameron zitiert.

New Help to Work programme comes into force for long-term unemployed – hier erfahren wir Details über das neue Programm, dass in wenigen Tagen in Kraft treten wird. Die Regierung sagt, die Mitarbeiter der Jobcenter bekommen mehr Möglichkeiten „to support those who are hardest to assist under Help to Work“. Wenn man sich dem „Hilfsangebot“ verweigert, werden die Betroffenen mit dem Entzug ihrer Leistungen sanktioniert. Das „Help to Work“-Programm besteht aus drei Komponenten, die von den Jobcenter-Mitarbeitern eingesetzt werden: So soll es ein „intensives Coaching“ geben für die Arbeitslosen, eine Verpflichtung, täglich einen Berater im Jobcenter aufzusuchen sowie als dritter Baustein die Ableistung von „community work“ – alles über einen Zeitraum von sechs Monaten. Bereits im letzten Herbst hatte der Finanzminister des Landes, George Osborne, auf einem Parteitag der regierenden Konservativen ausgeführt:

»We are saying there is no option of doing nothing for your benefits, no something-for-nothing any more. They will do useful work to put something back into the community, making meals for the elderly, clearing up litter, working for a local charity. Others will be made to attend the jobcentre every working day.«

Die angesprochene „community work“ (formal als Community Work Placement (CWP) bezeichnet und für eine Zielgruppe von 200.000 Langzeitarbeitslose vorgesehen) wird dann auch noch in einem Orwellschen Sinne konsequent als „voluntary work“, also als „Freiwilligenarbeit“ oder „Ehrenamt“ tituliert. Die Beschreibung ähnelt dem, was wir in Deutschland kennen, wenn wir über Arbeitsgelegenheiten oder „Bürgerarbeit“ sprechen:

»The voluntary work could include gardening projects, running community cafes or restoring historical sites and war memorials. The placements will be for 30 hours a week for up to six months and will be backed up by at least four hours of supported job searching each week.«

Das setzt natürlich voraus, dass genügend „Freiwilligen-Arbeitsplätze“ bereitgestellt werden. Die Gewerkschaft Unite hat die Wohlfahrtsverbände und -organisationen aufgefordert, sich nicht an dem Programm zu beteiligen, denn es handele sich um eine „workfare“-Maßnahme, also um das Gegenteil von Freiwilligenarbeit oder Ehrenamt: Charity bosses urged to shun ‘workfare’ scheme by Unite. Für die Unite-Gewerkschaft handelt es sich um nichts weiter als unbezahlte Zwangsarbeit. Die Warnung an die Wohlfahrtsorganisationen kommt nicht von ungefähr, denn viele von ihnen leiden unter erheblichen Finanzierungsproblemen und könnten sich deshalb als „leichtes Ziel“ für das vergiftete Angebot der Regierung erweisen – allerdings mit fatalen Folgewirkungen, worauf die Gewerkschaft auch hinweist:

»The government sees cash-starved charities as a soft target for such an obscene scheme, so we are asking charity bosses to say no to taking part in this programme. This is a warping of the true spirit of volunteering and will force the public to look differently at charities with which they were once proud to be associated.«

Es bleibt abzuwarten, wie die angesprochenen Organisationen reagieren.

Help to Work? Britain’s jobless are being forced into workfare – so wie die Überschrift eines Blog-Beitrags von Anna Coote kann man das zusammenfassen, was hier abläuft. Das kann man grundsätzlich kritisieren, man kann es aber auch im Lichte der bisherigen Erfahrungen mit den workfare-Ansätzen tun, darauf stützt sich beispielsweise die Argumentation von Polly Toynbee, die ihren Artikel prägnanterweise überschrieben hat mit: Help to Work is a costly way of punishing the jobless.

Auf einen diskussionswürdigen Aspekt hat Anna Coote hingewiesen: »The ground has been well prepared by the government’s divisive narrative that separates the population into two opposing camps: strivers and skivers«. Also die Separierung in gute und schlechte Arbeitslose, ein ewig wiederkehrendes Muster. Hier die „Streber“ und da die „Drückeberger“, um in der Begrifflichkeit von Coote zu bleiben:

»… strivers are people who are paid for the work they do; they work hard, investing copious effort and often long hours for low pay in order to earn a living, support their families and get on in the world. They are insiders: socially dependable, economically productive and morally righteous. Skivers, on the other hand, are lazy, unreliable and manipulative, choosing to live at others‘ expense so that they can sleep, watch television, abuse various substances and fritter away their time. They are outsiders: untrustworthy, unproductive and morally disreputable.«

Es geht am Ende um ein „punitive welfare regime“. In diesem ist es richtig, den Druck auf die Menschen zu erhöhen – „and make the worthless skivers suffer“. Und das Schlimme ist: Durch die moralisch aufgeladene Trennung in die „guten“ und „schlechten“ Arbeitslosen erleichtert man das Wegschauen, wenn die angeblichen Drückeberger leiden müssen. Und schon beginnt der Kreis sich zu schließen.

Es muss ein guter Tag für die Langzeitarbeitslosen gewesen sein. Also auf dem Papier. Das ist bekanntlich geduldig

Auch wenn immer wieder über das so genannte „Jobwunder“ in Deutschland geschrieben und diskutiert wird – eine Gruppe unter den Arbeitslosen hat in den vergangenen Jahren definitiv so gut wie gar nicht profitieren können von der ansonsten durchaus erfreulichen Arbeitsmarktentwicklung in unserem Land. Die Rede ist hier von den Langzeitarbeitslosen. Arbeitsmarktexperten sprechen schon seit längerem von einer massiven „Verfestigung“ bzw. „Verhärtung“ der Arbeitslosigkeit.  Ein Teil der Arbeitslosen wird komplett abgekoppelt von der Integration in Beschäftigung. Hierbei handelt es sich keineswegs um eine zu vernachlässigende Größe.  So hat beispielsweise eine Ende des vergangenen Jahres veröffentlichte Studie der Hochschule Koblenz ergeben, dass rund 1,7 Millionen Menschen im Grundsicherungssystem in den vergangenen drei Jahren mehr als 90 % der Zeit ohne irgendeine Beschäftigung waren. Über 609.000 erwerbslose Menschen haben mehr als vier so genannte Vermittlungshemmnisse. Über 435.000 Menschen zählen nach dieser Studie  zu den arbeitsmarktfernen Personen, die mittelfristig, viele sogar auf Dauer keine realistische Perspektive haben, wieder irgendeinen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt zu bekommen. In den Haushalten dieser Menschen leben mehr als 305.000 Kinder unter 15 Jahren, die besonders  negativ von der Situation in ihrem Elternhaus betroffen sind.

Gleichzeitig wurden Milliardenbeträge gekürzt im Bereich der Arbeitsförderung für Menschen im Grundsicherungssystem. Immer offensichtlicher wird das Dilemma, dass auf der einen Seite eine zunehmende Zahl an Arbeitslosen in die Langzeitarbeitslosigkeit abrutscht und dort auch nicht mehr herauskommt, gleichzeitig aber kaum noch Möglichkeiten einer gezielten Förderung dieser Menschen zur Verfügung stehen. Dies nicht nur aufgrund fehlender Finanzmittel, sondern gleichzeitig wurde das Förderrecht gerade im Bereich der öffentlich geförderten Beschäftigung seitens des Bundesgesetzgebers noch restriktiver ausgestaltet, so dass sinnvolle Maßnahmen oftmals schlichtweg nicht mehr möglich sind.

Die erwähnte Studie kann hier abgerufen werden:

Obermeier, T.; Sell, S. und Tiedemann, B.: Messkonzept zur Bestimmung der Zielgruppe für eine öffentlich geförderte Beschäftigung. Methodisches Vorgehen und Ergebnisse der quantitativen Abschätzung (= Remagener Beiträge zur Sozialpolitik 14-2013), Remagen, 2013

Nunmehr scheint es aber Grund zur Hoffnung zu geben, folgt man den Medienberichten, die im Anschluss an eine gemeinsame Pressekonferenz von Bundesagentur für Arbeit, Deutscher Städtetag und Deutscher Landkreistag erschienen sind: „Staat soll Langzeitarbeitslose besser fördern„, „Bundesagentur will mehr Hilfe für Langzeitarbeitslose“ oder von der anderen Seite „Kommunen wollen neue Initiative für Hartz-IV-Empfänger„. Da ist sogar von einem „Maßanzug für Langzeitabeitslose“ die Rede. Das hört sich doch insgesamt sehr positiv und dem wachsenden Problemdruck in diesem Bereich angemessen an. Schauen wir also einmal genauer hin.

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat ihre Pressemitteilung so überschrieben: „Hilfen für Langzeitarbeitslose verbessern – Hohes Engagement der Jobcenter allein kann Probleme nicht lösen„. Auch hier wird auf den enormen Problemdruck innerhalb des Grundsicherungssystems hingewiesen: »Drei Millionen erwerbsfähige Menschen erhalten seit zwei oder mehr Jahren Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Rechnet man die Kinder hinzu, sind rund vier Millionen Menschen langfristig auf diese Leistungen angewiesen.« Die BA weist darauf hin, dass von den Langzeitbeziehern, die vermittelt worden sind, aber etwa die Hälfte innerhalb eines Jahres wieder in die Grundsicherung zurückkommt. Und auch auf die bereits angesprochene prekäre Finanzlage wird seitens des Deutschen Städtetages hingewiesen: »Von 2010 bis 2013 sank die Anzahl der Arbeitslosen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende um lediglich 8 Prozent. Im gleichen Zeitraum wurden die Mittel für Fördermaßnahmen aber um etwa 40 Prozent reduziert, von 6,6 Milliarden Euro auf 3,9 Milliarden Euro.«
Die beiden kommunalen Spitzenverbände bringen die von vielen kritischen Beobachtern der Arbeitsmarktpolitik seit Jahren immer wieder vorgetragenen Schwachstellen auf den Punkt:

»Die Strategien für Menschen, die nur kurze Zeit arbeitslos sind, lassen sich nicht einfach auf Langzeitarbeitslose übertragen. Aktuell sind die arbeitsmarktpolitischen Instrumente der Jobcenter an viele Auflagen seitens des Gesetzgebers und an eher kurze Zeiträume gebunden. Schwer zu vermittelnden Langzeitarbeitslosen kann aus Sicht der Kommunen damit zu wenig geholfen werden. Der Bund sollte den Jobcentern deshalb die Entwicklung flexibler und längerfristiger Strategien zugestehen.«

Und sie fordern mit Blick auf die Vergangenheit mehr Geld – vom Bund: »Hatte der Bund zur Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende noch ein Budget von durchschnittlich 3.200 Euro pro Leistungsempfänger für Aktivierung, Eingliederung und Leistungsgewährung im Jahr veranschlagt, standen im Jahr 2012 nur noch 1.700 Euro zur Verfügung.«
Für etwa eine Million Menschen, die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende erhalten, sei eine Vermittlung in den Arbeitsmarkt äußerst schwierig. Während die BA in Gestalt von Heinrich Alt „neue Ideen über Zugangswege in Arbeit, mehr Perspektiven in Betrieben“ fordert,  sind für die Kommunen »die drohende Verfestigung der Langzeitarbeitslosigkeit und damit verbundene soziale Folgen eine der wichtigsten Herausforderungen. Viele Menschen, die sehr lange nicht mehr in der Arbeitswelt waren, brauchen neben der Vermittlung in Qualifizierungen oder in Arbeit eine intensive und individuell passgenaue Unterstützung.«

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Dr. Stephan Articus, wird mit den folgenden Worten zitiert:

»Um Langzeitarbeitslosen mit sozialen und beruflichen Integrationsproblemen Chancen auf Teilhabe in Arbeitsprozessen zu ermöglichen, halten die Städte es für sinnvoll, auch die öffentlich geförderte Beschäftigung weiterzuentwickeln. Solche Angebote können dazu beitragen, sich dem ersten Arbeitsmarkt wieder anzunähern. Und für Menschen, die dort nicht mehr Fuß fassen können, sind sie eine Alternative zu Ausgrenzung und sozialer Isolation.«

Der Deutsche Landkreistag sekundiert mit Blick auf den „harten Kern“ der Langzeitarbeitslosen, »dass es eine Gruppe schwer zu vermittelnder Langzeitarbeitsloser gibt, für die der erste Arbeitsmarkt unabhängig von bestehenden Fördermitteln und Instrumenten nicht erreichbar ist. Diese Menschen benötigen längerfristige Angebote.« Gefordert wird »ein tragfähiges Konzept für öffentlich geförderte Beschäftigung. Denn auf dem regulären Arbeitsmarkt werden viele Langzeitarbeitslose realistischerweise keinen Job finden.«

Ja, ja und nochmals ja. Die immer wieder vorgetragenen Punkte aus der Arbeitsmarktdebatte der vergangenen Jahre tauchen hier in konzentrierter Form wieder auf.

Und nun? Was tun? Da wird es schon dünner bzw. angesichts der intensiven Diskussionen und der vorliegenden konkreten Modelle eines „zweiten“ oder wie er auch immer heißen soll Arbeitsmarkt muss man den Kopf schütteln angesichts solcher Worte des BA-Vorstandsmitglieds Heinrich Alt zur öffentlich geförderten Beschäftigung, die Katharina Schüler in ihrem Artikel „Kommunen wollen neue Initiative für Hartz-IV-Empfänger“ zitiert:

»Bislang leide der zweite Arbeitsmarkt jedoch unter dem Paradox, dass nur Tätigkeiten, die keine normale Beschäftigung gefährden, gefördert werden dürften, sagte Alt. Arbeitslose lesen beispielsweise in Heimen vor oder sammeln Müll in den Parks ein. Die Art der Tätigkeiten verringere die Chancen, dass der Übergang vom zweiten in den ersten Arbeitsmarkt gelinge. Auch das Prestigeprojekt der früheren Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, die Arbeitslose zu Bürgerarbeitern machen wollte, erwies sich als Flop. „Hier müssen wir nochmal neu nachdenken“, sagte Alt.«

Da muss man angesichts der vielen Modelle nicht wirklich neu nachdenken, sondern man braucht mehr Mittel und vor allem rechtlich auch die entsprechenden Möglichkeiten, beispielsweise in professionellen Beschäftigungsunternehmen mit dem „ersten Arbeitsmarkt“ zusammen arbeiten zu können. Da hätte man sich schon eine klare Forderung an den Bundesgesetzgeber gewünscht: Abschaffung der „Zusätzlichkeit“ und der „Wettbewerbsneutralität“ von Maßnahmen der öffentlich geförderten Beschäftigung, damit man die Andockstellen an das „real life“ des Arbeitsmarktes endlich bestimmen und ausbauen kann.

Das wäre nur ein Beispiel für konkrete Forderung auch und gerade an die Große Koalition, die man hätte formulieren können und müssen. Statt dessen bekommen wir wieder einmal viel Lyrik serviert, gerade von Heinrich Alt, dem für das SGB II zuständige Vorstandsmitglied. In dem Artikel „Maßanzug für Langzeitabeitslose“ wird er mit den folgenden Worten zitiert: „Mit Konfektionsware kommen wir in der Grundsicherung nicht weiter“. „Wir brauchen eher was wie den Maßanzug, der vor Ort geschneidert werden sollte.“ Wohlfeile Formulierungen, wenn man sich die Realität in vielen Jobcentern anschaut.

Fazit: Nicht nur die enormen Mittelkürzungen in der Arbeitsmarktpolitik der vergangenen Jahre müssen rückgängig gemacht werden, weil man ansonsten keine halbwegs vertretbaren Maßnahmen für die Betroffenen entwickeln und anbieten kann. Aber gleichzeitig muss endlich das Förderrecht so eingedampft werden, dass man die vielen (übrigens seit Jahren geforderten) Freiheitsgrade in der Arbeit vor Ort endlich mal bekommt. Viele Jobcenter-Mitarbeiter sagen einem, auch wenn wir wollen, wir dürfen nicht. Hinsichtlich der erforderlichen Bearbeitung der vielen, wieder einmal richtig beschriebenen Probleme braucht es Flexibilität und Entscheidungsspielräume vor Ort.

Aber – auch wenn man nicht depressiv enden soll – selbst wenn das gelingen würde, wofür es derzeit keine Anhaltspunkte gibt, bleibt das Problem, dass viele Jobcenter-Mitarbeiter in den kommenden Monaten gar nicht mehr dazu kommen können, neue Wege zu gehen bzw. auszuprobieren. Weil sie absaufen in der internen Arbeit. Das, was hier angedeutet werden soll, ist ein sich abzeichnendes Drama der innersystemischen Paralyse und das hat einen Namen: „Allegro“. In der Musik ist Allegro eine Tempobezeichnung mit der Bedeutung schnell. Das ist vielleicht der Wunsch der BA-Spitze und der sie begleitenden Unternehmensberater. Die (fast schon zynische) Wahl des Programmnamens „Allegro“ ist irgendwie konsequent aus der Perspektive der da oben, denn das Wort kommt ursprünglich aus der italienischen Sprache und bedeutet „fröhlich, lustig, heiter“.

Aber das, was auf die Jobcenter zukommt, sieht ganz und gar nicht nach einem „fröhlichen, lustigen und heiteren“ Arbeiten am „Kunden“ aus. Denn „Allegro“ ist eine neue Software, in der Langfassung steht das für „ALG2-Leistungsverfahren Grundsicherung Online“. Und eine ganz neue Software verheißt gerade in der Einführungsphase nicht wirklich was Gutes.

»Wegen einer Software-Umstellung bei den Jobcentern könnte es im April zu Problemen bei der Auszahlung von Hartz-IV-Leistungen kommen. Betroffen seien vor allem die Ballungsräume und Großstädte, warnt Personalratschef Lehmensiek im Deutschlandfunk. Es gehe um vier Millionen Empfänger und deren Kinder«, so kann man es dem Vorspann zu einem Interview mit Uwe Lehmensiek, entnehmen. Im April soll der Testbetrieb beginnen. Zwar soll die neue Software parallel zur alten eingeführt werden, um die Probleme des Startjahres 2005 zu vermeiden. Dennoch kommt es in den Jobcentern zu einer Menge Mehrarbeit durch die EDV-Umstellung – womöglich zu so viel Mehrarbeit, dass über diese Umstellung auch die Hartz-IV-Auszahlungen in Mitleidenschaft gezogen werden könnten. Denn in den Jobcentern muss diese gewaltige Umstellung – inklusive der händischen Eingabe der vorhandenen Daten in das neue System – mit Bordmitteln und „neben“ dem Tagesgeschäft erfolgen.

Die Umstellung erfolgt händisch und parallel zum normalen Betrieb, da kein Budget für zusätzliche Fachkräfte eingeplant wurde. Dort, wo die Jobcenter zusätzlich Personal eingestellt hätten, laufe die Finanzierung aus dem „Eingliederungstitel“, also dem bereits zusammengestrichenen Topf für Fördermaßnahmen, denn diese Mittel sind „deckungsfähig“ mit den Verwaltungskosten.

Zu diesem problematischen Punkt berichtete das Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ): » Insgesamt 445 Millionen Euro sind aus dem Haushaltstitel mit der Zweckbestimmung „Leistungen zur Eingliederung in Arbeit“ (darunter „Leistungen zur Engliederung nach dem SGB II“) in den Haushaltstitel mit der Zweckbestimmung „Verwaltungskosten für die Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende“ (Bundesanteil) umgeschichtet worden.« Und weiter: »Die „Verwaltungskosten“ der insgesamt 410 Jobcenter betrugen demnach im Haushaltsjahr 2013 … in etwa 5,3 Milliarden Euro. Noch nie zuvor wurde vom Bund und den Kommunen so viel für diesen Zweck („Verwaltungskosten für die Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende“) ausgegeben wie im neunten „Hartz IV-Jahr“.«

Bevor die Umstellung überhaupt beginnt, würden die Mitarbeiter geschult und Akten auf den neuesten Stand gebracht. Hier gebe es noch großen Nacharbeitungsbedarf. Wenn der Testbetrieb im April beginnt, seien dann, vor allem in Großstädten, Fehler und Zeitverzögerungen zu erwarten.
Wenn Bescheide und Geldleistungen in großem Umfang zu spät oder fehlerhaft herausgehen, erwartet Lehmensiek „Aggression und Gewalt, das wollen wir verhindern. Deswegen ist das unsere größte Sorge, dass es mit der Zahlung nicht klappt.“, erläutert er im Interview.

Dazu noch eine Ergänzung, gefunden im neuesten Newsletter von Harald Thomé: Kommt es durch Computerpannen und nicht rechtzeitiger Zahlung zu wirtschaftlichen Schäden bei den Betroffenen, z.B.  in Form von Rückbuchungsgebühren, Mahngebühren des Energieversorgers oder Vermieters, Zinsen wegen Kontoüberziehung, dann ist das Jobcenter dafür ersatzpflichtig. Der Ersatzanspruch begründet sich über § 40 Abs. 1 S. 1 SGB II iVm § 60 S. 2 SGB X iVm § 839 BGB iVm ständiger Rechtsprechung des BSG zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch.
Wahrscheinlich muss man dann noch mehr umbuchen aus dem Eingliederungstitel.

Das sind keine guten Rahmenbedingungen für neue Wege, um Langzeitarbeitslose wieder in Beschäftigung zu bringen.