Was haben IT-Mitarbeiter, Ingenieure, Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst und Erzieher/innen gemeinsam? Sie sind potenziell reif für die kommunale Arbeitsmarktzulage. Nicht nur in München

Eigentlich ist es doch ganz einfach … wenn man einen Beitrag so beginnt, dann wird es schwierig, sonst müsste man nicht zum „eigentlich“ greifen.
Nehmen wir mal als Beispiel den real existierenden und teilweise immer heftiger werdenden Fachkräftemangel bei den pädagogischen Fachkräften, die in Kindertageseinrichtungen bilden, betreuen und erziehen sollen. Und das mit immer mehr und immer jüngeren Kindern aus tendenziell immer „schwierigeren“ Familienverhältnissen. Nun ist das nicht flächendeckend so, aber es gibt doch gerade in den Städten immer öfter mehr als Hinweise, dass man das dort aufgrund der auch noch überdurchschnittlich hohen Nachfrage erforderliche Personal nicht mehr in der notwendigen Quantität gewinnen kann (dem aufmerksamen Leser wird an dieser Stelle bereits aufgefallen sein, dass wir noch gar nicht von Qualität gesprochen haben und das auch nicht tun werden, denn die Quantität ist schon problematisch genug). Das gilt für eine Stadt wie München erst recht, denn hier prosperiert die Wirtschaft, die Leute haben Arbeit, brauchen dann auch Kinderbetreuung und es kommen gerade junge Menschen Jahr für Jahr in diese Stadt – also alles zusammen genommen gleichsam ideale Voraussetzungen für die, die Kindertageseinrichtungen oder Kindertagespflege betreiben. Wofür man nun wieder Personal braucht, das aber gerade in einer solchen Stadt auch deshalb so vermisst wird, weil sie richtig teuer ist, wenn man dort lebt oder leben soll, vor allem für die Menschen, die nur über niedrige und auch ganz normale Einkommen verfügen.

Und schon sind wir wieder bei dem „Eigentlich ist es doch ganz einfach“ vom Anfang dieses Beitrags. Denn eigentlich gibt es ein paar Grundgesetze der Ökonomie, die relativ simpel daherkommen und gleichzeitig gerade aufgrund ihrer Schlichtheit zudem eine generelle Hilfestellung geben können für die Einordnung und Bewertung des großen Geredes vom angeblichen, aber eben auch tatsächlichen „Fachkräftemangel“ (vgl. zu diesem höchst strittigen Thema allgemein die Übersicht von Nina Neubecker: Die Debatte über den Fachkräftemangel, 2014).
Folgt man den basalen Regeln von Angebot und Nachfrage, die sich auf Märkten, z.B. auf dem Arbeitsmarkt, treffen und denkt man an die Preisbildung, über die „im Normalfall“ Angebot und Nachfrage ausgeglichen werden (sollen), dann liegt es auf der Hand, dass dann, wenn das Arbeitsangebot knapp ist oder gar nicht mehr vorhanden ist für die Besetzung von auf der anderen Seite immer mehr werdenden offenen Stellen, der Preis für das Angebot steigen muss, was auf dem Arbeitsmarkt der Lohn ist. Auch wenn mittlerweile eine erhebliche Erschütterung der sich teilweise verselbständigten Berichte über einen massiven Fachkräftemangel eingetreten ist durch kritische Stellungnahmen und jetzt auch zunehmend durch Berichte in den Medien, die ein anderes Bild zeichnen (vgl. hierzu exemplarisch die allerdings teilweise arg einseitige ARD-Reportage Der Arbeitsmarktreport – das Märchen vom Fachkräftemangel vom 21.07.2014).

Nun könnte man auf den durchaus naheliegenden Gedanken kommen, dass man wohl kaum von einem eindeutigen Fachkräftemangel sprechen kann, wenn sich bei den Löhnen nichts tut, wenn vielleicht sogar die Arbeitsbedingungen noch schlechter werden, als sie es schon sind. Wenn man sich auf dieses Bewertungskriterium stützt, dann müsste man auch für die Bereiche Pflege und eben auch Bildung und Betreuung von kleinen Kindern Entwarnung signalisieren müssen, denn dort hat sich nicht viel getan bei der Vergütung der hier arbeitenden Menschen.

Aber wie so oft im Leben – so einfach ist es dann auch nicht. Denn die Arbeit der Erzieher/innen hängt fast ausschließlich am Infusionstropf des Staates, wenn wir von den Elternbeiträgen und den Trägeranteilen absehen. Ökonomen sprechen hier von so genannten „administrierten Preisen“, die eben nicht (nur bzw. sehr eingeschränkt) der normalen Marktlogik folgen (können). Das gleiche Problem sehen wir in der Pflege. Auch wenn ein Betreiber eines Altenheims oder eines ambulanten Pflegedienstes aufgrund der Tatsache, dass er kein Personal mehr findet, die Gehälter um 10% anheben möchte, dann wird er erhebliche Schwierigkeiten bekommen, das auch zu machen, denn die Refinanzierung hängt im Wesentlichen an der Pflegekasse und den mit dieser vereinbarten Pflegesätze. Diese werden aus Budgetgründen der Kasse oftmals aber nur maximal um die Steigerungsrate der Grundlohnsumme, aus der sich die Beiträge zur Pflegeversicherung speisen, angepasst. Bei dieser Konstellation können dann schon ganz normale Tariflohnsteigerungen zu einem echten Problem werden, da die Anbieter der Leistung nicht oder nur begrenzt in der Lage ist, die gestiegenen Kosten auf den Endabnehmer zu überwälzen. Vergleichbar ist die Lage im Bereich der Kindertageseinrichtungen.

Aber an der Frontspitze des real existierenden Fachkräftemangels gibt es Bewegung. Die Stadt München ist vorgeprescht: »Es war eine seiner ersten Amtshandlungen: Münchens OB Reiter hat mitgeteilt, das Kita-Personal der städtischen Einrichtungen besser zu bezahlen«, berichtet Melanie Staudinger in ihrem Artikel Erzieher-Bonus weckt Begehrlichkeiten. Der neue Oberbürgermeister will das mit Hilfe der Arbeitsmarktzulage erreichen, die in Berufen mit Fachkräftemangel gewährt werden kann. Diesem Ansinnen hat der Kommunale Arbeitgeberverband Bayern (KAV) jetzt zugestimmt. Kommunen können ihren Mitarbeitern unter bestimmten Voraussetzungen nun mehr zahlen, als der Tarifvertrag es vorsieht.

Bisher galt die Arbeitsmarktzulage in Bayern nur in drei Branchen, für IT-Mitarbeiter, Ingenieure und Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst, schreibt Staudinger. Nun können alle Kommunen ihren Mitarbeitern eine Zulage zahlen, allerdings nur, wenn sie den Personalbedarf sonst nicht decken könnten. In München sollen alle Erzieher/innen in den kommunalen Einrichtungen flächendeckend die Zulage bekommen.

Neben der Arbeitsmarktzulage gibt es ein zweites Instrument, mit dem man die Vergütungsbedingungen verbessern will: Die tarifliche Eingruppierung. Und auch die soll im Sinne einer Höhergruppierung genutzt werden. Dazu Staudinger: »Mitarbeiter, die jetzt in Stufe S 6 sind, können künftig nach S 8 bezahlt werden – sofern sie einer „besonders schwierigen fachlichen Tätigkeit“ nachgehen. Derzeit erarbeitet das Bildungsreferat die Kriterien. „In einigen Kitas gibt es einen erhöhten Aufwand, weil dort viele Kinder mit Migrationshintergrund betreut werden“, sagt Susanne Herrmann, Leiterin der Abteilung Kita. Diese Maßnahme soll bis Herbst umgesetzt werden.«

Das hört sich doch alles sehr erfreulich an, vor allem für die Erzieher/innen. Wie immer im Leben folgt das „ja, aber“ auf dem Fuße. Denn es wurde bereits darauf hingewiesen, dass sich dieser Vorstoß der Stadt München erst einmal „nur“ auf die Kindertageseinrichtungen bezieht, die sich in kommunaler Trägerschaft befinden, also von der Stadt selbst betrieben werden. Nun gibt es aber daneben bekanntlich viele andere, so genannte „freie“ Träger von Kitas, beispielsweise kirchlich gebundene Einrichtungen oder von der AWO, dem Paritätischen Wohlfahrtsverband usw. Nach heftiger Kritik aus diesen Reihen signalisiert die Stadt hier Entgegenkommen:
»So soll mit freien Trägern – dazu können private Kitas oder auch gemeinnützige gehören – darüber gesprochen werden, ob sie ebenfalls Zulagen gewähren können und dabei von der Stadt finanziell unterstützt werden.« Aber das ist erst einmal nur eine Ankündigung.

Sofort öffnen sich wie bei jeder Sonderregelung zahlreiche Folgefragen und -probleme. Dafür sei hier stellvertretend Wolfgang Obermair, Vorstand im Caritasverband der Erzdiözese München und Freising, nach dem Artikel von Staudinger zitiert:

»Die Arbeitsmarktzulage ist aus seiner Sicht der falsche Weg, vielmehr hätte es eine tarifrechtliche Einigung geben müssen. Sollte eine Zulage in Höhe von 200 bis 250 Euro kommen, würde eine Erzieherin mehr verdienen als eine Sozialpädagogin, die studiert habe. „Das ist nicht fair“, sagt Obermair. Benachteiligt würden auch Erzieher außerhalb von Kitas, die etwa mit Behinderten oder der stationären Jugendhilfe arbeiteten.
Auch Pflegepersonal ist derzeit vom Bonus ausgeschlossen. „Diese Verwerfungen im System hat keiner beachtet“, sagt Obermair. Die Grünen im Stadtrat, Verdi und der Personalrat der städtischen Kita-Mitarbeiter fordern daher eine Ausweitung: Zum einen müssten auch Kinderpflegerinnen sowie die Kita-Leitungen einbezogen werden, zum anderen auch weitere Berufsgruppen mit Fachkräftemangel.«

Auch hier wird übrigens wie so oft die Kindertagespflege vergessen, die ja auch in die öffentliche Förderung eingebettet ist.

Wilfried Schober, der Sprecher des Bayerischen Gemeindetags, weist auf ein weiteres mögliches Spannungsfeld hin: Die Gräben zwischen reichen und armen Gemeinden werden sich vertiefen, denn die Zulage muss man sich leisten können innerhalb des bestehenden Finanzsystems der Kommunen. »Allerdings verweist er auch darauf, dass die Freigabe der Arbeitsmarktzulage in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz nicht zu großen Wanderungsbewegungen der Mitarbeiter geführt habe«, was auch nicht wirklich überrascht, wenn man weiß, wie ausgeprägt die regionale, teilweise lokale Immobilität der Erzieher/innen – zumeist aufgrund ihrer familiären Einbindung – ist.

Nun sieht man schon die Schwierigkeiten und Reibungspunkte, die sich ergeben, wenn man innerhalb des bestehenden Systems partielle Verbesserungen erreichen will. Und dabei bewegen wir uns im bestehenden System, was bekanntermaßen von vielen Betroffenen und Experten als völlig unterausgestattet mit Personal charakterisiert wird.

Das System steht aus Sicht einer Gesamtbilanzierung vor einer vierfachen Herausforderung:
Der „normale“ Nachwuchs für das bestehende System muss gewonnen werden, vor allem angesichts der anstehenden altersbedingten Abgänge. Gleichzeitig wächst der quantitative (und qualitative) Personalbedarf im System schlichtweg dadurch, dass deutlich mehr Fachkräfte benötigt werden, weil immer jüngere Kinder (mit einem daraus resultierenden höheren Personalschlüssel als bei den älteren Kindern) in den Einrichtungen aufgenommen werden und die Kinder immer länger in den Kitas bleiben und auch die pädagogischen Schwierigkeitsgrade in vielen Einrichtungen als Folge komplexer gesellschaftlicher Veränderungen steigen. Und drittens müsste über den „normalen“ Ersatz- und Wachstumsbedarf aufgrund der noch anhaltenden Expansion des bestehenden Systems eine erhebliche Anzahl an zusätzlichen Fachkräften gewonnen und damit natürlich auch finanziert werden, um die fachlichen Vorgaben einer ordentlichen Betreuung, Bildung und Erziehung vor allem der sehr kleinen Kinder gewährleisten zu können.

Hierzu hatte sich Ende Juli die Bertelsmann-Stiftung zu Wort gemeldet (vgl. dazu Zu wenig Erzieherinnen in Kitas. Qualität bleibt in der frühkindlichen Bildung oft auf der Strecke) und auf die gewaltige Dimension des eigentlich erforderlichen zusätzlichen Personals hingewiesen: »Würden die von der Bertelsmann Stiftung empfohlenen Personalschlüssel für alle Kitas in Deutschland verbindlich gelten, wären 120.000 zusätzliche Erzieherinnen erforderlich.« Und viertens müsste dann insgesamt – das wäre sicher eine bessere Lösung als mit einzelnen Zulagen herumzufummeln, die immer nur eine Not- oder Überbrückungslösung sein können – die Vergütungsstruktur der pädagogischen Fachkräfte vor dem Hintergrund der beschriebenen Entwicklung auch nachvollziehbar nach oben gezogen werden.

Würde man das machen wollen – wofür es derzeit keine belastbaren Anzeichen gibt -, dann stellt sich das Problem, dass dafür erhebliche Finanzmittel zu mobilisieren wären. Womit wir wieder bei dem wären, was ich dazu in meinem Blog-Beitrag Von Quantitäten, Qualitäten und einem realen Fachkräftemangel: Die Kindertageseinrichtungen und das (fehlende) Personal. Und wieder einmal: Das Geld am 25. Juli 2014beschrieben habe: Ohne eine systematische Neuordnung und damit verbunden auch ohne eine Neuverteilung der Finanzierungslasten wird sich hier nichts bewegen. Aber wir werden ja im Herbst dieses Jahres laut Ankündigung aus dem Bundesfamilienministerium einen dieser ominösen „Gipfel“ in Berlin erleben dürfen, ein „Kita-Gipfel“ wurde uns in Aussicht gestellt. Hand aufs Herz – wir haben in diesem Politikfeld kein Erkenntnisproblem, sondern ein manifestes Umsetzungsproblem, gespeist nicht nur, aber auch aus einer föderalen Lähmung.
Da bleibt dann wie sie oft nur noch die Hoffnung.

Immer diese Jahrestage. Wie wär’s mit dem Betreuungsgeld?

Im vergangenen Jahr gab es nicht nur eine sehr hitzige Debatte über den Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr des Kindes, der am 1. August 2013 scharf gestellt wurde – parallel stritt man sich auch höchst kontrovers über eine „alternative“ Leistung, dem „Betreuungsgeld“, das Eltern bekommen können, wenn sie für ihr Kind keinen Kita-Platz oder keine öffentlich geförderte Tagespflegeperson in Anspruch nehmen – 100 Euro pro Monat waren es dann ab August 2013 und passend zum Jahrestag wird dieser Betrag jetzt auf 150 Euro angehoben. Damals wurde auch begrifflich richtig geholzt: Von „Herdprämie“ oder einer Kita-„Fernhalteprämie“ sprachen die Kritiker, während die Apologeten dieser neuen Geldleistung die „Wahlfreiheit“ der Eltern in den Ring warfen oder von der lobenswerten „Anerkennung der Erziehungsleistung zu Hause“ sprachen. Nun nähert sich der 1. August 2014 und damit der Jahrestag nicht nur des Rechtsanspruchs auf einen Kinderbetreuungsplatz, sondern eben auch des Betreuungsgeldes. Und angesichts des funktionierenden Wiedervorlagesystems der Medien tauchen jetzt nicht nur Berichte über die Situation in den Kitas auf, sondern auch das Betreuungsgeld schafft es wieder in den Strom der Meldungen und Kommentare.

Studie: Betreuungsgeld hält von Kita ab oder gar Anreiz zur frühkindlichen Bildungsferne?, um nur zwei von vielen Schlagzeilen zu nennen. »Eine Umfrage bei über 100 000 Eltern bestätigt die Kritiker des Betreuungsgeldes: Die Geldprämie setzt bei bildungsfernen Eltern und Migranten falsche Anreize, Kleinkinder nicht in die Kita zu schicken«, so die Meldung von dpa. Das sei das Ergebnis einer großen Umfrage des Deutschen Jugendinstituts und der Universität Dortmund mit mehr als 100.000 Elternpaaren, die Kinder unter drei Jahren haben. Zumindest die parteipolitischen Grundreflexe scheinen noch zu funktionieren: SPD und Grüne halten Betreuungsgeld für bildungsfeindlich, so die eine Seite. Und die andere Seite kontert erwartbar: »Die Chefin der bayerischen Staatskanzlei, Christine Haderthauer, wies die Kritik am Betreuungsgeld zurück. „Bei Ein- und Zweijährigen eine Besser-/Schlechter-Diskussion zwischen Elternzuwendung und Kita anzuzetteln, ist ein ideologischer Tiefschlag sondersgleichen gegen alle Eltern von Kleinkindern“, sagte die CSU-Politikerin.«

Nun wird aktuell immer von einer neuen Studie berichtet, also schauen wir da mal genauer hin. Bereits am 11. Juni 2014 hat Vera Kämper einen Artikel dazu veröffentlicht: So unfair ist das Betreuungsgeld.

Der Beitrag vom Kämper beruft sich auf angebliche erste Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt „Kommunale Bedarfserhebungen. Der regionalspezifische Betreuungsbedarf U3 und seine Bedingungsfaktoren„, das gemeinsam vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) und der TU Dortmund durchgeführt wurde. Im Zentrum dieses Projekts steht eine jugendamtsspezifischen Elternbefragung zum Betreuungsbedarf von unter dreijährigen Kindern. 290.000 Eltern von unter Dreijährigen erhielten einen vierseitigen Fragebogen, teilgenommen haben rund 112.000 Personen. Außerdem lieferte eine Onlinebefragung von 93 Kommunen Informationen zu deren Strategien der Bedarfserhebung. Man sollte aber wie immer bei Studien und gerade bei dem hier interessierenden Thema Betreuungsgeld auf das Zeitfenster der Untersuchung achten: Der Webseite zum Projekt kann man entnehmen, dass die Erhebungsphase Ende Februar bis Ende Juni 2013 war (also vor dem Inkrafttreten des Rechtsanspruchs wie auch der Einführung des Betreuungsgeldes). Im Juli 2014 wurde von Rita Enes et al. der Forschungsbericht „Kommunale Bedarfserhebungen. Der regionalspezifische Betreuungsbedarf U3 und seine Bedingungsfaktoren. Bericht über die Ergebnissen der 93 teilgenommenen Kommunen“ veröffentlicht, aber in dem Bericht taucht der Begriff „Betreuungsgeld“ an keiner Stelle auf, es geht hier ja auch primär um etwas anderes, nämlich bundesweit den Bedarf von Eltern nach öffentlicher Betreuung kleinräumig zu erfassen. Da bislang noch keine weitere Veröffentlichung vorliegt, muss man zum jetzigen Zeitpunkt davon ausgehen, dass es – wenn überhaupt – nur eine indirekte Ableitung hinsichtlich des Betreuungsgeldes geben kann, also man unterstellt, dass alle Eltern, die keinen Betreuungsbedarf vortragen, in der relevanten Altersgruppe dann Betreuungsgeldempfänger sind bzw. korrekter formuliert: werden. Diese Restriktionen sollte man bei der Interpretation der von Kämper und auch anderen zitierten Befunde berücksichtigen.

Im Vorfeld der Einführung des Betreuungsgeldes wurde seitens der Kritiker immer wieder darauf hingewiesen, dass diese Geldleistung vor allem Migrantenfamilien oder Kinder aus bildungsfernen Milieus von der Kita-Betreuung fernhalten werde. Die Bildungsungleichheit würde sich verschärfen. Die Ergebnisse der Studie, die Kämper in ihrem Artikel zitiert, scheinen diese These zu untermauern: Demnach erweist sich das Betreuungsgeld als besonders attraktiv für Familien, „die eine geringe Erwerbsbeteiligung aufweisen, durch eine gewisse Bildungsferne gekennzeichnet sind und einen Migrationshintergrund haben“. Die Prämie sei ein „besonderer Anreiz für sozial eher benachteiligte Familien, kein Angebot frühkindlicher Bildung, Betreuung und Erziehung zu nutzen“. Kämper konkretisiert das dann mit den folgenden Befunden:

  • Von den Familien mit Migrationshintergrund, die sich keine außerhäusliche Betreuung wünschen, gaben 25 Prozent an, das Betreuungsgeld sei der Grund dafür gewesen. Bei den Familien ohne Migrationshintergrund liegt dieser Anteil bei lediglich 13 Prozent.
  • Bezogen auf den Bildungsstatus zeigt sich: Je höher das Bildungsniveau in der Familie ist, desto geringer erscheint der finanzielle Anreiz des Betreuungsgeldes. Von den Familien, in denen kein Elternteil einen Bildungsabschluss besitzt oder die als höchsten Bildungsabschluss einen Hauptschulabschluss nennen, sagen 54 Prozent, das Betreuungsgeld sei Grund für die Entscheidung gewesen.
  • Bei den Familien mit einer mittleren Reife als höchsten Bildungsabschluss liegt dieser Anteil bei 14 Prozent und bei den Familien mit Hochschulabschluss reduziert sich dieser Anteil weiter auf acht Prozent.
  • Während nur 16 Prozent der Familien mit Migrationshintergrund eine außerhäusliche Betreuung in Anspruch nehmen, haben 51 Prozent der Familien mit Migrationshintergrund den Wunsch danach. So kommt die Studie zu dem Schluss, dass Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status und Familien mit Migrationshintergrund „ihre Betreuungswünsche weniger gut realisieren können“. (Quelle: Kämper 2014)

Wie gesagt, derzeit erschließt sich mir bei der vorliegenden Informationslage über das Forschungsprojekt nicht, wie man zu diesen konkret das Betreuungsgeld in Anspruch nehmenden Aussagen gekommen ist. Aber wir werden sicher in den kommenden Tagen darüber aufgeklärt werden, wenn der Abschlussbericht auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, über den andere, wie die Presseagentur dpa offensichtlich schon verfügen, denn von denen erfahren wir: »Demnach stellt das Betreuungsgeld besonders für sozial benachteiligte Familien einen Anreiz dar, kein staatliches Angebot frühkindlicher Bildung, Betreuung und Erziehung zu nutzen, heißt es im Abschlussbericht der Untersuchung, der der Nachrichtenagentur dpa vorliegt.«

Vom Deutschen Jugendinstitut gibt es hingegen eine andere Veröffentlichung, die sich explizit mit Fragen der Inanspruchnahme des Betreuungsgeldes beschäftigt, und die im Februar 2014 vorgelegt wurde:

Deutsches Jugendinstitut (DJI): Stellungnahme des Deutschen Jugendinstituts. Empirische Daten und Analysen zur Wirkung des Betreuungsgeldes, Februar 2014

Aber auch in diesem Beitrag wird darauf hingewiesen: »Die vorliegenden Daten lassen eine Aussage zu der Wirkung des Betreuungsgeldes nicht zu, da bei deren Erhebung noch kein Betreuungsgeldbezug möglich war. Die Auswirkungen können daher nur auf Grundlage der anfangs dargestellten internationalen Erfahrungen mit betreuungsgeldähnlichen Regelungen sowie mithilfe von Simulationsrechnungen des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) (Beninger u.a. 2010) geschätzt werden« (S. 22). Und hier findet man dann auch wieder die Zahlen, die jetzt zitiert werden, aber wohlgemerkt vor dem Hintergrund, dass es sich um Ableitungen aus bestimmten Annahmen handelt, wie das DJI selbst schreibt:

»Auch wenn hier nicht die direkte Wirkung des Betreuungsgeldes dargestellt werden kann, lassen sich doch Aussagen darüber ableiten, wie sich Familien entscheiden würden, gesetzt den Fall, dass die Handlungsmöglichkeiten der Haushalte hinsichtlich ihres Arbeitsangebots und der Nutzung externen Kinderbetreuung einem bedarfsgerechten Angebot gegenüberstehen würden. Unter dieser Annahme ist zu erwarten, dass das Betreuungsgeld in hohem Maße geschlechts- und schichtspezifisch wirkt. Etwa 8 Prozent der anspruchsberechtigten Mütter würden keine öffentlich geförderte Betreuung mehr in Anspruch nehmen. 20,8 Prozent würden die externe Betreuung reduzieren, wenn beide Eltern erwerbstätig sind. Für die Gruppe der einkommensschwachen Familien fällt die Einschätzung besonders gravierend aus: Etwa 16% würden auf eine externe Betreuung verzichten« (DJI 2014: 22).

Fazit: Wir werden also weiterhin noch im Nebel stochern müssen, die kritischen Hinweise aus dem Vorfeld der Einführung des Betreuungsgeldes sind zumindest als plausibel einzuordnen, aber man muss auch fairerweise konzedieren, dass wir empirisch die Sache noch nicht annähernd im Griff haben (können).

Das ändert aber nichts an der Berechtigung von grundsätzlichen Infragestellungen dieser neuen Geldleistung – vielmehr scheinen diese gerade an einem Jahrestag durchaus angebracht:

Hinsichtlich des Betreuungsgeldes muss man immer wieder auf die mehrfache Fragwürdigkeit dieser neuen Geldleistung hinweisen. Zum einen handelt es sich um eine Leistung, die dadurch charakterisiert ist, dass sie nur dann in Anspruch genommen werden kann, wenn eine andere öffentliche Leistung nicht in Anspruch genommen wird, denn das Betreuungsgeld bekommen ja nur die Eltern, die ihr Kind nicht in eine Kita oder in die öffentlich finanzierte Tagespflege schicken. Das ist schon aus einer grundsätzlichen Perspektive mehr als fragwürdig. Denkt man diesen Ansatz konsequent zu Ende, dann könnte man durchaus argumentieren, dass das auch in anderen Bereichen Anwendung finden müsste – und da würde sich ein ganzes Universum an möglichen Fallkonstellationen auftun. Man denke nur beispielsweise an die erheblichen staatlichen Subventionen, die in den Bereich der Opern fließen. Nun gibt es viele Menschen, die aus welchen Gründen auch immer niemals in ihrem Leben einen Fuß in eine derart hoch subventionierte Oper werden. Insofern könnte man nun über die Kompensation derjenigen nachdenken, die die Dienstleistung Oper nicht in Anspruch nehmen wollen und werden.

Die Apologeten des Betreuungsgeldes begründen die Legitimation des Betreuungsgeldes, dass mit dieser Leistung „Wahlfreiheit“ hergestellt wird und gleichzeitig eine staatliche Anerkennung der Erziehungsleistung innerhalb der Familie erfolgen würde. Wenn man sich diese Argumentation einmal genauer anschaut, dann ergeben sich doch einige notwendige kritische Anfragen: Diese beziehen sich nicht nur auf die mehr als diskussionswürdige Höhe der Anerkennungsleistung (100 Euro bzw. ab dem 1. August 2014 150 Euro pro Monat), die dem einen oder der anderen nicht zu Unrecht als ein für den Staat im Vergleich zu den ansonsten fälligen Ausgaben für die Kinderbetreuungsinfrastruktur recht billiges „abspeisen“ der Betroffenen vorkommen mag. Mir geht es hier um etwas anderes: Wenn man das Argument ernst nimmt, dass die elterliche Erziehungsleistung innerhalb der Familie mit dieser Geldleistung eine zusätzliche Anerkennung finden soll, dann ist die tatsächlich aber vorgenommene Regelung, dass die Eltern, die sich im Harz IV-Bezug befinden, also im SGB II-Grundsicherungssystem, von der Zusätzlichkeit dieser Leistung nichts haben, weil ihnen nämlich das Betreuungsgeld auf die SGB II-Leistungen angerechnet wird, logisch natürlich nicht nachvollziehbar. Erbringen etwa die Eltern, die sich in Grundsicherungsbezug befinden, keine Erziehungsleistung, die doch zusätzlich honoriert werden soll? Diese Restriktion ist deshalb auch fragwürdig, weil das Betreuungsgeld ja gerade keine einkommensabhängige Leistung ist, somit alle Familien, die die formalen Voraussetzungen erfüllen, einen Anspruch auf diese Leistung haben, also auch die Familien, die über ein hohes bzw. sehr hohes Einkommen verfügen. Aber gerade bei denjenigen, die nun über die niedrigsten Einkommen verfügen, wird die Leistung gleichsam gekappt, indem sie verrechnet wird mit einer anderen staatlichen Leistung. Das macht keinen logischen Sinn, sondern erscheint eher wie eine Bestrafungsaktion der „Hartz IV-Eltern“, die tief blicken lassen würde hinsichtlich des Familienbildes.

Darüber hinaus ist die Argumentation, dass hier die Erziehungsleistung innerhalb der Familie durch die Eltern honoriert werden soll, auch dadurch fragwürdig, weil zwar keine öffentlich finanzierte Kita oder Tagespflege in Anspruch genommen werden darf, daraus aber nicht folgt, dass immer und in jedem Fall die betroffenen Eltern, also im Regelfall die Mütter, die Leistung auch tatsächlich übernehmen. Denn das Betreuungsgeld kann selbstverständlich auch in den Fallkonstellationen bezogen werden, in denen beide Elternteile Vollzeit arbeiten und ein Au-pair-Mädchen aus Osteuropa einstellen, das dann in der Familie die Betreuungsaufgaben übernimmt. Die betroffenen Familien werden sich über die anteilige Mitfinanzierung dieser Person seitens des Staates sicher freuen.

Ach, das Betreuungsgeld. Wir werden damit rechnen müssen, dass die Inanspruchnahme dieser in mehrfacher Hinsicht fragwürdigen Leistung in den kommenden Monaten weiter ansteigen wird. Das wird eine Menge Geld kosten – Schätzungen gehen davon aus, dass in der Endstufe der Inanspruchnahme Entwicklung bis zu zwei Milliarden Euro fällig werden für diese Leistung. Das ist eine Menge Geld, vor allem wenn man berücksichtigt, dass dieses Geld gleichsam mit der Gießkanne über alle Familien ausgegossen wird, die die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, gleichzeitig aber durch die beschriebene Sonderregelung für die Eltern, die sich im Grundsicherungsbezug befinden, eine mehr als kritikwürdige soziale Schieflage entstanden ist. Und in der öffentlichen Diskussion wird kaum berücksichtigt, dass diese Geldleistung ja nicht vom Himmel fällt, sondern zu Bürokratiekosten führt, die nicht gering sind, um das einmal vorsichtig auszudrücken. Aber diese Nicht-Beachtung von Verwaltungsaufwendungen mussten wir ja auch schon bei anderen Leistungen zur Kenntnis nehmen, man denke hier nur an das so genannte Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung.
Ach, was könnte man mit diesem Geld machen. Aber das wäre ein neues Thema.

Foto: © Stefan Sell

Von Quantitäten, Qualitäten und einem realen Fachkräftemangel: Die Kindertageseinrichtungen und das (fehlende) Personal. Und wieder einmal: Das Geld

Leider keine Überraschung, aber angesichts des bevorstehenden Jahrestages des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr auf alle Fälle eine gut platzierte Botschaft: Deutschlands Kitas fehlen 120.000 Erzieher, hat die Bertelsmann-Stiftung herausgefunden. Was keine Neuigkeit ist für diejenigen, die sich seit langem mit dieser Thematik beschäftigen. Immer wieder in den zurückliegenden Monaten wurde auch hier eindringlich darauf hingewiesen, dass schon der rein quantitative Ausbau der Betreuungsplätze für die unter dreijährigen Kinder – und das bei den in den Bundesländern gegebenen und von der Fachwelt unisono als deutlich zu schlecht kritisierten Rahmenbedingungen – zu einem quantitativen Mangel an pädagogischen Fachkräften führen muss, denn die zersplitterten Aus- und auch Weiterbildungssysteme sind nicht frühzeitig auf den seit Jahren absehbar steigenden Bedarf eingestellt, d.h. ausgebaut worden. Nun kann man aber die Fachkräfte nicht einfach per Knopfdruck backen und auch bekannte Hilfskonstruktionen wie die Schnellbleiche anderer Berufsgruppen oder der Import von Fachkräften aus Griechenland oder Spanien kann – wenn überhaupt – nur partiell etwas Luft verschaffen.

Und es muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass wir bislang „nur“ von einem quantitativen Personalmangel gesprochen haben, (noch) nicht von einem auch qualitativen Mangel, der aber mindestens genauso existiert wie der andere.

Man kann sich das an zwei Beispielen verdeutlichen, warum der Aspekt des qualitativen Fachkräftemangels erhebliche Implikationen haben kann und hat:

1.) Stellen wir uns vor, wie auch zunehmend beobachtbar, dass eine Großstadt mehrere studierte pädagogische Fachkräfte aus Griechenland oder Spanien eingestellt hat. Diese Maßnahme kann nun tatsächlich dazu führen, dass der unmittelbare quantitative Personalmangel in den Einrichtungen vor Ort abgemildert wird. Und ohne Zweifel ist es auch so, dass gerade viele der Fachkräfte, die aus den südeuropäischen Ländern kommen, über eine hohe Qualifikation verfügen, die meisten haben dort eine akademische Qualifizierung durchlaufen. Das wird ihnen aber wenig helfen, wenn es beispielsweise um die Sprachförderung geht, die ja nach allen Forschungsbefunden, die uns vorliegen, eine ganz zentrale Bedeutung haben in der frühkindlichen Bildung. Eine griechische oder spanische Erzieherin kann noch so gut in ihrem Land ausgebildet worden sein, allein die Sprachbarrieren werden es verunmöglichen, dass sie auf absehbare Zeit eine unseren Maßstäben entsprechende Sprachförderung betreiben könnte. Das liegt in der Natur der Sache.

2.) Zahlreiche Studien der Vergangenheit haben belegen können, von welcher entscheidenden Bedeutung auch in den Kindertageseinrichtungen die Leitungsebene ist. Immer mehr Träger aber berichten von erheblichen Schwierigkeiten, überhaupt Bewerbungen für offene Leitungsstellen zu bekommen. Dies liegt nicht nur, aber auch an den schlechten Rahmenbedingungen für diese Tätigkeit, die von so großer Bedeutung ist.

Der Bertelsmann-Stiftung geht es primär um etwas anderes. Man will zum einen auf den grundsätzlichen Fachkräftemangel hinweisen, was aber schon seit längerem getan wird, und man will Schützenhilfe leisten für eine Entwicklungslinie, die derzeit leider ins Leere zu laufen droht. Gemeint sind die Bestrebungen, auf der bundesgesetzlichen Ebene Qualitätsstandards zu verankern, ein Ansatz, der schon von der ehemaligen Bundesfamilienministerin Schröder (CDU) auf der Ankündigungsebene in den Raum gestellt wurde und wozu es in den vergangenen Monaten auf der Fachebene zahlreiche Gespräche und auch Fachveranstaltungen gegeben hat. Dazu die Bertelsmann-Stifftung in ihrer Pressemitteilung Zu wenig Erzieherinnen in Kitas. Qualität bleibt in der frühkindlichen Bildung oft auf der Strecke):

»In der frühkindlichen Bildung bleibt gute Qualität oftmals auf der Strecke, weil viele Kindertageseinrichtungen nicht genügend Erzieherinnen haben. Die Personalschlüssel für Kitas in Deutschland weichen teilweise erheblich von einem kindgerechten und pädagogisch sinnvollen Betreuungsverhältnis ab und sind zudem von Bundesland zu Bundesland höchst unterschiedlich. In Bremen und Baden-Württemberg ist eine Erzieherin in den Krippen durchschnittlich für drei Kinder zuständig, in Sachsen-Anhalt hingegen für mehr als sechs Kinder. „Wir brauchen dringend einheitliche Qualitätsstandards, die in einem Bundes-Kita-Gesetz geregelt sind“, sagte Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung. Würden die von der Bertelsmann Stiftung empfohlenen Personalschlüssel für alle Kitas in Deutschland verbindlich gelten, wären 120.000 zusätzliche Erzieherinnen erforderlich.«

An dieser Stelle ergeben sich zwei zentrale Fragen:

Zum einen muss man natürlich darüber diskutieren, ob und wie man überhaupt in absehbarer Zeit diese Zahl an zusätzlichen Fachkräften gewinnen kann (und gleichzeitig sollte man an dieser Stelle immer gedanklich mitlaufen lassen, dass ja auch der „normale Ersatzbedarf“ im System gestemmt werden muss, also der Ersatz der aus Alters- oder sonstigen Gründen ausscheidenden Fachkräfte). Und wenn es einem dabei – wie auch der Bertelsmann-Stiftung – um mehr Qualität geht, dann müssen natürlich auch hochwertige Qualifikationen die Basis für diese zusätzlich erforderliche Zahl an Fachkräften darstellen.

Zum anderen landen wir auch hier zwangsläufig und nicht wirklich überraschend bei der Geldfrage, denn Personal kostet, auch die Ausbildung kostet Geld. Dazu hat sich die Stiftung ebenfalls positioniert. In einem ersten Schritt hat sie abzuschätzen versucht, was das denn kosten würde:
»Nach Berechnungen der Stiftung verursacht das jährlich zusätzliche Personalkosten von rund fünf Milliarden Euro. Verglichen mit den derzeit im Kita-Bereich anfallenden Personalkosten in Höhe von rund 14 Milliarden Euro bedeutet dies einen Anstieg um mehr als ein Drittel (36 Prozent).«
Diese Größenordnung wird viele politischen Entscheidungsträger „erschrecken“ – hilfreich wäre an dieser Stelle übrigens ein Hinweis gewesen, dass es sich um „Bruttokosten“ handelt, die tatsächlichen Nettokosten für die öffentliche Hand liegen deutlich niedriger.

Nun muss man an dieser Stelle darauf hinweisen, dass angesichts des Finanzierungsdurcheinanders, das wir in Deutschland im System der Kindertagesbetreuung haben (korrekterweise muss man von insgesamt 16 teilweise sehr unterschiedlichen KiTa-Systemen in den einzelnen Bundesländern sprechen), neben der offensichtlichen Unterfinanzierung vor allem mit einem strukturellen Mega-Problem konfrontiert sind, das zugleich ein föderales ist, was jede mögliche Problemlösung mit einer nicht gerade hohen Wahrscheinlichkeit belastet: Der Hauptkostenträger sind die Kommunen und von denen sind viele unter erheblichen finanziellen Druck und bereits mit dem rechtsanspruchsbedingten quantitativen Platzausbau für die unter dreijährigen Kinder überfordert. Sollte der Bund also im SGB VIII, was er verfassungsrechtlich durchaus machen könnte, beispielsweise Mindestpersonalschlüssel verankern, dann werden die Kommunen und die Bundesländer mit Bezug auf das Konnexitätsprinzip darauf bestehen, dass der, der bestellt, auch bezahlt. Spätestens dann wird eine regelgebundene Finanzierungsbeteiligung des Bundes notwendig, die ich bereits seit vielen Jahren fordere. Auch die Bertelsmann-Stiftung sieht die Notwendigkeit einer solchen Mitfinanzierung seitens des Bundes:

»Ohne stärkeres finanzielles Engagement des Bundes in der frühkindlichen Bildung sind diese Ausgaben allerdings für die meisten Bundesländer und Kommunen kaum zu stemmen. Die Bertelsmann Stiftung empfiehlt deshalb, in einem Bundes-Kita-Gesetz festzulegen, für welchen bundesweit einheitlichen Standard der Bund welche Unterstützung leistet.«

Aber wie kann und soll das geschehen? Dazu finden wir in der folgenden Veröffentlichung der Bertelsmann-Stiftung einen Hinweis:

Bertelsmann Stiftung: Qualitätsausbau in KiTas. 7 Fragen zum Qualitätsausbau in deutschen KiTas. 7 Antworten der Bertelsmann Stiftung: Status quo, Handlungsbedarfe und Empfehlungen. Methodische Erläuterungen, Gütersloh, Juli 2014

Die Stiftung plädiert darin für eine „standardbasierte Finanzierungsbeteiligung des Bundes“. Was muss man sich darunter vorstellen? Voraussetzung wäre eine Einigung »auf bundeseinheitliche Standards, wie beispielsweise Personalschlüssel. Nach einer Festlegung verbindlicher Personalschlüssel kann ermittelt werden, wie viel Personal erforderlich ist, um diesen Standard in jedem Bundesland realisieren zu können. Im nächsten Schritt können die Kosten kalkuliert werden, die in jedem Bundesland für diesen Standard entstehen, um auf dieser Basis die Finanzierungsbeteiligung des Bundes bestimmen zu können« (S. 5). Hinsichtlich der operativen Umsetzung dieses Ansatzes verbleiben die Ausführungen im vorliegenden Material im Andeutungsmodus – in einer Abbildung wird offensichtlich ein Modell präferiert, bei dem der Personalkostenanteil des Bundes in 16 Länderfonds gezahlt wird, die das dann weiterleiten müssen an die Kommunen und damit an die Einrichtungen vor Ort (Abb. 4 auf der S. 5).
Genau diesen Ansatz habe ich bereits im Oktober 2013 in einem Reformmodell vorgeschlagen, das der Öffentlichkeit auf der Bundespressekonferenz in Berlin gemeinsam mit dem Vorstandsvorsitzenden des AWO-Bundesverbandes, Wolfgang Stadler, präsentiert wurde:

Sell, Stefan: Die Finanzierung der Kindertagesbetreuung vom Kopf auf die Füße stellen. Das Modell eines „KiTa-Fonds“ zur Verringerung der erheblichen Unter- und Fehlfinanzierung der Kindertagesbetreuung in Deutschland (= Remagener Beiträge zur Kinder- und Jugendhilfe 07-2014), Remagen, 2014

Dort findet man auf der S. 6 die folgende Abbildung:

Wichtig an dieser Stelle, wenn man denn den Ansatz einer Bundesmitfinanzierung an den laufenden Kosten der Kindertagesbetreuung wirklich verfolgen will, wofür es gute Argumente gibt: Wir brauchen nicht nur eine „standardbasierte Finanzierungsbeteiligung“ – die sich übrigens auf die „Big Five“ der Strukturqualität beziehen sollte, also Fachkraft-Kind-Schlüssel, Gruppengröße, Qualifikation des Personals, Leitungsfreistellung und Fachberatung -, sondern auch eine regel- und vor allem zweckgebundene Finanzierungsbeteiligung. Der Aspekt der notwendigen Zweckbindung ist von großer Bedeutung, denn ansonsten besteht angesichts der Mehrebenenfinanzierung, mit der wir es in der Kindertagesbetreuung zu tun haben (Kommunen, Bundesländer, Bund sowie aber auch Eltern und Träger der Einrichtungen) die plausible Gefahr, dass Mittel des Bundes dergestalt zweckentfremdet werden, dass beispielsweise Bundesländer ihren Finanzierungsanteil nach unten fahren, so dass es im Ergebnis nicht zu mehr Mitteln im System kommt, sondern lediglich eine Substitution vorgenommen wird. Ein komplexes Unterfangen, aber der gesellschaftspolitische Nutzen wäre aller Anstrengung wert.

Auch in Österreich das gleiche Problem wie in Deutschland: ein föderaler Flickenteppich bei der Kinderbetreuung. Und eine notwendige Debatte über Mindeststandards

Wenn in Deutschland über Kindertageseinrichtungen (und Kindertagespflege) diskutiert wird, dann wird immer gerne über „die“ Kitas oder „die“ Tagespflege gesprochen – dabei sind die Verhältnisse überaus heterogen, wir sind konfrontiert mit 16 unterschiedlichen Systemen der Kindertagesbetreuung in den Bundesländern und auch innerhalb der Länder gibt es oft von Kommune zu Kommune erhebliche Varianzen, beispielsweise bei den Elternbeiträgen oder der konkreten Finanzierung. Allein vor diesem Hintergrund verbieten sich allgemeine Aussagen über „die“ Kindertagesbetreuung.

Man kann sich die historisch gewachsenen Diskrepanzen allein schon auf der Ebene eines Bundesländervergleichs verdeutlichen, wenn man sich die Streuung der Personalschlüssel in den Kitas anschaut – es handelt sich hierbei, damit keine Missverständnisse auftauchen, die nicht um die tatsächliche Fachkraft-Kind-Relation, die ist ausgehend von den hier zitierten Werten noch schlechter, weil es sich nur um eine statistische Größe handelt, wie viele ganztags betreute Kinder auf eine Ganztagsfachkraft rechnerisch kommen, wohl wissend, dass die auch mal krank sein kann oder im Urlaub ist. Schaut man sich vor diesem Hintergrund die Bundesländerwerte an, dann fällt die erhebliche Streuung zwischen den Ländern auf. Nehmen wir einmal nur die klassischen Krippengruppen, also für Kinder unter drei Jahren. Dann liegt der 2013 vom Statistischen Bundesamt in der Studie „Der Personalschlüssel in Kindertageseinrichtungen. Aktuelle Ergebnisse auf Basis neuer Berechnungsgrundlagen 2012“ veröffentlichte beste Wert in Bremen bei 1 zu 3,2 Kinder, während der schlechteste Wert von Sachsen-Anhalt mit 1 zu 6,9 Kindern unter drei Jahre erreicht wird. Das bedeutet, der Personalschlüssel im Osten ist mehr als doppelt so schlecht wie in Bremen. Und wenn man jetzt weiß, dass auch der Spitzenwert in Bremen nicht den Wert erreicht, der in der frühpädagogischen Fachdiskussion als aus fachlichen Gründen geboten angesehen wird, dann kann man schnell erkennen, welche hoch problematischen Verhältnisse wir hier bei uns in Deutschland haben.

Auch Österreich ist mit dieser Problematik konfrontiert – nur sind es dort nicht 16, sondern „nur“ neun Bundesländer, was aber völlig ausreicht, um einen echten föderalen Flickenteppich hinzulegen. Darüber und vor allem über die Unterausstattung mit Personal berichtet eine neue Studie, die von der Arbeiterkammer Wien in Auftrag gegeben und nunmehr veröffentlicht wurde:

Stephanie Klamert, Marion Hackl, Caterina Hannes, Winfried Moser: Rechtliche Rahmenbedingungen für elementarpädagogische Einrichtungen im internationalen Vergleich. Eine Studie des Instituts für Kinderrechte und Elternbildung im Auftrag der der Arbeiterkammer Wien, Wien 2013

Gudrun Springer berichtet in ihrem Artikel „Kinderbetreuung: Neun Länder, neun Konzepte“ von einigen Befunden der Studie:

  • Beim Betreuungsschlüssel zeigt sich, dass im Österreich-Schnitt auf eine Fach- oder Hilfskraft 13 Kinder kommen. Rechnet man nur die Zahl der Kindergartenpädagoginnen, liegt der Schlüssel bei 1:24 – weit weg von der Empfehlung des Network on Childcare, wonach eine Betreuungskraft auf maximal 15 Kinder schauen soll (in Finnland beaufsichtigt eine Fachkraft sieben Kinder).
  • Die vorgeschriebene Gruppengröße liegt zwischen maximal 20 Kindern in Tirol und 25 in Wien, Kärnten, Niederösterreich, Burgenland und der Steiermark.
  • Für das unterstützende Personal ist laut Studie in Wien, Salzburg, Tirol und Vorarlberg gar keine Ausbildung gesetzlich festgeschrieben. Dabei arbeiten Kindergartenhelferinnen laut Karin Samer von den Wiener Kinderfreunden stark betreuend mit, denn: „Der Fachkräftemangel wäre nicht ohne Assistentinnen abzufangen.“ Österreich bräuchte demnach mindestens 900 zusätzliche Kindergartenpädagogen.
  • Der Besuch des Kindergartens ist in allen Bundesländern … im Jahr vor der Schulpflicht gratis (20 Stunden). Darüber hinaus sind die Regelungen für Elternbeiträge laut Studie „äußerst heterogen“ und daher nur bedingt vergleichbar.

Eine Zusammenfassung der Studienergebnisse sowie die daraus abgeleiteten politischen Forderungen hat die Arbeiterkammer Wien gemeinsam mit einigen Gewerkschaften auf einer Pressekonferenz unter dem Titel „Mehr Qualität in der Kinderbetreuung. Internationaler Vergleich, Erfahrungen aus der Praxis und politische Forderungen“ veröffentlicht. Und die Forderungen (S. 7) sind konkret formuliert und zugleich hilfreich für die gleiche Debatte, die auch hier in Deutschland notwendig ist:

  • Qualitätsstandards österreichweit: Stufenplan für die Vereinheitlichung mit dem Ziel einer bundeseinheitlichen gesetzliche Regelung von Mindeststandards (Gruppengrößen, Betreuungsschlüssel, Vorbereitungszeit, etc.) 
  • Einheitliche Ausbildungsstandards für das unterstützende Personal: Das unterstützende Personal ist in Österreich unverzichtbar in der Betreuung der Kinder. Ohne diese KollegInnen würde Österreich keine internationale Empfehlung zum Betreuungsschlüssel erreichen. Daher sind auch Ausbildung und die Berufsbezeichnung entsprechend österreichweit einheitlich zu sichern.
  • Hochschul-Ausbildung für PädagogInnen: Die Ausbildung von PädagogInnen auf Hochschulniveau soll auf den Weg gebracht werden. Vom Kinderhilfswerk UNICEF gibt es die Empfehlung, dass zumindest die Hälfte der PädagogInnen über eine Hochschulausbildung verfügen soll.
  • Finanzielle Rückendeckung für Gemeinden: Diese sollen künftig Zuschüsse nach der Zahl der betreuten Kinder erhalten, was bedeutet: je besser das Betreuungsangebot, desto mehr Geld (Stichwort aufgabenorientierter Finanzausgleich).
  • Kollektivvertrag: Für den privaten Bereich soll es einen Kollektivvertrag für alle Bundesländer geben.

In Deutschland muss es in den kommenden Monaten darum gehen, das von der Noch-Bundesfamilienministerin Schröder bereits im Sommer in Aussicht gestellte „Bundesqualitätsgesetz“ für den Bereich der Kindertagesbetreuung mit Leben zu füllen. Über dieses Gesetz sollten endlich im SGB VIII konkrete Personalstandards festgeschrieben werden, die bislang vollständig fehlen. Ein möglicher Ansatz wäre, dass man im Kinder- und Jugendhilfegesetz Mindestpersonalstandards normiert, die sich orientieren an den derzeit besten Personalschlüsseln, die wir in den westlichen Bundesländern haben. Auf dieser Grundlage wären dann alle Bundesländer verpflichtet, in einem zu definierenden Zeitrahmen diese Werte in ihren Einrichtungen sicherzustellen. Natürlich Würde eine solche Regelung bedeuten, dass der Bund sich aufgrund der Konnexität s Regeln an der Finanzierung der laufenden Betriebskosten der Kindertageseinrichtung unter Tagespflege anteilig beteiligen müsste. Aber genau das ist schon seit langem überfällig und unbedingt erforderlich, um das derzeit vorhandene krasse Missverhältnis in der Kosten-Nutzen-Architektur zuungunsten der Kommunen und zugunsten des Bundes und der Sozialversicherungen abzumildern.

Konkretere Vorschläge mit Blick auf eine Umsetzung der seit langem geforderten anteiligen Bundesfinanzierung über einen „KiTa-Fonds“ habe ich vor kurzem in einem Diskussionspapier veröffentlicht:

Stefan Sell: Die Finanzierung der Kindertagesbetreuung vom Kopf auf die Füße stellen. Das Modell eines „KiTa-Fonds“ zur Verringerung der erheblichen Unter- und Fehlfinanzierung der Kindertagesbetreuung in Deutschland, Berlin, Oktober 2013

Kindertagesbetreuung – war da nicht mal was? Ja – und da sind weiterhin viele Baustellen. Und Baustellen kosten bekanntlich Geld. Also wird es Zeit, über Geld zu reden. Und nicht nur über zu wenig Geld

Es ist eine alte Binsenweisheit, dass die Berichterstattung in den Medien dem Regelwerk einer immer komplexer werdenden Aufmerksamkeitsökonomie folgt. Exemplarisch kann man das beobachten am Themenfeld Kinderbetreuung (und für ein Beispiel aus einem anderen Handlungsfeld vgl. den Artikel „Die Toten von Lampedusa sind schon wieder weit weg„). Bis zum 1. August dieses Jahres gab es eine intensive und sehr kontroverse Debatte über den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für die Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr. Diese Debatte nahm wie so oft partiell hysterische Züge an und aufgrund der inneren Systemlogik musste das Thema immer weiter zugespitzt und damit auch verengt werden. Verengt wurde die Debatte nicht nur auf die – für viele Familien – völlig lebenswirklichkeitsfremde Frage Familie oder Kita-Betreuung, sondern vor dem magischen Datum des 1. August immer stärker auf die Frage Betreuungsplatz da oder nicht da. Immer wieder wurde hin und her ventiliert, ob eine große Klagewelle die Kommunen überfluten wird. Und man konnte noch so oft ausführen, dass das nicht zu erwarten sei, auch wenn es weiterhin reale Probleme bei der Realisierung eines Kita-Platzes gibt, sondern weil die meisten Familien die Probleme einer Nicht-Versorgung so regeln, wie sie die meisten ihrer anderen Probleme regeln, nämlich irgendwie alleine mit der Mangelsituation fertig zu werden versuchen. Immer stärker wurde der Fokus der medialen Aufmerksamkeit ausgerichtet auf die „Stunde Null“-Erwartung eines großen Desasters. Und als dieses dann – scheinbar – ausblieb, ebbte die Zugewandtheit dem Themenfeld schnell wieder ab und man beschäftigte sich mit anderen Aktualitäten.

Geblieben sind viele eröffnete und teilweise liegen gebliebene Baustellen. Und damit ist an dieser Stelle nicht nur die Frage der quantitativen Bedarfsdeckung mit irgendeiner Kinderbetreuung gemeint, sondern vor allem Fragen der Qualität dessen, was denn da eigentlich (nicht) gemacht wird mit den vielen kleinen Kindern in mehr als 50.000 Kindertageseinrichtungen und bei den mehreren zehntausend Kindertagespflegepersonen, die sich in diesem Land um mehr als drei Millionen Kinder tagaus tagein zu kümmern haben.

Und nachdem der große Strom der Aufmerksamkeit weitergeflossen ist, kommen nunmehr nur noch hin und wieder Bruchstücke der tatsächlichen Problemlagen an die Oberfläche der medialen Berichterstattung. Die man finden kann, wenn man sie sucht. Um nur ein Beispiel zu zitieren, sei an dieser Stelle auf den Artikel „Erzieherinnen fühlen sich überlastet und im Stich gelassen“ hingewiesen, der in der Online-Ausgabe der WAZ veröffentlicht wurde: »Doch während alle über Quantität sprachen, hat niemand auf die Qualität geachtet.« Wohl wahr und von vielen, die sich in diesem so wichtigen und sensiblen Arbeitsfeld auskennen, immer wieder angemahnt. Berichtet wird aus Dortmund und der lapidar daherkommende Satz – „Während der Personalschlüssel gleich blieb, wurden die Gruppenstärken erhöht“ – wird mit Frontberichterstattung illustriert. Silke Hoock lässt das plastisch werden am Beispiel einer Gruppe eines Familienzentrums im Dortmunder Norden:

»20 Mädchen und Jungen, die zwischen drei und sechs Jahre alt sind, haben bereits Diagnosen oder/und kommen aus schwierigen familiären Verhältnissen: Vier Kinder werden vom Jugendhilfedienst betreut, weil sich die Eltern nicht angemessen kümmern können. Ein Kind ist behindert, also ein Integrationskind. Vier sind Migranten, sieben wachsen bei nur einem Elternteil auf, sieben benötigen Logopädie, vier Ergotherapie und ein Kind muss psycho-motorisch gefördert werden. Betreut werden sie von einer Erzieherin, einer Pflegerin und einer 30-Stunden-Kraft. Urlaub, Krankheit und Fortbildung machen aus diesem Dreier-, mehrheitlich ein Zweier-Team. Nachmittags ändert sich die Gruppenstruktur. Dann kommen noch unter Dreijährige mit Wickelbedarf dazu. Noch Fragen?«

Eine Erzieherin wird zitiert mit den Worten: „Manchmal hast du zwei Kinder auf dem Arm, eines am Bein und dann führst du noch ein Elterngespräch“. Auch das bedarf keiner Kommentierung. Dabei sind die Forderungen der Betroffenen keineswegs auch nur in der Nähe der Übertreibung: »Insgesamt wünschen sich die Erzieherinnen eine Aufwertung ihres Berufs. Auch mehr Anerkennung. Sie fordern eine bessere Bezahlung, bessere Fortbildung, feste Pausen (manchmal besteht die aus einem Toilettengang) und vor allem: mehr Personal oder kleinere Gruppen. Und sie wünschen sich für manche Einrichtung Wickeltische.« Also um das hier klar zu stellen – sie wünschen sich Wickeltische für Kindertageseinrichtungen, die unter dreijährige Kinder aufgenommen haben. Die werden dann am Boden gewickelt. Das sollten manche Entscheidungsträger mal machen. Aber das ist nur ein Beispiel von ganz vielen Beispielen. Deswegen springen wir jetzt auf eine andere Ebene und werfen die Frage auf, woran das liegt und vor allem, was man dagegen machen könnte, wenn man denn wollte. Es geht neben der weiter bestehenden und übrigens anwachsenden Aufgabe, genügend Betreuungsangebote zu schaffen und auf Dauer zu ermöglichen (also die quantitative Dimension) auch und vor allem angesichts der Tatsache, dass wir hier über sehr kleine Kinder sprechen, um die Ermöglichung der konkreten Arbeit in den Tageseinrichtungen und in der Tagespflege (also die qualitative Dimension).

Es geht damit natürlich auch um Geld. Um viel Geld, wenn man bedenkt, dass im Jahr 2011 mehr als 17 Mrd. Euro netto von der öffentlichen Hand für die Kindertagesbetreuung ausgegeben worden sind. Auf der einen Seite ist das erst einmal viel Geld, auf der anderen Seite ist es noch viel zu wenig Geld, um die Arbeit vor allem hinsichtlich dessen, was seit Jahren diskutiert wird mit Blick auf Personalschlüssel, Fachkraft-Kind-Relation oder Außengelände, ausreichend finanzieren zu können. Das führt uns zu dem ersten Problempunkt der bestehenden Finanzierungssystematik: Wir sind konfrontiert mit einer erheblichen Unterfinanzierung des Systems.

Wenn man die Vorgabe der OECD von vor vielen Jahren kennt, dass mindestens ein Prozent des BIP in den Bereich der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung investiert werden sollte (was in skandinavischen Ländern und in Frankreich erreicht wird, mithin also nicht eine „Wünsch-dir-was“-Zahl darstellt, dann müssten neben den bereits genannten 17,3 Milliarden Euro zusätzliche 9 Milliarden Euro in das System hinein gegeben werden, um eine finanzielle Ausstattung gewährleisten zu können, mit der sich eine qualitativ hochwertige Kindertagesbetreuung realisieren ließe. Das wäre an sich schon ein gewaltiger Kraftakt der vor uns liegenden Jahre.

Hinzu kommt nun ein zweiter Problempunkt: Die Fehlfinanzierung der Kindertagesbetreuung in Deutschland. Dazu muss man vorwegschicken, dass es in Deutschland in den Bundesländern 16 verschiedene Kita-Finanzierungsysteme gibt, die sich teilweise erheblich voneinander unterscheiden. Aber über alle Bundesländer hinweg kann man sagen, dass der Anteil der Kommunen an den öffentlichen Netto-Ausgaben der Kindertagesbetreuung mit Blick auf die Regelfinanzierung der Einrichtungen und der Tagespflege gut 60 % beträgt, während der Anteil der Bundesländer bei knapp 40 % liegt – im Durchschnitt über alle Bundesländer wohlgemerkt, mit einer großen Streuung. Der Bund ist bislang vor allem anteilig beteiligt an den Ausbaukosten im Kontext des neuen Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr und ab dem kommenden Jahr mit mehr als 900 Mio. Euro Beteiligung an den Betriebskosten der Kindertagesbetreuung, die aber nicht direkt an die Einrichtungen weitergereicht werden, sondern in Form der Neu-Aufteilung der Umsatzsteuerpunkte zwischen Bund und Ländern den Ländern zur Verfügung gestellt werden – in der Hoffnung, sie werden es auch zweckbestimmt verwenden. Die eigentliche Fehlfinanzierung ist nun aber darin zu sehen, »dass es … um die Tatsache (geht), dass die derzeit gegebene Finanzierung in den meisten Bundesländern dazu führt, dass die Ebene am stärksten belastet wird, die rein monetär gesehen den relativ geringsten Nutzen aus der Kindertagesbetreuung zieht, während die Ebenen, bei denen volkswirtschaftlich und auch fiskalisch gesehen die größten in Geld messbaren Nutzen-Anteile anfallen, nicht oder nur in einem geringen Ausmaß an der Regelfinanzierung der Kindertageseinrichtungen sowie der Kindertagespflege beteiligt sind.« Anders formuliert: Die Kommunen müssen die Hauptlast der Kita-Finanzierung tragen, während große Teile des aus diesem Angebot generierten Nutzens auf der Ebene des Bundes und der Sozialversicherungen anfallen.

Wie kann man diese Grundprobleme  lösen? Dazu habe ich am 24. Oktober 2013 vor der Bundespressekonferenz in Berlin gemeinsam mit dem Bundesvorsitzenden der AWO, Wolfgang Stadler, einen Reformvorschlag vorgelegt und zur Diskussion gestellt: Ich plädiere für die Einrichtung eines „KiTa-Fonds“, über den der Bund seinen Finanzierungsanteil (für sich und die Ebene der Sozialversicherungen) als Zuschuss an die regionalen „KiTa-Fonds“ auf die Ebene der Bundesländer weiterreicht, die dann zusammen mit den Anteil des jeweiligen Bundeslandes einen Betrag je Kind ergeben, der dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe helfen würde – denn die Kommunen werden in dem hier  vorgeschlagenen Modell ganz erheblich entlastet. Die Letztverantwortung bleibt bei den Kommunen, die bekommen aus dem „KiTa-Fonds“ einen deutlich größeren Anteil der laufenden Kosten erstattet und müssen die Restfinanzierung vor Ort sicherstellen aus ihren anteiligen Mitteln. Dabei haben sie die Möglichkeit, vor Ort eigene Schwerpunkte zu setzen, beispielsweise Kindertageseinrichtungen, die Zusatzaufgaben als Familienzentrum übernehmen, finanziell besser auszustatten. Eine stärkere Bundesbeteiligung an den Kosten der Kindertagesbetreuung ist auch deshalb unbedingt erforderlich, weil die – auch dringend notwendige – Absicht besteht, ein „Bundesqualitätsgesetz“ zu entwickeln, mit dem z.B. Mindeststandards bei den Personalschlüsseln im Gesetz, also im SGB VIII, verankert werden sollen. Wenn aber der Bund auf der Ebene eines Bundesgesetzes detaillierte Vorgaben machen würde, was er durchaus darf, dann stellt sich natürlich automatisch die Frage der Finanzierung der Konsequenzen.

Den Modellvorschlag eines „KiTa-Fonds“ findet man hier genauer dargestellt:

Stefan Sell: Die Finanzierung der Kindertagesbetreuung vom Kopf auf die Füße stellen. Das Modell eines „KiTa-Fonds“ zur Verringerung der erheblichen Unter- und Fehlfinanzierung der Kindertagesbetreuung in Deutschland, Berlin 2013