Mit der Lebenswirklichkeit ist das so eine Sache. Zur Forderung der Bundesagentur für Arbeit, die Kita-Öffnungszeiten an diese anzupassen.

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) sorgt sich um den Arbeitsmarkt. Und hin und wieder meldet sie sich mit konkreten Vorschlägen zu Wort. Anlässlich der Veröffentlichung des Berichts Der Arbeitsmarkt in Deutschland – Fachkräfte in der Kinderbetreuung und -erziehung hat die BA in einer Pressemitteilung unter der Überschrift Kita-Betreuungszeiten an die Lebenswirklichkeit anpassen offensichtlich ihr Herz für Alleinerziehende entdeckt. Und was man zu lesen bekommt, hört sich erst einmal gut an: „Die oft starren Betreuungszeiten in Kitas passen nicht zur heutigen Lebens- und Arbeitswelt. Wir brauchen mehr Absicherung der Betreuung in Randzeiten und an Wochenenden. Nur so können wir Arbeitskräftepotenziale insbesondere unter den Alleinerziehenden aktivieren“, appelliert Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der BA. Nun wird der eine oder die andere eine gewisse Distanz an den Tag legen angesichts des technokratisch daherkommenden Vokabulars des Herrn Alt – Alleinerziehende als „Arbeitskräftepotenzial“, das es zu „aktivieren“ gilt. Na ja. Aber wir wollen uns nicht in einer semantischen Kritik verlieren, sondern den konkret daherkommenden Vorschlag der obersten Arbeitslosenverwalter einmal genauer unter die Lupe nehmen unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es eben nicht nur eine Lebenswirklichkeit gibt, sondern ganz unterschiedliche. Beispielsweise die in den Kindertageseinrichtungen und in der Kindertagespflege, die hier offensichtlich zum Objekt einer bestimmten Begierde geworden sind.

Ganz offensichtlich verfolgt die Bundesagentur für Arbeit eine gezielte Strategie und belässt es nicht nur bei einer allgemeinen Aufforderung nach irgendwie mehr Betreuung. Das wird deutlich, wenn man sich die weiteren Ausführungen vor Augen führt:

»Länder und Kommunen könnten sich intensiver mit der Qualifizierung und Vermittlung von Tagesmüttern und Tagesvätern auseinandersetzen. Durch eine enge Verzahnung der jeweiligen Betreuungsangebote werden so Betreuungslücken geschlossen und bedarfsgerechte Angebote insbesondere zu Randzeiten bereitgehalten.
Als potenzielle Fachkräfte in der Kindererziehung sollten insbesondere Menschen in den Blick genommen werden, die im Wege einer Umschulung in den Erzieherberuf wechseln wollen. Um sie gezielt zu unterstützen, sollten alle Bundesländer verkürzte, zweijährige Ausbildungsgänge anbieten. Vorhandene Berufserfahrung muss bei einer Umschulung Berücksichtigung finden. Mit der verkürzten Ausbildung kann eine vollumfängliche Förderung durch die Bundesagentur für Arbeit gesichert werden.
„Es gibt ein großes Reservoir an motivierten Arbeitsuchenden, für die eine Qualifizierung im Erzieherberuf in Frage kommt. Wir haben derzeit leider nicht überall genügend Ausbildungskapazitäten. Außerdem klemmt es noch bei der Zertifizierung staatlicher Schulen und der erforderlichen Ko-Finanzierung durch die Länder.«

Man kann das auch so übersetzen: Die Zielsetzung ist eine „Mobilisierung“ der Kindertagespflege für die so genannte „Randzeitenbetreuung“, ein immer wieder gerne geäußerter Gedanke in der instrumentalisierenden Debatte über die Kindertagespflege. Man muss sich das so vorstellen, dass die Kinder der Arbeitskräfte, die beispielsweise durch die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten bis in die Abendstunden tätig sein müssen, in der Kita oder außerhalb der Kita von Kindertagespflegepersonen betreut werden sollen.  Die Rekrutierung zusätzlicher Kindertagespflegepersonen sollen von den Ländern und Gemeinden organisiert werden. Außerdem wird ganz offensichtlich der Bedarf an zusätzlichen Fachkräften im Bereich der Kindertageseinrichtungen gesehen, hier in Gestalt der Erzieher bzw. Erzieherinnen. Zusätzliche Kräfte für diesen Bereich sollen über den Weg der Umschulung gewonnen werden – hier gibt es allerdings ganz offensichtlich zwei zentrale Probleme und die Bundesagentur möchte die in einem Abwasch erledigen: Zum einen ist die Ausbildung zum Erzieher eine dreijährige fachschulische Ausbildung, während Umschulungen in der Regel maximal zwei Jahre gefördert werden dürfen.  Die BA fordert nun eine generelle Verkürzung der Umschulung zur Erzieherin auf zwei Jahre, die dann auch von ihr auf den förderungswürdig gestaltet werden können. Dafür sind natürlich entsprechende Ausbildungskapazitäten notwendig, die wiederum von den Ländern zu schaffen wären. Und von diesen natürlich auch finanziert werden müssten.

Was ist von diesen Vorschlägen zu halten? Das hört sich doch alles erst einmal ganz vernünftig an und offensichtlich gibt es einen erheblichen Bedarf an Arbeitskräften in diesem Bereich, nicht nur hinsichtlich einer Ausweitung von Betreuungszeiten, sondern bereits im bestehenden System, vor allem natürlich im Zusammenhang mit der Einführung eines Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr seit dem 1. August 2013.

Genau hier stoßen wir auf eine andere Lebenswirklichkeit, deren Berücksichtigung zu einer skeptischen Einschätzung der Vorschläge überleitet. Nachdem die öffentliche Aufmerksamkeit für den gesamten Bereich der Kindertagesbetreuung nach dem Inkrafttreten des Rechtsanspruchs im vergangenen Jahr und der (scheinbar) ohne große Probleme erfolgten Realisierung des Rechtsanspruchs stark abgenommen hat, muss man in aller Deutlichkeit darauf hinweisen, dass die Verhältnisse im bestehenden System bereits teilweise skandalös sind. Vereinfacht gesagt, um nur einen, allerdings ganz zentralen Aspekt herauszugreifen: Betrachtet man beispielsweise die Personalschlüssel und die aus ihnen abgeleitete Fachkraft-Kind-Relation, dann muss man über alle Bundesländer – bei einer erheblichen Streuung zwischen diesen – zu dem Ergebnis kommen, dass die derzeitige Personalausstattung mindestens um ein Drittel zu schlecht ist gegenüber dem, was in der fachwissenschaftlichen Diskussion für erforderlich gehalten wird. Dies ist besonders deshalb dramatisch, weil der neue Rechtsanspruch und auch die tatsächliche Inanspruchnahme sich auf Kinder bezieht, die unter drei Jahre alt sind und damit in einem Alter, in dem sie extrem vulnerabel sind gegenüber der Betreuungssituation, in der sie sich befinden (müssen).

Gleichzeitig sind wir mit dem Problem konfrontiert, dass es im Bereich der Kindertageseinrichtungen keine sachlogisch fundierten, sondern lediglich historisch zu verstehende Personal-Standards gibt, die dazu führen, dass angesichts immer jüngere Kinder, die zugleich auch immer länger in den Einrichtungen verbleiben, das Personal einer systematischen Überforderung ausgesetzt wird. Gerade die Befürworter eines Ausbaus der Kindertagesbetreuung weisen seit Jahren immer wieder und in letzter Zeit zunehmend aggressiver darauf hin, dass wir uns in vielen Einrichtungen aufgrund der faktischen Rahmenbedingungen im Bereich der Kindeswohlgefährdung bewegen. Nicht zu vergessen ist die Tatsache, dass spätestens seit der Rezeption der Pisa-Befunde in Deutschland eine bildungspolitische Aufladung der Kitas stattgefunden hat, die sich in zahlreichen Bildungsplänen niedergeschlagen hat und die – eigentlich – in der täglichen Arbeit umgesetzt werden müssen.

Parallel dazu ist die Erwartungshaltung, was Bildungsangebote angeht, bei einem Teil der Eltern erheblich angestiegen. In dieser Gemengelage ist es offensichtlich, dass das oberste Ziel in dieser Zeit in einer Verbesserung der bestehenden Strukturen bestehen muss. Anders gesagt: Sollte zusätzliches Personal qualifiziert werden können, dann benötigt man dieses derzeit und auf absehbare Zeit, um im Kontext der bestehenden Angebote die Qualität so weit zu entwickeln und sicherzustellen, dass wir aus dem unmittelbaren Gefahrenfeld der Kindeswohlgefährdung herauskommen können. Sollte man aber in dieser Situation möglicherweise zur Verfügung stehendes zusätzliches Personal dafür verwenden wollen, die Öffnungszeiten der Einrichtung noch weiter als bislang schon auszuweiten, dann wird das nicht nur die eigentlich erforderliche Qualitätsentwicklung abbremsen, sondern es würde die Situation noch zusätzlich verschärfen. Man kann sich dies an folgendem Zusammenhang deutlich machen: Die meisten Kindertageseinrichtungen sind betriebswirtschaftlich gesehen „Klitschen“, das bedeutet, dass in diesen Kleinbetrieben weniger als zehn Beschäftigte tätig sind.

Viele der Erzieherinnen arbeiten heute in Teilzeit, ihr Anteil hat in den vergangenen Jahren kontinuierlich zugenommen. Schon die in den letzten Jahren stattgefunden Verlängerung der Öffnungszeiten hat zu einer betriebswirtschaftlich problematischen Entkopplung von Öffnungszeiten der Einrichtungen und der Betreuungszeiten auf Seiten des Personals geführt, mit der nicht zu vermeidenden Konsequenz von Personalwechseln im Laufe eines Tages. Dies mag für fünf- oder sechsjährige Kinder  kein Problem sein, ganz anders stellt sich die Situation allerdings bei den sehr jungen Kindern dar, also den ein-oder zweijährigen Kindern, die sich zunehmend in den Einrichtungen befinden. Die Stellen ganz andere Anforderungen, nicht nur hinsichtlich der pflegerischen Arbeiten, sondern auch hinsichtlich dessen, was in der Fachdiskussion beispielsweise unter der Begrifflichkeit der „Bezugserzieherin“ diskutiert wird.

Aber auch die – bereits in der Vergangenheit immer wieder gerne vorgeschlagene – Instrumentalisierung der Kindertagespflegepersonen für die so genannte „Randzeitenbetreuung“ geht an der Lebenswirklichkeit in diesem Bereich weitgehend vorbei.Unabhängig von der Tatsache, dass viele Kindertagespflege Personen derzeit um das Überleben kämpfen, weil einerseits Nachfrage nach ihren Leistungen weggebrochen ist aufgrund des Ausbaus an Kita-Plätzen für unter dreijährige Kinder und andererseits die Vergütung seitens der öffentlichen Hand immer noch sehr niedrig angesiedelt ist, würde eine Umsetzung des Randzeiten-Betreuungskonzepts erhebliche Mittel erfordern, denn bereits die gegenwärtig ganz überwiegend als viel zu niedrig kritisierte Vergütung der Kindertagespflege Personen geht aus von dem Modell einer achtstündigen Betreuung über den Tag, und dass im Regelfall mit bis zu fünf Kindern. Wenn nun die Tagespflegeperson die Randzeitenbetreuung einzelner Kinder in den Abendstunden, in denen die Mütter arbeiten gehen müssen, übernehmen sollen, dann müsste man logischerweise für diese Stunden ganz erhebliche Beträge aufbringen, damit die betroffene Tagespflegeperson überhaupt in die Nähe einer Perspektive, von diesem Geld leben zu können, kommen können.

Dies nun wieder verweist auf das grundlegende Finanzierungsdilemma, mit dem wir im System der Kindertagesbetreuung konfrontiert sind. Auch hier wieder vereinfachend gesagt: Der Hauptkostenträger in diesem Feld sind die Kommunen und dann mit Abstand die Bundesländer. Der Bund ist erst seit einigen Jahren an den investiven Ausbaukosten im Vorfeld der Einführung eines Rechtsanspruchs mit eigenen Mitteln beteiligt und seit 2014 mit einem – allerdings völlig zu niedrigen – Betrag für die anteilige Finanzierung der Betriebskosten, allerdings auf dem leider sehr intransparenten Weg einer Veränderung der Steuerverteilung zwischen Bund und Ländern, so dass gar nicht sichergestellt sein kann, dass die – wie bereits erwähnt: völlig unterdimensionierten – Geldmittel des Bundes auch wirklich in diesem Bereich ankommen und nicht vorher für andere Zwecke abgezweigt worden sind.

Silke Hock zitiert mich in ihrem Artikel Arbeitsagentur fordert flexiblere Öffnungszeiten für Kitas mit folgenden Worten:

»Als … „nicht finanzierbar“ wertet Sozialwissenschaftler Stefan Sell den Vorstoß der BA. „Schon jetzt gibt es Qualitätsprobleme. Außerdem steuern wir auf einen Fachkräftemangel zu.“ Nach Angaben Sells, Professor für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Sozialwissenschaften am Rhein-Ahr-Campus Remagen, bedeuten erweiterte Öffnungszeiten einen erheblichen Personalbedarf.
Zudem hätten Erhebungen ergeben, dass die Betreuung bis 20 Uhr zwar gefordert, aber in der Praxis nur von drei bis vier Eltern nachgefragt werde. Selbst für diese Mini-Gruppen müsse jede Kita zwei Fachkräfte abstellen. „Wer soll das bezahlen? Ich fürchte, dass wir nur noch auf die Quantität statt auf die Qualität schauen“, sagt Sell.«

Auch wenn man sich viel mehr und ganz anderes vorstellen kann und möchte, in der jetzigen Situation ist es von entscheidender Bedeutung, das schon extrem angespannte System nicht weiter zu überladen mit neuen Aufgaben und ressourcenfressenden Aktivitäten. Oder anders gesagt: Bitte jetzt nicht den dritten vor dem zweiten Schritt machen.

Was haben IT-Mitarbeiter, Ingenieure, Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst und Erzieher/innen gemeinsam? Sie sind potenziell reif für die kommunale Arbeitsmarktzulage. Nicht nur in München

Eigentlich ist es doch ganz einfach … wenn man einen Beitrag so beginnt, dann wird es schwierig, sonst müsste man nicht zum „eigentlich“ greifen.
Nehmen wir mal als Beispiel den real existierenden und teilweise immer heftiger werdenden Fachkräftemangel bei den pädagogischen Fachkräften, die in Kindertageseinrichtungen bilden, betreuen und erziehen sollen. Und das mit immer mehr und immer jüngeren Kindern aus tendenziell immer „schwierigeren“ Familienverhältnissen. Nun ist das nicht flächendeckend so, aber es gibt doch gerade in den Städten immer öfter mehr als Hinweise, dass man das dort aufgrund der auch noch überdurchschnittlich hohen Nachfrage erforderliche Personal nicht mehr in der notwendigen Quantität gewinnen kann (dem aufmerksamen Leser wird an dieser Stelle bereits aufgefallen sein, dass wir noch gar nicht von Qualität gesprochen haben und das auch nicht tun werden, denn die Quantität ist schon problematisch genug). Das gilt für eine Stadt wie München erst recht, denn hier prosperiert die Wirtschaft, die Leute haben Arbeit, brauchen dann auch Kinderbetreuung und es kommen gerade junge Menschen Jahr für Jahr in diese Stadt – also alles zusammen genommen gleichsam ideale Voraussetzungen für die, die Kindertageseinrichtungen oder Kindertagespflege betreiben. Wofür man nun wieder Personal braucht, das aber gerade in einer solchen Stadt auch deshalb so vermisst wird, weil sie richtig teuer ist, wenn man dort lebt oder leben soll, vor allem für die Menschen, die nur über niedrige und auch ganz normale Einkommen verfügen.

Und schon sind wir wieder bei dem „Eigentlich ist es doch ganz einfach“ vom Anfang dieses Beitrags. Denn eigentlich gibt es ein paar Grundgesetze der Ökonomie, die relativ simpel daherkommen und gleichzeitig gerade aufgrund ihrer Schlichtheit zudem eine generelle Hilfestellung geben können für die Einordnung und Bewertung des großen Geredes vom angeblichen, aber eben auch tatsächlichen „Fachkräftemangel“ (vgl. zu diesem höchst strittigen Thema allgemein die Übersicht von Nina Neubecker: Die Debatte über den Fachkräftemangel, 2014).
Folgt man den basalen Regeln von Angebot und Nachfrage, die sich auf Märkten, z.B. auf dem Arbeitsmarkt, treffen und denkt man an die Preisbildung, über die „im Normalfall“ Angebot und Nachfrage ausgeglichen werden (sollen), dann liegt es auf der Hand, dass dann, wenn das Arbeitsangebot knapp ist oder gar nicht mehr vorhanden ist für die Besetzung von auf der anderen Seite immer mehr werdenden offenen Stellen, der Preis für das Angebot steigen muss, was auf dem Arbeitsmarkt der Lohn ist. Auch wenn mittlerweile eine erhebliche Erschütterung der sich teilweise verselbständigten Berichte über einen massiven Fachkräftemangel eingetreten ist durch kritische Stellungnahmen und jetzt auch zunehmend durch Berichte in den Medien, die ein anderes Bild zeichnen (vgl. hierzu exemplarisch die allerdings teilweise arg einseitige ARD-Reportage Der Arbeitsmarktreport – das Märchen vom Fachkräftemangel vom 21.07.2014).

Nun könnte man auf den durchaus naheliegenden Gedanken kommen, dass man wohl kaum von einem eindeutigen Fachkräftemangel sprechen kann, wenn sich bei den Löhnen nichts tut, wenn vielleicht sogar die Arbeitsbedingungen noch schlechter werden, als sie es schon sind. Wenn man sich auf dieses Bewertungskriterium stützt, dann müsste man auch für die Bereiche Pflege und eben auch Bildung und Betreuung von kleinen Kindern Entwarnung signalisieren müssen, denn dort hat sich nicht viel getan bei der Vergütung der hier arbeitenden Menschen.

Aber wie so oft im Leben – so einfach ist es dann auch nicht. Denn die Arbeit der Erzieher/innen hängt fast ausschließlich am Infusionstropf des Staates, wenn wir von den Elternbeiträgen und den Trägeranteilen absehen. Ökonomen sprechen hier von so genannten „administrierten Preisen“, die eben nicht (nur bzw. sehr eingeschränkt) der normalen Marktlogik folgen (können). Das gleiche Problem sehen wir in der Pflege. Auch wenn ein Betreiber eines Altenheims oder eines ambulanten Pflegedienstes aufgrund der Tatsache, dass er kein Personal mehr findet, die Gehälter um 10% anheben möchte, dann wird er erhebliche Schwierigkeiten bekommen, das auch zu machen, denn die Refinanzierung hängt im Wesentlichen an der Pflegekasse und den mit dieser vereinbarten Pflegesätze. Diese werden aus Budgetgründen der Kasse oftmals aber nur maximal um die Steigerungsrate der Grundlohnsumme, aus der sich die Beiträge zur Pflegeversicherung speisen, angepasst. Bei dieser Konstellation können dann schon ganz normale Tariflohnsteigerungen zu einem echten Problem werden, da die Anbieter der Leistung nicht oder nur begrenzt in der Lage ist, die gestiegenen Kosten auf den Endabnehmer zu überwälzen. Vergleichbar ist die Lage im Bereich der Kindertageseinrichtungen.

Aber an der Frontspitze des real existierenden Fachkräftemangels gibt es Bewegung. Die Stadt München ist vorgeprescht: »Es war eine seiner ersten Amtshandlungen: Münchens OB Reiter hat mitgeteilt, das Kita-Personal der städtischen Einrichtungen besser zu bezahlen«, berichtet Melanie Staudinger in ihrem Artikel Erzieher-Bonus weckt Begehrlichkeiten. Der neue Oberbürgermeister will das mit Hilfe der Arbeitsmarktzulage erreichen, die in Berufen mit Fachkräftemangel gewährt werden kann. Diesem Ansinnen hat der Kommunale Arbeitgeberverband Bayern (KAV) jetzt zugestimmt. Kommunen können ihren Mitarbeitern unter bestimmten Voraussetzungen nun mehr zahlen, als der Tarifvertrag es vorsieht.

Bisher galt die Arbeitsmarktzulage in Bayern nur in drei Branchen, für IT-Mitarbeiter, Ingenieure und Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst, schreibt Staudinger. Nun können alle Kommunen ihren Mitarbeitern eine Zulage zahlen, allerdings nur, wenn sie den Personalbedarf sonst nicht decken könnten. In München sollen alle Erzieher/innen in den kommunalen Einrichtungen flächendeckend die Zulage bekommen.

Neben der Arbeitsmarktzulage gibt es ein zweites Instrument, mit dem man die Vergütungsbedingungen verbessern will: Die tarifliche Eingruppierung. Und auch die soll im Sinne einer Höhergruppierung genutzt werden. Dazu Staudinger: »Mitarbeiter, die jetzt in Stufe S 6 sind, können künftig nach S 8 bezahlt werden – sofern sie einer „besonders schwierigen fachlichen Tätigkeit“ nachgehen. Derzeit erarbeitet das Bildungsreferat die Kriterien. „In einigen Kitas gibt es einen erhöhten Aufwand, weil dort viele Kinder mit Migrationshintergrund betreut werden“, sagt Susanne Herrmann, Leiterin der Abteilung Kita. Diese Maßnahme soll bis Herbst umgesetzt werden.«

Das hört sich doch alles sehr erfreulich an, vor allem für die Erzieher/innen. Wie immer im Leben folgt das „ja, aber“ auf dem Fuße. Denn es wurde bereits darauf hingewiesen, dass sich dieser Vorstoß der Stadt München erst einmal „nur“ auf die Kindertageseinrichtungen bezieht, die sich in kommunaler Trägerschaft befinden, also von der Stadt selbst betrieben werden. Nun gibt es aber daneben bekanntlich viele andere, so genannte „freie“ Träger von Kitas, beispielsweise kirchlich gebundene Einrichtungen oder von der AWO, dem Paritätischen Wohlfahrtsverband usw. Nach heftiger Kritik aus diesen Reihen signalisiert die Stadt hier Entgegenkommen:
»So soll mit freien Trägern – dazu können private Kitas oder auch gemeinnützige gehören – darüber gesprochen werden, ob sie ebenfalls Zulagen gewähren können und dabei von der Stadt finanziell unterstützt werden.« Aber das ist erst einmal nur eine Ankündigung.

Sofort öffnen sich wie bei jeder Sonderregelung zahlreiche Folgefragen und -probleme. Dafür sei hier stellvertretend Wolfgang Obermair, Vorstand im Caritasverband der Erzdiözese München und Freising, nach dem Artikel von Staudinger zitiert:

»Die Arbeitsmarktzulage ist aus seiner Sicht der falsche Weg, vielmehr hätte es eine tarifrechtliche Einigung geben müssen. Sollte eine Zulage in Höhe von 200 bis 250 Euro kommen, würde eine Erzieherin mehr verdienen als eine Sozialpädagogin, die studiert habe. „Das ist nicht fair“, sagt Obermair. Benachteiligt würden auch Erzieher außerhalb von Kitas, die etwa mit Behinderten oder der stationären Jugendhilfe arbeiteten.
Auch Pflegepersonal ist derzeit vom Bonus ausgeschlossen. „Diese Verwerfungen im System hat keiner beachtet“, sagt Obermair. Die Grünen im Stadtrat, Verdi und der Personalrat der städtischen Kita-Mitarbeiter fordern daher eine Ausweitung: Zum einen müssten auch Kinderpflegerinnen sowie die Kita-Leitungen einbezogen werden, zum anderen auch weitere Berufsgruppen mit Fachkräftemangel.«

Auch hier wird übrigens wie so oft die Kindertagespflege vergessen, die ja auch in die öffentliche Förderung eingebettet ist.

Wilfried Schober, der Sprecher des Bayerischen Gemeindetags, weist auf ein weiteres mögliches Spannungsfeld hin: Die Gräben zwischen reichen und armen Gemeinden werden sich vertiefen, denn die Zulage muss man sich leisten können innerhalb des bestehenden Finanzsystems der Kommunen. »Allerdings verweist er auch darauf, dass die Freigabe der Arbeitsmarktzulage in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz nicht zu großen Wanderungsbewegungen der Mitarbeiter geführt habe«, was auch nicht wirklich überrascht, wenn man weiß, wie ausgeprägt die regionale, teilweise lokale Immobilität der Erzieher/innen – zumeist aufgrund ihrer familiären Einbindung – ist.

Nun sieht man schon die Schwierigkeiten und Reibungspunkte, die sich ergeben, wenn man innerhalb des bestehenden Systems partielle Verbesserungen erreichen will. Und dabei bewegen wir uns im bestehenden System, was bekanntermaßen von vielen Betroffenen und Experten als völlig unterausgestattet mit Personal charakterisiert wird.

Das System steht aus Sicht einer Gesamtbilanzierung vor einer vierfachen Herausforderung:
Der „normale“ Nachwuchs für das bestehende System muss gewonnen werden, vor allem angesichts der anstehenden altersbedingten Abgänge. Gleichzeitig wächst der quantitative (und qualitative) Personalbedarf im System schlichtweg dadurch, dass deutlich mehr Fachkräfte benötigt werden, weil immer jüngere Kinder (mit einem daraus resultierenden höheren Personalschlüssel als bei den älteren Kindern) in den Einrichtungen aufgenommen werden und die Kinder immer länger in den Kitas bleiben und auch die pädagogischen Schwierigkeitsgrade in vielen Einrichtungen als Folge komplexer gesellschaftlicher Veränderungen steigen. Und drittens müsste über den „normalen“ Ersatz- und Wachstumsbedarf aufgrund der noch anhaltenden Expansion des bestehenden Systems eine erhebliche Anzahl an zusätzlichen Fachkräften gewonnen und damit natürlich auch finanziert werden, um die fachlichen Vorgaben einer ordentlichen Betreuung, Bildung und Erziehung vor allem der sehr kleinen Kinder gewährleisten zu können.

Hierzu hatte sich Ende Juli die Bertelsmann-Stiftung zu Wort gemeldet (vgl. dazu Zu wenig Erzieherinnen in Kitas. Qualität bleibt in der frühkindlichen Bildung oft auf der Strecke) und auf die gewaltige Dimension des eigentlich erforderlichen zusätzlichen Personals hingewiesen: »Würden die von der Bertelsmann Stiftung empfohlenen Personalschlüssel für alle Kitas in Deutschland verbindlich gelten, wären 120.000 zusätzliche Erzieherinnen erforderlich.« Und viertens müsste dann insgesamt – das wäre sicher eine bessere Lösung als mit einzelnen Zulagen herumzufummeln, die immer nur eine Not- oder Überbrückungslösung sein können – die Vergütungsstruktur der pädagogischen Fachkräfte vor dem Hintergrund der beschriebenen Entwicklung auch nachvollziehbar nach oben gezogen werden.

Würde man das machen wollen – wofür es derzeit keine belastbaren Anzeichen gibt -, dann stellt sich das Problem, dass dafür erhebliche Finanzmittel zu mobilisieren wären. Womit wir wieder bei dem wären, was ich dazu in meinem Blog-Beitrag Von Quantitäten, Qualitäten und einem realen Fachkräftemangel: Die Kindertageseinrichtungen und das (fehlende) Personal. Und wieder einmal: Das Geld am 25. Juli 2014beschrieben habe: Ohne eine systematische Neuordnung und damit verbunden auch ohne eine Neuverteilung der Finanzierungslasten wird sich hier nichts bewegen. Aber wir werden ja im Herbst dieses Jahres laut Ankündigung aus dem Bundesfamilienministerium einen dieser ominösen „Gipfel“ in Berlin erleben dürfen, ein „Kita-Gipfel“ wurde uns in Aussicht gestellt. Hand aufs Herz – wir haben in diesem Politikfeld kein Erkenntnisproblem, sondern ein manifestes Umsetzungsproblem, gespeist nicht nur, aber auch aus einer föderalen Lähmung.
Da bleibt dann wie sie oft nur noch die Hoffnung.

Immer diese Jahrestage. Wie wär’s mit dem Betreuungsgeld?

Im vergangenen Jahr gab es nicht nur eine sehr hitzige Debatte über den Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr des Kindes, der am 1. August 2013 scharf gestellt wurde – parallel stritt man sich auch höchst kontrovers über eine „alternative“ Leistung, dem „Betreuungsgeld“, das Eltern bekommen können, wenn sie für ihr Kind keinen Kita-Platz oder keine öffentlich geförderte Tagespflegeperson in Anspruch nehmen – 100 Euro pro Monat waren es dann ab August 2013 und passend zum Jahrestag wird dieser Betrag jetzt auf 150 Euro angehoben. Damals wurde auch begrifflich richtig geholzt: Von „Herdprämie“ oder einer Kita-„Fernhalteprämie“ sprachen die Kritiker, während die Apologeten dieser neuen Geldleistung die „Wahlfreiheit“ der Eltern in den Ring warfen oder von der lobenswerten „Anerkennung der Erziehungsleistung zu Hause“ sprachen. Nun nähert sich der 1. August 2014 und damit der Jahrestag nicht nur des Rechtsanspruchs auf einen Kinderbetreuungsplatz, sondern eben auch des Betreuungsgeldes. Und angesichts des funktionierenden Wiedervorlagesystems der Medien tauchen jetzt nicht nur Berichte über die Situation in den Kitas auf, sondern auch das Betreuungsgeld schafft es wieder in den Strom der Meldungen und Kommentare.

Studie: Betreuungsgeld hält von Kita ab oder gar Anreiz zur frühkindlichen Bildungsferne?, um nur zwei von vielen Schlagzeilen zu nennen. »Eine Umfrage bei über 100 000 Eltern bestätigt die Kritiker des Betreuungsgeldes: Die Geldprämie setzt bei bildungsfernen Eltern und Migranten falsche Anreize, Kleinkinder nicht in die Kita zu schicken«, so die Meldung von dpa. Das sei das Ergebnis einer großen Umfrage des Deutschen Jugendinstituts und der Universität Dortmund mit mehr als 100.000 Elternpaaren, die Kinder unter drei Jahren haben. Zumindest die parteipolitischen Grundreflexe scheinen noch zu funktionieren: SPD und Grüne halten Betreuungsgeld für bildungsfeindlich, so die eine Seite. Und die andere Seite kontert erwartbar: »Die Chefin der bayerischen Staatskanzlei, Christine Haderthauer, wies die Kritik am Betreuungsgeld zurück. „Bei Ein- und Zweijährigen eine Besser-/Schlechter-Diskussion zwischen Elternzuwendung und Kita anzuzetteln, ist ein ideologischer Tiefschlag sondersgleichen gegen alle Eltern von Kleinkindern“, sagte die CSU-Politikerin.«

Nun wird aktuell immer von einer neuen Studie berichtet, also schauen wir da mal genauer hin. Bereits am 11. Juni 2014 hat Vera Kämper einen Artikel dazu veröffentlicht: So unfair ist das Betreuungsgeld.

Der Beitrag vom Kämper beruft sich auf angebliche erste Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt „Kommunale Bedarfserhebungen. Der regionalspezifische Betreuungsbedarf U3 und seine Bedingungsfaktoren„, das gemeinsam vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) und der TU Dortmund durchgeführt wurde. Im Zentrum dieses Projekts steht eine jugendamtsspezifischen Elternbefragung zum Betreuungsbedarf von unter dreijährigen Kindern. 290.000 Eltern von unter Dreijährigen erhielten einen vierseitigen Fragebogen, teilgenommen haben rund 112.000 Personen. Außerdem lieferte eine Onlinebefragung von 93 Kommunen Informationen zu deren Strategien der Bedarfserhebung. Man sollte aber wie immer bei Studien und gerade bei dem hier interessierenden Thema Betreuungsgeld auf das Zeitfenster der Untersuchung achten: Der Webseite zum Projekt kann man entnehmen, dass die Erhebungsphase Ende Februar bis Ende Juni 2013 war (also vor dem Inkrafttreten des Rechtsanspruchs wie auch der Einführung des Betreuungsgeldes). Im Juli 2014 wurde von Rita Enes et al. der Forschungsbericht „Kommunale Bedarfserhebungen. Der regionalspezifische Betreuungsbedarf U3 und seine Bedingungsfaktoren. Bericht über die Ergebnissen der 93 teilgenommenen Kommunen“ veröffentlicht, aber in dem Bericht taucht der Begriff „Betreuungsgeld“ an keiner Stelle auf, es geht hier ja auch primär um etwas anderes, nämlich bundesweit den Bedarf von Eltern nach öffentlicher Betreuung kleinräumig zu erfassen. Da bislang noch keine weitere Veröffentlichung vorliegt, muss man zum jetzigen Zeitpunkt davon ausgehen, dass es – wenn überhaupt – nur eine indirekte Ableitung hinsichtlich des Betreuungsgeldes geben kann, also man unterstellt, dass alle Eltern, die keinen Betreuungsbedarf vortragen, in der relevanten Altersgruppe dann Betreuungsgeldempfänger sind bzw. korrekter formuliert: werden. Diese Restriktionen sollte man bei der Interpretation der von Kämper und auch anderen zitierten Befunde berücksichtigen.

Im Vorfeld der Einführung des Betreuungsgeldes wurde seitens der Kritiker immer wieder darauf hingewiesen, dass diese Geldleistung vor allem Migrantenfamilien oder Kinder aus bildungsfernen Milieus von der Kita-Betreuung fernhalten werde. Die Bildungsungleichheit würde sich verschärfen. Die Ergebnisse der Studie, die Kämper in ihrem Artikel zitiert, scheinen diese These zu untermauern: Demnach erweist sich das Betreuungsgeld als besonders attraktiv für Familien, „die eine geringe Erwerbsbeteiligung aufweisen, durch eine gewisse Bildungsferne gekennzeichnet sind und einen Migrationshintergrund haben“. Die Prämie sei ein „besonderer Anreiz für sozial eher benachteiligte Familien, kein Angebot frühkindlicher Bildung, Betreuung und Erziehung zu nutzen“. Kämper konkretisiert das dann mit den folgenden Befunden:

  • Von den Familien mit Migrationshintergrund, die sich keine außerhäusliche Betreuung wünschen, gaben 25 Prozent an, das Betreuungsgeld sei der Grund dafür gewesen. Bei den Familien ohne Migrationshintergrund liegt dieser Anteil bei lediglich 13 Prozent.
  • Bezogen auf den Bildungsstatus zeigt sich: Je höher das Bildungsniveau in der Familie ist, desto geringer erscheint der finanzielle Anreiz des Betreuungsgeldes. Von den Familien, in denen kein Elternteil einen Bildungsabschluss besitzt oder die als höchsten Bildungsabschluss einen Hauptschulabschluss nennen, sagen 54 Prozent, das Betreuungsgeld sei Grund für die Entscheidung gewesen.
  • Bei den Familien mit einer mittleren Reife als höchsten Bildungsabschluss liegt dieser Anteil bei 14 Prozent und bei den Familien mit Hochschulabschluss reduziert sich dieser Anteil weiter auf acht Prozent.
  • Während nur 16 Prozent der Familien mit Migrationshintergrund eine außerhäusliche Betreuung in Anspruch nehmen, haben 51 Prozent der Familien mit Migrationshintergrund den Wunsch danach. So kommt die Studie zu dem Schluss, dass Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status und Familien mit Migrationshintergrund „ihre Betreuungswünsche weniger gut realisieren können“. (Quelle: Kämper 2014)

Wie gesagt, derzeit erschließt sich mir bei der vorliegenden Informationslage über das Forschungsprojekt nicht, wie man zu diesen konkret das Betreuungsgeld in Anspruch nehmenden Aussagen gekommen ist. Aber wir werden sicher in den kommenden Tagen darüber aufgeklärt werden, wenn der Abschlussbericht auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, über den andere, wie die Presseagentur dpa offensichtlich schon verfügen, denn von denen erfahren wir: »Demnach stellt das Betreuungsgeld besonders für sozial benachteiligte Familien einen Anreiz dar, kein staatliches Angebot frühkindlicher Bildung, Betreuung und Erziehung zu nutzen, heißt es im Abschlussbericht der Untersuchung, der der Nachrichtenagentur dpa vorliegt.«

Vom Deutschen Jugendinstitut gibt es hingegen eine andere Veröffentlichung, die sich explizit mit Fragen der Inanspruchnahme des Betreuungsgeldes beschäftigt, und die im Februar 2014 vorgelegt wurde:

Deutsches Jugendinstitut (DJI): Stellungnahme des Deutschen Jugendinstituts. Empirische Daten und Analysen zur Wirkung des Betreuungsgeldes, Februar 2014

Aber auch in diesem Beitrag wird darauf hingewiesen: »Die vorliegenden Daten lassen eine Aussage zu der Wirkung des Betreuungsgeldes nicht zu, da bei deren Erhebung noch kein Betreuungsgeldbezug möglich war. Die Auswirkungen können daher nur auf Grundlage der anfangs dargestellten internationalen Erfahrungen mit betreuungsgeldähnlichen Regelungen sowie mithilfe von Simulationsrechnungen des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) (Beninger u.a. 2010) geschätzt werden« (S. 22). Und hier findet man dann auch wieder die Zahlen, die jetzt zitiert werden, aber wohlgemerkt vor dem Hintergrund, dass es sich um Ableitungen aus bestimmten Annahmen handelt, wie das DJI selbst schreibt:

»Auch wenn hier nicht die direkte Wirkung des Betreuungsgeldes dargestellt werden kann, lassen sich doch Aussagen darüber ableiten, wie sich Familien entscheiden würden, gesetzt den Fall, dass die Handlungsmöglichkeiten der Haushalte hinsichtlich ihres Arbeitsangebots und der Nutzung externen Kinderbetreuung einem bedarfsgerechten Angebot gegenüberstehen würden. Unter dieser Annahme ist zu erwarten, dass das Betreuungsgeld in hohem Maße geschlechts- und schichtspezifisch wirkt. Etwa 8 Prozent der anspruchsberechtigten Mütter würden keine öffentlich geförderte Betreuung mehr in Anspruch nehmen. 20,8 Prozent würden die externe Betreuung reduzieren, wenn beide Eltern erwerbstätig sind. Für die Gruppe der einkommensschwachen Familien fällt die Einschätzung besonders gravierend aus: Etwa 16% würden auf eine externe Betreuung verzichten« (DJI 2014: 22).

Fazit: Wir werden also weiterhin noch im Nebel stochern müssen, die kritischen Hinweise aus dem Vorfeld der Einführung des Betreuungsgeldes sind zumindest als plausibel einzuordnen, aber man muss auch fairerweise konzedieren, dass wir empirisch die Sache noch nicht annähernd im Griff haben (können).

Das ändert aber nichts an der Berechtigung von grundsätzlichen Infragestellungen dieser neuen Geldleistung – vielmehr scheinen diese gerade an einem Jahrestag durchaus angebracht:

Hinsichtlich des Betreuungsgeldes muss man immer wieder auf die mehrfache Fragwürdigkeit dieser neuen Geldleistung hinweisen. Zum einen handelt es sich um eine Leistung, die dadurch charakterisiert ist, dass sie nur dann in Anspruch genommen werden kann, wenn eine andere öffentliche Leistung nicht in Anspruch genommen wird, denn das Betreuungsgeld bekommen ja nur die Eltern, die ihr Kind nicht in eine Kita oder in die öffentlich finanzierte Tagespflege schicken. Das ist schon aus einer grundsätzlichen Perspektive mehr als fragwürdig. Denkt man diesen Ansatz konsequent zu Ende, dann könnte man durchaus argumentieren, dass das auch in anderen Bereichen Anwendung finden müsste – und da würde sich ein ganzes Universum an möglichen Fallkonstellationen auftun. Man denke nur beispielsweise an die erheblichen staatlichen Subventionen, die in den Bereich der Opern fließen. Nun gibt es viele Menschen, die aus welchen Gründen auch immer niemals in ihrem Leben einen Fuß in eine derart hoch subventionierte Oper werden. Insofern könnte man nun über die Kompensation derjenigen nachdenken, die die Dienstleistung Oper nicht in Anspruch nehmen wollen und werden.

Die Apologeten des Betreuungsgeldes begründen die Legitimation des Betreuungsgeldes, dass mit dieser Leistung „Wahlfreiheit“ hergestellt wird und gleichzeitig eine staatliche Anerkennung der Erziehungsleistung innerhalb der Familie erfolgen würde. Wenn man sich diese Argumentation einmal genauer anschaut, dann ergeben sich doch einige notwendige kritische Anfragen: Diese beziehen sich nicht nur auf die mehr als diskussionswürdige Höhe der Anerkennungsleistung (100 Euro bzw. ab dem 1. August 2014 150 Euro pro Monat), die dem einen oder der anderen nicht zu Unrecht als ein für den Staat im Vergleich zu den ansonsten fälligen Ausgaben für die Kinderbetreuungsinfrastruktur recht billiges „abspeisen“ der Betroffenen vorkommen mag. Mir geht es hier um etwas anderes: Wenn man das Argument ernst nimmt, dass die elterliche Erziehungsleistung innerhalb der Familie mit dieser Geldleistung eine zusätzliche Anerkennung finden soll, dann ist die tatsächlich aber vorgenommene Regelung, dass die Eltern, die sich im Harz IV-Bezug befinden, also im SGB II-Grundsicherungssystem, von der Zusätzlichkeit dieser Leistung nichts haben, weil ihnen nämlich das Betreuungsgeld auf die SGB II-Leistungen angerechnet wird, logisch natürlich nicht nachvollziehbar. Erbringen etwa die Eltern, die sich in Grundsicherungsbezug befinden, keine Erziehungsleistung, die doch zusätzlich honoriert werden soll? Diese Restriktion ist deshalb auch fragwürdig, weil das Betreuungsgeld ja gerade keine einkommensabhängige Leistung ist, somit alle Familien, die die formalen Voraussetzungen erfüllen, einen Anspruch auf diese Leistung haben, also auch die Familien, die über ein hohes bzw. sehr hohes Einkommen verfügen. Aber gerade bei denjenigen, die nun über die niedrigsten Einkommen verfügen, wird die Leistung gleichsam gekappt, indem sie verrechnet wird mit einer anderen staatlichen Leistung. Das macht keinen logischen Sinn, sondern erscheint eher wie eine Bestrafungsaktion der „Hartz IV-Eltern“, die tief blicken lassen würde hinsichtlich des Familienbildes.

Darüber hinaus ist die Argumentation, dass hier die Erziehungsleistung innerhalb der Familie durch die Eltern honoriert werden soll, auch dadurch fragwürdig, weil zwar keine öffentlich finanzierte Kita oder Tagespflege in Anspruch genommen werden darf, daraus aber nicht folgt, dass immer und in jedem Fall die betroffenen Eltern, also im Regelfall die Mütter, die Leistung auch tatsächlich übernehmen. Denn das Betreuungsgeld kann selbstverständlich auch in den Fallkonstellationen bezogen werden, in denen beide Elternteile Vollzeit arbeiten und ein Au-pair-Mädchen aus Osteuropa einstellen, das dann in der Familie die Betreuungsaufgaben übernimmt. Die betroffenen Familien werden sich über die anteilige Mitfinanzierung dieser Person seitens des Staates sicher freuen.

Ach, das Betreuungsgeld. Wir werden damit rechnen müssen, dass die Inanspruchnahme dieser in mehrfacher Hinsicht fragwürdigen Leistung in den kommenden Monaten weiter ansteigen wird. Das wird eine Menge Geld kosten – Schätzungen gehen davon aus, dass in der Endstufe der Inanspruchnahme Entwicklung bis zu zwei Milliarden Euro fällig werden für diese Leistung. Das ist eine Menge Geld, vor allem wenn man berücksichtigt, dass dieses Geld gleichsam mit der Gießkanne über alle Familien ausgegossen wird, die die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, gleichzeitig aber durch die beschriebene Sonderregelung für die Eltern, die sich im Grundsicherungsbezug befinden, eine mehr als kritikwürdige soziale Schieflage entstanden ist. Und in der öffentlichen Diskussion wird kaum berücksichtigt, dass diese Geldleistung ja nicht vom Himmel fällt, sondern zu Bürokratiekosten führt, die nicht gering sind, um das einmal vorsichtig auszudrücken. Aber diese Nicht-Beachtung von Verwaltungsaufwendungen mussten wir ja auch schon bei anderen Leistungen zur Kenntnis nehmen, man denke hier nur an das so genannte Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung.
Ach, was könnte man mit diesem Geld machen. Aber das wäre ein neues Thema.

Foto: © Stefan Sell