Wenn Jobcenter arbeitslose Menschen in die Insolvenz treiben. Ein Blick auf Überschuldung und ein „professionalisiertes Inkasso-Unternehmen“

70 Prozent der arbeitslosen Menschen werden von den Jobcentern mehr oder weniger betreut, weil sie im Hartz IV-System gelandet sind. Und der normale Bürger nimmt an, dass es die Hauptaufgabe der Jobcenter sei, diese Menschen oder wenigstens so viele wie möglich von ihnen wieder in eine Erwerbsarbeit zu bringen, mit der sie sich ganz oder zumindest teilweise aus der Hilfebedürftigkeit verabschieden können. Nun weiß man seit langem, dass ein veritables Vermittlungshindernis bei einem Teil der Arbeitslosen im Tatbestand der Überschuldung vorliegt, dessen Begleitfolgen wie Lohnpfändung, aber auch die Auswirkungen auf die Arbeitsbereitschaft der Betroffenen dazu führen, dass eine Vermittlung oftmals scheitert oder gar nicht erst zustande kommt. In diesem Kontext ist allein schon die Überschrift eines solchen Artikels mehr als irritierend: Wie die Jobcenter Arbeitslose in die Insolvenz drängen. Darin berichtet Kristiana Ludwig: »Wer der Arbeitsagentur Geld schuldet, darf nicht auf Milde hoffen. Das Bundesarbeitsministerium verbietet in der Regel außergerichtliche Einigungen über die Ausstände. Seit Jahresbeginn hat die Behörde sogar einen eigenen Inkassodienst beauftragt. Dabei sind gerade Arbeitslose besonders häufig von der Privatinsolvenz betroffen – und finden dann auch noch schwerer einen neuen Job.«

Die Fakten sind seit langem bekannt und das Statistische Bundesamt hat am 1. Juli 2016 einen Überblick veröffentlicht zum Thema „Überschuldung privater Personen 2015“.

»Im Jahr 2015 haben in Deutschland rund 647.000 Personen wegen finanzieller Probleme die Hilfe einer der 1.400 Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen in Anspruch genommen. Im Rahmen der freiwilligen Überschuldungsstatistik hat das Statistische Bundesamt anonymisierte Daten zu 113.000 beratenen Personen mit deren Zustimmung ausgewertet. Damit lassen sich umfangreiche strukturelle Aussagen zu den Überschuldeten treffen. Zudem stehen Angaben zu den Auslösern der Überschuldung, zur Schuldenhöhe und zu den Gläubigern zur Verfügung.« (Vgl. auch die Hintergrundinformationen zur Überschuldungsstatistik).

Die Frage nach den Ursachen von Überschuldung behandelt das Statistische Bundesamt unter der Überschrift: „Hauptauslöser der Überschuldung liegen überwiegend außerhalb der unmittelbaren Kontrolle der Überschuldeten“ (vgl. dazu das Statement von Präsident Dieter Sarreither vom 1. Juli 2016, S. 8):

„Wer überschuldet ist, ist selbst schuld.“ Das ist eine landläufig verbreitete Meinung. Für Schuldnerberater/-innen zeichnet sich ein anderes Bild. Sie erhalten im Zuge ihrer Tätigkeit viele Informationen über die finanzielle Situation der beratenen Person sowie über deren Weg in die finanziellen Schwierigkeiten. Auf Basis dieser Angaben geben die Beraterinnen und Berater im Rahmen der Überschuldungsstatistik ihre Einschätzung über den jeweiligen Hauptauslöser der Überschuldung an. Dabei fällt auf, dass in der Regel unplanbare und gravierende Änderungen der Lebensumstände als Hauptauslöser genannt werden, die außerhalb der unmittelbaren Kontrolle der Überschuldeten liegen. Unter den sechs häufigsten Angaben für neu angelegte Beratungsfälle im Jahr 2015 fanden sich Arbeitslosigkeit (19 %), Erkrankung, Sucht und Unfall (15 %) sowie Trennung, Scheidung beziehungsweise Tod der Partnerin/des Partners (14 %). Überschuldung durch unangemessenes Konsumverhalten („unwirtschaftliche Haushaltsführung“) wurde lediglich in 11 % aller Fälle genannt. Bei 7 % der beratenen Personen waren die Schuldnerberater/-innen davon überzeugt, dass die auf lange Sicht unzureichende Einkommenssituation trotz einer wirtschaftlichen Haushaltsführung zu den finanziellen Problemen geführt hat („längerfristiges Niedrigeinkommen“).

Den doppelten Zusammenhang von Arbeitslosigkeit und Überschuldung stellt auch Kristiana Ludwig in ihrem Artikel heraus:

»Wer seinen Job verliert und plötzlich auf sein Gehalt verzichten muss, der macht schnell Schulden. Arbeitslosigkeit ist die wichtigste Ursache für Überschuldung, für jeden fünften deutschen Schuldner war sie im vergangenen Jahr der Hauptauslöser für ihre finanzielle Notlage, erhob das Statistische Bundesamt. Zugleich verhindern Schulden oft, dass ein Arbeitsloser wieder einen Job findet: Arbeitgeber schreckt es meist ab, wenn ihr Bewerber in einem Insolvenzverfahren steckt. Dies sei „natürlich ein absolutes Vermittlungshemmnis“, sagt eine Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit. Nicht umsonst schicken viele Jobcenter die Hartz-IV-Empfänger zur Schuldnerberatern.«

Da sollte man annehmen, dass man in den Agenturen und Jobcentern höchst sensibilisiert ist für die miteinander verwobenen Fragen von Arbeitslosigkeit und Überschuldung vor allem hinsichtlich einer anzustrebenden Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Und die gerne in Anspruch genommene Schuldnerberatung für die eigenen „Kunden“ seitens der Agenturen und vor allem der Jobcenter scheint das ja auch zu bestätigen, denn die Aufgabe der Schuldnerberater ist ja auch Sicht der Jobcenter recht eindeutig: Sie sollen die betroffenen Menschen wieder vermittlungsfähig machen, in dem sie das vorgelagerte Problem der Überschuldung bearbeiten und einer wenigstens perspektivischen Lösung zuführen.

Aber nicht immer scheint das die Jobcenter zu leiten, vor allem dann nicht, wenn die Arbeitsagentur selbst die Gläubigerin ist und auf einen Teil ihres Geldes verzichten müsste, um einem überschuldeten Arbeitslosen zu helfen. Und das gibt es schriftlich, so Ludwig in ihrem Artikel:

»Ein Papier aus dem Haus von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD), das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, schreibt der Agentur vor, dass sie sich nicht mehr auf außergerichtliche Einigungen einlassen darf – außer in besonderen Härtefällen. Damit ist bei allen verschuldeten Arbeitslosen, die auch bei der Arbeitsagentur in der Kreide stehen, ein Insolvenzverfahren programmiert. Denn bei diesen vorgerichtlichen Einigungen gilt: Entweder machen alle Gläubiger mit – oder keiner.«

Und die Gläubigerposition der Arbeitsagenturen und Jobcenter ist keine vernachlässigbare, sondern sie hat Gewicht und nimmt zu:

»Dabei verleihen gerade die Jobcenter immer mehr Geld an Arbeitslose. Im vergangenen Jahr erreichten die Darlehen, die Hartz-IV-Empfänger für Anschaffungen wie etwa einen Kühlschrank bekamen, eine Rekordsumme von 86,4 Millionen Euro – vor neun Jahren waren es noch 33 Millionen Euro. Auch die Summe, die einzelne Arbeitslose im Schnitt bekommen und dann an das Jobcenter zurückzahlen müssen, hat sich seitdem verdoppelt, auf 430 Euro. Auch Aufstocker häufen oft Schulden beim Jobcenter an, weil ihr Einkommen und damit die Unterstützung vom Amt schwankt und sie ihm zeitverzögert Geld zurückzahlen müssen. Aufstocker, errechnete das Statistische Bundesamt, seien „überproportional häufig überschuldet“.«

Über die Verschuldungsinstanz Jobcenter hat O-Ton Arbeitsmarkt bereits am 20. April 2016 berichtet unter der Überschrift Hartz-IV-Empfänger machen 86 Millionen Euro Schulden bei den Jobcentern. In diesem Beitrag wurde auch auf den Rückzahlungsaspekt hingewiesen: »Darlehen müssen aus dem Hartz-IV-Regelsatz zurückgezahlt werden. Monatlich bis zu 10 Prozent werden vom Jobcenter einbehalten – von bis zu drei Darlehen gleichzeitig. Das kann ein Minus von bis zu 30 Prozent des Regelsatzes bedeuten. Seit Ende März hat sich das zumindest geändert. Neue Weisungen der Bundesagentur für Arbeit veranlassen die Mitarbeiter in den Jobcentern, mehrere Darlehen nur noch nacheinander und nicht mehr parallel zu tilgen.«

Während es also bei den Bedingungen der Rückzahlungen eine leichte Verbesserung gegeben hat, werden in einem anderen Bereich die Daumenschrauben angezogen, wie Kristiana Ludwig beschreibt:

»Seit Anfang dieses Jahres hat die Arbeitsagentur einen eigenen Inkasso-Dienst aktiviert, der sich verstärkt um solche Forderungen kümmern soll. Die Behörde verspricht sich dadurch Mehreinnahmen von rund 70 Millionen Euro im Jahr. Bundesweit machen Schuldnerberater seither die Erfahrung, dass sich Jobcenter nun auf keine Verhandlungen mehr einlassen.«

Die Einsicht in das Dokument, mit dem Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) solche Einigungen einschränkt, konnte nur unter Anwendung juristischen Zwangs ermöglicht werden, konkret von Matthias Butenob von der Landesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung Hamburg, der das unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz erstritten hat.
Und was sagt das Bundesarbeitsministerium dazu?

»Nahles‘ Sprecher erklärt, man werde weiterhin jeden Einzelfall prüfen. Wenn die wirtschaftliche Existenz des Betroffenen ernsthaft bedroht sei oder die Überschuldung ihn „dauerhaft demotiviert und ihn unter dem Druck der Verhältnisse sozial abgleiten“ lasse, sei eine Einigung noch immer möglich. Nach Einschätzung des Rechtsanwalts Marcus Köster von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen wird es für Arbeitslose jedoch schwer, eine solch starke Belastung zu beweisen. „Für so einen Beleg müsste man einen Arzt einschalten und ein Attest liefern“, sagt er.«

Man muss das an dieser Stelle leider so bilanzieren: Die sozialdemokratische Bundesarbeitsministerium leistet erneut einen Beitrag zu einer Rechtsverschärfung zuungunsten einige Betroffener im Hartz IV-System und die „Lösung“ ihres Hauses würde neben der Tatsache, dass die nur für Einzelfälle gelten würde, einen Rattenschwanz an zusätzlichen Arbeiten (bei Ärzten, in den Jobcentern, bei den Gerichtet im Gefolge von Widersprüchen und Klagen usw.) auslösen – in Zeiten, in denen in den Sonntagsreden von Bürokratieabbau fabuliert wird. Und damit nicht genug: »Den Preis für die harte Linie von Andrea Nahles zahlen nicht nur die Arbeitssuchenden, sondern auch die Bundesländer. Etwa 2000 Euro kostet ein Insolvenzverfahren, das den Menschen bei einer gescheiterten Einigung bevor steht – bei mittellosen Bürgern müssen die Länder diese Kosten übernehmen. Eigentlich will das Bundesjustizministerium diese teuren Verfahren vermeiden, eben deshalb gibt es eine Verhandlungspflicht«, so Kristiana Ludwig ergänzend in ihrem Artikel.

Übrigens – der eine oder andere aufmerksame Leser dieses Blogs wird sich erinnern, dass bereits am 23. November 2015 in dem Beitrag Immer mehr arbeitslose Menschen in finanziellen Nöten. Jobcenter, die mit Darlehensrückforderungen das Existenzminimum beschneiden. Eine Bundesagentur für Arbeit, die Mitarbeiter in „Telefoninkasso“ schult auf den damals vor der Einführung stehenden Inkasso-Dienst der BA hingewiesen wurde: Die Bundesagentur für Arbeit setzt auf eine „Professionalisierung“ hin zu einem „modernen Inkasso-Unternehmen“. Als Grundlage fungiert ein neues „Fachkonzept Inkasso“, mit dem die BA künftig einen „besseren Einziehungserfolg“ erreichen will. Von 2015 bis 2020 verspricht sie sich dadurch Mehreinnahmen von rund 70 Millionen Euro pro Jahr. Das Amt hat bereits fünf Stützpunkte in Recklinghausen, Bogen, Hannover, Halle und Kiel geschaffen, an denen sich Mitarbeiter auf das Eintreiben von Außenständen konzentrieren sollen – auch bei den Menschen, die ihre Jobcenter-Schulden mit in die Berufstätigkeit nehmen. Und auch den folgenden Passus aus dem damaligen Beitrag sollte man wieder in Erinnerung rufen: »Gerade haben dort rund 180 Mitarbeiter ein „Intensivtraining Telefoninkasso“ von der Deutschen Inkasso Akademie bekommen, einer Tochter des Bundesverbands deutscher Inkasso-Unternehmen. Im Dezember sollen weitere Kurse folgen. Die Bundesagentur erwägt außerdem, die privaten Inkassounternehmen gleich selbst zu beauftragen. Dies sei bereits „erfolgreich erprobt“ worden.«

Flüchtlinge und ihre zunehmende Sichtbarkeit auf dem Arbeitsmarkt und im Grundsicherungssystem. Und Flüchtlinge, die nicht mehr kommen werden können

Die mediale Berichterstattung über das Thema Flüchtlinge hat sich merklich verschoben. Der sich teilweise überschlagende Ton einer täglichen Frontberichterstattung über die Zahl der Neuankömmlinge und der verzweifelten Unterbringungsversuche der vielen Menschen, die es auf deutschen Boden geschafft hatten, die im vergangenen Jahr bis in die ersten Wochen des laufenden Jahres alles überlagert hat, ist verschwunden. Zugespitzt formuliert könnte man den Eindruck bekommen, dass alles vorbei ist, dass keine Flüchtlinge mehr kommen (können). Während im vergangenen Jahr im EASY-System 1.092.000 Menschen registriert worden sind (wobei die tatsächliche Zahl geflüchteter Menschen aufgrund von Doppelzählungen, Rück- und Weiterreisen kleiner ist), wird für die Monate Januar bis Mai 2016 eine (Brutto-)Zahl von immerhin noch 206.000 ausgewiesen, die es trotz aller innereuropäischen Abschottungen beispielsweise mit Blick auf die mehr oder weniger geschlossene Balkan-Route oder das Zurückhalte-Abkommen mit der Türkei bis nach Deutschland geschafft haben.

Und wir können sicher sein, dass es weitaus mehr gewesen wären, wenn nicht das faktische Abblocken in anderen Länder und Regionen und auf das Mittelmeer, dessen Überquerung wieder zur wichtigsten Fluchtroute geworden ist, verlagert hätte. Das alles hat seinen „Preis“, der sich dann in solchen Überschriften kristallisiert: Mehr als 3600 tote Flüchtlinge im ersten Halbjahr: »Die weltweit gefährlichste Fluchtroute bleibt das Mittelmeer in Richtung Europa: Allein dort wurden bis Ende Juni mindestens 2.905 Flüchtlinge getötet oder für vermisst erklärt. Die große Mehrheit – mehr als 2.500 – ertrank … auf dem Weg von Afrika nach Italien.« Die Internationale Organisation für Migration (IOM) vermutet, »dass die Opferzahl in den Sommermonaten nochmals deutlich in die Höhe gehen wird.« Oder solche Meldungen von den Außengrenzen der EU: Ungarn will Flüchtlinge stärker abschrecken: »Mehr Polizei, bessere Ausrüstung und schärfere Regeln – die ungarische Regierung will Migranten mit Nachdruck fernhalten. Doch tatsächlich werden Elendslager an der Grenze anschwellen.« Dass das richtig ist, zeigen auch solche Zahlen: Seit dem Jahresbeginn wurden in Serbien an die 103.000 Flüchtlinge registriert. Nur knapp 5.000 entschlossen sich, einen Asylantrag einzureichen. Die anderen wollen EU-Boden erreichen.

Und die Ungarn belassen es offensichtlich nicht mit Ankündigungen, sondern setzen das um, mit solchen Ergebnissen: Ungarn beginnt mit Abschiebungen ohne Asylverfahren oder Ungarn misshandelt offenbar Flüchtlinge – und schiebt sie ab: »Budapest geht rigoros gegen illegale Einwanderer vor. Flüchtlinge berichten, aufgefangen, verprügelt und nach Serbien zurückgeschickt zu werden.«

Auch mit Blick auf die afrikanischen Ländern vor dem Mittelmeer ist Europa nicht untätig, sondern versucht, die Versuche des Übersetzens nach Europa im Vorfeld zu begrenzen bzw. perspektivisch zu verhindern: De Maizière will Flüchtlingszentren in Afrika, so ist beispielsweise einer der Artikel dazu überschrieben. Unter expliziter Bezugnahme auf das „Modell Türkei“ sollen Aufnahmezentren für Flüchtlinge in Nordafrika eingerichtet werden. Und wenn man sich schon die Hände schmutzig macht: EU will auch Militär mit Entwicklungshilfe unterstützen. Die EU nutze zunehmend zivile Programme, um paramilitärische Gendarmerieverbände auszubilden oder Grenzsicherung zur Flüchtlingsabwehr zu fördern, so die Kritiker dieses Vorstoßes. Und das ist nur ein Teil des Ganzen: Länder, die illegale Einwanderer aus Afrika zurücknehmen, sollen laut einem Vorschlag der EU-Kommision belohnt werden – „Migrationspartnerschaften“ nennen das die Planer.

Nun könnte man aus einer deutschen Perspektive auch so argumentieren: Das wird uns helfen, denn die Zuwanderungen werden deutlich zurückgehen. Deutlich weniger Menschen werden es bis zu uns schaffen. Und das eröffnet nicht nur den Raum, sich zu sortieren, den Krisenmodus der Notfallhilfe zu verlassen, sondern auch die anstehende Frage zu beantworten: Wie geht es denn weiter mit denen, die nun da sind und von denen viele lange, vielleicht für immer bleiben werden. Was passiert mit denen (nicht)? Dabei spielt die Frage, ob, wie und wann die geflüchteten Menschen auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen können, eine ganz zentrale Rolle.

In diesem Zusammenhang von Bedeutung ist die Tatsache, dass wir zunehmend genauer die Umrisse der vielen Menschen in den Daten abgebildet bekommen. So veröffentlicht die Bundesagentur für Arbeit seit Juni 2016 differenzierte Daten über de Menschen mit einem Fluchthintergrund, vgl. dazu die Themenseite Migration und Arbeitsmarkt: »Mit dem Berichtsmonat Juni 2016 beginnt die Berichterstattung über Personen im Kontext von Fluchtmigration, die bei Arbeitsagenturen und Jobcentern gemeldet sind«, schreiben die Statistiker der BA (vgl. dazu auch die Hintergrundinformation „Geflüchtete Menschen in den Arbeitsmarktstatistiken – Erste Ergebnisse“).

Und dass wir mit Blick auf die so wichtige Integration in den Arbeitsmarkt eine lange Wegstrecke vor uns haben, verdeutlichen dann auch solche Meldungen: Erst 30.000 Flüchtlinge haben einen Job, so ist ein Interview mit dem Leiter des BAMF, Frank-Jürgen Weise, überschrieben:

»Aus den acht wichtigsten nicht-europäischen Asyl-Herkunftsländern arbeiteten im April 2016 rund 96.000 Menschen in sozialversicherungspflichtigen Jobs. Das sind 22.000 mehr als ein Jahr zuvor, also ein Anstieg um 29 Prozent. Wenn man auch andere Arbeitsgelegenheiten wie Mini-Jobs hinzunimmt, ist die Zahl um 30.000 gestiegen. Auf der anderen Seite haben wir aus dem Kreis der Asylbewerber heute schon 130.000 Menschen die arbeitslos in der Grundsicherung leben.«

Und auch erste Informationen, wo die landen, die einen Job gefunden haben, liefert uns der BAMF-Chef: »Zwischen April 2015 und März 2016 ging von 21.400 neuen Beschäftigten etwa jeder Vierte in die Leiharbeit, gefolgt von Dienstleistungen wie Gebäudereinigung oder Wachdienste. Danach kommen Gastgewerbe, Handel und Kfz-Werkstätten sowie das Gesundheits- und Sozialwesen.«

Eine differenzierte Aufarbeitung der nun vorliegenden statistischen Informationen hat O-Ton Arbeitsmarkt in diesem Artikel zusammengefasst: Flüchtlinge kommen im Hartz-IV-System an – und auf dem Arbeitsmarkt.

Diesem Beitrag ist auch die überaus instruktive Abbildung am Anfang des Blog-Beitrags entnommen. Die Darstellung der bereits erkennbaren Entwicklung der sozalversicherungspflichtig Beschäftigten, der (registrierten) Arbeitslosen und der Zahl der Hartz IV-Empfänger aus den zuzugstärksten Asylherkunftsländern außerhalb Europas, also Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien, verdeutlicht, was auf uns in den kommenden Monaten zukommen wird. Nach der starken Fluchtmigration im Jahr 2015 und der Beschleunigung der Asylverfahren werden die Menschen inzwischen auch in der Arbeitsmarkt- und Grundsicherungsstatistik sichtbar.

Die Zahl der Arbeitslosen steht oft im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit – aber man sollte an dieser Stelle gleich berücksichtigen, dass die Zahl nur eingeschränkt aussagefähig ist, denn wenn beispielsweise die anerkannten Asylbewerber in einem Sprach- und Integrationskurs stecken, dann sind sie nicht „arbeitslos“ im Sinne der Statistik, sehr wohl aber angewiesen auf Leistung aus dem Grundsicherungssystem. Von daher ist die Zahl der Hartz IV-Empfänger (Regelleistungsberechtigte) relevanter, zeigt sich hier doch die Hilfebedürftigkeit der betroffenen Menschen und die damit verbundenen Ausgaben. Und mehr noch: Zuständig sind die Jobcenter, die bereits in der Vergangenheit vorsichtig formuliert am oder über dem Rand der Funktionsunfähigkeit gearbeitet haben und nun einen erheblichen Zustrom an neuen „Kunden“, wie das in der Hartz IV-Welt mehr als euphemistisch genannt wird, bewältigen sollen/müssen. Das wird zu erheblichen Belastungszunahmen in diesen letzten Außenposten des Sozialstaats führen.

Bereits innerhalb des letzten Jahres (bis März 2016) gab es einen Anstieg der Hartz IV-Empfängerzahlen aus den genannten Ländern in der Größenordnung von +70 Prozent auf 380.000. Man erkennt in der Abbildung, dass die Dynamik vor allem in den vergangenen Monaten erheblich zugenommen hat und die große Welle aufgrund der dann erfolgten Anerkennungen der Flüchtlinge wird für den Sommer und Herbst erwartet, steht also noch vor der Tür. Das wird die Jobcenter und das Grundsicherungssystem stark in Anspruch nehmen.

»Gemessen an allen Arbeitslosen, Hartz-IV-Empfängern und sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland ist der Anteil der Menschen aus den außereuropäischen Zuzugsländern aber gering. Im März 2016 stellten Personen aus Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien 6,4 Prozent aller Hartz-IV-Empfänger, 5,7 Prozent aller Arbeitslosen und 0,3 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Ein Jahr vorher lagen die Anteile allerdings noch deutlich niedriger mit 3,7 Prozent der Hartz-IV-Empfänger, 2,7 Prozent der Arbeitslosen und 0,2 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten.«

Das erkennbare und sich erwartbar verschärfende Problem liegt im Auseinanderlaufen zentraler Parameter:

»Innerhalb der Bevölkerungsgruppe aus den acht stärksten Asylzuzugsstaaten sind die Anteile der Hartz-IV-Empfänger und Arbeitslosen allerdings sehr hoch, während sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bisher eher selten ist.«

Vor uns liegen die Mühen der Ebene. Denn eine rasche Arbeitsmarktintegration wird sich als ein anzustrebendes, aber kaum erreichbares Ziel erweisen. Immer wieder wird man nicht nur mit der aus Sicht des deutschen Arbeitsmarkes „schwierigen Qualifikationsstruktur“ der Mehrheit der Flüchtlinge konfrontiert, sondern auch gut meinende Integrationsversuche scheitern und müssen scheitern am Nadelöhr der Sprachkenntnisse. Hier werden sich auch bitter die Versäumnisse der Vergangenheit und der Gegenwart im Bereich der Sprach- und Integrationskurse rächen, denn auch bei höchster Motivation der geflüchteten Menschen und einer grundsätzlichen Aufnahmebereitschaft vor allem in den kleinen und mittleren Unternehmen erweisen sich mangelnde Sprachkenntnisse in aller Regel als Ausschlusskriterium für eine Arbeitsmarktintegration.

Insofern werden wir davon ausgehen müssen, dass viele geflüchtete Menschen über auch lange Zeit im Hartz IV-System hängen bleiben werden. Und das ist nicht nur, aber auch problematisch vor dem Hintergrund einer deutlich skeptischeren bis ablehnenden Stimmungslage in Teilen der Bevölkerung. Bei denen dann die vielen neuen Hartz IV-Empfänger wie ein Beschleuniger der Vorurteile, Ängste und Bedenken wirken werden.

Arbeitsmarktpolitisch müsste es derzeit um zwei große Linien gehen: Ein massiver Ausbau der Sprachförderung möglichst früh und möglichst für alle Flüchtlinge (auch unabhängig von der statistischen Bleibewahrscheinlichkeit), diese inhaltlich erweitert im Sinne einer Verbindung von Arbeiten und Sprachförderung. Und angesichts der vielen jungen Flüchtlinge ist die unbürokratische, aber umfassende Erschließung von Beschäftigungsangeboten von enormer Bedeutung, gerade angesichts der immer mehr erkennbaren Probleme, die geflüchteten Menschen in den „normalen“ Arbeitsmärkten platzieren zu können. Jeder Praktiker weiß, was es bedeutet, wenn wir (was jeden Tag passiert) junge Menschen über viele Monate zum Nichtstun verdammen. Da braucht man keine Beobachtungsstudien. Das wird uns richtig auf die Füße fallen.

Willkür, Hilflosigkeit und Ohnmacht. Von den Erfahrungen mit der kafkaesken Seite der Jobcenter, die für den Einzelnen zu einer Existenzbedrohung mutieren kann

In diesen Tagen stehen wir erneut vor gesetzgeberischen Veränderungen in einem sozialpolitischen Kernbereich unseres Landes, der Grundsicherung. Und wieder einmal werden wir Zeugen einer Entwicklung, dass man am Anfang – und sei es wenigstens proklamatorisch – mit einer guten Absicht gestartet ist, nämlich die Bürokratie in den Jobcentern abzubauen und das komplizierte Rechtsgebilde SGB II zu vereinfachen. Wer kann etwas dagegen haben? Nach zwei Jahren unzähliger  Bund-Länder-Gesprächsrunden und parteipolitischen Scharmützeln hat zwischenzeitlich der Berg gekreißt und ein Gesetzentwurf das Licht der Welt erblickt, der im Ergebnis nicht nur völlig enttäuschend ist hinsichtlich des ursprünglich gesetzten Ziels, Bürokratie in einem Umfang abzubauen, der über molekulare Mengen hinausgeht (vgl. dazu bereits Entbürokratisierung des SGB II und mehr Luft für die Jobcenter? Von Luftbuchungen, Mogelpackungen und einem trojanischen Pferd vom 14. Februar 2016 sowie Ein zorniger Brief von Jobcenter-Mitarbeitern an die Bundesarbeitsministerin vom 15. Februar 2016).

Es kommt sogar noch weitaus schlimmer, denn mittlerweile muss man das als „Rechtsvereinfachungsgesetz“ euphemistisch betitelte Paragrafenwerk korrekter als ein „Rechtsverschärfungsgesetz“ bezeichnen, zumindest aus der Perspektive der betroffenen Menschen.
Dabei sind die heute schon nicht selten mit einer kafkaesk daherkommenden Seite der Jobcenter und der sie bestimmenden rechtlichen Gemengelage konfrontiert, die aber nur für den Betrachter von außen wie „Das Schloss“ von Franz Kafka erscheinen. Denn es geht hier nicht (nur) um die (Un)Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns, sondern um existentielle Fragen bis hin zu dem Wegziehen des letzten Bodens für ein menschenwürdiges Dasein. Dazu aktuelle Beispiele aus dem „Hartz IV-Land“.

Da wäre beispielsweise das Jobcenter Börse in Sachsen-Anhalt. Susan Bonath berichtet in ihrem Artikel „Reine Willkür“ über den folgenden Sachverhalt:

»Jahrelang hatte sich Malte S. (Name geändert) als Leiharbeiter durchgeschlagen. Nach der letzten Kündigung suchte er jedoch vergeblich eine neue Stelle. Er scheute jedoch den Gang zum Amt, hoffte weiter auf einen Job – bis er seine Wohnung verlor, seine Krankenversicherung nicht mehr zahlen konnte, ohne Konto und Geld dastand. Kurz vor Pfingsten beantragte er beim Jobcenter Börde (Sachsen-Anhalt) also doch das ihm eigentlich seit Monaten zustehende Arbeitslosengeld II. Weil er völlig mittellos war, bat er zudem um einen Vorschuss. Er befinde sich in einer Notlage, es gehe um Essen und Trinken, erläuterte er. Doch die Behörde wies ihn ab. Bares zur Überbrückung gebe es nicht, hieß es.«

Die Sachbearbeiterin in der Leistungsabteilung versprach, seinen Antrag „noch heute“ fertig zu machen. »Weil das Jobcenter in seinem Fall allerdings einen Scheck mit der Post schicken müsse, könne er erst in einer Woche, nach dem langen Pfingstwochenende, mit Geld rechnen. Auf Nachfrage, wie er denn solange ohne Geld überleben solle, räumte sie ein: »Wenn es wirklich nicht anders geht, könnte ich Ihnen maximal einen 20-Euro-Gutschein mitgeben.« Ob dieser auch von Märkten in dem Ort akzeptiert wird, wo Malte S. vorübergehend bei einem Familienmitglied untergekommen war, konnte sie nicht sagen.«

Warum nicht einfach ein Betrag von seinem Regelsatz abgezogen und ihm in bar ausgehändigt wurde, versteht der Betroffene nicht.

In der Leistungsabteilung hieß es, eine interne Anweisung verbiete dies den Mitarbeitern. Behördensprecher Carsten Werner bestritt am Dienstag die Darstellung: »Im Jobcenter Börde liegt keine derartige Dienstanweisung vor.« Tags darauf erklärte er aber auf Nachfrage der Tageszeitung junge Welt, Barzahlung sei »grundsätzlich nicht vorgesehen«.

Für Notfälle vorgesehen sei »die Überbrückung durch Gutscheine des Anbieters Sodexo, einer international agierenden Unternehmensgruppe, die vor allem durch Kantinenbetriebe bekannt ist.«
Und dann ein weiterer Tiefschlag:

»Der Antragsteller habe außerdem »durch sein freundliches und dankbares Auftreten nicht den Eindruck« erweckt, »dass er mit dem Verfahren nicht einverstanden ist«, sagte der Pressesprecher.«

Dabei kann man das ganz anders sehen: »Die frühere Jobcenter-Mitarbeiterin Inge Hannemann, die heute Abgeordnete der Linkspartei in der Hamburger Bürgerschaft ist, hält dieses Vorgehen für »reine Willkür«. »Jedes Jobcenter kann einen vorläufigen Bescheid ausstellen und ein Darlehen in bar auszahlen«, sagte sie am Donnerstag im Gespräch mit jW. Das Geld werde von der später ausgezahlten Monatsleistung abgezogen. Geregelt sei das im Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II). Im SGB I heißt es zudem, Vorschüsse seien auf Antrag zu gewähren. Bestehe ein Anspruch auf Leistungen, habe der Träger die Höhe der Vorabzahlung nach »pflichtgemäßem Ermessen zu bestimmen«, wenn die Feststellung der Leistungshöhe länger dauere.«
Und der Betroffene?

»Malte S. wartet inzwischen seit einer Woche auf seinen Postscheck. »Hätte ich keine Familie oder Freunde, die mich auf eigene Kosten mitversorgen, müsste ich betteln oder stehlen«, sagte er.«

Zuweilen hilft nur die Beteiligung der Presse, um in einem dieser vielen Einzelfälle etwas in Bewegung zu bringen. Nächstes Beispiel Wuppertal: Ärger mit Jobcenter: „Hilflos und ohnmächtig“, so ist ein Artikel überschrieben: »Nach einem Bandscheibenvorfall beantragte Andreas Böhm Leistungen beim Jobcenter Bachstraße und erlebte ein Existenz bedrohendes Fiasko.« Erst als sich die Wuppertaler Rundschau einschaltet, reagiert die Spitze des Jobcenters schnell.

»Was war passiert? Bis zur Arbeitsunfähigkeit arbeitete der gelernte Schreiner sieben Jahre monatlich 80 Stunden bei einer Immobilienverwaltung. Da er von 450 Euro Krankengeld sein Leben nicht finanzieren kann, beantragt Andreas Böhm in November 2015 beim Jobcenter Bachstraße ergänzende Leitungen. Die werden rasch bewilligt. Kurze Zeit später, im Dezember 2015, erhält der 37-Jährige 500 Euro, aber keinen Bescheid. Damit begann der Ärger …«

Man ahnt schon, was jetzt kommt. Der Betroffene wird in eine Umlaufbahn gehievt und die immer existenzbedrohend daherkommenden Dinge nehmen ihren Lauf:

»Als in der Folgezeit trotz vollständig eingereichter Unterlagen und mehrmaliger persönlicher und telefonischer Rücksprache weitere Zahlungen ausbleiben und Böhm seine Miete nicht mehr begleichen kann, schaltet er einen Anwalt ein.
Dessen Intervention bügelt das Jobcenter mit der Begründung, Andreas Böhm hätte sich nicht um die Fortführung der Leistungen bemüht, ab. Dass abgestempelte Dokumente eindeutig das Gegenteil belegen, wird vom Jobcenter schlicht ignoriert. Während sich der Rechtsstreit ohne Erfolg hinzieht, wird die Situation für den Schreiner brenzlig: Als auch im Mai noch die Miete ausbleibt, droht der bisher sehr verständnisvolle Vermieter mit der Kündigung.«

Für den Betroffenen ist das ein Albtraum: „Unverschuldet arbeitslos zu werden und dann eine solche Behandlung seitens des Jobcenters erleben zu müssen, hilflos und mit einem bitteren Gefühl der Ohnmacht, das zu erleben wünsche ich keinem“, wird Andreas Böhmin dem Artikel zitiert. Und weiter: „Ich bin nicht nur körperlich, sondern auch psychisch am Ende.“

Gut in diesem Fall, dass eine Zeitung dabei war.

Von der Rundschau mit dem Vorfall konfrontiert, handelt Jobcenter-Chef Thomas Lenz umgehend – und teilt drei Tage später mit: „Hier liegt eine sehr unglückliche Kommunikation vor. Wir haben den Fall nochmals geprüft. Mit dem Ergebnis, dass die Leistungen von Januar bis April bewilligt und umgehend ausgezahlt werden. Der Antragsteller wird wieder in den Bezug aufgenommen.“

Aber kann es das wirklich sein? Dass Zufälle, wie das Interesse und das Engagement von Medien helfen kann? Was ist in den vielen anderen Fällen?

Wohlgemerkt, das waren nur zwei aktuelle Beispiele von vielen.

Aber es sind nicht nur die unmittelbaren Geldleistungen, die man zum Überleben braucht. Auch die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt bzw. die fehlenden Substitute werden immer wieder und völlig zu Recht als Problem aufgerufen. Auch dazu ein Beispiel: Langzeitarbeitslos: Über Leben und Mehrwert, so ist ein Artikel dazu überschrieben. Es geht um die jenarbeit, das Jobcenter der Stadt Jena.

Dort gibt es das Reaktivierungsprogramm „ReSet“.

»Sie will die Unsichtbaren sichtbar machen. Sie versucht, die Verlorengegangenen zu finden, die Ungreifbaren zu fassen. Daniela Brunn ist Projektleiterin von „ReSet“, einem Programm, das von Jenarbeit finanziert wird, um Langzeitarbeitslose zu „reaktivieren“, das heißt, die Menschen aus einer langen Phase der gesellschaftlichen Passivität zurück ins gemeinschaftliche Leben zu holen – im besten Falle wieder auf den Arbeitsmarkt zu bringen … Daniela Brunn konnte mit ihrem Konzept überzeugen und führt seit Juli 2014 ein fünfköpfiges multiprofessionelles Team an, das innerhalb der vergangenen zwei Jahre mehr als 80 Fälle von Jenarbeit zugewiesen bekam. Jeweils 18 bis 20 Arbeitslose im Alter zwischen 18 und 58 Jahren wurden in Gruppen betreut – vier Tage die Woche, mindestens 15 Wochenstunden mussten die Teilnehmer ableisten.«

„Ein Prozent derer, die hier teilnehmen, haben eine Chance, auf den ersten Arbeitsmarkt zurückzukehren“, wird Daniela Brunn in dem Artikel zitiert. Da werden viele und auf den ersten Blick auch völlig zu Recht den Kopf schütteln – eine solche „Erfolgsquote“, kann man das wirklich fortführen? Dazu Daniela Brunn:

»Ihre Erfolge sind andere: „Die meisten Klienten haben keinerlei soziale Anbindung, keine Familie, keine Freunde, teilweise sind sie obdachlos. Sie erfahren keinerlei Wertschätzung, keine Anerkennung. Bei vielen spielt Alkohol eine große Rolle, Drogen, psychische und physische Beeinträchtigung, einige haben kognitive Störungen, manche waren bereits in Haft, haben einen ambulanten oder gerichtlichen Betreuer, die meisten kommen bereits aus einem Elternhaus, in dem es Drogenmissbrauch gab oder Gewalt und viele waren bereits in anderen Zwangsmaßnahmen, in denen sie Stigmatisierungen erfahren haben. Wenn wir es schaffen, diesen Menschen ein bisschen Selbstwertgefühl zu geben und sie sozial wieder anzubinden, beispielsweise an einen Verein, dann ist das für mich durchaus ein Erfolg … Vor allem mit Jenas Subkultur versuchte Daniela Brunn zusammenzuarbeiten. Es entstanden Theaterprojekte, man kochte für Flüchtlinge oder half beim Aufbau des interkulturellen Gartens in Lobeda. „Viele unserer Klienten hatten rassistische Einstellungen. Sie waren gegen Flüchtlinge, auch deshalb war mir die Arbeit mit Asylbewerbern wichtig. Ich denke, dadurch haben wir es geschafft, die Vorbehalte und falschen Vorstellungen aus den Köpfen zu bekommen. Auch das sehe ich als einen Erfolg an.“«

Aber dafür so eine Maßnahme – natürlich befristet? »Das Projekt ReSet läuft im Juli aus. Es wird vermutlich ein neues Reaktivierungsprogramm geben: „Reset 2“. Wie sich dieses gestaltet, ist noch nicht klar. Daniela Brunn ist sich nicht sicher, ob sie das Projekt weiterbetreuen darf, kann oder will. „Wenn es darum geht, eine Wiedereinstiegsquote festzulegen, dann kann ich das Projekt nicht mehr leiten. Den Erfolg kann man nicht daran messen, wie viele Menschen wieder auf den ersten Arbeitsmarkt kommen. Ich bin froh und stolz auf das, was wir in den zwei Jahren erreicht haben. Einige unserer Klienten haben wir wieder verloren, sie werden nicht mehr auftauchen und in der Unsichtbarkeit verschwinden, aber einigen konnten wir etwas mitgeben: eine neue Wohnung, ein gesünderes Leben, Erfahrungen, Wertschätzung, Wissen oder Kraft.“«

Die Projektleiterin legt den Finger auf eine klaffende offene Wunde der derzeitigen Arbeitsmarktpolitik:

»Auf dem zweiten Arbeitsmarkt hätten vielleicht 50 Prozent unserer Klienten eine Chance. Der aber existiert faktisch gar nicht. Es gibt kaum ABM-Stellen oder Ein-Euro-Jobs. Im besten Fall hat unsere Arbeit bei ReSet dazu geführt, dass unsere Klienten wieder Gespräche mit Jenarbeit aufnehmen“, sagt Daniela Brunn.«

Wir brauchen für solche Menschen – und wir reden hier bundesweit nicht von einigen wenigen, sondern von Hunderttausenden – ganz andere Angebote der öffentlich geförderten Beschäftigung und damit Teilhabe am Erwerbsleben, wenn man denn Teilhabe als einen substantiellen Aspekt im Leben der meisten Menschen begreifen würde. Aber die dafür notwendigen gesetzgeberischen Aktivitäten stehen derzeit mal wieder und leider nicht auf der Agenda der da in Berlin.