Wenn die Kraft der Zahlen die Rumänen und Bulgaren trifft, nicht aber die Polen. Und auch nicht die vielen anderen. Also die Deutschen. Und was übrig bleibt, wenn man genauer hinschaut

Zahlen in der sozialpolitischen Diskussion sind wichtig und haben ihre Bedeutung. Und immer wieder kann es erhellend sein, die Herkunft eines Wortes nachzuvollziehen. „Bedeutung“ hat ihre Quelle im mittelhochdeutschen „bediutunge“ = Auslegung. Man muss die Zahlen immer auch auslegen (können respektive wollen). Illustrieren lässt sich das gleichsam lehrbuchhaft an der aktuellen Debatte über die (angebliche) Zuwanderungswelle von Rumänen und Bulgaren in die deutschen Sozialsysteme. Seit dem denkwürdigen Spruch „Wer betrügt, der fliegt“ aus den bayerischen Landen gibt es in den Medien eine massive Gegenbewegung, mit der semantisch (durch die Etikettierung des Begriffs „Sozialtourismus“ als Unwort des Jahres 2013) wie auch mit ausdrücklichen Bezug auf die Datenlage versucht wird, den Apologeten eines Katastrophenszenarios Einhalt zu gebieten. Darunter sind nicht nur Vertreter, die überhaupt kein Problem sehen, sondern auch diejenigen einer differenzierten Position, die sehr wohl die lokalen Überforderungen anerkennen, die gesamtstaatliche Dimension aber nicht aus dem Auge verlieren bis hin zu denjenigen, die auf das grundsätzliche Dilemma aufgrund des enormen Wohlstandsgefälles innerhalb der EU und den daraus resultierenden (möglichen) Wanderungsmotiven hinweisen.

Und erneut werden wir Zeuge einer Indienstnahme der für viele Menschen immer noch sehr beeindruckenden Argumentation mit Hilfe von Zahlen, um das Augenmerk auf ein „Problem“ zu lenken oder dieses darüber zu konstruieren. So platzierte beispielsweise die FAZ vor wenigen Tagen diesen Artikel: „Hartz IV: Mehr Geld für selbständige Rumänen und Bulgaren“ und kurz darauf diesen hier: „Hartz IV: Rumänen und Bulgaren stocken häufig auf„.

Sven Astheimer berichtet in seinem Artikel „Mehr Geld für selbständige Rumänen und Bulgaren“ im ersten Absatz mit einem gut verpackten besorgten Unterton: »Die Zahl der selbstständigen Rumänen und Bulgaren, die ergänzend Hartz IV empfangen, hat sich binnen zwei Jahren verdoppelt. Doch die Bundesagentur für Arbeit sieht kaum Anzeichen für eine Armutszuwanderung.« Viele eilige Leser werden möglicherweise an der Überschrift und der ersten kompakten Aussage hängen geblieben und dann weitergezogen sein. Im Ohr ist das mit der Verdoppelung der Hartz IV-empfangenden Rumänen und Bulgaren. Wenn das kein Beleg ist für … ja, für was eigentlich? Welche „Bedeutung“ hat diese Information? Aber diese entscheidende Frage muss noch gar nicht aufgerufen und bearbeitet werden, schauen wir zuerst einmal auf die „nackten“ Zahlen, die uns in dem Artikel präsentiert werden:

»Die Zahl der Rumänen und Bulgaren, die hierzulande als Selbständige so wenig verdienen, dass sie ergänzend Arbeitslosengeld II (Hartz IV) beziehen, hat sich innerhalb von zwei Jahren mehr als verdoppelt. Gab es im Juni 2011 noch 861 Selbständige aus diesen beiden Ländern, die ihren Lebensunterhalt nicht aus eigener Kraft bestreiten konnten, waren es im Sommer 2013 schon 2.037.«

Also quantitativ können wir den Angaben, die aus einer Sonderauswertung der Bundesagentur für Arbeit (BA) stammen, entnehmen: Innerhalb von zwei Jahren ist die Zahl von 861 auf „schon“ 2.037 angestiegen. Wahnsinn. Vor allem wenn man berücksichtigt, dass wir über 40 Millionen erwerbstätige Menschen haben und auch die Gruppe der Selbständigen im engeren Sinne (vgl. hierzu z.B. den Beitrag von Kritsch/Kritikos/Rusakova: Selbständigkeit in Deutschland: Der Trend zeigt seit langem nach oben, in: DIW Wochenbericht Nr. 4/2012) wesentlich umfangreicher daherkommt: So hat sich die »Zahl der Selbständigen zwischen dem Jahr 1991 und dem Jahr 2009 um 40 Prozent, von etwas über 3 Millionen auf gut 4,2 Millionen, erhöht.«

Also auch eine verdoppelte Zahl an Rumänen und Bulgaren, die deutsche Sozialleistungen in Form des aufstockenden Hartz IV“-Bezugs bekommen, ist mit 2.037 Personen im Ozean der Selbständigen insgesamt in Deutschland noch nicht einmal als embryonal zu kennzeichnen. Aber da wird jetzt ein Riesen-Heckmeck gemacht.

Interessant ist die folgende Formulierung von Sven Astheimer in seinem Artikel:

»Hintergrund der Missbrauchsdebatte ist, dass Rumänen und Bulgaren seit dem 1. Januar die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit in der Europäischen Union genießen. Einen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben sie aber frühestens, nachdem sie schon einmal eine Arbeit in Deutschland ausgeübt haben. Eine Ausnahme gilt jedoch für Selbständige, die vom ersten Tag an Anspruch auf aufstockende Leistungen haben. Dazu reicht der Besitz eines Gewerbescheins. Laut Bundesagentur für Arbeit muss der Antragsteller lediglich seine Bedürftigkeit anzeigen. Eine inhaltliche Prüfung findet nicht mehr statt.«

Es geht jetzt keinesfalls um eine seminaristisch angelegte Textkritik, aber eingeleitet wird der Textabschnitt mit dem Hinweis auf eine „Missbrauchsdebatte“, beschrieben wird dann aber eine mögliche Folgeproblematik der deutschen Regelungslage, die eben den aufstockenden Bezug von Grundsicherungsleistungen zulässt, wenn das selbständige Einkommen unter dem Regelbedarf liegt. Das kann  man so machen, aber man ist keineswegs – um das hier in aller Deutlichkeit sagen – verpflichtet, die derzeit bestehende sehr weitreichende Regelung zu wählen. Natürlich könnte man bei der Prüfung der Voraussetzungen des Leistungsbezugs auch restriktivere Regelungen einbauen. Insofern könnte man an dieser Stelle wenn überhaupt von einem „Bürokratieversagen“ sprechen.

Aus dem diese Tage der Öffentlichkeit vorgestellten „Migrationsbericht 2012“ kann man entnehmen, dass beispielsweise im Jahr 2012 die größte Gruppe an Zuwanderern aus Polen stammt. Nur spricht jemand über diese Zuwanderer? Ist das beschriebene Verhalten – also bei selbständiger Tätigkeit aufstockende Leistungen in Anspruch zu nehmen – bei einem polnischen Fliesenleger ein geringeres Problem als bei einem rumänischen?

Wenn man von einem „Problem“ sprechen will, dann ist es ein Problem der Ausgestaltung der deutschen Regelungen im Grundsicherungssystem. Letztendlich wird das Opfer zum Täter gemacht: Die hierher kommenden Menschen aus Rumänien oder Bulgarien (oder einem anderen Land) haben (zumindest für eine gewisse Zeit) keinen Zugang zum Grundsicherungssystem, außer sie sind im Arbeitsmarkt „integriert“ beispielsweise durch eine selbständige Tätigkeit. Man könnte das, wenn man will, als ein „Schlupfloch“ bezeichnen, wohlgemerkt ein legales. Wenn dann die Menschen dieses Schlupfloch nutzen, dann wirft man ihnen „Missbrauch“ vor. Das folgt offensichtlich einer eigenen Logik.

Allerdings muss man klar sagen: Auch wenn man jetzt an der Regelungen im SGB II herumfummeln würde, um das restriktiver auszugestalten, dann kann man das natürlich nicht nur für Rumänen oder Bulgaren machen, für die anderen – also die Mehrzahl der Empfänger – aber nicht. Eine solche nach Nationalität oder gar Ethnien selektierende Sozialpolitik hat definitiv keinen Platz in unserer Gesellschaft und das ist auch gut so.

Fazit: Nachdem anfangs die „Hartz IV-Karte“ gegenüber den angeblich massenhaft wegen dieser Leistung einwandernden Rumänen und Bulgaren gespielt wurde, um Bedrohungs- und Futterneidängste in der einheimischen Bevölkerung zu wecken, mussten die Apologeten dieses Kurses feststellen, dass die allen zugänglichen Daten eben keine überdurchschnittliche Inanspruchnahme von Hartz IV bei den Zuwanderern aus den beiden genannten Ländern aufzeigen können und wollen. Also weicht man aus auf die „Aufstocker“-Thematik bei den Selbständigen, wohl wissend, dass das bis zum 1. Januar 2014 die einzige legale Möglichkeit war, die geforderte „Arbeitsmarkt-Integration“ nachzuweisen. Und dann diskutiert man über einen Anstieg auf 2.037 Fälle. Im Deutschland der Millionen. Es ist immer wieder gut, sich die Relation von Zahlen klar zu machen. Und ihre Bedeutung.

Von der Last der Geschenke, ganz lebenspraktischer Hilfestellung vor Ort in Oberbayern, dem Staat als Weihnachtsmann und dem armutsbedingten Smog über griechischen Städten

Viele Menschen hier in Deutschland haben die zurückliegenden Weihnachtstage mit ihren Familien gefeiert und sich im Wert von mehreren hundert Euro beschenkt. Es sei ihnen gegönnt. Zugleich werden viele – das gehört zum Fest irgendwie dazu – das erste und letzte Mal in diesem Jahr einen Gottesdienst besucht und ihre Rolle als Jahresendchristen erfüllt haben. Dabei werden sie – natürlich abhängig von den jeweiligen Pfarrern bzw. ggfs. Pfarrerinnen – entweder mit 0-8-15-Predigten in Gestalt des Wiederkäuens der weichgespülten Fassung der Weihnachtsgeschichte (inklusive eines mehr oder ehrlich gesagt meistens weniger professionell dargebrachten Laienkrippenspiels) oder aber mit Predigten konfrontiert worden sein, in denen der Blick auf die Armen und Ausgeschlossenen, auf die Außenstehenden im wahrsten Sinne der eigentlichen Geschichte gerichtet wurde. Vielleicht wurde dann auch an der einen oder anderen Stelle die in unserem Land eben nicht nur in Spurenelementen vorhandene real existierende Armut angesprochen. Man hätte das durchaus vertiefen können an den Problemen vieler einkommensarmer Menschen, die sich und vor allem den eigenen Kindern eben keine wirklich tollen Geschenke machen können – und viele Kinder werden sich schon fürchten vor dem „Geschenkevergleich“ in den Schulen am Beginn des neuen Jahres, der oftmals die gleiche (verletzende bzw. triumphierende) Qualität hat wie „mein Haus, mein Auto, mein …“, nur eben etwas kleiner. Von den aktuell rund 6,13 Millionen Hartz IV-Empfängern sind 1,5 Millionen Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren. Für viele Eltern trifft sicher zu, was Miriam Bunjes und Pascal Becher in ihrem Artikel „Die Last der Geschenke“ zitieren: „Sie haben Angst vor Weihnachten“, sagt Dirk Neidull von der Wetzlarer Arbeitsloseninitiative. Vielleicht werden sie sogar noch konfrontiert mit Berichten darüber, dass auch Geschenke ab einem bestimmten Wert angerechnet werden müssen auf die vom Staat gewährte Grundsicherung.

In dem Artikel wird aber auch von einem „Widerstandsnest“ berichtet, wo man vor Ort Helfen ganz praktisch hat werden lassen:

»Das oberbayrische Burghausen hebt die staatliche „Stütze“ zu Weihnachten an. In der 18.000 Einwohner-Kommune an der Grenze zu Österreich gibt es für Empfänger von Sozialleistungen eine „Weihnachtsbeihilfe“ von bis zu 120 Euro. 2005 ließ der SPD-Bürgermeister erstmals im Stadtrat über sie abstimmen – bis heute kommt sie immer durch.
„Weihnachten sollte in Deutschland zum Leben dazu gehören“, erklärt Elisabeth Rummert vom Burghausener Sozialamt. „Dass das von dem vorgesehenen Einkommen nicht geht, ist doch jedem bewusst.“ Burghausen habe als wirtschaftlich erfolgreiche Kommune viele Gewerbesteuereinnahmen. „Solange das so ist, helfen wir an Weihnachten nach“, sagt Rummert.«

In anderen Regionen sieht es hingegen ganz anders aus, beispielsweise im Saarland: »… 120 Euro Weihnachtsgeld würden für den Landkreis Homburg allein fast eine Viertel Millionen Euro zusätzliche Ausgaben bedeuten, sagt Landrat Lindemann: „Das schaffen wir nicht.“ Der Kreis unterstütze aber zumindest die Sozialkaufhäuser in der Region.«

Nun wird jeder halbwegs aufgeklärte Mensch daran zweifeln, ob es wirklich sein kann und darf, dass die Frage eines kleinen Zuschusses zum Weihnachtsfest davon abhängt, ob man im (reichen) Oberbayern oder im (armen) Saarland lebt bzw. leben muss, wobei, das sei hier besonders herausgestellt, ja auch in den „reicheren“ Gegenden keineswegs flächendeckend, sondern eher als Ausnahme versucht wird, Teilhabe auch zu Weihnachten wenigstens etwas wirklich werden zu lassen.

Man könnte dann den Blick über den nationalen Tellerrand werfen, z.B. zu unseren französischen Nachbarn, denn dort übernimmt der Staat durchaus partiell die Aufgabe eines Weihnachtsmanns im praktischen, hier also monetären Sinne:
»Rund 2,2 Millionen Franzosen erhalten dieser Tage eine „Weihnachtsprämie“. Sie beträgt 152,45 Euro für eine alleinstehende Person oder 381,13 Euro für eine fünfköpfige Familie. Nutznießer sind unter anderem ausgesteuerte Arbeitslose, mittellose Pensionisten und oft auch alleinerziehende Mütter mit niedrigem Einkommen«, können wir dem Artikel „Wenn der Staat Weihnachtsmann spielen muss“ von Stefan Brändle aus Paris entnehmen. Übrigens: Eingeführt hatte diese „prime de Noël“ der sozialistische Premier Lionel Jospin 1998 auf Druck der Arbeitslosenverbände.

Bei uns in Deutschland bleibt es dann zumeist bei kleinen Gesten der Wohlfahrtsverbände und Kirchen, die ein paar Lücken vor Ort zu stopfen versuchen – und ansonsten regiert die harte Hand der „staatsprotestantischen Ethik“, ob bewusst oder unbewusst, auf alle Fälle faktisch.

Und diese harte Hand und das damit verbundene (vor- oder nachgängige Denken) beherrscht dann auch den offiziellen Umgang mit den so genannten „Krisenstaaten“ in der Euro-Zone, allen voran „den“ Griechen, die sich jetzt – nachdem sie angeblich in Saus und Braus gelebt haben – die Gürtel aber mal so richtig enger ziehen müssen.

Was das bedeutet, beispielsweise für die griechischen Normalbürger, können sich – das sei hier gar nicht als Vorwurf formuliert – die deutschen Normalbürger sicher nicht vorstellen. Oder wie soll man so eine Information verarbeiten können? »Seit 2009 sind nach Schätzungen der Gewerkschaftsverbände (GSEE-ADEDY) die Einkommen in Griechenland durchschnittlich um fast 40 Prozent gefallen.« Diese Information und mehr konnte man bereits am 24. Dezember dem Artikel „Notwinter in Athen“ von Arnold Schölzel entnehmen, der in der linken Tageszeitung „junge Welt“ erschienen ist und der sich vor allem genau so mit einem Phänomen auseinandersetzt wie der am gleichen Tag in der ebenfalls linken Tageszeitung „Neues Deutschland“ veröffentlichte Artikel „Der Geruch der Armut“ von Kurt Stenger: In griechischen Städten herrscht wegen der gestiegenen Nutzung von Holzöfen Smogalarm. Mittlerweile ist die Gesundheit vieler Menschen gefährdet.
Kurt Stenger berichtet: »Wer derzeit in einer griechischen Stadt unterwegs ist, kann die Armut förmlich riechen und sehen. Ein beißender Geruch nach verbranntem Holz liegt in der Luft. Und der Smog in Athen sowie anderen urbanen Zentren hat ein derart gefährliches Niveau erreicht, dass Gesundheitsminister Adonis Georgiades am Wochenende an Ältere und Asthmatiker appellierte, ihre physischen Aktivitäten zu begrenzen bzw. ihre Inhalatoren häufiger zu benutzen.«

Und die Gefahr für Leib und Leben durch die gewaltige Luftverschmutzung ist so gravierend, dass der Staat hier eine ganz eigene „Notbeihilfe“ kreiert hat, wie Arnold Schölzel berichtet: »Gibt es zu viel Staub, soll der Strom für Arbeitslose und notleidende Familien am betreffenden und dem darauffolgenden Tag kostenlos sein. Anspruch sollen alle Familien mit einem Jahreseinkommen von weniger als 12000 Euro haben. Mit jedem Kind steige diese Grenze um 3000 Euro, hieß es.«
Dadurch könnten Elektroheizungen genutzt werden – so sie denn vorhanden sind, womit wir dann beim nächsten Problem wären.

Aber warum kommt es zu dieser Entwicklung? Die Ursache ist in der „Antikrisenpolitik“ der griechischen Regierung zu finden, wie Stenger ausführt:

»Um Staatseinnahmen zu erhöhen, wurden in den letzten Jahren die Heizöl- und die Mehrwertsteuer mehrmals erhöht. Für einen Liter Heizöl müssen Griechen mittlerweile gut 1,30 Euro berappen – in Deutschland sind es rund 80 Cent. Da gleichzeitig die Einkommen vieler Haushalte in der Krise dramatisch gesunken sind, reicht das Geld nicht dafür, die Ölheizung in Betrieb zu halten. Sehr viele Griechen heizen derzeit – bei Temperaturen etwa wie in Deutschland – entweder gar nicht oder verbrennen Holz, das nicht selten illegal in den ohnehin kargen Wäldern des Landes geschlagen wurde. Meist handelt es sich um Brennstoffe minderer Qualität oder mit hohem Harzanteil. Und Feinstaub- oder Rußfilter sind in den häufig erst wieder instand gesetzten Uraltöfen oder Kaminen Fehlanzeige.«

Mittlerweile hat die Berichterstattung über die Verhältnisse in Griechenland das Ghetto der linken Presse verlassen. So berichtet am 27.12.2013 beispielsweise Spiegel Online über die Lage in Hellas: „Giftiger Smog überzieht griechische Großstädte“ – übrigens zutreffend in der Rubrik „Wirtschaft“. Auch hier wird auf die 2012 vorgenommene drastische Erhöhung der Heizölsteuer eingegangen – seitdem ist der Heizölverbrauch in Griechenland um rund 50 Prozent eingebrochen. Giorgos Christines weist in seinem Artikel aber auch darauf hin, »dass die griechischen Finanzbehörden das Steueraufkommen erhöhen müssen, um die Auflagen der internationalen Kreditgeber zu erfüllen – vertreten durch die sogenannte Troika aus Internationalem Währungsfonds, Europäischer Kommission und Europäischer Zentralbank.« Vor diesem Hintergrund wird dann auch der die Forderung nach einer Senkung der Heizölsteuer ablehnende zynisch daherkommende Kommentar des griechischen Finanzministers Yannis Stournaras „verständlich“, der mit den Worten zitiert wird: „Eine Senkung der Heizölsteuer würde im Extremfall ja auch denjenigen Griechen helfen, die ihre Schwimmbecken beheizen wollen“. Das wird den armen Schluckern jetzt wirklich einleuchten.

Warum das alles – neben der offensichtlichen sozialpolitischen Dimension – durchaus richtig der Kategorie Wirtschaft zugeordnet wird, verdeutlicht vor dem angesprochenen Hintergrund der Weigerung der griechischen Regierung, die Steuern auf Heizöl für die normalen Menschen zu senken, der folgende Tatbestand einer Steuerfreiheit für ganz andere, über den Stölzel in seinem Artikel berichtet: Unverändert bleibt nämlich der Artikel 107 der griechischen Verfassung: Er garantiert den Reedern des Landes Steuerfreiheit. 3.760 Schiffe gehören griechischen Reedern, davon fahren aber nur 862 unter griechischer Flagge – Gewinne aus „internationaler“ Schifffahrt sind steuerfrei. Wie praktisch. Nur so als historische Fußnote: Die Steuerbefreiung ist von den Putschisten von 1967 in die Verfassung geschrieben worden. Eine Erbe der Militärjunta.

Und nicht wirklich überraschend jetzt: »Ihr Geld legen die griechischen Clans in der Schweiz oder in deutschen und britischen Immobilien an.« Insofern treiben dann steuerbefreite Gewinne griechischer Reeder, die in Berliner Mietshäuser investiert werden, die dann über „Modernisierung“ so teuer werden, dass die bisherigen Bewohner raus müssen, den Verdrängungsprozess der einkommensschwachen Menschen in Deutschland voran und wir werden dann mit steigenden Unterkunftskosten“belastungen“ im deutschen Grundsicherungssystem konfrontiert, die „kostendämpfende“ Maßnahmen erforderlich machen.

Letztendlich hängen die Dinge viel stärker zusammen, als viele Menschen in Deutschland (noch) glauben, wenn sie an „die“ Griechen denken, die ja so weit weg erscheinen.

Hartz IV: Von „einladungsresistenten Leistungsberechtigten“ über die Konstruktion von „guten“ und „schlechten“ Alleinerziehenden bis hin zum Sterben ordentlicher Träger von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, die nicht mehr können und nicht mehr wollen

Anscheinend sind manche Strategen zu der Überzeugung gekommen, dass es jetzt an der Zeit ist, bei den Hartz IV-Empfängern die Daumenschrauben anzuziehen bzw. die Möglichkeit, das noch mehr zu machen als bislang schon, noch rechtzeitig in den Strom der Koalitionsverhandlungen einzuspeisen: „Arbeitsagentur fordert schärfere Hartz-IV-Regeln„, so ist ein Beitrag dazu überschrieben. Und wirft man einen Blick in die dort erwähnten Vorschläge, dann muss man schon feststellen, dass sich hier ganz offensichtlich wieder einmal die hartnäckig verankerte deutsche Bestrafungs- und Verfolgungsmentalität Bahn zu brechen versucht, gepaart mit der Kombination des Auslebens von Vor-Urteilen beispielsweise gegen Alleinerziehende, die trotz vieler gegenläufiger Forschungsbefunde in den Köpfen gewisser männlicher Führungskräfte implementiert sind. Aber schauen wir uns die Vorschläge genauer an.

Hintergrund der Berichterstattung ist ein Forderungskatalog der BA für eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die derzeit über Reformen beim Arbeitslosengeld II berät. Darin plädiert die Behörde für schärfere Sanktionen und Kontrollen sowie Leistungskürzungen. Und hier ein Auszug aus den Vorschlägen der „Sozialbehörde“ BA:

»Wer dreimal einen Termin im Jobcenter versäumt, „dessen Leistungen werden vorläufig eingestellt“, lautet ein Vorschlag. „Einladungsresistente Leistungsberechtigte“ könnten so zur „Vorsprache im Jobcenter“ bewegt werden, argumentiert die Bundesagentur. Derzeit wird die Unterstützung lediglich um zehn Prozent gekürzt, wenn ein Arbeitsloser ohne Grund nicht zum Termin erscheint.«

Und zum Thema Alleinerziehende im Hartz IV-Bezug erfahren wir:
Die BA schlägt vor, »die Zuschläge für Alleinerziehende in Hartz IV abzuschaffen. „Der Mehrbedarf wird nur noch gewährt, wenn der Leistungsbezieher eine Erwerbstätigkeit ausübt oder an einer Maßnahme zur beruflichen Qualifizierung bzw. Eingliederung in Beschäftigung teilnimmt“, heißt es in dem Forderungskatalog.«

Das folgende Zitat belegt eine perfide Strategie des Herrn Alt die Alleinerziehenden betreffend, in dem er ganz offen versucht, „gute“ und „schlechte“ Alleinerziehende zu konstruieren:
Bei der Zulage für Alleinerziehende stelle sich zum Beispiel die Frage, so wird Heinrich Alt zitiert, „ob man diese nicht lieber Müttern gibt, die sich aktiv um Arbeit kümmern, sich ausbilden lassen, etwas für ihre Integration in die Gesellschaft tun, und nicht pauschal denjenigen, die passiv staatliche Leistungen beziehen“.«

Der für das SGB II zuständige BA-Vorstand Heinrich Alt verteidigte die Vorschläge. „Wir sollten das Leistungsrecht einfacher machen, um mehr Zeit dafür zu haben, die Menschen in Ausbildung und Beschäftigung zu bringen“, so wird er in dem Artikel zitiert. Darauf zielten die Rechtsvereinfachungsvorschläge von Bund, Ländern und Bundesagentur. Es gehe aber auch darum, „kritisch die Anreizsysteme zu überdenken, die manchmal in die falsche Richtung weisen“. Wohlfeil daherkommende Formulierung, hinter denen sich gerade bei Herrn Alt eine wohlgekannte Vorstellungswelt verbirgt, die er auch hin und wieder rauslässt: Beispielsweise hinsichtlich der Alleinerziehenden hat er schon öfter darauf hingewiesen, dass der Bezug von Hartz IV-Leistungen ein „Anreiz“ darstelle, der letztendlich dazu führt, dass Alleinerziehende „produziert“ werden, weil das ja auch nun eine wirklich tolle Sache ist mit dem Grundsicherungsbezug
Wenn man so eine Vorstellungswelt hat, dann ist die Forderung, den Bezug von Leistungen noch schwieriger auszugestalten, natürlich durchaus „konsequent“ und mit einer inneren Logik versehen.

Dass es aber bei den BA-Vorschlägen in Wirklichkeit darum geht, nach außen den „Rächer der Steuerzahlergemeinschaft“ zu spielen, auch wenn das am Ende mehr Geld kosten wird als vorher, erkennen auch Stefan von Borstel und Miriam Holstein, die den Artikel verfasst haben:
»Teilweise dürfte das komplexe System durch die Vorschläge der Bundesagentur aber noch komplexer gemacht werden« und sie führen dazu aus:
So könnten nicht angegebene Lebensversicherungen und Immobilien mit einem automatischen Datenabgleich bei Versicherungsunternehmen und Grundbuchämtern aufgespürt und so Leistungsmissbrauch aufgedeckt werden. Bislang werden Daten nur vierteljährlich abgeglichen, nach den Vorstellungen der Bundesagentur soll dies künftig monatlich geschehen. Oder noch so eine Idee:
»Im Visier hat die Behörde auch Hartz-IV-Empfänger, die im Internet Geschäfte machen. Die Behörde geht davon aus, dass auch Hartz-IV-Empfänger „Einkünfte im Internet durch Handel und Dienstleistungen erzielen, ohne dies dem Jobcenter mitzuteilen“. Eine stärkere Überprüfung könne hier Missbrauch bekämpfen, argumentiert die BA.«

Ja habt ihr sonst nichts zu tun? Diese Frage drängt sich einem doch nun wirklich auf, wenn man einen Moment nachdenkt, wie viele Ressourcen notwendig sind, um das umzusetzen.

Aber wir sind noch nicht am Ende der Kürzungsphantasien angelangt. Da gibt es doch noch diese aufstockenden Selbständigen, die von ihren Einkünften nicht leben können? Auch für die hat man was in der Tasche:
»Bei „unrentabler Selbstständigkeit“ sollte ihr Leistungsanspruch auf 24 Monate begrenzt werden, lautet ein weiterer Vorschlag auf der Liste. BA-Chef Frank-Jürgen Weise hatte zeitliche Begrenzungen für Selbstständige, die Hartz IV beziehen, bereits vor einem Jahr ins Gespräch gebracht.«
Während man über diesen Vorschlag durchaus vor dem Hintergrund der Frage, ob man unrentable Geschäftsmodelle auf Dauer subventionieren soll, diskutieren kann und muss, geht es bei einer anderen Personengruppe ans Eingemachte: die Kinder mal wieder:
»Wenn es nach dem Landkreistag geht, wird auch die Nachhilfe für Hartz-IV-Kinder im Bildungspaket gestrichen. Die Kreise sehen hier die Schulen in der Pflicht: „Auswirkungen eines unzureichenden Lernniveaus bleibt in der Verantwortung der Schule.“« Ja, grundsätzlich schön und gut – aber wenn die das nicht leisten können oder wollen? Pech gehabt, Pechmarie. In einer richtigen Familie wäre dir das nicht passiert.

Aber nicht nur die BA oder der Landkreistag mischen mit, auch die Bundesländer steuern ordentlich was bei – und zuweilen wird das dann sogar von den anderen Beteiligten abgelehnt, so ein besonders „sozialer“ Vorschlag aus dem rot-grünen Rheinland-Pfalz:
»So wollte Rheinland-Pfalz eine Gebühr von 20 Euro für jede Hartz-IV-Klage einführen. Außerdem schlug das Land ein Schiedsverfahren mit Anwesenheitspflicht der Kläger vor. Bund, Länder und Bundesagentur lehnten diesen Vorschlag jedoch ab.«

Über diese Vorschläge wird in den kommenden Tagen und Wochen mit Sicherheit heftig diskutiert und gestritten werden (müssen). Aber ist es nicht auffällig, dass wir nicht annähernd eine vergleichbare Diskussion über die doch angeblich gleichwertige Seite des Förderns in der Arbeitsmarktpolitik haben? Wo sind denn die innovativen Vorschläge, wie man mit dem immer länger im Leistungsbezug eingemauertem Teil der Langzeitarbeitslosen umgehen kann? Hierzu liegen zahlreiche und innovative Vorschläge aus der Fachdebatte vor, aber nirgendwo ist erkennbar, dass die hohe Politik bereit ist, sich diesem Thema anzunehmen. Und natürlich darf und muss man schon aus einer rein ökonomischen Sicht die Frage stellen, ob es nicht sinnvoller wäre, die gewaltigen personellen Ressourcen, die bei Umsetzung der hier skizzierten Vorschläge notwendig wären, in eine vernünftige, d.h. den Menschen zugewandte Hilfe und Unterstützung zu investieren.

Und seien wir nicht blauäugig: Die Perfidie (lat. perfidus = treulos, unredlich) der Argumentation eines Herrn Alt hinsichtlich der Unterscheidung in „gute“ und „schlechte“ Alleinerziehende, wobei nach außen sein Unterscheidungskriterium beispielsweise darin begründet ist, ob die betroffene Person an einer Qualifizierungsmaßnahmen teilnimmt oder einfach nur „passiv“ Leistungen bezieht, würde doch (wenn man sich einmal darauf einlässt) nur dann Sinn machen, wenn es gleichzeitig ausreichend und dann auch noch geeignete Maßnahmen für diesen Personenkreis überhaupt gibt.
Aber was erleben wir den in den letzten drei Jahren? Die Mittel im so genannten Eingliederungstitel, also die Gelder, die für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zur Verfügung stehen im SGB II-Bereich, wurden um 50 % eingedampft, wir waren und sind mit dem größten Kürzungsprogramm in der Geschichte der bundesdeutschen Arbeitsmarktpolitik konfrontiert.
Weitgehend im Stillen und Verborgenen beobachten wir derzeit landauf und landab ein Sterben vieler Träger von Arbeitsförderungsaktivitäten, die vor dem Hintergrund dieser massiven Mittelkürzung und gleichzeitig der völlig verfehlter förderrechtlichen Einschränkungen schlichtweg das Handtuch schmeißen müssen. Und seien wir uns dessen bewusst: Hierbei handelt es sich gerade nicht um die schlechten Träger, die dann versuchen, beispielsweise mit Preis- und Lohndumping-Strategien die eigene Existenz zu sichern auf Kosten der ihnen anvertrauten Menschen wie auch der eigenen Mitarbeiter, sondern es sind leider oftmals die „guten“ Träger, die es einfach nicht mehr schaffen, unter diesen immer schlechter werdenden Rahmenbedingungen arbeiten zu können.

Hierzu leider ein aktuelles Beispiel, das aus Bremen berichtet wird: „Quirl ist insolvent„. Es geht um den Beschäftigungsträger „Frauenbetriebe Quirl„, der Insolvenz angemeldet hat und damit auch gegen Verfehlungen in der Arbeitsmarktpolitik protestieren will.

»Mit seinen Frauenbetrieben bietet der Verein 125 langzeit-erwerbslosen Frauen eine Perspektive, die auf dem Arbeitsmarkt kaum eine Chance hätten. In sechs Küchenbetrieben und Gasträumen, einem Waschsalon und einem Kolleg werden sie unterstützt und qualifiziert. Quirl existiert seit 27 Jahren und hat mittlerweile 85 MitarbeiterInnen, die meisten in Teilzeit. Etwa die Hälfte arbeite in den drei Kinderhäusern des Vereins, deren Betrieb laut Geschäftsführerin Katja Barloschky nicht gefährdet ist. Die Insolvenz ist dabei eine politische Ansage: Man ziehe damit „Konsequenzen aus den systemischen Verwerfungen arbeitsmarktpolitischer Förderinstrumente“, heißt es in einer Erklärung des Vereins.«

Die Frauen, die zu Quirl kommen, haben oft keinen Schulabschluss, sind alleinerziehend, können nicht so gut deutsch oder sind traumatisiert. Bei Quirl finden sie zusätzlich zu einem Ein-Euro-Job individuelle Unterstützung. Aber die Kombination aus Arbeit und Lernen in den Arbeitsgelegenheiten ist förderrechtlich massiv erschwert worden.

» Zudem darf Quirl Einnahmen, wie etwa durch den Cateringbetrieb, nicht behalten: Etwa 460.000 Euro Umsatz machte der Verein damit 2012. Die 95.000 Euro Verlust des gleichen Jahres wären damit leicht ausgeglichen – doch laut Zuwendungsrecht müssen Gewinne abgeführt werden.«

Und dann kommt ein Absatz, der es in sich hat und deshalb hier auch zitiert werden soll:

»Nun könnte Quirl darauf so kreativ reagieren, wie andere Weiterbildungsträger im Jobcenter-Maßnahmen-Dschungel: Hochbezahltes Abstellgleis für Hartz-IV-Empfänger sein, sie in Massen vor einen Computer mit Stellenanzeigen absetzen. Damit können Weiterbildungsträger Geld verdienen und die Jobcenter sind ihre „Kunden“ los.

Doch Quirl will das: Eckpfeiler wie die „hohe fachliche Qualität in der Betreuung der Teilnehmerinnen“, die „strikte Beachtung der gesetzlichen Vorgaben“, sowie „Tariflöhne für die MitarbeiterInnen“ will der Verein „nicht verleugnen“. Katja Barloschky wird noch grundsätzlicher: „Der repressive Charakter der Arbeitsmarkt-Politik, der sich mit der Instrumentenreform noch verschärft hat, hilft niemandem und entmündigt und entwürdigt die Menschen“, sagte sie zur taz.«
Dem ist leider nichts hinzuzufügen, außer der frustrierte Hinweis, dass so ein Träger verschwindet, während die „Schwarze-Schafe-Dichte“ weiter ansteigen wird durch den hier ablaufenden negativen Selektionsprozess.

Wer lieber kalte Zahlen mag, der sei an dieser Stelle auch bedient:
»Für Peer Rosenthal von der Arbeitnehmerkammer müsse man die Instrumentenreform gemeinsam mit den Kürzungs-Beschlüssen der Bundesregierung von 2010 betrachten: In der Folge seien Fördermittel für das Jobcenter Bremen von 70 Millionen Euro in 2010 auf 45,7 Millionen in 2012 gesunken. „Die Kürzung war völlig kontraproduktiv, insbesondere, wenn man arbeitsmarktfernen Gruppen eine Perspektive auf Teilhabe durch Arbeit ermöglichen will“, so Rosenthal.«

Perspektiven auf Teilhabe durch Arbeit? Ja, das wäre doch ein Thema für eine grundlegende Reform des SGB II. Wäre. Müsste. Hätte.

Auch wenn es den vor sich hin plätschernden Nicht-Wahlkampf stört – mal wieder das deutsche „Jobwunder“. Denn das wurde teuer erkauft

Noch vor gut zehn Jahren, im Jahr 2002, galt Deutschland explizit wegen der hohen Arbeitslosigkeit als der „kranke Mann Europas“. Wie haben sich seitdem die Zeiten – und die Berichterstattung geändert. Bereits im vergangenen Jahr schlagzeilte der altehrwürdige „The Economist“ mit einer Headline auf Deutsch, was einen echten Tabu-Bruch dargestellt hat: „Modell Deutschland über alles. The lessons the rest of the world should—and should not—take from Germany„. Und das ist der Ausgangspunkt für Roland Kirbach: »Es ist dies der erste Bundestagswahlkampf seit Jahrzehnten, in dem das einstige deutsche Dauerleiden Arbeitslosigkeit keine Rolle spielt. Der Patient scheint geheilt. Er gilt jetzt als Vorbild.« Er hat eine kompakte und lesenswerte Dekonstruktion des deutschen „Jobwunders“in der ZEIT veröffentlicht: „… und raus bist du. Deutschland feiert sein Jobwunder. Doch der Erfolg ist teuer erkauft: Durch Leiharbeit, Niedriglöhne und die ständige Gefahr des sozialen Abstiegs.“ Bereits im vergangenen Jahr wurde anlässlich des zehnjährigen „Jubiläums“ der „Hartz-Reformen“ am deutschen Arbeitsmarkt das angebliche „Jobwunder“ verbunden mit dem, was die Kommission um den ehemaligen VW-Personalvorstand Peter Hartz an wundersamen Reformen angestoßen habe.

Roland Kirbach lässt sich von der scheinbar offensichtlichen Erfolgsmeldung – »Im Jahr 2002, vor Inkrafttreten der Agenda 2010, lag die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland bei 39,3 Millionen. Heute sind es 41,8 Millionen. Das ergibt einen Zuwachs von 2,5 Millionen neuen Jobs« – nicht blenden, sondern schaut genauer hin und identifiziert die zentralen und immer wieder auch kritisierten Problemstellen im Gewebe des deutschen „Jobwunders“, mit persönlichen Fallgeschichten illustrativ aufbereitet, so dass das abstrakte Arbeitsmarktgeschehen ein Gesicht bekommt:

  • Zum einen die seit der Deregulierung im Gefolge der „Hartz-Gesetze“ expandierende Leiharbeit.
  • Zum anderen an einem Beispiel aufgezeigt der sukzessive Abstieg aus einer Vollzeitbeschäftigung über eine befristete Teilzeitbeschäftigung in einen Minijob und von dem in einen Minijob im Rahmen der Selbständigkeit des Ehemannes.
  • Auch die sich ausbreitenden Solo-Selbständigen werden thematisiert.
  • Herausgearbeitet wird die Entwicklungsachse hin zum „Niedriglohnland Deutschland“.

Hier einige Zitate aus dem Artikel: »Im Jahr 2012 gab es in Deutschland 820.000 Leiharbeitsplätze. Zehn Jahre zuvor, vor Beginn des Jobwunders, waren es nur 310.000. Ein Zuwachs von mehr als 500.000 Leiharbeitsjobs … Aber nur 250.000 dieser Jobs, also die Hälfte, sind wirklich neue Arbeitsplätze. Die anderen 250.000 haben besser bezahlte, unbefristete Jobs vernichtet.«
Die Minijobs haben sich als Illusion erwiesen. Kirbach zitiert hier mit Blick auf die besonders von geringfügiger Beschäftigung betroffenen Frauen eine von Carsten Wippermann durchgeführte Studie im Auftrag des Bundesfamilienministeriums. Für Menschen mit Minijob als Haupt- und nicht als Nebenbeschäftigung entfalteten die Jobs „eine schnell einsetzende und hohe Klebewirkung und keine Brückenfunktion“, so wird Wippermann in dem Artikel zitiert. »Nur jeder siebte Minijobber schafft den Sprung auf eine Vollzeitstelle, hat Wippermann herausgefunden. Nur jeder vierte erreicht wenigstens eine reguläre Teilzeitstelle mit mindestens 20 Stunden pro Woche.« Wippermann spricht zu Recht von einem „stigmatisierenden Label“ Minijobberin. Damit ist weitgehend das Gegenteil von dem eingetreten, was man damals erhofft hatte.

Aber den Statistikern ist es egal, ob es sich um Leiharbeiter oder Minijobber handelt – sie zählen genau so als „Beschäftigte“ wie der unbefristet vollzeitbeschäftigte, womöglich gar noch tariflich abgesicherte Arbeitnehmer mit Betriebsrat. Die Betroffenen sehen sich selbst eher als Verlierer des Arbeitsmarktes. »Offiziell aber zählen sie zu den Gewinnern, zu jenen, denen das Medikament Agenda 2010 geholfen hat.«

Die Förderung der Selbstständigkeit war neben der Erleichterung von Leih- und Teilzeitarbeit ein weiterer wichtiger Bestandteil der Agenda 2010. Scheinbar eine große Erfolgsgeschichte: »Zwischen 2002 und 2012 ist die Zahl der Ein-Personen-Unternehmen in Deutschland von 1,7 Millionen auf 2,2 Millionen gestiegen.« Doch viele dieser solo-selbständigen prekären Existenzen verdienen so wenig, dass sie sich noch nicht einmal mehr eine halbwegs ordentliche Absicherung gegen Krankheitsrisiken leisten können. »Nach einer aktuellen Schätzung des Bundesverbandes der Privaten Krankenversicherungen haben inzwischen 140.000 Bundesbürger keine Krankenversicherung.«

Viele der bislang schon beschriebenen Fallkonstellationen bewegen sich im so genannten „Niedriglohnsektor“. Hierzu erläutert Kirbach:

»In Deutschland liegt die Grenze bei 9,54 Euro brutto in der Stunde, alles darunter wird als Niedriglohn bewertet. Das trifft auf die Löhne von rund 7,3 Millionen Menschen zu – 22 Prozent aller Berufstätigen. Einen höheren Anteil an Geringverdienern als Deutschland haben in Europa nur Lettland, Litauen, Rumänien und Polen. In manchen Branchen arbeiten in Deutschland fast nur noch Geringverdiener. 87 Prozent aller Taxifahrer bekommen einen Niedriglohn, ergab eine Untersuchung des Statistischen Bundesamts. Ebenso 86 Prozent der Friseure, 77 Prozent der Bedienungen in Gaststätten, 69 Prozent der Verkäufer im Einzelhandel, 68 Prozent aller Leiharbeiter, 68 Prozent der Beschäftigten in Callcentern, 62 Prozent des Hotelpersonals, 60 Prozent der Wachleute bei privaten Sicherheitsdiensten.«

Traurig, aber wahr ist die folgende Beschreibung der Situation:

»Längst ist die Bundesrepublik in einigen Branchen zum Billiglohnland des Kontinents geworden. Empörten sich die Bürger vor wenigen Jahren noch darüber, dass Nordseekrabben in Marokko gepult wurden, werden mittlerweile Schweine aus europäischen Nachbarländern nach Deutschland gekarrt und hier geschlachtet.«

Es versteht sich fast schon von selbst, dass Kirbach dies verdeutlicht am Beispiel der mittlerweile viel diskutierten osteuropäischen Werkvertragsschlachter, die in der deutschen Fleischindustrie die alten, „normalen“ Arbeitsverhältnisse verdrängt haben.

Und dann noch ein wichtiger Aspekt, der oftmals untergeht, wenn über angeblich 2,3 Millionen „neue Jobs“ schwadroniert wird, ohne zu berücksichtigen, dass es sich oftmals um andere Jobs handelt als die, die der Normalbürger vor Augen hat: »(Die Agenda 2010) hat neue Arbeit erzeugt, aber vor allem viel alte Arbeit anders verteilt. Während die Gewerkschaften allerdings immer verlangten, dass dies ohne starke Lohneinbußen zu bewerkstelligen sei, haben die Hartz-Reformer die Neuverteilung der Arbeit erreicht, indem die Qualität und die Bezahlung vieler Arbeitsplätze in Deutschland sanken.«

Und der Vollständigkeit halber: »Inzwischen gibt der Staat jedes Jahr rund elf Milliarden Euro aus, um Jobs zu subventionieren, von deren Gehältern keiner leben kann: Die Zahl der Beschäftigten, deren Lohn unter dem Hartz-IV-Niveau liegt, pendelt seit Jahren um die 1,3 Millionen, davon sind 300.000 Vollzeitstellen.« Ein gigantisches Niedriglohnsubventionierungsprogramm hat sich hier ausdifferenziert, auch, weil es gerade in den überdurchschnittlich stark davon betroffenen Branchen kaum oder keine Lohnuntergrenzen mehr gibt, weil die Tarifparteien hier keine Rolle mehr spielen und weil der Staat es bislang vermeidet hat, einen gesetzlichen Mindestlohn als Sicherungsnetz nach unten einzuziehen.

Insofern endet der Beitrag von Kirbach mit einer zutreffenden Bilanzierung der viel gerühmten „Agenda 2010“: »Deutschland ist anders geworden. Das Medikament … hatte starke Nebenwirkungen.«

Mit den Millionen kann man schon mal durcheinander kommen: Von Leistungsberechtigten, An-sich-Leistungsberechtigten und der Restgruppe der Arbeitslosen. Und was das alles mit dem Regelsatz für Hartz IV-Empfänger zu tun hat

Es ist ja auch ein Kreuz mit den Zahlen. Man kann das jeden Monat beobachten, wenn seit gefühlt 200 Jahren die Zahl der Arbeitslosen in Nürnberg der versammelten Presse bekannt gegeben wird, so wie vor kurzem für den Monat Juni des Jahres 2013. Und man kann sicher sein, dass dann überall darüber berichtet wird, dass die Zahl der Arbeitslosen – oder sagen wir es lieber an dieser Stelle bereits richtig – die Zahl der registrierten Arbeitslosen im Juni bei 2,865 Mio. Menschen und damit weiter unter der 3-Millionen-Schwelle liegt. Nun weist die Bundesagentur für Arbeit selbst in ihren monatlichen Arbeitsmarktberichten eine etwas andere Zahl aus, die weitaus sinnvoller für eine Zitation in den Medien wäre: 3,843 Millionen Menschen, die so genannten „Unterbeschäftigten“. Die sind auch alle arbeitslos, aber die fast genau eine Million Menschen, die bei der Zahl fehlt, die es dann auf die Titelseiten der Zeitungen und in die Schlagzeilen der Nachrichten in Funk und Fernsehen schafft, sind derzeit beispielsweise in „Aktivierungsmaßnahmen“ oder waren schlichtweg am Tag der Zählung der Arbeitslosen krank geschrieben, aber grundsätzlich natürlich weiterhin arbeitslos waren (weiterführend und regelmäßig die aktuellen Arbeitsmarktzahlen der BA kritisch begleitend die Berichterstattung auf der Website O-Ton Arbeitsmarkt).

Wie dem auch sei – in den Köpfen der meisten Menschen bleibt dann irgendwie immer diese niedrigste Zahl, derzeit also die 2,865 Millionen Arbeitslosen, hängen. Das mag dann auch erklären, warum so viele mehr als irritiert reagieren, wenn man gleichzeitig darauf hinweist, dass wir gegenwärtig 6,168 Millionen Menschen im Grundsicherungssystem (SGB II) haben, die also „Hartz IV“-Empfänger sind. Das bekommen dann viele nicht mehr übereinander, weil zwischen 2,9 Mio. und 6,2 Mio. ist an sich schon eine riesige Diskrepanz und dann kommen doch auch noch die Arbeitslosen dazu, die gerade erst seit kurzem arbeitslos geworden sind und die die Versicherungsleistung Arbeitslosengeld I (Alg I) beziehen und gerade nicht Hartz IV (also Alg II) und die doch auch arbeitslos sind, sonst würden sie ja auch keine Leistungen beziehen können. Die Abbildung zeigt die zahlenmäßigen Zusammenhänge.

Während wir also „nur“ 1,967 Millionen arbeitslos registrierte „Hartz IV“-Empfänger haben, beziehen tatsächlich aber 4,46 Millionen Menschen Arbeitslosengeld II und dann kommen auch noch weitere 1,71 Millionen Menschen dazu, die auch „Hartz IV“-Empfänger, aber nicht erwerbsfähig sind und damit natürlich auch nicht arbeitslos sein können. Diese Gruppe versteht man noch, wenn man die Erläuterung liest, dass es sich zu 95% um Kinder unter 15 Jahren handelt. Die sind natürlich noch nicht erwerbsfähig. Aber die Differenz zwischen den 1,967 Millionen arbeitslosen und den 4,46 Millionen erwerbsfähigen „Hartz IV“-Empfänger? Auch die kann man natürlich erklären, weil der Unterschied besteht aus an sich erwerbsfähigen, aber nicht als arbeitslos registrierbaren Menschen, weil viele von denen haben beispielsweise eine Arbeit, verdienen aber so wenig, dass sie aufstockend SGB II-Leistungen beziehen oder sie sind an sich erwerbsfähig, dürfen aber nicht arbeitslos sein, weil sie Kinder unter drei Jahren zu betreuen haben oder weil sie einen pflegebedürftigen Angehörigen versorgen.

Jetzt wird es aber noch komplizierter, folgt man dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit. Denn die haben berechnet, dass es viele Menschen gibt, die eigentlich Hartz IV-Leistungen beziehen könnten, es aber aus welchen Gründen auch immer nicht tun. So hat Cordula Eubel ihren Artikel im „Tagesspiegel“ überschrieben mit: „Mehr als jeder Dritte verzichtet auf Hartz IV. Nach Berechnungen für das Arbeitsministerium leben bis zu 4,9 Millionen in verdeckter Armut„. Genauer: »In Deutschland leben 3,1 bis 4,9 Millionen Menschen in verdeckter Armut. Das heißt, dass sie kein Hartz IV beantragen, obwohl sie wegen geringen Einkommens oder Vermögens Anspruch darauf hätten.« Zu diesem Befund ist das IAB auf der Basis von Simulationsrechnungen für das Bundesarbeitsministerium gekommen, die allerdings derzeit noch nicht veröffentlicht worden sind, so dass wir uns an dieser Stelle und zu diesem Zeitpunkt auf die zitierte Berichterstattung verlassen müssen, die von einer 247 Seiten umfassenden Studie spricht.
Wenn man das umrechnet unter Berücksichtigung der eingangs zitierten Werte, dann bedeutet das, dass zwischen 34 und 44 Prozent der Berechtigten auf staatliche Unterstützung verzichten, also mehr als jeder dritte Berechtigte.

Natürlich kommt an dieser Stelle sofort die Frage, warum so viele Menschen auf die Inanspruchnahme der ihnen ja zustehenden Leistungen verzichten. Die IAB-Forscher nennen hier „Unwissenheit, Scham oder eine nur sehr geringe zu erwartende Leistungshöhe oder -dauer“ als Erklärungsfaktoren.

Allein die Größenordnung an Menschen, die eine ihnen zustehende Grundsicherungsleistung nicht in Anspruch nehmen, ist natürlich schon sozialpolitisch hoch brisant. Aber darüber hinaus ist diese Information von einer weiteren grundsätzlichen Bedeutung mit höchst pikanten Auswirkungen auf die Praxis der Bemessung der Leistungen im SGB II-System. Hier geht es um die Frage der Berechnung der Höhe der Regelsätze innerhalb des Grundsicherungssystems.

Hierzu hatte es im Jahr 2010 eine wegweisende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gegeben,  in der die bis dahin praktizierte Art und Weise der Berechnung als verfassungswidrig erkannt wurde – unter anderem, weil dem früheren Betrag nach den Worten der Richter Schätzungen „ins Blaue hinein“ zugrunde lagen. Es handelt sich um die Entscheidung vom 9. Februar 2010: BVerfG, 1 BvL 1/09 vom 9.2.2010.

In den Leitsätzen der Entscheidung findet man die folgende Formulierung:

»Zur Ermittlung des Anspruchumfangs hat der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen in einem transparenten und sachgerechten Verfahren realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren zu bemessen.«

Die Verfassungsrichter hatten u.a. moniert, dass man die Regelsätze ableitet aus den untersten 20% der Haushaltseinkommensverteilung ohne Berücksichtigung der Hartz IV-Empfänger, was als Methode zulässig sei, aber dass man es versäumt habe, die „verdeckt Armen“ aus dieser Gruppe herauszurechnen, also die Menschen, die eigentlich zu der Gruppe der Hartz IV-Empfänger gezählt und damit ausgeschlossen werden müssten, es aber nicht tun, weil sie aus welchen Gründen auf die ihnen eigentlich zustehenden Leistungen verzichten. Der Gesetzgeber solle, so das BVerfG, bei der Auswertung künftiger Einkommens- und Verbrauchsstichproben darauf achten, die verdeckt armen Haushalte zu entfernen, da sie in der Referenzgruppe „die Datenbasis verfälschen“ würden.

Eigentlich müsste man also im Lichte der neuen Daten die dort ermittelten verdeckt armen Haushalte aus der Bezugsgruppe für die Bestimmung des Regelsatzes herausnehmen. »Dann müssten aber auch die Regelsätze steigen. Rechnet man die verdeckt Armen heraus, so steigen die Konsumausgaben bei Alleinstehenden laut IAB im Schnitt um bis zu 2,4 Prozent, bei Paaren mit einem Kind um bis zu 5,5 Prozent«, so Cordula Eubel in ihrem Artikel.

Man muss das auch sehen vor dem Hintergrund einer massiven Kritik vieler Fachleute an der 2011 dann vorgenommenen Neuberechnung des Regelsatzes im SGB II. Die Ministerialbeamten hatten damals gerechnet »und bekamen 2011 einen Eckregelsatz heraus, der den alten um 2,81 Euro übertraf«. Warum der Anstieg nur so marginal ausgefallen ist, untersuchen die beiden Wissenschaftler Irene Becker und Reinhard Schüssler in dem von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Forschungsprojekt „Das Grundsicherungsniveau: Ergebnis der Verteilungsentwicklung und normativer Setzungen„, aus dem jetzt erste Zwischenergebnisse bekannt wurden: „Regelsatz-Berechnung weiter fragwürdig„. »Die Regierung hat zwar die verfassungsrechtlich notwendigen Revisionen vorgenommen, das Rechenverfahren aber an anderen Stellen in einer Weise verändert, die den Korrekturen „systematisch entgegengewirkt haben“, so Becker. Nach ihrer Rechnung hätte der Eckregelsatz um etwa 27 Euro steigen müssen – wenn das ursprüngliche Verfahren nur in den vom obersten Gericht beanstandeten Punkten modifiziert und ansonsten unverändert geblieben wäre.« So musste man 2011 beobachten, dass eine Reihe von Einzelbeträgen abgezogen wurden, die der Gesetzgeber für „nicht regelsatzrelevant“ hält, etwa Ausgaben für Tabakwaren, Benzin, Reisen oder Gastronomiebesuche.

»Auch die Bezugsgruppe hat der Gesetzgeber verändert. Bei den Alleinstehenden zählten 2011 nicht mehr die unteren 20 Prozent, sondern nur noch die unteren 15 Prozent der Haushalte dazu. Real liegt die obere Einkommensgrenze der Referenzgruppe nun um neun Prozent oder rund 82 Euro niedriger.«

Zurück zu den neuesten Daten über den Umfang der Gruppe der verdeckt Armen. Das Bundesarbeitsministerium nennt die Größenordnung „beträchtlich“ – und wie gesagt, hier müsste man eigentlich so schnell wie möglich handeln und eine Anpassung vornehmen. Wer jetzt auf ein „aber“ wartet, den kann ich leider nicht enttäuschen, denn das Bundesarbeitsministerium »will … die Berechnung nicht ändern. Würde diese Personengruppe herausgerechnet, „käme es durch die an deren Stelle nachrückenden Haushalte mit höherem Einkommen tendenziell zu einer Verlagerung der Referenzgruppe in den mittleren Einkommensbereich“, heißt es dazu im aktuellen Regelbedarfsbericht«.

Anders ausgedrückt: Alles spricht für eine Korrektur der Regelsätze, aber das zuständige Ministerium verweigert das einfach. Nach dem Motto: Ihr könnt ja (wieder) Klage erheben, aber bis das beim Bundesverfassungsgericht landen wird, kann der Rhein noch eine Menge Wasser transportieren.