Eine Finanzspritze für die Krankenkassen aus der gut gefüllten Schatulle des Gesundheitsfonds (im Wahljahr 2017), die Frage nach dem Geschmäckle und die wirklichen Systemprobleme

Die Finanzierung der Krankenkassen aus der Welt der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist ein immerwährendes Thema der Gesundheitspolitik. In der früheren Welt galt die Regel der paritätischen, also hälftigen Finanzierung durch Beiträge der Arbeitnehmer und Arbeitgeber – wobei darauf hinzuweisen wäre, dass letztendlich die Arbeitnehmer die Sozialversicherungsbeiträge ökonomisch gesehen immer alleine zu stemmen haben, denn für die Arbeitgeber relevant sind immer die Gesamtpersonalkosten, zu denen eben auch die „Arbeitgeber“-Beiträge zählen. Nun hat es gerade hinsichtlich der Aufteilung der Finanzierungslasten eine ganz erhebliche Veränderung dergestalt gegeben, als dass der Arbeitgeberanteil eingefroren wurde und die zukünftigen Kosten- und daraus resultierend Beitragsanstiege allein von den Versicherten über die „Zusatzbeiträge“ aufzubringen sind, die zudem noch zwischen den Krankenkassen der GKV-Welt unterschiedlich sind je nach finanzieller Verfasstheit der einzelnen Kassen (vgl. dazu den Blog-Beitrag Die Versicherten in der Gesetzlichen Krankenversicherung müssen es alleine stemmen. Die Lastenverschiebung in der Sozialversicherung hin zu den Arbeitnehmern bekommt ein Update vom 16. Oktober 2015).
Diese Verschiebung und die damit verbundene Unwucht zuungunsten der Versicherten in der GKV wurde bereits in der Vergangenheit ausführlich kritisiert (vgl. dazu bereits am 14. Juni 2014 den Beitrag Und durch ist sie … Zum Umbau der Krankenkassenfinanzierung und den damit verbundenen Weichenstellungen). Nun aber erleben wir – möglicherweise – eine Flucht vor der Konsequenz dieses Umbaus des Finanzierungssystems angesichts der im kommenden Jahr anstehenden Bundestagswahlen.

Da gibt es den allgemeinen Beitragssatz von 14,6 Prozent, den sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer paritätisch teilen, zumindest formal. Die eitragseinnahmen der Kassen sowie Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt fließen in den Gesundheitsfonds. Nach einem bestimmten Schlüssel erhält jede Krankenkasse daraus eine monatliche Zahlung. Wenn die sich daraus ergebenden Finanzmittel nicht ausreichen, dann muss die Kasse von ihren Mitgliedern einen Zusatzbeitrag nunmehr im Sinne eines prozentualen Aufschlags auf den allgemeinen Beitragssatz erheben. Im Schnitt liegen diese in diesem Jahr bei 1,1 Prozent.

Allerdings wird ein Anstieg zum Jahreswechsel 2017 vorhergesagt und bis 2018 könnte der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz bei 1,8 Prozent liegen.

Nun haben wir im Herbst des kommenden Jahres Bundestagswahlen – und da würden Beitragserhöhungen in der GKV, die zudem über den Mechanismus des Zusatzbeitrags ausschließlich von den Mitgliedern der Krankenkassen zu tragen sind, nicht so gut passen. Wie also kann man diese Situation a) vermeiden und b) das dann auch noch mit dem Flüchtlingsthema verknüpfen?

Was aber hat die Frage einer Beitragsanhebung mit dem Flüchtlingsthema zu tun? Diese Verknüpfung muss im Zusammenhang gesehen werden mit der Art und Weise der Finanzierung der Ausgaben für die gesundheitliche Versorgung der Menschen, die als Flüchtlinge zu uns gekommen sind. Das wurde bereits grundsätzlich behandelt  in dem Beitrag Teure Flüchtlinge und/oder nicht-kostendeckende Hartz IV-Empfänger? Untiefen der Krankenkassen-Finanzierung und die Frage nach der (Nicht-mehr-)Parität vom 21. Februar 2016.

Wir haben eine Zweiteilung im Sinne einer 15-Monats-Frist: Flüchtlinge werden in Bezug auf die Sozialsysteme nach einer Wartezeit von 15 Monaten normalen Arbeitnehmern gleich gestellt (zudem haben sie als Asylbewerber keinen Anspruch auf das volle Leistungsprogramm der Gesetzlichen Krankenversicherung, sondern nur auf eine abgespeckte Variante). Wenn sie keinen Job haben – was zunächst für die meisten Flüchtlinge gelten wird, haben sie Anspruch auf Arbeitslosengeld II (Hartz-IV). Sie erhalten zudem die vollen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, die Beiträge an die jeweilige Kasse zahlt der Bund.

Bereits seit längerem geistern nun Vorhersagen durch den öffentlichen Raum, was das für die GKV bedeuten könnte: Krankenkassen droht Milliardendefizit, so beispielsweise die Überschrift eines Artikels von Timot Szent-Ivanyi. Hintergrund dieser Einschätzung: »Die Höhe der vom Bund übernommenen Beiträge ist aber nicht ansatzweise kostendeckend. Derzeit zahlt der Bund für jeden Hartz-IV-Empfänger rund 90 Euro im Monat. Zwar fehlen noch verlässliche Zahlen, wie hoch die von Flüchtlingen verursachten Gesundheitskosten tatsächlich sind. Es gibt allerdings erste Erfahrungswerte aus Hamburg, die von Kosten in Höhe von 180 bis 200 Euro im Monat ausgehen. Auch in Nordrhein-Westfalen wird dieser Wert für realistisch gehalten. Dabei wird davon ausgegangen, dass viele Flüchtlinge traumatisiert sind und eine umfangreiche medizinische Behandlung benötigen.«

Nun wachsen immer mehr Flüchtlinge in den normalen Schutzumfang durch die GKV hinein und man erwartet ab dem Spätsommer dieses Jahres eine deutliche Zunahme der Hartz IV-Empfänger, wenn das SGB II für die ehemaligen Flüchtlinge zuständig wird – und damit auch die Pauschale greift. Die Bundesregierung steht nun vor dem Szenario, dass sie im Wahljahr 2017 mit der Botschaft konfrontiert wird, dass die Krankenkassen die Zusatzbeiträge anheben müssen, um die nicht-gedeckten Kosten zu finanzieren (die, so der Vorwurf, durch eine zu gering dimensionierte Pauschale für Hartz IV-Empfänger verursacht werden, was allerdings nicht eindeutig belegt ist). Man kann sich in diesem Szenario vorstellen, wie das – ob zutreffend oder nicht – ausgeschlachtet werden kann von den politischen Kräften, die Stimmung machen gegen die Zuwanderung.

Vor diesem Hintergrund ist dann die „Lösung“ verständlich, die solche Überschriften signalisieren: Hermann Gröhe will für Flüchtlinge auf Gesundheitsfonds zugreifen oder auch Milliarden-Finanzspritze für die Krankenkassen: »Fachleute sagen den Krankenkassen für das kommende Jahr steigende Zusatzbeiträge voraus, unter anderem wegen der Flüchtlinge. Im Wahljahr wäre das heikel. Doch jetzt winkt eine riesige Finanzspritze.«

Und woher soll die kommen? Aus Steuermittel? Nein, aus dem Gesundheitsfonds, denn der ist gut gefüllt auch aufgrund der steigenden Beschäftigung und der Lohnerhöhungen in vielen Branchen.

»Die Reserven des Fonds sollten durch eine gesetzliche Regelung um 1,5 Milliarden Euro abgesenkt und das Geld den Kassen zur Verfügung gestellt werden, sagte ein Ministeriums-Sprecher … Der Gesundheitsfonds verfügt derzeit über Reserven von rund zehn Milliarden Euro. Um den Kassen mehr Geld aus der Rücklage zukommen zu lassen, muss die Regierung das Gesetz ändern. Mit der jetzt geplanten Summe von 1,5 Milliarden Euro sollen die Kassen dem Ministerium zufolge konkret bei den Kosten für Flüchtlinge sowie die Aufwendungen zum Aufbau einer Telematik-Infrastruktur unterstützt werden, wozu die Anwendungen rund um die elektronische Gesundheitskarte gehören.«

Und was sagen die Krankenkassen? Zum einen wollen sie mehr: So fordern Vertreter der GKV, die Reserven des Fonds über die vorgesehenen 1,5 Milliarden Euro hinaus abzusenken. 6,5 Mrd. Euro und damit 35 Prozent einer Monatsausgabe seien als Rücklagen ausreichend, so dass man ausgehend von den 10 Mrd. Euro Reserven 3,5 Mrd. Euro ausschütten könnte.
Auf der anderen Seite gibt es dort offensichtlich ein mulmiges Gefühl, was die Verknüpfung mit den (angeblich) „steigenden Kosten durch die Flüchtlinge“ angeht, man ahnt wohl, um was für ein Reizthema es sich hier handelt. So muss man den Einwurf seitens des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenversicherung verstehen, über den da unter solchen Überschriften berichtet wurde:

»Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) sieht vorerst keine Notwendigkeit, zur medizinischen Versorgung von Flüchtlingen zusätzliche Milliarden aus dem Gesundheitsfonds zu nehmen … Pfeiffer sagte weiter, im Moment könne noch nicht seriös abgeschätzt werden, wie viele Asylsuchende über den Bezug von Arbeitslosengeld II (ALG II) tatsächlich in die gesetzliche Krankenversicherung kommen. „Davon losgelöst kritisieren wir seit geraumer Zeit, dass die Beiträge für ALG-II-Empfänger generell nicht kostendeckend sind. Wenn es für Krankenkassen derzeit eine echte finanzielle Herausforderung gibt, sind es sicherlich in erster Linie die teuren Reformen des Gesetzgebers und nicht die Asylsuchenden”, fügte Pfeiffer hinzu« , so der Artikel Krankenkassen wollen kein Geld für Flüchtlinge.

Ganz offensichtlich möchte man diesen (vergifteten) Teil des Milliardengeschenks wieder an die Politik zurückreichen.

Und Doris Pfeiffer hat das eigentliche Systemproblem offen benannt – es sind nicht „die“Flüchtlinge, sondern es ist der von mehreren Seiten schon seit längerem vorgetragene Kritikpunkt, dass die Pauschale für Empfänger von Arbeitslosengeld II zu niedrig angesetzt ist (zu den Hintergründen vgl. genauer den Beitrag Teure Flüchtlinge und/oder nicht-kostendeckende Hartz IV-Empfänger? Untiefen der Krankenkassen-Finanzierung und die Frage nach der (Nicht-mehr-)Parität vom 21. Februar 2016).

Und weitere relevante Systemprobleme der Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung müssen hier benannt werden, dann wird klar, dass die politisch motivierte, gefährliche Verengung des Problems auf „Flüchtlinge“ völlig unterkomplex ist und von den eigentlich zu diskutierenden Punkten ablenkt:

Neben der Unterfinanzierung der Kassenpauschale für die vielen Hartz IV-Empfänger sind die Zusatzbeiträge an sich aufgrund der mit ihnen einhergehenden einseitigen Verlagerung der Lasten zukünftiger Ausgabenanstiege auf die zahlenden Mitglieder zu nennen (bezeichnenderweise bekommt die Politik Muffensausen genau in dem Moment, wo dieser gewollte Mechanismus greifen würde und eine Bundestagswahl vor der Tür steht, was mehr als ein Geschmäckle hat). Hinzu kommt eine weitere einseitige Belastung, in diesem Fall der Patienten unter den Versicherten – die Zuzahlungen. Man muss sich an dieser Stelle klar machen, dass Zuzahlungen nichts anderes bedeuten als das (teilweise) Vorenthalten einer Kostenerstattung durch die Krankenkasse. Und hier geht es nicht um Peanuts: Zuzahlungen von 3,6 Milliarden Euro sind für die Krankenkassen eine gewichtige Entlastung. Und dann ist da noch der Bundeszuschuss aus Steuermitteln zur Abdeckung der „versicherungsfremden Leistungen“ in der GKV, denn zum einen ist die angesetzte Summe nach Ansicht vieler Kritiker viel zu niedrig und dann wurde die auch noch in den vergangenen Jahren als Steinbruch für Haushaltseinsparungen des Bundes zweckentfremdet. Hinzu kommt die nur noch historisch zu verstehende Verengung der Finanzierungsgrundlagezum einen auf sozialversicherungspflichtiges Erwerbsarbeitseinkommen und zum anderen das dann auch noch bis zu einer Beitragsbemessungsgrenze, deren Überschreiten dazu führt, dass jeder Euro darüber nicht herangezogen wird zur Finanzierung.
Bei einer System-Betrachtung wäre auch die Dualität zwischen GKV und PKV zu nennen, die dazu führt, dass sich nicht selten „gute Risiken“ aus der Solidargemeinschaft der GKV verabschieden können.

Wenn man diese Stichworte betrachtet, dann wird klar, dass die eigentliche Finanzierungsdebatte in der Krankenversicherung ganz anders aufgehängt werden müsste. Und dabei wären „die Flüchtlinge“ nur ein sehr kleiner Teil der Packung.

Teure Flüchtlinge und/oder nicht-kostendeckende Hartz IV-Empfänger? Untiefen der Krankenkassen-Finanzierung und die Frage nach der (Nicht-mehr-)Parität

Die Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) basiert vor allem auf den Beitragseinnahmen, abgesehen von einem Bundeszuschuss, also Steuermitteln, in Höhe von (derzeit wieder) 14 Mrd. Euro, im vergangenen Jahr waren es nur 11,5 Mrd. Euro aufgrund von Sparmaßnahmen im Bundeshaushalt, mit dem pauschal versicherungsfremde Leistungen an die GKV (zum Beispiel beitragsfreie Familienversicherung von Kindern und Ehegatten oder Leistun­gen für Mutterschaft und Schwangerschaft) abgegolten werden sollen. Bis zum Jahr 2009 gab es krankenkassenindividuelle Beitragssätze, die damalige große Koalition hatte diese durch einen fundamentalen Systemwechsel mit der Einführung des Gesundheitsfonds und einem einheitlichen Bundesbeitragssatz beseitigt und zugleich die bis dato existierende paritätische Finanzierung der GKV durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber faktisch aufgehoben, da der Arbeitgeberbeitrag „eingefroren“ wurde durch die Verlagerung eines Teils der Kostenanstiege allein auf die Versichertenseite durch die Einführung einkommensunabhängigen Zusatzbeiträgen, die ausschließlich von den Versicherten zu finanzieren waren (vgl. dazu den Beitrag Des einen Freud, des anderen (perspektivisches) Leid. Zur Neuordnung der Finanzierung der Krankenkassen vom 2. Januar 2014).

Eine weitere Verfestigung des nunmehr asymmetrisch zuungunsten der Versicherten ausgestalteten Finanzierungssystems gab es zum 1. Januar 2015 durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Finanzstruktur und der Qualität in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzstruktur- und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetz – GKV-FQWG). Der paritätisch finanzierte Beitragssatz wurde auf 14,6% gesenkt, während der Arbeitgeberanteil bei 7,3% nun auch dauerhaft eingefroren wurde. Die einkommensunabhängigen pauschalen Zusatzbeiträge wurden abgeschafft, stattdessen muss der Zusatzbeitrag nun als prozentualer Anteil von den beitragspflichtigen Einnahmen erhoben werden – sehr angenehm für den Bund, denn der bis dahin vorgesehene steuerfinanzierter Sozialausgleich konnte gestrichen werden, da der „Finanzausgleich“ jetzt innerhalb der GKV und damit von den Versicherten geleistet werden muss (vg. dazu den Beitrag Die Versicherten in der Gesetzlichen Krankenversicherung müssen es alleine stemmen. Die Lastenverschiebung in der Sozialversicherung hin zu den Arbeitnehmern bekommt ein Update vom 16. Oktober 2015).

Zwischenfazit: Die Finanzierung der GKV ist in den zurückliegenden Jahren in mehrfacher Hinsicht zuungunsten der Versicherten (und der Patienten) verschoben worden:

  • Zum einen durch den beschriebenen Prozess des „Einfrierens“ des Arbeitgeberbeitrags, der mittlerweile, also seit dem GKV-FQWG, auch dauerhaft abgekoppelt ist von der Bewältigung der zukünftigen Ausgabenanstiege, denn diese Aufgabe müssen die Zusatzbeiträge leisten, die aber von den Versicherten allein zu tragen sind. Damit hat man sich vom Grundsatz der paritätischen Finanzierung endgültig verabschiedet.
  • Hinzu kommt eine weitere einseitige Belastung, in diesem Fall der Patienten unter den Versicherten – die Zuzahlungen. Man muss sich an dieser Stelle klar machen, dass Zuzahlungen nichts anderes bedeuten als das (teilweise) Vorenthalten einer Kostenerstattung durch die Krankenkasse. Und hier geht es nicht um Peanuts: Zuzahlungen von 3,6 Milliarden Euro sind für die Krankenkassen eine gewichtige Entlastung. Sie entspricht 0,3 Beitragssatzpunkten (vgl. dazu Belastung für Kassenpatienten). 
  • Und auch die an sich gute und richtige Idee, sogenannte „versicherungsfremde Leistungen“ der GJV über einen Bundeszuschuss und mithin aus Steuermittel zu finanzieren, ist hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung mehr als fragwürdig, denn zum einen ist die angesetzte Summe nach Ansicht vieler Kritiker viel zu niedrig und dann wurde die auch noch in den vergangenen Jahren als Steinbruch für Haushaltseinsparungen des Bundes zweckentfremdet. Das Bundesgesundheitsministerium schreibt selbst: »Seit 2012 betrug der Bundeszuschuss 14 Milliarden Euro. Zur Konsolidierung des Bundeshaushalts wurde der Bundeszuschuss 2013 auf 11,5 Milliarden Euro, 2014 auf 10,5 Milliarden und  2015 auf 11,5 Milliarden Euro vorübergehend abgesenkt. Ab 2016 beträgt der Bundeszuschuss wieder 14 Milliarden Euro und ist ab 2017 auf jährlich 14,5 Milliarden Euro festgeschrieben (Haushaltsbegleitgesetz 2014).

Und ein weiterer Punkt kommt jetzt hinzu: Die einseitige Finanzierung der vor uns liegenden Aufgabensteigerungen in der GKV nur über die Versicherten soll nun auch noch zusätzlich befeuert werden durch die Integration der Flüchtlinge in das GKV-System. So eine These ist gerade in diesen Tagen besonders begründungspflichtig. Schauen wir uns das einmal genauer an.

Krankenkassen droht Milliardendefizit, so die Überschrift eines Artikels von Timot Szent-Ivanyi. Die Hauptthese des Beitrags kann so zusammengefasst werden:

»Der Bund überweist viel zu geringe Krankenkassenbeiträge für Flüchtlinge und andere Hartz-IV-Empfänger. Das so entstehende Loch müssen die gesetzlich Versicherten über höhere Zusatzbeiträge ausgleichen.«

Es wird behauptet, dass bereits in diesem Jahr eine Lücke von mehreren Hundert Millionen Euro entstehen wird, weil der Bund für Flüchtlinge und andere Hartz-IV-Empfänger viel zu geringe Krankenkassenbeiträge überweist. 2017 wird das Loch schon auf über eine Milliarde Euro anwachsen. Aber wie kann es dazu kommen? Die Argumentationskette geht so:

»Flüchtlinge werden in Bezug auf die Sozialsysteme nach einer Wartezeit von 15 Monaten normalen Arbeitnehmern gleich gestellt. Wenn sie keinen Job haben – was zunächst für die meisten Flüchtlinge gelten wird, haben sie Anspruch auf Arbeitslosengeld II (Hartz-IV). Sie erhalten zudem die vollen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, die Beiträge an die jeweilige Kasse zahlt der Bund. Die Höhe der vom Bund übernommenen Beiträge ist aber nicht ansatzweise kostendeckend. Derzeit zahlt der Bund für jeden Hartz-IV-Empfänger rund 90 Euro im Monat. Zwar fehlen noch verlässliche Zahlen, wie hoch die von Flüchtlingen verursachten Gesundheitskosten tatsächlich sind. Es gibt allerdings erste Erfahrungswerte aus Hamburg, die von Kosten in Höhe von 180 bis 200 Euro im Monat ausgehen. Auch in Nordrhein-Westfalen wird dieser Wert für realistisch gehalten. Dabei wird davon ausgegangen, dass viele Flüchtlinge traumatisiert sind und eine umfangreiche medizinische Behandlung benötigen.«

Folgt man dieser Argumentation, dann ergibt sich eine monatliche Lücke zwischen Beitrag und tatsächlichen Kosten um die 100 Euro oder etwa 1.200 Euro im Jahr. Wenn man das hochrechnet, dann kommt man zu der bereits erwähnten eine Milliarde Euro im kommenden Jahr: »Pro Hunderttausend Flüchtlinge entsteht so in der gesetzlichen Krankenversicherung ein Defizit von 120 Millionen Euro im Jahr. Geht man davon aus, dass spätestens im Verlauf des Jahres 2017 eine Million Flüchtlinge die Wartezeit von 15 Monaten überschritten haben, dann wächst das Loch auf über eine Milliarde Euro.«

Man muss an dieser Stelle kurz innehalten und sich verdeutlichen, wo das eigentliche Problem zu liegen scheint: Irgendwie hat das was mit den Beiträgen zu tun, die für Menschen, die sich im Hartz IV-System befinden, von den Jobcentern an die Krankenkassen überweisen werden.
Hierzu führt Timot Szent-Ivanyi in seinem Artikel aus:

»Die vom Bund überwiesenen 90 Euro sind selbst für „normale“ Hartz-IV-Empfänger nicht kostendeckend. Bis Ende 2015 zahlte der Bund für jeden Hartz-IV-Empfänger 146 Euro im Monat. Mit diesem Betrag waren allerdings auch die Familienmitglieder abgedeckt. Da das Verfahren vor allem wegen der Familienversicherung zu kompliziert war, wurde es zu Beginn des Jahres umgestellt. Seitdem zahlt der Bund für jedes einzelne Familienmitglied den abgesenkten Betrag von 90 Euro. Die Hoffnung, dass die Umstellung für die Krankenversicherung kostenneutral ist, hat sich allerdings nicht erfüllt. Nach Informationen der FR verlieren die Kassen so gegenüber der alten Regelung 120 Millionen Euro im Jahr, Tendenz steigend.«

Der entscheidende Punkt lautet: »Die Kassen müssten also auch ohne die Zuwanderung ein wachsendes Defizit verkraften. Die Flüchtlinge verschärfen die Situation noch weiter.« Ganz genau müsste man formulieren: wenn die Flüchtlinge nach der angesprochenen 15-Monats-Frist im Hartz IV-System landen und dort wie jeder andere Hartz IV-Empfänger behandelt werden. Festzuhalten bleibt an dieser Stelle: Durch die ja nicht wirklich sachlogisch begründete Absenkung der Beiträge für Menschen im Grundsicherungssystem (von vormals 146 auf nur noch 90 Euro) wird den Krankenkassen Geld entzogen, weil der Bundeshaushalt sich darüber entlasten kann – insofern ein „aktiver Beitrag“ der Hartz IV-Empfänger zur „schwarzen Null“ des Bundesfinanzministers. Nur dass das jetzt den GKV-Versicherten um die Ohren fliegt.

Dieser Artikel wird kontrovers diskutiert. So heißt es beispielsweise in der „Ärzte Zeitung“: Mehrkosten für die Kassen sind unklar. Denn die tatsächlichen Kosten für die Krankenkassen hängen davon ab, in welchem Umfang eine Integration in Erwerbsarbeit (nicht) gelingt. »Unklar sind bisher zudem die tatsächlich durch Flüchtlinge in der GKV entstehenden Gesundheitskosten. Hierzu liegen nur Erfahrungswerte etwa aus Hamburg vor. Danach sollen sich die Kosten auf 180 bis 200 Euro pro Monat belaufen. Zum Vergleich: Die durchschnittlichen Leistungskosten für alle GKV-Mitglieder lagen im Jahr 2014 bei rund 300 Euro pro Monat.« Dann wären die Flüchtlinge also „billiger“.
Was aber schlussendlich auch egal ist, denn auch in diesem Artikel wird das eigentliche Grundproblem erkannt und benannt – »der zu geringe Zuschuss, den der Bund für Bezieher von Arbeitslosengeld II (ALG II) an die Kassen zahlt.«

Und Paul M. Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) hat in seinem Beitrag Stimmen die in der FR genannten Krankenkassenbeiträge für „Hartz-IV-Empfänger“? vom 17.02.2016 zu Recht darauf hingewiesen, dass der Betrag, der den Krankenkassen seitens des Bundes „vorenthalten“ wird, sogar noch größer ist als die Summe aus der Differenz zwischen den Kosten und dem Beitrag: Er hängt sich auf an den immer wieder genannten 90 Euro (ganz genau sind es 90,36 Euro pro Monat in 2016), die für jeden erwerbsfähigen Hartz IV-Empfänger und seit dem 1.1.2016 auch „für jedes Familienmitglied“ an die Kassen gezahlt werden. Das aber unterschlägt, dass dies nur für Familienmitglieder im Alter von 15 Jahren und älter (genauer: für „erwerbsfähige Leistungsberechtigte“) gilt. Also nicht für die fast 1,7 Millionen Kinder im Alter von unter 15 Jahren. Wenn man die ins Visier nimmt und berechnet, was eigentlich an Beiträgen hätte fließen müssen, dann kommt Schröder zu dieser doch ganz beeindruckenden Summe: »Dies entspricht einem vom Bund „nicht gezahlten Krankenversicherungsbeitrag“ in Höhe von 1,8 Milliarden Euro pro Jahr!«

Insofern ist die folgende Klarstellung gerade in der aktuell sich immer mehr aufheizenden Debatte von besonderer Bedeutung (vgl. Krankenkassen soll Millionendefizit durch Flüchtlinge drohen – Bund dementiert):

»Annelie Buntenbach, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), nannte es „schlicht falsch“, dass Flüchtlinge Defizite der Krankenkassen verursachen. Für Asylbewerber würden den Kassen vollständig die Gesundheitsleistungen erstattet. Für Hartz-IV-Bezieher aber überweise der Staat den Kassen viel zu wenig, was alleine im vergangenen Jahr eine Unterdeckung von etwa 6,7 Milliarden Euro verursacht habe. Diese „politisch bedingten Einnahmeausfälle“ dürften jedoch nicht den Flüchtlingen in die Schuhe geschoben werden.«

Wenn man ein Fazit schreiben muss, wie wäre es hiermit:

»Hinsichtlich der Finanzierung muss man feststellen, dass sich der Staat zum einen wieder zurückzieht, was den steuerfinanzierten Bundeszuschuss angeht, obgleich doch diese Mittel immer begründet wurden mit dem Ausgleich für gesamtgesellschaftliche Aufgaben, die seitens der GKV geleistet werden, also mit „versicherungsfremden“ Leistungen. Dies zeigt einmal erneut, wie (un)sicher Finanzierungszusagen seitens des Staates sind bzw. sein können. Zum anderen wird der gesamte zukünftige Kostenanstieg strukturell auf den Schultern der Versicherten abgelegt, die sich damit dann herumschlagen müssen, wodurch die Arbeitgeberseite in Milliarden-Höhe entlastet wird.«

Dieser Passus ist meinem Beitrag Und durch ist sie … Zum Umbau der Krankenkassenfinanzierung und den damit verbundenen Weichenstellungen entnommen. Veröffentlicht am 14.06.2014!

Was kann man nun aus diesem – scheinbaren – Durcheinander schlussfolgern?

Zum einen muss es darum gehen, die haushaltspolitisch kleingerechneten Beiträge für Menschen im Hartz IV-System für die GKV korrekt zu kalkulieren und den Kassen dann auch zugänglich zu machen. Denn auch wenn das zwangsläufig höhere Bundesmittel bedeuten würde – ein Verzicht darauf würde angesichts der hier auch beschriebenen Verschiebung der Lastenverteilung einseitig auf die Versichertenseite in der GKV dazu führen müssen, dass der dadurch induzierte Finanzbedarf der Krankenkassen von den Versicherten allein über die Zusatzbeiträge zu tragen ist.

Zum anderen zeigt sich an dieser Stelle die besondere Bedeutung einer grundsätzlichen Infragestellung des Systemwechsels weg von der paritätischen Finanzierung. Bereits Ende vergangenen Jahres hat sich bei einigen innerhalb der Großen Koalition, namentlich bei den Sozialdemokraten, eine Diskussion entfaltet, diesen Systemwechsel wieder rückgängig zu machen (vgl. dazu und durchaus kritisch mit Blick auf die Rolle der SPD bei der Installierung des gegenwärtigen Systems beispielsweise den Artikel SPD will Gesundheit nun doch wieder paritätisch finanzieren, dagegen für die andere Seite, die das ablehnt, den Kommentar Verlogene Beitragsdebatte von Andreas Mihm).

„Es ist ungerecht, dass die Kassensteigerungen allein von den Arbeitnehmern getragen werden“, sagte SPD-Generalsekretärin Katarina Barley am ersten Weihnachtsfeiertag. Eilig mit einer Änderung hat es Barley aber offenbar nicht. „Wir werden sehen, ob wir das noch in der Großen Koalition thematisieren – aber spätestens in unserem Wahlprogramm werden wir dieses Vorhaben für die nächste Legislaturperiode aufgreifen“«, so ein Zitat aus dem Artikel Die Kassen bitten zur Kasse.

Unabhängig von der Frage der parteipolitischen Gemengelagen: Für eine Rückkehr zur paritätischen Finanzierung in der GKV gibt es gute sozialpolitische Argumente. Aber auch sie – so entfernt ihre Realisierbarkeit angesichts der Ablehnung bei Arbeitgebern und in der Union derzeit ist – würde nicht wirklich ausreichen, die GKV-Finanzierung wetterfester zu machen: Notwendig ist insgesamt eine völlige Neuordnung der GKV-Finanzierung hin zu einer umfassenden „Bürger“- oder wie man die auch immer nennen will – „versicherung“. Aber auf dieser Baustelle ruht der Betrieb. Was sich bitter rächen wird.

Und durch ist sie … Zum Umbau der Krankenkassenfinanzierung und den damit verbundenen Weichenstellungen

Manche sozialpolitischen Themen, die der Gesetzgeber derzeit behandelt, werden wochenlang durch die Medien rauf und runter dekliniert, man denke hier nur an das „Rentenpaket“ oder die Mindestlohngesetzgebung. Andere hingegen, die ebenfalls Millionen Menschen tangieren, rutschen irgendwie durch. Teilweise hängt das auch damit zusammen, dass die kurzfristigen Folgen des gesetzgeberischen Handelns positiv kommuniziert werden können („Die Beiträge zur Krankenversicherung werden für mindestens 20 Millionen Menschen sinken“), weil man die Änderungen in einem günstigen Umfeld platzieren konnte, aber keiner mehr genau auf die mittel- und langfristigen Auswirkungen durch die Weichenstellungen, die man heute vornimmt, schaut. Ein Lehrbuchbeispiel dafür ist der beschlossene Umbau der Finanzierung der Krankenkassen.

Bis zum Jahr 2008 gab es kassenindividuelle Beitragssätze, teilweise mit einer erheblichen Varianz zwischen den einzelnen Krankenkassen. Dann wurde von der damaligen Großen Koalition das System grundlegend verändert – 2009 wurde der „Gesundheitsfonds“ eingeführt, gewissermaßen der „dritte Weg“ im damaligen Lager-Streit zwischen einer „Bürgerversicherung“ und der „Gesundheitsprämie“ (zur Geschichte dieses Instruments und zur damaligen kontroversen Debatte vgl. z.B. die Beiträge von Klaus Jacobs, Wolfram F. Richter, Jürgen Wasem, Anke Walendzik, Frank Schulz-Nieswandt im Wirtschaftsdienst, Heft 10/2008).

Für alle Versicherten wurde ein bundeseinheitlicher Beitragssatz eingeführt. Die Einnahmen,  die darüber generiert werden, müssen von den Kassen in einem ersten Schritt an den „Gesundheitsfonds“ abgeführt werden. Das Bundesversicherungsamt, dass den Fonds verwaltet, verteilt dann die Einnahmen in Form einer Zuweisung wieder an die einzelnen Kassen auf der Basis eines morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (RSA). Der bundeseinheitlicher Beitragssatz von 15,5 % verteilt sich – anders als in der früheren Welt – nicht mehr paritätisch auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sondern die Arbeitnehmerseite muss einen höheren Beitragssatz zahlen (8,2 % statt 7,3 % auf der Arbeitgeberseite), da die Versicherten einen besonderen Beitragsanteil in Höhe von 0,9 Prozentpunkten alleine aufzubringen haben. Gesetzliche Krankenkassen, die mit den aus dem Gesundheitsfonds zugeteilten Mitteln ihre Ausgaben nicht refinanzieren können, müssen bislang einen einkommensunabhängigen Zusatzbeitrag von ihren Versicherten erheben (seit 2011 im Grunde nicht mehr nach oben begrenzt, aber mit einem Sozialausgleich, mit dem verhindert werden soll, dass der Zusatzbeitrag mehr als zwei Prozent des beitragspflichtigen Einkommens in Anspruch nimmt).

Doch die neue Große Koalition wird dieses System umstellen – mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Finanzstruktur und der Qualität in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzstruktur- und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetz – GKV-FQWG). Die wesentlichen Punkte die Finanzierung der Krankenkassen betreffend kann man so zusammenfassen:

»Der Gesetzentwurf sieht vor, den paritätisch finanzierten Beitragssatz auf 14,6% zu senken, während der Arbeitgeberanteil bei 7,3% bestehen bleibt. Einkommensunabhängige pauschale Zusatzbeiträge werden abgeschafft, stattdessen wird der Zusatzbeitrag in Zukunft als prozentualer Anteil von den beitragspflichtigen Einnahmen erhoben. Da so der Solidarausgleich bei den Zusatzbeiträgen innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung organisiert wird, ist ein steuerfinanzierter Sozialausgleich nicht mehr erforderlich und Mehrbelastungen des Bundes entfallen. Prämien zahlen Krankenkassen ihren Versicherten nicht mehr aus, stattdessen entlasten sie sie über niedrigere Beiträge« (Reichert 2014).

Frohe Botschaften werden unter das Volk gebracht: Der bisher nur von den Versicherten gezahlte Sonderbeitrag in Höhe von 0,9 Prozent entfällt ebenso wie die pauschalen Zusatzbeiträge und der steuerfinanzierte Sozialausgleich. Vor diesem Hintergrund passt es dann offensichtlich auch, wie der zuständige Minister zitiert wird: »Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) geht davon aus, dass mindestens 20 Millionen GKV-Mitglieder zumindest vorübergehend weniger zahlen.«   Aber man achte genau auf die Formulierung: Der Minister erwartet, dass ein Teil der Versicherten „zumindest vorübergehend“ weniger zahlen muss. Der Kern des Problems liegt im Wörtchen „vorübergehend“. Denn an die Stelle des bisherigen Sonderbeitrags (nur) der Versicherten und des ebenfalls nur von den Versicherten ggfs. aufzubringenden pauschalen Zusatzbeitrags wird es zukünftig die Möglichkeit für die Krankenkassen geben, (wieder) einkommensabhängige Zusatzbeiträge zu erheben – mithin wird also der bundeseinheitliche Beitragssatz nach oben hin geöffnet für eine erneute kassenindividuelle Beitragssatzdifferenzierung, denn die einen Krankenkassen werden – wenigstens für eine bestimmte Zeit – ohne einen solchen Zusatzbeitrag auskommen können, während andere Krankenkassen je nach finanzieller Situation einen solchen von ihren Versicherten erheben müssen.

Der sozialpolitische entscheidende, hoch problematische Punkt ist die Tatsache, dass der Zusatzbeitrag alleine von den Versicherten aufgebracht werden muss und dass der Arbeitgeber-Anteil von 7,3% auf Dauer eingefroren wird. Das aber bedeutet nichts anderes, als dass alle zukünftigen Kostenanstiege in der Gesetzlichen Krankenversicherung, wenn diese dann ihren Niederschlag finden in entsprechend steigenden Beitragssätzen zur GKV, ausschließlich von den Versicherten zu tragen sind.

Kritik an diesem Punkt kommt sogar aus den Reihen der Union, so seitens der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), wobei die gesetzliche Fixierung des Arbeitgeberbeitrags problematisiert wird: »Die Abschaffung der pauschalen Zusatzbeiträge ist richtig, hat aber eine gefährliche Nebenwirkung. Arbeitnehmer und Rentner tragen in Zukunft das Risiko der Kostensteigerungen im Gesundheitswesen alleine«, so wird Christian Bäumler von der CDA zitiert in dem Artikel CDU-Arbeitnehmer rütteln an Krankenkassen-Reform, wobei das Rütteln allerdings nichts verändert hat. Immerhin, so könnte man es formulieren, rütteln die wenigstens, während der sozialdemokratische Obergesundheitsexperte Karl Lauterbach in tiefster großkoalitionärer Demutshaltung auch noch das Ganze zu loben meint zu müssen, was irgendwie peinlich rüberkommt:  »Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach erwiderte, mit den neuen Beitragssätzen würden zunächst einmal faktisch die Arbeitnehmer entlastet und nicht die Arbeitgeber«, so wird er zitiert. Er bemüht sich wirklich, irgendein positiv daherkommendes Argument vortragen zu können – und sei es noch so verbraucht und schlichtweg auch inhaltsleer. Beispielsweise dieses hier:

»SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach lobte das Gesetz, „weil es der endgültige Abschied von kleinen oder großen Kopfpauschalen ist“. Denn bisher können Kassen pauschale Zusatzbeiträge in festen Eurobeträgen nehmen.«

Klasse. Gleichsam ein virtuelles Problem. Denn: Wegen der guten Finanzlage der Kassen wurden gar keine pauschalen Zusatzbeiträge mehr erhoben.

Aber der Zeitpunkt für die Veränderung des Beitragssatzerhebungsmechanismus ist gut gewählt, denn (noch) sitzen die Kassen auf gewissen Reserven, die es ermöglichen werden, am Anfang bei vielen Kassen mit einem niedrigeren Beitragssatz als heute zu beginnen. Aber dann wird es in die andere Richtung gehen: »Gesundheitsökonom Jürgen Wasem hatte bereits vor Monaten den Zusatzbeitrag für 2017 im Schnitt auf 1,3 bis 1,5 Prozent vom Einkommen taxiert, das Bundesversicherungsamt auf 1,6 bis 1,7 Prozent.« Wohlgemerkt, nur für die Versicherten. Und es sollte bedacht werden, dass die ebenfalls vorgesehene Kürzung des Bundeszuschusses aus Steuermitteln an die GKV die Rücklagen des Gesundheitsfonds schnell abbauen und zur Folge haben wird, dass die geplanten einkommensabhängigen Zusatzbeiträge schnell ansteigen. Auch der Bundesrechnungshof sieht hier Probleme: »Noch schwimmt der Gesundheitsfonds im Geld. Doch der gekürzte Bundeszuschuss und weitere Belastungen lassen das Polster schmelzen. Sinken ab 2016 die Fonds-Zuweisungen an die Kassen, dann wären höhere Zusatzbeiträge unvermeidbar«, kann man dem Beitrag Rechnungshof warnt vor schrumpfendem Geldpolster entnehmen.

Fazit: Hinsichtlich der Finanzierung muss man feststellen, dass sich der Staat zum einen wieder zurückzieht, was den steuerfinanzierten Bundeszuschuss angeht, obgleich doch diese Mittel immer begründet wurden mit dem Ausgleich für gesamtgesellschaftliche Aufgaben, die seitens der GKV geleistet werden, also mit „versicherungsfremden“ Leistungen. Dies zeigt einmal erneut, wie (un)sicher Finanzierungszusagen seitens des Staates sind bzw. sein können. Zum anderen wird der gesamte zukünftige Kostenanstieg strukturell auf den Schultern der Versicherten abgelegt, die sich damit dann herumschlagen müssen, wodurch die Arbeitgeberseite in Milliarden-Höhe entlastet wird.

Was aber ganz besonders frustrierend ist: Wieder einmal werden die wirklich relevanten, strukturellen Fragen der Gesetzlichen Krankenversicherung auf die lange Bank geschoben: Nichts, aber auch gar nichts hört man zu der Systemfrage GKV und PKV, also dem dualen Krankenversicherungssystem in Deutschland mit all seinen strukturellen Problemen. Kein Wort zu der dringend notwendigen Erweiterung der Finanzierungsbasis der GKV. Und nur Stille hinsichtlich der zahlreichen Schnittstellen zwischen der GKV und der Pflegeversicherung, die dringend einer systematischen Neuordnung bedürfen.

Eine Art Arbeitsverweigerung der Großen Koalition. Auch hier werden wertvolle Jahre verschenkt, in denen man hätte was tun können. Das wird man später sicher feststellen. Hinterher.