Die Flüchtlingsheime und der Reiz des Billigsten

Der eine oder andere wird sich noch erinnern, an die
Berichte aus dem Jahr 2014, dass es in einem Flüchtlingsheim im
siegerländischen Burbach zu Übergriffen aus den Reihen der Wachleute auf
Heimbewohner gekommen sei. Und damit in einem Bundesland, dass die meisten
Flüchtlinge aufnehmen muss: Mehr als jeder fünfte Neuankömmling kommt nach Nordrhein-Westfalen
– allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres waren das knapp 39.000
Menschen. Die nordrhein-westfälischen Landesregierung reagierte damals wie
viele andere auch geschockt und reagierte schnell: Man stellte einen
„Acht-Punkte-Plan“ auf, mit dem sichergestellt werden sollte, dass in
Zukunft nur noch sorgfältig geprüfte Security-Firmen Wachaufträge für
Landeseinrichtungen bekommen sollten. Künftig solle nicht mehr der billigste,
sondern der beste Anbieter den Zuschlag für die sensible Aufgabe bekommen. Eine
lobenswerte Sache. Wie immer lohnt es sich aber auch, nach einiger Zeit wieder
nachzuschauen, was denn daraus geworden ist. Und da ziehen Wolken auf, wenn man
den Ausführungen von Anette Dowideit in ihrem Artikel Billigste
Sicherheitsdienste bewachen Flüchtlingsheime
folgt:
»Die eigenen, ehrgeizigen Vorgaben werden in NRW offenbar
nicht sehr ernst genommen. Mehrere Bezirksregierungen halten sich … bei ihren
Ausschreibungen nicht an die Maßgaben des Plans. Alleiniges Zuschlagskriterium
für mehrere Neuvergaben von Bewachungsaufträgen in den vergangenen Monaten war
der niedrigste Preis.«

Das geht unter anderem aus einem Schriftwechsel der
Bezirksregierung Düsseldorf hervor, aus der Anette Dowideit zitiert: In einer
E-Mail von Mitte April schreibt ein Bezirksregierungsmitarbeiter:
„Aufgrund einer Bieterfrage teile ich Ihnen mit, dass für die Beauftragung
der Sicherheitsdienstleistungen in der Notunterkunft Heiligenhaus als Zuschlagskriterium
nur der Preis herangezogen wird.“

Aus Nordrhein-Westfalen wurden und werden auch gehäuft
Übergriffe von Security-Mitarbeitern auf Flüchtlinge berichtet. Und daran, so
die These Dowideits, haben auch „Dumpingausschreibungen“ ihren Anteil. »Laut
einer Berechnung des Zolls müssen Sicherheitsfirmen den Städten pro Stunde und
Wachmann mindestens 16,49 Euro berechnen, um den Mindestlohn zahlen zu können.
Aber offensichtlich gibt es Anbieter, die deutlich darunter liegen:

»Mehrere Aufträge wurden … in den vergangenen Monaten in
NRW für deutlich weniger Geld vergeben, sagt ein Manager einer großen Firma,
die selbst auf Qualität setzt und nach eigenen Angaben daher zuletzt selten zum
Zuge kam. Er erzählt, um die geheimen Vergabeverfahren besser durchschauen zu
können, habe seine Firma sich testweise selbst mit einem Dumpingangebot
beworben: ein Heim bewachen für gut 15 Euro Verrechnungssatz. Damit, sagt der
Manager, hätten sich weder Tariflöhne noch Arbeitszeitgesetze einhalten lassen
können. „Wir bekamen trotzdem nicht den Zuschlag“, sagt er. „Es
gab andere, die deutlich billiger waren.“«

Bei der Bezirksregierung Düsseldorf sieht man trotzdem kein
Problem: Schließlich seien bei der Ausschreibung überhaupt nur Bieter
zugelassen worden, die die „Qualitätskriterien“ erfüllten.
Und dann ist da noch ein anderer Bereich, der als
Schutzmechanismus gedacht ist, um problematische Leute gar nicht erst als
Wachpersonal zuzulassen – und auch hier läuft es alles andere als rund in
Nordrhein-Westfalen, um das mal nett auszudrücken, denn man könnte auch von
einem Systemversagen sprechen:

»Auch die Eignungsprüfungen, die seit 2014 zentral für das
ganze Land bei der Bezirksregierung Arnsberg gemacht werden, scheinen chaotisch
zu laufen. Die Prüfungen sollen verhindern, dass Vorbestrafte oder
Security-Mitarbeiter ohne Ausbildung in die Heime kommen. Das klappt aber
derzeit kaum: Von den rund 5000 Sicherheitskräften, die zur Überprüfung
angemeldet wurden, liegen nach Aussage von mit den Vorgängen vertrauten
Personen nur für 1000 alle erforderlichen Unterlagen vor. Die restlichen 4000
arbeiten in den Einrichtungen, obwohl sie entweder das erweiterte
Führungszeugnis oder den Nachweis, dass sie einen Lehrgang zur Sicherheitskraft
absolviert haben, nicht eingereicht haben.«

Selbst in den Behörden, so Dowideit, »macht sich deshalb nun
eine Befürchtung breit: dass die Preisdumpingausschreibungen und der Mangel an
Kontrollen in absehbarer Zeit zu Überforderung der oftmals unqualifizierten und
schlecht bezahlten Sicherheitsleute – und vielleicht sogar weiteren Übergriffen
auf Flüchtlinge – führen könnten.«

Und was sagt die Landesregierung zu den Vorwürfen?

»Das NRW-Innenministerium teilt dazu auf Anfrage mit, es
gebe Qualitätssicherungsteams, die regelmäßig die Einrichtungen besuchen und
die Wachleute kontrollieren würden. Über die Dumpingausschreibungen sei nichts
bekannt, außerdem seien die Bezirksregierungen „ausdrücklich auf den
Acht-Punkte-Plan hingewiesen“ worden.«

Was soll man denn noch machen, als ausdrücklich darauf hinzuweisen?
Nordrhein-Westfalen und seine Landesregierung,
Flüchtlingsheime und Dumping – da war doch noch eine andere Geschichte? Genau,
diese hier: Karitatives
Lohndumping
, so hat Achim Breitenbach seinen Artikel dazu überschrieben.
Und in dieser Geschichte spielt das DRK eine besondere Rolle – eine
Hilfsorganisation, die sehr stark engagiert ist in der
Flüchtlingsunterbringung, auch in Nordrhein-Westfalen. Und Achim Breitenbach
berichtet:

»Das DRK Westfalen-Lippe hat eine Tochtergesellschaft eigens
für den Betrieb von Flüchtlingseinrichtungen gegründet. Und betreibt aus
Gewerkschaftssicht Lohndumping. Die Vergütung für Mitarbeiter erfolgt nach dem
Entgelttarifvertrag des Gaststätten- und Hotelgewerbes (Dehoga). Das bestätigt
auch Roland B. Er arbeitet in der Verwaltung eines vom DRK betriebenen
Flüchtlingsheim in Ostwestfalen. Knapp 60 qualifizierte Mitarbeiter aus
Sozialberufen, aber alle bezahlt nach der Vereinbarung fürs Gastgewerbe.
Bundesweit betreibt das DRK rund 480 Flüchtlingsheime mit insgesamt 5.000 festangestellten
Mitarbeitern. Die Eingruppierung eines Sozialarbeiters soll dort in die
Tarifgruppe 8 für 2.628 Euro brutto nach dem Tarif für Gaststätten und Hotels
erfolgen. Bei dem für den öffentlichen Dienst (TVöD) würde ein Sozialpädagoge
in Stufe 12 eingruppiert, mit der geforderten Berufserfahrung käme man auf
3.046,82 Euro brutto. Die Differenz beträgt stolze 418,82 Euro. Hinzu kommt,
dass die Laufzeit der Arbeitsverträge kurz ist. Wie lang ein Flüchtlingsheim
existiert, ist in der Regel ungewiss. Es gibt Arbeitsverträge mit einer
Laufzeit von drei Monaten.«

Nun wird das DRK für die Flüchtlingsunterbringung bezahlt –
und da kommt wieder die Landesregierung ins Spiel. In Nordrhein-Westfalen wirbt
die Düsseldorfer Regierung mit dem Slogan »NRW. Land der fairen Arbeit«. Die
Stellen, die in der Flüchtlingshilfe neu geschaffen werden, sind zu 100 Prozent
aus dem Haushalt des Landes Nordrhein-Westfalen finanziert. Auf Nachfrage der
Gewerkschaft ver.di schrieb das Innenministerium: »Ob der Tarifvertrag des Hotel-
und Gaststättengewerbes (Beherbergung) der ›richtige‹ für die
DRK-Betreuungsdienste Westfalen-Lippe gGmbH ist, kann von hier nicht beurteilt
werden«. Man muss sich klar machen, dass der vom DRK angewandte Tarifvertrag normalerweise
für Betriebe gilt, die gewerbsmäßig beherbergen und Speisen und Getränke
abgeben, vom DRK aber angewendet wird für Menschen, die eine Ausbildung als
Krankenschwester, Erzieherin usw. haben. Qualifizierte Sozialarbeit wird
gleichgesetzt mit Tätigkeiten in der Gastronomie.

Vielleicht ist es ja auch nur wieder ein Beispiel für das
alte Dilemma zwischen Theorie und Praxis. Sich als Land der fairen Arbeit
proklamatorisch aufzustellen und dann eigentlich konsequenterweise bei den
eigenen Aufträgen dafür zu sorgen, dass das auch eingehalten wird, kann offensichtlich
in einem Spannungsverhältnis stehen.

„Gute“ und andere Flüchtlinge, diese und solche Migranten? Differenzierungen bei Immanuel Kant, in der Bevölkerung und ihre mögliche Bedeutung für die (Nicht-)Integration

Immer dann, wenn für ganz unterschiedliche Menschen und für sehr verschiedene Sachverhalte große, scheinbar eindeutige Begriffe verwendet werden, ist Vorsicht geboten. Denn nicht selten macht man sich zusätzliche Probleme, wenn man nicht wenigstens etwas differenziert, sondern alles und alle über einen Kamm zu scheren versucht. Im Kontext der Zuwanderung nach Deutschland kann man zeigen, wie unterkomplex und zugleich auch problemgenerierend das Reden von „den Flüchtlingen“ und „der Integration“ ist. Diese Verdichtung unter jeweils einen Begriff hat Folgen – auch für die medialen Verstärkungsprozesse, die sich beobachten lassen.

Ein Beispiel dazu: Überall kann man lesen oder hören, im vergangenen Jahr, also 2015, seien 1,1 Million Flüchtlinge zu uns gekommen. Diese Zahl wird abgeleitet aus den Bruttoerfassungen im sogenannten EASY-System, das der Erstverteilung von Asylbegehrenden dient. Nun ist das bekanntlich mit der Erfassung immer schon so eine Sache, besonders schwierig wird das natürlich in Ausnahmesituationen, wie wir sie im vergangenen Jahr erlebt haben, als täglich tausende Neuankömmlinge den deutschen Staatsboden betreten haben und zu registrieren waren. Dass dabei zahlreiche Fehlerquellen auftreten (können), ist jedem Praktiker sofort verständlich und auch in der Presse wurde auf die Problematik frühzeitig hingewiesen, wenn man mit den Zahlen arbeitet, vgl. hierzu beispielsweise den Artikel Nicht ganz EASY. Das muss dann zu solchen Meldungen wie beispielsweise von Pro Asyl führen: Erhebliche Unschärfen bei den Asylzahlen 2015. Letztendlich steht dahinter das Grundproblem, das wir auch aus anderen Bereichen kennen: Brutto ist nicht gleich netto. Der Migrationsforscher Herbert Brückner vom IAB hat den eben nicht trivialen Unterschied verdeutlicht an einer überschlägigen Berechnung, ausgehend von den (immer noch) genannten 1,1 Mio. Flüchtlingen, die nach Deutschland gekommen seien. Unter Berücksichtigung der nicht-erfassten Zuzüge abzüglich der Doppelzählungen, Weiterreisen sowie der unterschiedlichen Ausreisen kommt er auf eine Größenordnung von 777.000 Menschen, die man als Nettozuwachs bei der Flüchtlingsbevölkerung ansetzen könne.

Dennoch – auch wenn das jetzt die Sache weiter verkompliziert – sind durchaus deutlich mehr als eine Million Menschen nach Deutschland zugewandert. Wie das nun wieder?
Weil die ganze Diskussion der Frage, wie viele sind denn nun nach Deutschland gekommen, verengt worden ist auf „die Flüchtlinge“, vor allem die vielen Menschen, die über die sogenannte „Balkan-Route“ gekommen sind.

Aber es gibt noch andere, die gekommen sind und die muss man natürlich – vor allem aber auch, wenn es um die „Integrationsfrage“ geht – berücksichtigen. Nämlich Menschen aus anderen EU-Ländern, aus europäischer Sicht eine Art „Binnenwanderung“.

Die Nettozuwanderung aus den anderen EU-Ländern nach Deutschland erreichte 2015 mit 355.123 Menschen einen bisherigen Höchstwert. Die muss man natürlich dazu addieren. Und darunter sind nicht nur, aber auch „Armutsflüchtlinge“ aufgrund des enormen Wohlstandsgefälles innerhalb der EU, man denke hier nur an die immer wieder hochkochende und sehr reduzierte Debatte über arme Bulgaren und Rumänen, die nach Deutschland gekommen sind.

Und das ist ganz offensichtlich nicht nur ein quantitativer Aspekt, sondern das hat handfeste Auswirkungen bis hin zu gesetzgeberischen Aktivitäten, wie wir derzeit beobachten können (vgl. dazu den Blog-Beitrag Nicht nur (medialer) Missbrauch mit dem Missbrauch von Sozialleistungen. Aber wer „missbraucht“ was und wen? Und die Gesetzgebungsmaschinerie darf auch nicht fehlen vom 22. Mai 2016, in dem berichtet wird von dem Referentenentwurf ein „Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch“ betreffend, das aber viele real vorhandene Probleme gar nicht erreichen kann). Und dieser Punkt ist eine gute Überleitung zu dem hier interessierenden Aspekt der Unterscheidung zwischen solchen und anderen Migranten innerhalb der Bevölkerung, aber auch hinsichtlich des großen Integrationsthemas, denn die erwähnten aktuellen gesetzgeberischen Versuche müssen genau in diesem Kontext verortet werden, denn sie sind ein Reflex auf die im politischen und medialen Raum geführten Diskussionen über eine behauptete „Zuwanderung in unser Sozialsystem“.

Und wie sieht es aus mit der Differenzierung zwischen den einzelnen Migranten (und ihren Gründen, hierher zu kommen)? Dazu liegen mittlerweile neue Befunde aus der Forschung vor. 
So haben Ruth Ditlmann, Ruud Koopmans, Ines Michalowski, Anselm Rink und Susanne Veit ihre Erkenntnisse aus einer repräsentativen Umfrage mit 1.500 Teilnehmern ausgewertet, die gebeten worden sind, fiktive Profile von Flüchtlingen zu le­sen und zu entscheiden, ob Asyl und Unterkunft gewährt werden soll: Verfolgung vor Armut. Ausschlaggebend für die Offenheit der Deutschen ist der
Fluchtgrund, so haben sie ihren Beitrag in den WZB-Mitteilungen (S. 24-27) dazu überschrieben. 
Ausgangspunkt der Forscher sind Theorien zu Konflikten zwischen Gruppen. Diese Theorien »betonen, dass die Einstellungen gegenüber als fremd wahrgenommenen Menschen stark von Ängsten und dem Gefühl von Wettbewerb und Bedrohung beeinflusst werden. Dabei kann unterschieden werden zwischen eher rational­-ökonomi­schen und eher symbolisch­-kulturellen Konfliktlinien. Diese zwei Arten von potenziellen Konfliktlinien finden sich auch in Debatten über die möglichen Folgen des starken Zustroms von Asylsuchenden. Auch hier werden sowohl Sorgen über die ökonomischen Folgen ihrer Aufnahme diskutiert als auch die Sorge, dass kulturelle Unterschiede zwischen Asylsuchenden und Einheimischen zu Konflikten führen könnten.«
Zu den Ergebnissen kann man der Veröffentlichung entnehmen:

»Offensichtlich gibt es eine klare Präferenz für Asylsuchende, die aufgrund politischer Verfolgung ihr Heimatland verlassen haben. Die durchschnittliche Unterstützung des Asylgesuchs für politisch Verfolgte liegt bei 94 Prozent … dabei (ist es) vollkommen unerheblich, ob der oder die Asylsuchende gut oder schlecht ausgebildet, christlichen oder muslimischen Glaubens und männlich oder weiblich ist. Den Ergebnissen unserer Umfrage zufolge sind bei der Beurteilung des Asylanspruchs politisch Verfolgter Geschlecht, Religion und Ausbildungsgrad augenscheinlich nicht relevant. Das Bild verschiebt sich jedoch, wenn die Flucht wirtschaftliche Gründe hat. Wenn die … Person aus wirtschaftlichen Gründen ihre Heimat verlassen hat, sinkt der Wille, dieser Person Asyl zu gewähren, auf 52 Prozent … Die Einstellung gegenüber Asylsuchenden, die vor der wirtschaftlichen Lage in ihrem Land geflohen sind, variiert mit Ausbildungsniveau und Religion der fiktiven Asylsuchenden. Besser ausgebildete Asylsuchende, die mit größerer Wahrscheinlichkeit in den deutschen Arbeitsmarkt integriert werden können, werden deutlich bevorzugt. Auch wird bei Fehlen eines politischen Fluchtgrunds ein Augenmerk auf die Religion der nach Deutschland kommenden Personen gelegt: Christen werden Muslimen vorgezogen.«

Fazit der Wissenschaftler: »Der Fluchtgrund zählt: Im Vergleich zur außerordentlich positiven Haltung gegenüber politisch Verfolgten sinken die Zustimmungswerte der Befragten drastisch, wenn es sich um Menschen handelt, die vor wirtschaftlicher Not geflohen sind. Die Zustimmungswerte sinken um weitere 20 Prozentpunkte, wenn diese Personen zudem keine Berufsausbildung und dadurch schlechtere Aussichten auf dem Arbeitsmarkt haben.«

Allerdings machen die Forscher eine Anmerkung, die man berücksichtigen muss bei der Interpretation der Befunde: »Einschränkend ist anzumerken, dass die Befragung vor der Silvesternacht 2015 stattfand, in der es zu einer Reihe von sexuellen Übergriffen auf Frauen unter anderem durch Asylsuchende kam. Die daran anschließende gesellschaftliche Debatte könnte die Einstellungen im Jahr 2016 gegenüber Asylsuchenden beeinflusst haben.«

Aber wir verfügen auch über neuere, aus diesem Jahr stammende Daten. Seit Beginn 2016 untersucht das „Stimmungsbarometer zu Geflüchteten in Deutschland“ monatlich die mit dem Thema Migration verbundenen Einstellungen, Erwartungen und Befürchtungen der Bürger in Deutschland. Auf der Grundlage der dritten Welle im März 2016 berichten Jürgen Gerhards, Silke Hans und Jürgen Schupp in ihrem Beitrag über Einstellungen der BürgerInnen in Deutschland zur Aufnahme von Geflüchteten. Eine Zusammenfassung der Befunde kann man diesem Artikel entnehmen, dessen Überschrift zum Nachdenken einlädt: Die Deutschen halten es bei der Aufnahme von Flüchtlingen mit Kant: »Eine repräsentative Studie zeigt: Die Deutschen treffen feine Unterscheidungen zwischen verschiedenen Migrantengruppen.«

Und wie sehen die aus?

Zuvor muss man kurz erläutern, was denn der alte Kant mit dieser Frage zu tun hat. Dazu die Verfasser: »Kant hat vor mehr als 200 Jahren (1795) in seiner kleinen Schrift „Zum ewigen Frieden“ die zentralen Gründe für die Legitimität der Zuwanderung unterschiedlicher Gruppen formuliert. Zu unterscheiden ist demnach zwischen Kriegsflüchtlingen und Verfolgten einerseits sowie Migranten andererseits. Dieser fundamentale Unterschied bildet auch die Grundlage des momentan geltenden Rechts.«

Die Bezugnahme auf Kant legt einen wichtigen Unterscheidungspunkt offen, der in der bisherigen Debatte etwas bis völlig untergeht:

»Sowohl Flüchtende aufgrund von Krieg und Bürgerkrieg als auch Schutzsuchende wegen Verfolgung haben ein verbrieftes Recht, in einem anderen Land aufgenommen zu werden. Kant hatte dieses Recht als Weltbürgerrecht beschrieben. Es steht allen Menschen der Erde zu, die in ihrem Land verfolgt werden und hat insofern universellen Charakter. Das Recht auf Schutz und Aufnahme bedeutet aber nicht automatisch die Erlaubnis, dauerhaft zu bleiben. Entsprechend spricht auch Kant bereits von einem Besuchsrecht: „Das Weltbürgerrecht soll auf Bedingungen der allgemeinen Hospitalität eingeschränkt sein“. Ein Land ist folglich nicht verpflichtet, eine verfolgte Person weiterhin zu beherbergen, wenn der Grund der Verfolgung hinfällig geworden ist. Insofern handelt es sich um ein temporäres Recht, das an den Grund der Verfolgung gekoppelt ist. Ist abzusehen, dass der Verfolgungsgrund längerfristig bestehen wird, kann dies aus pragmatischen Gründen dazu führen, dass das Gastrecht ausgedehnt wird, um die Integration in die Aufnahmegesellschaft zu fördern. Dies tangiert aber nicht den Grundsatz der Temporalität des Aufenthaltsrechts.«

Und bereits bei Kant gab es die andere Gruppe an Migranten, die eben nicht unter dem Flüchtlings-Status gebucht werden können (und müssen):

»Von den Flüchtenden kategorial zu trennen sind diejenigen Migranten, die aus anderen Gründen als Krieg oder Verfolgung ihren Lebensmittelpunkt in ein anderes Land verlagern möchten. Sie haben weder nach dem gegenwärtig geltenden internationalen Recht noch nach Kants Vorstellungen eines Weltbürgerrechts einen universell geltenden Anspruch, in einem anderen Land aufgenommen zu werden. Ob solche Migranten von einem Land aufgenommen werden und nach welchen Kriterien die Auswahl erfolgt, obliegt allein den Nationalstaaten und dem nationalen Recht. Das universell geltende Weltbürgerrecht und das Völkerrecht werden damit ergänzt durch das nationalstaatliche Recht. Dass bei der Definition für die Auswahl von Migranten das nationale Interesse eine Rolle spielen kann und legitimer Weise darf, wird zwar von Kant und in den geltenden Rechtsordnungen nicht explizit erwähnt, ergibt sich aber aus der Rechtslogik. Nicht die Gemeinschaft aller Weltbürger bildet hier den Bezugspunkt der Rechtsetzung, sondern die Bürger eines Nationalstaates. Und diese orientieren sich in erster Linie am Wohlergehen des eigenen Landes.«

Diese im Grunde einfache, aber folgenreiche Differenzierung in Flüchtlinge und andere Migranten ist offensichtlich im gegenwärtigen Bewusstsein der Bürger in Deutschland tief verankert, wenn man denn den Ergebnissen einer im März 2016 durchgeführten repräsentativen Bevölkerungsbefragung von ca. 2.000 Personen folgt:

»81 Prozent und damit die überdeutliche Mehrheit der Befragten sind der Auffassung, dass Menschen, die wegen eines bewaffneten Konflikts aus ihrem Heimatland nach Deutschland geflohen sind, ein Bleiberecht gewährt werden sollte. Auch Personen, die unter den Schutz der Genfer Flüchtlings­konvention fallen, sollen aus der Sicht einer deutlichen Mehrheit der Bürger in Deutschland aufgenommen werden, auch wenn die Unterstützung mit 63 Prozent signifikant geringer ausfällt als bei den Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen. Zudem differenzieren die Befragten hier nach den verschiedenen Gründen für eine politische Verfolgung … So wird eine Verfolgung aufgrund eines Engagements für die Menschenrechte eher als legitimer Grund für ein Bleiberecht in Deutschland gesehen als eine Verfolgung aufgrund gewerkschaftlicher Aktivitäten. Trotz dieser Differenzierungen scheint das Weltbürgerrecht auf Zuflucht insgesamt im Bewusstsein der deutlichen Mehrheit der Bürger Deutschlands fest verankert zu sein.«

Und wenn auch die Mehrheit der Bürger die mit der Aufnahme verbundenen Risiken deutlich größer sieht als die möglichen Chancen, führt das nicht zu einer Ablehnung dieser Menschen: »Diese skeptische Sicht hat allerdings kaum Auswirkungen auf die Bereitschaft, Menschen beim Vorliegen legitimer Gründe ein Bleiberecht in Deutschland zu gewähren.«

Und wie sieht es mit dem von Kant herausgestellten „Besuchsrecht“ für die Verfolgten und Schutzbedürftigen aus, also der eben nur temporären Aufnahme?

»Lediglich 28 Prozent sprechen sich für ein dauerhaftes Bleiberecht aus, 17 Prozent sind unentschieden und 55 Prozent meinen, dass die Flüchtlinge und Verfolgten Deutschland wieder verlassen sollten, wenn der Grund für die Flucht obsolet geworden ist.«

Nun gibt es ja auch noch die anderen Migranten, die zu uns kommen, um der Armut zu entfliehen oder schlichtweg mehr aus ihrem Leben machen wollen. Auch hier scheint sich der alte Kant festgesetzt zu haben in den Köpfen der Menschen:

»Menschen, die einen auf dem deutschen Arbeitsmarkt stark nachgefragten Beruf wie zum Beispiel den der Krankenschwester ausüben, sind als Zuwanderer in Deutschland willkommen. 69 Prozent der Befragten sprechen sich für ein Bleiberecht für diese Gruppe aus. Umgekehrt verhält es sich mit Personen, die in Deutschland für sich selbst eine bessere Lebensperspektive sehen. Nur 21 Prozent der einheimischen Bevölkerung gesteht dieser Gruppe ein Recht zu, nach Deutschland kommen zu dürfen. Während im ersten Fall Nützlichkeitserwägungen und das Eigeninteresse des Nationalstaats die Gründe für die hohe Zustimmung bilden, wird das Eigeninteresse der Migranten, ihr Leben zu verbessern, gerade nicht als legitimer Grund der Zuwanderung angesehen.«

Jürgen Gerhards, Silke Hans und Jürgen Schupp konstatieren abschließend eine »offensichtliche Besonnenheit der Mehrheit der Bevölkerung in der Zuwanderungs- und Flüchtlingsfrage« und ermuntern die Politik zu einer „klugen Differenzierung“.

Aber was kann das nun wieder bedeuten angesichts der derzeit überall proklamierten „Integration“? Wenn man die Sache logisch zu Ende denkt, könnte das auch bedeuten, die „Integration“ eben nicht als ein alle und alles umfassendes Postulat einzufordern und instrumentell zu unterfüttern, sondern man könnte aus der skizzierten Argumentation durchaus vertretbar argumentieren, dass sich die Menschen, denen aus Schutzgründen legitimerweise Aufenthalt gewährt wird, zwar einzupassen haben in unsere Gesellschaft, aber dass es bei ihnen – nimmt man den Gedanken des „Besuchsrechts“ auf – nicht darum geht oder gehen muss, sie zu dauerhaften Mitgliedern unserer Gesellschaft zu machen.

Also ganz praktisch: Man gewährt den Syrern Asyl, aber geht davon aus, dass sie irgendwann einmal wieder zurück gehen (müssen), sollten sich die Schutzgründe aufgrund einer veränderten Situation in ihrem Land erübrigt haben.

Das nun hört sich einfacher an als es ist. Denn Politik (und letztendlich wir alle als Gesellschaft) stehen vor dem Problem, dass wir nicht wissen, ob und wann (und für wen) sich die Situation einstellen wird, dass man das temporäre Gastrecht wieder entziehen kann. Das kann im genannten Beispiel Syrien eine lange Zeit sein. Und dann sind ja auch noch die individuellen Schutzgründe, die auch bei einer Beseitigung der Bürgerkriegssituation fortdauern werden.

Ganz offensichtlich gibt es ein am Ende nicht auflösbares Dilemma, denn wenn man den Unterscheidungspunkt mit dem temporären Schutz wirklich so nimmt, wie er gemeint war, könnte man durchaus argumentieren, dass gerade nicht zu viele Integrationsbemühungen stattfinden sollten, um den notwendigerweise irgendwann einmal anstehenden Trennungsprozess nicht zu schwer zu machen. Wenn aber auf der anderen Seite viele der eigentlich nur temporär zu schützenden Menschen auf viele Jahre, vielleicht sogar für immer in unserer Gesellschaft bleiben werden (müssen), dann wären unterlassene Integrationsanstrengungen mit hohen Folgekosten für das Gastland verbunden.

Angesichts dieses Dilemmas kann es eigentlich nur eine Antwort geben – vor dem Hintergrund der enormen Unsicherheit muss man die Integrationsbemühungen für möglichst alle öffnen, auch wenn ein Teil von ihnen sicher nicht hier bleiben wird. Man also die mit Integration verbundenen Ressourcen versenkt hat, aber man kann eben erst hinterher wissen, ob das der Fall war.

Die Bundesregierung mit ihrer Integrationspolitik bewegt sich genau in diesem Spannungsfeld. Sie hat im Anschluss an eine Klausurtagung der Großen Koalition im Schloss Meseberg die Meseberger Erklärung zur Integration veröffentlicht, mit der die anstehende Ausgestaltung des Integrationsgesetzes beschrieben wird. Darin heißt es, um ein Beispiel für die praktischen Schwierigkeiten aufzuzeigen:

»Sprach- und Wertevermittlung sind zentrales Fundament für eine erfolgreiche Integration in die Gesellschaft sowie in Bildung, Ausbildung, Studium und Arbeitsmarkt. Daher werden wir die Zugangsmöglichkeiten für die Teilnahme an Integrationskursen verbessern. Die Möglichkeit, Asylberechtigte, anerkannte Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigte zur Teilnahme am Integrationskurs zu verpflichten, wird erweitert beziehungsweise für Asylbewerber mit guter Bleibeperspektive neu geschaffen.«

Zu welchen Kapriolen das führen kann, wurde im Beitrag Die Mühen der Ebene. Integration in einem Paragrafenwerk und in den Niederungen der Sprach- und Integrationskurse. Für die soll sich was verbessern, aber nicht alle werden sie bekommen können vom 26. Mai 2016 am Beispiel der Afghanen erläutert, denn haben offiziell gemessen keine „guten Bleibeperspektiven“, denn ihre Gesamyschutzquote liegt zwar ganz knapp, aber eben unter den notwendigen 50 Prozent. Die „wirkliche“ Schutzquote ist zwar höher, wird aber nicht als Ein- oder Ausschlusskriterium herangezogen. Und man kann und muss das erweitern. Was ist mit denen, die zwar keinen Asylgrund haben, eigentlich abzuschieben sind, aber dennoch aus anderen Gründen dann doch bleiben werden als „Geduldete“?

Wenn man das alles zu Ende denkt, dann bleibt nur die – manche mögen das resignativ nennen – Konsequenz, die ganzen Unterscheidungsversuche zu unterlassen, allen einen Zugang zu Integrationsangeboten zu ermöglichen. Aber, folgt man der Differenzierung von Kant und der Mehrheit der Bevölkerung auch heute, muss man dennoch bereit sein zu sagen, dass das alles für bestimmte Menschen bedeuten kann und wird, später – trotzt vielleicht hervorragend gelungener Integration – das Land wieder verlassen zu müssen. Damit haben wir übrigens schon Erfahrungen gemacht, man denke hier an die Rückführung der Flüchtlinge im Kontext des Jugoslawien-Krieges, die teilweise mehrere Jahre hier waren.

Man sieht, wir bewegen uns hier auf schwankendem Grund. Aber man muss darüber diskutieren und auch streiten, man sollte die unterschiedlichen Akzeptanzniveaus in der Mehrheitsbevölkerung zugleich nicht aus den Augen verlieren und darüber streiten, was das für die Umsetzung einer Integrationspolitik bedeuten kann.

Die Mühen der Ebene. Integration in einem Paragrafenwerk und in den Niederungen der Sprach- und Integrationskurse. Für die soll sich was verbessern, aber nicht alle werden sie bekommen können

Jetzt geht es aus dem Notmodus der Krisenbewältigung in die Mühen der Integrationsebene. Und da braucht es ein Gesetz in unserem Land, das die Bundesregierung auf den Weg gebracht hat. Am 25. Mai 2016 wurde der Gesetzentwurf eines Integrationsgesetzes von der Bundesregierung – von den beiden Ministern für Inneres und für Arbeit/Soziales gemeinsam – der Öffentlichkeit vorgestellt. Parallel wurde die Meseberger Erklärung zur Integration veröffentlicht im Anschluss an das Familientreffen der Großen Koalition auf Schloss Meseberg. Die Meseberger Erklärung umreißt die Grundlinien der Integrationspolitik der Bundesregierung und das Integrationsgesetz wird diese konkretisieren und in ein Regelwerk gießen.

Und man muss nun kein wie auch immer ausgewiesener Experte sein, um der These zu folgen, dass die Sprache eine Schlüsselrolle für eine gelingende Integration spielt. Dazu kann man der Meseberger Erklärung den folgenden Passus entnehmen:

»Sprach- und Wertevermittlung sind zentrales Fundament für eine erfolgreiche Integration in die Gesellschaft sowie in Bildung, Ausbildung, Studium und Arbeitsmarkt. Daher werden wir die Zugangsmöglichkeiten für die Teilnahme an Integrationskursen verbessern. Die Möglichkeit, Asylberechtigte, anerkannte Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigte zur Teilnahme am Integrationskurs zu verpflichten, wird erweitert beziehungsweise für Asylbewerber mit guter Bleibeperspektive neu geschaffen. Der Spracherwerb soll so früh wie möglich erfolgen. Das Integrationsgesetz setzt hierfür Anreize, indem der Teilnahmeanspruch an einem Integrationskurs künftig nach einem statt nach bisher zwei Jahren erlischt. Zusätzlich werden in der Integrationskursverordnung die Voraussetzungen für höhere Kurskapazitäten, mehr Transparenz und eine effizientere Steuerung des Integrationskurssystems geschaffen. Beispielsweise werden Integrationskurse künftig schneller zustande kommen – statt bisher nach drei Monaten künftig spätestens nach sechs Wochen. Der Orientierungskurs wird von bisher 60 auf 100 Unterrichtseinheiten aufgestockt und inhaltlich stärker auf die Wertevermittlung ausgerichtet.«

Bereits im Vorfeld wurde seitens des Bundesinnenministeriums gestreut, dass sich endlich was an der allseits und völlig zu Recht als desaströs niedrig beklagten Vergütung der Lehrkräfte in den Sprach- und Integrationskursen ändern soll im Sinne einer Anhebung der Stundensätze für die meist als Selbständige agierenden Lehrkräfte. Dazu bereits der Blog-Beitrag Der Integrations-Flaschenhals Sprachkurse, die Lehrkräfte und deren schlechte Vergütung. Doch jetzt soll alles besser werden vom 16. Mai 2016.

Konkret: Die meisten Sprachlehrer müssen auf selbständiger Basis arbeiten und tragen die gesamte soziale Absicherung entsprechend auf ihren eigenen Schultern. Im vergangenen Jahr betrug ihr durchschnittliches Mindesthonorar gerade mal 20,35 Euro pro Unterricht. In der Zwischenzeit ist diese Vergütungsuntergrenze zwar auf 23 Euro angehoben worden. Damit kommt ein Sprachlehrer mit 30 Unterrichtseinheiten auf einen Verdienst von 2.800 Euro brutto im Monat.«
Wohlgemerkt – 2.800 Euro brutto für einen auf sich selbst gestellten Selbständigen, nicht für einen fest angestellten Arbeitnehmer. Das Bundesinnenministerium plädiert den Berichten zufolge für eine nennenswerte Anhebung der Vergütungsuntergrenze für Honorarlehrkräfte auf 35 Euro. Das wäre eine Anhebung um 52 Prozent.

Natürlich wird so ein Vorstoß zugunsten der Lehrkräfte nicht deshalb gemacht, weil im Bundesinnenministerium emphatische Beamte sitzen, die endlich mal was Gutes tun wollen für die Lehrkräften, sondern wie so oft im Leben ist das eine schnöde Angebots-Nachfrage-Problematik dergestalt, dass vorne und hinten die Lehrkräfte fehlen oder auf der Flucht sind in andere Arbeitsfelder angesichts der Rahmenbedingungen, unter denen sie arbeiten sollen. Man muss an dieser Stelle darauf hinweisen, dass es sich um akademisch qualifizierte Lehrkräfte handelt.
Bislang verblieben nur 10 Prozent der Lehrkräfte, die zusätzlich zu ihrem Hochschulstudium die Zusatzqualifikation Deutsch als Fremd- /Zweitsprache erworben haben, in diesem Beruf. Die anderen 90 Prozent suchten schnell das Weite von diesem Berufsfeld mit absolut prekären Arbeitsbedingungen.

Nun sollte man meinen, das wäre doch im wahrsten Sinne des Wortes ein ordentlicher Schluck aus der Pulle und die Betroffenen können sich glücklich schätzen – wohlgemerkt, wenn die bislang nur als Vorschlag zirkulierende Anhebung Realität werden würde.

Dann sollte man einen Blick werfen auf diesen Kommentar: 35 Euro Honorar für Lehrkräfte in Integrationskurse, genug? – Weit gefehlt! Er wurde verfasst von Monika Strauß-Rolle vom Bonner Offener Kreis (BOK), einem Zusammenschluss von von DaF/DaZ-Lehrkräften in Bonn. Und es lohnt sich, einen Blick zu werfen in die Kommentierung:
Für viele überraschend ist dann sicher so ein Satz: »Für viele der Lehrkräfte in Integrationskursen stellt dies zudem absurderweise eine Verschlechterung dar.«

Hallo? Mehr als 50 Prozent im Vergleich zu dem, was jetzt ist. Und dann so eine Aussage? Lesen wir also weiter, wie diese kritische Stellungnahme begründet wird:

Die Verfasserin weist darauf hin, dass das grundlegende Problem der Nicht-Beteiligung der Auftraggeber (oftmals öffentliche Arbeitgeber) an den Sozialversicherung nicht gelöst wird, mit der Folge:

»So müssen wir Lehrkräfte auch weiterhin sowohl die Arbeitnehmer- als auch die Arbeitgeberanteile an diesen Sozialversicherungen zu 100 Prozent selbst tragen.« Fast die Hälfte des Einkommens geht dann schon mal dafür weg.

Aber dennoch, so wird der eine oder andere einwenden, bekommen die doch mehr als vorher und das ist dann doch eine Verbesserung. Oder?

»Kein Wunder also, dass bei solcherart hohen Abzügen viele der Lehrkräfte, vornehmlich Frauen, bislang vermieden haben, so viel zu verdienen, dass ihr Einkommen über der Bemessungsgrenze der Familienversicherung oder der verpflichtenden Rentenversicherung liegt. So werden diese Lehrkräfte in Zukunft einfach weniger Stunden arbeiten, um auch weiterhin nicht die hohen Sozialversicherungsbeiträge zahlen zu müssen, denn sonst lohnt sich diese Tätigkeit in keinster Weise. Dies wird zur Folge haben, dass auch zukünftig nicht genügend Lehrkräfte für die benötigte Zahl an Deutschkursen zur Verfügung stehen werden.«

Das ist ein Problem. Und es geht weiter: Selbst »mit einem Honorar von 35 Euro pro Unterrichtseinheit bleibt dieser Beruf in Bezug auf die Arbeitsbedingungen völlig unattraktiv, da das Einkommen trotz Hochschulstudium etwa ein Drittel oder die Hälfte des Einkommens einer fest angestellten Lehrkraft oder sogar einer verbeamteten Lehrkraft, an einer staatlichen Schule beträgt.«
Und apropos soziale Absicherung: »Weiterhin sind die Lehrkräfte für Deutsch als Zweitsprache auch nach jahre- und jahrzehntelanger Beschäftigung nicht arbeitslosenversichert, sondern müssen direkt Hartz IV beantragen, sobald sie keinen Kurs von ihrem Sprachkursträger zugewiesen bekommen.«

Was wird gefordert, um diese Situation aufzulösen? Dazu aus der Kommentierung von Monika Strauß-Rolle:

1.) »Festanstellung mit tariflich gebundener Eingruppierung und Arbeitsstrukturen, die denen von angestellten Lehrkräften an Schulen mit einem Stundenkontingent von 26 Wochenstunden und den an der Schule üblichen Ferienregelungen entsprechen.«
oder
2.) »Bei Freiberuflichkeit ein Honorar, das das Arbeitgeberbrutto der festangestellten Lehrkräfte um 25% übersteigt (Risikozuschlag), denn das Honorar muss das Urlaubsentgelt, eine Absicherung im Krankheitsfall, im Mutterschutz und bei Auftragsausfall enthalten.«

Auf alle Fälle und wenn es auch unendlich mühsam ist angesichts des isolierten selbständigen Status vieler Lehrkräfte in diesem Feld, beginnen die sich zu organisieren. So wurde das Bündnis DaF/DaZ-Lehrkräfte gegründet, das deren Anliegen weiter vorantreiben will.

Während da also noch einiges offen und es mit Blick auf die erforderlichen Fachkräfte keineswegs gesichert ist, dass die Angebote in dem notwendigen Umfang ausgedehnt werden können, zeigt sich an einem anderen Beispiel, zu welchen fragwürdigen und diskussionsbedürftigen Ergebnissen formale Selektionsstrategien führen können. Bundesregierung bricht Integrationsversprechen, so haben Florian Diekmann und Anna Reimann ihren Artikel dazu überschrieben.

Ein Kernelement des neuen Integrationsgesetzes lautet: Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive – konkret jene aus Syrien, dem Irak, Iran und Eritrea – sollen besser gefördert werden, um in Arbeit und Ausbildung zu kommen.

Doch auch Flüchtlinge mit schlechterer Bleibeperspektive müssten bereits während ihres Asylverfahrens Orientierungskurse erhalten, wird die Bundeskanzlerin Angela Merkel in dem Artikel zitiert. In ihnen werden außer der deutschen Sprache auch grundlegende Kenntnisse über die deutsche Gesellschaft und ihre Werte vermittelt. Zwar sei einkalkuliert, dass ein Teil dieser Menschen Deutschland wieder verlassen werde, so die Kanzlerin. Aber die Bundesregierung wisse, „wenn wir Menschen erst einmal eineinhalb Jahre nichts anbieten, dass dann Schäden eintreten, die nie wieder gutzumachen sind“.

Wohlfeil gesprochen. Und die Realität?

Die „Orientierungskurse“ sollen in der zweiten Jahreshälfte 2016 erst einmal in einem Pilotprojekt erprobt werden. »Betrachtet man die Ausschreibung zu diesem Pilotprojekt, könnten bei voller Auslastung der Kurse in diesem Jahr maximal 2.400 Menschen an einem solchen Orientierungskurs teilnehmen, hat die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Brigitte Pothmer, berechnet.«

Und dann lernen wir was über die Ambivalenz scheinbar klarere Regelungen, beispielsweise der „guten Bleibeperspektive“, die den den Zugang zu den Sprach- und Integrationskursen ermöglichen soll.

»Besonders betroffen davon sind Flüchtlinge aus Afghanistan. Sie gehören nicht zu den Asylbewerbern mit „guter Bleibeperspektive“. Ob jemand diesen Status erhält, wird durch die sogenannte Gesamtschutzquote bestimmt. Diese gibt an, wie hoch der Anteil von Bewerbern aus einem Land ist, deren Anträge entweder anerkannt werden oder die bleiben dürfen, weil sie subsidiären Schutz erhalten oder die nicht in ihre Heimatländer zurückkehren können, weil die Verhältnisse dort es nicht zulassen. Liegt diese Gesamtschutzquote bei 50 Prozent oder mehr, haben Menschen aus diesem Land eine „gute Bleibeperspektive“. Für Menschen aus Afghanistan liegt sie knapp darunter, bei 47,6 Prozent.«

Und auch wieder eigentlich nicht, wenn man genauer hinschaut.

Denn »in die Gesamtschutzquote fließen auch zahlreiche Fälle ein, die sich vor einer Entscheidung des Bamf erledigt haben – etwa weil bereits in einem anderen EU-Land ein Asylantrag gestellt wurde und nach dem Dublin-Abkommen dieses dafür zuständig ist.«
Und dann der entscheidende Satz:

»Berücksichtigt man nur die Verfahren, in denen tatsächlich auch entschieden wird, erhalten 73,9 Prozent der Afghanen Schutz in Deutschland.«

Also eigentlich müssten die dürfen können. Aber man schaue nur auf den Anteilwert der „unbereinigten“ Gesamyschutzquote, selbst die liegt nahe an den erforderlichen 50 Prozent, aber eben immer noch knapp darunter, so dass es keinen schnellen Zugang zu den  Kursen geben wird.
Menschen aus Afghanistan warten im Schnitt 15 Monate auf eine Entscheidung des BAMF. In dieser Zeit bekommen sie auch keinen Zugang zu den offiziell angebotenen Kursen. Das kann und wird sich später nochmal richtig heftig auswirken.

Der Integrations-Flaschenhals Sprachkurse, die Lehrkräfte und deren schlechte Vergütung. Doch jetzt soll alles besser werden

Es müsste ja eigentlich allen klar sein: Eine auf alle Fälle unverzichtbare, wenn auch nicht hinreichende Bedingung für eine gelingende Integration der Menschen, die als Flüchtlinge oder aus ganz anderen Gründen zu uns gekommen sind, ist das Erlernen und die Anwendbarkeit der deutschen Sprache. Dafür gibt es die Integrationskurse, die aus einem Sprachkurs und einem Orientierungskurs bestehen. Die sind von wirklich existenzieller Bedeutung für die Integrationsaufgabe. Und eigentlich müsste man die immer knappen Ressourcen nach allem, was wir wissen, gerade im Bereich der Sprachkurse fokussieren und dort Bedingungen ermöglichen, die dem Anliegen förderlich sind. Was auch bedeutet, dass die Menschen, die in diesen Kursen als Lehrkräfte unterrichten, entsprechend der Bedeutung dieser Kurse gute Arbeitsbedingungen bekommen, damit sie ihrer wichtigen Aufgabe nachgehen können.

Dem ist allerdings in vielerlei Hinsicht nicht so. Darüber wurde hier auch schon öfter berichtet, vgl. beispielsweise den Beitrag 1.200 Euro im Monat = „Top-Verdienerin“? Lehrkräfte in Integrationskursen verständlicherweise auf der Flucht oder im resignativen Überlebenskampf vom 2. September 2015, Auf der Flucht im doppelten Sinne. Ein Update zu den Sprachlehrkräften sowie den Chancen und Risiken dahinter vom 14. September 2015, Sonntagsreden und die wirkliche Wirklichkeit oder Lehrer und andere Lehrer vom 17. Februar 2016 oder auch Die Annäherung an die Wahrheit liegt zwischen (rhetorischer) schwarzer Pädagogik und (naiver) „Wird schon werden“-Philosophie. Die Forderung nach einer Sprachlernpflicht für Flüchtlinge und die Wirklichkeit der „Schweizer Käse“-Angebote vom 28. März 2016. Kurzum: Ein bewegtes Thema und viele Probleme in den Niederungen der Praxis. Wobei wir die nicht nur in Deutschland haben (was man immer auch vor dem Hintergrund der großen Zahl an Flüchtlingen sehen muss, die zu uns gekommen sind), sondern auch aus anderen Ländern werden ähnliche Probleme gemeldet, beispielsweise aus Österreich (vgl. dazu den Beitrag Auch auf der anderen Seite der Grenze gibt es Deutschkurse am Fließband und skandalöse Arbeitsbedingungen für die Lehrkräfte in Sprach- und Integrationskursen, die doch von so großer Bedeutung sind vom 30. April 2016).

Aber nun soll alles besser werden für die Sprachlehrkräfte, die vor allem – in der Regel als „Selbständige“ beschäftigt – über eine teilweise skandalös niedrige Vergütung klagen.

Offensichtlich hat man auch ganz oben die Problematik erkannt und ist zu Veränderungen bereit. Denn nun erreichen uns solche Botschaften: Regierung plant mehr Lohn für Deutschlehrer, hat Martin Greive seinen Artikel überschrieben. Die Ausgangslage stellt sich so dar:

»Die Klassen in den Volkshochschulen sind derzeit so voll wie selten zuvor. Bis zu 550.000 Flüchtlinge könnten in diesem Jahr laut Bundesinnenministerium einen Integrationskurs belegen. Entsprechend hoch ist der Bedarf an Deutschlehrern. Tausende durchlaufen derzeit Fortbildungen und erhalten vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Zulassung, Deutsch zu unterrichten. Doch am Ende stehen davon nur wenige tatsächlich in der Klasse. Der Grund dafür: die miese Bezahlung.«

Natürlich geht es wieder einmal vor allem um das liebe Geld. Das Bundesinnenministerium, dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) unterstellt ist, schlägt vor, Deutschlehrer künftig deutlich besser zu bezahlen – und verlangt dafür mehr Mittel von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU).

Offensichtlich haben wir es mit einem veritablen Angebots-Nachfrage-Problem zu tun, dass sich die Beamten im Bundesinnenministerium genötigt sind, eine finanzielle Aufstockung anzumahnen – die noch nicht beschlossen ist, wir befinden uns derzeit immer noch in der Phase der Vorschläge bzw. der Forderungen mit Haushaltswirksamkeit:

»Insgesamt hat das BAMF im vergangenen Jahr 5600 Lehrern eine Zulassung erteilt, Flüchtlingen Deutsch beizubringen. Allerdings seien nach Schätzungen „nur circa zehn Prozent der im Jahr 2015 zugelassenen Lehrkräfte bislang als unterrichtende Lehrkraft dem Bundesamt gemeldet worden“, heißt es in dem Bericht. Es sei durchaus möglich, dass Lehrkräfte die Fortbildung nutzten, um dann „in besser bezahlte Bildungsbereiche abzuwandern“.«

Wo genau das Problem liegt? In dem, was gemeinhin als „Rahmenbedingungen“ der Arbeit bezeichnet wird. Und die sind wirklich desaströs, wie man der folgenden allgemeinen Beschreibung entnehmen kann: Die meisten Sprachlehrer müssen auf selbständiger Basis arbeiten und tragen die gesamte soziale Absicherung entsprechend auf ihren eigenen Schultern.

»Gerade im Vergleich zu Lehrern an Schulen werden sie auch noch schlecht bezahlt. Im vergangenen Jahr betrug ihr durchschnittliches Mindesthonorar gerade mal 20,35 Euro pro Unterricht. In der Zwischenzeit ist diese Vergütungsuntergrenze zwar auf 23 Euro angehoben worden. Damit kommt ein Sprachlehrer mit 30 Unterrichtseinheiten auf einen Verdienst von 2800 Euro brutto im Monat.«

Wohlgemerkt – 2.800 Euro brutto für einen Selbständigen, nicht für einen fest angestellten Arbeitnehmer. Und wie will man diese Situation nun ändern?

„Um auf dem Arbeitsmarkt weiterhin ein attraktives und konkurrenzfähiges Angebot zu machen, könnte eine nennenswerte Anhebung der Vergütungsuntergrenze für Honorarlehrkräfte auf 35 Euro vorgenommen sowie eine Verpflichtung zur Einhaltung der gewählten Honoraruntergrenze für zugelassene Integrationsträger begründet werden“, schreibt das Bundesinnenministerium, so Martin Greive in seinem Artikel.

Das wäre »eine Anhebung um 52 Prozent. Bei 30 Unterrichtseinheiten würde das Gehalt der Lehrer so spürbar steigen, auf 4200 Euro brutto im Monat.«

Bezahlt werden die Sprachlehrkräfte von den Trägern der Integrationskurse, beispielsweise den Volkshochschulen (von denen etwa 40 Prozent der Integrationskurse abgedeckt werden), die da eine wichtige Rolle spielen. Nur die müssen natürlich eventuell höhere Gehälter gegenfinanzierten können. Auch daran hat das Bundesinnenministerium gedacht und schlägt deshalb vor: »Der Kostenerstattungssatz solle von aktuell 3,10 auf vier Euro je Kursteilnehmer steigen.«
Nichts ist umsonst im Leben und so auch hier: Eine entsprechende Anhebung würde zu diesen Mehrausgaben führen:

»Für 100.000 Integrationsteilnehmer würden sich zusätzliche Ausgaben in Höhe von 52 Millionen Euro ergeben. Rechnet man diesen Betrag auf die bis zu 550.000 Flüchtlinge hoch, die in diesem Jahr laut Ministerium an Sprachkursen teilnehmen könnten, käme man im Extremfall auf einen zusätzlichen Bedarf in Höhe von 286 Millionen Euro allein in diesem Jahr.«

Das hört sich nach einem ordentlichen Sprung an, wenn denn die – wohlgemerkt zum jetzigen Zeitpunkt nur als Forderungen einzustufenden – Zahlen realisiert werden würden.

Und was sagen die Betroffenen dazu? Zumindest die, die sich als Interessenvertreter der Betroffenen verstehen und zu Wort melden?

In dem Kontext dieser Frage sicher sehr interessant ist die Tatsache, dass am 12. April 2016 ein Offener Brief der in Integrationskursen tätigen DaF-/DaZ-zertifizierten Lehrkräfte sowie von Angehörigen des Bonner Offenen Kreises (BOK), eines Zusammenschlusses von Deutschlehrkräften, der schon seit Jahren gegen die inakzeptablen Arbeitsbedingungen von Kursleitenden in Integrationskursen und deren skandalöse Mangelfinanzierung durch den Bund ankämpfen, veröffentlicht wurde.

Die Briefeschreiber stellen fest: »Ohne eine umfassende sprachliche Vorbildung, die im Übrigen unserer Ansicht nach eine Ausweitung der Sprachkurs-Förderung über das für den Arbeitsmarkt unzureichende B1-Niveau hinaus auf mindestens B2 beinhalten sollte, wird eine Integration in Arbeit und Gesellschaft nicht gelingen.«

Und was fordern die nun?

Sie »fordern eine Festanstellung auf LehrerInnen-Niveau oder bei Freiberuflichkeit die Anerkennung der Arbeitnehmerähnlichkeit – dementsprechend 60 Euro pro Unterrichtseinheit plus
Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung.«

Das ist nun eine ordentliche Hausnummer weit weg von den aktuell seitens des Bundesinnenministeriums geforderten 35 Euro pro Stunde.

Wr dürfen gespannt sein, wie das ausgeht.

Die Flüchtlinge und ihre gesundheitliche Versorgung zwischen Behandlungsschein und Karte

Die Diskussion über die Flüchtlinge hat sich merklich verschoben: In den letzten Monaten ist die Zahl der Neuankömmlinge in Deutschland deutlich zurückgegangen, die Schließung der Balkan-Route und das Aufstauen der Flüchtlinge in Griechenland werden auch bei uns sichtbar. Nur noch wenige schaffen es bis auf den deutschen Boden. Auch die Medienberichterstattung reagiert auf die veränderte Lage – einerseits. So muss man derzeit immer öfter solche Berichte zur Kenntnis nehmen: Diese Unterkunft hat alles – außer genug Flüchtlinge: »Auf dem alten Flughafen in Calden steht eine der modernsten Flüchtlingseinrichtungen Hessens. Das Problem mit dem Millionenprojekt: Es wäre Platz für 1500 Zuwanderer da – doch kaum jemand kommt.« Und immer öfter auch solche Recherchenergebnisse: Flüchtlinge als Geschäftsmodell: »Viele Heimbetreiber kassieren absurd hohe Preise für die Unterbringung von Geflüchteten. Ahnungslose Städte und Landkreise sind ideale Geschäftspartner für die Betreiber von Flüchtlingsunterkünften. Manche Kommunen zahlen dreimal so viel für die Unterbringung wie andere – und viele Städte wissen gar nicht, wie hoch ihre Kosten sind. Was läuft falsch?« 

Es ist auf der einen Seite immer wichtig, (mögliche) Verfehlungen oder gar Bereicherungen anzuprangern, auf der anderen Seite sollte einem unbefangenen Beobachter beispielsweise beim Blick auf die Abbildung klar werden, dass eine Planung von Unterbringungskapazitäten angesichts der erkennbaren Entwicklung äußerst schwierig ist. Die Kommunen haben es gleichsam mit einem überaus beweglichen Ziel zu tun. Noch am Ende des vergangenen Jahres mussten die Kommunen von deutlich höheren Zuweisungszahlen ausgehen, für die man entsprechende Unterbringungen planen und organisieren musste – und nun oftmals für mehr Menschen, als dann tatsächlich in den Wochen seit dem Jahresbeginn gekommen sind. Aber kann man wirklich jetzt, im Mai 2016, annehmen, dass der Rückgang der Zahlen anhält? Oder könnt es auch wieder aufwärts gehen, wenn das Wetter besser wird und alternative Routen zur geschlossenen Balkan-Route gefunden und benutzt werden? Wer kann das heute wirklich abschätzen?

Auf der anderen Seite verschafft das eigentlich die dringend notwendige Luft, die Verhältnisse hier im Land zu ordnen und  in den Griff zu bekommen. Aber auch mit Blick auf die bereits vorhandenen Flüchtlinge stellt sich die aktuelle Lage mehr als unübersichtlich dar.

Das Bamf bleibt im Stress, berichtet Anna Reimann: »Deutlich weniger Flüchtlinge kommen nach Deutschland, aber die Schlüsselbehörde Bamf steht weiter unter Druck. Der Berg der Asylanträge wächst.«
Dazu passen dann leider solche Meldungen: Arbeitskreis Asyl kritisiert Bearbeitungsdauer. Gemeint ist das Beispiel Rheinland-Pfalz:

»Der Arbeitskreis Asyl Rheinland-Pfalz hält die Bearbeitungszeiten für Asylanträge weiterhin für unzumutbar. Die Fristen zwischen Antragstellung und Entscheid seien in den vergangenen Monaten in vielen rheinland-pfälzischen Regionen gestiegen. Der Arbeitskreis stützt seine Kritik nach eigenen Angaben auf Zahlen der Bundesregierung. Demnach vergingen zum Beispiel in der Trierer Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge aktuell im Schnitt zwei Jahre, bis somalische und pakistanische Flüchtlinge einen Bescheid bekämen, bei Iranern summiere sich die Wartezeit auf zweieinhalb Jahre.«

Und zu den großen Baustellen gehört natürlich auch die gesundheitliche Versorgung der Flüchtlinge. Das ist nicht nur mit Blick auf jeden einzelnen Betroffenen ein originär sozialpolitisches Thema, sondern auch angesichts des „Vergiftungspotenzials“ für die gesellschaftliche Debatte. Immer wieder wird man konfrontiert mit Aussagen, die in die Richtung gehen, dass die Flüchtlinge, kaum sind sie hier, sich ein Rundumversorgungspaket abholen können und medizinische und andere gesundheitsbezogene Leistungen bekommen, auf die auch der „Normalbürger“ einen Anspruch hat. Ebenfalls immer wieder kritisiert werden die Auswirkungen auf den Krankenkassenbeitrag, denn darüber müssen die Leistungen für die Flüchtlinge finanziert werden, so ein immer wieder kolportierter Vorwurf.
Nun könnte und muss man an dieser Stelle einwerfen, so einfach ist es dann doch nicht. In den ersten 15 Monaten stehen den Flüchtlingen/Asylbewerbern eben nicht die gleichen Leistungen des Gesundheitssystems wie den normal Versicherten zu.
Wie sieht es wirklich aus mit den Leistungen? Dazu die Hinweise auf der Website www.gesundheit-gefluechtete.info:

»Der Leistungsumfang der gesundheitlichen Versorgung Geflüchteter ist in den §§ 4, 6 AsylbLG geregelt. Eine medizinische Versorgung ist im Krankheitsfall (bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen) mit ärztlicher und zahnärztlicher Versorgung zu gewährleisten, einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln, sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen. Zudem sind die amtlich empfohlenen Schutzimpfungen inbegriffen, ebenso wie alle Leistungen bei Schwangerschaft und Geburt (Vgl. § 4 AsylbLG). Darüber hinaus können laut der Öffnungsklausel § 6 AsylbLG „sonstige Leistungen […] insbesondere […] wenn sie im Einzelfall zur Sicherung […] der Gesundheit unerläßlich“ sind, abgerechnet werden.«

Mit Blick auf den letzten Passus in dem Zitat hat Irene Berres in ihrem Artikel So werden Flüchtlinge medizinisch versorgt ausgeführt: »Alles kann, kaum etwas muss.« Und wer entscheidet das? Die Kommunen finanzieren und organisieren die gesundheitliche Versorgung in den ersten Monaten des Aufenthalts. Wie diese geregelt ist, kann deshalb von Ort zu Ort unterschiedlich sein und ist es auch.
Daraus resultiert wieder einmal eine unübersichtliche Situation, die bereits in dem Beitrag Der föderale Flickenteppich und die Flüchtlinge: Die einen kriegen eine Chipkarte, die anderen müssen zum Amt. Am Gelde hängt’s vom 10. März 2016 angesprochen wurde. Der Normalfall sieht so aus, dass die Flüchtlinge in den Sozial- bzw. teilweise damit betrauten Gesundheitsämtern eine Behandlungsschein beantragen müssen. »In der Regel urteilen in den Ämtern keine Ärzte, sondern nicht fachkundige Sachbearbeiter darüber, wie sehr eine Behandlung drängt. „Die Gefahr, dass gesundheitliche Risiken falsch eingeschätzt werden, ist hoch, gerade auch bei kranken Kindern“, kritisierte die Ethikkommission der Bundesärztekammer bereits 2013. Fehlende notwendige Behandlungen könnten Krankheiten chronifizieren, zu Folgeschäden führen und teurere Therapien nach sich ziehen«, berichtet Irene Berres in ihrem Artikel
»Viele Flüchtlinge brauchen für einen Arztbesuch einen Behandlungsschein vom Amt. Die Gesundheitskarte sollte das Verfahren vereinfachen, doch viele Kommunen sind dagegen«, so der Artikel Warten auf die Gesundheitskarte für Flüchtlinge. Die Einführung einer Gesundheitskarte für Geflüchtete kommt nur sehr schleppend voran.

»Zu uneinig sind sich die zuständigen Bundesländer und Kommunen. Flächendeckend eingeführt ist die Krankenversichertenkarte für Asylbewerber bisher nur in den Stadtstaaten Hamburg, Bremen und Berlin sowie in Schleswig-Holstein. Einige andere Länder haben zwar die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen, ihre Kommunen setzen sie aber nicht um … .«

Hauptgrund dafür bei vielen Kommunen ist die Befürchtung höherer Kosten. 


»Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen  …  haben mit den Krankenkassen zwar entsprechende Rahmenvereinbarungen geschlossen, umgesetzt werden müssen die aber von den Kommunen – und in Niedersachsen und Rheinland-Pfalz zieht bislang keine einzige Kommune mit. In Nordrhein-Westfalen sind es von 396 Kommunen bislang nur 20, die meisten davon größere Städte.«

Das hört sich nicht wirklich nach einem Erfolgsmodell an. Natürlich geht es vor allem ums Geld: »Die Kommunalverbände ärgern sich über hohe Zusatzkosten durch die Verwaltungspauschale von acht Prozent für die Krankenkassen.«
Das wird auch aus Rheinland-Pfalz vorgetragen, so Anfang Mai 2016 in diesem Artikel: Kommunen beklagen hohe Kosten:

»Am 2. Februar hatten das Sozial- und Gesundheitsministerium sowie zehn Krankenkassen eine Rahmenvereinbarung zur Einführung der elektronischen Gesundheitskarte für Flüchtlinge unterzeichnet. Danach erstatten die Landkreise und Städte den Kassen die Leistungen für die ihnen zugewiesenen Flüchtlinge nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Für die entstehenden Verwaltungskosten zahlen die Kommunen zusätzlich einen Satz von acht Prozent der Kosten für die medizinische Leistung. „Das ist viel zu teuer“, kritisiert der Geschäftsführende Direktor des Landkreistags, Burkhard Müller. Zudem gebe es technische Probleme, um über die Karte sicherzustellen, dass Asylbewerber nur Anspruch haben, akute Erkrankungen und Schmerzen behandeln zu lassen – während die elektronische Gesundheitskarte der sonstigen Kassenpatienten einen größeren Leistungsumfang ermöglicht. Damit seien „Manipulationen Tür und Tor geöffnet“, befürchtet Müller.«

Aus Pirmasens wird berichtet, dass es vier bis fünf Mal teurer wäre, wenn man die Gesundheitskarte einführen würde. Das bisherige Verfahren sei bei den Verwaltungskosten einfach günstiger.
Auch aus Nordrhein-Westfalen erreichen uns vergleichbare Meldungen: Gesundheitskarte bisher nur in wenigen Kommunen:

»Die kleine Karte macht den Unterschied – für das Sozialamt und für etwa 500 Flüchtlinge im rheinischen Alsdorf. „Die Entlastung für die Behörde ist spürbar“, sagt ein Mitarbeiter des Sozialamts in einer Umfrage der Nachrichtenagentur dpa. Die 50.000-Einwohner-Kommune bei Aachen hat zu Jahresbeginn die Krankenversichertenkarte für Flüchtlinge eingeführt. Sie sind nun direkt bei einer Krankenkasse versichert und müssen nicht erst auf dem Amt einen Behandlungsschein für den Gang zum Arzt holen.
Das Ziel: eine bessere Gesundheitsversorgung der Neuankömmlinge und eine Entlastung der Behörden. Vor allem große Städte setzen darauf: Köln, Düsseldorf, Bochum, Münster, Bonn und Oberhausen machen mit. Düsseldorf hat inzwischen etwa 5.000 Karten ausgegeben.«

Aber warum dann nur in einer Minderheit der Kommunen, denn nur 20 von 396 NRW-Kommunen haben sich bislang entschlossen, ihren Flüchtlingen eine Gesundheitskarte zu geben?
»Die kommunalen NRW-Spitzenverbände halten die Vereinbarung für zu teuer. Durch die Verwaltungspauschale von acht Prozent entstünden „extrem hohe Zusatzkosten“, bemängelt der Städte- und Gemeindebund NRW, der für 359 Kommunen spricht … Hinzu komme das Haftungsrisiko bei Missbrauch oder Verlust der Gesundheitskarte.«
Aber die anderen, die den Schritt gewagt haben, hören sich gar nicht so pessimistisch an, wie das Beispiel Monheim verdeutlicht (»Als erste hatte Monheim am Rhein, ein wohlhabende kleine Stadt im Süden von Düsseldorf, die Einführung der Gesundheitskarte für die derzeit 676 Flüchtlinge beschlossen. Die Bilanz sei rundum positiv, erklärt Dietmar Marx, Abteilungsleiter Soziales im Rathaus: eine Arbeitserleichterung für die Mitarbeiter, Ärzte haben weniger Rückfragen, die Kooperation mit der Krankenkasse läuft«):

»Viele Kommunen in NRW zahlen pro Flüchtling zunächst einen Abschlag von 200 Euro pro Monat auf zu erwartenden Gesundheitskosten. Abgerechnet wird hinterher. Die Verantwortlichen in Monheim haben spitz gerechnet und mit der Krankenkasse eine Pauschale von 130 Euro pro Flüchtling und Monat vereinbart. Weniger als andere. Nach dem ersten Quartal gab es Geld zurück. Und sollte der Abschlag doch nicht ausreichen, wird er wieder erhöht.«

Nach 15 Monaten ist das vorbei. Dann haben die betroffenen Menschen einen Anspruch auf eine „normale“ Krankenversicherung – und die ist dann bekanntlich mit der Karte. 
Und auch bei der Finanzierung kann (teilweise) Entwarnung gegeben werden. Entweder der Flüchtling arbeitet und führt auf seinen Lohn den Sozialversicherungsbeitrag ab. Oder aber er oder sie befinden sich unter dem Dach der Jobcenter (nach der Anerkennung als Asylberechtigter) und die zahlen dann eine Pauschale in Höhe von 90 Euro pro Monat an die Krankenversicherung. Ob das nun wiederum ausreicht, um die Kosten zu decken, wäre eine eigene Diskussion. Auf alle Fälle ist das dann kein originäres Flüchtlingsproblem, denn wenn es eine Unterdeckung durch die staatlich vorgegebenen Pauschalen gibt, dann ist das ein Problem, dass letztendlich alle Hartz IV-Empfänger treffen würde – und auch wieder nicht, denn es handelt sich ja immer um Durchschnittsbeträge über alle Angehörige einer bestimmten Personengruppe.