EU-Entsenderichtlinie: Etwas weniger Lohndumping – und die weiterhin offene Flanke Sozialdumping im Baubereich. Da setzt ein slowenisches Geschäftsmodell an, das über Brüssel gestoppt werden soll

„Gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit am gleichen Ort“. Auf diese einprägsame und für alle verständliche Formel versucht die EU-Kommission die nach langem Ringen reformierte EU-Entsenderichtlinie zu verkaufen. Die wurde im vergangenen Jahr verabschiedet (vgl. dazu beispielsweise EU-Parlament verabschiedet neue Vorschriften gegen Lohndumping) und muss nun in das jeweilige nationale Recht der Mitgliedstaaten der EU umgesetzt werden. Dafür haben die bis spätestens Mitte 2020 Zeit. Und das betrifft bekanntlich nicht nur einige wenige Arbeitnehmer. Mehr als 2,3 Millionen entsandte Kräfte arbeiten nach offiziellen Angaben in einem anderen EU-Land, über 440.000 in Deutschland. Viele werkeln auf dem Bau, bei Speditionen, in Gaststätten oder in der Pflege.

»Auf deutschen Baustellen geht es mittlerweile international zu. Bauunternehmer engagieren jeden zehnten Arbeiter im Ausland, meist stammen sie aus Osteuropa. Es sind größtenteils Unternehmen aus Österreich, Polen und Rumänien, die die Arbeiter in Deutschland anbieten – ein lukratives Geschäft, denn hierzulande ist in den vergangenen Jahren die Nachfrage nach ausländischen Arbeitskräften kräftig gestiegen. Zum einen, weil die Auftragsbücher gut gefüllt sind, es vielen Betrieben aber an den nötigen Fachkräften fehlt. Zum anderen sind die ausländischen Firmen günstig. Nicht selten geht das zulasten der Arbeiter, die oft niedrigere Löhne erhalten als ihre heimischen Kollegen. Und auch bei den Sozialversicherungsbeiträgen versuchen jene Unternehmen immer wieder, sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen.« So beginnt der Beitrag Tricks auf dem Bau von Simon Groß. Und der berichtet von einem ganz besonderen Geschäftsmodell aus Slowenien, um den angesprochenen Wettbewerbsvorteil bei den Sozialversicherungsbeiträgen zu vergrößern.

Bevor man sich das genauer anschaut, muss man kurz darauf hinweisen, dass die reformierte EU-Entsenderichtlinie tatsächlich im Bereich des Lohndumping Verbesserungen bringen wird. Dazu ausführlicher der Beitrag Die neue EU-Entsenderichtlinie: Weniger Konkurrenz und mehr Gerechtigkeit? Das Bundesarbeitsministerium hat Änderungen des Arbeitnehmerentsendegesetzes auf den Weg gebracht vom 16. November 2019. Bisher sah die über 20 Jahre alte Richtlinie vor, dass Arbeitnehmer, die auf Zeit zur Arbeit in ein anderes Land entsandt werden, den dort geltenden Mindestlohn erhalten. Nun soll „gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ auch für entsandte Arbeitnehmer gelten. Künftig sollen in allen Branchen allgemeinverbindliche und bundesweite Tarifverträge grundsätzlich auch auf entsandte Arbeitnehmer angewandt werden. Bislang galt dies nur in der Baubranche. Um die Baubranche geht es aber in diesem Beitrag.

Schwieriger ist die Situation im Bereich des Sozialdumping. Denn: Hier gibt es eine Leerstelle zu vermelden auch bei dem nun erreichten Kompromiss auf europäischer Ebene, auf die ich bereits 2018 in dem Beitrag Mit einer neuen Entsenderichtlinie gegen Lohndumping in der EU. Also in ein paar Jahren, mit Einschränkungen und Ausnahmen hingewiesen habe: „Unterschiede bleiben bei der Sozialversicherung, … Die entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind in der Heimat oft preiswert kranken- oder rentenversichert. So sind Lohnkosten unter dem Strich bei entsandten Arbeitnehmern nach wie vor günstiger als bei einheimischen“.«

Das angesprochene „Sozialdumping“ wird man nur verstehen, wenn man sich den Formenwandel der Entsenderichtlinie genauer anschaut: Die Richtlinie wurde ursprünglich geschaffen, um ins Ausland „entsandte Arbeiter“ zu schützen. So konnten beispielsweise Franzosen im EU-Ausland arbeiten, ohne die großzügige französische Sozialversicherung zu verlieren – denn die Richtlinie verschließt gerade den Zugang zu dem Sozialversicherungssystem des Ziellandes: Für entsandte Arbeitnehmer gelten hier während der ersten 24 Monate einer Entsendung die Bestimmungen des Herkunftslandes. Der EU-Beitritt der osteuropäischen Länder hat dieses Prinzip aber auf den Kopf gestellt. Jetzt wird mit Hilfe dieses Regelwerks schlicht und einfach krasses Lohn- und Sozialabgabendumping betrieben.

Der Kostenvorteil durch die teilweise ganz erheblich niedrigeren Sozialbeiträge in den Entsendeländern wird also auch in der neuen Welt perpetuiert. Wenn denn die niedrigeren Sozialbeiträge überhaupt abgeführt wird – hier berichtet Experten über erhebliche Zweifel, denen man aber nicht nachgehen kann, denn das liegt in der Autonomie der Behörden in den Entsendeländern. Man muss davon ausgehen, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Und davon kann man in der wirklichen Wirklichkeit leider nicht automatisch ausgehen. Die Sozialabgaben werden also auch nach dem Inkrafttreten der Reform weiterhin in den Herkunftsländern fällig. Damit haben die ausländischen Firmen einen Wettbewerbsvorteil in Deutschland.

Vor diesem Hintergrund wird man nun besser verstehen, was Simon Groß in seinem Artikel Tricks auf dem Bau beschreibt: Seit dem 23. Oktober liegt der Europäischen Kommission eine Beschwerde über Slowenien von der IG Bau vor. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) haben sich dem angeschlossen. Um was geht es bei dieser Beschwerde gegen einen Mitgliedsstaat der EU?

»Der Grund des gewerkschaftlichen Unmuts liegt darin, dass Slowenien von Unternehmen, die Arbeiter ins Ausland schicken, niedrigere Sozialversicherungsbeiträge verlangt als von denen, die im heimischen Gewerbe tätig sind. Anstelle des vollen Satzes müssen jene Unternehmen in Slowenien nur 60 Prozent des Sozialversicherungsbeitrags zahlen. Zudem bemessen sich die Abgaben nicht an den tatsächlich gezahlten Löhnen, sondern am slowenischen Durchschnittslohn.«

Die Gewerkschaften monieren eine doppelte Diskriminierung: Die Regelung benachteilige sowohl slowenische als auch deutsche Unternehmen, die jeweils die vollen Beitragssätze zu leisten hätten.

Simon Groß weist darauf hin: »Das slowenische Gesetz trat bereits 2012 in Kraft, es hat also eine Weile gedauert, bis die IG Bau aktiv wurde.«

Offensichtlich geht es der Gewerkschaft um einen Abschreckungseffekt: „Wenn die Kommission Slowenien das durchgehen lässt, was hindert dann andere Länder daran, dieses Modell zu kopieren? Das ist wie beim Steuerwettbewerb: Wenn einer damit anfängt, entsteht ein Sog nach unten, eine Negativspirale, der andere folgen“, wird Fritz Heil von der IG Bau zitiert.

Und wie will man Brüssel dazu bringen, gegen Slowenien tätig zu werden, damit es keine Negativspirale gibt? »Um das zu verhindern, setzen die Gewerkschaften auf ein rechtliches Mittel, das auch aus der Bekämpfung des Steuerwettbewerbs zwischen den EU-Mitgliedsstaaten bekannt ist – einem Verfahren wegen verbotener staatlicher Beihilfen. Damit wurde zuletzt Irland gezwungen, Steuergeld von Apple in Milliardenhöhe zurückzufordern. Nun wollen die Gewerkschaften die EU-Kommission dazu bringen, das gleiche Recht im Falle Sloweniens anzuwenden. Wären sie erfolgreich, müssten die slowenischen Unternehmen ihren Bonus dem eigenen Staat zurückzahlen, samt Zinsen.«

Parallel – bzw. sicherheitshalber angesichts der unsicheren Aussichten über den Ausgang dieses Ansatzes – hat die IG Bau die Kommission gebeten, ein Vertragsverletzungsverfahren wegen Diskriminierung und unfairem Wettbewerb gegen Slowenien anzustrengen. Aber auch hier kann man keine Erfolgsprognose geben.

Simon Groß weist darauf hin, dass es nicht nur von deutscher Seite Beschwerden gegen das slowenische Geschäftsmodell gibt: In Österreich »hat das Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz nach eigenen Angaben bereits Kontakt zur slowenischen Regierung aufgenommen, es gab Beschwerden von österreichischen Sozialpartnern. In den vergangenen Jahren hätten die Entsendungen aus Slowenien, vor allem im Bausektor, stark zugenommen. Österreich ist nach Deutschland das Land, in das slowenische Unternehmen die meisten Arbeiter schickt.«

Und was ist mit der Arbeitgeberseite in Deutschland? Die müssten doch auch ein Interesse haben, dass Wettbewerbsverzerrungen geahndet werden. »Weder beim Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB) noch beim Zentralverband Deutsches Baugewerbe (ZDB), der vor allem kleinere Betriebe vertritt, hätten sich Unternehmen beschwert, sagen Verbandsvertreter.« Möglicherweise liegt das auch an dem ausgeprägten mehrfachen Sub-Unternehmensunwesen, weil man dann über die Inanspruchnahme von Subunternehmen selbst profitiert.

Unterstützung bekommen die deutschen Gewerkschafter von ihren Kollegen in Slowenien selbst, berichtet Simon Groß. Denn: Für Marko Tanasic vom Verband der freien Gewerkschaften Sloweniens (ZSSS) sind die slowenischen Wanderarbeiter die eigentlichen Verlierer. Wobei man wissen muss: Der Großteil der Wanderarbeiter stammt gar nicht aus Slowenien, sondern aus anderen Ländern des ehemaligen Jugoslawiens, viele Bosnier und Serben seien darunter. Ihr Anspruch auf Arbeitslosenversicherung, Krankengeld oder eine angemessene Rente würde durch die geringen Sozialversicherungsbeiträge dahinschmelzen. Und sie sind in der schwächsten Position: Sie können es sich nicht leisten, arbeitslos oder nur krank zu werden, sie müssen arbeiten. Sie müssen in ihrer Heimat meist eine Familie versorgen. »Das wüssten die Unternehmen und nutzten die schlechte Verhandlungsposition der Arbeiter oft schamlos aus. Es sei gängige Praxis, den Arbeitern in mündlichen Verabredungen höhere Löhne zu versprechen, als dann später tatsächlich gezahlt würden.«