Auszubildende auf der Flucht? Oder doch nicht? Man muss schon genauer hinschauen. Neue Zahlen und alte Befürchtungen zu den Entwicklungen auf dem „Ausbildungsmarkt“

Da sind sie wieder, die Schlagzeilen, die auf große Probleme hindeuten: Die Azubi-Krise beispielsweise: »Betriebe in Deutschland stellen 80.000 Ausbildungsplätze weniger zur Verfügung, als noch vor zehn Jahren. Dennoch sind die Chancen für Bewerber besser als zuletzt – weil die Zahl der Interessenten noch dramatischer gesunken ist.« Und Daniel Eckert hat seinen Artikel so überschrieben: Das Ausbildungsparadox – eine Gefahr für die deutsche Wirtschaft. »Die Situation auf dem deutschen Ausbildungsmarkt scheint paradox. Es gibt Stellen, und es gibt Bewerber, aber oft finden beide nicht zueinander. Vor allem im Osten des Landes tut sich eine riesige Kluft auf. Deutschlandweit fanden die Betriebe im Jahr 2016 – aktuellere Zahlen liegen noch nicht vor – für 43.000 ihrer Ausbildungsstellen keinen passenden Bewerber. Rund jede zwölfte Stelle blieb unbesetzt. In den ostdeutschen Flächenländern war sogar für mehr zehn Prozent aller Ausbildungsplätze kein geeigneter Interessent zu finden. Gleichzeitig gingen bundesweit 80.000 oder gut 13 Prozent der Ausbildungsbewerber leer aus.«

Auf der anderen Seite findet man in der aktuellen Berichterstattung auch solche Meldungen am Beispiel der Hansestadt Hamburg: Boom bei Berufsausbildung hält an: »Obwohl 55,6 Prozent der Jugendlichen in der Hansestadt die Schule mit dem Abitur verlassen, entscheiden sich viele Mädchen und Jungen für eine berufliche Ausbildung.«

Die Artikel beziehen sich alle auf eine neue Studie, die von der Bertelsmann-Stiftung veröffentlicht wurde:
Bertelsmann-Stiftung (Hrsg.) (2017): Ländermonitor berufliche Bildung 2017. Zusammenfassung der Ergebnisse, Gütersloh 2017

»Ob Jugendliche einen Ausbildungsplatz finden, ist stark abhängig vom Wohnort. Im Norden werden Bewerber schwerer fündig als im Süden, wo Ausbildungsplätze nicht besetzt werden können. Bundesweit hat sich die Situation für Bewerber leicht verbessert, Hauptschüler profitieren davon jedoch kaum.« So beginnt die Zusammenfassung des neuen Länderreports: Region und Schulbildung entscheiden über Chancen auf Ausbildungsmarkt. Hier wird auf die erheblichen regionalen Disparitäten hingewiesen: »2016 standen in Bayern 100 Bewerbern 104 Ausbildungsplätze gegenüber, in Schleswig-Holstein nur 88. In den östlichen Flächenländern ist der Rückgang der dualen Ausbildung besonders dramatisch. Zwischen 2007 und 2016 ist dort die Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze um knapp 40 Prozent und die Zahl der Bewerber um 46 Prozent gefallen.«

Folgende besondere Problembereiche werden identifiziert:

»Die Situation auf dem Ausbildungsmarkt scheint paradox. 2016 fanden Betriebe für 43.000 Ausbildungsstellen keinen passenden Bewerber. Knapp acht Prozent aller Stellen blieben damit unbesetzt. In den ostdeutschen Flächenländern war es sogar mehr als jeder zehnte Ausbildungsplatz. Trotz der offenen Stellen gingen bundesweit 80.000 der Ausbildungsbewerber leer aus – also fast jeder siebte. Jugendliche und Betriebe kommen schon geographisch oft nicht zueinander. Im Süden Bayerns suchen die Betriebe händeringend Azubis, im Ruhrgebiet ist die Situation umgekehrt.

Hinzu kommt, dass Ausbildungsstellen in Berufen und Betrieben angeboten werden, für die sich Bewerber nicht interessieren. Besonders schwer haben es kleinere Betriebe, die in für Jugendliche unattraktiven Berufen ausbilden, beispielsweise im Hotel- und Gaststättengewerbe …

Obwohl sich die Lage für Bewerber verbessert hat und Stellen unbesetzt bleiben, profitieren Hauptschüler davon kaum. Im Jahr 2015 gelang es nur jedem zweiten Schulabgänger mit Hauptschulabschluss oder ohne Abschluss, direkt eine Ausbildung im dualen oder im Schulberufssystem aufzunehmen. Die andere Hälfte wechselt zunächst in eine der zahlreichen Maßnahmen des Übergangssystems, in denen kein Berufsabschluss erworben werden kann.«
Diese Diagnosen sind nicht wirklich neu. Gibt es Handlungsvorschläge? Dazu wird Jörg Dräger zitiert, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung:

„Betriebe sollten neue Wege der Bewerberansprache einschlagen, sich verstärkt neuen Zielgruppen öffnen und in unattraktiven Berufen die Rahmenbedingungen verbessern.“ Gleichzeitig bräuchten insbesondere kleine Betriebe bessere Unterstützung bei der Ausbildung, zum Beispiel in Form von sozialpädagogischer Begleitung von Betrieb und Azubi. Die vorhandenen Fördermöglichkeiten sind oft zu unflexibel und zu wenig bekannt.

Und mit Blick auf die abgekoppelten Hauptschulabsolventen: „Wir treten dafür ein, jedem jungen Menschen die Chance auf einen Berufsabschluss zu eröffnen – auch mit einer staatlichen Ausbildungsgarantie.“

Die Zahlen aus dem Ländermonitor gehen bis in das Jahr 2016. Neuere Daten hat das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in Bonn diese Tage veröffentlicht: Angebot und Nachfrage mit leichtem Plus, jedoch erneut mehr unbesetzte Plätze. Die Entwicklung des Ausbildungsmarktes im Jahr 2017. Die Tabelle am Anfang dieses Beitrags ist der ausführlichen Fassung der neuen Zahlen entnommen:

Stephanie Matthes, Joachim Gerd Ulrich, Simone Flemming und Ralf-Olaf Granath (2017): Die Entwicklung des Ausbildungsmarktes im Jahr 2017. Angebot und Nachfrage mit leichtem Plus, jedoch erneut mehr unbesetzte Plätze, Bonn: Bundesinstitut für Berufsbildung, Dezember 2017

Das BIBB berichtet zu dem Thema: »2017 nahmen auf dem Ausbildungsmarkt sowohl die Zahl der angebotenen Plätze als auch die Zahl der jungen Menschen zu, die eine Berufsausbildung nachfragten. Allerdings stieg zum achten Mal in Folge die Zahl der Ausbildungsplätze, die nicht besetzt werden konnten. Mit 48.900 gab es so viele offene Ausbildungsstellen wie seit 1994 nicht mehr. Gebrochen wurde dagegen der Negativtrend bei der Ausbildungsplatznachfrage: Sie stieg erstmalig seit 2011 an, u. a. weil zunehmend mehr Geflüchtete unter den Ausbildungsstellenbewerbern zu finden waren.«

Und auch das BIBB weist auf diese (scheinbare) Paradoxie hin: »Die erneute Zunahme der Besetzungsprobleme von Ausbildungsplätzen und das nahezu unveränderte Ausmaß der Versorgungsprobleme von Ausbildungsstellenbewerbern führten dazu, dass sich die Passungsprobleme auf dem Ausbildungsmarkt weiter verschärften.«

Zu der hier in Klammern eingeschobenen „scheinbaren“ Paradoxie: Immer wieder – auch beim BIBB – wird ganz selbstverständlich von einem „Ausbildungsmarkt“ gesprochen. Die Diagnose einer Paradoxie – auf der einen Seite nicht besetzte (besetzbare?) Ausbildungsstellen, auf der anderen Seite aber viele junge Menschen, die keinen direkten Einstieg in eine Berufsausbildung finden (können/wollen?) – wird abgeleitet aus der Gegenüberstellung der großen Zahlen auf der Angebots- und Nachfrageseite. Aber ist das überhaupt ein geeigneter Maßstab? Haben wir es wirklich mit einem „Markt“ zu tun?

Dazu bereits der Beitrag Überall gibt es Azubi-Mangel-Alarm. Ein Märchen? Eine statistische Illusion? vom 4. November 2016. Dort findet man diesen Hinweis, der als Plädoyer für eine differenzierte Sichtweise zu verstehen ist:

»… sowohl die eine Seite – also die Proklamation eines „Azubi-Mangels“ – wie auch die andere – also die rechnerische Widerlegung – leiden darunter, dass sie aus der jeweiligen Vogelperspektive auf ein überaus heterogenes und dann auch noch räumlich ganz erheblich begrenztes Geschehen blicken. Vor Ort findet man zahlreiche Passungsprobleme zwischen dem Angebot und der Nachfrage. Das manifestiert sich in bestimmten Berufen bzw. Tätigkeitsfelder wie dem Hotel- und Gaststättenbereich (wo man auch im nachgelagerten Bereich der Arbeitskräfte erhebliche Personalbeschaffungsprobleme hat) oder in bestimmten handwerklichen Berufen. Das kann sicher mit den schlechten oder von vielen als schwierig bewerteten Arbeitsbedingungen zu tun haben. Aber auch das gehört zur Wahrheit: Manche Jugendliche haben erhebliche Probleme nicht nur im kognitiven Bereich, sondern auch auf der Verhaltensebene, die es selbst gutmütigen und offenen Arbeitgebern schwer machen, diesen jungen Menschen eine Ausbildungsmöglichkeit zu eröffnen.

Während sich Jugendliche in Süddeutschland vielerorts tatsächlich Ausbildungsplätze aussuchen können, wenn sie halbwegs laufen können, ist das in Regionen wie dem Ruhrgebiet ganz anders, dort finden selbst junge Menschen mit einem ordentlichen Schulabschluss und vorhandener Motivation häufig keine Lehrstelle, weil es einen quantitativen Mangel gibt. Rechnerisch ließe sich das sicher ausgleichen, wenn man die Bundeszahlen betrachtet, aber dann müsste man eine sehr umfangreiche Kinderlandverschickung organisieren.

Hinzu kommt – und das sollte nicht unterschätzt werden – eine weiterhin durchaus sehr eingeschränkte und dann auch noch geschlechtsspezifische Wahl der Ausbildungsberufe, wobei gerade die jungen Frauen immer noch Berufe wählen, von denen man nicht wird leben können oder nur unter sehr restriktiven Bedingungen.

Es ist halt alles nicht so einfach im wirklichen Leben jenseits der Zahlen.«

Arme Azubis. Und bedauernswerte Ausbildungsbetriebe. Alles neben den vielen Fällen, in denen es gut läuft. Und eine bröckelnde Bildungsrepublik

Es hat sich offensichtlich eine Menge geändert. Jahrelang ging es um den Mangel an Lehrstellen und seit einiger Zeit liest und hört man (fast) nur noch was von einem Mangel an Auszubildenden. Es geht also wieder einmal um den „Ausbildungsmarkt“, der vor allem deshalb hier in Anführungsstriche gesetzt wird, weil es eben nicht wirklich einen „Markt“ mit den dort wirkenden Mechanismen gibt.

Dazu wurden in diesem Blog in dem Beitrag Überall gibt es Azubi-Mangel-Alarm. Ein Märchen? Eine statistische Illusion? vom 4. November 2016 die folgenden zusammenfassenden Hinweise gegeben: »… sowohl die eine Seite – also die Proklamation eines „Azubi-Mangels“ – wie auch die andere – also die rechnerische Widerlegung – leiden darunter, dass sie aus der jeweiligen Vogelperspektive auf ein überaus heterogenes und dann auch noch räumlich ganz erheblich begrenztes Geschehen blicken. Vor Ort findet man zahlreiche Passungsprobleme zwischen dem Angebot und der Nachfrage. Das manifestiert sich in bestimmten Berufen bzw. Tätigkeitsfelder wie dem Hotel- und Gaststättenbereich (wo man auch im nachgelagerten Bereich der Arbeitskräfte erhebliche Personalbeschaffungsprobleme hat) oder in bestimmten handwerklichen Berufen. Das kann sicher mit den schlechten oder von vielen als schwierig bewerteten Arbeitsbedingungen zu tun haben. Aber auch das gehört zur Wahrheit: Manche Jugendliche haben erhebliche Probleme nicht nur im kognitiven Bereich, sondern auch auf der Verhaltensebene, die es selbst gutmütigen und offenen Arbeitgebern schwer machen, diesen jungen Menschen eine Ausbildungsmöglichkeit zu eröffnen.
Während sich Jugendliche in Süddeutschland vielerorts tatsächlich Ausbildungsplätze aussuchen können, wenn sie halbwegs laufen können, ist das in Regionen wie dem Ruhrgebiet ganz anders, dort finden selbst junge Menschen mit einem ordentlichen Schulabschluss und vorhandener Motivation häufig keine Lehrstelle, weil es einen quantitativen Mangel gibt. Rechnerisch ließe sich das sicher ausgleichen, wenn man die Bundeszahlen betrachtet, aber dann müsste man eine sehr umfangreiche Kinderlandverschickung organisieren.«

Es gibt eben nicht einen großen „Markt“, auf den man es mit einem Angebot und einer Nachfrage zu tun hat. Bereits innerhalb von Regionen wird man mit Passungsproblemen konfrontiert. Beispiel Berlin-Brandenburg: In diesen Tagen wurde von der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Bundesagentur für Arbeit (BA) bekannt gegeben, dass aktuell rund 9.000 Ausbildungsstellen unbesetzt sind, während noch über 10.000 Jugendliche nach ihrem frisch erworbenen Schulabschluss ohne Anschlussperspektive sind. Da hilft es dann angesichts der überaus ausgeprägten regionalen Verfasstheit von Ausbildungsplatzangebot und -nachfrage auch nicht, wenn man feststellt, dass in München viele Abzubistellen nicht besetzbar sind, aber im Ruhrgebiet viele Jugendliche, selbst mit passablen Schulabschlüssen, eine Ausbildungsstelle suchen, aber nicht finden. Ein „einfacher“ Ausgleich in dem Sinne, dass dann die jungen Menschen eben nach München ziehen sollen, funktioniert nicht wirklich, was man angesichts der Rahmenbedingungen auch schnell nachvollziehen kann.

Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack wird dann auch mit diesen Zahlen zitiert: » „Die Lage ist nach wie vor angespannt, auch wenn es im letzten Jahr 43.000 unbesetzte Ausbildungsstellen gab. Ihnen gegenüber stehen 280.000 junge Menschen, die im letzten Jahr keinen Ausbildungsplatz gefunden haben. Insbesondere Hauptschulabsolventen haben es schwer auf dem Ausbildungsmarkt.« Speziell zu den Problemen der Hauptschüler (aber auch den Problemen von Betrieben mit ihnen) der Beitrag Trotz Azubi-Mangels: Viele Hauptschüler finden keinen Ausbildungsplatz von Deutschlandfunk Kultur.

Und zu den Rahmenbedingungen einer dualen Berufsausbildung in Deutschland gehören eben auch die Bedingungen, unter denen die Auszubildenden lernen und arbeiten – und schon sind wir mittendrin in der immer wiederkehrenden kritischen Diskussion – zuweilen auch überwiegend arbeiten müssen, aber wenig lernen können.

Dieser Vorwurf wird regelmäßig von der Gewerkschaftsseite ins Feld geführt. Unter der Überschrift Ausbildungsreport 2017: Ausbildungsqualität endlich verbessern! hat sich der DGB zu Wort gemeldet. Es geht dabei um diese Veröffentlichung:

DGB-Bundesvorstand (2017): Ausbildungsreport 2017, Berlin, August 2017

An der repräsentativen Befragung haben sich 12.191 Auszubildende aus den laut Bundesinstitut für Berufsbildung 25 häufigsten Ausbildungsberufen beteiligt.

Beginnen wir entgegen der heute üblichen Dramaturgie mit einer positiven Zahl, die man – auch – in dem neuen Ausbildungsreport der Gewerkschaften finden kann: Danach sind die meisten Auszubildenden (71,9 Prozent) mit ihrer Ausbildung zufrieden. Das ist erst einmal kein schlechter Wert – aber eben auch ein Durchschnittswert über alle Auszubildenden hinweg.

Bei den Zufriedenheitswerten gibt es aber erhebliche Branchenunterschiede: Mechatroniker, Industriekaufleute und Industriemechaniker sind über Durchschnitt zufrieden. Friseurinnen und Friseure, Auszubildende in Teilen des Hotel- und Gaststättenbereichs und Fachverkäufer des Lebensmittelhandwerks, bewerten ihre Betriebe hingegen mangelhaft. Nun ist es nicht verwunderlich, dass gerade in den Branchen mit hohen Unzufriedenheitswerten zum einen die Bewerberlage aus Sicht der Betriebe mangelhaft bis desaströs ist – und zugleich haben wir dort auch sehr hohe Abbrecherzahlen (vgl. dazu differenzierter am Beispiel der Köche den Beitrag Frust am Herd – Köche auf der Flucht? Von klagenden und zufriedenen Azubis, Ausbildungsabbrüchen und einem Azubimangel zwischen Hysterie und Realität vom 8. November 2016).

Die Liste der gewerkschaftlichen Kritikpunkte ist lang. »Über ein Drittel der Auszubildenden leistet regelmäßig Überstunden. Fast genauso vielen (35,4 Prozent) liegt kein betrieblicher Ausbildungsplan vor, eine Überprüfung der Ausbildungsinhalte ist ihnen daher nur schwer möglich. Mehr als jeder zehnte Azubi (11,5 Prozent) übt regelmäßig ausbildungsfremde Tätigkeiten aus. Die Abstimmung zwischen Betrieben und Berufsschulen ist oft schlecht.«

Die Vorwürfe werden auch in der Medienberichterstattung aufgegriffen. Ein Beispiel ist der Beitrag Ausbeutung statt Ausbildung: Wie Nachwuchsfachkräfte ausgenutzt werden des Politikmagazins „Report Mainz“ (ARD): »Viele Auszubildende werden in ihren Betrieben als billige Arbeitskraft missbraucht statt als Fachkraft für morgen ausgebildet zu werden. Die Politik könnte das Berufsbildungsgesetz ändern, um die Azubis besser zu schützen, tut es aber nicht«, so die These des Beitrags in der Sendung am 29.08.2017.

Der Beitrag greift eine der Forderungen des DGB direkt auf: »Nach Meinung von Gewerkschaften fehlen Kontrollen und Sanktionen gegen die betreffenden Unternehmen. Laut Berufsbildungsgesetz sollen die Industrie- und Handelskammern sowie die Handwerkskammern zwar ihre Mitgliedsunternehmen kontrollieren und gegebenenfalls dafür sorgen, dass deren Ausbildungsberechtigung entzogen wird. Doch das findet nur begrenzt statt. Die Gewerkschaften halten es für einen Systemfehler, dass die Kammern ihre eigenen Mitgliedsbetriebe kontrollieren sollen und fordern ein unabhängiges Institut. Dafür müsste allerdings das Berufsbildungsgesetz geändert werden. Doch die Bundesbildungsministerin sieht dafür keinen Bedarf.« Zu den Forderungen des DGB vgl. auch die Seiten 40 f. des Ausbildungsreports 2017.

Auch einige Azubis protestieren gegen die Bedingungen, unter denen sie ihre Ausbildung machen (müssen). Ein gerade bei Frauen immer noch überaus beliebter Ausbildungsberuf sei hier besonders erwähnt: Friseure. »Friseur-Azubis protestieren gegen Niedriglöhne, Überstunden und Zeitstress«, so Ines Wallrodt in ihrem Artikel Schlechter Schnitt:

Im Durchschnitt bekommen Friseur-Azubis nach Angaben von ver.di im Osten 269 Euro, im Westen 494 Euro im Monat. In Sachsen liegt die Durchschnittsvergütung bei 200 Euro, in Thüringen bei 205 Euro. Den Negativrekord hält Sachsen-Anhalt. Dort werden Azubis mit 153 Euro abgespeist – irgendwann wurde D-Mark in Euro umgerechnet, mehr hat sich in 25 Jahren nicht geändert. Im Osten ist es besonders schlimm, aber auch in Hamburg, einer der teuersten Städte Europas, verdienen angehende Friseure lediglich 325 Euro. Von ihrem Lohn müssen Azubis nicht selten teure Scheren und Kämme bezahlen, Überstunden sind häufig. Was für die Prüfung nötig ist, muss in der Freizeit gelernt werden. Der Gewerkschaftssekretär Marvin Reschinsky wird mit diesen Worten zitiert: »Azubis werden systematisch als billige Arbeitskräfte eingesetzt.« Anspruch auf Mindestlohn haben sie nicht. Ein Großteil sei deshalb auf Hilfe aus der Familie oder vom Staat angewiesen.

Auch in diesem Artikel wurde das Thema aufgegriffen: Vollzeit arbeiten für 153 Euro im Monat.

Die Spannweite bei dem, was Azubis bei tarifvertraglich geregelten Beträgen bekommen, ist enorm: Ausbildungsvergütungen: Regionale Unterschiede bis zu 299 Euro im Monat, so die Information des WSI-Tarifarchivs, der auch die Abbildung entnommen ist. Und da sind die Friseure noch nicht einmal enthalten.

Aber es geht nicht nur um die die Vergütung der Auszubildenden. Das gesamte System der dualen Berufsausbildung steht inmitten einer mehrfachen strukturellen Herausforderung – darauf wurde in diesem Blog in zahlreichen Beiträgen immer wieder hingewiesen. Zum einen sinkt die Zahl der an einer dualen Berufsausbildung interessierten jungen Menschen, nicht nur, aber eben auch aufgrund des Sogeffekts der hochschulischen Ausbildung, der einhergeht mit einer stetig steigenden Zahl an Schulabgängern, die irgendeine Form der Hochschulzugangsberechtigung erworben haben. Hinzu kommt, dass die Zahl der ausbildenden Betriebe rückläufig ist, teilweise auch bedingt durch Besetzungsprobleme der Betriebe, die irgendwann aufgeben. Und in anderen Branchen, in denen wir Beschäftigungswachstum verzeichnen, gibt es zwar mehr Unternehmen, von denen aber viele noch nie ausgebildet haben.

Da überrascht dann so eine Überschrift nicht wirklich: Arbeits- und Ausbildungsmarkt entwickeln sich auseinander. In dem Artikel wird über eine neue Studie des Soziologischen Forschungsinstituts Göttingen berichtet. Die Zahl der Beschäftigten ist zwischen 1999 und 2015 um 12,1 Prozent gestiegen – im gleichen Zeitraum ging die Zahl der Auszubildenden um 6,7 Prozent zurück. »Der Studie zufolge gibt es zudem deutliche regionale Unterschiede: Während die Ausbildungsquote im Westen etwa in Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen zwischen 1999 und 2015 fast konstant blieb, halbierte sie sich im selben Zeitraum in den ostdeutschen Bundesländern. Hinzu kommt: Der betriebliche Bedarf und die an einer Ausbildung interessierten Schulabsolventen passten immer weniger zusammen.  Der Entkoppelungseffekt zeigt sich über alle Betriebsgrößen und Branchen, jedoch unterschiedlich stark. Besonders deutlich ist der Rückgang der Ausbildungsquote bei den Kleinstbetrieben mit bis zu fünf Mitarbeitern. Lag die Ausbildungsquote hier 1999 bei 7,0 Prozent, waren es 2015 4,9 Prozent. „Für Kleinst- und Kleinbetriebe ist die Ausbildung am schwierigsten zu stemmen. Sie bilden überproportional Jugendliche mit schwächeren Schulabschlüssen aus, haben dafür aber am wenigsten Ressourcen“.« Mehr dazu in der von der Bertelsmann-Stiftung herausgegebenen Studie Entwicklung der Berufsausbildung in Klein- und Mittelbetrieben.

Aber zur dualen Berufsausbildung gehören nicht nur die Betriebe, sondern auch die Berufsschulen. Und auch dort werden wir konfrontiert mit den Auswirkungen struktureller Probleme. Schon seit langem wird im Kontext des um sich greifenden Lehrermangels auf die besonders schwierige Situation vieler Berufsschulen verwiesen. Auch der in jüngster Zeit wieder heftig beklagte Unterrichtsausfall an den Schulen insgesamt (vgl. dazu das Interview mit Heinz-Peter Meidinger, dem Präsidenten des Deutschen Lehrerverbandes: „Es fallen jede Woche rund eine Million Unterrichtsstunden aus“) schlägt in vielen Berufsschulen überdurchschnittlich stark zu Buche.
Als dualer Lernortpartner ist die Teilzeit-Berufsschule eine wichtige Säule im Kontext der Ausbildung im dualen System. Sie hat die Aufgabe, die im Rahmenlehrplan verankerten fachtheoretischen Ausbildungsinhalte zu vermitteln und die Allgemeinbildung der Schüler/-innen zu vertiefen. Eine Bestandsaufnahme wurde kürzlich vom Bundesinstitut für Berufsbildung veröffentlicht:

Monika Hackel, Christoph Junggeburth, Anita Milolaza, Magret Reymers und Maria Zöller (2017): Berufsschule im dualen System – Daten, Strukturen, Konzepte. Wissenschaftliche Diskussionspapiere Heft 185, Bonn: Bundesinstitut für Berufsbildung, 2017

In der abgewogenen Sprache der Wissenschaftler findet man dort die folgenden Hinweise:

»Im Fokus der vorliegenden Studie steht die demografische Entwicklung. Bis 2035 wird ein starker Rückgang der Schülerzahlen prognostiziert. Dieser Rückgang hat auch Auswirkungen auf die Beschulung dualer Berufsbilder. Im Rahmen der Ord­nungsverfahren wird seit einigen Jahren vermehrt geprüft, ob eine Zuordnung von Berufen zu Berufsgruppen möglich ist, um besonders in strukturschwachen Regionen eine gemeinsame Be­schulung unterschiedlicher Berufe durchzuführen.«
Das muss vor dem Hintergrund der folgenden Befunde gesehen werden (S. 7 f.):

  • Der Rückgang der Schülerzahlen an beruflichen Schulen hat bereits zu Schließungen von Klassen und Teilzeit-Berufsschulen geführt; mit der Konsequenz, dass je nach Ausbildungs­gang eine wohnortnahe Beschulung im berufsspezifischen Unterricht zunehmend schwieri­ger wird. Insbesondere Berufsschulstandorte in Ostdeutschland sind betroffen.
  • Im Umgang mit dieser Entwicklung sind sehr unterschiedliche Strategien zu beobachten. Diese reichen von der zentralen Beschulung an einem Berufsschulstandort mit der Möglich­keit differenzierter Klassen bis hin zu einer Favorisierung wohnortnahen Unterrichts mit ho­hem Stellenwert der Binnendifferenzierung bei berufs- oder fachrichtungsübergreifenden Klassen.
  • Die Gewinnung von Lehrkräften für den berufsspezifischen Unterricht ist besonders in ge­werblich-technischen Berufen ein Problem. Hier sind Maßnahmen zur Attraktivitätssteige­rung des Lehramts an Berufsschulen erforderlich.
  • Künftige Lösungsoptionen, über die aktuell aufgezeigten Fallstudien-Ergebnisse hinaus, könnten möglicherweise die Gestaltung standortübergreifender Schulentwicklungsplanung, die Schaffung von Informations- und Kommunikationsstrukturen, E-Learning-Angeboten, jahrgangsübergreifenden Fachklassen, die Bereitstellung berufsspezifischer Lehr-/Lernkonzepte für einen binnendifferenzierten Unterricht oder finanzielle Förderung darstellen. Die finanzielle Förderung könnte sowohl bei der Ausstattung von Schulen als auch bei der Lehreraus- und -weiterbildung ansetzen.

Allein diese (noch „liebevoll“ formulierten) Hinweise verdeutlichen, welche Planungs- und Investitionsbedarfe vorliegen, um einen mittelfristigen Zusammenbruch des Systems der dualen Berufsausbildung, das neben den Betrieben (und den Bewerbern) eben auch von den Berufsschulen abhängt, zu verhindern. Das zusätzlich zu den massiven Problemen, die wir im vorgelagerten allgemeinbindenden Schulsystem haben und diskutieren. Hinzu kommen die erheblichen Quantität- und Qualitätsprobleme der hochschulischen Ausbildung. Die „Bildungsrepublik“ Deutschland bröckelt und fault an vielen Fronten.

Auch und gerade vor diesem Hintergrund muss dann frustriert zur Kenntnis genommen werden, dass das Thema Bildung und Ausbildung im TV-Duell von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und dem Kanzlerkandidaten Martin Schulz (SPD) am Abend des 3. September 2017 vor einem Millionenpublikum exakt in 0 Minuten behandelt wurde. Also gar nicht. Was wirft ein schlechteres Licht auf die Angelegenheit, als dieser Befund. Das wird sich angesichts des Problemstaus in diesem für die Zukunftsfähigkeit des Landes so wichtigen Bereichs noch mal ganz bitter rächen. An Warnungen und dringenden Aufforderungen, endlich mal in die Pötte zu kommen, mangelt es nicht in der Mangelrepublik Deutschland.

Die Banken als Ruhrgebiet der vor uns liegenden Jahre? Ein Blick auf die Beschäftigungs- und Ausbildungsentwicklung

In Deutschland schließen immer mehr Bankfilialen. Allein im vergangenen Jahr waren es etwas mehr als 2.000 Zweigstellen, die ihre Pforten für immer geschlossen haben. In den Jahren seit 2008 sind mehr als 7.500 Filialen abgewickelt worden – das entspricht einem Abbau von gut 20 Prozent der Zweigstellen, die es 2008 noch gegeben hat.

Die Deutsche Bundesbank hat über diese Entwicklung wie in jedem Jahr berichtet: Bankstellenentwicklung im Jahr 2016. Anzahl der Kreditinstitute sinkt deutlich, so ist die entsprechende Mittelung überschrieben.

Die Süddeutsche Zeitung hat das wie andere Medien auch aufgegriffen: In Deutschland sterben die Bankfilialen, so die etwas zuspitzende Überschrift des Artikels hierzu. Darin wird nicht nur darauf hingewiesen, dass die Ausdünnung des Filialnetzes für die Kunden oft weitere Wege bedeutet. Die Gemeinden fürchten zugleich den Leerstand, viele Immobilien können kaum weitervermietet werden.
Und offensichtlich gewinnt das Filialsterben an Tempo: »Das seit Jahren anhaltende Sterben der Bankfilialen hat sich im vergangenen Jahr immens beschleunigt: Mehr als 2.000 Zweigstellen machten 2016 nach Daten der Bundesbank dicht. Knapp die Hälfte davon waren Sparkassen, deutschlandweit schlossen sie innerhalb von nur zwölf Monaten mehr als 900 Filialen – fast jeden zwölften Standort. Die Genossenschaftsbanken dünnten ihr Netz zugleich um 666 Filialen aus, die Privatbanken um mehr als 280. Sie hatten allerdings schon früher damit begonnen, im großen Stil Standorte zu schließen.«

Insgesamt hat sich die Zahl der Bankfilialen in Deutschland seit den Neunzigerjahren zwar halbiert, erst langsam, dann immer schneller. Trotzdem gilt Deutschland unter Beobachtern im Vergleich zu anderen Ländern noch immer als „überversorgt“ mit Banken und Filialen – was aus dem dreigliedrigen Bankensystem bei uns resultiert: Neben den Privatbanken sind es vor allem die untereinander in starker Konkurrenz stehenden Sparkassen und Volks- und Raiffeisenbanken, die gerade auf dem Land eine umfangreiche Filialstruktur aufgebaut haben, was in Zeiten hoher Zinsen auch kein Problem war hinsichtlich der damit verbundenen Kosten.

Aber die Zeiten haben sich geändert:

»Inzwischen aber treffen gleich zwei negative Trends die Finanzbranche mit voller Wucht: Einerseits machen die Institute in der anhaltenden Niedrigzins-Phase längst nicht mehr so viel Gewinn wie früher, zugleich erledigen viele Kunden ihre Bankgeschäfte inzwischen zunehmend digital. In der Filiale kommen sie dann oft nur noch zum Geldabheben vorbei – wenn überhaupt: Der Durchschnittskunde ist nur noch einmal im Jahr am Schalter, rechnen Bayerns Sparkassen vor. Aber er macht 108 Geschäfte online.«

Man muss kein Prophet sein, um zu erkennen, dass das Filialsterben weitergehen muss – verbunden mit einer Konzentration in den verbleibenden Niederlassungen, die dann die durchaus aufwändige Beratungsarbeit übernehmen müssen, für die die Kunden dann auch längere Wege in Kauf nehmen, wenn sie entsprechende Qualität bekommen, was wiederum aufgrund der damit verbundenen Anforderungen an die Berater für einen weiteren Zentralisierungsschub sorgen wird.

Passend dazu Studie: Bankfilialen steht Massensterben erst noch bevor, so ist eine Artikel überschrieben, in dem über eine Umfrage der Managementberatung Investors Marketing berichtet wird: »In den kommenden zehn Jahren werden deutsche Banken und Sparkassen noch mehr Filialen schließen – und zwar in höherem Tempo … Demnach dürfte es bis zum Jahr 2025 nur noch rund 20.000 Bankfilialen in Deutschland geben.« Angesichts von derzeit noch 32.000 Bankfilialen wäre das in wenigen Jahren ein gewaltiger weiterer Aderlass.

Auch die in der Umfrage unter Führungskräften der Banken ermittelten Ursachen sind nicht wirklich überraschen: Insbesondere Regionalbanken müssen massiv Kosten sparen, um die stark rückläufigen Zinsüberschüsse auszugleichen und simultan digitale Vertreibskanäle auszubauen.

Das trifft vor allem die Banken in der Fläche – und damit die vielen dort beschäftigten Mitarbeiter. Von überall kommen mit Blick auf die Beschäftigung in der Branche skeptische Stimmen. So berichtet der Artikel Warum die Sparkassen sparen sollen über eine neu Studie, die auch die Genossenschaftsbanken betrifft:

»Einer Studie zufolge müssen viele der knapp 400 Sparkassen und fast 1.000 Volks- und Raiffeisenbanken noch sehr viel mehr tun als bisher: und zwar sparen, sparen, sparen. Das zumindest meinen die Experten der Unternehmensberatung Confidum. Die niedrigen Zinsen treffen die bodenständigen Sparkassen und Genossenschaftsbanken besonders … Confidum kommt zu dem Ergebnis, dass zahlreiche Sparkassen sowie Volks- und Raiffeisenbanken ihre Kosten im Schnitt um 25 bis 30 Prozent senken müssten, um längere Zeit mit den niedrigen Zinsen zurechtzukommen. Da das allein über Sachkosten nicht ginge, „bedeutet dies einen massiven Eingriff in die Personalkosten der Bank“, sind die Studienautoren Christof Grabher und Hans-Joachim Schettler überzeugt.«

Wobei an dieser Stelle nicht aus den Augen verloren sollte, dass es wir angesprochen „die“ Banken nicht gibt. Das verdeutlicht auch ein Bericht über eine Studie der Unternehmensberatung Bain:
Die Eigenkapitalrendite deutscher Banken lag 2015 nur bei 2,3 Prozent im Durchschnitt und damit deutlich niedriger als in anderen Ländern. Dabei verdeckt der Durchschnittswert wie so oft eine erhebliche Streuung:

»Hierzulande klaffen Welten zwischen den verschiedenen Institutsgruppen. Insbesondere Spezialisten wie Automobil- und Direktbanken erwirtschaften mit mehr als 6 Prozent überdurchschnittliche Eigenkapitalrenditen. Die mehr als 1.000 Volks- und Raiffeisenbanken kommen im Schnitt auf 2,9 Prozent, die 415 Sparkassen auf lediglich 1,7 Prozent. Zusammen mit den vier deutschen Großbanken und den Bausparkassen bilden sie das Schlusslicht des Bain-Rendite-Rankings.«

Die zitierte Bain-Studie gibt es hier im Original:

Walter Sinn und Wilhelm Schmundt (2016): Deutschlands Banken 2016: Die Stunde der Entscheider, München 2016.

Sinn und Schmundt identifizieren vier Gründe für die Dauermisere der deutschen Banken:

»1. Abhängigkeit vom Zinsgeschäft. Der Anteil des Zinsüberschusses an den Einnahmen liegt in Deutschland mit 73 Prozent so hoch wie in keinem anderen Land. Damit leiden die hiesigen Banken besonders stark unter den Niedrigzinsen.


2. Nachhaltig hohe Kostenbasis. Trotz aller Sparanstrengungen beläuft sich die Cost-Income-Ratio im Durchschnitt von 2012-2015 immer noch auf 69 Prozent und übersteigt damit das Niveau in den USA beispielsweise um sieben Prozentpunkte.


3. Langsame Anpassungsgeschwindigkeit. Jahr für Jahr bauen die Banken zwar Mitarbeiter ab und schließen Filialen. Doch unverändert kommen hierzulande auf 100.000 Einwohner 36 Filialen, in Großbritannien sind es 14 und in den USA noch 27 – Tendenz rückläufig.


4. Fragmentierte Bankenlandschaft. In Deutschland gibt es mit rund 1.700 Instituten fast viermal so viel Institute wie in Frankreich und mehr als zehnmal so viel wie im bevölkerungsreicheren Japan. Die Zersplitterung verhindert Skalenvorteile.«

Als wenn das nicht schon genug Probleme sind, kommen neuartige Herausforderungen auf die etablierten Banken zu – was oftmals verkürzt mit dem Begriff „Fintechs“ etikettiert wird:

»Wie in jedem der zurückliegenden Jahre, so wird auch 2017 kaum eine Woche vergehen, in der nicht irgendwo auf der Welt von irgendeinem Finanzexperten ein alter Spruch von Microsoft-Gründer Bill Gates zum Besten gegeben wird: „Banking is necessary, banks are not.“ Dass es keine Banken braucht, um Bankgeschäfte zu erledigen, war anno 1994 eine ebenso kühne wie provokative Aussage. Im Laufe der Jahre hat sich Gates’ Behauptung aber immer mehr zu einem realistisch erscheinenden Szenario entwickelt. Fast alles, was Banken leisten, macht heutzutage auch eine Vielzahl anderer Anbieter möglich.«

Der Druck auf die Banken und ihre traditionellen Geschäftsmodelle wird weiter steigen. Was bedeutet das nun für diejenigen, die in den Banken arbeiten oder eine Ausbildung in diesem Bereich erwägen?

Da wäre beispielsweise die Ausbildung zum Bankkaufmann bzw. Bankkauffrau. Anne Kunz hat ihren Artikel dazu so überschrieben: Von der Traum-Ausbildung zum Auslaufmodell. Am Anfang ihres Beitrags wirft sie einen Blick zurück auf Karrieren, die früher mit diesem Ausbildungsberuf möglich waren: Beispielsweise Klaus-Peter Müller, der mit 62 Jahren zum Honorarprofessor an der Frankfurt School of Finance & Management berufen wurde. »Als damaliger Chef der Commerzbank hatte er das Format dafür und in seinem Alter sind solche Titel ein gern gesehener Schmuck. Das Pikante daran: Müller selbst hat nie eine Universität oder Hochschule besucht.

Genauso wie der ehemalige Deutsche-Bank-Chef Hilmar Kopper schaffte er es allein mit einem Ausbildungszeugnis bis an die Spitze eines großen Finanzhauses – was früher nicht ungewöhnlich war.« Die Banklehre galt als Königin der Ausbildungsberufe. Wer ein Einser-Abitur hatte, begann nicht zwangsläufig ein Studium. Er konnte stattdessen auch eine Ausbildung hinter dem Bankschalter absolvieren, so Anne Kunz.

Und heute? Nur Postbank-Chef Frank Strauß hat kein Studium vorzuweisen, »fast alle anderen Bank-Vorstände haben internationale Elite-Unis absolviert und nicht wenige machten ihre ersten Berufsschritte beim Beratungsunternehmen McKinsey.«

Im Vergleich zu 1997 ist die Zahl der neuen Ausbildungsverträge zum Bankkaufmann/-kauffrau um 40 Prozent zurückgegangen. Früher galt: »Mit einer Banklehre könne man nichts falsch machen, hieß es jahrzehntelang. Weil es entsprechend viele Bewerber gab, konnten sich die Institute die besten aussuchen.« Das hat sich geändert.

Die Digitalisierung macht die Arbeit (und die Arbeitsplätze) in den Bankfilialen zunehmend überflüssig. »Die meisten Menschen erledigen ihre Bankgeschäfte inzwischen vom PC oder Smartphone aus. Drei Viertel der Kunden nutzen Online-Banking, etwa ein Drittel erledigen ihre Bankgeschäfte via App.«

Auch die Zahl der Beschäftigten im deutschen Kreditwesen ist seit 2000 um knapp 16 Prozent gesunken, das sind fast 126.000 Vollzeitstellen weniger. »Institute wie die Münchner HypoVereinsbank (HVB) haben ihr Filialnetz beinahe halbiert. Die Deutsche Bank schließt jede vierte Filiale und will genauso wie die Commerzbank Tausende Stellen streichen. Auch die Sparkassen und Genossenschaften müssen sparen.«

Teilweise sinken die Bewerberzahlen stärker als die Zahl der Ausbildungsstellen: »Bei den Sparkassen ist die Not so groß, dass sie nicht für alle Ausbildungsplätze geeignete Kandidaten finden. Für das vergangene Jahr wurden bei der öffentlich-rechtlichen Gruppe von 5.500 geplanten Stellen nur 5.030 besetzt.«

Es ist mehr als offensichtlich, dass das Berufsbild des Bankkaufmanns dringend renoviert werden müsste. Aber: »Die Institute können sich nicht einigen, ob man die Ausbildung künftig stärker auf den Vertrieb ausrichten sollte, da alle übrigen Aufgaben zunehmend von Computern erledigt werden, oder ob die Azubis auch künftig alle Arbeitsschritte in einer Bank kennen lernen sollten.«

Mittlerweile verdichten sich die Befürchtungen, dass das Berufsbild des Bankkaufmanns/der Bankkaufrau – über eine betriebliche Ausbildung – ein Auslaufmodell darstellt. Dass die immer weniger bis gar nicht mehr gebraucht werden in Zukunft. Auch in Österreich gibt es diese Debatte. Der dortige Arbeitsmarktservice (AMS), also die Bundesagentur für Arbeit der Österreicher, hat sich vor kurzem mit einer Analyse der Beschäftigungsentwicklung im (österreichischen) Bankensektor zu Wort gemeldet:

Arbeitsmarktservice Österreich: Banken – ein interessanter Arbeitsmarkt in einem herausfordernden Umfeld, Oktober 2016

»Anfang der 2000er-Jahre hat der Strukturwandel der österreichischen Banken begonnen. Bereits in den Jahren vor der Krise (2008) kam es in Österreich zu Filialschließungen, die Beschäftigung blieb aber relativ konstant bzw. zeigte zwischen 2004 und 2008 deutliche Zuwächse. Seit der Finanzmarktkrise 2008/2009 hat sich der Personalstand im Bereich der Finanzdienstleistungen entgegen der allgemeinen Beschäftigungsentwicklung spürbar verringert. Im Bankensektor sind weitere Umstrukturierungen, Sparmaßnahmen und Personalabbau zu erwarten. Die fortschreitende Digitalisierung stellt das Bank-, Finanz- und Versicherungswesen vor Herausforderungen, bietet aber auch neue Chancen.« So heißt es in der Beschreibung des Textes.

Für Deutschland liegt beispielsweise diese Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) aus dem Jahr 2014 vor: Entwicklungen und Perspektiven von Qualifikation und Beschäftigung im Bankensektor. Darin heißt es:

»Rund 780.000 Erwerbstätige arbeiten in der Bankenbranche. Sie verfügen überwiegend über eine abgeschlossene Berufsausbildung als Bankkaufmann/-kauffrau und arbeiten überproportional häufig in Vollzeit … Die Einkommen liegen absolut und in den Veränderungsraten über dem Durchschnitt aller Berufe und die Arbeitslosigkeit ist gering … Jährlich beginnen über 13.000 junge Männer und Frauen eine Ausbildung zum/zur Bank­kaufmann/-kauffrau … der Anteil der Studienberechtigten im Beruf Bankkaufmann/-kauffrau liegt mit 72 % weit über dem Durchschnitt … die Zahl der Neuabschlüsse (hat sich) – aufgrund massiver Umstrukturierungsprozesse zu Beginn der 1990er-Jahre – im Vergleich zu 1992 fast halbiert … Bankkaufleute (weisen) hohe Abwande­rungstendenzen in andere berufliche Tätigkeiten außerhalb des Bankensektors auf … Da der zukünftige Bedarf an Erwerbstätigen im Bankensektor schneller sinkt als das Angebot, könnte die Arbeitslosigkeit bzw. Abwanderung in andere berufliche Tätigkeiten unter Bankkaufleuten zunehmen. Auch die Attraktivität des dualen Ausbildungsberufes könnte massiv darunter leiden.«

Die Beschäftigung von Bankkaufleuten ist auf dem Sinkflug und auch die Ausbildungszahlen gehen runter – wobei man sicher sagen kann, dass der Rückgang im Kontext dessen, was hier beschrieben wurde, erst in der Anfangsphase ist. Das wird in den vor uns liegenden Jahren noch erheblich an Dynamik gewinnen.

Zugleich kann man an diesem Beispiel ein grundlegendes Problem der Vorhersagen über die Arbeitsmarktentwicklung aufzeigen: Nur die Beschäftigungsentwicklung innerhalb einer etablierten Branche und mit Blick auf dort gewachsene Berufsbilder zu skizzieren, verwechselt Brutto- mit Nettoentwicklungen. Dann kommt es zu den plakativen Aussagen, „die“ Digitalisierung würde zahlreiche Jobs vernichten. Korrekt wäre natürlich eine methodisch sehr schwierige Gegenrechnung, welche und wie viele Jobs in anderen Bereichen anstelle der wegfallenden Arbeitsplätze bei den Banken entstehen. Ansonsten läuft man möglicherweise in die gleiche Problematik, die man auch hat, wenn man die Beschäftigung in der Industrie bilanziert und dort erhebliche Rückgänge konstatieren muss, die es gegeben hat, aber ein Teil davon ist nicht verschwunden, sondern schlichtweg umgelabelt worden in den Bereich der Dienstleistungen, beispielsweise durch Outsourcing der Beschäftigten in Dienstleistungsunternehmen. Es hat sich schlichtweg die Grundgesamtheit geändert – und für viele Beschäftigte auch die Arbeitsbedingungen, vor allem hinsichtlich einer geringeren Vergütung als in der alten Welt. 

Ausbildung: Viele studieren, die duale Berufsausbildung kämpft gegen den Sinkflug und das „Übergangssystem“ wächst wieder

„Akademisierungswahn“, so lautet eines der Schlagworte der bildungspolitischen Diskussion. „Azubi-Mangel“ ein anderes, das man sich noch vor einigen Jahren nicht hat vorstellen können, als viele junge Menschen beim anstehenden Übergang von der Schule in den Beruf keinen Fuß in die Tür bekommen haben – und durchaus folgerichtig aufgefangen bzw. geparkt wurden im vielgestaltigen „Übergangssystem“. Aber die vergangenen Jahre waren geprägt durch eine sowohl demografisch bedingte Verschiebung der Angebots-Nachfrage-Relationen im Sinne einer Abnahme der Zahl der jungen Menschen wie auch eine durch gesellschaftlichen Wertewandel verursachte Verschiebung zwischen den Ausbildungssektoren. Das Jahr 2013 kann und muss man sich als ein historisches Datum merken, denn in diesem Jahr gab es erstmals mehr Studienanfänger als neue Auszubildende im dualen Berufsausbildungssystem. Während sich die Zahl der Studienanfänger auf hohem Niveau stabilisiert, kämpft die duale Berufsausbildung weiter gegen den erkennbaren Sinkflug, wenn man denn diesen an der Zahl der Neuzugänge misst.

Aber die Abbildung verdeutlicht noch zwei andere Auffälligkeiten. Eine davon wird oftmals übersehen. Die Zugangszahlen in das Schulberufssystem erscheinen seit vielen Jahren wie festgenagelt knapp oberhalb der 200.000 Neuzugänge pro Jahr. Dabei handelt es sich hier neben dem dualen Berufsausbildungssystem um einen ganz wichtigen Teilbereich der beruflichen Qualifizierung, denn hier sind beispielsweise zahlreiche Berufe des Gesundheitswesens- und Sozialwesens angesiedelt, nicht nur die Pflegeberufe, sondern beispielsweise auch die Erzieher/innen. Und man muss nur etwas mitbekommen haben von der höchst umstrittenen Fachkräftemangel-Debatte in Verbindung mit den gesellschaftlichen Veränderungen wie mehr alte Menschen und Ausbau der Kindertagesbetreuung, um die einfache Frage zu stellen, warum die Zugangszahlen angesichts des offensichtlichen Bedarfs hier nicht viel stärker angestiegen sind.

Die Abbildung mit der Entwicklung in den Jahren von 2005 bis 2016 verdeutlicht aber noch eine andere Auffälligkeit. Man erkennt den deutlichen Rückgang der Neuzugänge in das überaus heterogene Übergangssystem zwischen Schule und Beruf, das nicht nur, aber auch viele junge Menschen aufnehmen musste, als es „zu viele“ Bewerber für einen Ausbildungsplatz gegeben hat, die dann nicht zum Zuge gekommen und „unversorgt“ geblieben sind. Daneben gehören zum Übergangssystem auch diejenigen, die einen oder einen höheren Schulabschluss zu erwerben versuchen. Hinzu kommen zahlreiche junge Menschen, die tatsächlich oder einfach aufgrund der Marktbedingungen als noch nicht „ausbildungsreif“ (ein übrigens höchst umstrittener Begriff) etikettiert wurden und werden und es durchaus nicht selten auch aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht sind, jedenfalls nicht im bestehenden System.

Aufgrund der vor allem demografisch bedingten Entspannung, aber auch eines zunehmenden Anteils an jungen Menschen, die ein Studium aufnehmen und damit nicht mehr dem dualen Berufsausbildungssystem zur Verfügung stehen, hat sich für einen Teil der der jungen Menschen, die unter den für sie schlechteren Marktbedingungen in das Übergangssystem abgedrängt worden sind, die Chance auf den direkten Einstieg in eine Berufsausbildung erhöht. Das hat sich in den zurückliegenden Jahren deutlich niedergeschlagen in einem massiven Rückgang der Neuzugänge in das Übergangssystem von weit über 400.000 auf knapp 253.000 im Jahr 2014, als der bisherige Tiefstand erreicht wurde. Aber seit 2015 steigt die Zahl der Zugänge wieder an, im vergangenen Jahr waren es ausweislich der Schnellmeldung Integrierte Ausbildungsberichterstattung des Statistischen Bundesamtes fast 300.000.

Schaut man genauer in die Statistik des Übergangssystems, dann erkennt man im Vergleich der beiden Jahre 2015 und 2016, dass der Anstieg ausschließlich auf die berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen zurückgeht, also vor allem beim Berufsvorbereitungsjahr und den einjährigen Berufseinstiegsklassen.

An dieser Stelle wird dann auch plausibel erwartbar, dass das Übergangssystem eben nicht einer „biologischen“ Lösung, also einem generell mangelbedingten Aussterben, zugeführt wird, sondern dass wir durchaus realistisch einen weiteren Anstieg der Neuzugänge erwarten müssen. Denn zum einen ist die aufgrund der gestiegenen Studierneigung  dem dualen Berufsausbildungssystem immer wieder empfohlene „Öffnung nach unten“, also hin zu den „leistungsschwächeren“ Jugendlichen, angesichts der realen Marktverhältnisse von vielen Betrieben durchaus umgesetzt worden, aber es gibt systemstrukturelle Grenzen für diesen Prozess, die zum einen mit der nicht weg zu diskutierenden Verhaltensseite bei einigen jungen Menschen zu tun haben, zum anderen aber – und weitaus gewichtiger – mit der Tatsache, dass eben auch die duale Berufsausbildung einem erheblichen kognitiven Upgrading unterworfen wurde, was auch angesichts der Berücksichtigung der technologischen Entwicklung in vielen Handwerken auch nicht vermeidbar ist. Daran aber scheitern nicht wenige praktisch begabte junge Menschen. Hinzu kommt: Viele der jüngeren Flüchtlinge, die potenziell für eine Berufsausbildung in Frage kommen könnten, werden erst einmal im Übergangssystem landen.

Erneut starker Anstieg der Anfänger bei Bildungs­programmen im Übergangs­bereich im Jahr 2016, so ist die Mitteilung vom 10.03.2017 überschrieben: Für 2016 weist die vorläufige Berichterstattung einen Anstieg der Eintritte in das Übergangssystem in Höhe von +12,2 Prozent aus. Dabei wird von den Bundesstatistikern darauf hingewiesen, dass der Anstieg eher unterzeichnet ist, da aus Bremen, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und dem Saarland zum Übergangsbereich im Wesentlichen nur Vorjahresdaten vorliegen. Und was wird als Erklärung für den Anstieg angeboten?

»Seit dem Jahr 2015 steigt die Zahl der Anfängerinnen und Anfänger im Übergangsbereich wieder an. Diese Entwicklung ist im Wesentlichen auf Programme zum Erlernen der deutschen Sprache für jugendliche Flüchtlinge und Zugewanderte zurückzuführen.«

Abschließend ein Blick auf eine der Großbaustellen der bildungspolitischen Debatte der vergangenen Jahre- zugespitzt formuliert: Immer mehr wollen studieren, immer weniger eine klassische Berufsausbildung (ob dual oder fachschulisch) absolvieren. Zu diesem hoch kontroversen Themenfeld hat sich nun das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) zu Wort gemeldet mit einer neuen Studie:

Regina Dionisius und Amelie Illiger (2017): Trends ins Studium und in die duale Berufsausbildung unter Berücksichtigung ausgewählter Einflussfaktoren. Wissenschaftliche Diskussionspapiere Heft 182, Bonn: Bundesinstitut für Berufsbildung, 2017

Und das, was darin vorgetragen wird, ist für den einen oder anderen sicher überraschend: Während immer mehr junge Menschen ein Studium beginnen, sinken die Anfängerzahlen in der dualen Berufsausbildung. Die Zahlen allein lassen jedoch nicht auf einen veränderten Studier- oder Ausbildungstrend der Jugendlichen in Deutschland schließen. Die BIBB-Studie beleuchtet die Faktoren, welche die Anfängerzahlen in den unterschiedlichen Bildungsbereichen beeinflussen. Die Analyse basiert auf Daten der amtlichen Statistik für den Zeitraum 2005-2014 und berücksichtigt neben den Effekten der Einführung des achtjährigen Gymnasiums, der steigenden Zahl von Bildungsausländern/-ausländerinnen, der demografischen Entwicklung sowie der Situation am Ausbildungsmarkt auch länderspezifische Einflüsse. Panel Regressionen mit fixen Effekten weisen einen leichten Trend zu mehr Studierenden nach. Eine Abwendung von der dualen Berufsausbildung wird jedoch nicht festgestellt. »Eine Abwendung von der dualen Berufsausbildung kann für den gewählten Betrachtungszeit­ raum nicht festgestellt werden. Die Neigung zur Aufnahme einer dualen Berufsausbildung hängt im Wesentlichen vom Ausbildungsplatzangebot ab«, so Dionisius/Illiger (2017: 22).

Offensichtlich plädieren die beiden Autoren der Studie für eine Abkehr von der bisherigen getrennten Sicht auf die einzelnen Ausbildungssektoren:

»Es stellt sich die Frage, ob bzw. inwiefern die Bildungssäulen „duale Berufsausbildung“ und „Studium“ wei­terhin als Alternativmodelle nebeneinanderstehen. Rauner … beschreibt unter dem Titel „Akademisierung beruflicher und Verberuflichung akademischer Bildung“ einen Prozess, den Esser als „Entsäulung“ … bezeichnet. Dies bezieht sich insbesondere auf die Entwick­lung sogenannter „hybrider Ausbildungsformate“ … Hierunter fallen vor allem die dualen Studiengänge sowie die doppelqualifizierenden Bildungsgänge, in denen gleichzeitig Berufsabschluss und Hochschulzugangsberechtigung erworben werden kön­nen. Quantitativ erfährt insbesondere das duale Studium einen starken Zulauf. So hat sich das Angebot an dualen Studiengängen zwischen 2005 und 2014 mehr als vervierfacht … und die Zahl der Anfänger/-innen im dualen Studium an Hochschulen mehr als verzehnfacht.«

Handwerk auf brüchigem goldenen Boden?

Wenn vom Handwerk die Rede ist, dann geht es um ein Schwergewicht der deutschen Volkswirtschaft, von der wirtschaftlichen Bedeutung und den großen Zahlen her auf alle Fälle: Rund eine Million Handwerksbetriebe gab es laut Statistik des Zentralverbands des Deutschen Handwerks 2015, etwa 5,36 Millionen Menschen arbeiten deutschlandweit im Handwerk. Insgesamt machten die Betriebe rund 544 Milliarden Euro Umsatz. Insgesamt zählen mehr als 130 Berufe zum Handwerk. Und die Geschäfte laufen offensichtlich für die meisten der eher kleinen Handwerksbetriebe gut bis sehr gut, die Aussichten sind hervorragend, kann man den aktuellen Berichten über die Lage des Handwerks entnehmen. Alles gut? Mitnichten, immer öfter wird man mit solchen Meldungen konfrontiert: Hilfe, in Berlin werden die Handwerker knapp: »Randvolle Auftragsbücher – aber zu wenig Fachkräfte und Azubis. In Berlin kommen die Betriebe nicht mehr hinterher, Kunden müssen warten«, berichtet Christoph Stollowsky aus der Hauptstadt. „Der Arbeitsmarkt ist wie leergefegt, auch Auszubildende sind schwer zu finden“, so wird der Sprecher der Berliner Handwerkskammer zitiert.

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