„Smörrebröd und Peitsche“. Vom Umgang mit Flüchtlingen in Dänemark. Der Blick über den nationalen Tellerrand

Es wird nicht nur meteorologisch kälter. Das kurze Sommermärchen einer überschwänglichen Willkommenskultur für Flüchtlinge in Deutschland weicht einer gefährlichen Polarisierung in die, denen die Hilfe und die Aufnahme der Menschen auf der Flucht weiter wichtig ist und denen, die sich radikalisieren in ihrer Ablehnung und von denen immer häufiger auch Gewalt gegen die Zuwanderer ausgeht. Der Eindruck verfestigt sich zunehmend, dass Deutschland aus dem Notfall- und auch Überforderungsmodus nicht herauskommt. Dann wird man mit solchen Meldungen konfrontiert: Bayerische Polizei zur Flüchtlingskrise: „Wir saufen heute ab“: »Die große Zahl von Flüchtlingen an der Grenze von Österreich zu Bayern bereitet der Bundespolizei im Freistaat zunehmend Probleme. „Wir saufen heute ab“, sagte Behördensprecher Frank Koller am Sonntagabend. Das Nachbarland schicke deutlich mehr Menschen als vereinbart nach Deutschland.« Das verunsichert auch viele ganz „normale“ Menschen in unserem Land, geht es doch schon seit Wochen so. Und das ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die jede rote Linie längst überschritten haben und nicht nur – was schon schlimm genug ist – Unterkünfte in Brand setzen, sondern offensichtlich auch bereit sind, Gewalt gegen Menschen anzuwenden. Das fördert dann solche Meldungen zu Tage: 200 Polizisten müssen Flüchtlinge vor 400 Demonstranten schützen: »Rechte Demonstranten haben im sächsischen Freiberg gegen die Ankunft von Flüchtlingen demonstriert und Busse attackiert. In Hessen setzten Unbekannte eine Flüchtlingsunterkunft in Brand.«

Gleichzeitig läuft seit längerem eine ebenfalls oftmals sehr holzschnittartige Debatte über die (Nicht-)Möglichkeiten einer gelingenden Arbeitsmarkt-Integration der Flüchtlinge, die hier bleiben werden, weil ihnen das Asylrecht Schutz gewährt. Angesichts der erfahrbaren Dauer und der vielen Schwierigkeiten, die hier in den kommenden Monaten und Jahren auf die deutsche Gesellschaft zukommen werden, lohnt ein Blick auf andere Länder, die ebenfalls mit vielen Flüchtlingen konfrontiert waren und sind. Wie gehen die damit um? Schauen wir also nach Skandinavien, denn die Länder dort, vor allem Schweden, sind immer noch mindestens genau so attraktiv für Flüchtlinge wie Deutschland, wenn nicht noch mehr.

Nun gibt es Skandinavien nicht als einen homogenen Block, sondern dazu gehören Länder wie Schweden, Finnland, Norwegen – und eben auch Dänemark. Werfen wir einen Blick nach Dänemark, denn an diesem Beispiel kann man sehr gut die Ambivalenz von Flüchtlingspolitik studieren, die beides vereint, also Hilfe und Härte bzw. eben „Smörrebrod und Peitsche“.

Karl Gaulhofer hat das beschrieben in seinem Artikel Heute noch Flüchtling, morgen Däne. »Mehr als jedes andere Land strengt sich Dänemark an, seine Flüchtlinge so rasch wie möglich zum Arbeiten zu bringen – mit großzügiger Hilfe und finanziellen Sanktionen«, so versucht er den zentralen Kern des (bisherigen) dänischen Weges zusammenzufassen.
Auch hier geht es natürlich um ein Nadelöhr, durch das so gut wie jede gelingende Integration von Zuwanderern muss – die Sprache. Und Dänisch ist keine einfache Sprache, was man sich an diesem Wort verdeutlichen kann: „Udlændingestyrelsen“, ein echter Zungenbrecher. So heißt die dänische Einwanderungsbehörde.

Der bisherige dänische Weg lässt sich über mehrere Kernbestandteile charakterisieren: »Dazu gehört eine Verteilung über das ganze Land, Sprachkurs, Praktika, großzügige Hilfen zum Start. Aber auch knallharte Kürzungen für jene, die Prüfungen nicht bestehen oder Jobs verweigern. Also eine Mischung aus Anreizen und Sanktionen.«
Warum hier immer von „bislang“ geschrieben wird? Weil der allgemeine Rechtsruck in Europa auch vor diesem Land nicht halt gemacht hat – seit Juni dieses Jahres ist eine konservative Regierung an der Macht, die mit der Ablehnung von Zuwanderung und der Vorstellung von mehr Druck die Wahlen gewonnen hat. Und das macht sich schon handfest bemerkbar:

»Bis September bekamen Asylwerber noch gleich viel Geld wie ein einheimischer Langzeitarbeitsloser, jetzt nur noch die Hälfte.«

Dennoch wird Dänemark auch in diesem Jahr zu den wenigen europäischen Ländern gehören, die in Relation zur Bevölkerung am meisten Flüchtlinge aufnehmen.
Aber unabhängig vom tages- und regierungspolitischen Hin und Her zwischen Rechts und Links hat sich über viele Jahre eine eigene dänische Integrationspolitik herausgebildet, die einer ganz bestimmten Philosophie folgt: »… viel fördern und viel fordern – und das im Eilzugstempo.« Impulsgeber für die Entwicklung hin zu diesem Ansatz war ein ernüchternder Befund der OECD in den 1990er Jahren: In kaum einem anderen Industrieland gab es so große Unterschiede in der Beschäftigung zwischen Einheimischen und Migranten. Dabei gab es auch damals schon eine ambitionierte Integrationspolitik, nur eben mit diesem schlechten Ergebnis.

Ein Grund dafür war etwas, was heute gerade mit Blick auf die Flüchtlinge, die zu uns kommen, von besonderer Bedeutung ist: »Ein großer Teil der Zuwanderer nach Dänemark waren schon damals Menschen aus Afrika, dem Nahen und dem Mittleren Osten, die vor Krieg und Verfolgung flohen.« Auch das erklärt, warum es helfen kann, sich mal genauer anzuschauen, wie die Dänen damit umgegangen sind.

Auch die Integrationspolitik mit Blick auf den Arbeitsmarkt folgt einer spezifischen Philosophie, die allen, die sich mit internationalen Aspekten der Sozialpolitik beschäftigt haben, nicht fremd oder neu ist und die bis in die Vorschläge der „Hartz-Kommission“ in Deutschland im Jahr 2002 eingedrungen ist (zumindest partiell): das „Flexicurity“-Modell.

»Die Unternehmen bekamen einen stark gelockerten Kündigungsschutz, die Gewerkschaften mehr Unterstützung für Arbeitslose – durch Geld, Training und Hilfe bei der Jobsuche. Aber nur für kurze Zeit und für jene, die guten Willens sind«, so die zusammenfassende Bilanzierung bei Gaulhofer.
Aus der Vielzahl der Literatur zu diesem gerade in der europäischen Sozialstaatsdebatte so wichtigen Konzept vgl. beispielsweise die 2008 publizierte Ausarbeitung Flexicurity: Ein europäisches Konzept und seine nationale Umsetzung von Berndt Keller und Hartmut Seifert.

Aber das alles hört sich noch sehr abstrakt an – Gaulhofer beschreibt, was das zumindestens in Dänemark ganz praktisch bedeutet bei der Umsetzung des Versuchs, Flüchtlinge so schnell wie möglich in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Und die Beschreibung verdeutlicht jedem, der die Situation in Deutschland kennt, wie groß auch die Differenzen sind zwischen hier und dort:

»Es dauert nur rund drei Monate, bis ein Asylverfahren abgeschlossen ist. Der erfolgreiche Asylwerber sichert in einem Kontrakt zu, dass er ein guter Däne werden will. Er bekommt ein Bankkonto und eine Gesundheitskarte. Ein Sozialarbeiter steht ihm zur Seite und hilft ihm bei den ersten Schritten, v. a. der Wohnungssuche. Wo er sich ansiedelt, darf er sich aber nicht aussuchen – er wird einem Ort zugewiesen. Damit verhindern die Dänen eine stärkere Ghettobildung an sozialen Brennpunkten am Rand von Kopenhagen. Freilich lässt sich die Bewegungsfreiheit nicht einschränken. Sehr wohl aber kann man Hilfen davon abhängig machen, ob der Neudäne an den zugewiesenen Ort zieht. Dort muss er während der dreijährigen Integrationsphase wohnen, es sei denn, er hat woanders ein besseres Jobangebot. Die Heimatgemeinde zahlt einen Mietzuschuss und richtet die Wohnung mit Ikea-Möbeln ein. Dann beginnt das Intensivprogramm. Die Sprachkurse vermitteln auch dänische Kultur, bis zum Singen von Volksliedern. Durch Praktika in Unternehmen stellt man fest, welche Qualifikationen der Zuwanderer hat. Mindestens 37 Stunden pro Woche wird er so auf Trab gehalten. Wer nach einem halben Jahr die Sprachprüfung besteht, bekommt mehr Geld. Wer durchfällt, weniger. Der Familiennachzug ist an ein Guthaben von 7000 Euro auf dem Konto gebunden – und damit ebenfalls an einen Job.«

Und jeder Praktiker aus den Tiefen und Untiefen politischer Steuerung weiß: Man steuert immer auch mit Geld. Da haben die Dänen im Umgang zwischen dem Zentralstaat und den Kommunen ein wirkkräftiges System ausbaldowert: »Der Zentralstaat kontrolliert nicht nur, wie gut eine Kommune Migranten integriert. Sie schießt auch, je nach Joberfolg, mehr oder weniger zu.«

Hört sich alles sehr interessant und irgendwie plausibel an – und die Ergebnisse der Integrationspolitik haben sich in Dänemark auch im Vergleich zum starting point in den 1990er Jahren verbessert. Aber – und auch das gehört zur Wahrheit – berauschend sind sie immer noch nicht, die Lücke zwischen den Zugewanderten und den Einheimischen bleibt erkennbar groß.
Und das liegt eben nach Erkenntnissen der OECD auch daran, dass wir es hier nicht mit Wirtschaftsflüchtlingen zu tun haben, die gezielt wegen der Arbeitsaufnahme kommen (wollen), sondern es handelt sich um Flüchtlinge aus Krisen- und Kriegsgebieten.

Wenn man an dieser Stelle einen ganz zynischen Kommentar setzen will, der gerade auch für Deutschland relevant ist: Die „Wirtschaftsflüchtlinge“ wären aus Sicht einer effektiven und effizienten Arbeitsmarkt-Integration eigentlich diejenigen, die man bräuchte, sind aber zugleich auch diejenigen, die man ausweisen und abschieben muss. Die Flüchtlinge hingegen tun sich oftmals erheblich schwerer mit der Arbeitsmarkt-Integration, auch weil sie aus anderen Kulturkreisen und mit anderen religiösen Hintergründen kommen, die eine Integration erschweren.

Wenn man das, was auch andere Länder schon erfahren und ausprobiert haben, in Rechnung stellt, dann sollte man den Menschen der aufnehmenden Länder keinesfalls zu viel versprechen, was die Möglichkeiten und vor allem den Zeitbedarf für eine Arbeitsmarkt-Integration angeht. Das würde sonst bitter enttäuscht werden. Und selbst die mühsamen Erfolge sind hart erkauft und setzen eine konzeptionell fundierte Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Ebenen des Staates und der anderen Akteure voraus. Jeder kann diese Voraussetzungen selbst spiegeln an den real existierenden Verhältnissen im großen Deutschland.

Unterwegs verloren gegangen – die „Rechtsvereinfachungen“ im SGB II. Die Grünen fordern weiter eine „Entbürokratisierungs-Offensive“. Und hinter den Kulissen wird geschachert

»Ursprünglich war einmal geplant, dass sich 80 Prozent der Beschäftigten in den mehr als 400 Jobcentern darum kümmern sollten, Arbeitslose zu fördern und zu vermitteln. Derzeit gilt dies aber nur für knapp die Hälfte der Mitarbeiter. Die anderen sind mit der Berechnung von Leistungen beschäftigt«, so Thomas Öchsner in seinem Artikel Grüne pochen auf weniger Regeln für Hartz IV. Man muss an dieser Stelle an den – eigentlich – fundamentalen Paradigmenwechsel erinnern, der im Gefolge der Hartz-Gesetze mit der Einführung der Grundsicherung (SGB II) im Jahr 2005 vollzogen werden sollte: Die beiden – unterschiedlichen Logiken folgenden – bedürftigkeitsabhängigen Leistungssysteme Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe wurden zusammengelegt mit dem Versprechen, dass mit der Einführung eines pauschalierten Regelsatzes, derzeit 399 Euro pro Monat für eine alleinstehende Person, eine enorme Verwaltungsvereinfachung einhergehen werde, da man nunmehr auf komplizierte einzelfallbezogene Berechnungen der Leistungen verzichten könne und auch ein Großteil der bis dahin in der Sozialhilfe auf Antrag gewährten einmaligen Leistungen für bestimmte Lebenstatbestände wurde gestrichen und mit dem neuen Regelsatz verrechnet. Aber wie so oft im Leben – was sich auf dem Papier so plausibel darstellen lässt, stößt in der wirklichen Wirklichkeit auf zahlreiche unterschiedliche Fallkonstellationen, deren zumindestens teilweise Berücksichtigung einen Teil der Verwaltungsvereinfachung sofort wieder außer Kraft setzt. Viele Details mussten geregelt werden, die nicht im pauschalierten Regelsatz enthalten waren bzw. sind.

Auch die Rechtsprechung hat im Laufe der Jahre dazu beigetragen, dass das grundsätzliche und nicht auflösbare Spannungsverhältnis zwischen Einzelfallgerechtigkeit auf der einen und den Effizienzvorteilen eines pauschalierende Leistungssystems auf der anderen Seite  immer wieder zu Gunsten der Berücksichtigung des Einzelfalls im Ergebnis das System verkompliziert hat. Wenn man ehrlich is, muss man zu dem ernüchternden Ergebnis kommen, dass wir mittlerweile in einer Harz IV-Welt angekommen sind, in der letztendlich alle Beteiligten massiv unzufrieden sind. Viele Betroffene deshalb, weil eben nur ein wenig Einzelfallgerechtigkeit berücksichtigt wird, ansonsten ein Verweis auf die Regelsatzleistung erfolgt. Und die andere Seite ist gezwungen, beispielsweise durch Anrechnungsregelungen immer umfassendere Nachweise von den Leistungsempfängern einzufordern und dann zu prüfen, was davon für die Grundsicherungsleistung relevant ist oder nicht. Hinzu kommt, dass sich natürlich viele Anrechnungstatbestände permanent verändern.

Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass die durchschnittliche Akte eines der 3,4 Millionen Hartz-IV-Haushalte einen Umfang von etwa 650 Seiten hat. Öchsner nennt scheinbar skurrile Fragen, die geregelt werden müssen und natürlich zu entsprechendem Aufwand bei Klärung und Bescheidung führen: »Dabei kann es um Extras wie orthopädische Schuhe, das Warmwasser aus einem Boiler oder gar um die Frage gehen, wie viel Kleister einem Hartz-IV-Empfänger fürs Tapezieren der Wände zusteht.«

Nun muss man sich darüber im klaren sein, dass das hier angesprochene Problem grundsätzlich nur dann gelöst werden könnte, wenn man eine radikale Variante der Pauschalierung durchsetzt. Das würde aber auch bedeuten, dass viele Betroffene unter die Räder der Pauschalierung geraten würden, denn ihre nicht selten durchaus berechtigten abweichenden Bedürfnisse können einem solchen System nicht mehr abgebildet werden. Man kann sich die letztendliche Konsequenz eines solchen Weges am Beispiel der hoch umstrittenen Wohnkosten verdeutlichen, die immer wieder nicht nur im Mittelpunkt sozialgerichtliche Verfahren stehen. Das SGB II arbeitet hier mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der „angemessenen Wohnkosten“, die übernommen werden. Diese Formulierung führt nun dazu, dass man gezwungen ist, eine Grenze zu definieren, ab der die „Angemessenheit“ überschritten wird. Wenn nun aber in der betreffenden Region gar keine Wohnungen mehr vorhanden sind, die von den Harz IV-Empfängern zu den vorgegebenen Mietpreisobergrenzen erreicht werden können, dann bedeutet das, dass die Betroffenen den übersteigenden Betrag aus ihrem Regelsatz decken müssen, der dafür aber gar keine Position enthält, da die Wohnkostenübernahme außerhalb des Regelsatzes geregelt ist. Man kann es drehen und wenden wie man will: Pauschalierung ist auf der einen Seite aus Sicht der Verwaltung überaus effizient, auf der anderen Seite muss es zwangsläufigerweise immer zu Ungerechtigkeiten kommen, da die Pauschalen im Regelfall kalkuliert werden auf der Basis von Durchschnitten, die immer diejenigen benachteiligten müssen, die oberhalb des jeweiligen Durchschnitts liegen.

Öchsner weist in diesem Zusammenhang darauf hin:» Schon vor mehr als einem Jahr schlug deshalb eine Kommission von Bund, Ländern und Bundesagentur für Arbeit vor, das Hartz-IV-System zu vereinfachen. Doch passiert ist nichts.« Das hört sich interessant an, deshalb werden wir an dieser Stelle einen genaueren Blick auf diesen Vereinfachungsansatz.

Gemeint ist die „Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Vereinfachung des passiven Leistungsrechts – einschließlich des Verfahrensrechts – im SGB II (AG Rechtsvereinfachung im SGB II)“. So heißt die wirklich. Das BMAS, die BA, die Bundesländer und die Kommunalen Spitzenverbände haben darin miteinander über mögliche Rechtsvereinfachungen im SGB II geredet und verhandelt. Wohlfahrtsverbände oder gar Vertreter der Betroffenen waren „natürlich“ nicht beteiligt.
Bereits im Sommer des vergangenen Jahres wurde der Bericht über die Ergebnisse der Bund-Länder-Arbeitsgruppe vom 2. Juli 2014 vorgelegt. Die Arbeitsgruppe nahm im Juni 2013 ihre Tätigkeit auf und hatte am 4. September 2013 einen Bericht über die Ergebnisse der ersten drei Workshops vorgelegt. Bis April 2014 wurden in weiteren fünf Workshops die weiteren Rechtsänderungsvorschläge diskutiert und bewertet. Der Bericht wurde am 2. Juli 2014 von der Arbeitsgruppe beschlossen. Rechtsvereinfachungsbedarfe wurden unter anderem zu den Themen „Einkommen und Vermögen“, „Verfahrensrecht“, „Kosten der Unterkunft und Heizung sowie Bedarfsgemeinschaft“, „Mehrbedarfe, Leistungen nach § 24 SGB II und Bildungs- und Teilhabepaket“, „Anspruchsvoraussetzungen“, „Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung“ und „Sanktionen“ identifiziert und mögliche Lösungsansätze wurden erarbeitet. Der Katalog der Kommission besteht aus 36 Vorschlägen für Gesetzesänderungen im Hartz-IV-System. Unter anderem sollten die Jobcenter die staatliche Grundsicherung für zwölf statt für sechs Monate bewilligen, um die Flut von Hartz-IV-Bescheiden zu begrenzen.

Es ist hier nicht der Platz, die vielen einzelnen und in der Regel sehr kleinteiligen Vorschläge zu würdigen und ggfs. zu kritisieren. Verwiesen sei stellvertretend dafür auf das Papier Einschätzung der im Rahmen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Rechtsvereinfachung im SGB II eingebrachten Änderungsvorschläge der Bundesanstalt für Arbeit der Sozialrechtlerin Anne Lenze von der Hochschule Darmstadt aus dem vergangenen Jahr:

»Der Begriff Rechtsvereinfachung kommt ganz unschuldig daher – wer kann schon etwas dagegen haben, dass komplizierte rechtliche Tatbestände oder Rechtspraktiken vereinfacht werden!? Die Erfahrungen der letzten Jahre aber zeigen, dass unter dem Deckmantel von „Vereinfachung“, „Vereinheitlichung“ oder gar „Gleichbehandlung“ häufig Verschlechterungen zu Lasten der Betroffenen durchgesetzt wurden. Schaut man das Potpourri an Veränderungswünschen an, das die Leistungsträger im weitesten Sinn hier zusammengetragen haben, dann lassen sich natürlich Vorschläge finden, die eine „echte“ Vereinfachung zum Gegenstand haben, es sind aber auch etliche Vorschläge zu finden, die das Leistungsrecht komplett verändern würden – leider die meisten zum Nachteil der Betroffenen.«

Sie berührt in ihrer sowohl die positiven wie auch die negativen Aspekte würdigenden Auseinandersetzung eine Grundproblematik von Prozessen, wie sie mit der Bund-Länder-Arbeitsgruppe formatiert werden: Im Mittelpunkt steht meistens bis ausschließlich die Perspektive der Administration, die sich Entlastung verschaffen will. Eine Besserstellung der Betroffenen ist dann – wenn überhaupt – als Nebenfolge der Effizienzsteigerung der Verwaltungsabläufe zu erwarten.

Aber auch wenn man diesen kritischen Einwurf ausklammert – die Vorschläge der Bund-Länder-Arbeitsgruppe wurden wie gesagt Anfang Juli 2014 veröffentlicht und an den Gesetzgeber weitergereicht. Nun haben wir bekanntlich Oktober 2015, der auch schon bald vorbei ist. Und passiert ist – nichts.

Warum?

Der eine oder andere wird es schon ahnen – die Akteure auf der hier relevanten Gesetzgebungs-, also auf der Bundesebene, haben sich gegenseitig kalt gestellt. Vereinfacht gesagt: Die SPD wollte bzw. will die heute bestehenden verschärften Sanktionen für unter 25-Jährige im SGB II zurückführen (wohlgemerkt nicht abschaffen, sondern mit den Regelungen bei den über 25jährigen Hartz IV-Empfängern gleichstellen), was auf großen Widerstand in der Union, vor allem aber in der bayerischen CSU gestoßen ist. Nun wollen die Bayern (aber nicht nur die, auch Länder wie Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz befinden sich hier im Lager der Bayern) dafür etwas anderes, was bislang blockiert wird: Sie wollen eine Veränderung bzw. Abschaffung des sogenannten „Problemdruckindikators“ bei der Verteilung der Mittel für arbeitsmarktpolitische Fördermaßnahmen im SGB II. Was ist das nun wieder, wird der eine oder andere aufstöhnen. Versuchen wir es mit einer kurzen Erklärung, die man beispielsweise dem Papier Position zum Problemdruckindikator des Deutschen Caritasverbandes aus dem Januar 2015 entnehmen kann:

»Die finanziellen Mittel, die den einzelnen Jobcentern für Eingliederungsleistungen im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zugewiesen werden, sind unterschiedlich hoch. Die Verteilung wird durch die Eingliederungsmittel-Verordnung jährlich geregelt. Sie richtet sich grundsätzlich nach dem Anteil der örtlich zu betreuenden erwerbsfähigen Leistungsempfänger. Zusätzlich erhalten Jobcenter mit einer überdurchschnittlich hohen Grundsicherungsquote einen Zuschlag, solche mit einer unterdurchschnittlichen Quote einen Abschlag (sog. Problemdruckindikator).«

Es geht hier angesichts mehrerer Milliarden Euro um richtig viel Geld. Zugespitzt formuliert hat die Verwendung dieses Mittelverteilungssystems dazu geführt, dass manche Jobcenter im Süden oder Südwesten der Republik kaum noch Mittel für Fördermaßnahmen im SGB II zur Verfügung haben, weil bei ihnen die allgemeine Quote an Hartz IV-Empfängern niedrig ist im Vergleich zu anderen Regionen. Wie so oft in der Sozialpolitik stand am Anfang des Problemdruckindikators, der seit 2004 eingesetzt wird (und der in der jährlich aktualisierten Eingliederungsmittel-Verordnung geregelt ist), eine gute Absicht: »Die Idee war dabei, Kreise mit sehr hohem “Problemdruck“ im Sinne von hoher Langzeitarbeitslosigkeit in der Ausgestaltung der Eingliederungsmittel besser zu stellen als Gebiete mit niedriger Langzeitarbeitslosenrate.« Das klingt doch plausibel. Im Ergebnis führt das dazu, dass für Jobcenter in Bayern und Baden-Württemberg nur halb so viel Eingliederungsmittel je Leistungsberechtigten zur Verfügung stehen wie für das Jobcenter in Berlin-Neukölln. Und wo ist jetzt das Problem?

Gerade »in Regionen mit guter Arbeitsmarktlage sind die zugewiesenen Mittel pro erwerbsfähigen Leistungsberechtigten besonders gering. Allerdings weisen gerade in diesen Regionen die Personen, die noch im Leistungsbezug sind, häufig besondere, verfestigte Problemlagen auf. Sie brauchen daher oftmals besonders kostenintensive (z. B. § 16e SGB II), langwierige oder mehrere Fördermaßnahmen. Wenn für sie pro Kopf wenige Mittel zur Verfügung stehen, können diese Menschen nicht angemessen gefördert werden«, so der Deutsche Caritasverband in seinem Positionspapier. Man kann es auch so sagen: Dem Problemdruckindikator liegt die Annahme zugrunde, dass bei einer guten Arbeitsmarktlage und einer geringen Quote an Grundsicherungsempfängern weniger Eingliederungsmittel erforderlich seien – möglicherweise aber, so die Kritiker, ist genau das Gegenteil der Fall, dass bezogen auf die einzelnen Individuen hier sogar höhere Aufwendungen anfallen, da die, die sich hier im Grundsicherungsbezug befinden, durch noch schwierigere persönliche Verhältnisse auszeichnen als in Regionen, in denen viele andere auch im SGB II-Bezug sind.

Hinzu kommt – und das wird leider oft vergessen: Diese unterschiedliche Mittelverteilung wird natürlich dann vor allem zu einem Problem, wenn zugleich die Mittel insgesamt erheblich gekürzt werden. Und genau das ist seit dem Jahr 2011 imm Bereich des Eingliederungstitels passiert, um gut 50 Prozent sind die Mittel runter gefahren worden.

An diesen Stellen hat man sich also meinen müssen zu bekriegen seit dem Sommer des vergangenen Jahres. Nichts ist seitdem passiert. Thomas Öchsner berichtet in seinem Artikel: »In Regierungskreisen ist nun zu hören, man nähere sich einem kleinsten gemeinsamen Nenner an, auf den man sich einigen könne. Von dem ursprünglichen Vereinfachungskatalog der Reformkommission dürfte dann aber nicht allzu viel übrig bleiben.«

Das wäre natürlich angesichts der schon sowieso gegebenen begrenzten Reichweite der Vorschläge ein Desaster. Kein Wunder, dass die oppositionellen Grünen an dieser Stelle neues Holz aufs Feuer legen und über ihre arbeitsmarktpolitische Sprecherin im Bundestag, Brigitte Pothmer, eine „Entbürokratisierungs-Offensive“ einfordern. »Sie rechnet vor: Könnten sich nur zehn Prozent der Mitarbeiter, die mit der Gewährung von Leistungen beschäftigt sind, durch eine Rechtsvereinfachung anderen Aufgaben widmen, ließen sich 2.200 Vollzeitstellen mobilisieren.«

Der einzige Schönheitsfehler in der Argumentation der Grünen: Diese Stellen sollen frei geschaufelt werden, »damit mehr Mitarbeiter in den Jobcentern für die Flüchtlinge zur Verfügung stehen.« Das mag zwar derzeit en vogue sein, aber der Personaleinsatz sollte nicht an den Status Flüchtlinge gebunden werden. Die zusätzlichen Stellen dafür muss die Bundesregierung auch zusätzlich zur Verfügung stellen. Auf eine bessere Betreuung, wie sie durch die frei werdenden Personalkapazitäten theoretisch möglich werden könnte, warten die vielen Langzeitarbeitslosen, die Verlierer des deutschen „Jobwunders“, schon lange.

Gut gemeint: Ein Vorstoß in den Kernbereich der verhärteten Langzeitarbeitslosigkeit über die unschuldigen Kinder. Aber auch gut gemacht?

Da muss man schon ein wenig um die Ecke denken: „Wer die Verhärtung von Armut bekämpfen will, muss möglichst früh ansetzen – also bei den Kindern“. Und um das zu schaffen will man bei den Eltern ansetzen, die als Voraussetzung mitbringen müssen, dass beide Elternteile im Hartz IV-Bezug (also im Regelfall seit längerem in dieser prekären Situation) sind und von denen keiner irgendeine ergänzende Beschäftigung, nicht einmal einen Minijob, ausübt und auch keiner an irgendeiner arbeitsmarktpolitischen Fördermaßnahme teilnimmt und deren Kind bzw. Kinder nicht jünger sein dürfen als sechs Jahre. Wir können begründet annehmen, dass man mit dieser Definition der – da kommt er, der deutsche Folterbegriff – „Zielgruppe“ wirklich auch die „harten Fälle“ erreichen wird, also Menschen, von denen wahrscheinlich sehr viele seit Jahren im Leistungsbezug sind.
Aber beginnen wir lieber mit der guten Absicht: Sozialpartner verbünden sich gegen Hartz-IV-Karrieren, meldet beispielsweise die FAZ unter der Rubrik „Kinderarmut“.

Dietrich Creutzburg beschreibt den Ausgangspunkt für den gemeinsamen Vorstoß von DGB und BDA: »Von den gut 6 Millionen Menschen im Hartz-IV-System leben allein 2,8 Millionen schon seit mindestens vier Jahren von der staatlichen Grundsicherung. Unter ihnen sind 640.000 Kinder. Vor allem eine Gruppe fällt dabei nach gemeinsamer Überzeugung von Arbeitgebern und Gewerkschaften bisher zu oft durch das Raster der Aufmerksamkeit und auch der Förderpolitik: Es gibt darunter 112.000 Familien, deren Kinder das schulpflichtige Alter erreicht haben und bei denen dennoch keiner der beiden Elternteile arbeiten geht. Die Kinder wachsen dann mit der Erfahrung auf, dass Hartz-IV-Bezug und Arbeitslosigkeit normal sind (…).« Die beiden Spitzenverbände der Gewerkschaften und Arbeitgeber haben vor diesem Hintergrund einen „Aktionsplan gegen Kinderarmut“ ausgearbeitet, der es den Jobcentern ermöglichen soll, solche Familien gezielter auf dem Weg in Arbeit voranzubringen und damit Kinder vor sogenannten Hartz-IV-Karrieren zu bewahren. Dieser Vorschlag für einen Aktionsplan trägt den Titel „Zukunft für Kinder – Perspektiven für Eltern im SGB II“. Die dazu gehörende Pressemitteilung ist überschrieben mit DGB und BDA stellen Aktionsplan gegen Kinderarmut vor. Das verdeutlicht sowohl den Handlungsauftrag wie auch das Problem des Ansatzes, denn „Kinderarmut“ als Singularität gibt es nun mal nicht, es handelt sich immer um eine abgeleitete Armut der Kinder von der ihrer Eltern. An denen kommt man partout nicht vorbei, wenn man die Situation der Kinder verbessern möchte, zugleich aber verdeutlicht das Herausstellen der Bekämpfung der Kinderarmut, dass sich dieses Anliegen irgendwie besser „verkaufen“ lässt als wenn man gleich offen diejenigen adressieren würde, um die es auch bei diesem Vorschlag wieder geht: eben die Eltern.

Den Erläuterungen von DGB und BDA kann man den folgenden Ansatz entnehmen:

»Qualifizierte Fallmanager würden gemeinsam mit den Hilfesuchenden eine individuelle Eingliederungsstrategie entwickeln und vereinbaren. Ergänzende Leistungen, wie Kinderbetreuung und psychosoziale Beratung, würden von den Kommunen bereitgestellt.
Sollte es nach etwa einem Jahr nicht gelungen sein, zumindest ein Elternteil in den Arbeitsmarkt zu integrieren – und das hat stets Vorrang -, schlagen BDA und DGB eine zeitlich befristete, öffentlich geförderte und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vor. Als gezielte finanzielle Anreize für Jobcenter, die sich engagieren wollen, schlagen die Sozialpartner 280 Mio. Euro vor. Das Programm soll zunächst auf drei Jahre angelegt sein und wissenschaftlich begleitet werden.«

An dieser Stelle werden nicht wenige Insider der Arbeitsmarktpolitik unter Schmerzen aufstöhnen. Nicht schon wieder ein Sonderprogramm. Denn Programmitis und Modellprojektionitis sind bekanntlich zumindest aus Sicht der meisten Praktiker zwei der Grundübel (nicht nur) in der Arbeitsmarktpolitik, die oftmals, von einzelnen sinnvollen Ergebnissen abgesehen, enorme Ressourcen verschlingen, zu einer Anpassung der real existierenden Menschen an die Zielgruppenvorgaben der Programme zwingen und letztendlich – aufgrund der zeitlichen Befristung – kaum bis gar nicht „nachhaltig“ wirken (können). Außerdem sind wir hier konfrontiert mit einer systemischen Eigendynamik dergestalt, dass je genauer und abgrenzender die Zielgruppen der einzelnen Programme und Maßnahmen gestrickt werden, um so größer wird der Expansionsbedarf zur Abdeckung der anderen, davon nicht erfassten, aber weiter existenten Fälle, die man nun auch irgendwie bedienen müsste und sollte. Ein Teufelskreis.

Schauen wir einmal genauer in den „Aktionsplan“ hinein – und man muss konzedieren, dass man die angesprochene Problematik zwar nicht wirklich aufzulösen, sie aber zumindest etwas abzumildern versucht. Neben dem im Rechtskreis SGB II mit seinen vielen Sanktionstatbeständen wichtigen Hinweis, dass die Teilnahme seitens der Betroffenen freiwillig sein sollte, kommt mit Blick auf diejenigen, die das hauptsächlich und federführend machen müssen, also die Jobcenter, der folgende Passus:

»Jobcenter, die sich an dem vorgeschlagenen Aktionsplan beteiligen, sollen dies ebenfalls freiwillig tun. Es ist nicht unsere Absicht, deren Arbeit durch ein aufgezwungenes Sonderprogramm zu verkomplizieren.« (DGB/BDA 2015: 3)

Stattdessen soll es es Anreize geben, sich daran zu beteiligen – eben der Zugang zu zusätzlichen Mitteln: »Für zusätzliche Aktivitäten der Jobcenter im Rahmen des hier vorgeschlagenen Aktionsplans „Zukunft für Kinder – Perspektiven für Eltern im SGB II“ sollte der Bund mittels eines Sonderprogramms zusätzlich zum regulären Eingliederungsbudget (EGT) ein Finanzvolumen von ca. 280 Mio. Euro zur Verfügung stellen … Zusätzliche finanzielle Mittel aus dem Sonderprogramm erhalten nur jene Jobcenter, die zusätzliche Anstrengungen gegen Kinderarmut unternehmen.« (DGB/BDA 2015: 4). Was natürlich dazu führen muss, dass in den Jobcentern, die sich beteiligen, entsprechende Anstrengungen notwendig werden, den Vorgaben des zusätzlichen Programms zu folgen und diese in der täglichen Arbeit auch abzubilden. Dazu der „Aktionsplan“: »Das Jobcenter sollte in eigener Verantwortung überlegen, ob gesonderte Strukturen, z.B. spezielle Teams, sinnvoll sind. Eine gesonderte Organisationseinheit würde den Charakter des vorgeschlagenen Aktionsplans auch mit Blick auf das Zielsystem betonen. Es kann aber auch örtlich sinnvoll sein, vorhandene Strukturen und Aktivitäten „nur“ gezielt zu verstärken.«

Die Durchsicht der weiteren Elemente der inhaltlichen Ausgestaltung verdeutlicht, dass hier die als erfolgreich oder wenigstens als irgendwie wirksam erkannten Bausteine aus anderen Modellversuchen und praktischen Erfahrungen vor Ort zusammengestückelt werden:

»Die zuständigen Fallmanager/innen oder Vermittler/innen brauchen flexible Handlungsmöglichkeiten im Rahmen eines Budgets, um den Elternteilen sinnvolle Angebote machen zu können. Wir schlagen eine Ausweitung der Möglichkeiten vor, die § 44 f. SGB III (Vermittlungsbudget, Aktivierungs- und Eingliederungsmaßnahmen) den Vermittler/innen einräumt. So könnte Langzeitarbeitslosen ein Coach an die Seite gestellt werden, der die Jobsuche und den Beginn einer neuen Erwerbstätigkeit begleitend unterstützt. Die in einzelnen Arbeitsagenturen und Jobcentern durchgeführten Modellprojekte („INA“) zum Coaching waren erfolgreich. Dieser Ansatz sollte im vorgeschlagenen Aktionsprogramm genutzt werden können. Die Teilnahme an Qualifizierungsmaßnahmen könnte dort, wo dies sinnvoll und nötig erscheint, durch einen finanziellen Anreiz im Sinne einer Erfolgs- oder Durchhalteprämie stimuliert werden. Diese Hilfen und Anreize sollen gezielt mit Blick auf den Einzelfall eingesetzt werden, als Teil des zwischen Vermittler/in und Elternteil vereinbarten Vorgehens.« (DGB/BDA 2015: 5)

Im weiteren Gang der Beschreibung werden dann alle irgendwie relevanten Partner der Jobcenter bei der Integrationsarbeit aufgezählt und mitverhaftet – von den Kommunen mit ihren Angeboten natürlich bis hin zu den Krankenkassen, örtliche „Paten“ aus der „Zivilgesellschaft“ und in besonderen Fällen auch »eine familienbegleitende Betreuung durch eine/n Familiencoach/in«.
Nun sind Gewerkschaften und Arbeitgeber keine Traumtänzer und sie formulieren in ihrem Papier (S. 5) selbst das zentrale Problem: »Die Integration von arbeitslosen Eltern kann nur gelingen, wenn entsprechende geeignete Arbeitsplätze gefunden werden.«

Und was, wenn das trotz aller Netzwerke und Anstrengungen nicht gelingt? Dann taucht sie auf, die „öffentlich geförderte Beschäftigung“ – oder sagen wir an dieser Stelle schon: das, was von ihr überhaupt noch übrig geblieben ist, nach Jahren nicht nur der budgetären, sondern vor allem der förderrechtlichen Verstümmelung:

»Gelingt es innerhalb eines bestimmten Zeitraums (z.B. ein Jahr) nicht, zumindest ein Elternteil zu integrieren, wird – ultima ratio – eine zeitlich befristete öffentlich geförderte Beschäftigung in sozialversicherungspflichtiger Form im Rahmen der bestehenden gesetzlichen Fördermöglichkeiten angestrebt … Den Sozialpartnern in den Beiräten der Jobcenter sollte die Aufgabe zukommen, die Einsatzfelder öffentlich geförderter Beschäftigung vorab zu prüfen, ob eine Verdrängung regulärer Beschäftigung zu erwarten ist.«

Kein Wort dazu, dass man nun wirklich neue Wege der öffentlich geförderten Beschäftigung gehen müsste, um halbwegs vernünftig arbeiten zu können. Wenigstens ein Hinweis auf den desaströsen rechtlichen Zustand hätte man sich gewünscht. Alles wird irgendwie passungsfähig gemacht zu dem, was da ist. Egal, ob das, was da ist, von vielen Praktikern und Experten als untauglich und sogar in vielerlei Hinsicht als kontraproduktiv bewertet wird.

Damit das nicht missverstanden wird – den neuen Vorstoß der Gewerkschaften und der Arbeitgeber sollte man als eine wirklich gute Absicht bewerten, einer der vielen Teilgruppen im Hartz IV-System zu helfen, die bislang entweder durch den Rost gefallen oder die aus ganz unterschiedlichen Gründen mit den vorhandenen Instrumenten nicht zu erreichen sind.

Aber irgendwie erinnert das Vorgehen an den höchst problematischen „Windows-Effekt“. Damit ist gemeint, dass man das bestehende Betriebssystem mit immer neuen zusätzlichen und anderen Funktionen angereichert hat, in dem man diese „add-on“ gepackt hat, bis irgendwann zahlreiche Schnittstellen-Fehler auftreten mussten, weil sich unten immer mehr Müll angesammelt hat, der nicht beseitigt worden ist. Bildlich gesprochen stehen wir in der Arbeitsmarktpolitik vor einem ähnlichen Problem. Man packt oben immer mehr drauf und weigert sich aber, zu einem bestimmten Zeitpunkt einfach mal einen Schnitt zu machen und eine Generalrevision vorzunehmen.

Für die Arbeitsmarktpolitik würde das bedeuten – was übrigens seit Jahren gefordert wird -, dass man das Förderrecht radikal entschlackt und den Profis vor Ort ein Instrumentarium an die Hand gibt, das sie flexibel einsetzen können. Wenn man dann noch berücksichtigt, dass gerade eine sich verhärtende Langzeitarbeitslosigkeit auch bei einem wesentlich flexibleren Förderrecht nicht bekämpft werden kann, wenn man gleichzeitig die Fördermittel bei – wie gesagt – zunehmender Problemschwere zusammenstreicht, dann hätte man die beiden zentralen Ansatzpunkte für eine echte Reform, die ihren Namen verdienen würde.