Der Acht-Stunden-Tag ist nicht mehr zeitgemäß. Und wer will schon von gestern sein? Aber so einfach darf man es sich nicht machen

Die Infragestellung der bestehenden Regelungen zur täglichen Höchstarbeitszeit im Arbeitszeitgesetz durch die Arbeitgeberverbände wurde schon in einem früheren Beitrag in diesem Blog kritisch unter die Lupe genommen: Arbeitszeit: Schneller und vor allem immer mehr, wenn es denn der einen Seite passt. Zur Arbeitgeber-Forderung nach einer „Flexibilisierung“ des Arbeitszeitgesetzes. Aber man muss anscheinend noch mal was nachlegen, wenn man beispielsweise mit solchen Kommentierungen konfrontiert wird: Der Acht-Stunden-Tag ist nicht mehr zeitgemäß, meint Werner van Bebber schon in der Überschrift zu seinem Artikel. Das reizt natürlich, denn wer will schon altbacken und vormodern, eben nicht (mehr) auf der Höhe der Zeit erscheinen? Deshalb auch das Plakat aus der mittlerweile 125 Jahre umfassenden Geschichte der Kundgebungen zum 1. Mai zur Illustration dieses Beitrags (Quelle: DGB, 125 Jahre 1. Mai: Unsere Erfolge im Spiegel der Maiplakate). Und Hand aufs Herz – der auf dem Plakat abgebildete Malocher ist doch nun wirklich irgendwie aus der Opa-Zeit. Geschichte halt. So auch die Argumentation von Bebber: »Die Arbeitswelt hat sich radikal verändert … Die Malocherjobs werden weniger. Wer eine geistig anspruchsvolle Arbeit macht, der arbeitet selbstständiger denn je, eher an Projekten orientiert und eher in einem Team. Da lässt man nach acht Stunden nicht einfach den Bleistift fallen.« Ja genau, so ist das vielerorts und bei vielen Jobs.

Aber einen Moment lang nachgedacht – was folgt denn daraus? Das Arbeitszeitgesetz abzuschaffen oder zumindest erheblich zu schleifen? An diesem Punkt könnte man dann auch aus weit verbreiteter Steuerhinterziehung gesetzgeberischen Handlungsbedarf ableiten. Auch Webber hebt sofort die durchaus diskussionswürdigen, aber zuweilen eben auch nur scheinbaren Gewinne an Lebensqualität jenseits der Fabrikhölle, in der der auf dem Plakat abgebildete Ideal-Arbeiter sicher schuften musste und für den das richtige Leben jenseits der Werktore begann. »Ingenieure oder Softwareentwickler können ihren Arbeitsplatz nach Hause verlegen, Fahrzeiten zum Büro und nach Hause einsparen und sich die Zeit selbst einteilen … Und wer als Angestellter diese neue Freiheit nutzt, wird sie schätzen«, schreibt er. Das mag so sein und dies es sicher auch für nicht wenige Betroffene. Aber für viele andere, erweisen sich die neuen Freiheiten sogleich als Quelle für neue Fesseln, die in ihnen angelegt werden, nur das die nicht so sichtbar und körperlich fühlbar sind wie die der klassischen Fabrikarbeiter es waren. Wenn Arbeitszeit und Freizeit und Familienzeit sich immer stärker vermischen und aufzulösen beginnen, wird aus der anfänglichen Freude nicht selten neues Leid.

Und nochmal Hand aufs Herz: Wieso müssen die als Schutzvorschriften gegen eine übermäßige Ausnutzung der menschlichen Arbeitskraft eigentlich überhaupt geschliffen werden, wenn man das hier zur Kenntnis nimmt: Arbeitnehmer sind flexibel, Arbeitgeber eher nicht, so Nadine Oberhubers Überschrift: »Forscher warnen: Schon jetzt arbeiten viele Deutsche mehr als das Gesetz erlaubt.« Was man seit geraumer Zeit in Deutschland beobachten kann ist eine „Polarisierung“ dergestalt, dass wir »einerseits eine generelle Arbeitszeitverkürzung, weil die Zahl der Teilzeitverträge stark zugenommen hat«, erleben, »andererseits sehen wir einen großen Teil von Beschäftigten, der Überstunden macht«, so wird der Arbeitsmarktforscher Gerhard Bosch von der Universität Duisburg-Essen in dem Artikel von Oberhuber zitiert.

»Diejenigen, die in Vollzeit beschäftigt sind, arbeiten immer länger und oft mehr, als das Gesetz erlaubt. Das gilt vor allem für die Branche der Unternehmensberatungen, Hotels und Gaststätten, Transport und Verkehr sowie Medien … Je älter Mitarbeiter sind, desto mehr Überstunden machen sie. Je größer das Unternehmen, desto eher tun sie es. Wenn es gar nicht erst eine Arbeitszeiterfassung gibt, wie bei Unternehmensberatungen oder Medien, ackern Angestellte am längsten. Müssen Firmen Überstunden dagegen bezahlen oder in Freizeit abgelten, tun sie auch viel, um sie gar nicht erst anfallen zu lassen. Sonst wird es teuer.«

Die Diagnose von Gerhard Bosch ist eindeutig: „Wir sind in Europa dasjenige Land mit der höchsten Arbeitszeitflexibilität“. Trotz Arbeitszeitgesetz.

Kommen wir wieder zurück zur Kommentierung von Werner van Bebber, der davon ausgeht, das Arbeitszeitgesetz sei nicht mehr zeitgemäß. Er bringt ein weiteres Argument, das auf den ersten Blick plausibel daherkommt:

»Gewiss: Der große theoretische Vorteil des Acht-Stunden-Tags ist seine Kalkulierbarkeit. Wer genau weiß, wann er täglich den Dienst beendet, kann nebenher auch noch eine Fußballmannschaft trainieren. Doch flexible Arbeitszeiten müssen nicht bedeuten, dass Arbeitnehmer das Familienleben oder ihre Interessen aufgeben. So schlau, zu wissen, dass gestresste Angestellte schneller krank werden, sind wohl die meisten Arbeitgeber.«

Die meisten Arbeitgeber? Eine gewagte These. Mindestens genau so plausibel erscheint die Gegenthese, dass die meisten Arbeitgeber das nicht tun – nicht, weil sie schlechte Menschen sind, sondern weil der Druck und die Abläufe in vielen Betrieben heute so ist, dass man bewusst-unbewusst eine maximale Ausnutzungsstrategie realisiert. Und dagegen muss man Arbeitnehmer schützen, so fern das überhaupt möglich ist in einer betrieblichen Realität, die in vielen Branchen dadurch gekennzeichnet ist, dass Arbeitgeber nicht nur Tarifflucht betrieben haben, sondern oftmals auch gar kein Betriebsrat vorhanden ist, der sich die halbwegs ordentliche Einhaltung der Arbeitszeitvorschriften zu eigen machen kann.

Dabei sind die Befunde für die Sinnhaftigkeit von Arbeitszeitschutzvorschriften evident. Aus diesen Erkenntnissen resultieren dann solche Artikel: MB und Arbeitsmediziner schlagen Alarm: »Psychologen, Werksärzte und Marburger Bund reagieren ablehnend auf Vorschläge von Arbeitgebern, am Arbeitszeitgesetz zu schrauben.«

Dass eine Aufhebung des in Deutschland gültigen Acht-Stunden-Tags weniger zu einer Flexibilisierung als zu einer Entgrenzung führen könnte, fürchtet der Berufsverband Deutscher Psychologen und Psychologinnen (BDP).

»Auch Betriebsärzte sehen die Idee kritisch. „Das bisherige Arbeitszeitgesetz limitiert die tägliche Arbeitszeit auf zehn Stunden, aus Sicht der Arbeitsmedizin ist dies eine sehr sinnvolle Regelung“, sagt Dr. Wolfgang Panter, Präsident des Verbands Deutscher Betriebs- und Werksärzte (VDBW).«

Im März dieses Jahres hat die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) im Rahmen der öffentlichen Konsultation zur Überarbeitung der europäischen Arbeitszeitrichtlinie (Richtlinie 2003/88/EG) eine Stellungnahme abgegeben. Darin wird beispielsweise auf den Forschungsstand die weit verbreitete Schichtarbeit betreffend hingewiesen:

»Mit ansteigender Dauer der Arbeitszeit nehmen auch die Unfallzahlen zu. Bereits nach der neunten Arbeitsstunde zeigt sich ein deutlicher Anstieg des Unfallrisikos. Dies hat auch eine Untersuchung aus dem Jahr 1998, bei der 1,2 Millionen Unfälle analysiert wurden, deutlich gemacht … Die Analyse hat ergeben, dass das Unfallrisiko generell nach der neunten Arbeitsstunde exponentiell ansteigt. Darüber hinaus ergab sich eine signifikante Wechselwirkung von aktueller Arbeitsdauer und Tageszeit. Die Unfallhäufigkeit nach unterschiedlichen Arbeitsdauern hing davon ab, zu welcher Tageszeit die Arbeit begann. Bei späterem Schichtbeginn stieg die Unfallrate nach der achten Arbeitsstunde dramatisch an.«

Und weiter:

»Darüber hinaus haben Langzeitanalysen gezeigt, dass lange wöchentliche Arbeitszeiten mit einem höheren Unfall- und Erkrankungsrisiko assoziiert sind. So wurde zum Beispiel von Dembe et al. ermittelt, dass eine wöchentliche Arbeitsdauer von mehr als 60 Stunden – nach Kontrolle von personen- und arbeitsplatzbezogenen Merkmalen wie Alter, Geschlecht, Branche – mit einem 23 % höheren Verletzungsrisiko einhergeht im Vergleich zu einer geringeren Stundenzahl … Auch Beeinträchtigungen wie Schlafprobleme oder Herzerkrankungen nehmen mit Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit zu.«

 Die Schlussfolgerung ist eindeutig: »Um die Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit zu gewährleisten sind von daher nach Auffassung der gesetzlichen Unfallversicherung Schichtdauern von mehr als acht Stunden pro Tag und Wochenarbeitszeiten von mehr als 40 Stunden im Sinne der Prävention nicht zu empfehlen.«

Bei allen durchaus auch nachvollziehbaren Argumenten für eine zumindest Aufweichung der starren Regelungen in einem Arbeitszeitgesetz und einer Anpassung an die bereits gelebte abweichende Realität sollte und darf das Schutzziel nicht aus den Augen verloren werden. Dafür gibt es – wie die arbeitswissenschaftliche Forschung hat zeigen können, durchaus auch handfeste betriebswirtschaftliche Argumente hinsichtlich der Produktivität der Arbeitnehmer. Und auch hinsichtlich deren Gesundheit.

Foto: DGB, 125 Jahre 1. Mai: Unsere Erfolge im Spiegel der Maiplakate

Arbeitszeit: Schneller und vor allem immer mehr, wenn es denn der einen Seite passt. Zur Arbeitgeber-Forderung nach einer „Flexibilisierung“ des Arbeitszeitgesetzes

Was war das wieder für eine kurze Aufregungswelle in den Medien – zu einem Thema von ganz grundsätzlicher Bedeutung, mit dem man allerdings normalerweise sehr verlogen umgeht. Aber der Reihe nach: Kampf um den Acht-Stunden-Tag, so martialisch hat Birgit Marschall ihren Artikel überschrieben: »Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hat die Diskussion darüber eröffnet, ob die starren Vorgaben im Arbeitszeitgesetz gelockert und an die veränderte digitale Arbeitswelt angepasst werden müssen. Die Arbeitgeber fordern, die täglich zulässige Höchstarbeitszeit von acht Stunden abzuschaffen.« Das nun wiederum hat das Ministerium nicht nur nicht bestätigt, sondern dementiert. Sie, also die Ministerin, habe derzeit nicht vor, am Arbeitszeitgesetz was zu machen. Auf der anderen Seite stehen solche Zitate im Raum:

„Flexiblere Arbeitszeiten und die Orientierung am Ergebnis, nicht an der Präsenz im Büro können auch den Beschäftigten zugutekommen“, sagte die SPD-Politikerin unlängst auf einem Fachkongress in Berlin. Dazu hat Nahles einen Dialog mit Arbeitgebern und Gewerkschaften gestartet, das in ein neues Arbeitszeitgesetz münden könnte. Also doch irgendwie?

Ausgangspunkt der aktuellen Debatte ist ein Positionspapier der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), die bereits im Mai dieses Jahres zur Digitalisierung von Wirtschaft und Arbeitswelt das Positionspapier Chancen der Digitalisierung nutzen veröffentlicht hat. Darin findet sich neben vielen anderen Punkten auch die Forderung nach einer Flexibilisierung des Arbeitszeitgesetzes.

Der Arbeitgeberverband bettet die Forderung nach einer „Arbeitszeitflexibilisierung“ ein in die modern daherkommende Debatte, die um die Schlagworte von der „Industrie 4.0“ und „Arbeit 4.0“ kreist. Und da geht es nicht nur um die hier im Mittelpunkt stehende Infragestellung arbeitszeitgesetzlicher Regelungen, sondern auch um andere heiße Eisen, wie man beispielsweise diesem Zitat aus dem Positionspapier der BDA entnehmen kann:

»Die Digitalisierung fördert Spezialisierung und Arbeitsteilung. Die Bedeutung (industrienaher) Dienstleistungen und die Bedeutung von Werk- und Dienstverträgen werden daher wie damit im Zusammenhang stehende Geschäftsmodelle zunehmen. Eine weitere Regulierung dieser etablierten Vertragsformen würde eine erfolgreiche Digitalisierung erschweren.«

Insgesamt haben wir es mit einem Wünsch-dir-was-Katalog der Arbeitgeber zu tun:

»Beschäftigung wird deshalb stärker als bisher den Anforderungen schwankender Auftragslagen folgen müssen. Ein Mittel, dies zu ermöglichen, ist eine flexible Arbeitszeit. Ein anderes Mittel ist die Unterstützung von Zeitarbeit und befristeter Beschäftigung … Befristung und Zeitarbeit dürfen daher nicht durch neue Belastungen begrenzt werden. Zeitarbeit und insbesondere die sachgrundlose Befristung müssen auch künftig für die Gestaltung der Arbeitsbeziehungen ohne neue Beschränkungen zur Verfügung stehen.«

Das richtet sich primär gegen die beabsichtigten bzw. möglicherweise drohenden Regulierungsversuche seitens der Bundesregierung und um die zu verhindern, fordert die BDA vorsichtshalber ein „Belastungsmoratorium“.

Zur Arbeitszeit findet man in dem Positionspapier die folgenden Ausführungen – wobei es vor allem um die Frage geht, was denn nun die Digitalisierung mit einer Veränderung des Arbeitszeitgesetzes zu tun haben könnte (S. 3):

»Insbesondere im verarbeitenden Gewerbe aber auch bei Büroberufen und Wissensarbeit wird auch künftig die eigentliche Arbeit im Betrieb stattfinden. Aber für einige Berufsgruppen ergeben sich neue Möglichkeiten ortsungebundenen Arbeitens – beispielsweise durch cloud computing … über Zeitzonen hinweg stattfindende Kommunikation wird in manchen Fällen durch gesetzlich vorgegebene tägliche Höchstarbeitszeiten erschwert.
Um hier mehr Spielräume zu schaffen und betriebliche Notwendigkeiten abzubilden sollte das Arbeitszeitgesetz deshalb von einer täglichen auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit umgestellt werden.«

Der eine oder andere wird sich an dieser Stelle fragen, wo genau denn hier eigentlich das Problem liegt. Das Arbeitszeitgesetz schreibt eine tägliche Höchstarbeitszeit von acht Stunden vor, die bis auf 10 Stunden pro Tag ausgedehnt werden kann, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden. Eine nochmalige Ausdehnung aus 12 Stunden pro Tag auf Antrag ist heute schon möglich und zugleich gibt es eine ganze Reihe an Ausnahmetatbeständen, die nach dem Gesetz möglich und zulässig sind.
»Da auch der Samstag ein Werktag ist, begrenzt das Gesetz die zulässige Wochenarbeitszeit auf 48 Stunden. Es gibt aber viele Ausnahmen, etwa für Klinikpersonal, Beamte, Soldaten und leitende Angestellte. Zudem wird die Einhaltung selten kontrolliert«, so zu Recht Birgit Marschall in ihrem Artikel. Und sie zitiert erneut unsere Bundesarbeitszeitministerin Nahles – vor dem Hintergrund der Tatsache, wie es a) heute schon vielerorts läuft und b) dass das Arbeitszeitgesetz kaum bis gar nicht kontrolliert wird, zeigt das leider erneut, dass sich manche von herausgegriffenen, wenn überhaupt dann nur theoretisch existierenden „Problemen“ beeindrucken lassen. Hier das Zitat von Frau Nahles:

„Ein Arbeitgeber hat mich angesprochen: Wenn ein Mitarbeiter früher geht, um bei den Kindern zu sein, und abends auf dem Handy schnell noch eine dienstliche E-Mail erledigt, darf er nach dem Arbeitszeitgesetz eigentlich morgens nicht ins Büro kommen. Ist das nicht ein Hemmschuh für flexible Arbeitszeiten? Ich meine: Da hat er durchaus recht!“

Theoretisch vielleicht je nach Fallkonstruktion, aber praktisch passiert das genau doch jeden Tag, ohne dass jemals so ein Fall verfolgt wurde. Ohne irgendwelche Probleme oder gar Gerichtsverfahren. Wo also liegt das Problem? Vor allem, wo könnte das Problem liegen, wenn man nun hingehen würde und wie seitens der Arbeitgeber gefordert den formalen Deckel die tägliche Arbeitszeit betreffend beseitigt und auf eine wöchentliche Arbeitszeitobergrenze verweist?
Im Grunde geht es um den zu legalisierenden vollflexiblen Zugriff auf die Arbeitnehmer. Wie anders ist so eine Äußerung zu interpretieren?

»Auch Hans-Peter Klös vom arbeitgebernahen Institut der Wirtschaft, Mitglied des von Nahles ins Leben gerufenen Beraterkreises, sagte: „Der gesetzliche Korridor passt nicht mehr in eine Welt, die 24 Stunden am Tag in Echtzeit online unterwegs ist.“ Die Flexibilitätsanforderungen der Wirtschaft müssten mit legitimen Schutzansprüchen der Arbeitnehmer in Einklang gebracht werden. „Der Gesetzgeber wird den gesetzlichen Arbeitszeitrahmen lockern müssen.“ Tarif- und Betriebsparteien müssten mehr selbst regeln.«

Da hilft es auch nicht, wenn Gewerkschafter darauf verweisen, dass in allen bisherigen Fällen, in denen betriebliche oder tarifvertragliche Regelungen beispielsweise zum mobilen Arbeiten vereinbart worden sind, das Arbeitszeitgesetz keine Hürde dargestellt hat.

Aber man sollte auf die Formulierungen achten. Tarif- und Betriebsparteien müssen mehr selbst regeln (können), so der Mann vom arbeitgeberfinanzierten Institut der deutschen Wirtschaft. Nun wird dem einen oder anderen an dieser Stelle einfallen: Was aber ist in den vielen Branchen und Unternehmen, in denen es solche Regelungen gar nicht geben kann, weil es sich um tarifvertragsfreie Zonen handelt und auch gar keine Betriebsräte vorhanden sind? Zu denen gehören beispielsweise Branchen wie das Hotel- und Gaststättengewerbe. Und gerade hier gibt es ein gehöriges Interesse an einer „Flexibilisierung“ des Arbeitszeitgesetzes.

Ich habe in meinen Beiträgen zum Mindestlohngesetz immer wieder darauf hingewiesen, dass gerade hier das Problem oftmals weniger bis gar nicht die Höhe des Mindestlohns ist, sondern der Tatbestand, dass in der Praxis nicht selten die tägliche Höchstarbeitszeit nach dem Arbeitszeitgesetz verletzt wurde und wird, was aber bislang nie wirklich problematisch war, weil das Arbeitszeitgesetz quasi nicht kontrolliert wurde. Das ändert sich aber mit dem Mindestlohngesetz und den Prüfungen durch den Zoll, ob der Mindestlohn auch wirklich gezahlt wurde. Da es sich um einen Mindest-Stundenlohn handelt, müssen die Kontrolleure ermitteln, wie viele Stunden denn gearbeitet wurde. Wenn bei diesen Prüfungen herauskommt, dass das Arbeitszeitgesetz nicht eingehalten wurde, dann droht auf einmal realer Ärger.

Wenn man dann noch berücksichtigt, dass immer mehr Arbeitnehmer nicht nur einen, sondern zwei oder noch mehr Jobs haben, dann kann man sich ganz schnell vorstellen, dass hierbei viele Arbeitnehmer gegen das Arbeitszeitgesetz verstoßen.
Und seien wir ehrlich – die vielen Arbeitnehmer, die in betriebsrats- und tarifvertragsfreien Zonen arbeiten, werden angesichts des Machtgefälles zu den Arbeitgebern kaum eine realistische Chance bekommen, auf eine Einhaltung der Arbeitszeit zu pochen.

Dabei ist die Realität doch schon längst – und nicht selten muss man anfügen: leider – weiter. Zwei von drei Arbeitnehmern machen Überstunden, so ein Artikel, der über eine neue Studie berichtet: »Viele bekommen die Überstunden weder bezahlt noch durch Freizeit ersetzt. Vor allem ältere Arbeitnehmer klotzen richtig ran«, so Silvia Dahlkamp.

»Über 40 Prozent aller Angestellten bleiben pro Tag im Schnitt eine Stunde länger, 16 Prozent sogar zwei Stunden. Vier Prozent aller Arbeitnehmer gaben an, dass sie sogar eine 65-Stunden-Woche haben. Dabei kommen in großen Firmen und Konzernen im Schnitt mehr Überstunden zusammen als bei Mittelständlern.
Im Alter von 59 Jahren haben die meisten endlich den Überstundengipfel erklommen. Doch kurz vor der Rente wird es nicht etwa ruhiger, im Gegenteil: Dann stehen gerade Altgediente besonders unter Strom, klopfen vier bis fünf Überstunden die Woche oder noch mehr.«

Sie bezieht sich auf Erkenntnisse aus dem Arbeitszeitmonitor 2015, der von dem Portal gehalt.de veröffentlicht worden ist. Auch das IAB berichtet regelmäßig über seine Abschätzung des Überstundenvolumens. Für eine aktuelle Zusammenfassung vgl. den Artikel Ich bleibe heute wieder länger. »In keinem anderen Land im Euroraum machen Arbeitnehmer im Schnitt so viele Überstunden wie in Deutschland. Und nicht einmal die Hälfte der Überstunden wird vergütet.« Dabei geht es hier nur um die Überstunden, die nicht später in Freizeit ausgeglichen werden.
»Unbezahlte Mehrarbeit ist … im Dienstleistungssektor üblicher als in der Industrie. Ferner leisten vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer generell mehr Überstunden als Teilzeitkräfte. Auch bei einem höheren Arbeitslosigkeitsrisiko seien Beschäftigte eher zu Überstundenarbeit bereit.«

Wie die Situation gerade im Dienstleistungsbereich und bei den „Wissensarbeitern“ ist, verdeutlicht eine Tagung, die am 03. Juli 2015 durchgeführt wurde: Fachtagung „Immer schneller – immer mehr. Zeit- und Leistungsdruck bei Wissens- und Dienstleistungsarbeit“, veranstaltet von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Die Folien zu den einzelnen Vorträge kann man dort abrufen.

Fazit: Die „neue“ Debatte über das Arbeitszeitgesetz ordnet sich ein in die allgemeinen Deregulierungsforderungen der Arbeitgeber, die weit darüber hinaus reichen. Neu mag vielleicht sein, dass die Bundesarbeitsministerin auf der Suche ist nach Andockstellen bei den Arbeitgebern, nachdem sie diese mit Mindestlohn, Rente mit 63 und anderem Teufelszeug aus deren Sicht genervt hat. Dafür wäre dann das Arbeitszeitgesetz eine geeignetes Opfer, denn bereits heute kontrolliert man dessen Einhaltung kaum – außer im neuen Kontext des Mindestlohngesetzes.

Aber man sollte und darf an dieser Stelle nie vergessen – auch wenn die Regelungsarchitektur des Arbeitszeitgesetzes aus einer weit zurückliegenden Vergangenheit stammt, in der die Menschen in eine Fabrik oder ein Büro gegangen und wieder rausgekommen sind und Arbeit und Freizeit klar abgegrenzt waren, was sich in Teilbereichen der Arbeitswelt tatsächlich ändert bzw. ändern wird, so muss man doch sehen, dass die arbeitszeitgesetzlichen Regelungen eben auch die Funktion haben (sollten), die Arbeitnehmer zu schützen. Wie man diesen Schutz meint organisieren zu können, dass ist doch die Eine-Million-Euro-Frage. Denn es besteht kein Zweifel – in einem Unternehmen wie Daimler wird die Abstimmung mit dem Betriebsrat kein Problem sein, auch aufgrund der enormen gewerkschaftlichen Verankerung in dem Unternehmen. Aber bei den vielen anderen wird es anders aussehen.

Die gnadenlose Effizienzmaschine hinter Amazon wird gefeiert und beklagt. Und in Polen spürt man die handfesten Folgen, wenn man ein kleines Rädchen in der großen Maschine ist

Amazon wurde vor genau zwanzig Jahren – natürlich stilgerecht in einer kalifornischen Garage – gegründet und ist heute ein Megakonzern mit über 150.000 Mitarbeitern und einem weltweiten Nettoumsatz von 89 Mrd. US-Dollar, 11,9 Mrd. davon in Deutschland. Während in vielen Zeitungen Artikel erschienen sind, in denen der Aufstieg des Unternehmens teils aus skeptischer Distanz, nicht selten aber auch voller Bewunderung für die aggressive Unternehmensphilosophie behandelt wurde (vgl. als nur ein Beispiel von vielen den Kommentar Service-Monster aus Seattle von Caspar Busse), hat Michael Merz sein Geburtstagsständchen überschrieben mit Kein Tag zum Feiern.
Seine kompakte Sichtweise auf die Unternehmensgeschichte verdeutlicht der folgende Passus:

»Vor genau 20 Jahren verkaufte der Amazon-Patriarch Jeff Bezos das erste Buch via Internet. Ursprünglich wollte er seine Firma »Relentless« (englisch für gnadenlos, unerbittlich) nennen, womit er wohl für mehr Authentizität gesorgt hätte. Denn rücksichtslose Expansion kennzeichnen zwei Dekaden Amazon: Westeuropäische Erlöse wurden jahrelang in Luxemburg versteuert, Autoren und Verleger mit schlechten Konditionen geknechtet, etliche Buchläden aufgrund des Preiskampfs in den Ruin getrieben.«

Der Verdrängungswettbewerb werde auch auf dem Rücken der Mitarbeiter ausgetragen, so die Perspektive der Gewerkschaft ver.di. Und über die Arbeitsbedingungen bei Amazon wurde in den zurückliegenden Jahren in den Medien durchaus kritisch berichtet.

Seit zwei Jahren befinden sich Beschäftigte im Arbeitskampf um einen Tarifvertrag. Immer wieder kommt es zu Streiks an den neun deutschen Standorten. Bislang allerdings haben diese Aktionen nicht wirklich Wirkung entfaltet (bzw. aufgrund der Bedingungen vor Ort nicht entfalten können). Ver.di will Verträge nach den Konditionen des Einzel- und Versandhandels durchsetzen. Diese werden weiterhin verwehrt. Das Unternehmen beharrt darauf, in Anlehnung an den schlechteren Logistik-Tarif zu vergüten. Lediglich kleine Verbesserungen gibt es: dezentrale Pausenräume, Klimaanlagen, Wasserspender.

Auf der anderen Seite wird von denjenigen, die Amazon weniger kritisch sehen, immer wieder darauf hingewiesen, dass in den deutschen Logistikzentren – in denen es mittlerweile überall Betriebsräte gibt – der niedrigste Einstiegslohn (in Leipzig) bei 9,75 Euro liegt und damit deutlich über dem gesetzlichen Mindestlohn – und das Amazon tatsächlich relativ vorbehaltlos auch bislang langzeitarbeitslosen Menschen eine Chance gibt. Wenn sie funktionieren, denn die Arbeit der „Picker“ und „Packer“ ist hart und die Leistungsanforderungen hoch und die Beschäftigten werden einem rigiden Controlling unterworfen. Das erklärt teilweise auch die erheblichen Schwierigkeiten der Gewerkschaft, einen Fuß in die Tür der Belegschaft zu bekommen, nicht nur, weil viele befristet arbeiten müssen, sondern gerade die vorher längere Zeit der Arbeitslosigkeit ausgelieferten Mitarbeiter von Amazon sind froh überhaupt wieder eine Beschäftigung bekommen zu haben.

Aber das Unternehmen plant vor und will zum einen gerüstet sein, wenn die Kollektivierungstendenzen in Deutschland stärker werden, vor allem aber, wenn die Kosten weiter gedrückt werden können und müssen, denn das ist in der Unternehmens-DNA von Amazon eingebrannt: Also hat man beispielsweise in der Nähe von Breslau neue Logistikzentren errichtet, die überwiegend in Deutschland lebende Kunden von Amazon bedienen und deren Beschäftigte deutlich „günstiger“ sind als die in Deutschland.

Amazon in Polen (und der Tschechei) – was da nicht was? Bereits  am 25. November 2013 konnte man in diesem Blog eine Aussicht auf das, was jetzt genauere Formen annimmt, lesen: Von „Work hard. Have fun. Make history“ bei Amazon zur Proletarisierung der Büroarbeit in geistigen Legebatterien. Streifzüge durch die „moderne“ Arbeitswelt, so ist der damalige Beitrag überschrieben worden. Dort konnte man den folgenden Passus lesen:

»Eines ist ganz sicher – die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di nervt Amazon mit ihrer impertinenten Forderung nach einem Tarifvertrag für die Beschäftigten in den deutschen Warenverteilzentren des Weltkonzerns. Deshalb lässt Amazon ja auch schon mal sicherheitshalber neue Logistik-Zentren in der Tschechei und Polen errichten – „natürlich“ auf gar keinen Fall mit der Absicht, die Arbeit dann aus dem für Arbeitgeber „anstrengenden“ Deutschland in die angenehmer daherkommenden Ostländer zu verlagern und die Standorte in Deutschland auszudünnen oder gar aufzugeben. Was natürlich nicht für die Belieferung des deutschen Marktes gilt, denn der ist richtig wichtig für Amazon, hier wird Marge gemacht und dass soll auch so bleiben – bereits 2012 hat Amazon in Deutschland 6,4 Milliarden Euro umgesetzt und damit seit 2010 um 60 Prozent zugelegt. Und geliefert werden kann auch aus Polen und der Tschechei.«

Und in einem Beitrag am 10. August 2014 musste dann nachgelegt werden: Amazon mal wieder. Ab in den Osten und zurück mit dem Paketdienst: »Und jetzt, im August 2014, wird klar, dass es bei den neuen Logistik-Zentren in unseren Nachbarstaaten natürlich nicht um die Belieferung des osteuropäischen Marktes geht bzw. wenn, dann nur sekundär, sondern um eine strategische Alternative zu diesen unbotmäßigen und übergriffigen Arbeitnehmern bzw. Gewerkschaften in den deutschen Standorten. Amazon verlangt von deutschen Verlagen, dass sie Bücher verstärkt über ausländische Versandzentren schicken, um als ein Ergebnis daraus die potenziell streikgefährdeten deutschen Logistikstandorte umgehen zu können … Dass der Versender durch seine Umgehungstaktik mittelfristig massiv Arbeitsplätze an seinen deutschen Standorten gefährdet, liegt auf der Hand. Die Löhne in Polen und Tschechien liegen teilweise um mehr als die Hälfte niedriger als in Deutschland.«
Hinsichtlich des letzten Punktes, also des Lohnkostengefälles, muss der damalige Beitrag korrigiert bzw. präzisiert werden. Denn mittlerweile wissen wir mehr über die tatsächlichen Verhältnisse vor Ort, zumindest in Polen, denn dort beginnt man auf der einen Seite zu begreifen, wofür man gebraucht wird und zugleich sprießen erste Pflänzchen der Kollektivierung auch dort.

Darüber berichtet Jörg Winterbauer in seinem Artikel Die „Versklavung“ der polnischen Amazon-Mitarbeiter: »13 Zloty pro Stunde verdienen die Arbeiter: drei Euro. Stühle gibt es nicht, dafür unbezahlte Überstunden. In Polen bekommt Amazon jetzt Ärger mit staatlichen Prüfern – und den eigenen Angestellten.«

Wie immer ist man mit großen Hoffnungen gestartet: »Als Amazon Ende 2014 seine Versandzentren in Polen eröffnete, war die Freude groß. Janusz Piechocinski, der Wirtschaftsminister, bezeichnete die Investitionen als einen „Meilenstein“ für die Wirtschaft Polens. Und Amazon kündigte an, Tausende neue Jobs zu schaffen – in Polen, einem Land mit einer Arbeitslosenquote von etwa zwölf Prozent, wurde diese Nachricht sehr positiv aufgenommen.« Und für das Unternehmen Amazon sind Breslau und Posen ideale Standorte, denn die Kombination aus unmittelbarer geografischer Nähe zu dem riesigen Markt Deutschland und sehr niedrigen Löhnen gibt es so sonst nur noch in Tschechien.
Und hier gleich die Korrektur bzw. Präzisierung des Lohngefälles aus meinem Beitrag vom 10. August 2014:

»Amazon findet in Polen Angestellte für die überwiegend sehr einfachen Tätigkeiten, die in den Amazon-Logistikzentren zu verrichten sind, zu einem Viertel des deutschen Preises: 12,50 Zloty bekommt ein einfacher Lagerarbeiter brutto in Breslau und 13 Zloty in Posen – das sind etwa drei Euro.«

Doch jetzt, nach der Eröffnung und Inbetriebnahme der drei Logistik-Zentren in Polen zeigt sich, dass Amazon Probleme mit staatlichen Behörden und unzufriedenen Angestellten bekommt. Die Staatliche Arbeitsinspektion (PIP), die in Polen die Einhaltung des Arbeitsrechts in den Betrieben kontrolliert, hat eine große Anzahl an Verstößen in Breslau aufgedeckt. Überstunden wurden nicht bezahlt oder bei Abwesenheit wegen Krankheit oder Schwangerschaft wurde – entgegen den gesetzlichen Vorschriften – kein Lohn gezahlt.

Auch »die Gewerkschaften haben unter den Angestellten von Amazon Mitglieder gewonnen und erheben ihre Forderungen. Bei Amazon in Breslau ist vor allem die Gewerkschaft Solidarnosc (Solidarität) aktiv.« Von dieser Seite wird nicht nur die – gerade im Vergleich zu Deutschland – extrem niedrige Bezahlung kritisiert, sondern auch, »dass die Hälfte der Arbeiter bei Amazon über Zeitarbeitsfirmen angestellt seien, die ihre Angestellten „wie Sklaven behandeln“.«

Und der folgende Passus verdeutlicht, dass die neuen Zentren entgegen der Unternehmenspropaganda sehr wohl in einem funktionalen Zusammenhang gesehen werden müssen mit den gewerkschaftlichen „Umtrieben“ in Deutschland und zugleich kann man aber auch eine positive Botschaft der Solidarisierung entnehmen:

»Am 24. und 25. Juni wurden die Schichten für die Arbeiter von zehn auf elf Stunden verlängert, berichtet die PIP. Zu dieser Zeit streikten Angestellte der meisten deutschen Amazon-Versandzentren. In der Nachtschicht vom 24. auf den 25. Juni gab es einen Spontan-Protest in Posen: Ein Teil der Belegschaft verlangsamte die Arbeit in der elften Stunde, um seine Unzufriedenheit mit den Arbeits- und Lohnbedingungen und die Solidarität mit den deutschen Amazon-Angestellten auszudrücken.«

Denjenigen, die mit guten Gründen die Arbeitsbedingungen bei Amazon kritisieren, mag es kein Trost sein sehen zu müssen, dass es den Beschäftigten, auch denen aus der Verwaltung bis zum Management in den USA nicht wirklich besser zu gehen scheint, was vielleicht auch mit erklären kann, warum die Forderungen von ver.di für dieses amerikanische Unternehmen „mysteriös“ daherkommen. So berichtet Christian Rickens in seinem Artikel Wie ein Unternehmen uns alle verändert hat:

»… trotz seiner Größe hat sich Amazon viel von einem Start-up bewahrt. Ein ehemaliger Mitarbeiter spottet sogar, das Unternehmen vereine von beiden Welten das Schlechteste: das Chaos, die langen Arbeitstage und die fehlenden Gewinne eines Start-ups mit der Knickerigkeit und der Bürokratie eines Konzerns.
Noch immer hausen in der Amazon-Zentrale in der Innenstadt von Seattle viele Manager in fensterlosen Arbeitsboxen, die aus rohen Spanplatten zusammengezimmert sind – Verpackungsabfälle aus den Amazon-Logistikzentren. Und weil es hier noch immer keine Kantine gibt, stauen sich um die Mittagszeit die Food Trucks zwischen den Büroklötzen. Von Gratis-Sushi wie bei Google können die Amazon-Mitarbeiter nur träumen. Flüge in der Business Class? Bei Amazon ebenso verpönt wie Powerpoint-Präsentationen.
Vielleicht trägt diese Käfighaltung der Amazon-Mitarbeiter dazu bei, dass das Unternehmen auch nach 20 Jahren nichts von seinem Wettbewerbsgeist verloren hat.«

Aber Amazon hat nicht nur hinsichtlich der Beschäftigungsbedingungen ein dickes Fragezeichen verdient, auch die Auswirkungen des Geschäftsmodells auf den stationären Einzelhandel, auf die vielen Online-Händler, die sich auf dem Amazon-Marktplatz als Heerschar kleiner Handelsameisen verdingen bis hin zu den Kunden, die die Monopolisierung wichtiger Teilbereiche des Online-Handels irgendwann einmal bezahlen werden müssen. Hinzu kommt der Boom der Paketdienste und der enorme Preisdruck, den solche „Mega-Kunden“ wie Amazon hier ausüben kann und das auch tut.

»Dass Jeff Bezos es ernst meint, wenn er, wie er einmal sagte, Geschäftspartner wie »kranke Gazellen« jagt, musste zuletzt die Deutsche Post erfahren. Am Mittwoch wurde kolportiert, Amazon sei dabei, einen eigenen Lieferservice zu installieren – für die Post wäre das ein schwerer Schlag«, so Michael Merz in seinem Artikel.

Hinsichtlich des Kampfes der Gewerkschaft ver.di kann man sich informieren über deren Sicht auf das Unternehmen Amazon auf einer eigenen Webseite unter http://amazon-verdi.de.

Ansonsten sei hier die folgende Reportage aus der Sendereihe ZDFzoom empfohlen, die einen besonderen und kritischen Blick wirft auf das „Ausbeutungssystem“ gegenüber den vielen kleinen Händlern, die sich Amazon unterwerfen (müssen):

ZDFzoom: Die Macht von Amazon. Günstig, aber gnadenlos? (17.06.2015): »Der Online-Handel boomt, allen voran: Amazon. Schon heute wird etwa ein Viertel des gesamten deutschen Onlinehandels von Amazon organisiert. Auch kaum ein Verkäufer kommt am US-Konzern vorbei. Der Grund: Amazon fährt eine Niedrigpreisstrategie, ist Preisbrecher für den Verbraucher. Doch was die Kunden freut, ist für Verkäufer bitter.«