Eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen Debatten, mit denen wir konfrontiert sind, kreist wieder einmal um das Thema „Zukunft der Arbeit“, diesmal angebunden an das Schlagwort von der „Digitalisierung“, der „Roboterisierung“, dem nun aber wirklich eintretenden „Ende der Arbeit“. Ältere Semester werden sich daran erinnern, dass es das alles schon mal gegeben hat. Die Ursprünge reichen Jahrzehnte zurück, selbst bis in die Zeiten und die Werke eines Karl Marx könnte und müsste man zurückgehen, um „technologische Arbeitslosigkeit“ und viele weitere daraus abgeleitete Formen zu verstehen, die in der öffentlichen Debatte immer wieder in Wellen zu beobachten sind. Und immer wieder ist es anders gekommen als man dachte und daraus schöpfen die Skeptiker ihre Abneigung, sich den modischen Infragestellungen unserer Erwerbsarbeitswelt wirklich zu öffnen oder diesen gar zu folgen. Die „Apokalyptiker“ hingegen, die darauf beharren, dass das Ende unserer Arbeitsgesellschaft nun wirklich vor der Haustür steht, verweisen aktuell darauf, dass die Veränderungen diesmal eine ganz andere und neue Qualität haben, die man eben nicht vergleichen kann mit dem, was wir in den 1970er oder 1980er Jahre gesehen haben.
Das führt dann beispielsweise zu solchen Artikeln: Die Digitalisierung macht das Grundeinkommen unumgänglich. Behaupten zumindest die beiden Ökonomen Matthias Weil und Marc Friedrich. Sie sparen nicht mit Superlativen:
»Ein gigantischer – für die meisten noch vollkommen unsichtbarer – Tsunami auf uns zu: die Welle der Digitalisierung, das Ersetzen menschlicher Arbeit durch Maschinen und Computerprogramme. Die Industrialisierung 4.0 wird die Welt grundlegend verändern.«
Und sie versuchen das zu belegen mit illustrativen Schnipseln aus der Welt der Wirtschaft, beispielsweise dass es beim taiwanesischen Apple-Zulieferer Foxconn in einigen Fabriken Produktionsstraßen gibt, in denen keine Menschen mehr arbeiten. Ersetzt wurden die menschlichen Arbeitskräfte durch Roboter. Da ist sie (wieder), die Vision der menschenleeren Fabrik. Auch die Banken dürfen nicht fehlen: »Die Digitalisierung stellt das klassische Bankgeschäft vollkommen auf den Kopf. Keine Bank wird verschont. Filialen werden geschlossen und Stellen massiv abgebaut.« Und mit Blick auf Dienstleistungen, die ja oft als Gegengewicht gegenüber den in der klassischen Industrie wegfallenden Arbeitsplätzen angeführt werden, überschlagen sich die beiden Autoren förmlich:
»Carsharing, Uber, Mytaxi, selbstfahrende Bahnen, Autos und Lkw, Check in und Security Checks am Flughafen ohne Personal – alles bereits Realität oder in der Erprobung. Auch Flugzeuge steuern sich bereits selbst und das selbsttätige Landen stellt für die großen Maschinen kein Problem mehr dar. Die Digitalisierung ist voll in der Dienstleistungsindustrie angekommen. Jobs wie Taxi-, Bus-, LKW-Fahrer, aber auch Piloten werden wir in Zukunft genauso selten vorzufinden sein wie heute Schriftsetzer, Harzer, Hufschmied, Köhler, Wagner.«
Nun sind die beiden Autoren nicht ganz so naiv, nur einen massenhaften Abbau von Arbeitsplätzen in den Raum zu stellen, sie sehen natürlich auch, dass es einige neue geben muss und wird. Mit der Anerkennung dessen wird dann sogleich eine unumstößlich daherkommende Behauptung verbunden:
»Branchenübergreifend werden einerseits Abermillionen Jobs in der Produktion, in der Verwaltung, bei Banken und Versicherungen, und nicht zuletzt im Einzelhandel verschwinden, andererseits werden zahlreiche neue entstehen. Diese werden jedoch zumeist nicht von denen besetzt, welche ihren Job verloren haben.«
Und dann springen die beiden Autoren auf die Ebene „Was tun?“. Sie schreiben dazu:
»… wir (sind) mittlerweile nicht nur Verfechter des Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE), sondern vollkommen überzeugt, dass das BGE kommt. Im Zuge der Industrie 4.0 werden so viele Jobs wegfallen und verhältnismäßig wenige neue Jobs für absolut hochqualifizierte Fachkräfte entstehen, dass wir überhaupt gar keine andere Möglichkeit haben, als das BGE einzuführen.«
Man könnte an dieser Stelle einwenden, sie müssen das auch so schreiben, denn sie haben gemeinsam mit dem langjährigen Apologeten eines bedingungslosen Grundeinkommens, dem Gründer der Drogeriemarktkette dm, also Götz Werner, zusammen ein Buch geschrieben (Matthias Weik und Marc Friedrich zusammen mit Götz Werner: „Sonst knallt´s!: Warum wir Wirtschaft und Politik radikal neu denken müssen“), das im April 2017 erscheinen soll und für das man natürlich ein wenig Werbung machen will.
Aber diese Kritiklinie wäre zu kurz gegriffen, denn das grundlegende Argumentationsmuster findet man ja an vielen anderen Stellen und es hat sich in vielen Medienberichten als unhinterfragbarer Tatbestand verselbständigt.
Und dieser Verselbständigungsprozess eines (scheinbar einleuchtenden) Arguments, dass uns die Erwerbsarbeit für viele Menschen ausgehen muss aufgrund der technisch-ökonomischen Entwicklung, hat aktuell eine seiner Quellen in einer Studie zweier Ökonomen, die bereits im Jahr 2013 veröffentlicht worden ist, die aber bis heute gerne und kontinuierlich in den Raum der Gewissheiten gestellt wird: Es geht dabei um die Studie The Future of Employment: How Susceptible are Jobs to Computerisation? von Carl Benedikt Frey and Michael A. Osborne.
In ihrer Zusammenfassung schreiben die beiden Wissenschaftler: »We examine how susceptible jobs are to computerisation. To assess this, we begin by implementing a novel methodology to estimate the probability of computerisation for 702 detailed occupations, using a Gaussian process classifier. Based on these estimates, we examine expected impacts of future computerisation on US labour market outcomes, with the primary objective of analysing the number of jobs at risk and the relationship between an occupation’s probability of computerisation, wages and educational attainment. According to our estimates, about 47 percent of total US employment is at risk. We further provide evidence that wages and educational attainment exhibit a strong negative relationship with an occupation’s probability of computerization.«
Da ist sie, die Zahl, die seitdem überall herumgeistert. Dass also fast jeder zweite Job wegfallen wird (korrekterweise müsste man an dieser Stelle schon darauf hinweisen, dass die beiden „nur“ das Potenzial für wegfallende Jobs berechnet haben und das auch nur in einer Brutto-Rechnung, also ohne Berücksichtigung der an anderer Stelle entstehenden Jobs und dann auch noch bezogen auf den US-amerikanischen Arbeitsmarkt, der sicher nicht übertragbar ist auf andere Länder wie beispielsweise Deutschland). Eine kritische Auseinandersetzung mit der Fry/Osborne-Studie sowie anderen, teilweise erheblich abweichenden Befunden wurde bereits am 4. Januar 2015 in diesem Blog-Beitrag vorgelegt: Geht uns die Arbeit (doch noch) aus? Zur „Digitalisierung“, der Debatte über „digitale Arbeitslosigkeit“ und den möglichen sozialpolitischen Herausforderungen.
Aber da hat sich was verselbständigt – hier nur ein Beispiel aus der aktuellen Diskussion: „Etwa die Hälfte aller heutigen Arbeitsplätze in der westlichen Welt könnten schon 2030 nicht mehr existieren“, so der Philosoph Richard David Precht und der Informatiker Manfred Broy in ihrem Artikel Daten essen Seele auf vom 9. Februar 2017. Precht und Broy haben sich diese Zahlen nicht ausgedacht, sie berufen sich auf „eine große Studie aus Oxford“. Da ist sie wieder, die Studie.
In einem neuen Artikel wird die angesprochene Frey/Osborne-Studie ebenfalls einer kritischen Prüfung unterworfen – und schon die Überschrift bilanziert das Ergebnis von Max Rauner: Die Pi-mal-Daumen-Studie: »Eine düstere Warnung hat sich verselbstständigt: Angeblich ist jeder zweite Arbeitsplatz durch die Digitalisierung bedroht. Wer bietet mehr?«
Damit legt Rauner den Finger auf eine doppelte Wunde: Es geht nicht nur um die Frage, ob die Studie an sich wirklich zutreffend ist, worüber man sich streiten kann und muss, sondern es geht in Zeiten einer Aufmerksamkeitsökonomie, in der die Medien angetrieben werden, mit möglichst knalligen und zugleich eher negativen Botschaften um das knappe Gut Aufmerksamkeit zu werben, auch darum, dass es einen bewusst-unbewussten Trend gibt, immer noch eine Schippe drauf zu legen, um nicht den Anschluss zu verlieren.
Rauner steht dem Papier der beiden Autoren Frey und Osborne distanziert gegenüber, was man schon an diesen Ausführungen erkennt:
»Die Autoren sind der schwedische Ökonom Carl Benedikt Frey, ein „Roboterversteher“ (FAZ), und der Informatiker Michael Osborne. Wie in dem Spiel „Stille Post“ haben sich die Thesen der beiden verbreitet und sind mitunter nicht wiederzuerkennen. Die Studie spukt durch die Öffentlichkeit wie ein Schlossgespenst.«
Und dann formuliert er seine methodische Kritik an dem Vorgehen von Frey und Osborne:
»Frey und Osborne stellten eine Liste von 702 Berufen in den USA zusammen, für die das amerikanische Arbeitsministerium ausführliche Tätigkeitsbeschreibungen veröffentlicht hat. Dann luden sie zehn Robotik- und Computerforscher zum Tee ein (genauer: zu einem Workshop) und diskutierten mit ihnen darüber, welche dieser vielen Berufe wohl automatisierbar wären und welche nicht. Die Einschätzung basiere auf „eyeballing“, heißt es in aller Offenheit, in Deutschland würde man sagen: Pi mal Daumen. Die Experten waren sich bei 70 Berufen ziemlich sicher, bei dem Rest nicht. Dann bezifferten Frey und Osborne, wie viel Kreativität, soziale Kompetenz, Fingerfertigkeit und Routinetätigkeit diese 70 Jobs erfordern. Und mit ein bisschen Mathematik verallgemeinerten sie die Schätzung auf alle 702 Berufe. Das Ergebnis ist ein Ranking, dessen hinterer Teil eine Rote Liste der bedrohten Berufe ist.«
Da muss der unbefangene Beobachter doch ins Grübeln kommen, ob man auf so einer Basis wirklich mit den Zahlen hantieren sollte. Doch die Erregungsmaschine ist nicht mehr aufzuhalten.
Rauner zitiert auch einzelne Kritikpunkte aus der sozialwissenschaftlichen Forschung zu dem überaus komplexen und wie generell bei Zukunftsthemen unsicheren Gebiet:
»Sozialwissenschaftler haben den naiven Technikdeterminismus längst hinter sich gelassen und erkannt: Wenn Handarbeit durch Maschinen ersetzt wird, werden die Handarbeiter nicht automatisch arbeitslos. Das Phänomen ist als „Ironie der Automatisierung“ bekannt: Je stärker eine Fabrik automatisiert wird, desto schwieriger lassen sich Störungen erkennen und beheben – und die gibt es immer. Die Fabrik braucht also nicht weniger, sondern besser qualifizierte Arbeiter, die trotz automatisierter Abläufe noch durchblicken. Außerdem zeigen Studien: Firmen, die in Informationstechnik investieren, sind nicht zwangsläufig produktiver. Warum? „Weil Firmenchefs einzelne Arbeitsschritte durch Automaten ersetzen, dabei aber vergessen, das ganze Gefüge aus Technik und Arbeit neu zu organisieren“, sagt Hartmut Hirsch-Kreinsen. Die Forscher reden vom „Produktivitätsparadox“. Die menschenleere Fabrik, sagt der Soziologe, „ist eine Illusion“.«
Das sei hier fairerweise angemerkt: Es soll keineswegs geleugnet werden, dass die Apokalyptiker nicht auch mal Recht behalten können und es diesmal viel schlimmer kommen wird, als in der Vergangenheit gesehen. Aber ein Aspekt ist wirklich relevant: Der Widerstand gegen einen Determinismus dergestalt, dass das alles „über uns“ kommen wird:
»Es geht darum, dass die Automatisierung der Arbeitswelt kein Schicksal ist, sondern, wie Hirsch-Kreinsen sagt, ein „Gestaltungsprojekt“. Unternehmen können so vorgehen wie Amazon, also Digitaltechnik zur Kontrolle der Belegschaft einsetzen. „Ein Negativbeispiel“, sagt der Soziologe. Oder sie nehmen sich die Maschinenbauindustrie zum Vorbild, die mit künstlicher Intelligenz das Zusammenspiel von Arbeiter und Maschine verbessert. Die Automatisierung der Fabrik ist kein Automatismus. Sie lässt sich gestalten.«
Diese Erkenntnis geht unter, wenn man Prognosen wie die von Frey und Osborne als Naturgesetz missversteht.