Arme Rentner heute schon und morgen viel mehr von ihnen, wenn (nicht) … Von der plausiblen Sicht auf das, was kommen wird und dem, was man eigentlich machen müsste

Die gegenwärtige Rentendiskussion erweist sich als ein echtes Minenfeld. Da wird auf der einen Seite das Bild einer unglaublichen Belastung der jungen Menschen durch die rentenpolitischen Vorhaben der derzeit noch im Geburtskanal feststeckenden Großen Koalition an die Wand gemalt, während die großen Koalitionsparteien die von ihnen geplanten Schritte wie den Ausbau der „Mütterrente“ oder die „Rente mit 63“ (nach 45 Versicherungsjahren) als „Gerechtigkeitsdurchbruch“ feiern. Und die als Fusionsergebnis aus der sozialdemokratischen „Solidarrente“ und der von der Leyen’schen „Lebensleistungrente“ in Aussicht gestellte „solidarische Lebensleistungsrente“ (ein hübsch daherkommendes semantisches Vereinigungskind) in Höhe von 850 Euro unter ganz bestimmten Voraussetzungen wird als Meilenstein der Bekämpfung der Altersarmut gefeiert. Doch unter der Oberfläche wächst das Problem und wie auf einer schiefen Ebene werden zahlreiche Menschen in die Altersarmut rutschen, wenn man a) nichts verändert und/oder b) lediglich kosmetische Korrekturen vornimmt.

Über das Thema „Altersarmut“ wird ja nun schon seit längerem diskutiert und gestritten. Aus der Flut an Veröffentlichungen hierzu seien nur einige wenige herausgegriffen: Unter der Überschrift „Immer mehr arme Alte“ erfahren wir beispielsweise:

»2012 konnten 465.000 Menschen in Deutschland nicht von ihrer Altersrente leben und mussten zusätzlich Leistungen aus der Grundsicherung beantragen … Im Vergleich zu 2005 liegt der Anstieg bei 35,6 Prozent. Aktuell sind demnach 2,7 Prozent der über 65-Jährigen aufs Sozialamt angewiesen, vor acht Jahren waren es noch 2,2 Prozent. Und wenn man die dauerhaft Erwerbsgeminderten hinzunimmt, denen die Erwerbsunfähigkeitsrente ebenfalls nicht zum Leben reicht, erhalten derzeit knapp 900.000 Menschen in Deutschland Grundsicherung – so viele wie niemals zuvor.«

Vorangestellt sei hier die Anmerkung, dass man beachten muss, dass es sich hier um die offiziellen Inanspruchnahmezahlen handelt, also die „verdeckt“ altersarmen Menschen, die aus welchen Gründen auch immer keine ihnen eigentlich zustehenden Leistungen beziehen, hier nicht auftauchen. Neben solchen Aspekten wie Scham oder Unkenntnis über die Ansprüche werden auch diskutiert die im Vergleich zum Arbeitslosengeld II strengeren Vorschriften zur Vermögensanrechnung oder auch die Definition angemessenen Wohnraums, denn möglicherweise beantragten viele bedürftige Ältere auch deshalb keine Grundsicherung, weil sie fürchten, das Amt könnte auf dem Umzug in eine billigere Wohnung bestehen. Dabei geht es um eine zu nicht zu vernachlässigende Größenordnung:

»Die Sozialwissenschaftlerin Irene Becker hat im vergangenen Jahr … den Anteil derer hochgerechnet, die im Alter aus Unkenntnis oder Scham auf die ihnen zustehende Grundsicherung verzichten. Ihr erschreckender Befund: Es handelt sich um gut zwei Drittel der Anspruchsberechtigten. Die „Quote der Nichtinanspruchnahme“ betrage, fußend auf den Daten des Sozio-Ökonomischen Panels für das Jahr 2007, etwa 68 Prozent. Von gut einer Million Menschen über 65, denen Grundsicherung zustand, hätten nur 340.000 das Geld tatsächlich bezogen.«

Schaut man bei den gegebenen Zahlen zur Altersarmut genauer hin, dann kann man erkennen: Zum einen sind von der Zunahme der Altersarmut vor allem Rentner der alten Bundesländer betroffen. Und am stärksten trifft es westdeutsche Frauen im Rentenalter. Durchaus hilfreich ist die folgende Diagnose der gegenwärtigen Altersarmut für die weitere Diskussion: »Momentan trifft das Problem der Altersarmut, das zeigen die Zahlen, vor allem Frauen, die Kinder erzogen, dadurch länger im Job pausiert und wenig in die Rentenkasse eingezahlt haben.« Diese Frauen haben in der Regel eigene Rentenansprüche in Höhe von 500 Euro oder weniger und werden in einer „prekären Zone“ der Stabilität gehalten, so lange sie mit ihrem Partner leben und man die gemeinsame Alterssicherung in einen Topf werfen kann. Oftmals rutschen die Frauen dann aber auch in die offizielle Altersarmut, wenn der Partner verstirbt und man nur noch Anspruch auf die erheblich reduzierten abgeleiteten Ansprüche hat.

Mit Blick auf das, was auf uns zukommt, ist die folgende Aussage relevant: »Die Rentenkürzungen zeigen Wirkung, die Erwerbsbiografien sind brüchiger geworden, immer mehr Menschen arbeiten in Billigjobs. Die Auswirkungen all dessen werden sich, wenn nicht gegengesteuert wird, in den nächsten Jahren und Jahrzehnten noch massiver zeigen.« Hier deutet sie sich an, die Rutschbahn für viele Menschen.
Und das liegt neben den angedeuteten Veränderungen im Sinne von Verschlechterungen auf dem Arbeitsmarkt und in den zunehmend fragmentierter werdenden Erwerbsbiografien vieler Menschen

  • zum einen an der tradierten, weil mit den genannten Veränderungen zunehmend konfligierende Konstruktionslogik der gegebenen umlagefinanzierten Rentenversicherung
  • und zum anderen und vor allem an einer politischen Grundsatzentscheidung mit erheblichen Verwüstungseffekten: Gemeint ist die drastische Senkung des Rentenniveaus um fast 20% von 53 Prozent Anfang des Jahrtausends auf perspektivisch nur noch 43 Prozent in den 2030er Jahren im Kontext der „Rentenreformen“, die von der damaligen rot-grünen Bundesregierung ins Leben gerufen und seitdem nicht in Frage gestellt wurden.

Werfen wir einen Blick auf die Mechanik der (im Grunde recht einfach gestrickten) Rentenformel zur Bestimmung der zu erwartenden Brutto-Monatsrente (die um Beiträge zur Krankenversicherung der Rentner und den (im übrigen vollen) Beitrag zur Pflegeversicherung gemindert wird):

Jetzt rechnen wir mal den „Eckrentner“, diese fast schon mystische Figur
des deutschen Rentenrechts, mit 45 Beitragsjahren, in dem immer das durchschnittliche Arbeitsentgelt der in der Gesetzlichen Rentenversicherung versicherten Arbeitnehmer verdient wurde und der das gesetzlich festgelegte Renteneintrittsalter erreicht hat, bevor er in den Ruhestand wechselt, also keine Abschläge in Kauf nehmen muss:

45 x 1 x1 x 28,14 Euro = 1.266,30 Euro/Monat

Das ist also die Brutto-Monatsrente in heutigen Werten für den „Idealtypus“ des deutschen Rentenrechts. Aber wehe den „Abweichlern“. Ganz schnell nach unten geht es für diejenigen, die unter dem Durchschnitt verdient haben, denn deren Entgeltpunkte schmelzen dahin wie Butter in der Sonne – und man darf und soll an dieser Stelle durchaus denken an die vielen, die sich in dem expandierenden Niedriglohnsektor herumschlagen müssen. Und die sind oftmals auch noch überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen oder müssen frühzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden, weil sie nicht mehr können. Dann ist Schicht im Schacht.

Illustrieren wir die rentenpolitische Dramatik der absehbaren, weil heute schon angelegten Rutschbahn in die Altersarmut an einem Beispiel, das deshalb herausgegriffen wird, weil es andockt an eine andere höchst konfliktäre Debatte in unserem Land: dem Mindestlohn und der diesem zugeschriebenen Funktion einer „Armutsvermeidung“. Die kann und muss man aus unterschiedlichen Perspektiven untersuchen, darunter ist auch der Blick auf die notwendige Höhe eines solchen Mindestlohnes, um eine Rente zu generieren, die das Niveau des Existenzminimums erreicht. Hierzu hat Johannes Steffen eine instruktive Ausarbeitung im April 2013 veröffentlicht: „Ein Mindestlohn für Arbeit und Rente. Erforderliche Höhe eines existenzsichernden Mindestlohns„. Hier die zusammenfassende Darstellung seiner Berechnungsergebnisse, die in der Publikation belegt und nachvollzogen werden können:

Ein Mindestlohn von derzeit 7,95 Euro – mit dem man bei Vollzeitarbeit (!) den aufstockenden Bezug von Arbeitslosengeld II bei einer alleinstehenden Person vermeiden könnte – reicht aber nicht aus, um nach 45 Beitragsjahren auch eine Altersrente in Höhe des Existenzminimums zu erreichen. Bei einer 37,7-Stunden-Woche bräuchte man derzeit bereits einen Stundenlohn von 10,40 Euro für eine existenzsichernde Altersrente. Nun muss man allerdings – was Steffen macht – berücksichtigen, dass nach der bestehenden Rechtslage das Rentenniveau weiter abgesenkt wird. Wenn man das in Rechnung stellt, dann bleibt das »nicht ohne Konsequenzen für die erforderliche Höhe des Mindestlohns. Zur Wahrung einer existenzsichernden Rente müsste dieser bis zum Jahr 2026 um 55 Prozent auf 16,12 Euro steigen.« Und damit nicht genug: »Der nach heutigen Werten fürs Alter als existenzsichernd ermittelte Mindestlohn von 10,40 Euro erwiese sich im Nachhinein – also aus Sicht des Jahres 2026 – als zu niedrig«, schreibt Steffen in seiner Analyse. »Rückblickend wäre im Jahr 2013 demnach ein Mindestlohn von 11,31 Euro erforderlich gewesen. Der Grund für den Wertverlust des aus heutiger Sicht mit 10,40 Euro noch ausreichend hohen Mindestlohns liegt in dem künftig deutlich niedrigeren Rentenniveau.«

Was tun? Das werden sich viele fragen angesichts dieser Zusammenhänge und prima facie frustrierenden Aussichten. Denn eines sollte erkennbar geworden sein: Wenn wir die Sache so laufen lassen, wie sie sich derzeit darstellt, dann rutschen Millionen Menschen in die definitive Altersarmut. Auch zu dieser Frage hat sich der Rentenexperte Johannes Steffen in einer Anfang dieses Jahres veröffentlichten Publikation geäußert: „Reformvorschläge für die Rente. Die Wirkung ausgewählter Instrumente und Maßnahmen auf die Höhe der Renten im Rentenbestand, beim Rentenzugang und für Rentenanwartschaften„. Aus dieser umfangreichen Ausarbeitung sei an dieser Stelle nur der folgende Hinweis im Kontext der Mindestlohndiskussion zitiert – wohlgemerkt aus einer Vielzahl von möglichen Maßnahmen:

»Ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn kann (unabhängig von seiner konkreten Höhe) immer nur künftige Rentenanwartschaften erhöhen. Niedrige Löhne und damit niedrige Rentenanwartschaften, die in der Vergangenheit liegen, werden nicht erfasst. Ein Mindestlohn braucht also eine jahrzehntelange Vorlaufzeit, um sich auch in der Rente nachhaltig bemerkbar machen zu können.«

Deshalb braucht er ein rentenpolitisches Pendant:

»Über die sogenannte Rente nach Mindestentgeltpunkten … wird der Durchschnitt der Entgeltposition aus niedrigen Pflichtbeitragszeiten auf das 1,5-fache ihres tatsächlichen Wertes, maximal auf 75 Prozent des Durchschnittsentgelts (also maximal 0,75 EP/Jahr) angehoben. Die Regelung ist derzeit allerdings begrenzt auf vor 1992 liegende Pflichtbeitragszeiten mit einer niedrigen Entgeltposition; die Bedeutung der Regelung nimmt daher mit jedem neuen Rentenzugangsjahr ab. Eine Verlängerung des Instruments auf nach 1991 liegende Zeiten mit niedrigem Entgelt würde bei künftigen Rentenzugängen gerade die zurückliegenden Anwartschaften erfassen und gehört insoweit als zweite Seite der Medaille zwingend zu einem gesetzlichen Mindestlohn dazu. Bei einer völligen Entfristung könnten auch künftige Anwartschaften erfasst werden. Dies wäre erforderlich, sofern die Höhe eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns – bei typisierender Betrachtung einer erwerbslebenslangen, vollzeitnahen Beschäftigung – nicht zu einer Nettorente oberhalb des Existenzminimums führt.«

Eigentlich ist aber klar, dass wir aus einer grundsätzlichen Perspektive noch weiter gehen müssen: Das bisherige System der Rentenversicherung, vor allem der Finanzierung dieses Systems, kommt immer mehr an seine Grenzen. Die Finanzierung aus lohnbezogenen Beiträgen – und die auch noch begrenzt bis zur Beitragsbemessungsgrenze, was dazu führt, dass die darüber liegenden Einkommen mit keinem Cent zur Finanzierung der Rentenversicherung herangezogen werden – erweist sich als Achillesferse des Systems – im Zusammenspiel mit der politischen Entscheidung, dass Rentenniveau so drastisch abzusenken.

Im Kontext der sich verändernden Bedingungen brauchen wir dem Grunde nach dreierlei:

  • Zum einen muss eine deutliche Verbesserung der Situation der Geringverdiener im Alterssicherungssystem erreicht werden. Es darf und muss an dieser Stelle darauf aufmerksam gemacht werden, dass erst jüngst die OECD eine fundierte Kritik an die deutsche Adresse geschickt hat: »Eine neue OECD-Studie warnt vor der zunehmenden Altersarmut in Deutschland: Geringverdiener werden künftig prozentual so wenig Rente beziehen wie in kaum einem anderen Industriestaat«, so müssen wir es in dem Artikel „Deutschland vernachlässigt arme Rentner“ lesen. »Nach derzeitigem Stand würden „die Rentenbezüge für Menschen mit verhältnismäßig kleinem Gehalt gegen Mitte dieses Jahrhunderts so niedrig sein wie in kaum einem anderen OECD-Land“, sagte die Leiterin der Abteilung für Sozialpolitik, Monika Queisser.« Nicht umsonst haben Länder wie die Schweiz eine „Mindestrente“ innerhalb ihres Alterssicherungssystems, die letztendlich auf einem großen System der Umverteilung von oben nach unten basiert.
  • Damit eng verbunden ist ein Finanzierungssystem der Zukunft, das wir bereits heute beispielsweise in der Schweiz vorfinden können: Notwendig ist die Einbeziehung aller in ein Alterssicherungssystem der Zukunft und um die notwendige Umverteilung von oben nach unten realisieren zu können, benötigen wir zumindest eine Finanzierung aus dem gesamten zu versteuernden Einkommen und nicht nur aus dem Faktor legale sozialversicherungspflichtige Arbeit.
  • Und drittens wird die bereits heute erkennbare und funktionierende Rutschbahn nach unten für Millionen Arbeitnehmer nur dann aufzuhalten sein, wenn man die Entscheidung zur massiven Absenkung des Rentenniveaus wieder rückgängig macht. So viel können selbst Normalverdiener – also die eigentlichen Leistungsträger unseres Landes – gar nicht verdienen, um unter den gegebenen Absenkungsbedingungen eine Rente zu erwirtschaften, die deutlich über dem Grundsicherungsniveau liegen wird in der ferneren Zukunft.

Genau für solche Fragen und daran geknüpften Entscheidungen bräuchte man eine Große Koalition. Allerdings eine, die ihre historische Aufgabe erkennt, aber keine des „muddling through“.

Eine harte Packung: Ungleichheit und soziale Polarisierung im Spiegel neuer Zahlen

Es gibt sie, diese Tage, an denen man förmlich bombardiert wird mit Zahlen und Aussagen, die auf fundamentale gesellschaftliche Entwicklungslinien verweisen. So ein Tag fängt beispielsweise an mit einer solchen Botschaft: Das Statistische Bundesamt bringt es in der für die Bundesstatistiker so typisch trockenen Art und Weise, aber zugleich absolut zutreffend schon in der Überschrift der Pressemitteilung über den neuen „Datenreport 2013“ auf den Punkt: „Mehr Jobs, aber auch mehr Armut„. Die Süddeutsche Zeitung titelt dazu: ”Reiches Deutschland, armes Deutschland“ und Spiegel Online gar: „Arme Deutsche sterben früher„. Eine Zusammenfassung einiger ausgewählter Aspekte aus dem neuen „Datenreport 2013“ kann man auf der Facebook-Seite von „Aktuelle Sozialpolitik“ nachlesen.

Aber damit noch nicht genug: „Deutschland vernachlässigt arme Rentner„, so berichtet Spiegel Online über eine neue OECD-Studie, die Online-Ausgabe der Welt überschreibt einen Artikel dazu mit: „Geringverdiener bekommen ein Rentenproblem„. Was ist hier los?

Die OECD hat eine neue Studie vorgestellt, aus der wir für Deutschland die folgende Perspektive entnehmen können: Nach derzeitigem Stand würden „die Rentenbezüge für Menschen mit verhältnismäßig kleinem Gehalt gegen Mitte dieses Jahrhunderts so niedrig sein wie in kaum einem anderen OECD-Land“, sagte die Leiterin der Abteilung für Sozialpolitik, Monika Queisser. Die Ökonomen der OECD analysieren die Lebensstandardänderung beim Eintritt in den Ruhestand. Die wird gemessen an den so genannten „Ersatzraten“:

»Sie zeigen an, wie hoch die Bezüge von Rentnern im Verhältnis zu ihrem früheren Einkommen in Zukunft liegen werden. Im Schnitt aller 34 Länder liegt die Rate bei 54 Prozent des Bruttoeinkommens. Wer in Deutschland 2012 zu arbeiten beginnt und sein Leben lang Rentenbeiträge zahlt, kann laut OECD später 42 Prozent seines durchschnittlichen Bruttoeinkommens erwarten. Das ist nicht einmal halb so viel wie beim Spitzenreiter Niederlande, der auf eine Ersatzrate von stolzen 89 Prozent kommt.«

Immerhin bekommt man in Deutschland mehr als in Großbritannien, wo Durchschnittverdiener nur knapp ein Drittel ihres früheren Einkommens erhalten.

Allerdings: Das sind die Durchschnittswerte. Und die Daten für die Geringverdiener zeigen für Deutschland ein weitaus schlechteres Bild:

»Deutlich schlechter sieht der Vergleich jedoch bei Geringverdienern aus, die nur über die Hälfte des durchschnittlichen Einkommens verfügen. Sie erhalten laut Studie in den meisten OECD-Ländern deutlich höhere Ersatzraten als Durchschnittsverdiener und werden somit vor Altersarmut geschützt. In Dänemark bekommen Niedrigverdiener 121 Prozent ihres früheren Einkommens, in Israel sind es 104 Prozent. Ganz anders in Deutschland: Hier erhalten Geringverdiener genauso wie der Durchschnitt nur 42 Prozent ihres Einkommens. Damit landet Deutschland noch hinter Polen (49 Prozent) auf dem letzten Platz.«

Nun wird an dieser Stelle immer wieder kritisch angemerkt, dass der Lebensstandard nicht nur von der Rente abhängig sei, sondern beispielsweise auch von Vermögenstatbeständen wie dem Besitz eines Hauses oder einer Eigentumswohnung. Doch auch da sieht es im internationalen Vergleich für einen Teil der in Deutschland lebenden Menschen nicht gut aus:

»So profitiert nur jeder zweite Deutsche im Ruhestand vom eigenen Haus oder der eigenen Wohnung. Im OECD-Schnitt sind es dagegen 76 Prozent.«

Und auf die immer wieder beschworenen Umverteilungseffekte staatlicher Leistungen kommen nicht berauschend daher:

»Staatliche Leistungen erhöhen das Einkommen der deutschen Rentnergeneration um durchschnittlich 30 Prozent, zehn Prozentpunkte unter dem OECD-Schnitt.«

Derzeit – gleichsam als Folgewirkung der „alten“ Erfolgsstory Rentenversicherung steht Deutschland nicht gut da beim Thema Altersarmut. Allerdings:

»Der (neue) Datenreport 2013 zeigt aber, dass die Armutsgefährdung gerade bei älteren Deutschen in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen hat.«

Die OECD weist darauf hin, dass viele Länder anders als Deutschland die Geringverdiener bei ihren Sparbeschlüssen verschont haben.

Was zu tun wäre? Ein relativ naheliegendes Konzept wäre die Besserstellung der Geringverdiener in der Rentenversicherung. Also eine stärkere Umverteilung innerhalb der Rentenversicherung. Wir hatten in der Vergangenheit solche Umverteilungselemente, die mittlerweile abgeschafft worden sind, beispielsweise die Rente nach Mindesteinkommen. Eine Mindestrente wäre die logische Antwort auf diese Entwicklungen. Beispielsweise.

Die zunehmende Altersarmut ist gefühlt sicher, die Gewerkschaften wollen ein Vorsorgelager anlegen und die Beitragszahler sollen den Müttern (und dem Bundeshaushalt) was Gutes tun

Es ist schon ein mehrfach verschachteltes Trauerspiel, das mit und um die Rente aufgeführt wird. Was waren das noch für Zeiten, als beispielsweise in den 1980er Jahren mehr als 90% der Menschen der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung vertraut haben. Innerhalb weniger Jahre ist es interessierten Kreisen in den 1990er Jahren gelungen, dieses bis dahin stabile Vertrauensfundament in der Bevölkerung grundlegend zu zerstören. Das Wort „Rentenreformen“ steht mittlerweile paradigmatisch für das Gegenteil von dem, was in der Vergangenheit im politischen Raum eigentlich mal mit „Reform“ verbunden war: Umgestaltung und Verbesserung bestehender Verhältnisse, wobei die Verbesserung hier zu unterstreichen wäre. Statt dessen hat „Reform“ heute fast ausschließlich die Bedeutung eines zumeist technokratisch daherkommenden Kürzungsprogramms. Viele empfinden mittlerweile im sozialpolitischen Bereich nur die Erwähnung des R-Wortes als Bedrohungsszenario. Und Hand aufs Herz: Sie haben meistens auch allen Grund dazu.

Während die einen – denen es um eine Dekonstruktion der umlagefinanzierten gesetzlichen Rente geht mit dem Ziel der Erschließung neuer Geschäftsfelder im Bereich der individualisierten privaten Altersvorsorge – die komplexen Prozesse der demografischen Entwicklung instrumentalisieren, um die Rentenversicherung sturmreif zu schießen (ohne natürlich auf den tiefen demografischen Treibsand der Kapitaldeckung hinzuweisen), herrscht immer noch bei nicht wenigen Versicherten ebenfalls eine Illusion hinsichtlich der Funktionsweise einer umlagefinanzierten Rentenversicherung. Die folgt eben nicht dem „Sparkassen-Modell“, die aktuellen Beiträge werden nicht angespart auf einem imaginären Rentenkonto, sondern direkt an die derzeit vorhandenen Rentner weitergeleitet. Und auf dem Rentenkonto der heutigen Beitragszahler sammeln sich Ansprüche darauf an, dass es in Zukunft mal vergleichbar ablaufen wird, worauf man hoffen darf, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Trotzdem glauben immer noch viele Versicherte, es handelt sich irgendwie doch um ein Ansparmodell „ihres“ Geldes.

In dieser Gemengelage muss dann wieder mal aus den Tiefen und Untiefen der Altersvorsorgeberichterstattung zitiert werden: „Die Angst vor Altersarmut wächst„, so hat Stefan Sauer seinen Artikel in der Online-Ausgabe der Frankfurter Rundschau überschrieben. Mittlerweile gehen 42 Prozent der Beschäftigten nach einer Erhebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes davon aus, dass ihre Rente zum Leben nicht ausreichen wird. Das sind vier Prozentpunkte mehr als noch 2012. Er bezieht sich hier auf die Ergebnisse einer Umfrage unter 5.800 Personen, die der DGB veröffentlicht hat: „So beurteilen die Beschäftigten die Rentenlage. Ergebnisse der Repräsentativumfrage des Instituts DGB-Index Gute Arbeit 2013„. Nun handelt es sich um Umfrageergebnisse und so sollte man die auch verstehen – insofern ist die Aussage auf dem Titelblatt der DGB-Veröffentlichung „42 Prozent werden von ihrer gesetzlichen Rente nicht leben können“ schlichtweg Unsinn, denn die glauben das – aber es könnten auch mehr oder eben weniger sein. Das ist jetzt keine Nörgelei, denn letztendlich bewegt sich die Qualität von solchen „Untersuchungen“ dann auf einem vergleichbar problematischen Niveau wie die immer wieder gerne verrissenen „Umfragen“ der anderen Seite, also der Finanzindustrie.

Apropos Finanzindustrie. Auch die hat sich mit den Ergebnissen einer Umfrage an die Öffentlichkeit gewandt, die zu unserem Themenfeld passt: Die vom Allensbach-Institut durchgeführte Postbank Studie „Altersvorsorge in Deutschland 2012/2013„.

  • Einige zusammenfassende Ergebnisse aus der Postbank-Studie: Die anhaltend niedrigen Zinsen hinterlassen Spuren bei der Bereitschaft der Bundesbürger zur Altersvorsorge. Knapp die Hälfte aller Berufstätigen will die private Altersvorsorge auch deshalb nicht mehr erweitern. Und bei denen, die noch weiter privat vorsorgen wollen, sind Immobilien gefragter denn je. Auf den Plätzen zwei und drei der Beliebtheitsskala beim Vorsorgeausbau liegen hinter dem Eigenheim zwei weitere Formen des „Betongolds“: Der Abschluss eines Bausparvertrages sowie der Erwerb von Immobilien zur Vermietung. Lebensversicherungen haben stark an Ansehen verloren. Die Pläne der Berufstätigen sind eindeutig: Nur noch fünf Prozent planen eine klassische Lebensversicherung mit Kapitalauszahlung abzuschließen. Und auch für eine private Riester-Rente interessieren sich nur noch neun Prozent der Berufstätigen, die ihre Altersvorsorge ausbauen wollen. Seit 2003 ist der Kreis der Berufstätigen, die nicht vermehrt vorsorgen wollen, um fast 60 Prozent gewachsen – auf den bisher höchsten in zehn Jahren gemessenen Stand. Die Fokussierung auf den Erwerb von Wohneigentum schlägt sich auch auf der Erwartungsseite nieder: Der Ruf nach stärkerer staatlicher Unterstützung beim Eigenheimerwerb wird laut. Fast 40 Prozent der Berufstätigen fordern dies. 89 Prozent der Befragten sehen Altersarmut künftig weiter zunehmen. 

Ein Befund aus der Postbank-Studie sei an dieser Stelle hervorgehoben: »…  zwei von drei Deutschen halten es … für falsch, die Rentenbeiträge, trotz der aktuellen Überschüsse in der Rentenkasse, zu kürzen«. Hier ist ein interessanter Link zu den Forderungen, die aktuell vom DGB vorgetragen werden. So wird Annelie Buntenbach vom DGB-Vorstand mit den folgenden Worten zitiert:

»Die Altersarmut, die uns in Zukunft droht, ist vermeidbar, wenn der Rentenversicherungsbeitrag nicht weiter gesenkt, sondern eine solidarische Demografie-Reserve in der gesetzlichen Rentenversicherung aufgebaut wird. Der Beitragssenkungsstopp hat oberste Priorität, denn der Rentenbeitrag für das nächste Jahr muss noch im Herbst festgelegt werden. Wenn die in wenigen Jahren ohnehin notwendige Beitragsanhebung in kleinen, paritätischen Schritten vorgezogen wird, kann zumindest das heutige Rentenniveau auf lange Sicht finanziert und die Erwerbsminderungsrente armutsfest gemacht werden.«

In diesem Zusammenhang interessant: „Ökonom fordert Rückbesinnung auf gesetzliche Rente„, so berichtet es die Online-Ausgabe der Welt.  Rudolf Zwiener, Volkswirt am Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, wird mit den Worten zitiert: »Die Auswirkungen der Niedrigzinsphase auf die privaten Rentenversicherungen machen deutlich, dass es falsch war, die gesetzliche Rente schrumpfen zu lassen und darauf zu setzen, dass die private Altersvorsorge die Lücke auffangen werde.« Geringverdienern oder Menschen, die erwerbsunfähig werden, fehle ohnehin das Geld für ein privates Sparprodukt. In körperlich belastenden Berufen wie auf dem Bau oder in der Pflege werde zudem das auf 67 erhöhte Renteneintrittsalter nicht erreicht. Auch wer mehr verdient, habe von den beiden kapitalgedeckten Rentensäulen, der privaten Altersvorsorge und den Betriebsrenten, vergleichsweise wenig – wenn man davon ausgeht, dass das niedrige Zinsniveau länger anhalten wird. Das bedeutet weniger Rendite auf den Kapitalmärkten und zugleich wollen die privaten Anbieter von Altersvorsorgeprodukten auch noch Kosten und vor allem ihre Gewinne abschöpfen.

Zwiener plädiert für eine Stärkung der umlagefinanzierten gesetzlichen Rente: »Um zwei Prozent höhere Beitragssätze für Angestellte und Arbeitgeber über 20 Jahre reichten aus, um das jetzige Rentenniveau zu halten – trotz Bevölkerungsentwicklung. „Jetzt zahlt ein junger Arbeitnehmer deutlich mehr: Die private Rente zahlt er komplett allein und bei vielen Betriebsrenten sinkt der Arbeitgeberanteil.“ Zudem benötige er noch eine zusätzlich Absicherung gegen Berufsunfähigkeit.«

Aber noch ist nicht Schluss – es fehlen noch die Mütter. Und auch an diesem Beispiel kann man die Verwirrungen in der rentenpolitischen Debatte studieren: „Union will Mütterrente ohne Steuergeld bezahlen„, so Rainer Woratschka im Tagesspiegel. 6,5 Milliarden Euro kostet es zwar pro Jahr, wenn sich künftig, wie versprochen, für jedes vor 1992 geborene Kind die Rente des erziehenden Elternteils um einen Entgeltpunkt erhöht. Aber dafür brauche man keine Steuererhöhungen, weil man überhaupt keine Steuermittel brauche – die aus Beiträgen finanzierte Rentenkasse sei doch prall gefüllt. Die Politiker – unter ihnen der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundesstagsfraktion Volker Kauder – haben ihre begehrlichen Blicke geworden auf die Rekord-Rücklage der Gesetzlichen Rentenversicherung von derzeit mehr als 28 Milliarden Euro. Dies entspricht 1,58 Monatsausgaben – gesetzlich vorgeschrieben ist lediglich eine Reserve von 0,2. Allerdings sollte die Betonung auf dem Wort „derzeit“ liegen, denn diese Rücklagen können auch ganz schnell wieder zusammenschmelzen. Aber das ist gar nicht der entscheidende Einwand – sondern dass es sich um Beitragsmittel der Versicherten handelt.
Dazu Rainer Woratschka: »Bisher galt für die Honorierung von Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung eine eherne Regel: Die Versicherer bekommen diese Ausgaben aus Bundesmitteln komplett erstattet. Schließlich handelt es um eine versicherungsfremde, vom Staat gewollte und nicht über Beiträge gedeckte Leistung. Im vergangenen Jahr kostete dieser Posten den Steuerzahler so mehr als 11,6 Milliarden Euro.« Franz Ruland, der Vorsitzende des Sozialbeirats der Bundesregierung, plädiert deshalb für eine Steuerfinanzierung. Eine Finanzierung aus Beitragsmitteln sei „ordnungspolitisch falsch“ – aber angenehm für den Bundeshaushalt, werden sich die Akteure in Berlin denken, die mit kleinen Geschenken glänzen möchten, die andere bezahlen sollen. Auch der DGB warnt die zukünftige Regierung vor einem Griff in die Sozialkassen, »eine Beitragsfinanzierung von ‚Mütterrenten‘ wäre ein gefährlicher Etikettenschwindel, denn am Ende bezahlen die Versicherten die Zeche mit höheren Beiträgen oder Leistungskürzungen.«