Als das „Bürgergeld“ Anfang 2023 den ungeliebten Namens-Vorgänger Hartz IV wenigstens semantisch ersetzen sollte, ging es auch um inhaltliche Veränderung im System der Grundsicherung nach SGB II. Durch gesetzgeberische Korrekturen wollte man arbeitsmarktpolitisch neue Impulse setzen, neben „mehr Augenhöhe“ zwischen den „Kunden“ und den Jobcentern ging es auch um eine – seit langem im Fachdiskurs angemahnte – Stärkung des Qualifizierungsgedankens. So wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass zahlreiche erwerbsfähige und als arbeitslos registrierte Leistungsbezieher – die übrigens die Minderheit derjenigen, die auf Leistungen aus der Grundsicherung angewiesen sind, darstellen – erhebliche „Vermittlungsprobleme“ haben, weil viele von ihnen beispielsweise keine berufliche Ausbildung haben und fehlende Qualifikationen eine Integration auf der Erwerbsarbeitsmarkt erschweren oder gar verunmöglichen. Mit dem Bürgergeld hat man den „Vermittlunsgvorrang“ (so schnell wie möglich in irgendeinen Job vermitteln) abgeschafft und die Teilnahme an der beruflichen Qualifizierung alternativ platziert. Vor diesem Hintergrund war die angestrebte Stärkung der beruflichen Weiterbildungsförderung ein wichtiger Ansatz. Und den wollte man u.a. auch durch monetäre Anreize, an einer beruflichen Weiterbildung teilzunehmen, fördern.
Dazu hat man an ein bereits seit Jahren vorhandenes Instrumentarium im SGB III angedockt. Im August 2016 wurde eine sogenannte „Weiterbildungsprämie“ nach § 87a SGB III eingeführt. Diese bezog und bezieht sich auf Maßnahmen, die zu einem Abschluss in einem beruflichen Ausbildungsberuf führen. Diese Maßnahmen sind von besonderer Bedeutung, denn auf dem deutschen Arbeitsmarkt spielt das Vorhandensein eines Berufsabschlusses für die Einstellungsbereitschaft der Arbeitgeber eine wichtige Rolle. Zugleich wird ein zunehmender Fachkräftemangel beklagt, der vor allem im mittleren Qualifikationsbereich, wo die Ausbildungsberufe angesiedelt sind, kontinuierlich zunimmt. Da macht es grundsätzlich Sinn, die abschlussorientierte Qualifizierung zu fördern und potenzielle Teilnehmer auch zu motivieren, sich in solche zwei, zuweilen drei Jahre dauernden Maßnahmen zu begeben. Die 2016 eingeführte (ursprünglich bis Ende 20023 befristete, aber mit dem Bürgergeldgesetz zum 1. Juli 2023 entfristete) Weiterbildungsprämie besteht aus einer Prämie von 1.000 Euro nach Bestehen einer Zwischenprüfung oder des ersten Teils einer gestreckten Abschlussprüfung, nach dem Bestehen der Abschlussprüfung ist dann eine zweite Prämie in Höhe von 1.500 Euro vorgesehen.
Dieses System einmaliger Prämien hat man mit dem Bürgergeldgesetz weiterentwickelt und um zwei Komponenten ergänzt, die weiter ausgreifen (sollen): Zum einen mit dem „Weiterbildungsgeld“ von monatlich 150 Euro zusätzlich, wenn man an einer Maßnahme teilnimmt, die zu einem Abschluss in einem Ausbildungsberuf führt (§ 87a SGB III). Und in der Grundsicherung hat man den § 16j SGB II verankert, der einen „Bürgergeldbonus“ in Höhe von zusätzlich 75 Euro monatlich vorsieht, wenn man einer bestimmten Maßnahme teilnimmt, die zwar nicht zu einem Berufsabschluss führt, aber mindestens acht Wochen dauert und das Qualifikationsprofil verbessern soll.
Sowohl das Weiterbildungsgeld wie auch der Bürgergeldbonus sind zum 1. Juli 2023 in Kraft getreten und man hätte jetzt erst einmal beobachten müssen, wie sich dieses neue Instrument auswirken wird, ob es tatsächlich einen motivationsfördernden Effekt hat gerade bei denjenigen, die man erreichen möchte mit einem eher niedrigschwelligen Angebot der beruflichen Weiterbildungsförderung, oder ob es vielleicht eher „mitgenommen“ wird oder ob es vielleicht sogar dazu führt, dass Leute in die Maßnahmen kommen, die nur Interesse an dem Bonus haben, nicht aber an den Inhalten der Maßnahmen und dort dann für Stress sorgen. Fragen über Fragen.
Dem sollte im Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit, dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), nachgegangen werden. Dort arbeitet der Sozialwissenschaftler Maximilian Schiele zu staatlichen Fördermaßnahmen für Langzeitarbeitslose: »Würden sich durch die Förderung wirklich mehr Personen weiterbilden? Und würde der Bonus neue Personenkreise erreichen, vor allem jüngere Menschen? Diesen Fragen wollte Schiele mit Beginn dieses Jahres nachgehen. „Ein Gedanke des Bonus war, dass gerade junge Menschen in ihre Weiterbildung investieren, statt möglichst schnell eine niedrig qualifizierte Arbeit anzunehmen. Dadurch könnten sie langfristig in den Arbeitsmarkt integriert werden und über ihre ganze Berufslaufbahn profitieren“, sagt er. Einer früheren IAB-Befragung von Arbeitslosen zufolge steigt ab einer bestimmten Zuzahlung die Motivation zur Weiterbildung. Dazu, wie die beiden mit dem Bürgergeld neu eingeführten Maßnahmen genau wirken, fehlt noch die Forschung«, so der Beitrag Der Förderung keine Chance lassen. Zur bisherigen Größenordnung der Inanspruchnahme des erst seit kurzem existierenden Bürgergeldbonus erfahren wir dort: »Der Bundesagentur für Arbeit zufolge haben bislang rund 63.000 Leistungsberechtigte den Bürgergeldbonus in Anspruch genommen. Ob dadurch auch mehr Menschen an Fortbildungen teilgenommen haben als zuvor, kann die Behörde aus ihren Daten allerdings noch nicht ablesen.«
Und weg ist der Bonus
Und man wird auch nicht wirklich substanziell belastbare Aussagen machen können. Den Arbeitsmarktforschern ist der Gegenstand der Forschung vom Seziertisch gezogen worden, denn: Der „Bürgergeldbonus“ ist den Sparmaßnahmen im Kontext der aktuellen verzweifelten Suche der Ampel-Koalition im Kontetxt der Aufstellung des Bundeshaushalts 2024 nach geringeren Ausgaben (oder Ausgabenverschiebungen zu Lasten Dritter) zum Opfer gefallen. Der Bonus soll ersatzlos gestrichen werden. Im „Entwurf eines Zweiten Haushaltsfinanzierungsgesetzes 2024“ (Bundestags-Drucksache 20/9999 vom 08.01.2024) finden wir diese Formulierung: »Der Bürgergeldbonus (§ 16j SGB II) wird abgeschafft, die finanziellen Anreize für berufsabschlussbezogene Weiterbildungen durch das Weiterbildungsgeld und die Weiterbildungsprämie bleiben erhalten.« Und was meint man damit „gewinnen“ zu können? »Die Abschaffung des Bürgergeldbonus führt zu jährlichen Minderausgaben beim Bund in Höhe von rund 100 Millionen Euro.« Wobei man hier anmerken sollte, dass das auch einer diesen „mutigen“ Buchungsvorgänge zu sein scheint, denn die Leistung, die nun gestrichen wird, kommt ja aus dem budgetierten Eingliederungstitel.
➔ Es ist interessant: Im nunmehr vom Bundeskabinett auch verabschiedeten Gesetzentwurf eines Zweiten Haushaltsfinanzierungsgesetz 2024 findet man nur noch den Hinweis, dass man mit der Abschaffung des „Bürgergeldbonus“ 100 Mio. Euro „einsparen“ würde. Schaut man hingegen in den Beitrag BMAS Abteilung II „Arbeitsmarkt“ zum Referentenentwurf eines Zweiten Haushaltsfinanzierungsgesetzes 2024 mit Bearbeitungsstand 28.12.2023, dann findet man dort diese Erläuterung: »Für den Bürgergeldbonus, der mit diesem Gesetz
abgeschafft wird, wurde bei seiner gesetzlichen Einführung von schätzungsweisen Mehr-
ausgaben in Höhe von rund 100 Millionen Euro ausgegangen, die innerhalb des budgetier-
ten Eingliederungstitels SGB II erbracht wurden und die daher nicht haushaltswirksam zu-
sätzlich zur Verfügung standen. Daher wird dieser Mittelansatz mit der Abschaffung des
Bürgergeldbonus nicht reduziert.« Diese Erläuterung fehlt nun in dem Gesetzentwurf. Sicherlich ist das nur zufällig hinten runter gefallen.
Zu den mehr als fragwürdigen Annahmen, die den Einsparungen im SGB II zugrundeliegen, wurde hier schon am Beispiel der Sanktionsverschärfungen kritisch berichtet, vgl. dazu den Beitrag Zahlen bitte! Sanktionen im Hartz IV- bzw. im Bürgergeld-System. Und potemkinsche „Einsparungen“ mit den geplanten Verschärfungen der Sanktionen im SGB II vom 3. Januar 2024. Und der im übrigen milliardenschwere Griff in die Beitragskasse der Arbeitslosenversicherung wurde hier bereits am 18. Dezember 2023 auseinandergenommen: Der Griff in die Beitragskasse der Arbeitslosenversicherung: Wenn Haushaltstrickser Luftbuchungen und einen nicht nur kosmetischen Schaden produzieren.
Wenigstens bleibt das Weiterbildungsgeld bei den so wichtigen abschlussbezogenen Maßnahmen erhalten.
Österreich macht es ganz anders
Mit Beginn des neuen Jahres wurde aus unserem Nachbarland eine ganz andere Botschaft ausgesendet. Am 1. Januar 2024 wurde unter der Überschrift Bildungsbonus für AMS-Schulungsmaßnahmen wird erhöht berichtet: »Beim AMS* als arbeitslos gemeldete Personen haben ab 2020 zuzüglich zum Arbeitslosengeld einen Bildungsbonus erhalten, wenn sie an Schulungsmaßnahmen teilgenommen haben. Ab einer Schulungsdauer von vier Monaten gab es monatlich rund 190 Euro zusätzlich. Dieser Bonus soll nun ab 2024 als „Schulungszuschlag neu“ unbefristet verlängert und ausgebaut werden.«
* Beim AMS handelt es sich um das österreichische Pendant zur Bundesagentur für Arbeit
Der Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) wird mit den Worten zitiert: »Teilnehmerinnen und Teilnehmer an AMS-Schulungen erhalten mit dem Schulungszuschlag neu eine gestaffelte Förderung, je nach Qualifizierungsdauer, die jene des Bildungsbonus deutlich übersteigt. Zusätzlich wird der Schulungszuschlag NEU valorisiert, also an die jährliche Inflation angepasst und damit wertgesichert.« Das Ziel sei, beim AMS gemeldete Personen zu längeren Aus- und Weiterbildungen zu ermutigen. »Denn gerade bei längeren Ausbildungen spielt die Höhe der Existenzsicherung eine besondere Rolle hinsichtlich der Entscheidung für die Ausbildung. Mit einer zeitlichen Staffelung entsprechend der Ausbildungsdauer soll die Absolvierung von längeren Qualifizierungsmaßnahmen erleichtert und Drop-out-Quoten reduziert werden«, so der österreichische Arbeitsminister Kocher.
Zur Ausgestaltung des „Schulungszuschlages“ in Österreich:
Der „Schulungszuschlag neu“ umfasst eine dreistufige Förderung.
➔ In der Stufe 1 erhalten Schulungsteilnehmer rund 75 Euro pro Monat. Diesen erhalten Schulungsteilnehmerinnen und -teilnehmer beim Start einer Schulungsmaßnahme unabhängig von ihrer Dauer.
➔ Ab einer Schulungsdauer von mindestens vier Monaten gibt es in der Stufe 2 eine Förderung von rund 224 Euro pro Monat.
➔ Dauert eine Schulungsmaßnahme mindestens zwölf Monate, gibt es in der Stufe 3 einen Zuschlag von 374 Euro monatlich.