„Pflegebonus“: Wenn man „den“ Pflegekräften erneut eine Geldprämie zuwerfen möchte und vorher aber noch die potenziellen Nutznießer eindampfen muss

In den ersten Tagen des neuen, dritten Corona-Jahres werden wir mit dem nunmehr dritten Akt eines Trauerspiels konfrontiert, in dem es erneut um eine vielleicht gut gemeinte Absicht geht: Pflegekräfte sollen eine handfeste materielle Gratifikation in Form eines „Pflegebonus“ bekommen.

Es klang so tatkräftig, was Olaf Scholz in der Geburtsstunde der Ampel-Koalition versprach: „Für die besonders geforderten Pflegekräfte in den Krankenhäusern und in den Pflegeheimen werden wir eine Bonuszahlung veranlassen.“ Eine Milliarde Euro stehe dafür bereit, so der damals noch designierte Kanzler bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages Ende November 2021. Und das ist denen nicht neu eingefallen, sondern Angela Merkel und die Ministerpräsidenten hatten die Prämie zuvor bereits in Aussicht gestellt – speziell für die Intensivpflege, als Anerkennung ihrer Leistung in der vierten Welle. Der scheidende Gesundheitsminister Jens Spahn hatte sogar „5.000 Euro plus x“ gefordert.

Die erste Ernüchterung gab es bereits im nunmehr vergangenen Jahr: »Der geplante Bonus für Intensivpflegekräfte wird verschoben. Das Geld ist da, doch die neue Ampel-Regierung kann sich nicht auf die Formalitäten einigen.« Die neue Ampelregierung verschiebt den geplanten Bonus nach ZDF-Informationen auf einen späteren Zeitpunkt. Die Koalitionäre baten das Bundesgesundheitsministerium, das in ihrem Auftrag bereits an einer Formulierungshilfe arbeitete, die Prämie zu streichen. Die Ampel-Koalitionäre konnten nicht einigen, welcher Personenkreis von der Sonderzahlung profitieren und nach welchen Kriterien die Ausschüttung ablaufen sollte. Das wurde in diesem Blog bereits am 6. Dezember 2021 unter der Überschrift Same procedure as 2020? Der geplante Bonus für Intensivpflegekräfte wird erst einmal verschoben berichtet und kritisch eingeordnet. „Hier geht Sorgfalt vor Schnelligkeit. Es gibt Vorschläge, wie wir das regeln können“, so Sabine Dittmar, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD. Darüber werde man jetzt beraten. Aber erst einmal standen die Weihnachtsferien an und da muss man dann auch mal ausspannen (wenn man nicht im Schichtsystem und einer Rund-um-die-Uhr-Arbeit außerhalb des Homeoffice – beispielsweise in der Pflege – eingebunden ist). Anfang Dezember 2021 ging es bei der vom Bundesgesundheitsministerium geplanten Umsetzung der vom neuen Kanzler versprochenen Prämie nicht um einen Bonus für alle Pflegekräfte, sondern um einen Bonus für Intensivpflegekräfte.

➔ Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hatte vorgeschlagen, dass je nach Zahl der intensivbehandelten Covid19-Patienten für jedes Krankenhaus eine Summe ermittelt wird, die der Krankenhausträger in Abstimmung mit dem Betriebsrat dann eigenverantwortlich an seine Mitarbeiter ausschütten sollte. „Dabei soll jede Pflegekraft, die auf einer Intensivstation oder auf einer Station eingesetzt wird, auf der eine intensivmedizinische Behandlung stattfindet, eine Prämie in Höhe von 3.000 Euro erhalten“, hieß es in einem Entwurf aus dem BMG. Nicht nur die Pflegekräfte selbst, auch andere auf der Intensivstation Beschäftigte sollten laut Entwurf für die Prämie ausgewählt werden können. Doch wer zählt alles dazu? Die Reinigungskraft, Techniker, der Pförtner? Wie groß der Kreis der Anspruchsberechtigten sein soll, darauf konnte man sich politisch nicht einigen.

Und wenige Tage nach dem Jahreswechsel bekommen wir dann solche Nachrichten serviert: »Nur wer in der Pandemie besonders belastet war, soll einen Pflegebonus bekommen. Der könne somit höher ausfallen, plant der Gesundheitsminister«, so dieser Artikel: Karl Lauterbach will Bonus nur für bestimmte Pflegekräfte. Offensichtlich fangen die versprochenen Beratungen erst an und Lauterbach gibt schon mal den Flaschenhals vor: »Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will den geplanten Pflegebonus nur an einen begrenzten Kreis von Pflegekräften zahlen. „Der Pflegebonus sollte vor allem Pflegekräften bezahlt werden, die in der Corona-Pandemie besonders belastet waren“, sagte Lauterbach dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. „Dann kann der Bonus auch in nennenswerter Höhe angesetzt werden“, sagte der SPD-Politiker. „Nur so kann die besondere Leistung von Pflegekräften wirklich gewürdigt werden.“«

➔ Nun wird sich der eine oder andere erinnern: In den langen Monaten seit der ersten Corona-Welle im Frühjahr 2020 haben wir das mit diesem Bonus für Pflegekräfte doch schon erleben müssen – vor allem das Gewürge, wer die Prämie denn nun wirklich bekommt und wer das bezahlen muss. Pflegekräfte hatten bereits im ersten Corona-Jahr 2020 einen Bonus erhalten. Für Pflegekräfte in der Altenpflege gab bis zu 1.500 Euro, später dann für die Pflegekräfte in Krankenhäusern bis zu 1.000 Euro, die Bundesländer konnten die auf 1.500 Euro aufstocken. Bereits bei der ersten „Corona-Sonderprämie“ in Höhe von 1.500 Euro für die besonderen Leistungen der Altenpflege gab es ein ernüchterndes Geschiebe, wer und wer nicht was bekommen soll. Und wer das letztendlich bezahlen muss. Darüber wurde hier in der ersten Corona-Welle beispielsweise in dem Beitrag Es hat sich ausgeklatscht und die versprochene Prämie für Pflegekräfte in der Altenpflege will keiner zahlen vom 20. April 2020 berichtet. Kaum hatte man die Belastungsprämie öffentlichkeitswirksam verkündet und in die Welt gesetzt, passierte das, was man in diesem Land oft erlebt: Aller Beteiligten versuchten, den anderen den Schwarzen Peter zuzuschieben und sich aus der Finanzierungsverantwortung zu stehlen. Vgl dazu dann auch den Beitrag Nur nicht sich selbst bewegen und mit dem Finger auf andere zeigen: Die Sonderprämie für Beschäftigte in der Altenpflege und die Reise nach Jerusalem bei der Frage: Wer zahlt (nicht)? vom 27. April 2020. Man hat dann nach einigem Hin und Her eine Finanzierungslösung gefunden, aber das, was wir derzeit bei der neuen Prämie erneut serviert bekommen – also die Frage nach dem Verteilungsschlüssel -, das war auch schon im ersten Corona-Jahr Thema. Mit fatalen Folgen, wie in diesem Beitrag aufgezeigt wurde: Wenn eine am Anfang sicher gut gemeinte Anerkennungsprämie zu einem toxischen Spaltpilz mutiert. Bei der Corona-Prämie für Pflegekräfte sortiert und differenziert man sich ins Nirwana. Der wurde hier am 3. September 2020 veröffentlicht. In dem Beitrag ging es darum, dass nach Plänen des damaligen Bundesgesundheitsministers Jens Spahn nach den Altenpflegekräften auch ein Teil des Pflegepersonals in den Kliniken eine Corona-Prämie bekommen sollte. Und heute könnten wir lernen von dem, was damals passierte, denn sofort begann die Abgrenzerei – so hieß es seitens der Spitzenverbände der Krankenhäuser und der Gesetzlichen Krankenversicherung zur Frage, wer denn die sensationelle Prämie in Höhe von 1.000 Euro bekommen soll (und wer nicht): Grundlegend sollen Pflegekräfte im Sinne der „Pflege am Bett“ begünstigt werden. Die Auswahl der anspruchsberechtigten Pflegekräfte und die Definition der individuellen Prämienhöhe für die Pflegekraft – je nach pandemiebedingter Belastung – obliegt dem Krankenhausträger in Abstimmung mit der Mitarbeitendenvertretung. Man ahnt schon, was das in praxi für Folgen haben wird: man muss all diese schwammig daherkommenden Begriffe mit abgrenzbaren Leben füllen, also wer kommt rein und wer muss draußen bleiben. Und die Verbände haben sich dann förmlich überschlagen bei der Ausgestaltung der Abgrenzungsregeln: »Die Mittel aus dem 100-Millionen-Euro-Topf werden den Krankenhäusern zugewiesen, die bis zum 30.9.2020 eine bestimmte Mindestzahl von COVID-19-Fällen vorweisen. Damit ist der Grad der Betroffenheit eines Krankenhauses durch die Pandemie ausschlaggebend für die Einbeziehung in das Konzept. Die Zuordnung der Mittel für Corona-Prämien auf anspruchsberechtigte Krankenhäuser soll anhand von objektiven Kriterien zielgenau zu je 50 Prozent nach pandemiebedingter Belastung und bedarfsgerecht nach vorhandenem Pflegepersonal ausgestaltet werden.« Spätestens an dieser Stelle wurde deutlich, dass man aus dem Thema ein eigenständiges Bachelor-Studium konstruieren kann.

Nun geht der ganze Mist wieder von vorne los. Und das doch nur, weil man sich nicht direkt traut, ganz offen zu sagen, was sich aus der budgetären Logik zwangsläufig ergibt: Wenn mir eine bestimmte Geldsumme zur Verfügung gestellt wird (die eine Milliarde Euro), dann muss ich berücksichtigen, dass der am Ende der Nahrungskette ausgezahlte Betrag um so kleiner wird, je mehr Mäuler zu stopfen sind. Oder anders formuliert: Wenn ich die Gruppe derjenigen begrenze, die in den Genuss des Pflegebonus kommen (können), dann kriegen die auch mehr. Lauterbach formuliert genau das ja auch, wenn er mit den Worten zitiert wird: „Dann kann der Bonus auch in nennenswerter Höhe angesetzt werden“ – also wenn der Bonus vor allem Pflegekräften ausbezahlt wird, die in der Corona-Pandemie „besonders belastet“ waren, wobei die „besondere Belastung“ dann der Schlüssel ist, mit dem man den Bonusspeicher verschließen kann.

Das muss und wird dazu führen, dass viele Pflegekräfte erneut erfahren werden, dass sie nicht gemeint waren mit der „besonderen Beanspruchung“ in der Corona-Krise. Davon werde „ein fatales Signal“ ausgehen, meint beispielsweise Christian Schwager in seinem Artikel Ein Bonus für bestimmte Pflegekräfte ist ein fatales Signal an die Branche. Und David Gutensohn kommentiert unter der Überschrift Ein Bonus darf nicht spalten, die eher einen Wunsch auszudrücken versucht als das, was jetzt passiert: »Karl Lauterbach will nur bestimmten Pflegekräften einen steuerfreien Zuschlag gewähren. Das wäre fatal, denn die Pflege braucht eines sicher nicht: eine Neiddebatte.« Und Gutensohn weitet den Blick auf das Minenfeld etwas, wenn er schreibt: »… es klingt auch erst mal sinnvoll, jene Pflegekräfte mit einer Corona-Prämie zu belohnen, die auch Corona-Patientinnen und -Patienten behandelt haben. Doch gerade jetzt wäre es ein fatales Signal, zwar eine Impfpflicht für alle Beschäftigten in der Pflege zu verabschieden, aber nur einen Teil von ihnen mit einem Bonus wertzuschätzen.« Er kommt zu dem Schluss: »Es wäre falsch, bloß diejenigen zu berücksichtigen, die auf Intensivstationen arbeiten. Oder – wie im Jahr 2020 – die Prämie nur Kliniken zu ermöglichen, die eine bestimmte Zahl von Corona-Patienten aufgenommen haben. Ein solches Gesetz würde Pflegekräfte gegeneinander aufbringen, die Branche spalten, denn es belohnt die einen und zeigt zugleich allen anderen, dass sie keinen Bonus verdient hätten. Wenn es Orte geben sollte, die in diesen Tagen keine Neiddebatte brauchen, dann sind es die Kliniken und Pflegeheime. Wohl kaum eine andere Berufsgruppe musste in der Pandemie mehr leisten als diese, keine hätte einen Bonus so sehr verdient wie sie. Und deswegen sollte er sich auch an alle Pflegekräfte richten.«

Und Gutensohn beschreibt die eigentlich anzustrebende Prämienwelt: »Einen Bonus sollten die Menschen erhalten, die Corona-Patientinnen und -Patienten auf den Bauch gedreht und an Geräte angeschlossen haben. Und auch diejenigen, die in den Kliniken mehr arbeiten mussten, weil verschobene Operationen nachgeholt wurden. Der Bonus sollte auch an die gezahlt werden, die auf den Normalstationen dafür gesorgt haben, dass sich das Virus nicht verbreitet. Und genauso an das Personal, das in Seniorenheimen – eingehüllt in Schutzanzügen und Masken – die Bewohnerinnen und Bewohner versorgt hat und Besuchsverbote durchsetzen musste. Oder an Fachkräfte, die Seniorinnen und Senioren zu Hause gepflegt haben, unter ständig wechselnden Vorschriften. Sie alle leisten in der Pandemie Enormes, setzen sich dem Risiko der Ansteckung aus und verdienen Respekt.«

Dem steht gegenüber, dass die neue Regierung eben „nur“ eine Milliarde Euro angekündigt hat, die man zu verteilen gedenkt. Damit ließe sich die ideale Welt der Begünstigten nach Gutensohn wenn, dann nur mit Brotkrumen bestücken, aufgrund der vielen, um die es hier geht. Auf diesen Einwand bemerkt Gutensohn: »Wer Olaf Scholz bei der Präsentation des Koalitionsvertrags genau zugehört hat, sollte bemerkt haben, dass mehr möglich ist. Der Kanzler sprach davon, dass die Regierung „erst einmal eine Milliarde“ zur Verfügung stellen wolle. Eine größere Ladung für die Bazooka wäre also machbar. Und sie wäre nötig, um dann wirklich alle in der Pflege zu erreichen.«

Von einer Aufstockung der Mittel hat man bislang aber noch nichts gehört und insofern passiert genau das, was Gutensohn in seinem Kommentar vermeiden will: Es geht um einen Bonus, der spaltet. Und das übrigens nicht nur innerhalb der Pflege.

➔ Medizinische Fachangestellte in den vielen Arztpraxen der niedergelassenen Ärzte »werden keinen staatlichen Corona-Bonus erhalten – diese Ankündigung von Staatssekretärin Dittmar bringt den Verband medizinischer Fachberufe auf die Palme«, berichtet Matthias Wallenfels unter der Überschrift Keine Corona-Prämie für Praxispersonal – MFA-Chefin schäumt vor Wut: »Hannelore König, Präsidentin des Verbandes medizinischer Fachberufe (VmF), schäumt vor Wut – es wird unter der neuen Bundesregierung wohl nichts mit einem steuerfinanzierten Corona-Bonus für Medizinische und Zahnmedizinische Fachangestellte (MFA/ZFA).« Das geht aus einer Antwort der Parlamentarischen Staatssekretärin im Gesundheitswesen Sabine Dittmar auf die Anfrage des CSU-Abgeordneten Stephan Pilsinger zu einem Corona-Sonderbonus für MFA/ZFA hervor. »Allein die Aussage, wie alle Fachberufe im Gesundheitswesen könnten auch MFA in der aktuellen Lage besonders gefordert sein, „zeugt davon, dass die Staatssekretärin keine Vorstellung davon hat, welchen Belastungen die MFA in den niedergelassenen Praxen seit mehr als 20 Monaten ausgesetzt sind: Bei ihnen landen Anfragen ebenso wie Beschwerden und Drohungen unmittelbar, weil sie die ersten Kontaktpersonen sind.“«

Die Debatte darüber, wer sich wie oft und wie intensiv um Corona-Patienten gekümmert habe, werde erheblichen Unfrieden stiften und die Motivation der Betroffenen verringern, so Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Die Ankündigung Lauterbachs könnte zum Sprengsatz werden und neuen Frust unter den Pflegekräften hervorrufen.

Es ist nun keineswegs so, dass in anderen Berufen und Branchen die Frage einer „Corona-Prämie“ vergleichbar kontrovers und spaltpilzhaft diskutiert wird. Dort wurden Fakten geschaffen, über deren Sinnhaftigkeit man durchaus nachdenken kann. Dazu mit Blick auf einen Teil des öffentlichen Dienstes den Überblick in dem Artikel Corona-Bonus für viele Arbeitnehmer: Wer bekommt jetzt Geld? Noch bis 31. März 2022 können Arbeitgeber einen steuerfreien Corona-Bonus in Höhe von bis zu 1.500 Euro an ihre Mitarbeiter zahlen. Und wer wird davon profitieren?

Beschäftigte im Öffentlichen Dienst der Bundesländer (außer Hessen) erhalten bis spätestens März eine steuer- und abgabenfreie Corona-Sonderzahlung in Höhe von 1.300 Euro ausbezahlt. Azubis, Praktikantinnen und Praktikanten und studentische Beschäftigte bekommen einen Corona-Bonus von 650 Euro. Mehr als eine Million Beschäftigte sind davon betroffen. Hessen zahlt nach separaten Verhandlungen von Gewerkschaften und Arbeitgebern einen Corona-Bonus von 1.000 Euro an seine Landesbeschäftigten. Nicht nur die Tarifbeschäftigten im öffentlichen Dienst der Länder, sondern auch die bayerischen Beamten erhalten eine Corona-Sonderzahlung von 1.300 Euro. Bayern will das Ergebnis des Tarifabschlusses 1:1 auf die Beamten in Bayern übertragen, hat der bayerische Finanzminister Albert Füracker (CSU) bereits Ende November 2021 mitgeteilt. Man wird erwarten können, dass auch andere Bundesländer nachziehen werden.

Es sei ihnen natürlich gegönnt – aber man darf auch die Frage stellen, warum denn dort alle, unabhängig von der tatsächlichen Belastung, die in einigen Fällen auch ein faktischer Schonaufenthalt im Homeoffice gewesen sein mag, eine „Corona-Prämie“ bekommen. Interessanterweise wird dort eben nicht spaltpilzträchtig differenziert. Das könnte mit Blick auf die Pflege zu denken geben.